Brüssel (epd). EU-Staaten, Parlament und Kommission haben in einem Verhandlungsmarathon eine Einigung bei der europäischen Asylreform erreicht. Das teilten das EU-Parlament und der Rat der EU am 20. Dezember in Brüssel mit. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) soll Migration in die EU begrenzen und steuern. Der Kompromiss gilt als politische Einigung. Rat und Parlament müssen diesem noch formal zustimmen.
Im Kern geht es um einheitliche Verfahren, schnellere Abschiebungen und mehr Solidarität unter den EU-Staaten. Über viele der Vorschläge streitet die EU bereits seit 2016, ausgelöst durch die Migrationskrise 2015.
„Die Bürger der EU verlangen von ihren Regierungen, mit der Herausforderung der Migration umzugehen, und der heutige Tag markiert einen großen Schritt in diese Richtung“, erklärte der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska Gómez stellvertretend für die EU-Staaten. Spanien hält derzeit den Vorsitz im Rat der EU, dem Gremium der Mitgliedsstaaten. Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte den Kompromiss.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nannte die Einigung „überfällig“. Zugleich räumte sie ein, dass Deutschland bei den Verhandlungen Ausnahmen für Kinder und Familien bei den Grenzverfahren nicht durchsetzen konnte. „Zur Wahrheit gehört: Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss“, sagte Baerbock in Berlin. Deutschland werde bei der Umsetzung des neuen Asylsystems darauf achten, „dass es fair, geordnet und solidarisch zugeht“.
Europaabgeordnete der Grünen und der Linken kritisierten den Kompromiss scharf. Die Einigung sei „die massivste Verschärfung des Europäischen Asyl- und Migrationsrechts seit Gründung der EU“ und ein „Kniefall vor den Rechtspopulisten in der EU“, erklärte Cornelia Ernst (Linke). Das individuelle Recht auf Asyl sei de facto tot. In wesentlichen Punkten habe das Parlament den Mitgliedsstaaten nachgegeben.
Ein zentrales Element der Reform ist, dass ankommende Asylbewerber mit geringer Bleibechance schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden sollen. Dahinter stehen die sogenannten Grenzverfahren. Haben Menschen eine Staatsangehörigkeit, deren Anerkennungsquote für Asyl bei unter 20 Prozent liegt, sollen sie an der Grenze festgehalten werden. Ihr Anspruch auf Asyl soll dann in einem Schnellverfahren geprüft werden. Wer keine Aussicht auf Asyl hat, soll direkt abgeschoben werden. „Künftig werden Asylsuchende an der Grenze inhaftiert, auch bei Familien mit Kindern aller Altersstufen soll das möglich sein“, erläuterte Ernst.
Ein weiterer Baustein ist die Krisenverordnung. Sie regelt, wie EU-Staaten bei einem besonders starken Anstieg der Migration verfahren können. Ankommende dürfen dann zum Beispiel länger an der Grenze festgehalten werden. Deutschland hatte das aufgrund humanitärer Bedenken lange abgelehnt.
An dem Grundsatz, dass der EU-Staat für einen Asylbewerber zuständig ist, in dem dieser angekommen ist (Dublin-Regeln), ändert die Reform nichts. Ein Solidaritätsmechanismus soll überlasteten Staaten an der Außengrenze derweil mit Aufnahmeprogrammen oder Ausgleichszahlungen helfen.
Kommission, Mitgliedsstaaten und Parlament wollen die Asylreform noch vor der Europawahl im Juni 2024 verabschieden. Projekte, die nicht bis zur Wahl verabschiedet wurden, könnten in der nächsten Legislaturperiode infrage gestellt werden.
Nichtregierungsorganisationen sehen die EU-Asylreform kritisch. So erklärte etwa der europäische Caritas-Verband, die Reform werde die Asylproblematik in der EU nicht lösen, aber den Zugang zu Asyl und die Rechte der Schutzsuchenden einschränken.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband zeigte sich entsetzt. Hier sei „ein tief inhumaner Asylkompromiss“ geschlossen worden, mit dem Europa weiter nach rechts rücke. „Menschenrechtsfeindliche Haftlager und der Freiheitsentzug Schutzsuchender während des Asylverfahrens drohen mit dieser Reform zur Normalität zu werden. Dass nicht einmal Kinder und ihre Familien geschützt werden, ist schockierend“, kritisierte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.