Siegen (epd). Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber Hartz IV-Beziehern mit Migrationshintergrund sind einer Umfrage zufolge offenbar stärker als gegenüber deutschen Langzeitarbeitslosen. Bei einer sogenannten Online-Vignettenstudie mit fiktiven Fallbeispielen, an der rund 2.600 Menschen teilnahmen, waren nicht nur fehlende Motivation und das Verpassen von Terminen ausschlaggebend für die Bewertung von Leistungskürzungen, wie die Universität Siegen am 5. Januar zu den Ergebnissen der Untersuchung mitteilte. Auch die vermutete Herkunft spielte eine Rolle. So fielen die fiktiven Sanktionen höher aus, wenn es um Menschen mit ausländischen Namen ging.
Für das Forschungsprojekt hatte das interdisziplinäre Siegener Wissenschaftsteam einen Online-Fragebogen zusammengestellt. Die Teilnehmer sollten fiktive Fälle mit einer für sie angemessenen Sanktionshöhe zwischen 0 und 100 Prozent belegen. Mehr als 77 Prozent der Befragten halten demnach grundsätzlich eine Sanktion für Sozialleistungsbezieher innerhalb der Grundsicherung für angemessen. Dabei würden rund die Hälfte (54 Prozent) maximal 30 Prozent der Bezüge kürzen.
Beispielhafte Leistungsbezieher, die wenig oder keine Motivation bei der eigenständigen Jobsuche zeigen, wurden von den Befragten höher bestraft als solche, die sich aktiv bei Unternehmen bewerben. Wer den ersten und zweiten Termin im Jobcenter nicht einhielt, dem wurde in der Regel zwischen 17 und 29 Prozent monatlich abgezogen. Bei älteren Sozialleistungsbeziehern und solchen, bei denen die Kündigung aufgrund einer Erkrankung erfolgte, wurde dagegen öfter auf Leistungskürzungen verzichtet.
Anders fielen die Kürzungen laut Befragung dagegen aus, wenn die Herkunft ins Spiel kam: So kürzten die Befragten einem fiktiven Herrn Bergmann bei Regelverstößen mit 26 Prozent die Leistungen durchschnittlich weniger stark als einem Herrn Yildirim mit einer Sanktionshöhe von 33 Prozent. In den wenigen Fällen, in denen Befragte die Leistungen von Beziehern komplett streichen wollten, waren die Hartz-IV-Bezieher ebenfalls häufiger Menschen mit ausländischem Namen, wie es hieß.
Der Befund zeige, dass es in der Bevölkerung auch diskriminierende Faktoren gebe, die das Verständnis von Hilfewürdigkeit und folglich auch von Sanktionen in der Grundsicherung beeinflussen, sagte Philipp Linden, Doktorand an der Universität Siegen: „Diese Erkenntnis verdient vor allem Aufmerksamkeit, weil wir zumindest nicht ausschließen können, dass Einstellungen, die Menschen mit Migrationshintergrund qua Status härter sanktionieren, auch unter den Fallmanagerinnen und -managern in Jobcentern zu finden sein können.“
Weitere Forschung solle hier ansetzen, sagte Linden. Er forderte vom Gesetzgeber, bei der geplanten Hartz-IV-Reform veränderte Rahmenbedingungen zu schaffen, „die nicht nur extreme Eingriffe in das Existenzminimum generell verhindern, sondern die auch die Leistungsbezieher vor Diskriminierung schützen: sei es nach Herkunft, Geschlecht oder Alter“.