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"Was trinke ich, wenn ich nicht trinke"




Erster alkoholfreier Spätkauf ("Späti") in Berlin
epd-bild/Rolf Zöllner
Weniger Alkohol gehört zu gängigen Vorsätzen für das neue Jahr. In Berlin wollen die Betreiberinnen eines "Späti" zeigen, dass es beim bewussten Trinken nicht um weniger Spaß gehen muss, sondern alkoholfreie Alternativen auch schlicht Genuss bedeuten.

Berlin (epd). Als in den USA vor rund 100 Jahren Herstellung und Verkauf von Alkohol verboten wurden, schossen illegale Brennereien wie Pilze aus dem Boden, denn die Prohibition machte den illegalen Genuss erst recht interessant. Um gerade nicht die Lust am Verbotenen zu wecken, wirbt eine Bewegung, die heute zum maßvollen und bewussten Trinken einlädt, mit Slogans wie „Rund um die Uhr am Saufen“. „Alkoholfrei versteht sich“, heißt es als Zusatz auf den Fensterscheiben des ersten alkoholfreien Spätis in Berlin.

Promille-lastige Trinkkultur

„Mit nuechtern.berlin wollen wir die einseitige und promille-lastige Trinkkultur erweitern und Diversität aufzeigen“, erklärt Isabella Steiner, Mitbetreiberin des mitten in Corona-Zeiten gegründeten Spätkaufs mit dem sprechenden Namen „Null Prozent“. Spätis sind vor allem in ostdeutschen Städten als Läden bekannt, in denen auch außerhalb der Ladenöffnungszeiten vor allem Alkohol gekauft wird.

„Wir haben uns gefragt, was trinke ich, wenn ich nicht trinke“, sagt Steiner. Alkoholfrei klinge für viele nach Spaßbremse und Safer Sex. „Wir versuchen, alkoholfrei geschäftsfähig zu machen“, sagt sie in dem kleinen Laden und lacht. Wer die Stufen zu dem Kreuzberger Späti im Souterrain hinabsteigt, steht vor schlichten Holzregalen mit bunten Etiketten. Die Namen von Getränken wie „The Duke - Entgeistert“ gehen spielerisch mit dem Verzicht auf Alkohol um.

Die beiden Betreiberinnen Isabelle Steiner und Katja Kauf beraten Kunden und Kundinnen, die sich nicht in dieser für viele neuen Welt auskennen. Zu ihren Stammkunden gehöre mittlerweile auch ein über 80-Jähriger, der jede Woche eine Flasche Whisky kaufe, sagt Isabella Steiner.

Immer mehr Familien, Schwangere, trockene Alkoholiker und Menschen, die aus Genuss trinken, wendeten sich alternativen Getränken zu. „Wir sind nicht dogmatisch“, betont die Berlinerin. Es gehe vielmehr darum, die Wahl zu haben. Viele Kundinnen und Kunden kämen aus Neugier, andere aus Frust über den Kater am Tag danach.

Gesundheitsrisiken von Alkohol

Alkoholfrei ist ein Wachstumsmarkt. Seit 2007 habe sich die Produktion alkoholfreier Biersorten mehr als verdoppelt, meldete der Deutsche Brauerbund im September. Alkoholfreie Biere hätten derzeit einen Marktanteil von sieben Prozent.

Die größten Erfolge, erzählt Isabella Steiner, erzielten die Hersteller bislang mit Gin. Bei Blindverkostung könne er mit dem alkoholischen Original mithalten. Auch bei Sekt komme der Geschmack dem Original wegen des Gehalts an Kohlensäure sehr nah. „Bei Wein ist noch viel Luft nach oben“, gesteht sie.

Anlässe zum Trinken gibt es fast rund um die Uhr, das Feierabendbier oder ein Glas zum Entspannen nach der Arbeit, als Belohnung oder zum Feiern: „Dieser Autopilot ist gefährlich“, meint die Betreiberin des alkoholfreien Spätis. Denn er blende Gesundheitsrisiken von Alkohol als vermeintlich harmlos aus.

Laut Bundesgesundheitsministerium konsumieren 6,7 Millionen Menschen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland Alkohol in „gesundheitlich riskanter Form“. Etwa 1,6 Millionen Menschen dieser Altersgruppe galten 2018 als alkoholabhängig. Analysen gehen laut Ministerium von jährlich etwa 74.000 Todesfällen durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol aus.

Alternativen oft teuer

Durchschnittlich werden pro Kopf in Deutschland jährlich rund zehn Liter reinen Alkohols konsumiert. Der Berliner Späti im angesagten Bergmannkiez inmitten von Bars und Restaurants, die Spezialitäten aus aller Welt anbieten, liegt mit seiner Null-Prozent-Devise aber möglicherweise im Trend. Denn der Alkoholkonsum sinkt seit Jahren leicht. Dennoch befindet sich Deutschland dem Bundesgesundheitsministerium zufolge im internationalen Vergleich unverändert im oberen Zehntel.

Allerdings: Alternativen, die alkoholischen Originalen nahe kommen, sind oft nicht billig. Viele Kunden des alkoholfreien Spätis fragten, warum die Produkte mit klingenden Namen wie „Stereo Pils - Doppelt so lecker“ oder „Lyre's Dry London Spirit“ so teuer seien. Im Unterschied zu den Originalen gehe der Produktion ein Designprozess voraus, erklärt Steiner. So sei in Großbritannien im Jahr 2015 die erste alkoholfreie Spirituose entwickelt worden. Diese Art von Getränk nennt sich wegen der Grundlage aus Aromen und Erbsen „Botanical“.

Die meisten alkoholfreien Biere entstehen durch einen verkürzten Gärungsprozess. Bei Wein entziehen Winzer den Alkohol erst nach der Gärung. Durch Erhitzen auf 27 Grad im Vakuum verflüchtigt sich der Alkohol im Vakuum von selbst.

Noch sind viele Begriffe für das Sortiment schwammig. Wichtig für trockene Alkoholiker aber ist die Unterscheidung zwischen Produkten ohne Alkohol und „alkoholfreien“ Getränken - denn diese können bis zu 0,5 Prozent Restalkohol enthalten und sind für sie damit noch immer gefährlich.

Bettina Gabbe