die Bundesregierung versucht weiter, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie einzudämmen. Dazu haben die Koalitionsspitzen beschlossen, die zu Beginn der Corona-Krise geänderten Regelungen zum Kurzarbeitergeld zu verlängern. Konkret heißt das: Auch 2021 erhalten Betriebe unter erleichterten Bedingungen Kurzarbeitergeld, die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes gilt weiter bis März 2021, und die maximale Bezugsdauer wird auf zwei Jahre verlängert.
Auch die finanziellen Corona-Hilfen für die Sozialbranche gehen weiter. Sie wären gemäß dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz am 30. September ausgelaufen. Nun beschloss der Koalitionsausschuss, sie bis Jahresende zu verlängern. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege begrüßte dies als "positives Signal".
In den Pflegeheimen waren die Corona-bedingten Einschränkungen, allen voran die Besuchsverbote für Angehörige und Freunde, besonders schmerzhaft. Dabei hat sich auch gezeigt, dass die Einrichtungen für ihre Bewohner mehr in die digitale Ausrüstung investieren müssen. Denn ohne WLAN und Tablet sind Video-Telefonate mit Heimbewohnern schlicht nicht möglich. Im zweiten Teil unserer Serie zu den digitalen Anforderungen an die Branche geht es um geeignete Angebote in der Altenarbeit.
Bei Fachkräften in der Gesundheits- und Pflegebranche, die für ihre Tätigkeit ein Honorar erhalten, liegt oft eine Scheinselbstständigkeit vor. Wenn Pflegerinnen oder Notärzte voll in den Schichtdienst eingebunden sind und außerdem Weisungen von Angestellten der Einrichtungen befolgen müssen, spricht dies nach der Auffassung von Sozialgerichten für eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit - und kann im Klagefall dem Arbeitgeber erhebliche Nachzahlungen an die Sozialkassen bescheren.
Lesen Sie täglich bei Twitter Nachrichten und Kommentare aus der Sozialpolitik und der Sozialbranche. Dort können Sie bei epd sozial mitreden, Ihren Kommentar abgeben und über Neuigkeiten Ihrer Einrichtung berichten. Gern empfange ich auch Ihre E-Mail.
Hier geht es zur Gesamtausgabe von epd sozial 35/2020. Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen
Markus Jantzer
Berlin (epd). Der Koalitionsausschuss hat sich angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise auf eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes verständigt. Es soll statt einem Jahr bis zu zwei Jahre gezahlt werden können, wie die Parteivorsitzenden von CDU, SPD und CSU am 25. August nach einer Sitzung des Koalitionsausschusses in Berlin mitteilten. Die Einigung wurde überwiegend positiv aufgenommen. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sprach von "wertvoller Planungssicherheit". Es werde nun auch Unternehmen geholfen, bei denen die Krise erst jetzt durchschlage.
Die Koalitionspartner einigten sich weiter darauf, die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes und den erleichterten Zugang zur Kurzarbeit bis Ende kommenden Jahres zu verlängern. Die Arbeitgeber bekommen bis Juni 2021 die Sozialbeiträge auf das Kurzarbeitergeld weiterhin vollständig und von Juli bis Ende 2021 zur Hälfte erstattet.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) unterstrich die Notwendigkeit der Maßnahmen: "Kurzarbeit ist im Moment die stabilste Brücke über ein tiefes wirtschaftliches Tal", sagte er am 26. August. Sie beizubehalten sei nötig, um Arbeitsplätze zu sichern. Erst im Verlauf des kommenden Jahres sei mit einer schrittweisen Erholung der deutschen Wirtschaft zu rechnen, "und dann kann man irgendwann auch Kurzarbeit zurückfahren", sagte Heil.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte, die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes könne "im nächsten Jahr noch mal zusätzlich zehn Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt kosten". Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier (CDU) erklärte, die Koalition helfe Arbeitnehmern und dem Mittelstand, eine "ernste Krise zu überstehen".
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die SPD-Vorsitzenden Norbert-Walter Borjans und Saskia Esken sowie CSU-Chef Markus Söder hatten nach der Einigung im ersten Koalitionsausschuss nach der Sommerpause betont, die Corona-Krise sei nicht vorbei. Unternehmen und Arbeitnehmer müssten weiterhin unterstützt werden. Dafür sei die Kurzarbeit eines der wirksamsten Instrumente, erklärten Borjans und Söder.
Ebenfalls bis zum Jahresende und damit um weitere drei Monate soll der erleichterte Zugang zur Grundsicherung gewährt werden. Kramp-Karrenbauer sagte, besonders für Künstler und Solo-Selbstständige werde es noch Verbesserungen geben. Auch die Überbrückungshilfen für Betriebe enden nun erst im Dezember.
Die Union setzte durch, dass das Kurzarbeitgeld Ende 2021 ausläuft und nicht erst im Frühjahr 2022, wie es die SPD vorgeschlagen hatte. Die SPD konnte erreichen, dass die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes von 60 Prozent des ausfallenden Nettolohns auf bis zu 87 Prozent verlängert wird, was in der Union wegen der zusätzlichen Ausgaben auf Skepsis gestoßen war.
Neben der Verlängerung der Wirtschaftshilfen beschlossen die Koalitionspartner eine stärkere Unterstützung der Schulen bei der Digitalisierung. 500 Millionen Euro sollen für die Beschaffung von Laptops für Lehrer zur Verfügung gestellt werden. Berufstätige Eltern erhalten mit Blick auf die bevorstehende Erkältungssaison und Corona in diesem Jahr fünf bezahlte Tage mehr (Alleinerziehende: zehn Tage), an denen sie zu Hause bei erkrankten Kindern bleiben können. Auch die Verdopplung bezahlter Pflegetage für Angehörige gilt bis Ende des Jahres.
Hauptziel sei, das Land gut und sicher durch die Krise zu bringen, sagte die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), in Schwerin. Die Linke kritisierte eine ungerechte Lastenverteilung. Die Arbeitgeber erhielten mehr Finanzhilfen als die Kurzarbeiter, insbesondere jene mit Niedriglöhnen, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Susanne Ferschl.
Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bescheinigte der Politik, "frühzeitig und klug" zu handeln. Vom verlängerten Kurzarbeitergeld profitierten Millionen Menschen. Die Sicherung von Beschäftigung sei eines der wichtigsten Ziele in einer solchen Krise, sagte Fratzscher.
Berlin (epd). Die große Koalition will angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise die Zahlung des Kurzarbeitergeldes um ein Jahr auf bis zu zwei Jahre verlängern. Verlängert werden auch die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes und die Entlastungen für Arbeitgeber. Die Kurzarbeitsregelungen während der Corona-Krise im Überblick.
Wie lange kann man Kurzarbeitergeld bekommen?
Beschäftigte können Kurzarbeitergeld bis zu zwei Jahre beziehen, längstens bis zum 31.12.2021. Das haben die Koalitionsspitzen am 25. August in Berlin beschlossen. Normalerweise wird Kurzarbeitergeld bis zu einem Jahr gezahlt.
Wie hoch ist das Kurzarbeitergeld?
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Kurzarbeit bekommen 60 Prozent des ausfallenden Nettolohns (Eltern: 67 Prozent). Während der Corona-Krise erhalten Beschäftigte, deren Arbeitszeit um mehr als die Hälfte verringert wurde, vom vierten Kurzarbeits-Monat an (gerechnet ab März 2020) 70 Prozent (77 Prozent) des ausfallenden Lohns, ab dem siebten Monat 80 Prozent (87 Prozent). Diese Corona-Aufstockung gibt es nun für alle Beschäftigten, die bis März 2021 in Kurzarbeit gehen.
Wann können Betriebe Kurzarbeit anmelden?
Normalerweise muss mindestens ein Drittel der Belegschaft von Arbeitsausfall und Lohneinbußen betroffen sein. Seit 1. März gilt: Bereits wenn ein Zehntel der Beschäftigten wegen Arbeitsausfalls weniger verdient, kann der Betrieb Kurzarbeit beantragen. Das gilt nun bis Ende 2021, auch für Leiharbeitsfirmen.
Wie wird den Arbeitgebern geholfen?
Arbeitgebern werden die Sozialversicherungsbeiträge auf das Kurzarbeitergeld ihrer Beschäftigten erstattet - anders als normalerweise, wo sie diese weitgehend selbst tragen müssen. Die vollständige Erstattung wird bis Juni 2021 verlängert, bis zum Jahresende 2021 wird die Hälfte der Beiträge erstattet. Werden die Beschäftigten während der Kurzarbeit weiterqualifiziert, erhält das Unternehmen die Sozialbeiträge bis längstens Ende 2021 weiterhin vollständig.
Können Kurzarbeiter ihr Einkommen aufbessern?
Wer in Kurzarbeit ist, darf eine Nebentätigkeit aufnehmen. Bis Ende dieses Jahres gilt: Der Nebenverdienst schmälert das Kurzarbeitergeld nicht, solange das Gesamteinkommen aus Lohn, Kurzarbeitergeld und Nebenverdienst nicht höher ist als das frühere Nettoeinkommen. Im kommenden Jahr werden nur noch Minijobs nicht auf das Kurzarbeitergeld angerechnet.
Um wie viele Menschen und Betriebe geht es?
Es geht um Millionen Beschäftigte, Zehntausende Betriebe und viele Milliarden Euro. Nach jüngsten Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) bezogen im Juni 4,5 Millionen Menschen Kurzarbeitergeld. Im Mai - nach dem Lockdown im März und April - war nach den Daten der Bundesagentur mit 6,7 Millionen Menschen in 527.000 Betrieben der Höchststand bei der Kurzarbeit erreicht.
Seit Jahresbeginn hat die BA rund zwölf Milliarden Euro für das Kurzarbeitergeld und die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge ausgegeben. Für dieses Jahr rechnet die Nürnberger Behörde wegen der Corona-Krise insgesamt mit Mehrausgaben von rund 30 Milliarden Euro. Das sind rund vier Milliarden mehr als die Rücklagen von knapp 26 Milliarden Euro, über die die Bundesagentur noch Ende 2019 verfügte.
Brüssel (epd). Die EU-Kommission hat milliardenschwere Hilfen für das durch die Corona-Krise nötig gewordene Kurzarbeitergeld in einer Reihe von Ländern auf den Weg gebracht. Man habe dem Rat der EU vorgeschlagen, im Rahmen des Programms SURE 81,4 Milliarden Euro an 15 EU-Mitgliedstaaten zu leihen, erklärte die Behörde am 24. August in Brüssel.
SURE steht für "support to mitigate unemployment risks in an emergency" - "Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Krise". Die Darlehen sollen den EU-Ländern die Refinanzierung von Kurzarbeitergeld und ähnlichen Regelungen erlauben.
Unter den 15 Ländern sind zum Beispiel Belgien, Italien und Polen. Außerdem hätten Portugal und Ungarn Anträge auf die Hilfen gestellt, für sie wird die Kommission voraussichtlich in Kürze Vorschläge auf den Weg bringen. Deutschland hat den Angaben zufolge bisher keinen Antrag gestellt. Das Instrument soll aber bis Ende 2022 verfügbar sein.
Allerdings ist auch die Finanzierung von SURE noch nicht abgeschlossen. Laut EU-Kommission haben nicht alle EU-Mitgliedstaaten die vereinbarten Garantien hinterlegt. Durch sie will die Kommission ihrerseits die Darlehen absichern.
Gütersloh, Berlin (epd). Die Gruppen zu groß, zu wenig Fachkräfte: Drei Viertel der Kinder in deutschen Krippen und Kindertagestätten werden einer Studie zufolge nicht kindgerecht betreut. Der Personalschlüssel sei für rund 1,7 Millionen Kita-Kinder (74 Prozent) nicht auf deren Bedürfnisse zugeschnitten, heißt es im am 25. August veröffentlichten "Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme" der Bertelsmann Stiftung. Zum 1. März 2019 kam demnach rein rechnerisch eine pädagogische Fachkraft auf 4,2 ganztags betreute Krippenkinder und eine pädagogische Fachkraft auf 8,8 ältere Kindergartenkinder. Laut wissenschaftlichen Empfehlungen solle sie aber für höchstens drei Kleinkinder oder 7,5 Kinder über drei Jahren zuständig sein.
Auch die Gruppengröße entspricht laut Studie oftmals nicht den Empfehlungen. Sie sollte im U3-Bereich nicht mehr als zwölf Kinder und bei den Älteren nicht mehr als 18 umfassen. Über die Hälfte (54 Prozent) der in Deutschland amtlich erfassten Kita-Gruppen lägen darüber, hieß es. Angesichts der schlechten Rahmenbedingungen fühlten sich die Kita-Teams überfordert. Gewerkschaften und Verbände forderten eine gemeinsame Initiative von Bund, Ländern und Kommunen zur Verbesserung der Erzieherausbildung, Fachkräftesicherung und Qualität der Arbeit. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) erklärte indessen, das "Gute-Kita-Gesetz" für die frühkindliche Bildung zeige Wirkung.
Denn der bundesweite Vergleich zeigt ein großes Gefälle zwischen den Bundesländern. So war laut Studie 2019 in Bremen (1 zu 3) eine Fachkraft im Schnitt für drei Krippenkinder weniger verantwortlich als in Mecklenburg-Vorpommern (1 zu 6). In Nordrhein-Westfalen seien 70 Prozent der Kita-Gruppen zu groß, hieß es weiter. Schlechter schneidet nur Niedersachsen (78 Prozent) ab. In den fünf ostdeutschen Bundesländern ist das durchschnittlich nur bei einem Drittel (32 Prozent) der Kita-Gruppen der Fall.
Die Studie offenbart zudem qualitative Unterschiede beim Kita-Personal in Ost- und Westdeutschland: In den neuen Bundesländern ist der Anteil der ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher mit 82 Prozent um 16 Prozentpunkte höher als im Westen (66 Prozent). Grundlage des jährlich aktualisierten Ländermonitors sind Auswertungen von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder.
Eine bundesweite Umfrage der Fern-Universität in Hagen im Auftrag der Stiftung gibt die aktuelle Stimmung unter den Kita-Beschäftigten wieder. Demnach sehen sie insgesamt die Umsetzung ihres Bildungsauftrages gefährdet, weil sie bei Personalmangel weniger auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen könnten und damit eine individuelle Förderung oft in den Hintergrund trete.
Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, sind die Ergebnisse ein "Appell, den Ausbau der frühkindlichen Bildung nicht schleifen zu lassen". Nötig seien mehr zusätzliche Mittel sowie bundesweit verbindliche Qualitätsstandards. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, forderte von Ländern und Bund eine dauerhafte Finanzierungsbeteiligung. "Bisher laufen die Bundesmittel im Jahr 2022 aus", sagte er.
Auch der Verband Bildung und Erziehung (VBE) und das Deutsche Kinderhilfswerk mahnten mehr Kraftanstrengungen zur Verbesserung der Kita-Qualität an. "Was es jetzt braucht sind massive, nachhaltige und flächendeckende Investitionen, eingebettet in eine bundesweit abgestimmte Fachkräfteoffensive", erklärte der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann. Der "Flickenteppich" bei Qualitätsmerkmalen der Kitas in Deutschland müsse beendet werden, sagte Kinderhilfswerk-Geschäftsführer Holger Hofmann.
Marion von zur Gathen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband forderte mehr gesellschaftliche Anerkennung für den Erzieher-Beruf. Dazu gehörten eine adäquate Vergütung und Jobbedingungen, die qualitativ gute pädagogische Arbeit erlauben.
Die Bundesfamilienministerin wies die Kritik zurück. Das "Gute-Kita-Gesetz" mit einer Fördersumme von insgesamt rund 5,5 Milliarden Euro hat laut Giffey unter anderem dazu geführt, dass in elf von 16 Bundesländern der Personalschlüssel bereits verbessert werden konnte. Der Bund werde über 2022 hinaus mit der Verstetigung der Mittel in die frühkindliche Bildung investieren. Auch werde aus Mitteln des Konjunkturpaketes ein Ein-Milliarde-Euro-Investitionsprogramm aufgelegt, mit dem 90.000 neue Kita-Plätze geschaffen werden könnten.
Frankfurt a.M., München (epd). Irgendwann ging bei Sabine Berger gar nichts mehr. Sie litt unter chronischer Erschöpfung und fühlte sich depressiv und antriebslos. "Selbst durch einfache Routine-Aufgaben im Job habe ich mich irgendwann überfordert gefühlt", erinnert sich die 45-Jährige, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. "In der Zeit kam alles Mögliche zusammen. Und so bin ich in ein Burn-out reingerutscht." Rund ein halbes Jahr war Sabine Berger krankgeschrieben. In dieser Zeit begann sie unter anderem eine Psychotherapie und arbeitete sich Stück für Stück wieder aus ihrem Tief heraus. "Ich wollte auf jeden Fall wieder arbeiten. Aber ich hatte auch Sorge, ob ich das wieder schaffe."
Knapp die Hälfte aller Fehlzeiten in deutschen Unternehmen werden laut dem Gesundheitsreport 2019 der Techniker Krankenkasse durch Langzeiterkrankungen verursacht. Die häufigsten Ursachen sind psychische Erkrankungen und Erkrankungen des Skelett-Muskel-Systems.
"Die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach langer Krankheit ist nicht einfach", weiß Marie Rösler von der Bremer Krebsgesellschaft, die seit mehr als 30 Jahren Betroffene zu diesem Thema berät. "Da ist die Angst, den Anforderungen nicht mehr gerecht werden zu können und die Unsicherheit, wie Kollegen und Chef reagieren."
Für Berufstätige mit psychischen Erkrankungen gilt: Nur ein Drittel findet nach der stationären Behandlung wieder zurück in den Job, wie der Münchner Psychiater Johannes Hamann sagt. "Das ist ein untragbarer Zustand". Hamann leitet derzeit in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Klinikum rechts der Isar eine Studie zu den Möglichkeiten, die Rückkehr in den Beruf zu unterstützen. Das Projekt setzt dafür sogenannte Return-to-Work-Experten ein. Er sagt: Deutlich mehr Patienten könnten nach einem Klinikaufenthalt wieder arbeiten, wenn sie entsprechende Hilfen erhielten.
Tatsächlich haben alle langzeiterkrankten Berufstätigen beim Wiedereinstieg in den Job sogar Anspruch auf Unterstützung. "Leider ist das auf Arbeitnehmerseite häufig nicht bekannt", beobachtet Jürgen Voß, Berater für Betriebliches Eingliederungsmanagement. Dabei sind Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, den Rückkehrern ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten (§ 167 Absatz 2 SGB IX).
Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer mindestens sechs Wochen am Stück krankgeschrieben oder während der vorangegangenen zwölf Monate insgesamt mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig war. Oft machten die Arbeitgeber betroffene Mitarbeiter aber nicht auf diese Möglichkeit aufmerksam, sagt Voß. Denn viele Chefs sähen das BEM zuerst einmal als Kostenfaktor, obwohl auch der Betrieb davon profitiere.
Voß rät Betroffenen, ein BEM einzufordern. Am Beginn des Wiedereingliederungsprozesses steht zunächst ein Gespräch, in der Regel mit dem Vorgesetzten sowie Betriebs- oder Personalrat. Es geht darum, festzustellen, welche Hilfsmittel oder Arbeitsplatzbedingungen nötig sind, damit die oder der Langzeiterkrankte wieder in den Job einsteigen kann.
Das wohl bekannteste Instrument im Rahmen des BEM ist die stufenweise Wiedereingliederung, auch "Hamburger Modell" genannt. Dabei wird das Arbeitspensum schrittweise wieder bis zum alten Niveau gesteigert. Der Arbeitgeber wird dadurch nicht finanziell belastet, weil die Betroffenen in der Zeit der Wiedereingliederung noch als arbeitsunfähig gelten und von der Krankenkasse oder Rentenversicherung Kranken- oder Übergangsgeld erhalten.
Doch ein BEM biete noch wesentlich mehr Möglichkeiten, sagt Voß. "In manchen Fällen hilft es zum Beispiel, Arbeitsprozesse etwas anders zu organisieren." Wenn körperliche Einschränkungen bestehen, könnten bestimmte Handgriffe oder schweres Heben möglicherweise von Kollegen übernommen werden. Denkbar sei auch die Umgestaltung des Arbeitsplatzes, etwa durch einen höhenverstellbaren Schreibtisch oder einen besonders großen Bildschirm.
Entscheidend sei, dass die oder der Betroffene sich bereits vor Beginn des BEM selbst überlege, was er oder sie brauche, um wieder arbeiten zu können. Hilfe und Tipps gibt es beim behandelnden Arzt, aber auch bei Mitarbeitervertretungen, Arbeitnehmerkammern sowie - je nach Erkrankung - bei Krebsberatungsstellen oder den bundesweit rund 500 Fachstellen für Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung.
Sabine Berger ist die Rückkehr in ihren Vollzeit-Job gelungen. Im Gespräch mit ihrem Arbeitgeber vereinbarte sie nicht nur eine stufenweise Wiedereingliederung, die ihr half, die Angst vor Überforderung zu überwinden. "Mir wurde während der Zeit der Krankschreibung auch klar, wie sehr mich die Arbeit im Großraumbüro gestresst hat." Die Lösung: Sabine Bergers Chef willigte ein, dass sie nun an drei Tagen pro Woche im Homeoffice arbeiten kann.
Man könnte meinen, dass alle Menschen vor einem Virus gleich sind. Bezüglich der Infektiosität von Coronaviren stimmt dies, im Hinblick auf das Infektionsrisiko nicht. So traf die Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 zwar alle Bewohnerinnen und Bewohner der Bundesrepublik Deutschland, aber keineswegs alle gleichermaßen. Je nach Arbeitsbedingungen, Wohnverhältnissen und Gesundheitszustand waren sie vielmehr ganz unterschiedlich betroffen.
Wegen der niedrigen Lebenserwartung von Armen, die rund zehn Jahre geringer ist als die Lebenserwartung von Reichen, gilt selbst in einer wohlhabenden Gesellschaft wie der Bundesrepublik die zynische Grundregel: Wer arm ist, muss früher sterben. Während der Coronapandemie galt: Wer arm ist, muss eher sterben. Denn das Infektionsrisiko von Armen war deutlich höher als das von Reichen.
Sozial bedingte Vorerkrankungen wie Adipositas (Fettleibigkeit), Asthma, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Rheuma oder COPD (Raucherlunge), katastrophale Arbeitsbedingungen (z.B. in der Fleischindustrie) sowie beengte und hygienisch bedenkliche Wohnverhältnisse erhöhen das Risiko für eine Infektion mit Sars-CoV-2 bzw. für einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf. Hauptleidtragende, weil einkommens- und immunschwach, waren Obdach- und Wohnungslose, aber auch andere Bewohnerinnen und Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften wie Gefangene, Geflüchtete, (süd)osteuropäische Werkvertragsarbeiterinnen und Werksvertragsarbeiter der Subunternehmen deutscher Großschlachtereien bzw. Fleischfabriken. Ebenso nichtdeutsche Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeiter, Geflüchtete ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftige, Suchtkranke, Prostituierte, Erwerbslose, Geringverdiener, Kleinstrentnerinnen und Menschen, die Arbeitslosengeld I und II, Sozialgeld, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Asylbewerberleistungen beziehen.
Die pandemische Ausnahmesituation der Covid-19-Pandemie hat das Phänomen der Ungleichheit als Kardinalproblem der Bundesrepublik wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht, aber auch verschärft. Wie nie zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg wurde erkennbar, dass trotz eines verhältnismäßig hohen Lebens- und Sozialstandards im Weltmaßstab sowie entgegen allen Beteuerungen, die Bundesrepublik sei eine klassenlose Gesellschaft mit gesicherter Wohlständigkeit aller Mitglieder, ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal für wenige Wochen ohne seine ungeschmälerten Regeleinkünfte auskommt.
Durch wochenlange Kontaktverbote, Ausgangsbeschränkungen und Einrichtungsschließungen wurde die ohnehin brüchige Lebensgrundlage der ärmsten Menschen (Bettler, Pfandsammlerinnen und Verkäufer von Straßenzeitungen) zerstört, weil fehlende Passanten und die Furcht der Verbliebenen vor einer Infektion teilweise zum Totalausfall der Einnahmen führten, was stärkere Verelendungstendenzen in diesem Sozialmilieu nach sich zog. Die finanzielle Belastung von Transferleistungsbezieherinnen, Kleinstrentnern und Geflüchteten nahm durch die Schließung der meisten Lebensmitteltafeln weiter zu.
Aufenthaltsbeschränkungen und Abstandsregelungen förderten tendenziell die Vereinsamung und die soziale Isolation, von der Arme, Alte und Menschen in beengten Wohnverhältnissen grundsätzlich am stärksten bedroht sind. Viele kleine Einzelhändler und Soloselbstständige haben wegen der Schließung ihrer Läden oder fehlender Aufträge und Auftritte ihre Existenzgrundlage verloren.
Bund, Länder und Gemeinden haben in der Coronakrise fast über Nacht mehr als eine Billion Euro für direkte Finanzhilfen, Bürgschaften und Kredite mobilisiert. Letztere kamen in erster Linie großen Unternehmen zugute, während kleine und mittlere Unternehmen mit einmaligen Zuschüssen unterstützt wurden, die laufende Betriebskosten decken, aber nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts verwendet werden durften. Während zahlreiche Unternehmen, darunter auch solche mit einer robusten Kapitalausstattung, von der Bereitschaft des Staates zu einer hohen Neuverschuldung profitierten, mussten sich die Finanzschwachen verglichen mit den Fördermaßnahmen für die Wirtschaft bescheiden.
Selbst die beiden Sozialschutz-Pakete der CDU/CSU/SPD-Koalition wiesen eine verteilungspolitische Schieflage auf. Auch im Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket wurden die am härtesten von der Pandemie betroffenen Personengruppen nur ganz am Rande bedacht. Wenn die Hilfsmaßnahmen einem Vergabeprinzip folgten, war es die "Leistungsgerechtigkeit", bei der es um den ökonomischen Erfolg einer Personengruppe geht, die Unterstützung braucht: Gewinneinbußen vor der Covid-19-Pandemie rentabler Unternehmen wollte die große Koalition mittels finanzieller Soforthilfen ausgleichen, und Lohn- bzw. Gehaltseinbußen sozialversicherungspflichtig Beschäftigter sollten mittels Kurzarbeitergeld abgemildert werden.
Transferleistungsempfängerinnen und Transferleistungsempfänger hatten durch den Lockdown hingegen scheinbar nichts verloren und daher auch wenig zu erwarten. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb die Ungleichheit in der Coronakrise gewachsen ist, die Reichen reicher und die Armen zahlreicher geworden sind.
Am 9. September erscheint im PapyRossa Verlag das Buch "Ungleichheit in der Klassengesellschaft" von Professor Dr. Christoph Butterwegge.
Berlin (epd). Kirchenasyle haben auch in diesem Jahr bislang selten mit der Anerkennung eines Härtefalls geendet. Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auf Nachfrage mitteilte, wurde in rund drei Prozent der von Januar bis Ende Juli entschiedenen Fälle eine "außergewöhnliche Härte" festgestellt. Diese Verfahren endeten mit dem sogenannten Selbsteintrittsrecht. Das bedeutet, dass die Betroffenen in Deutschland bleiben können. Inhaltlich entschieden wurde den Angaben zufolge bis Ende Juli über 108 Kirchenasyle.
Dem Bundesamt wurden nach eigenen Angaben in diesem Jahr 169 Fälle von Kirchenasyl mit insgesamt 241 Personen gemeldet, die einen sogenannten Dublin-Bezug hatten. Das bedeutet, dass ein anderer EU-Staat eigentlich zuständig wäre. Hinzu kamen laut Bamf acht weitere Kirchenasyle, die keinen Dublin-Bezug hatten.
Für 125 der Dublin-Fälle seien von den Kirchengemeinden Dossiers eingereicht worden, wie es zwischen dem Staat und den Kirchen vereinbart wurde. Neben den Selbsteintritten in rund drei Prozent der Fälle haben sich laut Bundesamt weitere drei Prozent der Fälle auf andere Art erledigt, etwa weil die sogenannte Überstellungsfrist abgelaufen ist.
Nach dieser Frist kann ein Asylsuchender nicht mehr in den anderen EU-Staat zurückgeschickt werden. Diese Frist liegt regulär bei sechs Monaten. Die Innenminister von Bund und Ländern hatten allerdings 2018 beschlossen, dass die Frist für Dublin-Fälle im Kirchenasyl auf 18 Monate heraufgesetzt werden kann. Möglich ist das nach EU-Recht, wenn ein Flüchtling als "flüchtig" gilt.
Inzwischen steht allerdings infrage, ob das bei Fällen von Kirchenasylen so definiert werden kann. Das Bundesverwaltungsgericht veröffentlichte am 8. Juni einen Beschluss, wonach jemand nur dann "flüchtig" sei, wenn er sich den Behörden entziehe. Daran fehle es, wenn im offenen Kirchenasyl die Adresse des Asylbewerbers bekannt sei, heißt es in dem Beschluss (Az.: BVerwG 1 B 19.20).
Das Bundesamt prüft nach eigenen Angaben gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium, welcher Handlungsbedarf sich aus dem Beschluss ergibt. Für wie viele der derzeit bekannten Kirchenasyle die 18- statt der Sechs-Monatsfrist gilt, konnte die Behörde nach eigenen Angaben nicht sagen.
Es gebe keine tagesaktuelle Übersicht über Kirchenasyle, da nicht alle Gemeinden dies meldeten, sagte der Bamf-Sprecher. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche meldete am 11. August 354 zu diesem Zeitpunkt aktive Kirchenasyle mit 543 Menschen, 117 davon Kinder - insgesamt also mehr, als dem Bamf bekannt.
Die Zahl der Kirchenasyle war in den vergangenen zwei Jahren stark zurückgegangen. Gleichzeitig sank die Quote nachträglicher Anerkennungen. Das Bamf begründet den Rückgang der Zahl anerkannter Härtefälle damit, dass die Behörde solche Fälle inzwischen selbst besser erkennt. Bei Kirchen und Flüchtlingsorganisationen gibt es daran Zweifel.
Abschiebungen in einen anderen EU-Staat, sogenannte Überstellungen, waren wegen der Corona-Pandemie im Frühjahr zeitweise ausgesetzt. Seit dem 15. Juni würden sie schrittweise wieder aufgenommen, sagte ein Sprecher des Bundesamts.
Bonn, Düsseldorf (epd). Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat das Projekt der Universitätsklinik Bonn eines hebammengeleiteten Kreißsaals gewürdigt. Die dort erstellte Studie zeige, dass eine Geburt im Hebammenkreißsaal sicher sei, sagte Laumann am 24. August bei der Projektvorstellung in Düsseldorf. So fördere ein hebammengeleiteter Kreißsaal natürliche Geburtsverläufe mit weniger operativen Eingriffen und Schmerzmitteln. Auch die Geburtsdauer werde im Durchschnitt verkürzt. Darüber hinaus trage das Versorgungsmodell zur Arbeitszufriedenheit der Hebammen bei.
Das Modell sei ein wichtiger Baustein für die strukturelle Verbesserung der geburtshilflichen Versorgung, sagte Laumann. Das Angebot sollte möglichst großflächig vielen werdenden Müttern angeboten werden.
Die seit 2018 durch das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen geförderte Studie untersucht, wie sich eine ausschließlich durch Hebammen selbstständig betreute Geburt auf die medizinische Qualität auswirkt. Wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist den Angaben zufolge die ausschließliche und kontinuierliche, selbstständige und eigenverantwortliche Betreuung der Gebärenden durch erfahrene Hebammen. Bei Auffälligkeiten des Geburtsverlaufs oder auf Wunsch der werdenden Mütter könnten die Frauen an die ärztliche Mitbetreuung weitergeleitet werden.
Der geschäftsführender Direktor des Zentrums für Geburtshilfe und Frauenheilkunde am Universitätsklinikum Bonn, Ulrich Gembruch, erklärte, dass der Hebammenkreißsaal die Wahlfreiheit Schwangerer für ihre Geburtsbetreuung erhöhe. Die Frauenklinik Bonn hatte den hebammengeleiteten Kreißsaal als erste Universitätsklinik Deutschlands eingeführt. Inzwischen gibt es neun Hebammenkreißsäle in Nordrhein-Westfalen, bundesweit gibt es 23 dieser Einrichtungen.
Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband begrüßte, dass NRW bei den hebammengeleiteten Kreißsälen eine führende Rolle einnehme. Ein hebammengeleiteter Kreißsaal unterstreiche die Kompetenz der Hebammen und stelle ein Alleinstellungsmerkmal für das Krankenhaus dar, sagte der Vorstandsvorsitzende, Christoph Radbruch.
Die Erfahrung zeige jedoch auch, dass dieses Modell nicht für jedes Krankenhaus die passende Lösung sei, betonte er. Hier müssten regionale Aspekte mit einbezogen werden. Drei der neun Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen, die einen hebammengeleiteten Kreißsaal anbieten, seien in evangelischer Trägerschaft.
Düsseldorf (epd). Ein wissenschaftliches Pilotprojekt in Nordrhein-Westfalen will die gesundheitliche Selbstbestimmung von Menschen mit geistiger Behinderung stärken. Ziel ist es, dass die Bewohner von ambulanten und stationären Einrichtungen ihre Ernährungswünsche und Bedürfnisse nach sportlicher Aktivität besser als bisher umsetzen können, wie die Projektplaner am 25. August in Düsseldorf mitteilten.
"Gesund leben: Besser so wie ich es will!" ist der Titel des Projekts, das der Verband der Ersatzkassen (vdek) und das Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS) gemeinsam entwickelt haben. Die Schirmherrschaft hat die NRW-Landesbeauftragte für Patienten und Menschen mit Behinderung, Claudia Middendorf, übernommen. Beteiligt sind drei Wohneinrichtungen, darunter das Haus Jona der Diakonie im Kirchenkreis Recklinghausen.
"Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen haben bislang nur wenig Einflussmöglichkeiten, ihr Leben den eigenen gesundheitlichen Vorstellungen entsprechend zu gestalten", erläuterte der Leiter der vdek-Landesvertretung NRW, Dirk Ruiss. Vor diesem Hintergrund sind 17 Bewohner der drei Einrichtungen und deren Angehörige in das Projekt einbezogen. Damit können sie stellvertretend für andere Vorstellungen einbringen und die Alltagstauglichkeit des Projekts sichern, das von den Ersatzkassen finanziert wird.
Zu einem selbstbestimmten Leben in den Einrichtungen gehörten gesundheitliche Prävention und damit Ernährung sowie Sport dazu, betonten die Projektorganisatoren. Die Bewohner müssten ihre Ansprüche aber auch umsetzen können. Das setze Änderungen in den organisatorischen Rahmenbedingungen in den Wohneinrichtungen voraus. Daher sind Schulungen für die Mitarbeiter der Einrichtungen Teil des auf drei Jahre angelegten Projekts. Der Aufbau eines Netzwerks unter den Einrichtungen soll die gewonnenen Erkenntnisse später in die Breite tragen.
Bonn (epd). Im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche bemühen sich nun die deutschen Ordensgemeinschaften auch um Aufklärung. Wie eine am 26. August in Bonn veröffentlichte Umfrage unter den Mitgliedern der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) zeigt, haben sich 1.412 Betroffene bis 2019 bei den Ordensgemeinschaften gemeldet. 654 Ordensmitglieder seien beschuldigt worden. Knapp 80 Prozent aller Beschuldigten sei bereits verstorben. 95 Beschuldigte seien bis heute Mitglied einer der Ordensgemeinschaften. 37 seien nicht mehr in einer der Gemeinschaften.
Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung bestätigten, dass der in den vergangenen Jahren offenbar gewordene Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche nicht nur die diözesan verfasste Kirche, sondern in erheblichem Ausmaß auch die Ordensgemeinschaften betreffe, teilte die DOK mit. Die DOK bekenne sich in diesem Zusammenhang erneut zu ihrer Verantwortung. "Brüder und Schwestern unserer Gemeinschaften haben sexuellen Missbrauch in seinen verschiedenen Formen verübt. Nicht nur diese Taten haben unsägliches Leid über die Betroffenen gebracht. Auch der Umgang von Leitungsverantwortlichen und anderen Ordensmitgliedern mit Betroffenen und ihren Berichten haben Menschen erneut verletzt, die sich durch ihre mutige Öffnung einen gemeinsamen Schritt auf ihrem Weg der Heilung erhofft hatten", sagte die DOK-Vorsitzende Katharina Kluitmann.
Der Bericht spricht den Angaben zufolge - auch mit Verweis auf die Ergebnisse der im Jahr 2018 von der Deutschen Bischofskonferenz veröffentlichten MHG-Studie - von deutlichen Schwachstellen bei den bisher getroffenen Maßnahmen und von weiterem Handlungsbedarf.
Frankfurt a.M. (epd). Im Caritas Altenpflege-Zentrum St. Martin in Düsseldorf fing alles an. Es war das erste Heim in Deutschland, das in der Corona-Pandemie die neu entwickelte App "Videobesuch" nutzte. Mit ihr können sich Angehörige und Heimbewohner per Videoanruf verbinden. Möglich gemacht hat das dort und in sieben weiteren Häusern der Caritas ein Kölner Start-up, das inzwischen bundesweit agiert.
Das junge Unternehmen war zuvor unter den 20 besten Projekten des #WirVsVirus-Hackathons der Bundesregierung. Inzwischen sind Videobesuche in über 280 Heimen möglich - und das Unternehmen sieht noch "viel Luft nach oben", wie Mitgründerin Jaye Pharell dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Der Markt ist riesig: In Deutschland gibt es über 12.000 Pflegeheime.
Der Wettbewerb sei ein echter Türöffner gewesen, bekennt Pharell. Die inzwischen kostenpflichtige App ermöglicht Videotelefonie, obwohl fast überall wieder Besuche von Familienmitgliedern in Heimen möglich sind.
"Viele Träger sind nach dem Modellversuch bei der Caritas von selbst auf uns zugekommen, andere konnten wir überzeugen, dass der Videobesuch gerade bei Besuchsverboten eine gute Ergänzung ihres eigenen Angebotes ist", berichtet Pharell. Man wolle weiter wachsen, sagt sie, eine Begrenzung der Nutzerzahlen gebe es nicht. Neuerdings kümmere man sich vermehrt darum, ambulante Einrichtungen mit dem Angebot zu versorgen.
Das Funktionsprinzip: Die Heime tragen zunächst die Tage, Uhrzeiten und Zeiträume ein, an denen sie die Videotelefonate ermöglichen können. Dann werden permanente Links an die Angehörigen geschickt, über die sie ihre Termine selbstständig buchen. Alle Wünsche werden in einem zentralen Kalender für die Pflegekräfte festgehalten. Um die vereinbarte Uhrzeit öffnet sich der "Videobesuch" per App selbstständig und schließt automatisch nach der vorab festgelegten Zeitspanne.
Das heißt, die Heime müssen nur noch das Endgerät zum Heimbewohner bringen oder den Pflegebedürftigen vor einen Computer begleiten. Der Reiz im Vergleich zu anderen Anbietern wie Skype und Facetime bestehe darin, dass "Videobesuch" den Pflegekräften den organisatorischen Aufwand weitgehend abnimmt.
An Kosten fällt pro Monat und genutztem Tablet "ein mittlerer zweistelliger Betrag" an, so Pharell. Aber - und das ist nicht zu unterschätzen - zuvor müssen Heime, die etwa noch kein WLAN nutzen, kräftig investieren. "Videobesuch" stellt nur die Software bereit - Tablets, Laptops oder Computer müssen die Heime selbst kaufen.
Kein Wunder, dass die Pflegebranche auf Zuschüsse von Bund und Ländern hofft, um die eigenen Kosten für die Digitalisierung merklich zu senken. Zuschüsse gibt es auch schon: Möglich wurden sie mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz am 1. Januar 2019. Gelder gibt es für eine einmalige Anschubfinanzierung für digitale oder technische Investitionen in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. "Jede Einrichtung kann einen Zuschuss der Pflegeversicherung in Höhe von 12.000 Euro (oder 40 Prozent der Gesamtkosten) erhalten", teilte das Bundesgesundheitsministerium mit. Damit könnten etwa Programme zur digitalen Dienstplanerstellung für Fahrtenplanungen oder Dokumentationen beschafft und installiert werden. Im ersten Halbjahr 2020 wurden 13 Millionen Euro ausgezahlt.
Doch dass öffentliche Fördergelder allein eine besondere Dynamik entfalten könnten, glaubt Pharell nicht. "Für die Träger, die bereit sind, sich zu digitalisieren, ist das super." Doch ob solche Gelder von Heimen abgerufen würden, die der Internettechnik aus Prinzip ablehnend gegenüberstehen, sei fraglich. Ohne eine Pflicht zur Digitalisierung sei ein echter Schub nicht zu erwarten, mutmaßt Pharell: Viele Einrichtungen würden sich auch dann nicht mit dem Thema befassen, "wenn dafür viel Fördergeld abgerufen werden kann".
Experten fordern schon länger, Heimbewohnern die digitale Welt zu eröffnen. Doch noch passiert das eher selten: Angebote wie "Videobesuch" sind eher die Ausnahme. Das belegt eine Studie aus dem Jahr 2018: "Das Thema WLAN ist aktuell in der deutschen Pflegelandschaft noch eher unterrepräsentiert. Nur 37 Prozent der befragten Pflegeheime bieten ihren Bewohnern die Möglichkeit einer WLAN Nutzung an", heißt es dort.
Das Problem reicht weit über die Altenpflege hinaus, zeigt eine jüngst erschienene Untersuchung. Geschäftsprozesse und Branchensoftware in sozialen Organisationen seien vielfach noch nicht reif für den digitalen Wandel, lautet eines der zentralen Ergebnisse des IT-Reports, den die Arbeitsstelle für Sozialinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) seit zwölf Jahren jährlich aktualisiert herausgibt.
Die Autoren betonen darin, dass schlanke und gut mit IT unterstützte Prozesse eine wichtige Voraussetzung darstellen, um digital unterstützte Hilfsangebote zu entwickeln. Zwar sei das Bewusstsein der Leitungskräfte dafür gewachsen, jedoch bleibe insbesondere die Branchensoftware oft noch hinter den Erwartungen zurück. "Hier liegt wohl ein entscheidender Hemmschuh für einen kräftigen Digitalisierungsimpuls in der Branche."
Was nun dringend passieren muss, ist auch im jüngst vorgestellten achten Altersbericht nachzulesen, den die Bundesregierung in Auftrag gibt. Zu den Empfehlungen der Kommission, die den Report erarbeitet hat, gehört auch, in allen Wohnformen älterer Menschen Internetzugänge bereitzustellen. Zudem müsse es mehr frei verfügbares Internet geben. Weitere Empfehlungen zielen unter anderem auf mehr Unterstützung und Weiterbildung bei digitalen Angeboten.
Der frühere Bundesminister und Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), Franz Müntefering, betonte, zur Digitalisierung gebe es keine Alternative. Zugleich warnte er vor einem Überschätzen digitaler Möglichkeiten. Ein großer Teil der Pflegebedürftigen sei schwer krank, bettlägerig oder habe kognitive Einschränkungen. Dass vor allem Menschen für sie da sind, bleibe wichtig.
Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik der Grünen, betonte, für erfolgreiche digitale Anwendungen brauche es zwingend die Qualifizierung des professionellen Pflegepersonals - und natürlich auch der Heimbewohner.
Der Caritasverband Düsseldorf, der die App "Videobesuch" in mehreren seiner Einrichtungen anbietet, will deshalb ein festes Angebot etablieren, um die Medienkompetenzen der Bewohnerinnen und Bewohner zu stärken und sie in ihrer Selbstständigkeit beim Nutzen digitaler Geräte zu fördern. "Dafür sollen weitere Tablets angeschafft werden, die die Bewohner dann ausleihen können", erläuterte Pressesprecherin Stephanie Agethen auf Nachfrage. Und man wolle den "Videobesuch" als dauerhaften Service in allen eigenen Altenzentren anbieten.
Christel Bienstein, ehemalige Professorin für Pflegewissenschaften und Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), sieht ebenfalls großen Nachholbedarf in den Einrichtungen - nicht nur auf der technischen Ebene. "Ohne Internetkompetenz sind etwa Online-Kontakte zwischen Patienten oder Heimbewohnern unmöglich." Zwar sei in der Corona-Krise schon viel improvisiert worden, etwa mit Tablets. "Aber das alles hat auch seine Grenzen, vor allem bei Menschen mit Demenz. Oder bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen, deren Zahl in den Pflegeheimen rapide ansteigt." Das Problem sei, dass viele Heimbewohnerinnen und Bewohner kognitiv nicht in der Lage sind, diese moderne Technik zu bedienen. "Und auch das Pflegepersonal, das ja eh meist schon an oder über der Belastungsgrenze arbeitet, kann da kaum immer assistieren", betonte Bienstein im Gespräch mit dem epd.
Andreas Kruse, Psychologe und Gerontologe aus Heidelberg, sieht das anders: "Hüten wir uns unbedingt vor der Annahme, dass alle Bewohner von Pflegeheimen mit massiven kognitiven Einbußen konfrontiert wären. Dem ist nicht so." Er ist überzeugt, dass alte Menschen nach Schulungen und mit fachlicher Begleitung eigene Internetkompetenz erwerben können: "Dann sind sogar Menschen mit erheblichen kognitiven Einbußen in der Lage, sich mit bestimmten digitalen Techniken anzufreunden." Das sei in Untersuchungen eindeutig nachgewiesen worden.
Für die nötigen Schulungen und die fachliche Begleitung in den Einrichtungen sieht der Verantwortliche für den achten Altersbericht der Bundesregierung drei Gruppen, die hier tätig werden könnten. Kruse nennt Bewohner, die schon digitale Kompetenzen haben und diese gerne weitervermitteln. Zudem könnten Betreiber von Pflegeheimen eine oder mehrere Fachpersonen beauftragen, dies zu übernehmen. "Und schließlich sollte man nicht vergessen, dass es auch ehrenamtlich interessierte und tätige Personen gibt, die gerne bereit sind, Bewohner im Umgang mit digitaler Technik zu unterstützen", sagte er.
Heidelberg (epd). Auch Pflegeheime müssen sich auf den Weg der Digitalisierung machen, das ist eine Erkenntnis aus der Corona-Krise mit ihren monatelangen Kontaktsperren. Doch sind die Senioren überhaupt in der Lage, Skype oder Videotelefonie mit Verwandten zu nutzen? Ja, sagt Professor Andreas Kruse, der auch den jüngsten Altenbericht der Bundesregierung verantwortet. Wie das funktionieren kann, erklärt er im Gespräch mit Dirk Baas.
epd sozial: Viele Experten fordern mit Vehemenz, die Digitalisierung in Altenpflegeheimen voranzutreiben. Worin liegen aus Ihrer Sicht die Hauptvorteile der technischen Innovationen?
Andreas Kruse: Wenn es gelingt, die digitale und die analoge Welt zusammenzuführen, also die analoge Welt nicht durch die digitale zu ersetzen, sondern sie durch letztere zu erweitern, dann ist mit der Digitalisierung in Altenpflegeheimen sehr viel gewonnen.
epd: Welche Perspektiven würden sich dann künftig bieten?
Kruse: Bewohnerinnen und Bewohner werden sehr viel mehr Möglichkeiten finden, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Sie werden sehr viel mehr Angebote zur Stimulation im kognitiven, sozialen, emotionalen und alltagspraktischen Bereich vorfinden, was sich auch auf die Kompetenz und das Wohlbefinden auswirkt. Und sie werden Entlastung in den alltagspraktischen Aktivitäten erfahren, so zum Beispiel bei sensorgestützter Bedienung von Gegenständen im Appartement.
epd: Und wie profitiert das Fachpersonal?
Kruse: Digitalisierung wird sich positiv auf die Pflege auswirken, wenn es um Pflegedokumentation, wenn es um Pflegeberatung, wenn es um die Umsetzung von rehabilitativer Pflege geht. Und wenn es um die körperliche Entlastung von Pflegefachpersonen geht. Diese technischen Innovationen haben ein hohes Anregungs-, Rehabilitations- und Unterstützungspotenzial. Allerdings ist auch klar: Den zwischenmenschlichen Kontakt sollen und dürfen sie nicht ersetzen.
epd: Umfragen zufolge sind längst nicht alle Senioren internetaffin. Wie sollen sie von den Möglichkeiten des Internets profitieren?
Kruse: Man macht immer wieder die Erfahrung, und empirische Untersuchungen bestätigen das eindrucksvoll, dass alte Menschen dann, wenn sie in die Nutzung von Internet, Smartphone oder Apps kompetent eingewiesen werden, vielfach Freude am Arbeiten mit neuen Techniken entwickeln. Der zentrale Begriff ist hier die "digitale Souveränität".
epd: Was ist damit gemeint?
Kruse: Alte Menschen benötigen genauso wie Menschen in jüngeren Lebensjahren Unterstützung bei der Ausbildung dieser Souveränität, übersetzt: dieser Kompetenz. Dann sind sogar Menschen mit erheblichen kognitiven Einbußen in der Lage, sich mit bestimmten digitalen Techniken anzufreunden. Wir konnten das in Untersuchungen nachweisen.
epd: Das Pflegepersonal dürfte kaum die Zeit haben, diese Unterstützung zu leisten. Wer sollte es dann tun?
Kruse: Hüten wir uns unbedingt vor der Annahme, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen mit massiven kognitiven Einbußen konfrontiert wären. Dem ist nicht so. Drei Unterstützungsmöglichkeiten beobachten wir immer wieder: Es gibt auch in Pflegeheimen Bewohnerinnen und Bewohner, die schon gewisse digitale Kompetenzen haben und diese gerne weitervermitteln. Zweitens ist es wichtig, dass Betreiber von Pflegeheimen eine oder mehrere Fachpersonen beauftragen, interessierte Bewohnerinnen und Bewohner in digitale Techniken einzuführen. Das kostet Geld, aber das ist wirklich gut investiertes Geld; es ist auch ein bedeutender Teil der "Kultur". Und schließlich sollte man nicht vergessen, dass es auch ehrenamtlich interessierte und tätige Personen gibt, die gerne bereit sind, Bewohnerinnen und Bewohner im Umgang mit digitaler Technik zu unterstützen.
Hannover (epd). Experten in der Seniorenarbeit fordern mehr Unterstützung für Senioren im Umgang mit neuen Medien. Der Landesseniorenrat Niedersachsen (LSR) begrüßte die Forderung des IT-Verbandes Bitkom nach "Digitalen Streetworkern" für ältere Menschen, die teilweise Computer nicht nutzen, weil ihnen Unterstützung fehlt. Die Helfer könnten in Seniorenbüros und Pflegestützpunkten angesiedelt werden, sagte die Vorsitzende des LSR, Ilka Dirnberger, am 26. August dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dirnberger sprach sich außerdem dafür aus, die analoge Kommunikation über das Festnetztelefon und den Postweg aufrechtzuerhalten. "Wir werden da noch eine ganze Weile zweigleisig fahren müssen."
Dieser Meinung ist auch Patrick Ney, Gerontologe und Digital Scout im Fachbereich Senioren der Landeshauptstadt Hannover. Er koordiniert die digitalen Beratungsangebote der rund 125.000 Über-65-Jährigen in Hannover. "Es ist klar, dass der digitale Wandel immer mehr voranschreitet und alle Lebensbereiche umfassen wird, aber es muss trotzdem auch ein Recht auf analoge Strukturen geben", sagte er. Ney kritisierte die Gebühren, die bereits jetzt für analoge Banküberweisungen oder telefonisch gebuchte Fahrkarten berechnet werden.
Die Idee der "digitalen Streetworker" unterstützt der Altersforscher. "Wir brauchen Übersetzer der analogen Welt in die digitale. Streetworker ist dafür ein passender Begriff", sagte Ney. In Hannover stehen nach seinen Angaben computerinteressierten Senioren seit vier Jahren rund 30 ehrenamtlich Medien- und Techniklotsen zur Verfügung. Sie beraten mehr als 2.000 Bürger jährlich. Die digitale Unterstützung war zeitweilig durch das Coronavirus ins Stocken geraten. Die persönliche Beratung im häuslichen Umfeld der Senioren lief laut Ney erst Anfang August wieder an. Sie finde auch jetzt noch nicht wieder in vollem Umfang statt, da einige der ehrenamtlichen Medienlotsen pandemiebedingt nicht zur Verfügung stünden.
Der Digitalverband Bitkom hatte 1.000 Menschen im Alter über 65 Jahren zu ihrer Internetnutzung befragt. Ergebnis: Der Anteil der Senioren, die online aktiv sind, hat sich trotz der Corona-Pandemie kaum erhöht. Nach wie vor nutzt nur etwa jeder zweite ab 65 Jahren das Internet. Anfang des Jahres waren es 48 Prozent, im Juli 2020 der Umfrage zufolge 49 Prozent. Laut Bitkom nutzen inzwischen rund 40 Prozent der Älteren mit Computer- und Internetzugang Videotelefonie. Anfang des Jahres waren das nur 30 Prozent. Auch beim Online-Einkauf stieg die Quote: von 67 auf 72 Prozent.
Von den Senioren, die keinen Computer nutzen, geben 14 Prozent als Grund an, dass sie niemanden hätten, der sie in technischen Fragen unterstützt. "Wir dürfen nicht zulassen, dass interessierte Senioren der digitalen Welt fernbleiben, weil ihnen die Hilfsangebote fehlen", sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. Aus Sicht seines Verbandes könnten "digitale Streetworker" älteren Menschen im Umgang mit Computer und Internet helfen.
Berlin (epd). Die Sozialverbände haben den Beschluss des Koalitionsausschusses zur Verlängerung des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes (SodEG) begrüßt. "Der Beschluss ist ein positives Signal dafür, dass man sich weiter um den Bestand der Sozialdienste und Einrichtungen sorgt", sagte der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW), Gerhard Timm, am 26. August dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Angesichts steigender Infektionszahlen vermittele die Gesetzesverlängerung der Sozialbranche in der Krise Sicherheit und Verlässlichkeit. Das Gesetz war zu Beginn der Corona-Krise eingesetzt worden, um in finanzielle Not geratenen Sozialdienstleistern eine Überbrückungshilfe zu bieten.
Aktuell lägen der BAGFW keine Zahlen vor, wie stark die Hilfen seit der Einführung des Gesetzes in Anspruch genommen wurden. In den vergangenen zwei Wochen hätte Sozialunternehmen der Arbeitsgemeinschaft aber Sorgen geäußert, sollte die Bundesregierung das Gesetz nicht verlängern, sagte Timm.
Der Geschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Werner Hesse, lobte die Bundesregierung ebenfalls: "Die Bundesregierung bemüht sich, die soziale Infrastruktur aufrechtzuerhalten." Auch wenn der Hilfsbedarf vieler Einrichtungen seit der Lockerung der Corona-Beschränkungen vermutlich erst einmal gesunken ist, wisse man angesichts steigender Infektionszahlen nicht, ob der Bedarf künftig nicht wieder zunehmen werde.
Die Diakonie-Vorständin Maria Loheide bezeichnete das Sozialdienstleister-Einsatzgesetz als einen "letzten Rettungsschirm" für soziale Dienste und Einrichtungen, der aktuell noch gebraucht werde. "Von Normalbetrieb – zum Beispiel in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, in den Versorgungs- und Rehabilitationseinrichtungen oder den Einrichtungen der Arbeitsförderung und Weiterbildung – kann noch lange keine Rede sein", sagte Loheide dem epd.
Sie kritisierte, dass das Gesetz, den in wirtschaftliche Not geratenen Antragsstellern die finanziellen Ausfälle nicht vollständig ausgleiche und Mehraufwendungen für Hygienemaßnahmen und zusätzliches Personal finanziere: "Zuschüsse von monatlich höchstens 75 Prozent sichern die Existenz vieler Einrichtungen und Dienste nicht."
Die Spitzen von Union und SPD haben sich in der Nacht zum 26. August in einer Sitzung des Koalitionsauschusses darauf verständigt, das in der Corona-Krise eingeführte Sozialdienstleister-Einsatzgesetz bis zum 31. Dezember 2020 zu verlängern. Das Gesetz wäre Ende September ausgelaufen, hätte die Bundesregierung bis dato keine Verlängerung initiiert.
Mit dem Sozialdienstleister-Einsatzgesetz will der Bund wirtschaftliche Einbußen und drohende Insolvenzen für soziale Dienstleister und Einrichtungen infolge der Corona-Pandemie abfedern. Insbesondere während des Corona-Lockdowns mussten Einrichtungen wie Werkstätten für Menschen mit Behinderung ihren Betrieb teilweise bis auf null herunterfahren.
Mit dem Gesetz soll sichergestellt werden, dass die Einrichtungen und Dienste weiterhin Geld von ihren Leistungsträgern erhalten: Vorgesehen ist ein Betrag, der monatlich höchstens 75 Prozent des Durchschnittsbetrags der vergangenen zwölf Monate entspricht. Anspruchsberechtigt sind hauptsächlich Arbeitsmarktdienstleistungen, Jugendhilfeleistungen und Leistungen der Behindertenhilfe.
Im Gegenzug sollen die Dienstleister, die die Hilfe des Sozialdienstleister-Einsatzgesetz in Anspruch nehmen, bei der Krisenbewältigung der Corona-Pandemie helfen. In der Praxis sah dies zum Beispiel so aus, dass das Personal einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung während der Schließung der Einrichtung zeitweise in Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung eingesetzt war. Dort war aufgrund der Werkstätten-Schließung der Betreuungsbedarf gestiegen, der mit der Umverlegung des Personals so gedeckt werden konnte.
Sobald ein sozialer Dienstleister seinen Betrieb wieder wie gewohnt aufnehmen kann, treten die Hilfen des Sozialdienstleister-Einsatzgesetzes außer Kraft und die Einrichtungen und Dienste werden wie vertraglich vereinbart von den Leistungsträgern bezahlt.
Tübingen, Berlin (epd). Jeder will vor einer Reise wissen, ob er auch Chancen hat, wirklich anzukommen. Für Rollstuhlfahrer kann das etwa daran scheitern, dass es auf dem Weg ins Hotel oder Restaurant unüberwindbare Stufen gibt. Das Projekt Wheelmap bereitet Stadtpläne auf, die über Barrierefreiheit informieren. Mitmachen können bei diesem Gemeinschaftsprojekt alle, die Orte nach ihrer Rollstuhltauglichkeit bewerten möchten. Einer der Unterstützer ist der Tübinger Melle Jansen.
"Wheelmap kennen noch zu wenige Leute", findet Jansen. Das Projekt arbeitet mit Kartenmaterial von Open Street Map. Dort können Nutzer Bewertungen eintragen, etwa für Restaurants, Toiletten, Arztpraxen oder andere Gebäude. Bewertet wird nach einem Ampelsystem. Grün steht für rollstuhlgerecht, was bedeutet, dass Eingänge und Räume stufenlos erreichbar sind. Gelb bedeutet "teilweise rollstuhlgerecht" und Rot "nicht rollstuhlgerecht". Noch nicht bewertete Orte sind grau unterlegt - hier braucht es also noch Menschen, die eine Bewertung vornehmen.
Der Sozialarbeiter Jansen, der Menschen beim ambulanten Wohnen betreut, hat sich das hügelige Tübingen vorgenommen und zwei Stadtviertel ausgewählt: das Französische Viertel und die Südstadt. Die Anzahl der Stufen und ihre Höhe fließen bei der Beurteilung ein. Führen mehrere Stufen zur Tür, ist eine Einstufung als "rollstuhltauglich" nur möglich, wenn es als Alternative einen ebenen Hintereingang gibt.
Ist nur eine Stufe vorhanden, darf sie nicht höher als sieben Zentimeter sein: Diese Maximalhöhe können Rollstuhlfahrer selbstständig überwinden. Abhilfe bei höheren Stufen sollen Rampen bringen, doch das klappt nicht immer. "Liegt der Steigungswinkel bei sechs Prozent, muss ein Rollstuhlfahrer viel Kraftaufwand aufbringen, um diese Rampen zu meistern", erklärt Jansen. Auch andere Barrieren berücksichtigt er. Das können eine zu schmale Tür sein oder eine Klingel, die zu hoch angebracht ist.
Nach Angaben von Wheelmap gibt es in Deutschland 1,6 Millionen Rollstuhlfahrer. Die Informationen des Projekts sind auch für andere nützlich, die mit Hindernissen kämpfen müssen, etwa für Menschen mit Rollator oder Kinderwagen. Laut Jansen ist das globale Projekt in vielen Sprachen verfügbar, darunter Englisch, Türkisch sowie Japanisch, und verzeichnet täglich 300 neue Einträge.
Die Idee dafür stammte von dem Berliner Behinderten-Aktivisten Raul Krauthausen, der wegen seiner Glasknochen-Krankheit einen Rollstuhl braucht. Der studierte Kommunikationswirt startete damit, weil ein Freund sich beschwerte, dass sie sich immer im selben Restaurant trafen. Beide hätten nicht gewusst, in welcher anderen Lokalität ein Treffen möglich gewesen wäre. Aus dieser Überlegung heraus entwickelte sich Wheelmap. Seit 2010 gibt es das digitale Projekt, das vom Verein Sozialhelden betreut wird. Krauthausen ist Vereinsvorsitzender.
Berlin (epd). Jahrzehntelang wusste Heidi Büttner nicht, was für ein Schicksal ihrem im Zweiten Weltkrieg vermissten Vater zuteil wurde. Die Unsicherheit habe sie ein Leben lang begleitet und bewegt, erzählt die 81-Jährige heute: "Das Wort 'vermisst' geisterte in meinem Kopf umher." Seit knapp einem Jahr hat sie Klarheit. Der Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) fand im vergangenen Jahr heraus, dass Büttners Vater am 18. September 1945 als Kriegsgefangener in einem Spezialhospital südöstlich von Moskau an Unterernährung gestorben ist. Bis heute ebben solche Anfragen wie die von Heidi Büttner nicht ab. Der Suchdienst soll daher länger als bislang geplant nach Vermissten des Zweiten Weltkriegs forschen.
Allein 2019 habe es mehr als 10.000 Anfragen gegeben, sagte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt am 26. August in Berlin. Für dieses Jahr rechnet sie nach eigenen Worten mit rund 11.000 Anfragen. Die Suche nach Verschollenen des Zweiten Weltkriegs sollte eigentlich Ende 2023 auslaufen, so vereinbarte es die Hilfsorganisation 2017 mit dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Damals waren beide Seiten davon ausgegangen, dass die Anfragen stark zurückgehen würden.
Im 75. Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs räumt das Innenministerium ein, dass man sich dabei geirrt hat. Es gebe allgemein sogar eine vermehrte Nachfrage nach Themen des vergangenen Jahrhunderts, sagte Staatssekretär Markus Kerber. Rund elf Millionen Euro bekommt der DRK-Suchdienst jährlich vom Ministerium. 25 der aktuell knapp 100 Mitarbeiter sind den Angaben zufolge für Schicksalsklärungen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg zuständig. Der Suchdienst hilft darüber hinaus auch Migranten und Flüchtlingen, die aktuell auf der Suche nach vermissten Angehörigen sind.
Hasselfeldt sagte, auch die Generation der Enkel von im Zweiten Weltkrieg Vermissten interessiere sich sehr. Diskussionen in den Familien würden heute vielleicht sogar intensiver geführt als in der ersten Generation nach dem Krieg, sagte sie. Die Erfolgsquote bei Suchanfragen liegt nach ihren Angaben heute immer noch bei 20 Prozent.
Viele Angehörige, darunter auch Heidi Büttner, stellten zweimal oder noch häufiger Anträge, um das Schicksal von Angehörigen aufzuklären. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bekam der DRK Suchdienst Zugang zu den Karteien der ehemaligen Sowjetunion. Viele Kriegsgefangenenschicksale konnten erst dadurch für die Angehörigen geklärt werden.
Parallel zur Verlängerung des Suchdienstes bewilligte das Bundesinnenministerium auch die Förderung einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Suche nach Vermissten im Zweiten Weltkrieg. Das Institut für Zeitgeschichte München will nach Angaben von Direktor Magnus Brechtken anhand von Beispiel-Biografien die Vermisstensuche im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Situation aufarbeiten. Es gehe auch darum, zu betrachten, wie durchlässig der Eiserne Vorhang habe sein können, wenn es um Familien ging, sagte Brechtken.
Die digitale Namenskartei des DRK beinhaltet nach dessen Angaben Informationen zu mehr als 20 Millionen Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als vermisst galten. Unmittelbar nach dem Krieg, zwischen 1945 und 1950, gingen beim Suchdienst 14 Millionen Anfragen ein. 8,8 Millionen klärende Auskünfte konnten bereits damals erteilt werden.
Düsseldorf (epd). Die Caritas in NRW fordert die Landesregierung auf, Konsequenzen aus der Corona-Pandemie zu ziehen und bei der Krankenhausplanung die Daseinsvorsorge in den Mittelpunkt zu stellen. Die Verantwortung für die Menschen und für eine flächendeckende gute Gesundheitsversorgung müsse als hoheitliche Aufgabe wahrgenommen werden und könne nicht an Dritte delegiert werden, heißt es in einem am 24. August in Düsseldorf veröffentlichten Positionspapier der Caritas in NRW. "Alleinige Aufgabe der Krankenhausplanung ist es, die Versorgung sicherzustellen", mahnt darin der Wohlfahrtsverband. Ökonomische Erwägungen dürften nur eine nachgeordnete Rolle spielen.
Der Zusammenschluss des Wohlfahrtsverbände der fünf katholischen Bistümer in NRW fordert, dass etwa Mindestzahlen zu bestimmten Operationen oder Behandlungen nur vom Land gesetzt werden dürften. Derzeit gelte: Könne ein kleineres Krankenhaus eine bestimmte Mindestanzahl etwa von Geburten oder Hüftoperationen nicht vorweisen, dann erfolge keine Aufnahme dieser Bereiche in den sogenannten Behandlungsplan, erläuterte die Caritas. Damit entfalle dann auch die Refinanzierung - mit der Folge, dass kleinere Krankenhäuser ganze Abteilungen schließen müssten. Das Kriterium der Qualitätssicherung durch Mindestvorgaben sei grundsätzlich nicht verkehrt, aber ein solcher Wettbewerb dürfe nicht zulasten der Patientenversorgung gehen. Regionale Besonderheiten müssten berücksichtig werden, mahnte der Wohlfahrtsverband.
Auch bestehe dringender Handlungsbedarf bei der Verpflichtung der Krankenhäuser, bestimmte Leistungen rund um die Uhr vorzuhalten. Dies werde durch das derzeitige Vergütungssystem nur unzureichend berücksichtigt, kritisierte die Caritas. Die Unterfinanzierung verschärfe sich, wenn die Kliniken planbare Leistungen aus ihrem Leistungsspektrum nicht mehr anbieten könnten.
Die Krankenhauslandschaft in NRW habe sich in der Corona-Krise als elastischer erwiesen als zentralisierte Strukturen in Nachbarstaaten, betonte die Caritas in NRW. "Dieser wichtige Vorteil darf nicht verspielt werden." Die Caritas vertritt nach eigenen Angaben 200 katholische Kliniken im Land.
Trier, Hermeskeil (epd). Nach dem Bekanntwerden zweier weiterer positiver Corona-Tests hat der Landkreis Trier-Saarburg die Flüchtlings-Erstaufnahmestelle in Hermeskeil komplett unter Quarantäne gestellt. Für die aktuell 519 Bewohner sei ein zweiwöchiges Ausgehverbot erlassen worden, teilte die für die Einrichtung zuständige Aufsichtsbehörde ADD in Trier am 27. August mit. Die Mitarbeiter der Aufnahmeeinrichtung dürfen zur Arbeit gehen, stehen ansonsten aber ebenfalls unter häuslicher Quarantäne.
Am 25. August war bekanntgeworden, dass ein jugendlicher Bewohner sich mit dem Coronavirus infiziert hatte. Flüchtlingshilfeorganisationen haben in der Corona-Krise wiederholt gefordert, die großen Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber mit ihren Mehrbettzimmern und gemeinschaftlichen benutzten sanitären Anlagen aufgrund des erhöhten Ansteckungsrisikos aufzulösen.
Düsseldorf (epd). Nordrhein-Westfalen baut wegen der anhaltenden Corona-Krise seine Finanzhilfen und Kreditvergabe für die und gemeinnützige Organisationen aus. Ein entsprechendes Förderprogramm habe die landeseigene NRW.Bank aufgelegt, sagte Wirtschafsminister Andreas Pinkwart (FDP) am 24. August in Düsseldorf.
Dem Minister zufolge können damit Stiftungen, Vereine und Verbände, aber auch Altenpflegeeinrichtungen oder Frauenhäuser mit 1,5 Prozent niedrig verzinste Kredite in Anspruch nehmen. Die Rechtsform oder Trägerschaft spielten dabei keine Rolle. Die jeweilige Hausbank sei zudem von der Haftung für die Kreditvergabe befreit. Diese werde zu 80 Prozent von der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und zu 20 Prozent von der NRW.Bank übernommen. Die Laufzeiten der Kredite sollen bis zu zehn Jahre betragen können.
Stuttgart, Kassel (epd). Eine in einer Demenz-Wohngemeinschaft im Schichtdienst eingesetzte ambulante Honorar-Pflegefachkraft ist grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Denn mit dem Schichtdienst und der Weisungsgebundenheit der Beschäftigten liegt eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation vor, die gegen eine freiberufliche Tätigkeit sprechen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 15. August veröffentlichten Urteil.
Im entschiedenen Fall ging es um eine ambulante Pflegefachkraft, die über eine Agentur an verschiedene Pflegeheime vermittelt wurde. Vom 5. bis 11. November 2012 arbeitete sie wegen Personalengpässen auch in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke in der Tagesschicht. Die Demenzkranken wurden von einem ambulanten Pflegedienst, einer GmbH, betreut.
Als "freiberufliche Pflegefachkraft" trug die befristet beschäftigte Frau eine eigene Dienstkleidung, handelte ihren Stundensatz selbst mit der GmbH aus und kam auch für Betriebsmittel wie Handschuhe auf. Laut Dienstvertrag sollte sie die Arbeit persönlich leisten.
Die Bundesagentur für Arbeit stufte die Beschäftigung als sozialversicherungspflichtig ein, so dass die GmbH letztlich Sozialversicherungsabgaben zahlen sollte. Die Firma klagte gegen die Feststellung der Sozialversicherungspflicht. Laut Vertrag sei die Pflegefachkraft freiberuflich und auch für andere Auftraggeber tätig, biete ihre Arbeitskraft unmittelbar oder über eine Vermittlungsagentur an und teile dem Auftraggeber mit, wann und wie lange sie arbeiten wolle. Damit könne keine Sozialversicherungspflicht vorliegen.
Dem widersprach das LSG und verwies auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel vom 7. Juni 2019. Danach sind auf Honorarbasis arbeitende Pflegefachkräfte in Heimen grundsätzlich als sozialversicherungspflichtig einzustufen.
Zur Begründung verwiesen die Kasseler Richter auf Versorgungsverträge und die Heimaufsicht. Schon die damit verbundenen Vorgaben "führen im Regelfall zur Annahme einer Eingliederung der Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung". "Selbstständigkeit kann nur ausnahmsweise angenommen werden", urteilte das BSG. Gewisse Freiräume, etwa bei der Auswahl der Arbeitszeit oder auch der Patienten, reichten dafür nicht aus.
Diese Grundsätze, so das LSG im aktuellen Fall, gelten nicht nur für stationäre, sondern auch für ambulante Fachkräfte. Um ausnahmsweise von einer selbstständigen Tätigkeit einer Pflegefachkraft ausgehen zu können, müssten "gewichtige Indizien" vorliegen. Hier habe die Pflegefachkraft einen Dienstvertrag als "freiberufliche" Beschäftigte unterschrieben und arbeite für mehrere Auftraggeber. Maßgeblich sei aber, dass sie wegen der Schichtdienst-Einteilung und der bestehenden Weisungsabhängigkeit in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingegliedert war.
Nicht nur der Arbeitsort und die Arbeitszeit seien vorgegeben gewesen. Die Pflegefachkraft habe auch persönlich die Arbeit leisten müssen. Ein wesentliches Unternehmerrisiko habe nicht bestanden. Die Klägerin habe sich laut Dienstvertrag die Kontrolle über die zu erbringende Arbeitsleistung vorbehalten, so dass die Letztverantwortlichkeit bei ihr lag. Damit würden die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung überwiegen.
In einem weiteren, am 15. August veröffentlichten Urteil stellte das LSG fest, dass auch die freiwillige Tätigkeit von Klinik-Notärzten, die beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) an der Rettungsdienstversorgung teilnehmen, als abhängige Beschäftigung eingestuft werden kann. Diese liege vor, wenn die Notärzte in einem Dienstplan eingeteilt sind und mit den Rettungssanitätern und Rettungsassistenten des DRK "arbeitsteilig zusammenwirken".
Im entschiedenen Fall gehört es zwar in Baden-Württemberg zu den öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Krankenhausträger, geeignete Notärzte für die Tätigkeit im Rettungsdienst zur Verfügung zu stellen. Auch wirken die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesärztekammer an der Bereitstellung geeigneter Ärzte mit. Dies sage aber noch nichts darüber aus, ob der von den Notärzten wahrgenommene Rettungsdienst den Krankenhausträgern zuzurechnen sei, so das LSG.
Hier sei der Rettungsdienst dem DRK übertragen worden. Die im konkreten Fall bei der Klinik beschäftigte Notärztin erbringe ihre Tätigkeit für den DRK freiwillig. Dies diene dem Betriebszweck des Rettungsdienstleisters. Da hier die Notärztin beim DRK-Rettungsdienst organisatorisch eingebunden sei, müsse das DRK nach damaligen Recht auch für die Sozialversicherungsbeiträge geradestehen. Lediglich Rentenversicherungsbeiträge müssten nicht geleistet werden, da die Klinikärztin davon vom Rentenversicherungsträger befreit wurde.
Seit dem 11. April 2017 trat eine gesetzliche Neuregelung in Kraft. Danach sind Einnahmen aus der Tätigkeit als Notärztin oder Notarzt nun meist beitragsfrei. Dies gilt dann, wenn die Notarzttätigkeit neben einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes ausgeübt wird oder der Notarzt als niedergelassener Arzt tätig ist.
Az.: L 4 BA 2513/19 (LSG Stuttgart, Pflegefachkraft)
Az.: B 12 R 6/18 R (Bundessozialgericht, Honorar-Pflegekräfte)
Az.: L 4 BA 3646/18 (LSG Stuttgart, Notärzte)
München (epd). Gemeinnützige Organisationen können laut Gerichtsentscheidung bei unangemessen hohen Vergütungen ihrer Geschäftsführer ihre Gemeinnützigkeit verlieren. Liegen solche "Mittelfehlverwendungen" vor, drohen der Verlust der Gemeinnützigkeit und Steuernachforderungen, wie der Bundesfinanzhof (BFH) in München in einem am 20. August veröffentlichten Grundsatzurteil entschied.
Vorteil gemeinnütziger Körperschaften ist die Befreiung von der Körperschaft- und Gewerbesteuer. Außerdem können Spendenbescheinigungen ausgegeben werden, so dass der Spender beim Finanzamt weniger Steuern zahlen muss.
In dem Streitfall hatte das Finanzamt die Höhe der Geschäftsführervergütung einer gemeinnützigen GmbH beanstandet, die sich in der psychiatrischen Arbeit engagiert. Die Organisation errichtet, betreibt, saniert, übernimmt und berät Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialbranche wie etwa Kliniken.
Der Geschäftsführer, ein ausgebildeter Sozialarbeiter, erhielt für seine Tätigkeit ein jährliches Grundgehalt von 140.000 Euro sowie eine Leistungsvergütung von 34.000 Euro und eine betriebliche Altersversorgung. Für Letztere zahlte die gemeinnützige Organisation jährliche Beiträge in Höhe zwischen 50.000 und knapp 88.000 Euro. 2010 wurde das Grundgehalt auf 162.000 Euro erhöht.
Das Finanzamt versagte nach mehreren Betriebsprüfungen für die Jahre 2005 bis 2010 die Gemeinnützigkeit der gGmbH. Die Geschäftsführergehälter seien unangemessen hoch.
Der BFH hat dies nun im Wesentlichen bestätigt. Für die Berechnung der Angemessenheit einer Vergütung müssten die Geschäftsführerbezüge vergleichbarer Organisationen herangezogen werden. Liegt eine Vergütung um 20 Prozent über dem oberen Bereich der üblichen Geschäftsführervergütung vor, sei diese unangemessen. Der Entzug der Gemeinnützigkeit sei allerdings nur gerechtfertigt, wenn die 20-Prozent-Grenze nicht nur geringfügig überschritten werde. Im Streitfall lag lediglich für die Jahre 2006 und 2007 eine geringfügige Überschreitung vor. Für die anderen Jahre sei der Entzug der Gemeinnützigkeit begründet.
Hierfür werden nun Steuernachforderungen fällig. Ausgestellte Spendenbescheinigungen verlieren damit wohl ebenfalls ihre Gültigkeit. Darüber hatte der BFH allerdings nicht zu entscheiden.
Az.: V R 5/17
Frankfurt a.M. (epd). Getrennt lebende Eltern dürfen dem anderen Elternteil nicht den Umgang mit den Kindern wegen Corona-Kontaktbeschränkungen verweigern. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) erklärte ein Ordnungsgeld gegen eine Mutter für rechtmäßig, wenn diese den Kontakt des gemeinsamen Kindes mit dem Vater verweigere, wie das Gericht am 20. August mitteilte. Ein Elternteil dürfe einen familiengerichtlich geregelten Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil auch wegen Corona nicht eigenmächtig aussetzen.
In dem Streitfall hatte das Familiengericht vor zwei Jahren das Umgangsrecht der gemeinsam sorgeberechtigten, aber getrennt lebenden Eltern mit dem zehnjährigen Kind geregelt. Demnach durfte der Vater das bei der Mutter wohnende Kind regelmäßig am Wochenende und in den Ferien bei sich haben. Bei Verstoß gegen diese Regel konnte ein Ordnungsgeld bis 25.000 Euro angeordnet werden. Im vergangenen März kam es zum Konflikt zwischen den Eltern.
Die Mutter teilte nach Angaben des Gerichts dem Vater mit, dass sie den direkten Umgang zwischen dem Vater und dem Kind aussetze, da im Haus mit den Großeltern Corona-Risikogruppen lebten. Der Vater könne mit dem Kind telefonieren und es auf dem Balkon sehen. Auf Antrag des Vaters setzte das zuständige Familiengericht Ende Mai wegen Zuwiderhandlung gegen die gerichtlich festgelegte Umgangsregelung ein Ordnungsgeld gegen die Mutter in Höhe von 300 Euro fest.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Mutter hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ein Elternteil alleine sei nicht befugt, sich über die familiengerichtliche Regelung des Umgangsrechts hinwegzusetzen, befanden die Richter. Die Empfehlung, soziale Kontakte wegen des Coronavirus möglichst zu vermeiden, beziehe sich nicht auf die Kernfamilie. "Der Umgang zwischen dem nicht betreuenden Elternteil und dem Kind gehört zum absolut notwendigen Minimum zwischenmenschlicher Kontakte und unterfällt damit einem Ausnahmetatbestand", stellte das OLG heraus. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.
Az.: 1 WF 102/20
Leipzig (epd). Asylbewerber sollten bei einem Umzug immer sofort auch die Behörden über die neue Anschrift informieren. Denn wird der Bescheid eines abgelehnten Asylantrags an eine veraltete Anschrift versendet, gilt dieser dann als ordnungsgemäß zugestellt, so dass auch die einwöchige Klagefrist beginnt, urteilte am 20. August das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Im Streitfall hatte der Kläger 2013 einen Asylantrag gestellt. Er wurde darüber belehrt, dass er dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) jeden Wohnungswechsel umgehend mitteilen muss, da Mitteilungen, Ladungen und Entscheidungen immer an die letzte bekannte Anschrift versendet werden und diese auch dann wirksam sind, wenn er nicht mehr dort wohnt.
Der Flüchtling nahm dies nicht ernst und teilte seinen Wohnungswechsel der Behörde nicht mit. Die Ausländerbehörde hatte im Februar 2015 dem Bamf die ihnen bekannte, aber veraltete Anschrift übersandt. Unter dieser Anschrift gingen dann Ladungen zur persönlichen Anhörung und schriftlichen Stellungnahme ein.
Als keine Reaktion erfolgte, lehnte das Bamf den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab und versandte den Bescheid ebenfalls an die alte Anschrift. Als der Mann Anfang 2017 gegen den abgelehnten Asylantrag Klage erhob, wiesen das Verwaltungsgericht Berlin und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ihn ab. Er habe die einwöchige Klagefrist verpasst.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht machte der Asylbewerber geltend, er habe nicht früher klagen können, weil er den Ablehnungsbescheid zu spät erhalten habe. Die vom Bamf verwendete Anschrift sei seit April 2015 veraltet gewesen.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klage jedoch ab. Das Scheitern der Zustellung beruhe letztlich darauf, dass der Asylbewerber seine jeweilige Anschrift nicht mitgeteilt hat. Diese Pflicht sei durch Asylbewerber auch ohne weiteres zu erfüllen.
Az.: 1 C 28.19
Hamburg (epd). Wenn Flüchtlinge aus einer Wohnunterkunft abgeschoben werden sollen, brauchen die Behörden nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Hamburg dafür eine richterliche Anordnung. Die Abschiebung einer vierköpfigen irakischen Familie aus Hamburg im Jahr 2017 sei daher rechtswidrig gewesen, teilte das OVG am 20. August mit.
Es bestätigte damit eine frühere Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die mittlerweile fünfköpfige Familie lebt nach Angaben der Diakonie-Beratung "Fluchtpunkt", die das Verfahren initiiert hatte, derzeit in Hamburg und wartet auf ihr Asylverfahren.
Städtische Mitarbeiter hatten für die geplante Abschiebung morgens um 6.30 Uhr die Räume der Flüchtlingsfamilie in einer Wohnunterkunft ohne richterliche Anordnung betreten. Wohnungen und Geschäftsräume dürfen grundsätzlich aber nur dann durchsucht werden, wenn die Mieter zustimmen oder eine richterliche Anordnung vorliegt. Die genutzten Zimmer der Wohnunterkunft sind nach Einschätzung des OVG eine Wohnung im rechtlichen Sinne. Auch handele es sich um eine Durchsuchung, wenn Behördenmitarbeiter eine Wohnung betreten, um Menschen abzuschieben.
Fluchtpunkt begrüßte das Urteil. Das Gericht habe damit klargestellt, dass es "kein einfaches Betreten" der Wohnung sei, wenn Behördenmitarbeiter Menschen für die Abschiebung abholen. Damit werde ein Grundrecht geschützt. Auch sei eindeutig geklärt worden, dass auch in einer Wohnunterkunft der gesetzlich Schutz der Wohnung gelte. Eine Revision ließ das Oberverwaltungsgericht nicht zu. Möglich ist aber eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Ausländerbehörde wollte das Urteil nicht kommentieren, sondern die Begründung abwarten.
Az.: 4 Bf 160/19 (OVG)
Az.: 9 K 1669/18 (VG)
Berlin (epd). Die Zeiterfassung eines Arbeitgebers per Fingerabdruck-Scanner muss von Arbeitnehmern nicht akzeptiert werden. Laut einer am 25. August veröffentlichten Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg handelt es sich dabei um die Verarbeitung biometrischer Daten, die nur in Ausnahmefällen erlaubt sei. Arbeitnehmer müssten deshalb dieses Zeiterfassungssystem nicht nutzen.
Geklagt hatte ein Mitarbeiter einer radiologischen Praxis. Der vom Arbeitgeber eingeführte Fingerabdruck-Scanner zur Arbeitszeiterfassung verarbeite zwar nicht den Fingerabdruck als Ganzes, sondern nur die Fingerlinienverzweigungen, sogenannte Minutien, hieß es. Dennoch lehnte der Kläger eine Benutzung dieses Systems ab. Daraufhin erteilte der Arbeitgeber ihm eine Abmahnung, wogegen der Mitarbeiter klagte.
Laut Landesarbeitsgericht handelt es sich auch bei der Verarbeitung von Fingerlinienverzweigungen um biometrische Daten gemäß Datenschutzgrundverordnung. Zudem habe im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden können, dass eine Zeiterfassung unter Einsatz biometrischer Daten erforderlich sei. Die Weigerung der Nutzung durch den Arbeitnehmer stelle deshalb keine Pflichtverletzung dar, der Kläger könne die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen. Eine Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde nicht zugelassen.
Az.: 10 Sa 2130/19
Münster (epd). Die Kosten für die künstliche Befruchtung einer Frau mit unerfülltem Kinderwunsch können als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd geltend gemacht werden. Dies kann auch für alleinstehende Frauen ohne feste Beziehung gelten, entschied das Finanzgericht (FG) Münster in einem am 3. August veröffentlichten Urteil. Voraussetzung sei danach allerdings die Behandlung in einem der Bundesländer, in denen die ärztliche Berufsordnung eine "Kinderwunschbehandlung" auch bei alleinstehenden Frauen erlaubt.
Die alleinstehende Klägerin ist infolge einer Erkrankung nahezu unfruchtbar. Um doch noch vor ihrem 40. Geburtstag schwanger zu werden, nahm sie eine künstliche Befruchtung vor. Die Kosten in Höhe von 12.246 Euro machte sie steuermindernd als außergewöhnliche Belastung geltend.
Das Finanzamt erkannte die Kosten als außergewöhnliche Belastung nicht an. Die Frau müsse in einer "gefestigten Partnerschaft" leben. Dies sei hier aber nicht der Fall.
Das Finanzgericht urteilte dagegen, dass die Kosten der "Kinderwunschbehandlung" in voller Höhe als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden müssen. Denn die Empfängnisunfähigkeit der Klägerin sei "unabhängig von ihrem Familienstand eine Krankheit". Wegen des damit einhergehenden Leidensdruck verbiete es sich, die Steuervergünstigung nur Personen in einer gefestigten Beziehung zu gewähren.
Voraussetzung hierfür sei aber, dass die Behandlung "mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht". Maßgeblich sei die Berufsordnung der Ärzte in dem Bundesland, in dem die Behandlung erfolgt. Hier wurde die Kinderwunschbehandlung in einem Bundesland vorgenommen, in dem die Berufsordnung der Ärzte nicht nur für Paare, sondern auch für Alleinstehende vorsieht. Wegen grundsätzlicher Bedeutung ließ das Gericht die Revision zum Bundesfinanzhof zu.
Az.: 1 K 3722/18 E
Hamburg (epd). Der Betreiber der Internetseite babykaust.de darf die Schwangerschaftsabbrüche der Gießener Ärztin Kristina Hänel nicht mit dem Holocaust vergleichen. Außerdem muss er der Allgemeinmedizinerin 6.000 Euro Entschädigung zahlen. Ein entsprechendes Urteil verkündete am 24. August das Landgericht Hamburg. Hänel hatte gegen den Betreiber von babykaust.de geklagt.
Weder der Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen (Weinheim) noch sein Anwalt waren zur Verhandlung erschienen. Daher erging ein sogenanntes Versäumnisurteil ohne schriftliche Entscheidungsgründe. Annen kann dagegen innerhalb von zwei Wochen Einspruch einlegen.
Behauptet wurde auf babykaust.de unter anderem, dass Hänel mit ihren Abtreibungen das "Tor von Auschwitz" aufgestoßen habe. Auch wurde sie als "Entartete" diffamiert. Derartige Vergleiche sind laut Urteil unzulässig. Hinnehmen müsse Hänel als Meinungsäußerung allerdings Aussagen, dass an "ihren Händen Blut klebt" und Abtreibung ein "verabscheuungswürdiges Verbrechen" sei.
Annen hatte in der Vergangenheit mehrere hundert Strafanzeigen nach Paragraf 219a gegen Ärzte gestellt, weil sie auf ihrer Internetseite über Schwangerschaftsabbrüche informierten. Auf babykaust.de hat er eine Liste mit 1.200 Abtreibungsärzten und -kliniken gestellt. Hänel war in der Vergangenheit wegen Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft nach Paragraf 219a Strafgesetzbuch angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Az.: 324 O 290/19
Düsseldorf (epd). Ingo Wünsch (54) war zuletzt Leiter der Stabsstelle zur Revision der kriminalpolizeilichen Bearbeitung von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderpornografie im Innenministerium von Nordrhein-Westfalen. Zuvor war er Sonderermittler des Ministers im Fall Lügde.
Der neue Direktor Wünsch sei ein ausgezeichneter Kriminalist mit exzellenten Führungsqualitäten, der sich auf allen Behördenebenen des Landes bestens auskenne, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) in Düsseldorf. "Seine herausragenden Fähigkeiten, analytisch und strukturell zu arbeiten, werden unser Landeskriminalamt weiter nach vorn bringen."
Wünsch kündigte an, er wolle die Kompetenz und Innovationskraft des Landeskriminalamtes weiterentwickeln. Das gelte besonders für die Schwerpunkt der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs, der organisierten Kriminalität und der Clankriminalität sowie des Rechtsextremismus und des islamistischen Terrorismus. Auch der Kampf gegen Kriminalität im Internet solle ausgeweitet werden. Dafür sei es wichtig, die digitalen Ermittlungskompetenzen der Polizei und die behördenübergreifende Zusammenarbeit zu stärken und fortlaufend weiter zu entwickeln.
Klaus Holetschek, Bau- und Verkehrsstaatssekretär in Bayern, wechselt unbefristet ins Landesgesundheitsministerium. Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) begrüßte den Wechsel des Juristen: "Die aktuellen Infektionszahlen zeigen, dass noch große Herausforderungen auf uns zukommen. Mit Klaus Holetschek habe ich schon während seiner Zeit als Mitglied des Gesundheitsausschusses des Landtags hervorragend zusammengearbeitet." Holetschek ist Vorsitzender des Bayerischen Landesgesundheitsrates. Bis zu seiner Berufung ins Kabinett war er auch stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Gesundheit und Pflege in der CSU-Fraktion. Dem Landtag gehört er seit 2013 an.
Frauke Reinert ist ab 1. September neue Vorsitzende des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen im Diakonischen Werk Württemberg (AGMAV). Die MAV-Vorsitzende der Nikolauspflege Stuttgart gehört seit 2012 dem AGMAV-Vorstand an. Die stellvertretende AGMAV-Vorsitzende löst Uli Maier ab, der seit 2001 AGMAV-Vorsitzender ist und mit Beginn seiner Altersteilzeit zum 1. September aus dem Vorstand ausscheidet. Die AGMAV versteht sich als "politisches Sprachrohr" für 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Württemberger Diakonie. Die AGMWV berät und qualifiziert Mitarbeitervertretungen für ihre Arbeit in den Diakonieeinrichtungen. Sie kämpft gemeinsam mit der Gewerkschaft ver.di für den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) als Flächentarifvertrag für die soziale Arbeit.
Ute Wedemeier hat für ihr langjähriges ehrenamtliches Engagement im gemeinnützigen und sozialen Bereich das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten. Wedemeier leitete 23 Jahre lang als Landesvorsitzende die Arbeiterwohlfahrt in Bremen. Als Ehefrau des früheren Bürgermeisters Klaus Wedemeier (SPD) habe sie die Städtepartnerschaft der Hansestadt mit der lettischen Hauptstadt Riga gefördert. Dabei habe sie zwischen 1990 bis 2002 rund drei Millionen D-Mark an Geld- und Sachspenden für die Kinderhilfe in Riga gesammelt, deren Mitgründerin und Schirmherrin sie war. Als Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins AWO-International setze sie sich seit vielen Jahren für humanitäre Hilfe und die Entwicklungszusammenarbeit ein, zum Beispiel für Projekte auf den Philippinen sowie in Nepal und Guatemala.
Peter Kossen ist mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt worden. Der Pfarrer, der seit Jahren unwürdige Bedingungen von Arbeitsmigranten anprangert, habe vielen Menschen Menschenwürde, Gerechtigkeit und Menschlichkeit gebracht, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei der Verleihung in Köln. Für Kossen sei der Kampf für die Menschenwürde auch gegen große Widerstände ein Gebot der Menschlichkeit, sagte Laschet. Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe schlagartig die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen zahlreicher Arbeitnehmer in deutschen Fleischfabriken endlich ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Durch den Corona-Ausbruch im Mai bei Westfleisch in Coesfeld und im Juni bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück erhielt der Einsatz Kossens bundesweit mediale Aufmerksamkeit.
Helmut Beutel, zuletzt Vorstand der Dienste für seelische Gesundheit und Erwachsenenhilfe der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (eva), wird am 1. September 80 Jahre alt. Obwohl Beutel seit 18 Jahren im Ruhestand ist, hat er noch eine Praxis für Psychotherapie in Esslingen und gibt Seminare. Als er 2002 aus dem Beruf ausschied, hatte er die Arbeit der eva 32 Jahre lang verantwortlich mitgestaltet. Im Dezember 1970 kam er als Referent für Mitarbeiterfragen zur eva. Ab 1982 war Beutel Leiter der damals neu eingerichteten Abteilung Dienste für seelische Gesundheit, zunächst mit dem Schwerpunkt ambulante Sozialpsychiatrie. Später kamen neue Dienste wie die Aids-Beratung, der Vorläufer des heutigen Krisen- und Notfalldienstes oder die Alzheimer-Beratung dazu. 1994 wurde Beutel Vorstandsmitglied und blieb es bis zu seinem Ruhestand 2002.
Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die aktuell geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, dies zu beachten.
3.9. Loccum:
Tagung "Pflege ist menschlich!?"
des Zentrums für Gesundheitsethik an der Evangelischen Akademie Loccum
Tel.: 0511/1241-496
4.9. Witten:
Digitale Tagung "Vielfalt Pflegewissenschaft"
der Universität Witten-Herdecke
Tel.: 02302/926-301
9.9. Kassel:
Seminar "Ausgliederung und Umstrukturierung beim Verein"
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/25298921
8.-10.9. Berlin:
Seminar "Überzeugen können!"
der Fortbildungsakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/20355-582
14.9. Berlin:
Seminar "Datenschutz für Home-Office, Zoom und Microsoft Teams"
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
14.9. Berlin:
Workshop "Wie wir Konflikte besser bewältigen - Qualifizierung für Migrationsfachdienste"
Tel.: 030/26309-0
14.-15.9.: Bergisch Gladbach:
Seminar "Krisen-PR in Verbänden und Einrichtungen - Vorbereitet sein und glaubwürdig bleiben"
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
14.-15.9. Köln:
Seminar "Führung heute - ein Check-up für Führungskräfte"
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
14.-17.9. Eisenach:
35. Bundesweite Streetworktagung "Seit Corona ist alles anders - Neue Herausforderungen, Konzepte, Strategien, Lösungen"
der Bundesakademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 030/488 37-488
17.9. Hamburg:
Seminar "Heute schon gelobt? Anerkennung als Führungsinstrument"
Tel.: 040/415201-66
17.-18.9.:
Onlineseminar "Recht und Urheberrecht im Umgang mit Social Media und Internet"
Tel.: 030/26309-0
17.-18.9.:
Online-Seminar "Arbeitsrecht für Leitungskräfte"
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/25298921
23.9.: Remagen-Rolandseck:
Seminar "Häusliche Gewalt: Hinsehen - Erkennen - Ansprechen - Vermitteln"
Tel.: 030/26309-0
28.-29.9. Berlin:
Aufbauschulung "Das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht"
Tel.: 030/26309-0
29.9. Berlin:
Seminar "Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen"
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159
30.9. Berlin:
Seminar "Betriebsverfassungsrecht aus Arbeitgebersicht
der BFS Service GmbH
Tel.: 0221/97356-159