viele Frauen, die seit einem Jahr vor dem Krieg in ihrer ukrainischen Heimat fliehen, treibt vor allem eine Sorge um: Wie geht es meinem Partner, meinem Mann, anderen Familienangehörigen, die den militärischen Angriffen der Russen ausgesetzt sind? Immerhin werden die geflohenen Frauen - oft mit Kindern - in Deutschland nach Kräften unterstützt: mit Unterkünften, Geld, persönlicher Betreuung, Sprachunterricht. Redakteure des Evangelischen Pressedienstes (epd) haben sich Engagements angesehen, etwa in einem zu Beginn des Krieges leer stehenden Hotel.
Viele Pflegeheimbetreiber haben kein Geld für Bau-Investitionen. Stattdessen haben in den vergangenen Jahren aktiennotierte Konzerne und Investitionsfonds neue Gebäude gebaut, um sie dann an Pflegeeinrichtungen zu vermieten. Andreas Wedeking, Geschäftsführer des Altenhilfe-Fachverbandes der Caritas, kritisiert: „Heuschrecken ziehen aus Pflege-Immobilien viel Geld ab.“ Hinzu kommt: Steigende Baukosten belasten Heimbewohnerinnen und -bewohner durch wachsende Eigenanteile.
Bei der Einstellung von weiblichen und männlichen Stellenbewerbern gilt gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Nur weil ein Mann im Bewerbungsgespräch geschickter verhandelt, dürfe eine vergleichbare weibliche Bewerberin nicht geringer bezahlt werden, urteilte das Bundesarbeitsgericht. Eine unterschiedliche Bezahlung weise sonst auf eine verbotene Diskriminierung wegen des Geschlechts hin.
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Ihr Markus Jantzer
Frankfurt a.M. (epd). Bunte Plakate mit kyrillischen Buchstaben hängen im Eingangsbereich des Hotels Dormero in Frankfurt am Main. Das Haus, ein grauer Quader, liegt unweit der Messe, der Parkplatz nebenan ist voller Autos mit ukrainischen Kennzeichen, in der Nähe rauscht die S-Bahn vorbei. Seit fast einem Jahr besteht die Gästeschaft des Hotels ausschließlich aus Frauen und Kindern, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind.
„Das sind Umzugslisten“, erklärt Annette Gümbel die Bedeutung der Plakate. Die Frauen, die noch hier wohnen, organisieren damit ihre bevorstehenden Auszüge. In den Listen steht, wer wann einen zur Verfügung stehenden Kleinbus nutzen darf, um eigene Sachen zu transportieren zum Beispiel.
Gümbel ist Geschäftsführerin der KiWIS-Stiftung des in Frankfurt ansässigen Dienstleistungs-Unternehmens WISAG. Die Firma verwaltet etwa Gebäude, fertigt Passagiere am Frankfurter Flughafen ab und bietet industrienahe Dienstleistungen an wie Sicherheits- oder Cateringdienste. Sie hat das gesamte Hotel gemietet, um hier ukrainische Frauen und Kinder unterzubringen. Für ein Jahr, so war der Plan, sollte das Hotel Dormero zum „WISAG-Haus“ werden. Nun beendet WISAG das Projekt Mitte März. Nicht alle Frauen haben eine Wohnung gefunden, sie ziehen nun in Gemeinschaftsunterkünfte.
Gümbel berichtet, das Haus sei vor einem Jahr ohnehin weitgehend leer gewesen, weil der Messebetrieb wegen Corona ruhte. Nach der Zusage des Hotelbetreibers sei es schnell gegangen: „Innerhalb von zwei Tagen waren die 140 Zimmer belegt.“ 350 Frauen und Kinder wohnen Gümbels Angaben zufolge derzeit noch darin. Insgesamt hätten in dem Jahr mehr als 600 Menschen hier gewohnt. Die älteste Bewohnerin sei Jahrgang 1938. Sieben Kinder von Frauen aus dem Hotel seien in dieser Zeit zur Welt gekommen.
Eine dieser Geburten war die des kleinen Bogdan. Jetzt sitzt er neben seiner Mama Iana Dianova am Tisch und stopft sich mit Appetit Karotten und Blumenkohl ins Mündchen. Dianova ist eine Zahnärztin aus Odessa. Sie ist in der Republik Moldau geboren, ihr Mann arbeitet dort, er ist Moldauer. Beide haben noch eine siebenjährige Tochter. „Wir waren einmal zu Besuch in Moldau, und mein Mann war ein paar Mal hier“, erzählt Dianova. Da habe er seine Tochter sehen und seinen Sohn kennenlernen können.
Verbindungen in die Ukraine halten die meisten hier, schon alleine wegen der Schule für die Kinder. Denn viele von ihnen gehen zwar hier in die Regelschule, nehmen aber nachmittags zusätzlich an Unterricht teil, den ihre Lehrer per Internet von der Ukraine aus anbieten. So auch die beiden Kinder von Olena Menchynska, die mit ihr geflohen sind. Ihr 19-jähriger Sohn ist noch in der Ukraine, als Student ist er vom Militär nicht eingezogen worden. „Mathematik ist in der ukrainischen Schule sehr wichtig“, sagt die 42-Jährige, die vor dem Krieg Dozentin an einer Kiewer Hochschule war. Wichtiger als hier. Sie wolle nicht, dass ihre Kinder den Anschluss an den Schulstoff verlieren, falls es irgendwann mit der Rückkehr klappt.
Nicole Scherer ist „Mädchen für alles“, wie sie sagt. Sie leitet den Alltag im WISAG-Haus, gehört allerdings nicht zum Unternehmen, sondern zum Deutschen Roten Kreuz als Partner der WISAG. Sie hat Erfahrung in der Leitung von Flüchtlingsheimen, und die Stadt Frankfurt am Main finanziert ihre Stelle hier. Das sei aber der einzige finanzielle Zuschuss zu dem Projekt, sagt Gümbel, den Rest bezahle die WISAG selbst, bislang etwa vier Millionen Euro.
Das Unternehmen nutzt Gümbels Worten zufolge seine verschiedenen Sparten auch hier im Haus. Es stelle beispielsweise die Security und die Essensversorgung. Auch Ehrenamtliche helfen hier, teil von der KiWIS-Stiftung, teils aus dem Stadtteil. Zu Beginn habe sich eine Psychologin freiwillig um die Frauen gekümmert, eine Hebamme um die werdenden Mütter.
Und die Ukrainerinnen packen selbst mit an, etwa bei der Essensausgabe, beim Wäschewaschen oder in der flugs eingerichteten Kleiderkammer. „Rumsitzen ist für sie das Schlimmste“, beschreibt Gümbel, „viele haben gefragt, was sie tun können.“ Erzieherinnen, die aus der Ukraine geflohen sind, kümmerten sich nun im Hotel um die ganz Kleinen, Musikerinnen gäben Unterricht auf Gitarren und einem Klavier, das in einem neu eingerichteten Musikzimmer im Hotel steht.
Es sei in diesem Jahr ein weitgehend harmonisches Miteinander hier im Hotel gewesen, bilanziert Gümbel, nur mit einigen Alltagsschwierigkeiten. Am schwersten sei es hier für die älteren Jugendlichen, hat sie beobachtet. Sie stünden eigentlich kurz vor dem Sprung in ein eigenes Leben. „Und jetzt sitzen sie hier mit der Mutter und der Oma in einem Zimmer“, sagt die Geschäftsführerin. „Die sind schon ein bisschen verloren.“
Vereinzelt hätten sich fremde Männer Zutritt zum Hotel verschaffen wollen, berichtet Scherer: „In den Anfangstagen hatten wir hier dicke Autos vor der Tür, aus denen gut gekleidete, russischsprachige Männer gestiegen sind und versucht haben, Kontakte zu den Frauen hier zu knüpfen.“ Was diese Männer genau wollten, wisse sie nicht, aber der Verdacht liege nahe, dass sie Frauen für die Prostitution gesucht hätten, sagt Scherer. „Da war es schon gut, dass wir die Security hier haben.“
Olena Menchynska wohnt bereits seit August in einer eigenen Wohnung. Sie komme aber immer wieder ins Hotel, weil sie hier Freundinnen habe, erzählt sie. Sie unterstütze sie, wo sie kann, denn sie spricht mittlerweile gut Deutsch. Außerdem übt ihre Tochter hier regelmäßig auf dem Klavier. „Wenn ich eine gute Stelle bekomme, bleibe ich erst einmal in Deutschland“, sagt Menchynska, „das ist besser für die Kinder.“
Minden (epd). „Wenn alles gut wird, gehe ich zurück“, sagt Olga Slotvytska aus der Ukraine. Doch im Moment kommt das nicht infrage: Die Angst vor dem Krieg überwiegt das Heimweh der 52-Jährigen, die vor einem Jahr aus der Stadt Czernihiw fliehen musste. Im ostwestfälischen Minden hat sie zusammen mit zwei Töchtern und dem Enkelkind im September eine Wohnung bekommen und will so bald wie möglich eine Arbeit aufnehmen.
Dreimal die Woche besucht Olga den „Fluchtpunkt Martini“, die zentrale Anlaufstelle des Evangelischen Kirchenkreises Minden für Geflüchtete. Hier sucht sie Hilfe im Umgang mit Behörden und Jobcenter, lernt Deutsch und trifft Landsleute. In das Zentrum kommen auch Menschen aus Syrien oder dem Irak, doch stehe die Arbeit jetzt natürlich stark im Zeichen der ukrainischen Flüchtlinge, sagt „Fluchtpunkt“-Leiter Oliver Roth.
Es war ein Glücksfall, dass das Martinihaus - ein ehemaliges Gemeindezentrum im Herzen der Stadt - im Frühjahr 2022 gerade leer stand. Im April zogen Roth und sein Team vom kirchlichen Flüchtlingsreferat ein, seitdem sind die Türen von Montag bis Freitag täglich geöffnet: „Wer Beratung sucht, kann einfach kommen - ohne Termin“, sagt der Sozialarbeiter.
Das Flüchtlingsreferat reaktivierte ehrenamtliche Sprachlehrerinnen und -lehrer aus der Zeit des großen Flüchtlingszustroms aus Syrien: Inzwischen laufen sechs Deutschkurse jede Woche. Auch das städtische Projekt „Migranten helfen Migranten“ fand im „Fluchtpunkt Martini“ ein Zuhause: Zugewanderte, die schon länger in Minden leben, helfen den Neulingen beim Ausfüllen von Anträgen und fungieren als Lotsen durch den Behördendschungel.
Täglich hält Kateryna Kalinichenko ihre Sprechstunden im Martinihaus. Die 25-Jährige hat in Kiew ein Master-Studium in Psychologie absolviert. Wenige Tage nach Kriegsbeginn floh sie aus Saporischja und gelangte über Polen und Berlin nach Minden. Eines Tages erfuhr sie, dass im „Fluchtpunkt“ psychologische Hilfe für Menschen aus der Ukraine gebraucht wird. Zunächst arbeitete sie an zwei Tagen pro Woche ehrenamtlich. Leiter Roth sorgte dafür, dass ihre Qualifikation in Deutschland anerkannt wird - so kann der Kirchenkreis sie auf einer halben Stelle beschäftigen.
Jetzt hat Kalinichenko täglich drei bis vier Klienten und führt eine kleine Warteliste. „Vor allem Frauen kommen zu mir, zum Teil mit ihren Kindern“, berichtet sie. Anfangs hätten die Kriegserlebnisse im Mittelpunkt gestanden, mittlerweile gehe es mehr um das Zurechtfinden im fremden Land - in Ämtern, Schulen und dem Gesundheitssystem. „Alle Ukrainer hier haben sehr viel Stress“, weiß die Psychologin. Folgen seien zum Beispiel Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten.
Gerne würde Kalinichenko in Deutschland bleiben und als Psychologin arbeiten, sagt sie. Zugleich sorgt sie sich um Mutter und Bruder in der Ukraine: „Es geht ihnen nicht gut, sie haben schon etliche Angriffe erlebt.“ Nervös blickt die junge Frau auf ihr Handy: Heute muss ihr Bruder zum ukrainischen Militär einrücken.
Auch Olga Slotvytska telefoniert jeden Tag mit den Verwandten in der Heimat. Ihre alte Mutter könne nicht raus, sie habe eine Behinderung. Sie wird von Olgas Schwester betreut. Derzeit machten den Angehörigen vor allem Stromausfälle und Versorgungsprobleme zu schaffen, sagt Slotvytska. Sie befürchtet, dass sich die Lage zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns durch neue Angriffe verschlimmern könnte.
Pro Tag kommen zwischen 30 und 100 Menschen zu den verschiedenen Angeboten ins Martinihaus, berichtet Oliver Roth. An Ausflügen nach Berlin, Hannover oder ins Ruhrgebiet hätten bis zu 200 Frauen, Männer und Kinder teilgenommen. Das Projekt stößt offenbar auch bundesweit auf Interesse. Er erhalte Anrufe von Flüchtlingsräten aus anderen Bundesländern, die sich nach dem niedrigschwelligen Konzept erkundigen, berichtet Roth.
Burgdorf (epd). Putzen zu gehen, macht Natalia Vysotska (40) nichts aus. Dabei hat die Ukrainerin vor ihrer Flucht aus dem heute stark zerstörten Tschernihiw 20 Jahre als Buchhalterin gearbeitet. „Ich muss etwas tun“, sagt sie in gebrochenem Deutsch. Doch da sich ihr aufgrund der Sprachbarriere kaum etwas anbiete, habe sie den Minijob gerne angenommen. Viel Zeit stecke sie auch in den Integrations- und den Sprachkurs, erzählt sie. Am Abend helfe sie ihrem 13-jährigen Sohn bei den Schularbeiten.
Vysotska ist eine von Hunderten Ukrainerinnen und Ukrainern, die in den vergangenen elf Monaten Hilfsangebote des blaugelben Treffpunkts der Diakonie in den Räumen der evangelischen Paulusgemeinde in Burgdorf genutzt haben. Dazu gehören unter anderem Sprachkurse, Kinderbetreuung, Hilfe bei Behördenkontakten sowie psychologische und seelsorgerliche Unterstützung. Der Großteil der Arbeit wird von rund 30 Ehrenamtlichen geleistet, darunter Kirchenvorsteher von St. Paulus, aber auch Geflüchtete.
An diesem Vormittag steht die „Kreativwerkstatt“ auf dem Programm. Vysotska gesellt sich wieder zu den anderen Frauen, die an Nähmaschinen Osterbasteleien fertigstellen. Mit am Tisch sitzt die Leiterin des Treffpunkts Imke Fronia vom Migrationsfachdienst der Diakonie Hannover-Land. „Nichts stört so sehr wie Langeweile den ganzen Tag“, sagt die Sozialpädagogin, während neben ihr der Berg an Filz-Osterhasen und Stoff-Tulpen stetig anwächst.
Die Disziplin, der Fleiß und der Durchhaltewille der ukrainischen Treffpunkt-Besucher beeindrucken sie, sagt Fronia. Deutschland habe die Herausforderungen bei der Aufnahme und Integration unterschätzt. „Hier kriegt man wenig Arbeit, wenn man kein Deutsch kann.“ Zudem seien die Bildungssysteme beider Länder nur bedingt kompatibel. So entschieden sich junge Ukrainer, die schon in Deutschland waren, oft für ein Studium in der Heimat, zuweilen auch im englischsprachigen Ausland.
Diese Probleme kennt auch Larisa Levanov (57), die im März vergangenen Jahres mit ihrer heute 17-jährigen Tochter Anastasia nach Burgdorf kam. Der Ehemann sei bei den über 80 Jahre alten Eltern in Charkiw geblieben, spricht Levanov auf Ukrainisch ins Smartphone und lässt das Gesagte von Google übersetzten. Sie sei Ingenieurin und arbeite derzeit als Reinigungskraft bei Edeka. Ihre Tochter gehe zwar in Burgdorf zur Schule, nehme aber nachmittags online am Unterricht in der Heimat teil, um den ukrainischen Schulabschluss zu erwerben. Weil ihr für den Zugang zu deutschen Hochschulen die Sprachkenntnisse fehlten, wolle Anastasia in der Ukraine studieren. „Deshalb werden wir vielleicht im Sommer zurückkehren. Wir sehen keinen anderen Ausweg“, sagt Levanov.
Doch Geflüchtete zieht es auch wegen der Familie zurück nach Hause. „Die Seele ist immer in der Heimat“, weiß Fronia aus ihrer täglichen Arbeit mit Ukrainerinnen und Ukrainern. Viele Frauen pendelten zwischen den Ländern hin und her, um ihre Männer zu sehen. Manchmal besuchten die Männer auch die Familie in Deutschland, sofern der ukrainische Staat ihnen die Ausreise genehmige.
Per Smartphone seien die Menschen ohnehin ständig in Kontakt mit Freunden und Verwandten in der Ukraine, sagt Fronia. Dadurch hätten sie oft unmittelbar Anteil am Kriegsgeschehen. „Bei uns sind schon viele Frauen zusammengebrochen, nachdem sie erfahren haben, was Familienmitgliedern passiert ist. Einige waren monatelang in der Psychiatrie.“
Auch Larisa Levanov lässt sich jeden Tag von ihrem Ehemann über die Lage in Charkiw berichten. „Was uns passiert, ist der Horror“, betont sie. Dennoch sei es lebenswichtig, weiterhin an das Gute zu glauben. Zu dem Bösen, das in der Ukraine passiere, sei nur fähig, wer diesen Glauben verliere. Die Einrichtung in Burgdorf soll zum 1. März offiziell in einen internationalen Treffpunkt umgewandelt werden. Der neue Name: „Hope“.
Berlin (epd). Die Erwerbstätigen in Deutschland sehen mehrheitlich in der gesetzlichen Rentenversicherung die wichtigste Säule der Alterssicherung. Das ist das zentrale Ergebnis einer repräsentativen Befragung unter Beschäftigten, die der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die Arbeitnehmerkammer Bremen und die Arbeitskammer des Saarlandes am 17. Februar in Berlin vorstellten. Die Mehrzahl wünschte sich dabei eine verlässliche Rente, die höher als bisher ausfällt und den Lebensstandard im Alter sichert.
Das Meinungsforschungsinstitut Kantar Public befragte den Angaben zufolge für die Auftraggeber im Januar 3.085 Personen im Alter zwischen 18 und 67 Jahren. „83 Prozent bewerteten das Rentenniveau - also das Verhältnis der Renten zu den Löhnen - für zu gering und fordern höhere Renten, auch die Jüngeren“, sagte DGB-Bundesvorständin Anja Piel. Deshalb sei der Arbeitsauftrag an die Bundesregierung in der bevorstehenden Rentenreform glasklar: „Das Rentenniveau muss dauerhaft stabilisiert und im weiteren Schritt auch wieder angehoben werden. Entgegen allen Unkenrufen sehen das auch die Jüngeren so. Sie lassen sich nicht mit dem Märchen vom Generationenkonflikt hinter die Fichte führen.“
Mit 96 Prozent finde es eine überwältigende Mehrheit wichtig bis äußerst wichtig, dass der Lebensstandard gesichert werde. 99 Prozent wollten, dass die Rente Armut vermeidet. Grundlage dafür seien gute, tarifliche Löhne und eine hohe Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter. „Wer das Problem niedriger Löhne nicht angeht und Arbeitgeber nicht an der Flucht aus Tarifverträgen hindert, gefährdet die Sicherheit für viele im Alter“, sagte Piel.
Peer Rosenthal, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer in Bremen, ergänzte, 70 Prozent der Befragten wollten, dass die Altersvorsorge auch zukünftig vor allem öffentlich erfolge - „also etwa über die gesetzliche Rentenversicherung“. „Die gesetzliche Rente gilt generationenübergreifend als Projekt mit hoher Akzeptanz“, betonte Rosenthal. Die Politik müsse sich deshalb auf diese Säule konzentrieren und nicht auf die private oder betriebliche Vorsorge. Mit Blick auf die von der FDP in die Diskussion gebrachte Aktienrente forderte er, Negativschwankungen müssten mit Steuern ausgeglichen werden.
DGB-Vorständin Piel unterstützte das: Zwischen den Beiträgen und einem kapitalgedeckten Finanzstrang müsse es eine „Brandmauer“ geben, sagte sie: „Verluste dürfen sich nicht bei den Rentenempfängern abbilden.“
Um das gesetzliche Rentensystem zu stabilisieren und für höhere Renten zu sorgen, würde ein Großteil der Bevölkerung gegebenenfalls lieber höhere Rentenbeiträge zahlen, als noch später in Rente zu gehen, lautet eine weitere Erkenntnis der Befragung. Demnach lehnen 81 Prozent der Befragten eine nochmalige Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auch dann ab, wenn die Lebenserwartung weiter steigen sollte.
Ein weiteres Kernergebnis der Umfrage: 81 Prozent der Erwerbstätigen und auch 81 Prozent der Selbstständigen wünschen sich eine allgemeine Rentenversicherung für Erwerbstätige, die auch Selbstständige und Beamte umfasst. Jeder fünfte Selbstständige betreibe aktuell keine Vorsorge, sagte dazu der Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes, Thomas Otto: „Das in der Öffentlichkeit teilweise gezeichnete Bild von den starken, unabhängigen Selbstständigen gibt es also so nicht. Eine Vorsorgepflicht ist deshalb unumgänglich.“
Berlin (epd). Das Land Berlin will unter dem Eindruck der Silvesterkrawalle die Jugendarbeit bis zum Jahresende mit 20 Millionen Euro stärken. Bis Ende 2024 seien darüber hinaus weitere 70 Millionen Euro nötig, sagte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am 22. Februar nach dem zweiten Berliner Gipfel gegen Jugendgewalt: „Die gestiegene Aggression und die brutalen Gewalttaten gegen Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr waren eine Zäsur, die entschlossenes Handeln erfordert.“
Die sieben Jugendabteilungen der Staatsanwaltschaft sollen demnach mit je einem weiteren Staatsanwalt samt zugehörigem Personal ausgestattet werden. Zudem müsse das sogenannte Neuköllner Modell für zeitnahe Strafen zu einem Berliner Modell ausgebaut werden, sagte Giffey. Im Hinblick auf steigende Jugendkriminalität sagte sie, 10.000 junge Menschen, die in Berlin auf die schiefe Bahn gerieten, seien zu viel. An Berliner Schulen werden demnach 300.000 Kinder und Jugendliche unterrichtet.
Die Regierende Bürgermeisterin kündigte für März einen Senatsbeschluss zu 29 geplanten Maßnahmen zur Eindämmung und Prävention von Jugendgewalt an. So sollen neben der Verfolgung von Straftaten Eltern- und Sozialarbeit, Stadtteile und Orte für Jugendliche gestärkt werden. Vorhandene Strukturen würden ausgebaut und zielgruppenspezifische Angebote gestärkt, hieß es.
Bis Ende 2024 seien für Eltern- und Schulsozialarbeit 24,6 Millionen Euro, für die Jugendsozialarbeit 22 Millionen Euro, für starke Stadtteile und Orte für Jugendliche 41 Millionen Euro und für die Stärkung der Justiz 2,2 Millionen erforderlich. Dabei werde nicht nach dem Gießkannenprinzip vorgegangen, sagte Giffey. Nötig seien vielmehr zielgruppenspezifische Maßnahmen. Darüber hinaus müssten Vorbereitungen auf ein Silvester getroffen werden, „an dem nicht alle Jugendeinrichtungen geschlossen sind“.
Allein beim Landesprogramm Jugendsozialarbeit an Schulen werden demnach 60 neue Stellen eingerichtet. Für die Beratung und Begleitung potenziell gewaltbereiter Jugendlicher sollen je 13 weitere Psychologen und Sozialarbeiter eingestellt werden. Zur Vermittlung von mehr Respekt gegenüber Einsatzkräften werden 350.000 Euro für Workshops an Schulen mit Feuerwehr und weiteren Trägern bereitgestellt. Für den Ausbau der Arbeit mit Vätern und Männern sind 600.000 Euro vorgesehen.
Gewalt habe es in der Silvesternacht nicht nur im Bezirk Neukölln, sondern auch in Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Marzahn gegeben, sagte Giffey. Für die kommende Silvesternacht sei eine Mischung aus Regulierung, Planung der Einsatzkräfte und Angeboten für Jugendarbeit erforderlich.
Für die Berliner Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) geht es darum, bestehende Strukturen zu stärken. Neue Projekte würden den Verwaltungsaufwand erhöhen, ohne die nötige Wirkung zu erzielen. Wichtig sei, Eltern direkt anzusprechen und Sozialarbeit bereits in Kitas anzubieten. Darüber hinaus forderte sie, Väter verstärkt in die Arbeit mit den Familien einzubeziehen. Bei einem dritten Berliner Gipfel gegen Jugendgewalt soll im Oktober eine erste Zwischenbilanz gezogen werden.
Gütersloh (epd). An den deutschen Hochschulen ist einer Studie zufolge in den vergangenen 15 Jahren die Nachfrage bei Studiengängen für Heilberufe wie Physiotherapie, Logopädie oder Ergotherapie deutlich gestiegen. Zwischen den Wintersemestern 2005/2006 und 2021/2022 hat sich die Studierendenzahl für nichtärztliche Heilberufe/Therapien fast verfünffacht, wie eine am 17. Februar in Gütersloh veröffentlichte Sonderauswertung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) ergab.
Aktuell sind demnach in diesem Studienbereich rund 15.000 Studentinnen und Studenten eingeschrieben, davon rund 3.100 Erstsemester. Vor 15 Jahren betrug der Zahl der Studierenden in den Fächern insgesamt 3.000.
Studienautorin Sigrun Nickel verwies auf das Vorbild der Hebammenausbildung, die in Deutschland seit drei Jahren in Form eines praxisnahen Bachelorstudiums erfolgt. Doch während international für Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie eine Hochschulausbildung seit Jahrzehnten Standard sei, gebe es hierzulande weiterhin sowohl einen beruflichen als auch einen akademischen Ausbildungsweg.
Für die drei Heilberufe gab es der Studie zufolge im vergangenen Jahr deutschlandweit 112 Studienangebote, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Von diesen ist fast die Hälfte ein berufsbegleitendes Studium. 17 Studienangebote sind Vollzeit-Hochschulstudiengänge.
„Seit rund 15 Jahren wird über die Akademisierung diskutiert, aber eine klare Richtungsentscheidung fehlt“, kritisierte Nickel. Die Forscherin vermutet dahinter finanzielle Gründe. Mit einer Vollakademisierung würden Teile der Ausbildungskosten vom Gesundheitssektor auf die Länder als Träger der Hochschulen verlagert, erläuterte die Expertin. Auch steigende Durchschnittsgehälter in den Therapieberufen bei einem akademischen Abschluss könnten als Kostentreiber gesehen und das Vorhaben deshalb entsprechend ausgebremst werden.
Düsseldorf (epd). Wer eine Ausbildung zur Sozialassistentin oder zum Sozialassistenten in NRW absolviert hat, kann unter bestimmten Voraussetzungen ab diesem Schuljahr die Fachkraftausbildung in der Pflege um ein Jahr auf zwei Jahre verkürzen. „Um den drohenden Fachkräftemangel in der Pflege zu bekämpfen, müssen deutlich mehr Pflegefachkräfte ausgebildet werden als bisher“, sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am 17. Februar in Düsseldorf. „Daher haben wir gemeinsam mit dem Ministerium für Schule und Bildung die Ausbildungswege im Bereich Pflege in Nordrhein-Westfalen ausgebaut.“
Um die Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann zu verkürzen, muss den Angaben zufolge zuvor ein entsprechender Schwerpunkt im Bereich der Pflege gewählt worden sein. „Hierzu zählt auch die entsprechende Praktikumswahl“, teilten die zuständigen Ministerien mit. „Auch der Abschluss der neuen praxisintegrierten Ausbildung (PIA) zur Sozialassistenz mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Pflege, die ab dem Schuljahr 2023/24 an vielen Berufskollegs möglich ist, wird in Zukunft eine Verkürzung der Pflegefachausbildung ermöglichen.“ Bei dieser Ausbildungsart seien die Praxisanteile erhöht.
Sozialassistentin oder -assistent ist den Angaben zufolge ein sozialpflegerischer Assistenzberuf, der Fachkräfte wie Pflegefachfrau oder -mann bei der Arbeit unterstützt. Darüber hinaus könnten sie in der Betreuung von demenziell erkrankten Menschen eingesetzt werden.
Berlin (epd). Um Menschen mit Behinderung an Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) zu beteiligen, hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) ein Projekt unter dem Namen „KI-Kompass Inklusiv“ gestartet. Wie die BAG am 21. Februar in Berlin bekanntgab, sollen dabei neue Assistenzmöglichkeiten beim Arbeiten und Lernen sowie bei der Überwindung alltäglicher Barrieren werden.
Mit einer noch aufzubauenden Datenbank sollen Assistenztechnologien für Menschen mit Behinderung gesammelt werden. Zudem sollen Informations-, Beratungs- und Schulungsangebote für Betroffene, Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und Unternehmen in Leben gerufen werden. Es werden in Praxislaboren nachhaltig KI-gestützte Lösungen für die inklusive Gestaltung von Arbeits- und Lernprozessen erprobt, erforscht und entwickelt. Menschen mit Behinderung seien aktiv an allen Maßnahmen beteiligt, heißt es weiter.
Nach den Angaben bauen das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz sowie die Projektpartner Bundesverband Deutscher Berufsförderungswerke, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke und die BAG WfbM das „Kompetenzzentrum für KI-gestützte Assistenztechnologien und Inklusion in der Arbeitswelt“ bis 2027 auf. Das Projekt werde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert. Die Gesamtfördersumme beträgt demnach rund sechs Millionen Euro.
Frankfurt a.M. (epd). Viele Pflegeheime haben kein Geld für Investitionen. Private und gemeinnützige Träger klagen darüber, dass sie sich Neubauten und Gebäudesanierungen kaum noch leisten könnten. Stattdessen haben in den vergangenen Jahren börsennotierte Konzerne und Investitionsfonds neue Gebäude gebaut, um sie dann an Pflegeeinrichtungen zu vermieten. Dabei sollen hohe Mieteinnahmen den Investoren zweistellige Renditen bescheren, beobachtet der evangelische Fachverband für Altenarbeit und Pflege (Devap). Andreas Wedeking, Geschäftsführer des Altenhilfe-Fachverbandes der Caritas, kritisiert: „Heuschrecken ziehen aus Pflege-Immobilien viel Geld ab.“
Doch auch die Bautätigkeit der privaten Investoren scheint gebremst. „In den vergangenen Jahren haben niedrige Zinskonditionen und der Druck von privaten Geldanlegern viele Bauvorhaben begünstigt“, sagt Devap-Geschäftsführerin Anna Leonhardi. Das habe sich geändert. Daher gehe das Rendite-getriebene Interesse an Investitionen in den Pflegesektor zurück.
Grundsätzlich gibt es aufgrund der Alterung der Bevölkerung einen großen Bedarf an professioneller Pflege und damit an zusätzlichen Betten in stationären Einrichtungen. Der Studie „Pflegeheim Rating Report 2022“ zufolge müssten für die wachsende Zahl an pflegebedürftigen Menschen bis 2040 bauliche Neu- und Re-Investitionen in den stationären Einrichtungen von 81 bis 125 Milliarden Euro getätigt werden.
Ob der Bedarf gedeckt werden wird, ist jedoch fraglich. Denn es steigt zwar in den kommenden Jahrzehnten die Zahl der Pflegebedürftigen, aber ob für sie ausreichend viele Pflegekräfte zur Verfügung stehen werden, ist höchst ungewiss. „Der limitierende Faktor ist der Fachkräftemangel“, sagt Leonhardi. Unter diesen Umständen machten Bau-Investitionen wenig Sinn.
Das gelte auch für die herkömmlichen Modelle, in denen Wohlfahrtsträger wie Caritas, Diakonie oder Arbeiterwohlfahrt selbst in den Bau investieren und die entstandenen Kosten über den Pflegesatz und den Investitionskostensatz, die sie mit den gesetzlichen Pflegekassen und den Sozialbehörden aushandeln, refinanzieren. Von den Banken erhalten die Träger die notwendigen Kredite, wenn sie nachweisen können, dass sie in der Lage sind, den Kapitaldienst, also Tilgung und Zinsen, sowie die Kosten für Instandhaltung und Wartung aus den vereinbarten Investitionskosten- und Pflegesätzen zu bezahlen.
Das bedeutet auch: Wenn neue Anforderungen auf die Träger zukommen, wie zum Beispiel ökologisches Bauen und klimafreundliche Heizanlagen, diese Anforderungen aber nicht durch Refinanzierungsmöglichkeiten im Pflegesatz gesichert sind, finden diese nicht statt. Auch die Refinanzierung von Investitionen in die digitale Infrastruktur der Heime ist nach Angaben der Diakonie oftmals nicht gewährleistet.
Der Verband der privaten Pflegeeinrichtungen bpa klagt ebenfalls über schlechte Bedingungen für Investitionen. Pflegebetriebe könnten nur dann in Gebäude investieren, wenn sie ausreichend Rücklagen bilden. „Das ist jedoch immer seltener der Fall“, stellt der bpa fest. Die wirtschaftliche Lage der Pflegeheime habe sich seit 2016 kontinuierlich verschlechtert und sei angespannt.
Im Jahr 2019 befanden sich laut dem Pflegeheim Rating Report rund 20 Prozent im „roten Bereich“ - mit erhöhter Insolvenzgefahr. Verschlechtert hat sich auch die Ertragslage der Betreiber: Schrieben 2016 rund zehn Prozent der Pflegeheime einen Jahresverlust, waren es laut der Studie im Jahr 2019 bereits 26,5 Prozent.
Zur Misere der Pflegeheimbetreiber kommt hinzu: Die staatliche Förderung von Investitionen ist stark zurückgegangen, wie eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums ausweist. Devap-Geschäftsführerin Leonhardi stellt fest: „Es gibt kaum noch Fördermittel. Viele Bundesländer sind fast vollständig aus der direkten Subventionierung der Investitionen ausgestiegen.“ Insbesondere in den neuen Bundesländern seien daher künftige Ersatzneubauten und Sanierungen nicht sichergestellt.
Die Folge aus dem staatlichen Rückzug aus der Investitionsförderung ist laut Diakonie: „Die Heimbewohnerinnen und -bewohner tragen die Kosten.“ Steigende Baukosten, die nach einem Umlageverfahren an die Heimbewohner weitergegeben werden, verschärften die Situation. Seit vielen Jahren werde gefordert, der Staat solle allen Bewohnerinnen und Bewohnern einen Teil der finanziellen Belastung abnehmen. Bislang hatte die Forderung keinen Erfolg: Heute werden unter den Heimbewohnern lediglich die Bezieherinnen und Bezieher von Sozialhilfe und von Wohngeld entlastet. Das ist gut ein Drittel aller Pflegebedürftigen in den stationären Einrichtungen.
Unter den aktuellen Bedingungen seien Reinvestitionen in Gebäude nur durch permanente Erhöhung der Pflegesätze für die Bewohnerinnen und Bewohner möglich, klagen Caritas und Diakonie übereinstimmend. Außerdem sei es „unerträglich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner je nach Bundesland mit völlig unterschiedlichen Kostenanteilen belegt werden. Gleichwertige Lebensverhältnisse entstehen so nicht“, kritisiert der Fachverband der Diakonie.
Um die finanzielle Belastung für alle Heimbewohnerinnen und -bewohner zu reduzieren, fordern die kirchlichen Wohlfahrtsverbände eine verbindliche Obergrenze für die individuellen Pflegekosten. Sie verweisen dabei auf eine Studie des Bremer Pflege-Ökonomen Heinz Rothgang, wonach die monatlichen Eigenanteile der Heimbewohnerinnen für Pflegeentgelte und Ausbildungskosten auf maximal 700 Euro begrenzt werden sollten. Außerdem sollten sich die Bundesländer mit einem monatlichen Zuschuss von 100 Euro pro Heimbewohner an den Investitionskosten beteiligen. Die Entlastungen für die Bewohnerinnen und Bewohner sollten aus Steuermitteln aufgebracht werden.
Das sei aber nicht genug an staatlicher Unterstützung: „Flächendeckende Beteiligung der Länder an Investitionskosten, wie es im Krankenhausbereich üblich ist, brauchen wir dringend auch für die Altenhilfe“, sagt Devap-Geschäftsführerin Leonhardi.
Im Kliniksektor werden die Investitionen komplett von den Bundesländern bezahlt. Allerdings zeigt auch diese Regelung Schwächen: Die Investitionslücke in diesem Bereich wächst nach übereinstimmender Einschätzung von Klinikträgern und Krankenkassen jedes Jahr um rund drei Milliarden Euro.
Hamburg (epd). Durch massiv gestiegene Kosten in der stationären Pflege werden die Pflegebedürftigen einer Studie zufolge in diesem Jahr besonders stark finanziell belastet. Das zeigen Berechnungen des Bremer Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang im Auftrag der DAK-Gesundheit, wie die Krankenkasse am 21. Februar in Hamburg mitteilte.
Trotz deutlich gestiegener Alterseinkünfte werde der Anteil der Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen, im Laufe dieses Jahres auf ein Drittel anwachsen und bis 2026 voraussichtlich 36 Prozent betragen. Andreas Storm, der Vorstandsvorsitzende der DAK, forderte von der Bundesregierung, die Sozialhilfequote in Pflegeheimen auf unter 30 Prozent zu begrenzen. Dies mache zusätzliche Finanzmittel von 14 Milliarden Euro erforderlich, die „fair“ aus Steuern und Beiträgen aufgebracht werden müssten.
Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen in stationären Einrichtungen steigen nach Angaben der DAK kontinuierlich. Einzelne Reformmaßnahmen wie die Einführung von gestaffelten Leistungszuschlägen im Januar 2022 und das zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretene Wohngeld-Plus-Gesetz hätten die Belastung der Pflegebedürftigen zwar etwas vermindert. „Diese Schritte sind aber nicht ausreichend, um die Kosten durch die enormen Preissteigerungen sowie das Tariftreuegesetz wirksam zu begrenzen,“ warnte Storm.
Daher werde in diesem Jahr die Sozialhilfequote trotz einer überdurchschnittlichen Rentensteigerung von mehr als sechs Prozent auf 32,5 Prozent steigen. 2026 würden 36 Prozent erreicht.
Nach Rothgangs Berechnungen werden ab Mitte dieses Jahres im Durchschnitt Eigenanteilswerte der Heimbewohner erreicht, die höher sind als jemals zuvor. „Die Entlastungen der jüngsten Reformschritte sind schon in diesem Jahr verpufft“, sagte Rothgang. Lediglich für die Pflegedürftigen mit mindestens dreijähriger Pflegedauer im Heim würden Entlastungen bis 2026 anhalten.
Storm schlägt vor, die im SGB XI verankerten pauschalen Leistungsbeträge für den vollstationären Bereich erneut anzuheben. Auch die im Koalitionsvertrag angekündigte Herausnahme der Ausbildungskostenumlage aus den einrichtungsbezogenen Pflegekosten sei ein dringend notwendiger Schritt zur Entlastung. Eine wirksame Maßnahme könne zudem die individuelle Anhebung der gestaffelten Leistungszuschläge sein.
Darüber hinaus müsse die ambulante Versorgung gestärkt werden, sagte Storm: „Damit Menschen gar nicht erst ins Pflegeheim kommen, müssen wir die Pflege in den eigenen vier Wänden viel stärker fördern. Das Pflegegeld sollte noch in diesem Jahr um mindestens zehn Prozent erhöht werden. Es sollte jährlich eine Anpassung der Leistungen an die allgemeine Kostenentwicklung erfolgen.“
Ein weiterer wichtiger Punkt ist für Storm, einen fairen Finanzierungsmix aus Beiträgen und Steuern zu finden, um die Finanzierungslücke in der gesetzlichen Pflegeversicherung zu schließen. Diese betrage 14 Milliarden Euro. In ihrem Finanzierungsmodell schlägt die DAK vor, die Beitragssätze in der gesetzlichen Pflegeversicherung um 0,4 Prozentpunkte anzuheben.
Stendal, Magdeburg (epd). Es wird laut im „Kidsclub“ in Stendal in Sachsen-Anhalt. In dem Jugendclub, der von der christlichen Initiative „Lebendige Steine e.V.“ getragen wird, warten an diesem Tag rund 60 Kinder auf den warmen Milchreis mit Zimt oder Apfelmus, den sie hier einmal wöchentlich erhalten. Im Stadtteil Stadtsee, einem Plattenbauviertel und sozialen Brennpunkt, sind viele ihrer Eltern bedürftig oder arbeitslos.
Seit Oktober vergangenen Jahres gibt es dieses wöchentliche Angebot, um die Eltern zumindest an einem Tag in der Woche zu entlasten. Finanziert wird die Maßnahme insbesondere durch die bundesweite Aktion „Wärmewinter“ der Diakonie.
Das Geld stammt aus den Sondereinnahmen aus der Energiepreispauschale. Die 300 Euro, die im September 2022 die meisten Bürger als Ausgleich für die stark gestiegenen Energiekosten erhalten haben, war steuerpflichtig, sodass auch Kirchensteuer auf die Sonderzahlung anfiel. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hat - wie die anderen Landeskirchen auch - beschlossen, die Mehreinnahmen an Menschen in Not weiterzugeben.
Laut Diakonie Mitteldeutschland wurden seit dem Start der Aktion „Wärmewinter“ im Oktober insgesamt gut 100 Maßnahmen mit rund 644.000 Euro unterstützt. Davon seien bis vergangenen Monat gut 205.000 Euro an die Tafeln, Bahnhofsmissionen und ähnliche Einrichtungen in Thüringen und Sachsen-Anhalt geflossen. Knapp 50.000 Euro gingen an Familien in Not, während rund 240.000 Euro für die energetische Sanierung von diakonischen Einrichtungen verwendet wurden, etwa für energiesparende Küchengeräte in Wärmestuben oder eine Photovoltaik-Anlage in einem Sozialzentrum.
Gut 113.000 Euro sind bis Januar in spezielle „Wärmewinter“-Aktionen geflossen, die die Not der Menschen durch gestiegene Heizkosten oder Lebensmittelpreise lindern soll. Auch der Verein „Lebendige Steine“ in Stendal hat 10.000 Euro aus diesem Topf erhalten, die nicht nur für die Kinderspeisung, sondern unter anderem auch für die Aktion „Kleiderkreisel“ verwendet werden, bei der Bedürftige günstig Second-Hand-Kleidung erwerben können. Für die gestiegenen Betriebskosten, unter anderem für Strom und Heizung, gab es 6.000 Euro aus dem „Wärmewinter“-Topf.
Auch bei der Diakonie in Halberstadt hat sich Babette Friedrich, Leiterin Soziale Dienste, ein besonderes Projekt einfallen lassen. In den kalten Wintermonaten bietet die Diakonie einen „Beratungs-Wärme-Treffpunkt“. Unter dem Motto „Suppen-Dienstag mit der Extra-Wurst“ erhalten Bedürftige hier einmal die Woche eine warme Mahlzeit, aber auch Beratung zu Energiekosten, Sozialleistungen und anderen Hilfen.
„Wir wollen mit den Menschen ins Gespräch kommen“, sagt Friedrich im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Aber die Menschen sollen sich auch untereinander vernetzen und sich gegenseitig helfen - zum Beispiel im Umgang mit den Nebenkostenabrechnungen, die jetzt zum Jahresbeginn vielfach in den Briefkästen landen.
Zugleich will die Halberstädter Diakonie mit dieser Aktion auf andere Hilfsangebote in ihrem Hause hinweisen, zum Beispiel auf die Kleiderkammer oder Sozialberatung. 6.300 Euro gab es dafür aus dem Fördertopf für den „Wärmewinter“. Noch bis Ende dieses Monats läuft die Aktion - und Babette Friedrich ist mit dem Zuspruch bisher zufrieden. „Diese Woche waren 31 Leute da, letzte Woche 26. Das Angebot spricht sich langsam rum.“ Und das Beisammensein in geheizten Räumen bei heißer Suppe tue den Menschen gut. „Unsere Herzen und Ohren sind für sie offen“, so die Sozialarbeiterin.
Flörsheim (epd). Bücher, Tassen, Kristallkaraffen, Schränke und ganze Sitzlandschaften. Auf rund 800 Quadratmetern bietet „Tisch und Teller“ nahezu alles, was im Haushalt und zum Wohnen gebraucht wird. Der Laden in einer Halle im hessischen Flörsheim bei Frankfurt am Main ist ein Sozialkaufhaus. Hier gibt es gebrauchte Ware, Menschen mit geringem Einkommen bekommen einen Nachlass.
Steigende Preise und eine wachsende Zahl Geflüchteter sorgen dafür, dass immer mehr Menschen auf günstige Einkaufsgelegenheiten angewiesen sind. „Wir merken, dass mehr los ist“, sagt Peggy Hoffmann, Leiterin des Diakonischen Werks Main-Taunus, das gemeinsam mit dem Main-Taunus-Kreis Träger von „Tisch und Teller“ ist.
Der Geschäftsführer der „Regionale Diakonische Werke in Hessen und Nassau gGmbH“, Volker Knöll, sieht eine „hohe Relevanz“ dieser Kaufhäuser. Früher hätten die Leute nach dem Motto „Hauptsache neu und billig“ eingekauft. Heute solle der Einkauf nachhaltig sein. „Diesen Gedanken haben die Sozialkaufhäuser in ihrer DNA“, betont er. Ein weiterer Aspekt ist für Knöll die Gemeinwesenarbeit: „Sozialkaufhäuser können sich zu Treffpunkten entwickeln.“
Wer ein niedriges Einkommen nachweisen kann, bekommt in Flörsheim 25 Prozent Rabatt. Seit der Eröffnung 2009 seien dafür 5.500 Kundenkarten ausgestellt worden, sagt Peggy Hoffmann. Allerdings kann auch einkaufen, wer gut verdient. „Ein Kaufhaus nur für Sozialhilfeempfänger ist stigmatisierend“, erklärt Hoffmann. Kunden seien klar als Hilfsempfänger zu erkennen.
In Flörsheim tauchen Besucher ein in eine bunte Warenwelt. Keine neuen Dinge, aber alle gut erhalten. Gleich links hinter dem Eingang stehen Vitrinen mit zierlichen Porzellanfiguren und einer Medaille für langjährige Mitgliedschaft beim Roten Kreuz. Oftmals seien hier hinter Glas Sammlerobjekte zu finden, die etwas teurer sind, erklärt Hoffmann die besondere Präsentation.
Gegenüber an der Kasse steht Markus Trettin. Er kennt Kundinnen, die nur kommen, um nach einer bestimmten Tasse oder Schüssel suchen, die zu ihrem eigenen Service passt. Und er kennt auch den Teil der Kundschaft, der nur vorbeikommt, um einen Plausch zu halten. „Das sind immer nette Unterhaltungen“, sagt der 39-Jährige gut gelaunt.
Auf den Eingangsbereich folgen gut bestückte Abteilungen für Spiele und Haushaltswaren aller Art. In der Ecke für die Bücher steht eine Couch. Wer will, kann dort sitzen und lesen. Bei den Möbeln ist alles vertreten, von Eiche rustikal bis modern. „Was hier steht, wäre ansonsten im Sperrmüll gelandet“, sagt Hoffmann. „Wir helfen, Abfall zu vermeiden.“
„Wir haben viel zu viel“, gesteht Rita Lupo. Die Raunheimerin hat Taschen und Schuhspanner gebracht. „Wir sind umgezogen und mussten vieles aussortieren.“ In den vergangenen Wochen habe sie deshalb „sicher 20 Kartons“ mit allerlei Haushaltswaren gespendet. „Zum Wegwerfen sind die Dinge noch viel zu gut. Hier erfüllen sie einen guten Zweck.“
Der gute Zweck bezieht sich neben den sozialen Preisen und der Vermeidung von Abfall auf einen weiteren Aspekt, den viele Sozialkaufhäuser bieten: die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und den Versuch, sie langfristig in den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Davon profitiert im Fall von „Tisch und Teller“ auch das Sozialkaufhaus selbst. Sieben der aktuell 13 Beschäftigten haben über eines der Beschäftigungsprogramme angefangen und sind nun fest angestellt beim Diakonischen Werk Main-Taunus.
Wolfgang Schwarz ist einer von ihnen. Er leitet die integrierte Fahrradwerkstatt. „Wir reparieren alles, außer E-Bikes“, sagt er und deutete auf einen Oldtimer, den er gerade in Schuss gebracht hat. Das Rad der Marke „Miele“ ist Baujahr 1951 und voll einsatzfähig. Daneben steht ein modernes blaues Mountainbike, auch das generalüberholt. „Im Moment mache ich nur Reparaturen“, erklärt der 60-Jährige.
Während der Fahrradsaison im Frühjahr und Sommer verkauft er auch viele Räder. Schwarz, gelernter Kfz-Mechaniker und Mechaniker im Heizungs- und Lüftungsbau, war lange arbeitslos. 2016 startete er bei „Tisch und Teller“ mit finanzieller Unterstützung durch das Jobcenter. Als die Maßnahme nach einem Jahr beendet war, blieb er und arbeitete zwei Jahre als Ehrenamtlicher weiter. Seit 2019 gehört er zum Kreis der Festangestellten. „Die Arbeit passt für mich wunderbar“, sagt er.
Weißenburg (epd). Eigentlich wollte Max Jordan nach erreichter Mittlerer Reife Fliesenleger werden. „Ich hatte auch bereits meine Ausbildung begonnen und auf dem Bau gearbeitet. Bald merkte ich aber, dass dies doch noch nicht das Richtige für mich war“, erinnert sich der 26-Jährige an die Phase vor nunmehr fünf Jahren. Damals kam dem Weißenburger das schon eine Weile zurückliegende Jahr in einem Altenheim in Ellingen in den Sinn. Dort ließ ihn die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren weitaus zufriedener in den Feierabend gehen als nach einem Tag auf der Baustelle.
„Mit 21 sagte ich mir dann, jetzt oder nie“, erklärt Jordan. Im Klinikum in Roth absolvierte er die Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger. Heute arbeitet er mit Menschen mit Behinderung auf dem Auhof der Rummelsberger Diakonie nahe Hilpoltstein. „Jetzt bin ich angekommen“, ist Max überzeugt.
Ursula Kolb-Steil kennt einige solcher Geschichten. Die Initiatorin des Freiwilligen Sozialen Schuljahrs (FSSJ) war 2007 auf ein ähnliches Projekt aufmerksam gemacht worden, das die Caritas in Neustadt an der Aisch mit Erfolg in ihrer Region an Schulen anbot. Die Weißenburger Pfarrerin fragte an ihrer damaligen Realschule herum, ob sich unter den Schülerinnen und Schülern Interessierte fänden und holte die Diakonie mit ins Boot, die Kontakte herstellen und Rahmenbedingungen vereinbaren sollte. „Schon nach kurzer Zeit war das FSSJ ein echter Renner“, erinnert sich Kolb-Steil.
Ob Freiwillige Feuerwehr, Rettungsdienst, Sportverein oder andere Organisationen: An verschiedenen Stellen können sich Jugendliche in die Gesellschaft einbringen und sie mitgestalten. „Außerdem erhält man ein Zeugnis der Einsatzstellen, mit dem bei zukünftigen Ausbildungsstätten und Arbeitgebern das große Engagement, Durchhaltevermögen und die soziale Kompetenz belegt werden kann“, sagt die Pfarrerin. Zudem helfe die regelmäßige Beschäftigung über ein ganzes Jahr in einer Einrichtung auch bei der persönlichen Orientierung. „Manche wissen danach auch, was nichts für sie ist.“
„Durchgezogen“ wird das Jahr aber in der Regel immer. Die Eltern- und Jugendberatung des Diakonischen Werks Weißenburg-Gunzenhausen übernimmt die Organisation des Projekts und sorgt dafür, dass jede Schülerin und jeder Schüler von Mittel-, Realschule oder aus dem Gymnasium während der Einsatzzeit einen Ansprechpartner hat. Bei Beraterin Doris Gsänger laufen die Fäden zusammen. „Wer ein Jahr lang fest zu einem Team gehört, läuft auch nicht so nebenbei mit, sondern wird fest eingeplant. Auch ein spannender Lernprozess“, erklärt sie.
Damit jeder weiß, was zu tun ist und erwartet werden darf, wird eine Art „Arbeitsvertrag“ aufgesetzt, in dem die jeweiligen Pflichten und Anforderungen von Schüler und Stelle notiert werden. Die Neuntklässler suchen sich ihren Wunsch-Einsatzort selbst aus und kommen zu einem Vorstellungsgespräch vorbei. Auch die persönliche Initiative gehört mit dazu.
Im Laufe der Jahre sind immer wieder neue Einsatzstellen dazu gekommen. 84 verzeichnete Doris Gsänger im vergangenen Jahr. Was sie dabei so manchmal als Rückmeldung aus der Lehrerschaft erhält, lässt sie auch schmunzeln. „Keiner im gesamten Lehrerzimmer hätte den Burschen für solch einen sozialen Menschen gehalten“, hatte ihr neulich ein Pädagoge über einen Schüler erzählt, der schon mehrere Schulverweise erhalten hatte.
Frankfurt a.M. (epd). Der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Frankfurt am Main hat mit Aufarbeitung des Betrugsskandals um die frühere Leitung die Gemeinnützigkeit ab dem Jahr 2020 zurückerlangt. Zuvor war dem Kreisverband die Gemeinnützigkeit für die Jahre seit 2014 aberkannt worden, wie dieser am 21. Februar mitteilte. Die Aberkennung habe zu einer erheblich höheren Steuerbelastung geführt, außerdem habe der Kreisverband keine Drittmittel gegen Spendenquittungen einwerben können.
Die Steuernachzahlungen seien inzwischen getätigt worden, sagte der Finanzvorstand Axel Dornis. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft habe der AWO Frankfurt mit den Jahresabschlüssen 2020 und 2021 einen „gesunden wirtschaftlichen Stand“ bescheinigt.
Im Skandal um die Kreisverbände der AWO Frankfurt und Wiesbaden laufen mehrere Strafverfahren wegen schweren Betrugs gegen Leitungspersonen um die früheren Geschäftsführer, das Ehepaar Jürgen und Hannelore Richter. Die Beschuldigten sollen der Stadt Frankfurt einen Schaden von mehr als 2,6 Millionen Euro zugefügt haben. Sie haben nach Angaben der Staatsanwaltschaft für den Betrieb zweier Flüchtlingsunterkünfte zwischen 2016 und 2018 der Stadt stark überhöhte Personal- und Mietkosten in Rechnung gestellt.
Von diesem Verfahren abgesehen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil der AWO. Die neue Leitung des Kreisverbands Frankfurt schätzte Ende 2021 den von den ehemaligen Führungskräften verursachten Schaden nach Feststellung der Jahresabschlüsse 2018 und 2019 auf rund zehn Millionen Euro.
Das „System Richter“ bestand nach Angaben der AWO unter anderem aus einem willkürlichen System von Vergünstigungen, mit denen Mitwisser und Mittäter abhängig und gefügig gemacht wurden. Dazu gehörten überzogene Gehälter, protzige Dienstwagen und andere ungerechtfertigte Vergünstigungen, etwa für vorgetäuschte Leistungen.
Lübbecke (epd). Die Diakonische Stiftung Wittekindshof mit Sitz in Bad Oeynhausen will ihre Arbeit individueller an die Bedürfnisse von behinderten Menschen ausrichten. Gerade aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit solle das Handeln konsequent an den Menschen orientiert werden, „die uns den Auftrag dazu geben“, sagte der Vorstandssprecher Dierk Starnitzke am 22. März in Lübbecke. „Wir nennen das Personenzentrierung oder auch Klientenorientierung.“ Der Wittekindshof sei inzwischen an über 100 Standorten in 18 Kommunen in Nordrhein-Westfalen aktiv und unterbreite dort unterschiedliche Angebote überwiegend für Menschen mit Behinderungen.
Die Diakonische Stiftung wolle dazu beitragen, dass das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Vereinten Nationen in Deutschland konsequent umgesetzt werde, sagte Starnitzke. Er kündigte zudem eine Umgestaltung des Wohngeländes der Stiftung zu einem integrativen Quartier sowie zur Unterbringung von Flüchtlingen aus der Ukraine an.
Nach dem Bekanntwerden im Jahr 2019 von möglichen Übergriffen in einem heilpädagogischen Intensivbereich der Stiftung hatte der Wittekindshof umfangreiche Strukturreformen zur Prävention auf den Weg gebracht. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hatte zuletzt im September 2022 Anklage gegen vier ehemalige Mitarbeitende unter anderem wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung gegenüber Menschen mit Behinderungen erhoben. Die Stiftung hatte zugesichert, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, die Vorwürfe aufzuklären.
Die 1887 gegründete Stiftung Wittekindshof unterstützt nach eigenen Angaben mehr als 5.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Beeinträchtigungen. Die Wittekindshofer Werkstätten bieten an zwölf Standorten in Ostwestfalen und im Münsterland berufliche Bildung und Arbeitsplätze für gut 1.100 Menschen mit Behinderung.
Berlin (epd). Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) hat eine Handreichung für stationäre Pflegeeinrichtungen und Tagespflegeeinrichtungen zur Bewältigung von Krisen und Katastrophen vorgelegt. „Krisenbewältigung geht uns alle an“, sagte Gerhard Timm, Geschäftsführer der BAGFW, am 20. Februar in Berlin. „Ohne Vorbereitung ist das Chaos in einer Krisensituation vorprogrammiert.“
Neben der Publikation werde unterstützendes Praxismaterial wie Checklisten und Notfallpläne zur Verfügung gestellt. Die Materialien seien so konzipiert, dass sie auf die Bedarfe der Träger vor Ort angepasst werden könnten, hieß es.
Die Handreichung erarbeitete ein eigens dafür eingerichteter Arbeitskreis, besetzt mit Fachleuten aus allen sechs Mitgliedsverbänden. Dieser beschäftigte sich speziell mit der Frage, wie sich Pflegeeinrichtungen technisch, materiell und organisatorisch auf Krisen wie den Ausfall von Einrichtungen der Infrastruktur vorbereitet können, um über einen gewissen Zeitraum die Versorgung aufrechterhalten zu können?
Vor dem Hintergrund der Klimakrise würden Umweltkatastrophen zunehmen, sagte Timm. „Parallel dazu verstärkt sich durch digitale Vernetzung die Abhängigkeit von einer funktionierenden Stromversorgung.“
Erfurt (epd). Männer und Frauen mit vergleichbarer Qualifikation und Erfahrung müssen gleich entlohnt werden. Nur weil ein männlicher Stellenbewerber ein gutes Verhandlungsgeschick hat, darf der Arbeitgeber eine vergleichbare weibliche Bewerberin nicht schlechter bezahlen, urteilte am 16. Februar das Bundesarbeitsgericht (BAG). Auch hier gelte der „Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche oder gleichwertige Arbeit“, entschieden die Erfurter Richter.
Geklagt hatte eine Vertriebsmitarbeiterin eines großen Metallunternehmens in Meißen. Zu Beginn des Arbeitsverhältnisses zum 1. März 2017 hatte der Arbeitgeber ihr ein monatliches Grundgehalt von 3.500 Euro in der Einarbeitungszeit zugesagt. Ab November sollte noch eine erfolgsabhängige Vergütung zusätzlich gezahlt werden.
Ein zuvor zum 1. Januar 2017 eingestellter männlicher Kollege hatte sich mit den auch ihm angebotenen 3.500 Euro nicht begnügen wollen. Der Mann verhandelte erfolgreich und erhielt während seiner Einarbeitungszeit 4.500 Euro. Danach bekam er ebenso wie die Klägerin ein Grundentgelt von 3.500 Euro. Ab Juli 2018 konnte der Mann sich noch einmal über einen Lohnaufschlag von weiteren 500 Euro freuen.
Die ungleiche Bezahlung zwischen ihm und der Klägerin änderte sich auch nicht, als in dem Unternehmen zum 1. August 2018 ein Haustarifvertrag in Kraft trat. Dieser sah vor, dass sich bei beiden Beschäftigten die Vergütung jedes Jahr um 120 Euro erhöht, bis ein Grundentgelt von 4.140 Euro erreicht ist. Bis dahin blieb zunächst ein Lohnunterschied von bis zu 500 Euro bestehen.
Die Frau fühlte sich wegen ihres Geschlechts diskriminiert und verlangte einen Lohnnachschlag von 14.500 Euro sowie weitere 6.000 Euro für die erlittene Benachteiligung. Sie verwies auf das Entgelttransparenzgesetz und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Danach stehe Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine gleiche Vergütung zu.
Das BAG sprach der Klägerin die Lohnnachzahlung von 14.500 Euro zu. Der Arbeitgeber habe die Frau aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Sie habe trotz gleicher Arbeit ein niedrigeres Grundgehalt als der vergleichbare männliche Kollege erhalten. Dies begründe die Vermutung einer Diskriminierung wegen des Geschlechts. Der Arbeitgeber könne diese Vermutung auch nicht damit entkräften, dass der männliche Kollege bei der Einstellung besser verhandelt habe. Wegen der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts stehe der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 2.000 Euro zu, entschieden die obersten Arbeitsrichter.
Mit der ungleichen Bezahlung ist die Klägerin in Deutschland nicht allein. So verdienen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien wie Männer im Schnitt sieben Prozent weniger pro Stunde als ihre männlichen Kollegen.
Welche Auswirkungen das BAG-Urteil künftig auf die Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei der Vergütung hat, ist aber umstritten, zumal die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht vorliegen. Die IG Metall sieht in dem Urteil einen wichtigen Schritt hin zu mehr Lohngleichheit, aber auch noch Handlungsbedarf beim Gesetzgeber. „Neben Tarifverträgen können auch (ausgeweitete) Berichtspflichten und regelmäßige Prüfverfahren zu Entgeltgleichheit und Gleichstellung dafür sorgen, dass eine größere Lohngleichheit gewährleistet ist“, erklärte die Gewerkschaft. Prüfpflichten müssten für alle Betriebe - auch für kleinere - gelten. Hierzu müsse das Entgelttransparenzgesetz nachgeschärft werden.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberbände (BDA) kritisierte das Urteil und sieht darin einen Eingriff in die Vertragsfreiheit. „Die Vereinbarung von Entgelten ist Sache der Arbeitsvertragsparteien. Im konkreten Fall hat die Arbeitgeberin das Entgelt sogar nachträglich aufgrund eines Tarifvertrags erhöht und sich damit rechtskonform verhalten. Unterschiedliche Vergütungen sind legitim, gerade wenn sie sich - wie hier - an tariflichen Vorgaben orientieren.“
Der Verband „Die Familienunternehmer“ sieht in der Entscheidung „das Ende der Vertragsfreiheit“ und stellt fest: „Nun sind selbst unterschiedliche Gehaltsforderungen beim Einstieg oder das Verhandlungsgeschick von Mitarbeitern keine zulässigen Kriterien mehr für eine leistungsbezogene Entlohnung“, sagte Reinhold von Eben-Worlée, Präsident der Familienunternehmer. Unternehmen würden unter Generalverdacht gestellt, vorsätzlich zu diskriminieren.
Az.: 8 AZR 450/21
Karlsruhe (epd). Der Fall des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Asylbewerbers Oury Jalloh muss nicht erneut von der Justiz aufgerollt werden. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde des Bruders von Jalloh hat das Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Die Einstellung weiterer Ermittlungen in dem Fall verstoße nicht gegen das Grundgesetz, entschieden die Karlsruher Richter in einem am 23. Februar veröffentlichten Beschluss.
In der Begründung heißt es, die zuständigen Strafermittlungsbehörden hätten umfassend ermittelt. Insbesondere die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg habe sämtliche bisher geführten Ermittlungen eingehend auf etwaige Widersprüche oder Lücken untersucht und geprüft, ob sich über den bisherigen Ermittlungsstand hinaus weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze ergeben könnten.
Auch das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hat sich mit den Ermittlungsergebnissen sowie den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwendungen detailliert auseinandergesetzt. Das OLG sei dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass ein hinreichender Tatverdacht gegen eine dritte Person nicht begründet werden könne.
Der Tod des Asylbewerbers aus Sierra Leone sorgte damals bundesweit für Aufsehen und Empörung. In der Folge wurde 2012 nach wiederholten Ermittlungen ein Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde vom November 2019 wollte der Bruder erreichen, dass erneut in dem Fall ermittelt werden muss.
Nach offizieller Behördenversion soll sich der 36-jährige Jalloh im Keller des Polizeireviers, an Händen und Füßen gefesselt, auf einer feuerfesten Matratze selbst angezündet haben. Brandgutachter, Mediziner und Kriminologen erklärten dagegen wiederholt, dass dies nicht möglich sei.
Az.: 2 BvR 378/20
Leipzig (epd). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) darf nicht anlasslos die Handys von Asylsuchenden auswerten. Diese beim Bamf übliche Praxis sei unzulässig, wenn sonstige vorliegende Erkenntnisse und Dokumente nicht hinreichend berücksichtigt würden, entschied der erste Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 16. Februar in Leipzig.
Damit wiesen die fünf Bundesrichter die Sprungrevision des Bamf gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin von Juni 2021 (Az. VG 9 K 135/20 A) zurück und bestätigten das Berliner Urteil. Die Auswertung digitaler Datenträger zur Ermittlung von Identität und Staatsangehörigkeit eines Ausländers sei erst zulässig, wenn der Zweck der Maßnahme nicht durch mildere Mittel erreicht werden könne, führten die Richter aus.
Im konkreten Fall war die 1977 geborene Suraya S. im Jahr 2019 in die Bundesrepublik eingereist und hatte im Mai 2019 in Berlin Asyl beantragt. Dabei hatte das Bamf angeordnet, dass die Frau der Behörde die Zugangsdaten ihres Handys und das Gerät selbst zur Verfügung stellen müsse. Das Handy wurde an einen Rechner angeschlossen. Die Daten aus dem Mobiltelefon wurden auf den Rechner übertragen und ausgewertet. Im August 2019 lehnte das Bamf den Asylantrag der Frau ab. Im Mai 2020 erhob S. beim Verwaltungsgericht Berlin Klage.
„Im Fall der Klägerin standen nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts mildere und damit vom Bundesamt vorrangig heranzuziehende Mittel zur Gewinnung weiterer Indizien zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit zur Verfügung“, sagte der Vorsitzende Richter.
Az.: BVerwG 1 C 19.21
Erfurt (epd). Tarifliche Nachtarbeitszuschläge dürfen bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit unterschiedlich hoch sein. Das hat das Bundesarbeitsgericht geurteilt und verschieden hohe Nachtschichtzuschläge bei Coca-Cola, frischli Milchwerke, Nestle und der FrieslandCampina Kievit GmbH für zulässig erklärt. Eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung liege nicht vor, urteilten die Richter am 22. Februar in Erfurt.
Im ersten Fall hatte eine Mitarbeiterin von Coca-Cola in Berlin geklagt. Nach dem einschlägigen Tarifvertrag der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost betrug der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit in Schichten 20 Prozent, für unregelmäßige Nachtarbeit 50 Prozent.
Die Arbeitnehmerin sah in der Unterscheidung zwischen unregelmäßiger und regelmäßiger Nachtarbeit einen Verstoß gegen den im Grundgesetz und der EU-Grundrechtecharta enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatz. Regelmäßige Nachtarbeit sei deutlich belastender als die seltene, außerhalb von Schichtsystemen geleistete unregelmäßige Nachtarbeit.
Nachdem der Europäische Gerichtshof in dem Fall geurteilt hatte, dass EU-Recht nicht die Vergütung von Nachtarbeitszuschlägen regele, war das Bundesarbeitsgericht wieder am Zug. Die obersten deutschen Richter urteilten nun, dass unterschiedliche Nachtarbeitszuschläge im Tarifvertrag erlaubt sind, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht. Die Nachtarbeitszuschläge seien ein angemessener Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen. Der höhere Zuschlag für die unregelmäßige Nachtarbeit solle aber zusätzlich weitere Belastungen der Beschäftigten wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze ausgleichen. Wie dieser Ausgleich erfolgt, liege im Ermessen der Tarifparteien, befand das Bundesarbeitsgericht.
Bei nicht tarifgebundenen Unternehmen hatte das Gericht bereits am 9. Dezember 2015 im Fall eines Paketzustellers entschieden, dass bei ständigen Nachtschichten grundsätzlich ein „angemessener“ Nachtarbeitszuschlag von 30 Prozent zu zahlen ist, bei nicht immer anfallender Nachtarbeit dagegen „regelmäßig“ 25 Prozent.
Az.: 10 AZR 332/20 und weitere Az.: 10 AZR 423/14 (Paketzusteller)
Erfurt (epd). Arbeitgeber sollten eine tariflich vereinbarte Sanierung der Toiletten und anderer Sanitäranlagen im Betrieb auch fristgerecht vornehmen. Sieht ein Haustarifvertrag eine Lohnerhöhung vor, wenn der Arbeitgeber Sanitärräume nur ungenügend instand setzt, ist das gültig, urteilte am 22. Februar das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Es handele sich hierbei nicht um eine unwirksame oder zumindest herabzusetzende Vertragsstrafe.
Konkret ging es um einen metallverarbeitenden Betrieb in Baden-Württemberg mit rund 600 Beschäftigten. In einem Haustarifvertrag vereinbarten die Tarifparteien, dass der Arbeitgeber die sanitären Einrichtungen wie Duschen und Toiletten in einem Gebäude bis zum 30. Juni 2019 saniert. So sollten etwa die Duschen von Schimmel und Dreck befreit werden. Andernfalls sollten die Löhne ab Juli 2019 um 0,5 Prozent steigen.
Doch der Arbeitgeber ließ sich zu viel Zeit. So waren bis zum vereinbarten Termin einige WCs sowie Umkleideräume und Duschkabinen nicht rechtzeitig fertig geworden. Teilweise wurde eine Grundsanierung noch gar nicht begonnen. Daraufhin verlangten mehrere Arbeitnehmer, darunter auch der Kläger, den im Haustarifvertrag enthaltenen Lohnaufschlag von 0,5 Prozent.
Der Arbeitgeber lehnte ab. Die tarifliche Regelung stelle eine unwirksame Vertragsstrafe dar. Zumindest müsse diese angesichts der teils nur kurzen Fristüberschreitung reduziert werden. Andernfalls müsse er bei 600 Beschäftigten eine Lohnerhöhung um insgesamt mehr als 150.000 Euro pro Jahr zahlen. Gerechtfertigt sei eine Vertragsstrafe von allenfalls 2.000 Euro.
Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger recht. Die Voraussetzungen für eine Lohnerhöhung um 0,5 Prozent lägen vor. Der Arbeitgeber habe die tariflich zugesagten Sanierungsmaßnahmen nicht fristgerecht erledigt. Der Lohnaufschlag sei auch keine Vertragsstrafe, die nach dem Gesetz auch gemindert werden könne, sondern stelle eine tariflich vereinbarte Entgelterhöhung dar.
Deren Ausgestaltung gehöre zu den „Hauptleistungspflichten tarifgebundener Arbeitsverhältnisse“. Daran müsse sich der Arbeitgeber halten. Aus prozessualen Gründen wurde das Verfahren an das Landesarbeitsgericht Stuttgart zurückverwiesen.
Az.: 4 AZR 68/22
Stuttgart (epd). Während der Arbeitszeit alle zwei bis drei Stunden einmal auf die Toilette zu gehen, ist „betriebsüblich“. Die berufliche Leistungsfähigkeit einer gesetzlich Versicherten wird dadurch ebenso wenig eingeschränkt wie aus dem Umstand, dass sie sich zweimal täglich einen Harnkatheter legen muss, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 10. Februar veröffentlichten Urteil. Das Gericht wies damit den Antrag einer Frau auf eine Erwerbsminderungsrente ab.
Die aus dem Raum Konstanz stammende Frau war von 2009 bis 3. Januar 2014 als Produktionshelferin tätig und danach arbeitsunfähig und arbeitslos. Sie klagte über gesundheitliche Beschwerden wie Dauerschwindel, Migräne, Knie- und Gelenkschmerzen sowie Harninkontinenz. Sie müsse sich zweimal am Tag einen Harnkatheter legen. Jede Stunde müsse sie wegen ihres Harndrangs zweimal auf die Toilette gehen. Damit könne sie nur unter „betriebsunüblichen Bedingungen“ arbeiten. Die Arbeit sei ihr letztlich nicht möglich. Bei ihrer Rentenversicherung beantragte sie die Gewährung einer vollen oder zumindest teilweisen Erwerbsminderungsrente. Die Rentenkasse lehnte ab.
Nach Einholung mehrerer Gutachten entschied schließlich das LSG, dass die Frau die Rentenzahlung nicht beanspruchen kann. Sie könne noch wenigstens sechs Stunden am Tag „unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes“ einer Berufstätigkeit nachgehen, wenn auch mit leichten Einschränkungen. Eine Rente begründende Erwerbsminderung liege nicht vor.
Ihren angeblichen „Dauerschwindel“ hätten die Gutachter nicht belegen können. Gleiches gelte für ihren vermeintlich ausgeprägten Harndrang. Der Harndrang sei nicht so stark, wie von der Frau angegeben. So habe sie selbst bei einer vierstündigen Begutachtung kein einziges Mal die Toilette aufsuchen müssen. Wie der Gutachter ausführte, sei davon auszugehen, dass die Frau ohne Weiteres alle zwei bis drei Stunden zur Toilette gehen könne. Toilettengänge in diesen Zeiträumen seien aber nicht „betriebsunüblich“, befand das LSG. Eine Erwerbsminderungsrente könne daher nicht beansprucht werden.
Nach Angaben eines Sachverständigen sei nur das zweimal tägliche Legen eines Katheters erforderlich. Dies könne die Klägerin vor und nach der Arbeit erledigen.
Az.: L 10 R 3541/19
Celle (epd). Jobcenter können nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen Grundsicherungsleistungen auch bei „sozialwidrigem Verhalten“ des Empfängers nur begrenzt zurückfordern. Das Gericht entschied zugunsten eines heute 28-jährigen ungelernten Langzeitarbeitslosen aus Salzgitter, wie ein Sprecher am 20. Februar in Celle mitteilte. Der Mann bezieht seit vielen Jahren Grundsicherungsleitungen. Weil er 2012 seinen Ausbildungsplatz wegen wiederholten unentschuldigten Fehlens am Arbeitsplatz verlor, wollte das Jobcenter Leistungen von ihm zurückfordern.
Das Jobcenter hatte zeitnah wegen des Ausbildungsabbruchs eine Kürzung der Leistungen um 30 Prozent verfügt, hieß es. Darüber hinaus verlangte es später die Rückzahlung der über mehrere Jahre gewährten Grundsicherungsleistungen von rund 51.000 Euro. Der Mann habe seine Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt und müsse die Leistungen wegen „sozialwidrigen Verhaltens“ erstatten, argumentierte das Jobcenter. Mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung als Elektroniker hätte er sehr gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt gehabt.
Das Landessozialgericht sah zwar in dem Ausbildungsabbruch ein „sozialwidriges Verhalten“. Doch mehr als dreieinhalb Jahre später könne dies nicht mehr als Grund für den Leistungsbezug gesehen werden, entschieden die Richter. Bei einem „unkooperativen, schwer vermittelbaren Arbeitslosen“ gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass er mit einem regulären Berufsabschluss durchgängig gearbeitet hätte. Junge Menschen brächen häufig eine Ausbildung ab. Es widerspreche den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Forderns und Förderns, wenn eine solche „Jugendsünde“ zu erheblichen Ersatzansprüchen führe, die jegliche Erwerbsperspektive zerstörten.
Az.: L 11 AS 346/22
Darmstadt (epd). Wenn Beschäftigte sich am Arbeitsplatz beim Gang zum Getränkeautomaten verletzen, ist das ein Arbeitsunfall. Das „Zurücklegen eines Weges, um sich Nahrungsmittel zu besorgen“, sei grundsätzlich versichert, entschied das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt in einem am 21. Februar veröffentlichten Urteil.
Geklagt hatte eine bei einem Finanzamt tätige Verwaltungsangestellte. Die 57-Jährige war auf einem nassen Fußboden ausgerutscht, als sie sich im Sozialraum der Behörde einen Kaffee holen wollte, und hatte dabei einen Lendenwirbelbruch erlitten.
Die zuständige Unfallkasse wollte die Verletzung nicht als Arbeitsunfall anerkennen. Zur Begründung hieß es, der Versicherungsschutz ende regelmäßig mit dem Durchschreiten der Kantinentür. Der 3. Senat des Landessozialgerichts folgte jedoch der Klägerin. Der Sozialraum gehöre eindeutig in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers.
Az.: L 3 U 202/21
Oberursel, Bremen (epd). Timm Klöpper wechselt zu Immotiss Care, einem deutschen Beratungsunternehmen für Senioren- und Gesundheitsimmobilien. Mit dem ehemaligen Convivo-Geschäftsführer erweitert Immotiss Care ab 1. März die Führung.
Klöppers bisheriger Arbeitgeber, die Bremer Gruppe Convivo, betreibt nach eigenen Angaben mehr als 100 Pflegeeinrichtungen mit Schwerpunkt im Nordwesten Deutschlands. Am 23. Januar beantragte Convivo beim Amtsgericht Bremen Insolvenz.
Der Gründer und Geschäftsführer von Immotiss Care, Jochen Zeeh, hieß Klöpper als „einen geschätzten Teamplayer und Manager“ willkommen. „Durch seinen empathischen Auftritt und seine fundierte Marktkenntnis kann er nicht nur Mitarbeitende begeistern, sondern auch gut mit Behörden und Politik umgehen“, erwartet Zeeh. Außerdem habe Klöpper bewiesen, dass er visionär und innovativ Betreibermodelle entwickeln könne.
Timm Klöpper wechselt damit von der Anbieterseite in die Beraterrolle. „Der Perspektivwechsel in eine beratende Tätigkeit ermöglicht es mir, noch unabhängiger wesentliche Themen in der Pflege mit den unterschiedlichen Akteuren aus Betreibern, Immobilieneigentümern, Verbänden und der Politik voranzutreiben“, sagte Klöpper. Er wolle die Pflegelandschaft in Deutschland mitgestalten.
Der Seniorenwohnmarkt steht aufgrund der alternden Gesellschaft vor vielen Herausforderungen. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt stetig weiter, das Angebot an Seniorenwohnformen nicht im gleichen Maße. Schon heute übersteigt die Nachfrage die Anzahl an verfügbaren Plätzen.
Reiner Schübel (58), früherer Rektor der Rummelsberger Diakonie, wird neuer theologisch-pädagogischer Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwachsenenbildung in Bayern (AEEB). Er tritt das Amt am 1. Mai an. Zuletzt hatte der Leiter des Evangelischen Bildungswerks in Erlangen, Hans Jürgen Luibl, die Aufgabe des AEEB-Vorstands inne. Luibl ist im September in den Ruhestand gegangen. Schübel war unter anderem operativer Leiter des Referates Diakonie und gesellschaftsbezogene Aufgaben im Landeskirchenamt München. Von 2020 bis 2021 war er Vorstandsvorsitzender der Rummelsberger Diakonie.
Simon Bühler (56) tritt am 1. März die Nachfolge von Wolf Lütje als neuer Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe im Evangelischen Amalie Sieveking Krankenhaus in Hamburg-Volksdorf an. Lütje verabschiedet sich nach über zehnjähriger chefärztlicher Tätigkeit im Amalie in den Ruhestand. Bühler ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe mit den Zusatzbezeichnungen Gynäkologische Onkologie, operative Gynäkologie und Senior Mamma Operateur. Zuletzt war er als Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe in der Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg tätig.
1.3.:
Online-Fortbildung „Soziale Arbeit über Grenzen hinweg - Kinderschutzfälle mit Auslandsbezug und grenzüberschreitende Unterbringung“
Tel.: 030/62980605
1.-2.3.:
Online-Seminar: „Change-Management für Führungskräfte - mit positiver Führung Veränderungen erfolgreich begleiten“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828215
2.3. München:
Seminar „So sichern Krankenhäuser ihre Erlöse“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 089/480080
2.-3.3.:
Online-Seminar „Das operative Geschäft: Steuerung und Controlling in der Eingliederungshilfe“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-495
2.-9.3.:
Online-Kurs „Digitale Öffentlichkeitsarbeit und Social Media für soziale Einrichtungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
13.-15.3. Berlin:
Fortbildung „Erfolgreiche Lobbyarbeit im politischen Raum“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
15.3. München:
Seminar „Neues vom Bundesarbeitsgericht“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 089/24220
17.-19.3.:
Online-Seminar „Konflikte souverän online beraten“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
23.3. Freiburg:
Seminar „Die Änderung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 0761/38510
23.3. Berlin:
Seminar „Asyl- und Aufenthaltsrecht für junge Geflüchtete“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828227
23.-24.3.:
Digital-Seminar „Handlungsfelder für eine zukunftsorientierte kommunale Wohnungspolitik“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980-419
27.3.:
Online-Seminar „Flucht und Behinderung - Rechtliche Möglichkeiten in der Flüchtlings- und Behindertenhilfe“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-495
30.-31.3. Berlin:
Seminar „Grundlagen der Sprachmittlung in der Sozialen Arbeit und im Gesundheitswesen - Verständigungshindernisse professionell überwinden“
der Fortbildungsakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/48837-476