Frankfurt a.M., München (epd). Irgendwann ging bei Sabine Berger gar nichts mehr. Sie litt unter chronischer Erschöpfung und fühlte sich depressiv und antriebslos. "Selbst durch einfache Routine-Aufgaben im Job habe ich mich irgendwann überfordert gefühlt", erinnert sich die 45-Jährige, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. "In der Zeit kam alles Mögliche zusammen. Und so bin ich in ein Burn-out reingerutscht." Rund ein halbes Jahr war Sabine Berger krankgeschrieben. In dieser Zeit begann sie unter anderem eine Psychotherapie und arbeitete sich Stück für Stück wieder aus ihrem Tief heraus. "Ich wollte auf jeden Fall wieder arbeiten. Aber ich hatte auch Sorge, ob ich das wieder schaffe."
Knapp die Hälfte aller Fehlzeiten in deutschen Unternehmen werden laut dem Gesundheitsreport 2019 der Techniker Krankenkasse durch Langzeiterkrankungen verursacht. Die häufigsten Ursachen sind psychische Erkrankungen und Erkrankungen des Skelett-Muskel-Systems.
"Die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach langer Krankheit ist nicht einfach", weiß Marie Rösler von der Bremer Krebsgesellschaft, die seit mehr als 30 Jahren Betroffene zu diesem Thema berät. "Da ist die Angst, den Anforderungen nicht mehr gerecht werden zu können und die Unsicherheit, wie Kollegen und Chef reagieren."
Für Berufstätige mit psychischen Erkrankungen gilt: Nur ein Drittel findet nach der stationären Behandlung wieder zurück in den Job, wie der Münchner Psychiater Johannes Hamann sagt. "Das ist ein untragbarer Zustand". Hamann leitet derzeit in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Klinikum rechts der Isar eine Studie zu den Möglichkeiten, die Rückkehr in den Beruf zu unterstützen. Das Projekt setzt dafür sogenannte Return-to-Work-Experten ein. Er sagt: Deutlich mehr Patienten könnten nach einem Klinikaufenthalt wieder arbeiten, wenn sie entsprechende Hilfen erhielten.
Tatsächlich haben alle langzeiterkrankten Berufstätigen beim Wiedereinstieg in den Job sogar Anspruch auf Unterstützung. "Leider ist das auf Arbeitnehmerseite häufig nicht bekannt", beobachtet Jürgen Voß, Berater für Betriebliches Eingliederungsmanagement. Dabei sind Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, den Rückkehrern ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten (§ 167 Absatz 2 SGB IX).
Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer mindestens sechs Wochen am Stück krankgeschrieben oder während der vorangegangenen zwölf Monate insgesamt mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig war. Oft machten die Arbeitgeber betroffene Mitarbeiter aber nicht auf diese Möglichkeit aufmerksam, sagt Voß. Denn viele Chefs sähen das BEM zuerst einmal als Kostenfaktor, obwohl auch der Betrieb davon profitiere.
Voß rät Betroffenen, ein BEM einzufordern. Am Beginn des Wiedereingliederungsprozesses steht zunächst ein Gespräch, in der Regel mit dem Vorgesetzten sowie Betriebs- oder Personalrat. Es geht darum, festzustellen, welche Hilfsmittel oder Arbeitsplatzbedingungen nötig sind, damit die oder der Langzeiterkrankte wieder in den Job einsteigen kann.
Das wohl bekannteste Instrument im Rahmen des BEM ist die stufenweise Wiedereingliederung, auch "Hamburger Modell" genannt. Dabei wird das Arbeitspensum schrittweise wieder bis zum alten Niveau gesteigert. Der Arbeitgeber wird dadurch nicht finanziell belastet, weil die Betroffenen in der Zeit der Wiedereingliederung noch als arbeitsunfähig gelten und von der Krankenkasse oder Rentenversicherung Kranken- oder Übergangsgeld erhalten.
Doch ein BEM biete noch wesentlich mehr Möglichkeiten, sagt Voß. "In manchen Fällen hilft es zum Beispiel, Arbeitsprozesse etwas anders zu organisieren." Wenn körperliche Einschränkungen bestehen, könnten bestimmte Handgriffe oder schweres Heben möglicherweise von Kollegen übernommen werden. Denkbar sei auch die Umgestaltung des Arbeitsplatzes, etwa durch einen höhenverstellbaren Schreibtisch oder einen besonders großen Bildschirm.
Entscheidend sei, dass die oder der Betroffene sich bereits vor Beginn des BEM selbst überlege, was er oder sie brauche, um wieder arbeiten zu können. Hilfe und Tipps gibt es beim behandelnden Arzt, aber auch bei Mitarbeitervertretungen, Arbeitnehmerkammern sowie - je nach Erkrankung - bei Krebsberatungsstellen oder den bundesweit rund 500 Fachstellen für Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung.
Sabine Berger ist die Rückkehr in ihren Vollzeit-Job gelungen. Im Gespräch mit ihrem Arbeitgeber vereinbarte sie nicht nur eine stufenweise Wiedereingliederung, die ihr half, die Angst vor Überforderung zu überwinden. "Mir wurde während der Zeit der Krankschreibung auch klar, wie sehr mich die Arbeit im Großraumbüro gestresst hat." Die Lösung: Sabine Bergers Chef willigte ein, dass sie nun an drei Tagen pro Woche im Homeoffice arbeiten kann.