Heidelberg (epd). Auch Pflegeheime müssen sich auf den Weg der Digitalisierung machen, das ist eine Erkenntnis aus der Corona-Krise mit ihren monatelangen Kontaktsperren. Doch sind die Senioren überhaupt in der Lage, Skype oder Videotelefonie mit Verwandten zu nutzen? Ja, sagt Professor Andreas Kruse, der auch den jüngsten Altenbericht der Bundesregierung verantwortet. Wie das funktionieren kann, erklärt er im Gespräch mit Dirk Baas.
epd sozial: Viele Experten fordern mit Vehemenz, die Digitalisierung in Altenpflegeheimen voranzutreiben. Worin liegen aus Ihrer Sicht die Hauptvorteile der technischen Innovationen?
Andreas Kruse: Wenn es gelingt, die digitale und die analoge Welt zusammenzuführen, also die analoge Welt nicht durch die digitale zu ersetzen, sondern sie durch letztere zu erweitern, dann ist mit der Digitalisierung in Altenpflegeheimen sehr viel gewonnen.
epd: Welche Perspektiven würden sich dann künftig bieten?
Kruse: Bewohnerinnen und Bewohner werden sehr viel mehr Möglichkeiten finden, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Sie werden sehr viel mehr Angebote zur Stimulation im kognitiven, sozialen, emotionalen und alltagspraktischen Bereich vorfinden, was sich auch auf die Kompetenz und das Wohlbefinden auswirkt. Und sie werden Entlastung in den alltagspraktischen Aktivitäten erfahren, so zum Beispiel bei sensorgestützter Bedienung von Gegenständen im Appartement.
epd: Und wie profitiert das Fachpersonal?
Kruse: Digitalisierung wird sich positiv auf die Pflege auswirken, wenn es um Pflegedokumentation, wenn es um Pflegeberatung, wenn es um die Umsetzung von rehabilitativer Pflege geht. Und wenn es um die körperliche Entlastung von Pflegefachpersonen geht. Diese technischen Innovationen haben ein hohes Anregungs-, Rehabilitations- und Unterstützungspotenzial. Allerdings ist auch klar: Den zwischenmenschlichen Kontakt sollen und dürfen sie nicht ersetzen.
epd: Umfragen zufolge sind längst nicht alle Senioren internetaffin. Wie sollen sie von den Möglichkeiten des Internets profitieren?
Kruse: Man macht immer wieder die Erfahrung, und empirische Untersuchungen bestätigen das eindrucksvoll, dass alte Menschen dann, wenn sie in die Nutzung von Internet, Smartphone oder Apps kompetent eingewiesen werden, vielfach Freude am Arbeiten mit neuen Techniken entwickeln. Der zentrale Begriff ist hier die "digitale Souveränität".
epd: Was ist damit gemeint?
Kruse: Alte Menschen benötigen genauso wie Menschen in jüngeren Lebensjahren Unterstützung bei der Ausbildung dieser Souveränität, übersetzt: dieser Kompetenz. Dann sind sogar Menschen mit erheblichen kognitiven Einbußen in der Lage, sich mit bestimmten digitalen Techniken anzufreunden. Wir konnten das in Untersuchungen nachweisen.
epd: Das Pflegepersonal dürfte kaum die Zeit haben, diese Unterstützung zu leisten. Wer sollte es dann tun?
Kruse: Hüten wir uns unbedingt vor der Annahme, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen mit massiven kognitiven Einbußen konfrontiert wären. Dem ist nicht so. Drei Unterstützungsmöglichkeiten beobachten wir immer wieder: Es gibt auch in Pflegeheimen Bewohnerinnen und Bewohner, die schon gewisse digitale Kompetenzen haben und diese gerne weitervermitteln. Zweitens ist es wichtig, dass Betreiber von Pflegeheimen eine oder mehrere Fachpersonen beauftragen, interessierte Bewohnerinnen und Bewohner in digitale Techniken einzuführen. Das kostet Geld, aber das ist wirklich gut investiertes Geld; es ist auch ein bedeutender Teil der "Kultur". Und schließlich sollte man nicht vergessen, dass es auch ehrenamtlich interessierte und tätige Personen gibt, die gerne bereit sind, Bewohnerinnen und Bewohner im Umgang mit digitaler Technik zu unterstützen.