Kritik an der psychiatrischen Versorgung gibt es reichlich. Das von der Bundesregierung geförderte Projekt "Gemeindepsychiatrische Basisversorgung" versucht, neue Wege zu gehen. Hier sollen nicht nur Krankheitssymptome behandelt, sondern alle individuell erforderlichen Hilfen organisiert werden. Dem Münchner Psychiatriepatienten Patrick Maier scheint das wieder ein eigenverantwortliches Leben zu ermöglichen.
Solche Erfolgsgeschichten sind selten: Sascha Kühnhold fand nach 16 Jahren Obdachlosigkeit zurück in ein geregeltes Leben. Nach einem Zusammenbruch entschloss sich der damalige Alkoholiker zu einem kompletten Neuanfang, bekam professionelle Hilfe - und schaffte es. Heute arbeitet er als ehrenamtlicher Streetworker und lebt mit seinem achtjährigen Sohn zusammen, wie im epd-Video zu sehen ist.
Der Pflegenotstand in Deutschland hat auch einen zumindest auf den ersten Blick überraschenden Grund: die Leiharbeit in der Pflege. Einige Fachkräfte ziehen die Zeitarbeit einer Festanstellung vor, weil sie dann regelmäßigere Arbeitszeiten haben, wie Personalverantwortliche und Betriebsräte von Pflege- und Klinikbetrieben berichten. Für das Betriebsklima ist das offenbar nicht gut.
Eine sachgrundlose Befristung von zwei Jahren gehört bei katholischen Arbeitgebern der Vergangenheit an. Nach einem Urteil des Kirchlichen Arbeitsgerichtshofs dürfen solche befristeten Arbeitsverträge künftig bei Neuanstellungen nur noch eine Maximaldauer von 14 Monaten haben.
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Markus Jantzer
München (epd). Manchmal gewinnen trübe Gedanken die Oberhand. Patrick Maier kennt das. Wenn er abgrundtief traurig ist. Einfach so. „Ich leide unter chronischer Verstimmung“, sagt der 47-Jährige. Die Diagnose „Dysthymie“, so der Fachbegriff für langanhaltende depressive Verstimmungen, erhielt er nach einem seelischen Zusammenbruch. Jetzt ist der Münchner dabei, sich mit Hilfe des Modellprojekts „Gemeindepsychiatrische Basisversorgung“ wieder zu stabilisieren.
Seinen Verstimmungen nachzugeben, war für Patrick Maier früher ein absolutes Tabu. Er wollte funktionieren. Und fuhr als selbstständiger Unternehmensberater jede Menge berufliche Erfolge ein. „Doch alles war immer unglaublich anstrengend.“
Nach seinem Zusammenbruch Anfang 2020 ging allerdings für ihn nichts mehr. „Ich hatte überhaupt keine Möglichkeit mehr zu agieren“, erzählt er. Seine Hausärztin sorgte dafür, dass ihr Patient in die Psychiatrie kam. Dort erhielt er die Diagnosen „Chronische Verstimmung“ und „Chronische Depression“.
Der Münchner wurde durch seine Erkrankung aus seinem alten Leben geschleudert. Er landete in der Welt von Menschen mit psychischer Erkrankung. Wer diese Welt nicht kennt, für den erscheint sie wie ein verwirrendes Labyrinth. Das Modellprojekt „Gemeindepsychiatrische Basisversorgung“ will Patienten durch dieses Labyrinth lotsen.
In dem Projekt erhält Maier seit knapp zwei Jahren Hilfe. Die Sozialarbeiterin Tanja Tücking von der gemeinnützigen Gesellschaft „Vincentro München“ ist seine Bezugsbetreuerin. Ihre Aufgabe ist es, für ihn und seine Fragen und Probleme da zu sein. „Wir sehen uns mindestens einmal in der Woche, ich kann aber auch außerhalb unserer Treffen immer anrufen, wenn etwas ist“, sagt Maier. Also etwa wenn ihn die Depressionen übermannen.
Psychisch Kranke müssen oft alle Kräfte für die Bewältigung ihres Alltags mobilisieren. Das geht auch Patrick Maier so. Deshalb sei er unglaublich dankbar, dass es in dem Projekt „darum geht, dass wir im Alltag gestärkt werden mit dem Ziel, nicht mehr in die Klinik zu müssen“. Patrick Maier macht unter anderem eine Traumatherapie, die ihm Tanja Tücking vermittelte. Nach seinem Aufenthalt in der Psychiatrie half ihm Tücking, eine geeignete Rehaklinik zu finden. Da er durch seine Erkrankung in finanzielle Turbulenzen geriet, wandte er sich außerdem an die Schuldnerberatung.
Das Projekt „Gemeindepsychiatrische Basisversorgung“ startete im Juli 2019 und läuft bis Juni 2023 an zwölf Standorten in Deutschland. Insgesamt 19 Krankenkassen und Leistungserbringer beteiligen sich daran. Forscher der Universität Ulm begleiten das Projekt wissenschaftlich. Ziel ist es, die Gemeindepsychiatrische Basisversorgung fest in der Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung zu etablieren.
Damit soll eine Versorgungslücke geschlossen werden und Defizite in der Betreuung von psychisch Kranken beseitigt werden. So mangelt es unter anderem an intensiven ambulanten Hilfen. Ein besonders großes Problem stellt die Fragmentierung des Versorgungssystems dar. Denn Behandlungs- und Betreuungsleistungen sind auf unterschiedliche Sozialleistungsträger mit getrennten Vergütungssystemen aufgeteilt.
Stefanie Mäurer (Name geändert) ist ebenfalls Patientin im Projekt Gemeindepsychiatrische Basisversorgung. „Ultrawichtig ist für mich, dass es ein Krisentelefon gibt“, sagt die 34-Jährige. Es ist rund um die Uhr erreichbar: „Dass es dieses Telefon gibt, hat mich schon vor schlimmsten Krisen bewahrt“. Ohne die Gemeindepsychiatrische Basisversorgung, glaubt sie, wäre sie längst wieder in einer Klinik für Psychiatrie gelandet. Doch die Betreuung in der Gemeindepsychiatrischen Basisversorgung ermöglicht es ihr, in einer WG in München zu wohnen und ihrer Arbeit in einem Call-Center nachzugehen.
Anett Keidel, die bei „Pinel Netzwerk“ in Berlin Menschen in psychischen Krisen unterstützt, übt grundsätzliche Kritik an der Versorgung von seelisch Kranken in Deutschland: „Wir haben Klienten, die sich schon lange irgendwie durchgewurschtelt haben, aber nie die richtige Hilfe bekamen.“ Statt Hilfe für ihre unterschiedlichen Probleme aus einer Hand zu bekommen, müssten sich psychisch Kranke sehr oft in einem Wirrwarr potenzieller Ansprechpartner zurechtfinden: Jobcenter, Rentenversicherung, Jugendämter, Krankenversicherungen, Ärzte, Sozialpsychiatrische Dienste, Ergotherapeuten und Tageskliniken.
Bei der Gemeindepsychiatrischen Basisversorgung sei das anders, sagt Nils Greve. Es gehe hier nicht allein um Krankheitssymptome, „sondern vielmehr darum, den Menschen zu einem eigenverantwortlichen Leben zu verhelfen“, sagt der Vorsitzende des Dachverbandes Gemeindepsychiatrie mit Sitz in Köln.
Eine möglichst vollumfängliche Teilhabe an der Gesellschaft ist das Ziel. „Wobei neben den Bedürfnissen der psychisch erkrankten Menschen auch die Bedürfnisse seiner Angehörigen eine große Rolle spielen“, erklärt Greve. Als seine Bezugsbetreuerin unterstützt Tanja Tücking daher Patrick Maier darin, ein offenes Gespräch mit ausgewählten Personen seines sozialen Umfeldes zu führen. Diese sollen nämlich verstehen, warum er sich manchmal länger nicht bei ihnen meldet. „Ich wiederum möchte wissen, wie mein Schweigen für sie ist“, sagt Maier.
Sehnde (epd). In Vikis Bildern tobt das Leben. Ihre Kunstwerke stecken voller winziger Details. Häuschen mit erleuchteten Fenstern drängeln sich windschief aneinander. Erker, Treppen, Türmchen in knalligen Farben: Pink, Türkis, Orange. Auf ihren Wimmelbildern gibt es viel zu entdecken: Windräder, Bäume, ein himmelblauer Badesee - und Vikis strahlendes Gesicht.
Viktoria Ludwig, so Vikis vollständiger Name, hat die Bilder aus ihrer Kunstmappe im Atelier des Klinikums Wahrendorff in Sehnde in der Region Hannover ausgebreitet. „Ich liebe Kunst“, sagt die 23-Jährige und breitet die Arme aus, als wolle sie die Welt umarmen. „Sie ist mein Ventil, sie bringt mich zum Nachdenken.“
Viki lebt im Heim der Wiedereingliederungshilfe für Menschen mit seelischen oder geistigen Behinderungen, das zu dem Klinikum gehört. Sie leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, erzählt sie, hält kurz inne und sprudelt weiter: Ihren Hauptschulabschluss habe sie gemacht trotz heftigem Mobbing. Ohne die Kunst, da ist sich Viki sicher, hätte sie das nicht geschafft.
Dass es sich positiv auf die Psyche auswirkt, wenn man kreativ und künstlerisch aktiv ist, bestätigt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Ende 2019 stellte sie eine Studie vor, die mehr als 900 Veröffentlichungen weltweit zum Thema auswertete. Zentrales Ergebnis: Künstlerisches Engagement fördert die mentale Gesundheit und kann Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen.
Künstlerin Annette Lechelt leitet seit 25 Jahren die Kunstwerkstatt in Wahrendorff. Fröhlich und bunt geht es hier zu. Es duftet nach Kaffee, Lechelts Mischlingshündin „Tilda“ flitzt umher, Wellensittiche zwitschern in einer Voliere. Überall stehen Bilder und Skulpturen: Porträts, Stillleben, fliegende Schweine, ein Hannover-96-Stadion aus Pappmaché. Viele der von den Bewohnern gefertigten Gemälde schmücken das Klinikum, hängen in Fluren und Besprechungsräumen.
„Ich bin keine Therapeutin“, sagt Lechelt, „aber die therapeutische Wirkung steht für mich außer Frage“. Es gehe darum, Neues auszuprobieren, Blockaden abzubauen, „einen eigenen Strich“ zu finden. „Da öffnet sich was, der Blick auf das Leben verändert sich“, sagt die Frau mit dem farbbeklecksten Kittel und der Blume im Haar.
Davon ist auch der Wahrendorff-Geschäftsführer Matthias Wilkening überzeugt. Künstlerische Aktivitäten ermöglichten einen guten Zugang in der Behandlung von psychischen Leiden, sagt der Psychiater. „Selbstwertgefühl und Selbstakzeptanz können aufgebaut werden und zu einem höheren Maß an Wohlbefinden, Sozialisierung und Widerstandsfähigkeit führen.“ Auch der Deutsche Fachverband für Kunst- und Gestaltungstherapie in Berlin unterstreicht, Selbstheilungsprozesse könnten durch Kunst angeregt werden.
Kunst sei ehrlich, sie stärke die Ich-Kräfte, sagt Kunsttherapeutin Kristina Lucan. Die Menschen könnten ihre Gefühle bildlich ausdrücken, lernten mit Frust umzugehen, mutig zu sein. „Die Seele spricht in Bildern.“
Ebenso wie bildende Kunst hat auch Musik Heilkräfte auf die Seele, davon ist Ergotherapeutin Inken Unruh-Opiola überzeugt: „Rhythmen ordnen das innerliche Chaos.“ Grübeleien würden unterbrochen, die Menschen fühlten sich aufgehoben. Unruh-Opiola, die im Zentrum für Transkulturelle Psychiatrie und Psychotherapie für Menschen mit Migrationshintergrund in Wahrendorff arbeitet, absolviert zurzeit eine musiktherapeutische Fortbildung.
Insgesamt acht Kunst- und zwei Musiktherapeutinnen und -therapeuten sind in Wahrendorff tätig. Dazu kommen rund 20 Mitarbeitende, die kreative Anregungen gestalten. Diese Angebote sind fest in der klinischen Versorgung verankert, nicht aber in der ambulanten. Lucan und Unruh-Opiola bedauern das. Nonverbale Behandlungen wie diese sollten für mehr Menschen zugänglich und von den Krankenkassen bezahlt werden, sagt Lucan. „Diese Therapien wirken, wo anderes versagt.“
Für Peer Martin, der unter einer paranoiden Schizophrenie leidet und seit 26 Jahren im Klinikum lebt, ist Kunst eine Möglichkeit, „mich selbst zu reflektieren“, wie er sagt. Der 60-Jährige schreibt. Mit Kugelschreiber. Seite über Seite. Die Bögen stapeln sich vor ihm. Es gehe um Soziologie und Politik, sagt er, „um die Gesellschaft, mit der ich im Dissens lebe.“ Annette Lechelt hat kleine Häuser aus dem beschriebenem Papier hergestellt. Martin betrachtet die Bastelwerke wohlwollend.
Melissa Pietzko hat sich derweil mit einer Karaffe Chai-Tee in eine Nische der Kunstwerkstatt zurückgezogen. Seit acht Jahren schreibt die 26-Jährige, die unter Depressionen leidet, an ihrem Fantasyroman „Die goldene Axt“. 200 Seiten sind fertig. Pietzko ist eine „Externe“, sie wohnt außerhalb des Klinikums, kommt nur zur Therapiesitzungen rein. Heute zeichnet sie Illustrationen für ihr Buch. „Wenn ich schreibe und zeichne, tauche ich ab, wie in einem Rausch“, sagt sie. Alles andere sei dann ausgeblendet. „Das tut mir gut.“
Frankfurt a.M. (epd). Menschen in Altenpflegeheimen erkranken nach Aussage der Frankfurter Pflegeforscherinnen Katja Kraus und Lisa Luft häufig unbemerkt an Depressionen. „Obwohl depressive Erkrankungen auch im höheren Lebensalter gut behandelbar sind, werden diese in Altenpflegeeinrichtungen bei Bewohnerinnen und Bewohnern häufig nicht bemerkt und dementsprechend nicht behandelt“, sagte Kraus vom Hessischen Institut für Pflegeforschung dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Studienlage weise darauf hin, dass 30 Prozent der Bewohner an einer akuten Depression litten, doch nur rund 43 Prozent von ihnen eine ärztliche Diagnose und eine Therapie erhielten.
Kraus und Luft untersuchten in einem Projekt der Goethe-Universität Frankfurt, der Frankfurt University of Applied Sciences und der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, wie die Versorgung von depressiven Menschen in Altenpflegeheimen verbessert werden kann. Denn: „Es ist davon auszugehen, dass etwa die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner mit Depression keine adäquate Therapie erfährt“, sagte Kraus. Derzeit sehe die Regelversorgung eine Psychotherapie in Altenpflegeeinrichtungen nicht vor.
„Im Projekt zeigte sich, dass die Diagnose der Depression unter anderem durch die besondere Symptomatik im Alter erschwert wird“, sagte Kraus. „Die Symptome einer Altersdepression äußern sich eher durch Beschwerden und Schmerzen, die den gesamten Körper betreffen können.“ Seniorinnen und Senioren mit Depression klagten beispielsweise über Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden.
Luft verwies auf die Risiken einer unerkannten Erkrankung. „Bleiben Depressionen im Alter unbehandelt, kann dies zu einer reduzierten Lebensqualität, zu Rückzug, Isolation bis hin zum Verlust von sozialer Teilhabe führen“, sagte die Forscherin. Auch hätten Menschen mit Depression ohne Behandlung ein höheres Risiko, an mehreren Krankheiten zu leiden, in ein Krankenhaus eingewiesen zu werden oder sogar früher zu sterben. „Schon leichte depressive Symptome sollten rechtzeitig erkannt werden, um ein Fortschreiten der Krankheit zu verhindern.“
Bremen (epd). Die Parkbank am Hollersee im Bremer Bürgerpark, sie wäre fast sein Ende gewesen. Davon ist Sascha Kühnhold noch immer überzeugt, viele Jahre, nachdem der damals obdachlose Mann dort schlafend mit Benzin übergossen wird. Er wacht rechtzeitig auf, sieht die Täter, die ihre Streichhölzer fallen lassen und weglaufen. Kühnhold rennt hinterher, kann sie einholen: „Und dann diese Antwort: Das war nur ein Scherz.“
Mehr als 16 Jahre lebt Sascha Kühnhold auf der Straße. Alles beginnt mit dem Tod seines von ihm abgöttisch geliebten Vaters. Das wirft ihn völlig aus der Bahn. „Ich habe gesoffen ohne Ende, war dauerhaft hacke. Manche Jahre verschwinden richtig in meiner Erinnerung“, blickt der heute 45-Jährige zurück. Fahnenflucht aus der Bundeswehr, Rauswurf aus der Truppe, bei Freunden auf der Couch geschlafen - so beginnt seine Berber-Karriere.
„Ungesicherte Wohnverhältnisse, Couch-Surfing bei Kumpels - das ist ein ganz typischer Einstieg in die Obdachlosigkeit“, sagt Harald Schröder, der in der Bremer Szene als Obdachlosenseelsorger unterwegs ist. Die Zahl der Betroffenen in Deutschland steigt: Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe leben etwa 45.000 Menschen im Laufe eines Jahres ohne jede Unterkunft auf der Straße, 256.000 sind wohnungslos.
Schnell wird auch für Sascha Kühnhold die Straße zur Wohnung, die Menschen dort werden zur Ersatzfamilie. Er braucht Geld und dealt. Bis zu vier Flaschen Doppelkorn am Tag spült er mit Bier runter: „Mit dem Alkohol schlechte Gefühle killen, gute Gefühle pushen, so dachte ich. Und brauchte morgens schon eine halbe Flasche, um überhaupt meinen Schlafsack aufrollen zu können.“
Dann kommt der Zusammenbruch, Dunkelheit. „Nach zwei Tagen bin ich im Krankenhaus aufgewacht, um mich herum piepte es, überall Schläuche“, erinnert sich Sascha Kühnhold. Das ist die Wende. Aus der Klinik geht es direkt in die Entgiftung, zur Therapie, zur Nachsorge, zwei Jahre lang - der dritte Versuch. Diesmal mit Erfolg. „Heute wird mir schlecht, wenn ich auch nur Alkohol rieche“, sagt der Mann, der mittlerweile zweifacher Vater ist, eine Wohnung bekommen hat und mit seinem jüngsten Sohn zusammenlebt.
„Das ist selten, dass der Ausstieg so gelingt“, weiß Seelsorger und Streetworker Schröder. Meistens fehle die Perspektive. „Kein Job, völlig verschuldet, Alkohol, Drogen, psychische Probleme, keine Wohnung - da fragen sich die Leute: Wozu trocken werden?“
Auch bei Sascha Kühnhold gibt es Rückschläge. Die Trennung von seiner Partnerin, 2019 brennt seine Wohnung ab. Kontakte zu den Behörden: schwierig und oft nur mit professioneller Hilfe der Obdachlosenhilfe zu managen. „Ein harter Ritt“, bilanziert Sascha Kühnhold, der aber von einem Grundgefühl getragen wird, das vielen Menschen auf der Straße fehlt: „Ich fühle mich nicht mehr entwurzelt.“
Der Bremer Verein für Innere Mission steht ihm mit seinem Hilfsprogramm „Intensiv begleitetes Wohnen“ zur Seite. Sozialpädagogisch unterstützt geht es für die Teilnehmenden im Projekt darum, wieder eigenständig den Alltag bewältigen zu können. „Wer länger als zwei Jahre auf der Straße ist, muss das neu lernen“, hat Sascha Kühnhold erfahren. „Den muss man an die Hand nehmen, ihm zeigen, wie Wohnen geht, wie man den Tag meistert.“
„Die Hilfe funktioniert allerdings nur, wenn es eine eigene Motivation gibt, etwas ändern zu wollen, wenn sich die Person regt - und das hat Sascha gemacht“, sagt Harald Schröder. „Und bei ihm gab es noch einen weiteren wirklich wichtigen Vorteil: Er hatte keine psychischen Probleme, die die Situation noch einmal schwerer machen.“
„Man muss aufhören, sich selbst anzulügen“, sagt Sascha Kühnhold. Seit September 2020 wohnt er in einer neuen Wohnung, mittlerweile mit seinem heute achtjährigen Sohn. Derzeit ist er Vollzeitpapa. Eine Tai-Chi-Ausbildung hat ihn begeistert, da wünscht er sich eine berufliche Perspektive. Immer wieder ist er als ehrenamtlicher Streetworker unterwegs, hilft, wo er kann, besonders jetzt, wenn es nass ist und die Kälte in die Glieder kriecht. „Der Ton in der Szene ist rauer geworden - auch wegen Corona“, hat er beobachtet. Niemand gönne dem anderen auch nur die Zigarette in der Hand.
„Ich bin einfach froh, von der Straße weg zu sein“, sagt der Mann, der Jugendgruppen führt und ihnen die Obdach- und Wohnungslosenszene erklärt. Seine Erinnerungen an diese Welt sind so lebendig wie zu Beginn seiner Zeit „auf Platte“. „Du kannst einen Menschen sofort von der Straße holen“, sagt er, „aber nicht die Straße aus den Menschen.“
Berlin (epd). Als in den USA vor rund 100 Jahren Herstellung und Verkauf von Alkohol verboten wurden, schossen illegale Brennereien wie Pilze aus dem Boden, denn die Prohibition machte den illegalen Genuss erst recht interessant. Um gerade nicht die Lust am Verbotenen zu wecken, wirbt eine Bewegung, die heute zum maßvollen und bewussten Trinken einlädt, mit Slogans wie „Rund um die Uhr am Saufen“. „Alkoholfrei versteht sich“, heißt es als Zusatz auf den Fensterscheiben des ersten alkoholfreien Spätis in Berlin.
„Mit nuechtern.berlin wollen wir die einseitige und promille-lastige Trinkkultur erweitern und Diversität aufzeigen“, erklärt Isabella Steiner, Mitbetreiberin des mitten in Corona-Zeiten gegründeten Spätkaufs mit dem sprechenden Namen „Null Prozent“. Spätis sind vor allem in ostdeutschen Städten als Läden bekannt, in denen auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten vor allem Alkohol gekauft wird.
„Wir haben uns gefragt, was trinke ich, wenn ich nicht trinke“, sagt Steiner. Alkoholfrei klinge für viele nach Spaßbremse und Safer Sex. „Wir versuchen, alkoholfrei geschäftsfähig zu machen“, sagt sie in dem kleinen Laden und lacht. Wer die Stufen zu dem Kreuzberger Späti im Souterrain hinabsteigt, steht vor schlichten Holzregalen mit bunten Etiketten. Die Namen von Getränken wie „The Duke - Entgeistert“ gehen spielerisch mit dem Verzicht auf Alkohol um.
Die beiden Betreiberinnen Isabelle Steiner und Katja Kauf beraten Kunden und Kundinnen, die sich nicht in dieser für viele neuen Welt auskennen. Zu ihren Stammkunden gehöre mittlerweile auch ein über 80-Jähriger, der jede Woche eine Flasche Whisky kaufe, sagt Isabella Steiner.
Immer mehr Familien, Schwangere, trockene Alkoholiker und Menschen, die aus Genuss trinken, wendeten sich alternativen Getränken zu. „Wir sind nicht dogmatisch“, betont die Berlinerin. Es gehe vielmehr darum, die Wahl zu haben. Viele Kundinnen und Kunden kämen aus Neugier, andere aus Frust über den Kater am Tag danach.
Alkoholfrei ist ein Wachstumsmarkt. Seit 2007 habe sich die Produktion alkoholfreier Biersorten mehr als verdoppelt, meldete der Deutsche Brauerbund im September. Alkoholfreie Biere hätten derzeit einen Marktanteil von sieben Prozent.
Die größten Erfolge, erzählt Isabella Steiner, erzielten die Hersteller bislang mit Gin. Bei Blindverkostung könne er mit dem alkoholischen Original mithalten. Auch bei Sekt komme der Geschmack dem Original wegen des Gehalts an Kohlensäure sehr nah. „Bei Wein ist noch viel Luft nach oben“, gesteht sie.
Anlässe zum Trinken gibt es fast rund um die Uhr, das Feierabendbier oder ein Glas zum Entspannen nach der Arbeit, als Belohnung oder zum Feiern: „Dieser Autopilot ist gefährlich“, meint die Betreiberin des alkoholfreien Spätis. Denn er blende Gesundheitsrisiken von Alkohol als vermeintlich harmlos aus.
Laut Bundesgesundheitsministerium konsumieren 6,7 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland Alkohol in „gesundheitlich riskanter Form“. Etwa 1,6 Millionen Menschen dieser Altersgruppe galten 2018 als alkoholabhängig. Analysen gehen laut Ministerium von jährlich etwa 74.000 Todesfällen durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol aus.
Durchschnittlich werden pro Kopf in Deutschland jährlich rund zehn Liter reinen Alkohols konsumiert. Der Berliner Späti im angesagten Bergmannkiez inmitten von Bars und Restaurants, die Spezialitäten aus aller Welt anbieten, liegt mit seiner Null-Prozent-Devise aber möglicherweise im Trend. Denn der Alkoholkonsum sinkt seit Jahren leicht. Dennoch befindet sich Deutschland dem Bundesgesundheitsministerium zufolge im internationalen Vergleich unverändert im oberen Zehntel.
Allerdings: Alternativen, die alkoholischen Originalen nahe kommen, sind oft nicht billig. Viele Kunden des alkoholfreien Spätis fragten, warum die Produkte mit klingenden Namen wie „Stereo Pils - Doppelt so lecker“ oder „Lyre's Dry London Spirit“ so teuer seien. Im Unterschied zu den Originalen gehe der Produktion ein Designprozess voraus, erklärt Steiner. So sei in Großbritannien im Jahr 2015 die erste alkoholfreie Spirituose entwickelt worden. Diese Art von Getränk nennt sich wegen der Grundlage aus Aromen und Erbsen „Botanical“.
Die meisten alkoholfreien Biere entstehen durch einen verkürzten Gärungsprozess. Bei Wein entziehen Winzer den Alkohol erst nach der Gärung. Durch Erhitzen auf 27 Grad im Vakuum verflüchtigt sich der Alkohol im Vakuum von selbst.
Noch sind viele Begriffe für das Sortiment schwammig. Wichtig für trockene Alkoholiker aber ist die Unterscheidung zwischen Produkten ohne Alkohol und „alkoholfreien“ Getränken - denn diese können bis zu 0,5 Prozent Restalkohol enthalten und sind für sie damit noch immer gefährlich.
Düsseldorf (epd). Fast jeder fünfte Beschäftigte in Vollzeit hat einer Studie zufolge im Jahr 2020 weniger als 2.284 Euro brutto im Monat verdient. Diese Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdienten weniger als zwei Drittel des mittleren monatlichen Bruttolohns aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten und liegen damit nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit (BA) im „unteren Entgeltbereich“, wie die Hans-Böckler-Stiftung am 6. Januar in Düsseldorf mitteilte.
Deutschlandweit zählten der Studie zufolge 2020 nach der Abgrenzung der Bundesagentur für Arbeit 18,7 Prozent der Vollzeitbeschäftigten zu den Geringverdienenden. Seit 2011 ist dieser Anteil in kleinen jährlichen Schritten von damals 21,1 Prozent kontinuierlich gesunken, gleichzeitig stieg die statistische Zwei-Drittel-Verdienstgrenze um rund zehn Prozent. Der Rückgang fiel in Ostdeutschland deutlich stärker aus als im Westen, allerdings auf einem viel höheren Niveau: Im Posten fiel der Anteil der Geringverdiener unter den Beschäftigten in Vollzeit von 39,3 auf 29,1 Prozent, im Westen fiel er von 16,9 auf 16,4 Prozent.
Unter den Frauen müssen bundesweit 25,4 Prozent mit einem niedrigen Monatseinkommen trotz Vollzeitarbeit auskommen, unter den Männern 15,4 Prozent. Überdurchschnittlich häufig betroffen seien auch junge Vollzeitbeschäftigte, Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und Menschen ohne Berufsabschluss. Besonders ausgeprägt ist nach den Angaben der untere Entgeltbereich im Gastgewerbe, der Leiharbeit und der Land- und Forstwirtschaft.
Die Auswertung zeigt insgesamt große Unterschiede nach Regionen: Während 2020 in Wolfsburg oder Erlangen 6,4 bzw. 8,3 Prozent der Vollzeitbeschäftigten im unteren Entgeltbereich arbeiteten, galt das etwa in Görlitz oder dem Saale-Orla-Kreis jeweils für mehr als 40 Prozent. Die höchste Quote weist laut Studie der Erzgebirgskreis mit 43,2 Prozent auf.
Unter den ostdeutschen Stadt- und vor allem den Landkreisen sind Quoten von mehr als 30 Prozent weiterhin relativ häufig. Dagegen bleiben im Westen auch jene vorwiegend ländlich geprägten Regionen mit vergleichsweise hohen Anteilen unter dieser Marke, wenn auch in einigen Kreisen von Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und vereinzelt in Bayern nur relativ knapp. Generell ist Vollzeitarbeit im unteren Entgeltbereich in ländlichen Regionen, in denen es vor allem Kleinbetriebe und eher wenig Industrie gibt, stärker verbreitet.
Der Anteil der Geringverdienste liegt nach den Angaben bei Vollzeitbeschäftigten ohne Berufsabschluss bei 40,8 Prozent, bei Beschäftigten mit beruflichem Abschluss bei 17,8 und bei Personen mit Hochschulzertifikat bei lediglich 4,9 Prozent. Auch die Branchenverteilung spielt eine wichtige Rolle: Im Gastgewerbe (68,9 Prozent), in Leiharbeit (67,9 Prozent) und Land- und Forstwirtschaft (52,7 Prozent) arbeiten mehr als die Hälfte der Vollzeitkräfte im unteren Entgeltbereich. Im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt sind 11,5 Prozent der Vollzeitkräfte im unteren Entgeltbereich beschäftigt, in der Metall- und Elektroindustrie 7,6 Prozent. In der Finanz- und Versicherungsbranche liegt der Anteil bei 4,2 Prozent und im öffentlichen Dienst bei 2,5 Prozent.
Berlin (epd). Das Kontingent zum Nachzug von Familienangehörigen zu Flüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus in Deutschland ist 2021 nur zur Hälfte ausgeschöpft worden. Wie der Evangelische Pressedienst (epd) aus dem Auswärtigen Amt erfuhr, wurden im vergangenen Jahr 5.934 Visa erteilt. 12.000 Visa wären theoretisch möglich.
Die meisten der erteilten Einreiseerlaubnisse - rund 2.290 - bekamen 2021 den Angaben zufolge Menschen von der Visastelle für Syrien an der Botschaft Beirut. Im Irak wurden 1.370, in Istanbul rund 810 Visa erteilt. Den untergeordneten, subsidiären Flüchtlingsschutz erhielten in den vergangenen Jahren vorwiegend Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien.
Nach der großen Fluchtbewegung wurde 2016 für Flüchtlinge mit diesem Status das Recht, die engsten Familienangehörigen nach Deutschland nachzuholen, ausgesetzt. Die damalige Bundesregierung wollte damit die Zuzugszahlen Asylsuchender reduzieren. Anders als Flüchtlinge, die einen Schutzstatus nach Genfer Flüchtlingskonvention oder Grundgesetz anerkannt erhalten haben, hatten sie damit keinen Rechtsanspruch mehr auf den Nachzug von Ehegatten, Kindern oder - im Fall minderjähriger Kinder - der Eltern.
2018 legte die Bundesregierung dann ein Kontingent auf, um maximal 1.000 Angehörigen dieser Flüchtlinge pro Monat den Nachzug zu ermöglichen, pro Jahr also insgesamt 12.000. Die Plätze wurden von Beginn an nicht komplett ausgeschöpft. Anfangs lag es am schleppenden Start des Verfahrens, in das sowohl Auslandsvertretungen als auch Behörden im Inland involviert sind. Aktuell führt das Auswärtige Amt die Corona-Pandemie als Grund für die niedrigen Zahlen an. Viele Visastellen hätten aufgrund der hohen Infektionszahlen und der pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in den Gastländern teilweise nur erheblich eingeschränkt oder im Notbetrieb arbeiten können, hieß es aus dem Ministerium.
Im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, subsidiär geschützte Flüchtlinge wieder anerkannten Schutzberechtigten nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichzustellen und damit auch ihnen wieder ein Recht auf das Nachholen der Familie zu gewähren. Wann das Thema angepackt wird, ist noch nicht bekannt.
Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt insgesamt 104.100 Visa für den Nachzug zu Familienangehörigen nach Deutschland erteilt, also zu Schutzberechtigten und anderen in Deutschland lebenden Ausländern insgesamt. Die meisten Visa - rund 12.600 seien in Pristina (Kosovo) ausgegeben worden. In Beirut sind den Angaben zufolge 6.000 Visa, in Belgrad 5.600 Visa erteilt worden.
Siegen (epd). Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber Hartz IV-Beziehern mit Migrationshintergrund sind einer Umfrage zufolge offenbar stärker als gegenüber deutschen Langzeitarbeitslosen. Bei einer sogenannten Online-Vignettenstudie mit fiktiven Fallbeispielen, an der rund 2.600 Menschen teilnahmen, waren nicht nur fehlende Motivation und das Verpassen von Terminen ausschlaggebend für die Bewertung von Leistungskürzungen, wie die Universität Siegen am 5. Januar zu den Ergebnissen der Untersuchung mitteilte. Auch die vermutete Herkunft spielte eine Rolle. So fielen die fiktiven Sanktionen höher aus, wenn es um Menschen mit ausländischen Namen ging.
Für das Forschungsprojekt hatte das interdisziplinäre Siegener Wissenschaftsteam einen Online-Fragebogen zusammengestellt. Die Teilnehmer sollten fiktive Fälle mit einer für sie angemessenen Sanktionshöhe zwischen 0 und 100 Prozent belegen. Mehr als 77 Prozent der Befragten halten demnach grundsätzlich eine Sanktion für Sozialleistungsbezieher innerhalb der Grundsicherung für angemessen. Dabei würden rund die Hälfte (54 Prozent) maximal 30 Prozent der Bezüge kürzen.
Beispielhafte Leistungsbezieher, die wenig oder keine Motivation bei der eigenständigen Jobsuche zeigen, wurden von den Befragten höher bestraft als solche, die sich aktiv bei Unternehmen bewerben. Wer den ersten und zweiten Termin im Jobcenter nicht einhielt, dem wurde in der Regel zwischen 17 und 29 Prozent monatlich abgezogen. Bei älteren Sozialleistungsbeziehern und solchen, bei denen die Kündigung aufgrund einer Erkrankung erfolgte, wurde dagegen öfter auf Leistungskürzungen verzichtet.
Anders fielen die Kürzungen laut Befragung dagegen aus, wenn die Herkunft ins Spiel kam: So kürzten die Befragten einem fiktiven Herrn Bergmann bei Regelverstößen mit 26 Prozent die Leistungen durchschnittlich weniger stark als einem Herrn Yildirim mit einer Sanktionshöhe von 33 Prozent. In den wenigen Fällen, in denen Befragte die Leistungen von Beziehern komplett streichen wollten, waren die Hartz-IV-Bezieher ebenfalls häufiger Menschen mit ausländischem Namen, wie es hieß.
Der Befund zeige, dass es in der Bevölkerung auch diskriminierende Faktoren gebe, die das Verständnis von Hilfewürdigkeit und folglich auch von Sanktionen in der Grundsicherung beeinflussen, sagte Philipp Linden, Doktorand an der Universität Siegen: „Diese Erkenntnis verdient vor allem Aufmerksamkeit, weil wir zumindest nicht ausschließen können, dass Einstellungen, die Menschen mit Migrationshintergrund qua Status härter sanktionieren, auch unter den Fallmanagerinnen und -managern in Jobcentern zu finden sein können.“
Weitere Forschung solle hier ansetzen, sagte Linden. Er forderte vom Gesetzgeber, bei der geplanten Hartz-IV-Reform veränderte Rahmenbedingungen zu schaffen, „die nicht nur extreme Eingriffe in das Existenzminimum generell verhindern, sondern die auch die Leistungsbezieher vor Diskriminierung schützen: sei es nach Herkunft, Geschlecht oder Alter“.
Hamburg (epd). Der Hamburger Verein „Sterbehilfe Deutschland“ hat im vergangenen Jahr in deutlich mehr Fällen Menschen zum Suizid verholfen als zuvor. Wie die Organisation des früheren Justizsenators Roger Kusch am 3. Januar mitteilte, gab es 2021 insgesamt 129 sogenannte Suizidbegleitungen, also vom Verein organisierte, assistierte Selbsttötungen in Deutschland. Dabei werden Sterbewilligen beispielsweise todbringende Medikamente überlassen. Zu den Toten des vergangenen Jahres gehörten nach Angaben des Vereins in acht Fällen auch gesunde Menschen oder Menschen, deren Krankheit keinen Einfluss auf den Sterbewunsch hatte.
In 114 Fällen seien körperliche Leiden ausschlaggebend gewesen, hieß es. Darunter listet der Verein auch zwei Fälle dementer Menschen auf. In sieben Fällen hätten psychische Gründe zum Sterbewunsch geführt. In ebenfalls sieben Fällen wollten Ehepaare den Angaben zufolge gemeinsam ihr Leben beenden. Juristische Folgen habe es in keinem Fall gegeben, wie der Geschäftsführer Jakub Jaros auf Nachfrage mitteilte.
Der Hamburger Verein ist in Deutschland umstritten. Er leistet Assistenz beim Suizid für zahlende Vereinsmitglieder. 2015 musste der Verein seine Sterbehilfe-Aktivitäten in Deutschland zunächst einstellen, weil ein vom Bundestag verabschiedetes Gesetz die sogenannte geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid verboten hatte. Dieses Gesetz wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar 2020 kassiert. Seitdem ist der Verein, der auch einen Sitz in der Schweiz hat, wieder in Deutschland aktiv.
Ein neues Gesetz zur Regelung der Suizidassistenz als spezieller Form der Sterbehilfe hatte der Bundestag während der zurückliegenden Legislaturperiode nicht mehr auf den Weg gebracht, obwohl verschiedene Vorschläge vorlagen. Sie hatten grundsätzlich alle zum Ziel, Sterbehilfe-Organisationen nicht zur Normalität werden zu lassen, unterschieden sich aber darin, inwieweit andere, etwa Ärzte, Hilfe beim Suizid leisten dürfen. Eine neue Regelung wird nun für diese Wahlperiode erwartet.
Laut Mitteilung von „Sterbehilfe Deutschland“ war das jüngste Mitglied, dessen Suizid im vergangenen Jahr durch den Verein organisiert wurde, 18 Jahre, das älteste 99 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt habe bei 75 Jahren gelegen.
Die Zahl der Fälle war 2021 in der Geschichte des Vereins vergleichsweise hoch. Nach eigenen Angaben begleitete „Sterbehilfe Deutschland“ von Ende Februar 2020 - nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts - bis Jahresende 70 Suizide. Seit der Gründung 2010 bis zum Verbot 2015 gab es nach Angaben des Vereins insgesamt 254 Fälle von Suizidassistenz.
München/Würzburg (epd). Pflegekräfte sind dieser Tage von unschätzbarem Wert. In vielen Heimen und Kliniken herrscht Fachkräftemangel. Auch deswegen boomt die Leiharbeit. „Wir müssen gerade unglaublich viele Mitarbeiter in Kliniken unterbringen“, sagt eine Personaldienstleisterin aus München. Weil es so turbulent zugeht, hat sie auch keine Zeit für die Presse. Inzwischen kann selbst der Bedarf an Leihpflegekräften nicht mehr gedeckt werden, erklärt dazu eine bayerische Heimleiterin.
Immer mehr Pflegekräfte steigen aus, arbeiten stressbedingt in Teilzeit oder sind länger erkrankt. Oft bleibt Einrichtungen nichts anderes übrig, als Ausfälle durch Leiharbeitskräfte aufzufangen. „Auch wir haben immer wieder Zeitarbeitnehmer“, sagt Michael Bauch, Betriebsratsvorsitzender im Klinikum Würzburg Mitte. Das sorge für Spannungen in den Teams, denn häufig suchten sich Leiharbeitskräfte beliebte Schichten aus und verdienten auch mehr.
Wegen solcher vielen Annehmlichkeiten ist die Verlockung groß, in die Leiharbeit zu wechseln. Bei Trägern von Kliniken und Heimen stößt das auf Kritik. Doch die meisten machen notgedrungen mit. „Auch wir müssen teilweise auf Leiharbeit zurückgreifen“, sagt Sonja Schwab, Leiterin der Abteilung „Soziale Dienste“ im Caritasverband für die Diözese Würzburg. Zeitarbeit in der Pflege sei für die Caritas jedoch nur das letzte Mittel der Wahl. Man versuche alles, um ohne auszukommen.
Auch bei der Diakonie ist Leiharbeit nicht der erste Schritt im Kampf gegen die Personalnot. Jochen Keßler-Rosa, Geschäftsführer der Diakonie Schweinfurt, gibt alles, um feste Mitarbeiter zu finden: „Wir haben bisher nur ein einziges Mal auf Zeitarbeit zurückgegriffen.“ Zeitarbeiter verdürben in der Pflege „die Stimmung“ wegen ihrer Privilegien. Je nachdem, wie, wann und wo Leiharbeiter eingesetzt sind, liege der Lohn fast beim Doppelten. Hier werde mit der Not in der Pflege „ein Geschäft“ gemacht.
„Dieses besondere Arbeitsverhältnis hat aber auch psychologische Auswirkungen“, sagt Michael Friedla, Regionalbeauftragter für den Kreis Augsburg der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA). Leiharbeiter könnten sich oftmals besser von ihrer emotional belastenden Arbeit distanzieren als festangestellte Altenpflegerinnen.
Am Thema „Leiharbeit“ zeigten sich grundlegende Probleme des Pflegesektors, sagt Friedla. Die Politik habe es versäumt, die Bedingungen für Pflege so zu verbessern, dass der Beruf für viel mehr Menschen attraktiv ist. Damit meint er nicht nur die Bezahlung: „Vor allem die Arbeitsbedingungen.“ Leiharbeitsfirmen könnten ja nur deshalb höhere Löhne und bessere Konditionen bieten, weil diese händeringend gesucht werden. Daran zeige sich, wie nötig eine „richtige Pflegereform“ wäre.
Dass der Zusammenhalt im Team durch Zeitarbeiter verloren zu gehen droht, bestätigt Friedla. Festangestellte Altenpflegerinnen und Altenpfleger erleben es als Affront, dass Pflegekräfte in der Leiharbeit meist selbst bestimmen können, an welchen Tagen sie arbeiten. Viele könnten sich sogar die Schichten aussuchen: „Zumindest haben sie auch dabei mehr Mitsprache.“ Die Leiharbeitskräfte würden in der Regel auch nicht bei Personalengpässen an freien Tagen zur Arbeit gerufen.
Das letzte Quartal 2021 war in der Pflege besonders stressig. Vor allem in der Intensivmedizin. Gerade hier werfen immer mehr Pflegekräfte hin. Kliniken berichteten von gehäuften Krankmeldungen und sogar Kündigungen, teilte das bayerische Gesundheitsministerium mit. Auch in der Intensivpflege kommen Leiharbeiter zum Einsatz. Die Zahl der Pflege-Leiharbeitsfirmen in Bayern ist nicht bekannt - nur, dass Ende Juni 2020 knapp 4.300 Beschäftigte in Pflegeberufen als Leiharbeiter tätig waren.
Pflegekräfte schaffen dieser Tage nur mit großer Ausdauer das, was ihr Job von ihnen verlangt. Das bekommt Friedla mit: „Viele Pflegekräfte gehen über ihre Belastungsgrenzen hinaus, um Bewohner oder Kollegen nicht hängenzulassen.“ Fallen sie aus und werden an ihrer Stelle Leiharbeitskräfte eingesetzt, gehe dies zulasten der alten Leute: „Sie sind die Leidtragenden, wenn sich durch den Einsatz von bessergestellten externen Pflegekräften das Arbeitsklima verschlechtert.“
In der Pflege geht es - anders als in manch anderen Jobs - nicht nur darum, irgendwie sein Pensum zu erfüllen, sagt Friedla. Er verdeutlicht das an einer Bewohnerin mit empfindlicher Pergamenthaut. Eine Leiharbeiterin, die dies nicht wusste, habe die Patientin mit üblichen Handgriffen mobilisieren wollen. Sie sei auf Abwehr gestoßen und habe dokumentiert, dass die Frau die Mobilisation verweigert habe. Friedla: „Das zeigt, wie der Einsatz von externen Pflegekräften die Qualität von Pflege mindern kann.“
München (epd). Die Schleißheimer Straße Nr. 278 in München: Während die nahe Stadtautobahn Mittlerer Ring mit ihren Verkehrsgeräuschen zu hören ist, gehen in dem einstöckigen Gebäude in der Dämmerung die Lichter an. „Die gute Stube“ ist an der Fassade zu lesen, und „Für Senioren und alle, die es werden wollen“. Drinnen sieht „Die gute Stube“ aus wie ein geräumiges, gemütliches Wohnzimmer. An einem großen Tisch wird Kaffee getrunken, es gibt selbstgebackenen Kuchen. An der Wand flackert ein elektrischer Kamin. „Das hier ist unser Zweitwohnsitz“, sagt Steffi Leitz, „nur ohne Übernachtung.“
Vor drei Jahren hat die 42-Jährige zusammen mit Michael Berndt (47) und zwei weiteren Gründern den Nachbarschaftstreff aus der Taufe gehoben, und jetzt haben sie für ihr Projekt den mit 5.000 Euro dotierten Deutschen Nachbarschaftspreis der Stiftung nebenan.de gewonnen.
Die Jury lobt „Die gute Stube“ als einen „Begegnungsort in der Nachbarschaft, der mit seinen niedrigschwelligen und kreativen Angeboten bereits Hunderte Menschen erreicht hat. Nachbarinnen jeden Alters kommen hier zusammen, um gemeinsam neue und alte Hobbys zu pflegen. “Die Idee dieses Ortes ist einfach wie genial", lobt die Jury den Preisträger.
„Nachbarschaftsinitiativen sind in einer Großstadt wie München sehr wichtig. Sie ermöglichen ein aktives Miteinander und sind damit ein wertvolles Mittel gegen die Anonymität und Vereinsamung“, sagt auch Münchens Sozialreferentin Dorothee Schiwy.
Für Sebastian Gallander, den Geschäftsführer der Stiftung nebenan.de, ist Nachbarschaft „eine Haltung“. Das zeige gerade die Corona-Krise. Sie habe „vielfach auch die beste Seite von uns Menschen zum Vorschein gebracht: Nachbarinnen und Nachbarn, die sich gegenseitig unterstützen“.
Am Kaffeetisch spricht Steffi Leitz darüber, warum sie den Verein ins Leben gerufen hat. Viele Seniorinnen und Senioren seien allein und wünschten sich mehr Kontakt zu anderen Menschen. Für Michael Berndt steht im Vordergrund, wie man sinnvoll seine Freizeit gestalten kann. Wer in einer kleinen Wohnung lebe, habe nicht viele Möglichkeiten, seinen Hobbys nachzugehen.
Das kann man aber an der Schleißheimer Straße 278. Das gesamte Gebäude beherbergte bis 2013 die Schwestern der „Karmelitinnen vom Göttlichen Herzen Jesus Christus“, der Orden verkaufte das Kloster an einen Bauträger. „Die gute Stube“ nutzt nur einen kleinen Teil des weitläufigen Gebäudes. Neben dem zentralen „Wohnzimmer“ mit seinen Bücherregalen und Lehnstühlen gibt es eine Bastelstube, eine Sportstube mit Fitnessgeräten und eine Musikstube mit Schlagzeug und anderen Instrumenten. Im Keller des Gebäudes kann Theater gespielt werden.
Wer kommt hierher in den Nachbarschaftstreff? Angelika B. zum Beispiel. „Hier gefällt es mir“, sagt die 67-Jährige. Sie hat früher als Sekretärin gearbeitet, ist seit zwei Jahren in Rente. „Was macht man den ganzen Tag?“, sagt sie, es gebe zu viel Zeit, die „um die Ecke gebracht“ werden müsse. So kommt sie meist nachmittags hierher, trifft andere Senioren, isst mit ihnen abends zusammen.
Wie lange es den Nachbarschafts- und Seniorentreff „Die gute Stube“ in der Schleißheimer Straße 278 noch geben wird, ist unklar. Der Bauträger plant, auf dem Gelände des ehemaligen Klosters Wohnungen zu errichten, hat bis zum Baubeginn einen Teil des Gebäudes dem Verein überlassen. „Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten zwei oder drei Jahren raus müssen“, gibt Steffi Leitz ihrer Hoffnung Ausdruck. Jedenfalls lässt derzeit der Verein auf eigene Kosten neue Heizkörper einbauen. Richtig warm ist es derzeit nur im Wohnzimmer.
Berlin (epd). Der Caritas-Experte Wolfgang Tyrychter hat sich besorgt über die von März 2022 an geltende Impfpflicht in Krankenhäusern, Pflege- und Behinderteneinrichtungen geäußert. Die Pflege und die Behindertenhilfe seien nach fast zwei Jahren Pandemie sehr belastet, sagte der Vorsitzende der Behindertenhilfe und Psychiatrie des katholischen Wohlfahrtsverbandes dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Und wir sind diejenigen, die jetzt die Impfpflicht in den Einrichtungen durchsetzen sollen.“
Dabei seien noch viele Aspekte unklar, kritisierte Tyrychter, etwa was mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschehe, die sich nicht impfen ließen. „Müssen wir sie abmahnen? Müssen wir ihnen kündigen?“
Der Caritas-Experte befürchtet durch die einrichtungsbezogene Impfpflicht nach eigenen Worten kontroverse Debatten innerhalb der Belegschaft. „Da habe ich Sorge, dass sich manche Teams spalten“, sagte er. Mit Blick auf die Betreuung teils mehrfach behinderter Menschen wäre dies besonders gravierend.
Seit der Entscheidung von Bundestag und Bundesrat vom 10. Dezember für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht sei die Atmosphäre in den Einrichtungen des in Bayern ansässigen Dominikus-Ringeisen-Werks, in dessen Vorstand Tyrychter arbeitet, „merklich kühler“ geworden, sagte er. Der Krankenstand habe deutlich zugenommen: „Die Stimmung ist schlecht.“ Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien körperlich und psychisch am Ende ihrer Kräfte.
Auch die Booster-Impfungen stellten für Menschen mit Mehrfachbehinderungen eine Herausforderung dar, erklärte er. Erneut müssten die Einrichtungen die Einwilligungen von Angehörigen oder den Betroffenen einholen, die Impftermine seien nur sehr schleppend angelaufen. Tyrychter klagte über „Bürokratismus“. Und er hätte sich mehr Unterstützung vom Robert Koch-Institut (RKI) und der Ständigen Impfkommission (Stiko) gewünscht, etwa durch Handreichungen in einfacher Sprache, sagte er.
Zu einem möglichen Einsatz des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Einrichtungen der Behindertenbetreuung äußert sich Tyrychter skeptisch. „Die meisten Soldaten haben keinen Bezug zu geistig behinderten Menschen“, sagte er.
Berlin (epd). Die Bundesvereinigung Lebenshilfe dringt auf eine allgemeine Corona-Impfpflicht. Dies würde den Schutz von Menschen mit Behinderung und deren Versorgung und Betreuung in der Pandemie verbessern, sagte die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Ulla Schmidt, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Eine allgemeine Impfpflicht bedeutet für Behinderte mehr Teilhabe, mehr Bewegungsfreiheit und mehr Lebensqualität bei gutem Infektionsschutz.“
Die frühere SPD-Bundesgesundheitsministerin unterstrich, Solidarität dürfe nicht nur vom Pflege- und Klinikpersonal verlangt werden. Vielmehr müsse die gesamte Gesellschaft sich solidarisch zeigen gegenüber den in der Pandemie besonders Verletzlichen. Dazu zählten auch Menschen mit Behinderungen.
Zugleich appellierte Schmidt an den Bund, die durch die Corona-Pandemie ausgesetzte Rekrutierung von Fachkräften etwa aus Mexiko oder den Balkan-Staaten wieder aufzunehmen. „Der Fachkräftemangel bereitet auch der Behindertenhilfe Sorgen“, sagte sie. Aktuell fielen in den integrativen Einrichtungen viele ausländische Kräfte wegen Reise- oder Rückkehrbeschränkungen aus. „Wir brauchen dringend eine Rekrutierung“, sagte Schmidt.
Die Betreuungskräfte in der Behindertenhilfe stoßen laut Schmidt nach zwei Jahren Pandemie an ihre Grenzen. Für ihr Engagement zolle sie ihnen grenzenlosen Respekt. Eine finanzielle Prämie halten sie für lange überfällig.
Einen möglichen Einsatz des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für Booster-Impfungen bei Menschen mit Behinderungen beurteilte Schmidt grundsätzlich positiv. Allerdings müssten dies Menschen sein, die auf Behinderte zugehen und in einfacher Sprache mit ihnen sprechen könnten. „Wenn beides gegeben ist, könnte es gehen“, sagte Schmidt.
Schmidt, die nicht mehr dem neuen Bundestag angehört, ist sei 2012 Bundesvorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe. Von 2001 bis 2009 war die SPD-Politikerin Bundesgesundheitsministerin.
Berlin (epd). Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP will sich für die Debatte über die mögliche Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht mehr Zeit nehmen. Die stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt und Dirk Wiese, teilten am 6. Januar in Berlin mit, man wolle den Januar dafür nutzen, eine breite gesellschaftliche Debatte zu ermöglichen. Dazu gehört nach ihren Worten neben Gesprächen mit Expertinnen und Experten eine Orientierungsdebatte im Parlament. Ein Abschluss des Gesetzgebungsprozesses werde für das erste Quartal des Jahres, also bis Ende März angestrebt. Für die kommende Woche, in der der Bundestag planmäßig zusammenkommt, steht das Thema nicht auf der Tagesordnung.
„Diese breite Diskussion ist für dieses gesellschaftlich sensible Thema wichtig und notwendig. Daher werden wir uns ausreichend Zeit dafür nehmen“, erklärten die Gesundheitspolitiker. Orientierungsdebatten hatte der Bundestag in der vergangenen Wahlperiode über die Themen Organspende und Sterbehilfe abgehalten. Zu solch einer Debatte liegen in der Regel noch keine konkreten Gesetzesentwürfe vor, über die abgestimmt werden soll. Sie soll dem offenen Meinungsaustausch über Fraktionsgrenzen hinweg dienen.
Der Bundestag hatte im vergangenen Jahr bereits eine Impfpflicht für das Personal von Einrichtungen beschlossen, in denen besonders durch Covid-19 gefährdete Menschen versorgt, behandelt oder betreut werden. Sie gilt ab Mitte März. Darüber hinaus wird auch über eine allgemeine Corona-Impfpflicht für die ganze oder zumindest Teile der Bevölkerung diskutiert. Dazu soll es Anträge im Bundestag geben, über die die Angeordneten dann jeweils nach Überzeugung und nicht nach Parteidisziplin abstimmen sollen. Bislang gibt es nur aus den Reihen der FDP einen konkreten Entwurf, der die allgemeine Impfpflicht ablehnt.
Eine allgemeine Impfpflicht sei das falsche Instrument für das Anliegen, sagte die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg, die diesen Antrag unterstützt, am 6. Januar. Bei einer allgemeinen Impfpflicht sehe sie verfassungsrechtliche und praktische Probleme. Dazu zähle etwa die Frage, wie oft die Impfpflicht greifen soll.
Auch in der Union wachsen die Zweifel. Die Frage sei, ab wann sie gelten soll, ab welchem Alter, wie sie sanktioniert werde und für wie viele Impfungen sie gelte, sagte der Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Ralph Brinkhaus (CDU). Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der als einer der Ersten eine Impfpflicht gefordert hatte, scheint nicht mehr restlos überzeugt: „Ich gebe zu, ich bin auch etwas verunsichert“, sagte er.
Die Unionspolitiker kritisieren zudem die Absprache in der Ampel-Koalition, eine Impfpflicht über Gruppenanträge im Bundestag zu debattieren und die Abstimmung freizugeben, wie es bei medizinethischen Themen üblich ist. Söder und Brinkhaus fordern einen Entwurf der Bundesregierung. „Die Regierung muss einen Vorschlag machen, wann, für wen, welche Gruppen und wie eine solche Impfpflicht umgesetzt werden soll“, sagte Söder. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sei gefordert, sagte Brinkhaus. Er könne das nicht „ans Parlament delegieren“.
Hannover (epd). Der niedersächsische Diakonie-Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke hält eine groß angelegte Kampagne für nötig, um junge Menschen für soziale Berufe zu gewinnen. Nicht nur in der Pflege, sondern beispielsweise auch in Kindertagesstätten sei der Personalmangel groß, sagte der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir müssen deutlich machen, was diese Berufe attraktiv macht.“ Dies gehe am besten, wenn junge Pflege- und Kita-Kräfte selbst für den Beruf werben, den viele von ihnen als sehr sinnstiftend empfänden.
Den von der neuen Bundesregierung geplanten erneuten Einmalbonus für Pflegekräfte, die in der Corona-Pandemie besonders beansprucht sind, hält Lenke dagegen nicht für zielführend. Es stelle sich dabei zudem wieder die Frage, wer dieses Geld eigentlich erhalten solle, sagte er. „Ich habe bis heute nicht verstanden, warum beim ersten Bonus die Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen nicht berücksichtig wurden, bei ähnlichen Arbeitsbedingungen wie in der Pflege.“
Lenke begrüßte, dass die neue Bundesregierung sich zum Ziel gesetzt hat, die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern. Dabei könne es nicht allein um Geld gehen, auch wenn ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag zwingend notwendig sei, sagte er. „Nötig sind Rahmenbedingungen wie verlässliche Dienstpläne und eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es braucht mehr Menschen in diesem Bereich!“ Insgesamt verdiene der Pflegeberuf zudem eine größere gesellschaftliche Anerkennung. So sei in Deutschland zum Beispiel in Kliniken die Arbeitseinteilung zwischen Ärztinnen und Ärzten und den Pflegekräften noch stark hierarchisch organisiert. „In anderen Ländern gibt es dagegen multiprofessionelle Behandlungsteams aus Pflege, Medizin und Physiotherapie.“
Vorschläge aus dem Koalitionsvertrag wie eine Steuerbefreiung von Zuschlägen für Pflegekräfte oder die Abschaffung geteilter Dienste und die Einführung trägereigener Springerpools hält Lenke grundsätzlich für richtig. Am vordringlichsten sei aber auch dafür die Fachkräftegewinnung. In den Kindertagesstätten besetzten eigentlich als Springer eingestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mittlerweile bereits vielfach reguläre Stellen, so dass sie letztlich bei Bedarf nicht mehr einspringen könnten. „Man muss das gut steuern bei einem weitgehend leer gefegtem Markt an Fachkräften“, sagte Lenke.
Stuttgart (epd). Die Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, Annette Noller, hat angesichts steigender Energiepreise angepasste Hartz-IV-Regelsätze und Wohngeldansprüche gefordert. Sie appellierte am 21. Dezember an Verantwortliche in Politik und Behörden, dafür zu sorgen, dass kein Mensch frieren, seine Ernährung reduzieren oder sich bei anderen wichtigen Anschaffungen einschränken müsse. Das sei eine Frage von Grundwerten und Grundrechten.
Die Diakonie Württemberg formulierte fünf Forderungen an die Politik, weil besonders bei den Kosten für Heizung und Strom im kommenden Jahr bis zu 25 Prozent Mehrkosten zu erwarten seien. Schon jetzt seien diese Kosten nicht ausreichend in den Regelsätzen der Hartz-IV-Leistungen berücksichtigt, sagte Noller.
Es brauche einen Energiezuschlag beim Wohngeld für Strom, Wasser und Heizung. Die Energiekostenentwicklung müsse generell bei den Regelsätzen der sozialen Hilfe berücksichtigt werden. Weiter brauche es eine kostenfreie Energieberatung für Haushalte, um Effizienzpotenziale zu schöpfen. Zum Schutz vor Strom- und Gassperren müssten beispielsweise Prepaid-Zähler angeboten werden, und Energieanbieter sollten Kooperationen schließen mit Hilfeorganisationen wie etwa Schuldnerberatungsstellen, sagte die Diakoniechefin.
Vechta (epd). Ehrenamtliche Tätigkeiten steigern einer aktuelle Studie zufolge das Wohlbefinden der Engagierten nicht unbedingt. Wer sich ehrenamtlich engagiere, sollte deshalb entgegen landläufiger Annahmen nicht erwarten, dass dies glücklicher macht, heißt es in der am 29. Dezember veröffentlichten Untersuchung unter Mitwirkung der Universität Vechta.
Der Forscher und die Forscherinnen aus Vechta und Bochum analysierten bestehende Datensätze aus repräsentativen Bevölkerungsbefragungen in Deutschland und Großbritannien. Professorin Maria K. Pavlova und der wissenschaftliche Mitarbeiter Matthias Lühr von der Uni Vechta sowie die Bochumer Professorin Maike Luhmann untersuchten dabei Angaben von 17.720 deutschen und 18.550 britischen Befragten zur Häufigkeit ehrenamtlicher Tätigkeit und zu Faktoren wie der Lebenszufriedenheit.
Zwar hätten demnach ältere Erwachsene in beiden Ländern von einem nichtpolitischen Engagement - etwa in Kirchen - offenbar profitiert, da ihre Lebenszufriedenheit in den Jahren mit mehr Engagement erhöht war. Dieser Unterschied sei aber geringfügig gewesen, zeigt die Studie. Andere Freizeitaktivitäten wie Geselligkeit mit Freunden und Bekannten hätten teilweise größere Zusammenhänge mit dem Wohlbefinden gezeigt, auch im Alter.
Die Annahme, dass ehrenamtliches Engagement zu einer Verbesserung des Wohlbefindens beiträgt, werde durch die Befunde entkräftet, hieß es. Gleichwohl sei der eigentliche Sinn des Ehrenamtes nach wie vor gegeben: Ehrenamtliche Tätigkeiten seien freiwillige Beiträge zum Gemeinwohl und hätten nur wenig mit Eigennutz zu tun. Erschienen sind die Studien in den Zeitschriften „Journal of Happiness Studies“ und „Social Indicators Research“.
Berlin (epd). Rund die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland macht einer Studie des Sinus-Instituts zufolge Erfahrungen mit Mobbing im Internet. 51 Prozent der jungen Leute im Alter zwischen 14 und 17 Jahren haben als Täter, Opfer oder Beobachter auf gängigen Social-Media-Kanälen Beleidigungen erlebt, wie die Krankenkasse Barmer am 30. Dezember in Berlin berichtete.
Für die Sinus-Jugendstudie 2021 wurden im Auftrag der Barmer 2.000 Jugendliche befragt. Dabei berichteten 14 Prozent der Befragten, direkt von Cybermobbing betroffen gewesen zu sein. Fünf Prozent gestanden ein, selbst gemobbt zu haben. Am häufigsten bejahten die Teenager, bei Anderen Mobbingattacken beobachtet zu haben (43 Prozent).
„Cybermobbing ist im Leben der Jugendlichen nach wie vor inakzeptabel weit verbreitet“, beklagte der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub. Prävention müsse intensiviert werden. Betroffene bräuchten leichten Zugang zu Hilfe und vor allem Anlaufstellen, denen sie vertrauen können: „Denn allein sind Mobbingattacken nur schwer zu bestehen.“
Cybermobbing gibt es laut der Sinus-Jugendstudie auf allen gängigen Social-Media-Kanälen. Am häufigsten erlebt wird es demnach auf WhatsApp (59 Prozent), gefolgt von Instagram (41 Prozent) und TikTok (26 Prozent, Mehrfachnennungen möglich). Am häufigsten gemobbt werde durch Beleidigungen (72 Prozent) oder indem Gerüchte in die Welt gesetzt werden (56 Prozent).
Potsdam (epd). Die wegen Mordes an vier schwerstbehinderten Menschen im evangelischen Oberlinhaus verurteilte ehemalige Pflegekraft des Sozialunternehmens will das Urteil offenbar akzeptieren. „Wir gehen nicht in Revision“, sagte Rechtsanwalt Henry Timm dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 28. Dezember in Potsdam. Seine Mandantin wolle den Angehörigen eine Wiederholung der Gerichtsverhandlung nicht zumuten. Das Landgericht Potsdam hatte die 52-Jährige am 22. Dezember zu 15 Jahren Haft verurteilt und ihre Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet. Das Gericht sah wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit aufgrund einer schweren Persönlichkeitsstörung von lebenslanger Haft ab und verhängte die in diesem Fall mögliche Höchststrafe.
Die Gewalttaten in einer Potsdamer Wohneinrichtung für behinderte Menschen am 28. April hatten bundesweit Entsetzen ausgelöst. Eine Frau überlebte den Amoklauf schwer verletzt. Die zwei Frauen und zwei Männer, die den Angriff nicht überlebten, waren zwischen 31 und 56 Jahren alt. Das Landgericht verurteilte die Täterin wegen Mordes, versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen.
Mit ihrer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus gehe eine erhebliche Beeinträchtigung der Impulskontrolle und der Fähigkeit zur Steuerung vor allem von negativen Affekten einher, hieß es in der Urteilsbegründung. Mit dem Strafmaß folgte das Gericht weitgehend den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Auch der Verteidiger hatte eine Unterbringung seiner Mandantin in der Psychiatrie beantragt.
Az.: 21 Ks 6/21
Bonn (epd). Katholische Arbeitgeber dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zukunft nur noch für höchstens 14 Monate ohne sachlichen Grund befristet einstellen. Dies hat der Kirchliche Arbeitsgerichtshof in einem noch nicht veröffentlichten, aber epd sozial vorliegenden Urteil vom 26. November klargestellt. Die Bonner Richter entschieden, dass die Kommission zur Ordnung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse auf Bundesebene (Zentral-KODA) und der bei Streitigkeiten angerufene Vermittlungsausschuss für solche „kirchenspezifischen Regelungen“ der sachgrundlosen Befristung von katholischen Arbeitsverhältnissen auch zuständig ist.
Der Gesetzgeber hatte ab Mai 1985 Arbeitgebern die Möglichkeit gegeben, Beschäftigte befristet ohne sachlichen Grund einzustellen. So sollten Arbeitslose schneller in Lohn und Brot kommen. Derzeit darf nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz solch ein befristetes Arbeitsverhältnisses bis zu dreimal verlängert werden, solange insgesamt eine Dauer von zwei Jahren nicht überschritten wird. Tarifliche Regelungen können davon abweichen.
Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben in ihrem eigenen kirchlichen Arbeitsrecht die Zweijahresdauer für sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse übernommen. „Im Grunde handelt es sich dabei um eine verlängerte Probezeit“, sagt Olaf Wittemann, Mitglied der Sprechergruppe der Dienstnehmervertreter in der Zentral-KODA.
Bei mittlerweile geringer Arbeitslosigkeit gebe es aber keinen Grund mehr für befristete Arbeitsverhältnisse ohne sachlichen Grund. Kirchliche Arbeitgeber wollten darauf jedoch nicht verzichten, sagte Wittemann im Gespräch mit epd sozial. So könnten sie etwa lange prüfen, ob ein Stellenbewerber wirklich „in den Laden passt“. Da nach der geltenden Rechtsprechung Stellenbewerber regelmäßig nicht mehr nach der Religionszugehörigkeit gefragt werden dürfen, werde von Arbeitgeberseite erst recht eine lange Befristung befürwortet.
Im konkreten Rechtsstreit wollte die Zentral-KODA die sachgrundlose Befristung in katholischen Arbeitsverhältnissen ganz kippen. Diese sei mit den Prinzipien der katholischen Soziallehre und dem darin enthaltenen Solidaritätsgedanken nicht vereinbar. Der Antrag, die sachgrundlose Befristung gar nicht mehr anzuwenden, wurde von den Arbeitgebervertretern abgelehnt. Der Vermittlungsausschuss wurde daraufhin angerufen.
Dieser beschloss Ende 2019 einstimmig einen Kompromiss. Danach sollte es zwar für sämtliche katholischen Arbeitsverhältnisse weiterhin die Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung geben. Allerdings durfte solch eine Befristung dann nur noch insgesamt höchstens 14 Monate betragen.
Die Arbeitgeberseite führte beim Kirchlichen Arbeitsgerichtshof nun an, dass die Zentral-KODA gar nicht über die kirchlichen sachgrundlosen Befristungen entscheiden darf. Denn diese sei nur für „kirchenspezifische Regelungen“ zuständig. Regelungen über die Beschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse ohne sachlichen Grund und ein Abweichen von der gesetzlichen Zweijahresdauer zählten aber nicht dazu. Damit sei auch der Vermittlerspruch unzulässig.
Dem widersprach jedoch der Kirchliche Arbeitsgerichtshof. Es könne „aus kirchenspezifischen Gründen sehr wohl geboten sein“, die sachgrundlose Befristung zu verringern oder zu beseitigen, heißt es in dem Urteil. Es handele sich hier um „kirchenspezifische Regelungen“.
Die Bonner Richter verwiesen auf das Leitbild der Dienstgemeinschaft und auf die katholische Soziallehre. Danach müsse die Zentral-KODA auch die kirchlichen Arbeits- und Lohnverhältnisse und den darin enthaltenen Arbeitnehmerschutz beachten und mit den „Erfordernissen, die durch die kirchlichen Aufgaben und Ziele gegeben sind“, abwägen. Dazu gehöre etwa die Berücksichtigung der Arbeitsmarktsituation und ob mit der Einschränkung der Befristungsmöglichkeit bei katholischen Arbeitgebern weltliche Organisationen und ihre Einrichtungen einen Wettbewerbsvorteil haben.
Letztlich ergibt sich daraus, dass die Zentral-KODA und damit auch der Vermittlungsausschuss befristete kirchliche Arbeitsverhältnisse regeln darf. Der Vermittlungsspruch sei damit gültig.
Ab 1. März dürfen neue katholische Arbeitsverhältnisse nur für höchstens 14 Monate ohne sachlichen Grund befristet werden. „Für bestehende Arbeitsverhältnisse gilt die bislang übliche Befristungshöchstdauer von zwei Jahren aber noch weiter, erläuterte Wittemann. “Freuen würde es mich, wenn auch die Freien Wohlfahrtsverbände und die evangelische Kirche sich des Themas annehmen", sagte Wittemann.
Az.: K 06/2021
Karlsruhe/Berlin (epd). Menschen mit Behinderung müssen bei einer Knappheit an Betten und Personal auf Intensivstationen besonders geschützt werden. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat den Gesetzgeber am 28. Dezember beauftragt, „unverzüglich“ Vorkehrungen für eine sogenannte Triage zu treffen, damit sie bei einer Auswahl von Patienten nicht benachteiligt werden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach von einer „Handlungspflicht“ und kündigte an, „zügig“ einen Gesetzentwurf vorzulegen.
„Der Gesetzgeber darf es nicht mehr den medizinischen Fachgesellschaften überlassen, Leitlinien für den Fall einer Triage aufzustellen“, erklärte der Minister. Nun würden „die verschiedenen gesetzgeberischen Optionen schnell und sorgfältig“ analysiert und zügig dem Bundestag ein Gesetzentwurf vorgelegt. Dabei seien rein prozedurale Regelungen ebenso denkbar wie konkrete substanzielle Vorgaben.
Zugleich werde sich die Regierung weiterhin als erstes Ziel darum bemühen, dass es gar nicht erst zu einer Triage-Situation komme, versicherte er. „Eine deutschlandweite Überlastung der intensiv-medizinischen Behandlungskapazitäten konnte bislang vermieden werden; diesem Ziel gelten auch weiterhin all unsere Anstrengungen.“
Das Verfassungsgericht stellte in seiner Grundsatzentscheidung klar, dass der Staat „wirksame Vorkehrungen“ treffen müsse, damit eine Diskriminierung behinderter Menschen bei der Verteilung „pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen“ verhindert wird. Der Gesetzgeber habe solche Vorkehrungen bislang nicht getroffen.
Anlass des Rechtsstreits waren die zu Beginn der Corona-Pandemie im April 2020 veröffentlichten „klinisch-ethischen Empfehlungen“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Der Zusammenschluss medizinischer Fachgesellschaften will mit seinen Leitlinien Ärzten Hilfestellung geben, nach welchen Kriterien sie Patienten für eine intensivmedizinische Behandlung bei zu wenig Klinikbetten auswählen können. Neun Beschwerdeführer mit einer Behinderung rügten vor Gericht, dass die Divi-Empfehlungen sie diskriminierten.
Für den Deutschen Caritasverband ist die Entscheidung des Gerichts „eine große Beruhigung“. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sagte, der Gesetzgeber müsse nun schnell handeln. Dem Bundesverband evangelische Behindertenhilfe ist „die Klarstellung des Bundesverfassungsgerichts wichtig, dass bei allen Menschen allein auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit abgestellt werden darf“.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) begrüßte die Entscheidung ebenfalls. „Menschen mit Behinderung bedürfen mehr als alle anderen des Schutzes durch den Staat.“
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber einen „Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum“, wie er behinderte und chronisch kranke Menschen im Fall einer Triage schützt. Es müsse sichergestellt sein, „dass nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit entschieden wird“, betonten die Verfassungsrichter. Dabei habe der Gesetzgeber zu berücksichtigen, dass das ärztliche Personal für die Beurteilung medizinischer Sachverhalte im jeweiligen Einzelfall die letzte Verantwortung trägt.
Az.: 1 BvR 1541/20
Karlsruhe (epd). Das Bundesverfassungsgericht hat einem ehemaligen DDR-Heimkind im Streit um dessen Rehabilitierung recht gegeben. Der Prozess müsse vom Landgericht Schwerin neu aufgerollt werden, teilte das Bundesverfassungsgericht am 29. Dezember in Karlsruhe mit. Der damals jugendliche Beschwerdeführer war nach dem DDR-Fluchtversuch seiner Mutter 14 Monate lang in einem Heim untergebracht worden. Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur begrüßte den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.
Eine Rehabilitierung des Mannes hatten sowohl das Landgericht Schwerin als auch das Oberlandesgericht Rostock abgelehnt. Die Gerichte hätten ihre Pflicht, den Sachverhalt aufzuklären, grob verkannt, erklärte dazu das Bundesverfassungsgericht. Der Beschluss des Oberlandesgerichts sei willkürlich gewesen.
Im Oktober 1977 war der damals 13-Jährige mit seiner Mutter aus der DDR in die Tschechoslowakei gereist, um von dort nach Westdeutschland zu gelangen. Beide wurden von tschechoslowakischen Sicherheitskräften verhaftet. Der Junge wurde von seiner Mutter getrennt und in ein DDR-Kinderheim gebracht. Die Mutter wurde nach einer Untersuchungshaft im Januar 1978 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und fünf Monate später in die Bundesrepublik ausgesiedelt. Erst im Dezember 1978 konnte die Mutter ihren Jungen aus dem Heim holen und mit ihm ausreisen.
Den Antrag des Beschwerdeführers, ihn wegen der Heimunterbringung nach dem entsprechenden Gesetz zu rehabilitieren, hatte das Landgericht Schwerin im September 2015 als unbegründet zurückgewiesen. Die eingelegte Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht im Jahr 2016. Die Beschlüsse beruhten auf einer unzureichenden Aufklärung des Sachverhalts, urteilte jetzt das Bundesverfassungsgericht.
Eine Heimeinweisung sei insbesondere dann rechtsstaatswidrig gewesen, wenn die Eltern eines Kindes aus politischen Gründen in Haft gewesen seien, erklärte das Bundesverfassungsgericht. Dies gelte ebenfalls, wenn seinerzeit aufnahmebereite Menschen von den DDR-Behörden übergangen worden seien. Eine solche Aufnahme hatten der Halbbruder des Jungen, der bereits in der Bundesrepublik lebte, und die Großeltern angeboten.
Das Oberlandesgericht habe „organisatorisch-bürokratische Hemmnisse“ für die Heimunterbringung angeführt, ohne dies tragfähig begründen zu können, monierten die Karlsruher Richter. Es dränge sich der Schluss auf, dass die Entscheidung „auf sachfremden Erwägungen beruht“.
Az.: 2 BvR 1985/16
Karlsruhe (epd). Das Ärztebewertungsportal Jameda darf im Internet alle Ärzte und Zahnärzte aufführen und auch von Patientinnen und Patienten bewerten lassen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 23. Dezember schriftlich veröffentlichten Urteil bekräftigt und die Forderung eines Zahnarzt-Ehepaares nach Löschung der Daten aus der Jameda- Datenbank abgelehnt.
Das Portal besuchen monatlich mindestens sechs Millionen Nutzer. Dort können Patientinnen und Patienten nicht nur Adressen und Öffnungszeiten von Arzt- und Zahnarztpraxen in ihrer Nähe abrufen, sondern auch selbst die Mediziner bewerten. Eine Gesamtnote soll über die Qualität der Ärztinnen und Ärzte Aufschluss geben, was für sie auch einen Werbeeffekt haben kann.
Damit Ärzte auf dem Portal besser präsentiert werden, bietet Jameda den Ärzten ein „Gold“- oder „Platin“-Paket zum monatlichen Preis von 69 und 139 Euro an. Das beinhaltet etwa eine Verlinkung zur eigenen Praxis-Homepage oder ein ausführliches Arzt-Profil mitsamt Foto.
Das klagende Zahnarzt-Ehepaar wollte nicht auf in dem Portal gelistet werden. Als nichtzahlende „Basis“-Kunden würden sie gegenüber den zahlenden Zahnärzten benachteiligt. Jameda dürfe ihre personenbezogenen Daten nicht nutzen, lautete die Begründung.
Vor dem BGH ging es nun um den Anspruch auf Löschung aus der Datenbank. Doch die Karlsruher Richter entschieden, dass Jameda die Daten des Zahnarztpaares verarbeiten und in ihrem Portal einstellen darf. Ein Unterlassungsanspruch bestehe nicht. Denn Jameda könne sich auf die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die unternehmerische Freiheit berufen. Es gebe ein „berechtigtes Interesse“, dass Jameda als „neutrale Informationsmittlerin“ für die Portal-Nutzerinnen und -Nutzer ihren Dienst anbietet. Daher bestehe auch kein „strenges Gebot zur Gleichbehandlung zahlender und nichtzahlender Ärzte“, urteilte der BGH.
Bereits am 23. September 2014 hatte der BGH ähnlich entschieden (AZ: VI ZR 358/13). Ärzte müssten Beurteilungen im Internet hinnehmen und könnten sich nicht austragen lassen.
Az.: VI ZR 488/19 und VI ZR 489/19
Köln (epd). Die fristlose Kündigung einer Mitarbeiterin einer evangelischen Kirchengemeinde wegen der unbefugten Weitergabe von Daten ist rechtens. Das Landesarbeitsgericht Köln hob ein anderslautendes Urteil des Arbeitsgerichts Aachen auf und gab der Kirchengemeinde bezüglich der Kündigung recht. Das Landesarbeitsgericht sprach am 3. Januar von einem unwiederbringlich zerstörten Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiterin und Arbeitgeberin. Die Schwere der Pflichtverletzung überwiege die von der Beschäftigten vorgetragenen Beweggründe, jemanden schützen und Beweise sichern zu wollen. Eine Revision wurde nicht zugelassen.
Die seit 23 Jahren bei der Gemeinde beschäftigte Verwaltungsmitarbeiterin, die bei ihren Buchhaltungsaufgaben auch Zugriff auf den PC und das E-Mail-Konto des Pastors hatte, hatte laut Gericht unbefugt eine an ihren Vorgesetzten gerichtete E-Mail gelesen. Von dem Anhang der offensichtlich privaten E-Mail fertigte sie eine Kopie und gab sie weiter.
Die Frau rechtfertigte ihr Vorgehen damit, dass eine an den Pastor gerichtete Mail auf ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren hingewiesen habe. Dabei ging es um den Verdacht sexueller Übergriffe auf eine im Kirchenasyl der Gemeinde lebenden Frau. Im E-Mail-Konto fand die Gemeindemitarbeiterin als Anhang einer privaten E-Mail einen Chatverlauf zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau. Diesen Chatverlauf kopierte die Mitarbeiterin auf einen USB-Stick und leitete ihn eine Woche später anonym an eine Ehrenamtliche der Gemeinde weiter. Mit diesem Vorgehen habe sie die im Kirchenasyl lebende Frau schützen und Beweise sichern wollen, hatte die Mitarbeiterin erklärt. Nach Bekanntwerden der Vorkommnisse kündigte die Kirchengemeinde das Arbeitsverhältnis fristlos.
Erstinstanzlich hatte die Gemeindemitarbeiterin mit ihrer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Aachen Erfolg. Das Gericht erkannte in ihrem Verhalten zwar einen an sich wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung, hielt diese jedoch aufgrund des langen und bisher unbelastet verlaufenen Arbeitsverhältnisses und mangels Wiederholungsgefahr für unverhältnismäßig. Gegen dieses Urteil legte die Kirchengemeinde Berufung ein.
Im Gegensatz zur Vorinstanz sieht das Landesarbeitsgericht Köln das Vertrauensverhältnis als unwiederbringlich zerstört an. In der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten liege, auch wegen der damit einhergehenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten, ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht vor, erklärte das Gericht. Zudem habe die Mitarbeiterin mit ihrer Vorgehensweise keines der angegebenen Ziele, etwa den Schutz der Frau im Kirchenasyl, erreichen können.
Az.: 4 Sa 290/21
Celle (epd). Die gesetzlichen Krankenkassen müssen laut einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen nicht für Nahrungsergänzungsmittel zahlen. Diese seien keine Arzneimittel im Rechtssinn, heißt es in einer am 3. Januar bekanntgemachten Entscheidung des Gerichts in Celle.
Geklagt hatte eine 50-jährige Frau aus dem Landkreis Osnabrück, die an einer Intoleranz gegenüber Histamin in Lebensmitteln litt. Bei ihrer Krankenkasse beantragte sie die Kostenübernahme für Daosin-Kapseln. Sie führte dazu aus, dass sie ohne das Präparat fast keine Nahrung vertragen könne. Sie bekomme beim Essen schlimme Vergiftungen wie Herzrasen, Übelkeit, Schmerzen und Schwitzen. Diese Symptome ließen sich nur mit Daosin eingrenzen, da ihr ein wichtiges Enzym zum Histaminabbau fehle.
Die Krankenkasse lehnte eine Kostenübernahme ab, da es sich bei dem Präparat um ein Nahrungsergänzungsmittel handele. Dem hielt die Frau nach Gerichtsangaben entgegen, dass ihr individueller Gesundheitszustand berücksichtigt werden müsse. Sie sei medizinisch unzureichend versorgt und könne sich ohne Daosin nicht ausreichend ernähren.
Das Landessozialgericht dagegen bestätigte die Auffassung der Krankenkasse. Laut Arzneimittelrichtlinien seien Nahrungsergänzungsmittel generell von den Kassenleistungen ausgeschlossen, wobei gerade keine individuelle Einzelfallprüfung vorgesehen sei, begründete es die Entscheidung. Auch wenn ein Nahrungsergänzungsmittel teuer sei und es einen persönlichen Bedarf gebe, werde es nicht zum Arzneimittel.
Az.: L 16 KR 113/21
Koblenz (epd). Wenn eine Schülerin mit einer Mitschülerin in einem Klassenraum sitzt, die mit Omikron infiziert ist, ist laut Verwaltungsgericht Koblenz für die Quarantäneanordnung der Abstand zwischen den beiden unwichtig. Das Infektionsrisiko in Schulräumen hänge nach Bewertungen des Robert Koch-Instituts nicht nur vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und dem Lüften ab, teilte das Gericht am 5. Januar mit. Auch die Symptomatik der infizierten Person, die Belegungsdichte sowie Art und Lautstärke des Sprechens im Unterricht seien von Bedeutung. „Diese Risikofaktoren ließen sich nicht sämtlich ausschließen.“
Im konkreten Fall besucht die Antragstellerin ein Gymnasium. Am vorletzten Schultag vor den Weihnachtsferien nahm den Angaben zufolge eine Mitschülerin der Parallelklasse am Religionsunterricht teil, die mit der Omikron-Variante infiziert war. Daraufhin wurde eine bis einschließlich 5. Januar dauernde häusliche Quarantäne angeordnet. Hiergegen wendete sich die Schülerin mit einem Eilantrag: Sie habe im Unterricht nicht in der Nähe der infizierten Mitschülerin gesessen und stets eine FFP2-Maske getragen. Zudem habe ein PCR-Test vom 29. Dezember keinen Befund ergeben.
Der Antrag blieb ohne Erfolg. Die Absonderungsverfügung sei rechtmäßig, urteilten die Richter. Bei Schülerinnen und Schülern einer achten Klasse sei es naheliegend, dass es zu engerem Kontakt und damit zu Ansteckungsrisiken komme, wenn sie den Klassenraum betreten und verlassen. Auch der PCR-Test ändere nichts. Denn die 14 Tage dauernde Inkubationszeit sei nach dem letzten Kontakt mit der Mitschülerin am 22. Dezember erst am 5. Januar abgelaufen. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Schülerin als „ansteckungsverdächtige Person“ bis dahin in häuslicher Quarantäne sei. Gegen die Entscheidung ist Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz möglich.
Az.: 3 L 1/22.KO
Stuttgart (epd). Der Leiter der Abteilung Bildungspartnerschaft bei der Stadt Stuttgart, Kornelius Knapp, ist in das Amt des Vorstands Sozialpolitik des Diakonischen Werks Württemberg gewählt worden. Knapp folgt Kirchenrätin Eva-Maria Armbruster, die in den Ruhestand geht.
Kornelius Knapp ist seit 2016 Abteilungsleiter bei der Stadt Stuttgart, zuvor war er sieben Jahre lang bei der Diakonie Württemberg als Referent für Personalentwicklung und Leiter von Projekten. Knapp tritt sein neues Amt zum 1. April an. Er wird für die Bereiche Alter und Pflege, Kinder, Jugend und Familie, Behindertenhilfe und Psychiatrie sowie Freiwilliges Engagement zuständig sein. Dem dreiköpfigen Vorstand gehören außerdem die Vorstandsvorsitzende Oberkirchenrätin Annette Noller und Finanzvorstand Robert Bachert an.
„Wichtiges Anliegen ist mir, die Diakonie als Teil der Kirche in der Gesellschaft sichtbar zu machen und die fachliche Weiterentwicklung zu unterstützen“, so Knapp. Es gelte, die Weichen für gute Pflege zu stellen, die Freie Wohlfahrtspflege gegen Tendenzen der Vermarktlichung zu stärken und die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes zum Nutzen von Betroffenen und Anbietern zu begleiten. Auch die Fachkräftegewinnung und die Digitalisierung in der Sozialwirtschaft seien für ihn wichtige Themen.
Kornelius Knapp studierte Erziehungswissenschaften und Philosophie, worin er auch promovierte. Außerdem ist er ausgebildeter Coach und Lehrbeauftragter an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Daneben engagiert er sich ehrenamtlich in kirchlichen und diakonischen Gremien.
Verena Bikas ist seit 1. Januar neue Vorständin für den Bereich Bildung bei dem Sozialunternehmen Diakoneo. Die 35-jährige wird Nachfolgerin von Bernhard Petry, der das Unternehmen nach einem Jahr wieder verlassen hatte. Diakoneo ist 2019 aus der Fusion der Diakonie Neuendettelsau und dem Diakoniewerk Schwäbisch Hall entstanden. Bikas war zuletzt Referentin für generalistische Pflegeausbildung im bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege.
Margot Käßmann hat ihr Ehrenamt als Mitherausgeberin des niedersächsischen Straßenmagazins „Asphalt“ zum Jahreswechsel abgegeben. Die frühere EKD-Ratsvorsitzende habe sich drei Jahre lang intensiv um die Belange des Magazins gekümmert, sagte Projektreferent Heiko Deppe vom Diakonischen Werk Hannover. „Sie hatte immer einen wertschätzenden und respektvollen Blick auf die Leistung unserer Verkäuferinnen und Verkäufer.“ Die Diakonie ist Hauptgesellschafterin der Zeitschrift. Nachfolgerin Käßmanns wird die frühere Leiterin der Madsack-Wochenblätter, Heike Schmidt. „Asphalt“ wird von Menschen in prekären Lebenssituationen verkauft. Das 1994 gegründete Magazin erscheint mit einer monatlichen Auflage von rund 26.500 Exemplaren.
Karl Weber ist seit 1. Januar neues Vorstandsmitglied des Caritasverbandes der Diözese Limburg. Zusammen mit dem Vorstandsmitglied Jörg Klärner bildet er nun die Doppelspitze des katholischen Wohlfahrtsverbandes. „Das lange Warten hat sich gelohnt,“ sagte Klärner, der nun nach mehr als einem Jahr nach der Satzungsänderung, die zwei hauptamtliche Vorstände vorsieht, einen zweiten Vorstand in der Geschäftsstelle in Limburg willkommen heißen konnte. Die vergangenen fünf Jahre war Weber in Bonn Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Katholisch-Sozialer Bildungswerke (AKSB), des bundesweit tätigen Fachverbandes der politischen Bildung der katholischen Kirche. Zuvor war er zwölf Jahre beim Hilfswerk Misereor in der Stabsstelle des Vorstands und als Büroleiter des Hauptgeschäftsführers tätig. Eine weitere berufliche Station war der Bundesverband der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ), bei dem er die theologische Geschäftsführung innehatte.
Christian Woltering ist seit Jahresanfang Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW. Der Landesgeschäftsführer des Paritätischen übernahm das Amt turnusgemäß von Johannes Hensel vom Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln. Der Diplom-Sozialwirt ist seit 2017 Landesgeschäftsführer des Paritätischen NRW. Zuvor arbeitete er beim Göttinger Institut für Demokratieforschung und dem Paritätischen Gesamtverband.
Marco Brunotte (44), Vorstandsvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt im Bezirksverband Hannover, ist neuer Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen. Er übernahm das Amt zum Jahresbeginn turnusgemäß für ein Jahr vom Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke. Brunotte hat das laufende Jahr unter das Motto „Sozial geht nur gemeinsam“ gestellt. „Einen besonderen Schwerpunkt werden wir auf die Überwindung von Kinderarmut und der Armut von Familien setzen“, betonte der neue Vorsitzende. „Hier gibt es einen beträchtlichen Handlungsbedarf, der sich durch die Corona-Pandemie weiter verschärft hat.“
Saskia Weiß hat zum 1. Januar die Geschäftsführung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. Selbsthilfe Demenz (DAlzG) übernommen. Sie löst Sabine Jansen ab, die die Geschäftsführung des Vereins über 20 Jahre geführt hat. Weiß ist bereits seit 2008 Teil des Teams und war in den letzten Jahren als stellvertretende Geschäftsführung tätig. Die neue Geschäftsführerin würdigte ihre Vorgängerin: "Sabine Jansen hat die Deutsche Alzheimer Gesellschaft in den letzten 24 Jahren zu einer starken und ernstzunehmenden Interessenvertretung gemacht. Unter anderem war die DAlzG seit 2014 zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Bundesfamilienministerium an der Entwicklung der Nationalen Allianz für Menschen mit Demenz und später der Nationalen Demenzstrategie (NDS) beteiligt. Seit dem offiziellen Start der NDS im September 2020 ist die DAlzG Teil des Steuerungskreises.
Karen Krauß (57) ist zur Vorsitzenden Richterin am Bundessozialgericht ernannt worden. Am 1. Januar hat sie den Vorsitz des für die Sozial- und Eingliederungshilfe sowie das Asylbewerberleistungsgesetz zuständigen 8. Senats übernommen. Krauß ist seit 1. September 2008 Richterin am Bundessozialgericht und war dort zunächst dem für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen 14. Senat und von Juli 2012 bis September 2013 zur Hälfte auch dem 7./8. Senat zugewiesen. Ab Oktober 2013 war sie Mitglied und zuletzt stellvertretende Vorsitzende des 7./8. Senats. Krauß war von 2011 bis 2018 Mitglied und zuletzt Vorsitzende des Richterrats. Ihr besonderes Interesse gilt der Digitalisierung der Justiz. Von 2014 bis Ende 2017 war sie stellvertretende IT-Referentin und ist seit 2018 richterliche Referentin für die Einführung der elektronischen Prozessakte am Bundessozialgericht.
Julia Hahn (42) ist seit 1. Januar Richterin am Bundessozialgericht in Kassel. Hahn studierte an der Universität Hamburg und trat im September 2007 in den Justizdienst des Landes Schleswig-Holstein ein. Im Januar 2015 wurde sie zur Richterin am Landessozialgericht ernannt. Bereits von Februar 2011 bis Oktober 2012 war Hahn als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Bundessozialgericht und daran unmittelbar anschließend bis Juni 2013 an das Bundesfamilienministerium abgeordnet. In ihren Veröffentlichungen befasst sie sich im Schwerpunkt mit Fragen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Das Präsidium des BSG hat die Richterin dem für gesetzliche Rentenversicherung zuständigen 5. Senat zugewiesen.
Bettina Karl ist zur Richterin am Bundessozialgericht ernannt worden. Die 46-jährige Münchnerin trat 2011 in den Richterdienst der Bayerischen Sozialgerichtsbarkeit ein. Von 2013 bis 2015 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Bundessozialgericht abgeordnet; anschließend war sie beim Sozialgericht München tätig. Im Jahr 2017 erfolgte die Ernennung zur Richterin am Bayerischen Landessozialgericht. Das Präsidium des Bundessozialgerichts hat Karl dem für gesetzliche Unfallversicherung zuständigen 2. Senat zugewiesen.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, das zu beachten.
17.1.
Online-Fortbildung (drei Teile) „Die Schnittstelle Eingliederungshilfe - Pflege gestalten“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172-3012819
17.-19.1.
Online-Fortbildung „Phänomen Trauma als Herausforderung für die Sozialarbeit“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/2001700
18.1.
Online-Seminar „Betriebsverfassungsrecht für Arbeitgeber - Brennpunkte des Betriebsverfassungsrechts kennen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
20.-22.1. Paderborn
Seminar „Sozialrecht im Sozial- und Gesundheitswesen“
der IN VIA Akademie
Tel.: 05251/2908-38
21.1.
Online-Seminar „Die digitale Zukunft der Sozialen Arbeit - Impulse für Ihre Organisation“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828212
26.1.
Online-Kurs: „Grundlagen im Vergaberecht“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0171-7375667
27.1. Erfurt
Seminar „Reform des Stiftungsrechts - Neuerungen, Chancen und Risiken“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-221
Februar
3.-17.2.
Online-Seminar: „Digitale Öffentlichkeitsarbeit und Social Media für soziale Einrichtungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
7.2.
Online-Fortbildung: „Flucht und Behinderung - Rechtliche Möglichkeiten in der Flüchtlings- und Behindertenhilfe“
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0174/3473485
9.-11.2.
Online-Fortbildung „Jenseits der Routine: Führen in Turbulenzen“
Tel.: 030/26309-139
10.2. Köln
Seminar „Die neue Generation von Quartierszentren“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
15.2. Berlin
Seminar „Strategisches Management und Management-Modelle in Non-Profit-Organisationen - Wie kann besseres Management gelingen?“
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
17.2.
Online-Fortbildung: „Beratung und Begleitung von getrennt lebenden Eltern und deren Kindern und Jugendlichen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10