sozial-Recht

Landessozialgericht

Sozialversicherungspflicht bei scheinselbstständiger Pflegekraft




Notarzteinsatz nach einem Verkehrsunfall
epd-bild/Gustavo Alàbiso
Ambulante Pflegedienste und Kliniken können ihre Sozialversicherungspflicht nicht mit freiberuflichen Honorarkräften umgehen. So spricht etwa bereits die Einteilung in einem Schichtdienst für eine abhängige Beschäftigung, stellte das Landessozialgericht Stuttgart klar.

Eine in einer Demenz-Wohngemeinschaft im Schichtdienst eingesetzte ambulante Honorar-Pflegefachkraft ist grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Denn mit dem Schichtdienst und der Weisungsgebundenheit der Beschäftigten liegt eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation vor, die gegen eine freiberufliche Tätigkeit sprechen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 15. August veröffentlichten Urteil.

Im entschiedenen Fall ging es um eine ambulante Pflegefachkraft, die über eine Agentur an verschiedene Pflegeheime vermittelt wurde. Vom 5. bis 11. November 2012 arbeitete sie wegen Personalengpässen auch in einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke in der Tagesschicht. Die Demenzkranken wurden von einem ambulanten Pflegedienst, einer GmbH, betreut.

Pflege auf Honorarbasis

Als "freiberufliche Pflegefachkraft" trug die befristet beschäftigte Frau eine eigene Dienstkleidung, handelte ihren Stundensatz selbst mit der GmbH aus und kam auch für Betriebsmittel wie Handschuhe auf. Laut Dienstvertrag sollte sie die Arbeit persönlich leisten.

Die Bundesagentur für Arbeit stufte die Beschäftigung als sozialversicherungspflichtig ein, so dass die GmbH letztlich Sozialversicherungsabgaben zahlen sollte. Die Firma klagte gegen die Feststellung der Sozialversicherungspflicht. Laut Vertrag sei die Pflegefachkraft freiberuflich und auch für andere Auftraggeber tätig, biete ihre Arbeitskraft unmittelbar oder über eine Vermittlungsagentur an und teile dem Auftraggeber mit, wann und wie lange sie arbeiten wolle. Damit könne keine Sozialversicherungspflicht vorliegen.

Dem widersprach das LSG und verwies auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel vom 7. Juni 2019. Danach sind auf Honorarbasis arbeitende Pflegefachkräfte in Heimen grundsätzlich als sozialversicherungspflichtig einzustufen.

Eingegliedert in die Arbeitsorganisation

Zur Begründung verwiesen die Kasseler Richter auf Versorgungsverträge und die Heimaufsicht. Schon die damit verbundenen Vorgaben "führen im Regelfall zur Annahme einer Eingliederung der Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung". "Selbstständigkeit kann nur ausnahmsweise angenommen werden", urteilte das BSG. Gewisse Freiräume, etwa bei der Auswahl der Arbeitszeit oder auch der Patienten, reichten dafür nicht aus.

Diese Grundsätze, so das LSG im aktuellen Fall, gelten nicht nur für stationäre, sondern auch für ambulante Fachkräfte. Um ausnahmsweise von einer selbstständigen Tätigkeit einer Pflegefachkraft ausgehen zu können, müssten "gewichtige Indizien" vorliegen. Hier habe die Pflegefachkraft einen Dienstvertrag als "freiberufliche" Beschäftigte unterschrieben und arbeite für mehrere Auftraggeber. Maßgeblich sei aber, dass sie wegen der Schichtdienst-Einteilung und der bestehenden Weisungsabhängigkeit in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingegliedert war.

Nicht nur der Arbeitsort und die Arbeitszeit seien vorgegeben gewesen. Die Pflegefachkraft habe auch persönlich die Arbeit leisten müssen. Ein wesentliches Unternehmerrisiko habe nicht bestanden. Die Klägerin habe sich laut Dienstvertrag die Kontrolle über die zu erbringende Arbeitsleistung vorbehalten, so dass die Letztverantwortlichkeit bei ihr lag. Damit würden die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung überwiegen.

Notärzte im Dienstplan eingeteilt

In einem weiteren, am 15. August veröffentlichten Urteil stellte das LSG fest, dass auch die freiwillige Tätigkeit von Klinik-Notärzten, die beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) an der Rettungsdienstversorgung teilnehmen, als abhängige Beschäftigung eingestuft werden kann. Diese liege vor, wenn die Notärzte in einem Dienstplan eingeteilt sind und mit den Rettungssanitätern und Rettungsassistenten des DRK "arbeitsteilig zusammenwirken".

Im entschiedenen Fall gehört es zwar in Baden-Württemberg zu den öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Krankenhausträger, geeignete Notärzte für die Tätigkeit im Rettungsdienst zur Verfügung zu stellen. Auch wirken die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesärztekammer an der Bereitstellung geeigneter Ärzte mit. Dies sage aber noch nichts darüber aus, ob der von den Notärzten wahrgenommene Rettungsdienst den Krankenhausträgern zuzurechnen sei, so das LSG.

Von Rentenbeiträgen befreit

Hier sei der Rettungsdienst dem DRK übertragen worden. Die im konkreten Fall bei der Klinik beschäftigte Notärztin erbringe ihre Tätigkeit für den DRK freiwillig. Dies diene dem Betriebszweck des Rettungsdienstleisters. Da hier die Notärztin beim DRK-Rettungsdienst organisatorisch eingebunden sei, müsse das DRK nach damaligen Recht auch für die Sozialversicherungsbeiträge geradestehen. Lediglich Rentenversicherungsbeiträge müssten nicht geleistet werden, da die Klinikärztin davon vom Rentenversicherungsträger befreit wurde.

Seit dem 11. April 2017 trat eine gesetzliche Neuregelung in Kraft. Danach sind Einnahmen aus der Tätigkeit als Notärztin oder Notarzt nun meist beitragsfrei. Dies gilt dann, wenn die Notarzttätigkeit neben einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes ausgeübt wird oder der Notarzt als niedergelassener Arzt tätig ist.

Az.: L 4 BA 2513/19 (LSG Stuttgart, Pflegefachkraft)

Az.: B 12 R 6/18 R (Bundessozialgericht, Honorar-Pflegekräfte)

Az.: L 4 BA 3646/18 (LSG Stuttgart, Notärzte)

Frank Leth