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Polizei bricht Kirchenasyl in Schwerin




Flyer zum Kirchenasyl
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Die Polizei wollte in Schwerin zwei junge Afghanen abschieben und hat wegen einer Gefährdungslage das Kirchenasyl in der evangelischen Petrusgemeinde gebrochen. Scharfe Kritik kommt vom Flüchtlingsrat und der Nordkirche.

Schwerin (epd). Die Polizei Schwerin hat am 20. Dezember ein Kirchenasyl wegen einer geplanten Abschiebung gebrochen. Zwei afghanische Männer im Alter von 18 und 22 Jahren sollten abgeschoben werden. Weil die Situation vor Ort eskalierte und Hinweise auf eine Selbstgefährdung vorlagen, verschaffte sich die Polizei laut Mitteilung Zutritt zur Wohnung. Die Abschiebung wurde abgebrochen.

Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern kritisierte das Vorgehen der Polizei scharf. „Das allererste Mal wurde in Mecklenburg-Vorpommern die rote Linie überschritten und durch Polizei ein Kirchenasyl gebrochen“, teilte er mit. Die Flüchtlingsbeauftragte der evangelischen Nordkirche, Dietlind Jochims, kritisierte die versuchte Abschiebung aus dem Kirchenasyl als „beschämend und mit Grundsätzen der Menschenrechte unvereinbar“.

Jochims, die außerdem Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche ist, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), es sei ihr unverständlich, wie die Behörden mit der betroffenen geflüchteten Familie aus Afghanistan umgegangen seien und bislang respektierte Schutzräume wie das Kirchenasyl missachtet hätten.

In die Wohnung eingedrungen

Laut dem Flüchtlingsrat sollten die zwei erwachsene Söhne einer sechsköpfigen afghanischen Familie getrennt nach Spanien abgeschoben werden. Laut Polizei befanden sich die 47-jährige Mutter, der 49-jährige Vater, die zwei erwachsenen Söhne sowie der 10-jährige Sohn und die 13-jährige Tochter in der Wohnung. Das Kirchenasyl bestand laut Nordkirche seit 15. Dezember. Wie es gängige Praxis sei, habe die evangelische Gemeinde alle zuständigen Behörden darüber informiert, hieß es.

Der 22-jährige Sohn, der sich nach bisherigen Erkenntnissen in der Wohnung vor dem Zugriff der Polizei selbst verletzt hat, befindet sich laut Polizei aktuell ebenso in medizinischer Behandlung wie die Mutter. Die 47-Jährige habe durch Androhung von Gewalt gegen sich und ihre Kinder versucht, die Maßnahmen zu vereiteln. Eine Polizeisprecherin sagte, aus der Wohnung sei ein Klirren zu hören gewesen, daraufhin seien Beamte in die Räume eingedrungen.

Die angeforderten Spezialeinheiten der Landespolizei hätten deeskalierend auf die Frau einwirken können, hieß es. Bei der Durchsuchung der Familie seien bei der Mutter, dem 22-jährigen Sohn und der Tochter Messer versteckt am Körper gefunden worden. Gegen die Mutter seien Strafverfahren wegen Bedrohung und Nötigung eingeleitet worden. Weitere Personen oder Einsatzkräfte seien nicht verletzt worden.

„Ein Armutszeugnis für die Behörden“

Nach Information von Polizei und Flüchtlingsrat wurde die Abschiebung im Zuge des Polizeieinsatzes zunächst ausgesetzt. Beide Männer wurden zunächst nicht abgeschoben. Über das weitere Vorgehen müsse die Ausländerbehörde in Kiel entscheiden, teilte die Polizei mit.

Wie die Pastorin Jochims mitteilte, handelt es sich bei der 47-jährigen Mutter um eine bekannte Frauenrechtlerin und Journalistin, die in ihrer Heimat nach der Machtübernahme der Taliban massiv bedroht worden sei. Über das Aufnahmeprogramm für Afghanistan des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes sei der Familie zunächst eine Aufnahme in Deutschland zugesichert worden. Die Visumserteilung habe sich laut Jochims massiv verzögert.

Da das Leben der Familie in Afghanistan zusehends gefährdet gewesen sei und sie dringend medizinische Behandlung benötigt habe, floh sie in den Iran. Von dort aus sei die Familie mit einem spanischen Visum nach Europa gelangt. „Es ist ein Armutszeugnis für die Behörden, dass die Visa-Formalitäten viel zu schleppend angesichts der Lebensgefahr für die Familie bearbeitet worden sind“, kritisierte Jochims. Es sei augenscheinlich, dass es das Kirchenasyl nicht gebraucht hätte, wenn die deutschen Behörden ihre Arbeit gemacht hätten, betonte sie.

„Familie massiv retraumatisiert“

Die Schweriner Bischöfin Nora Steen appellierte an alle zuständigen Behörden, „den Schutzraum Kirchenasyl zu achten“. Solch eine bedrohliche und eskalierende Situation habe diese Familie „massiv retraumatisiert“ und sei „unzumutbar“, sagte sie.

Bereits im Juli hatte ein Fall aus Viersen für Schlagzeilen gesorgt. Das Ausländeramt der Stadt Viersen hatte ein irakisches Ehepaar bei einer unangekündigten Hausdurchsuchung am 10. Juli in Haft genommen. Das Ehepaar sollte danach vom Flughafen Düsseldorf aus nach Polen gebracht werden, weil es dort nach der Ankunft in der EU seinen Asylantrag gestellt hatte. Wegen eines Zusammenbruchs der Ehefrau wurde die Rücküberstellung aber abgebrochen, das Paar kam in Abschiebehaft. Später wurde die Abschiebung aus formalen Gründen abgesagt.

Evelyn Sander, Franziska Hein