sozial-Politik

Gesundheit

Cannabis-Therapie: Streit mit Krankenkassen




Cannabis-Medikament und ein Vaporizer
epd-bild/Jörg Koch
Ein neues Gesetz soll schwer kranken Menschen eine medikamentöse Cannabis-Therapie erleichtern. Ein halbes Jahre nach Inkrafttreten der Regelung fühlen sich viele Patienten jedoch mit schier unüberwindlichen Hürden konfrontiert.

Für einige kranke Menschen in Deutschland war der 18. Januar 2017 ein Tag großer Hoffnung: Damals beschloss der Bundestag, medizinisches Cannabis auf Kassenrezept verfügbar zu machen. Auch die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen wurde vorgesehen. Das neue Gesetz ist zwar bereits im März in Kraft getreten, aber es gibt immer noch viele Unklarheiten - vor allem aber jede Menge Wut und Enttäuschung auf Patientenseite.

Viele Probleme

Zuvor war Cannabis zu medizinischen Zwecken nur mit Ausnahmegenehmigung erhältlich. Von einem "Riesenschritt" und einem "mutigen Weg" sprachen deshalb die Koalitionsparteien bei ihrem Beschluss im Parlament.

Axel Junker vom Selbsthilfenetzwerk Cannabis-Medizin berichtet von einer Vielzahl von Problemen, mit denen potenzielle Cannabis-Patienten zu kämpfen haben. So scheuten sich viele Ärzte wegen des großen bürokratischen Aufwandes, diese Medikamente zu verschreiben. Auch sei der Preis für medizinisches Cannabis seit der Novelle sprunghaft gestiegen.

Nach Junkers Kenntnis wurden bisher nur rund 40 Prozent der Anträge auf Kostenübernahme von den Krankenkassen angenommen. Selbst Menschen, die zuvor eine Ausnahmegenehmigung für Cannabis besaßen, seien betroffen.

Abschlägige Bescheide

Diese Darstellung bestätigt auch Jan Elsner. Der Cannabis-Patient hat eine Selbsthilfegruppe in Köln gegründet. Er erlebt immer wieder abschlägige Bescheide der Krankenkassen. Er spricht von Versuchen der Medizinischen Dienste der Kassen (MDK), auf "fast skandalöse Weise das Gesetz zu unterlaufen". Für die Region Nordrhein nennt er Zahlen: Nach offiziellen Angaben des MDK Nordrhein wurden beispielsweise im Bezirk Düsseldorf im Juni 38 begutachtete Anträge genehmigt - und 109 abschlägig bewertet. Im Bezirk Köln wurden gar nur 22 von 161 Anträgen gutgeheißen.

Tatsächlich legt das Gesetz fest, Kassen sollten nur "in begründeten Ausnahmefällen" die Kostenübernahme für ärztlich verordnetes Cannabis ablehnen. Das Bundesgesundheitsministerium bekräftigte auf Anfrage, die Kassen sollten für die Therapie aufkommen, "wenn bei der schwerwiegenden Erkrankung eine alternative Behandlung nach Einschätzung des Arztes nicht möglich ist". Alle Beteiligten sollten eine Umsetzung im Sinne der Patienten anstreben.

Die Medizinischen Dienste verteidigen gleichwohl ihre Praxis. Der Einsatz von Cannabis müsse individuell geprüft werden, erklärte eine Sprecherin. Letztlich obliege es ohnehin den Kassen und nicht dem MDK, über die Kostenübernahme zu entscheiden.

Ein weiteres Problem: Seit der Gesetzesänderung ist medizinisches Cannabis in den Apotheken knapp. Nach Angaben der Bundesvereinigung der Apothekerverbände herrscht bis mindestens September ein Lieferengpass.

"Ein Unterschied wie Tag und Nacht"

Die Unterversorgung mit den Medikamenten könne Patienten vor enorme Probleme stellen, sagt Michael Autrum. Der Frührentner aus dem Münchner Umland leidet nach Rückenoperationen an schweren chronischen Schmerzen. Schon seit 2014 darf er mit einer Ausnahmegenehmigung Cannabis beziehen.

Für ihn sei die neue Therapie ein wichtiger Schritt gewesen, sagt Autrum. Zuvor habe er einen Cocktail starker Schmerzmittel einnehmen müssen und in der Folge 70 Kilogramm zugenommen und unter psychischen Veränderungen gelitten. Zerstäubtes Cannabis habe für ihn diese Probleme behoben.

Nun komme er aber nicht mehr an seine Arznei und müsse sich mit synthetischen Präparaten behelfen: "Das Medikament hat 22.000 mal weniger THC-Wirkstoff als Cannabisblüten - das ist natürlich ein Unterschied wie Tag und Nacht", sagt er. Dennoch sei er fest entschlossen, weiterhin ohne starke Schmerzmittel auszukommen.

Florian Naumann


Gesundheit

Das Stichwort: Medizinisches Cannabis



Der medizinische Nutzen von Cannabis ist unter Experten in Deutschland umstritten - auch deshalb, weil es nur wenige wissenschaftliche Studien dazu gibt. Eingesetzt wird Cannabis unter anderem bei chronischen Schmerzen und Übelkeit und Erbrechen als Folge von Krebsbehandlungen. Zum Einsatz kommen die Präparate aber auch bei Appetitlosigkeit bei HIV oder bei Spastiken bei Multipler Sklerose.

Bis März 2017 konnten Patienten hierzulande nur mit einer Ausnahmegenehmigung und oft auf eigene Kosten Cannabis-Arzneimittel kaufen. Gut 1.000 Personen verfügten über solche Ausnahmegenehmigungen.

Eine Gesetzesänderung ermöglicht es seit März 2017 schwer kranken Patienten, auf ärztliche Verschreibung und Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung Cannabis und Cannabisblüten in der Apotheke zu erhalten. Streit gibt es allerdings häufig bei der Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Gesicherte Zahlen zur Entwicklung der Verschreibungen seit März sind rar. Eine Analyse des Marktforschungsunternehmen QuintilesIMS geht von 6.500 Cannabis-Verschreibungen im Mai für gesetzlich krankenversicherte Patienten aus - 80 Prozent mehr als noch im März.

Problematisch ist die Versorgung der Patienten mit medizinischem Cannabis. Die Extrakte müssen aus kontrolliertem Anbau stammen. Nach Angaben der Bundesvereinigung der Apothekerverbände herrscht bis mindestens September ein Lieferengpass.

Mittelfristig soll eine staatliche Cannabis-Agentur Anbau, Vertrieb und Kontrolle der Arzneimittel in Deutschland übernehmen. Offiziell angestrebt ist ein Start ab 2019. Patientenvertreter bezweifeln die Machbarkeit dieses Zeitplans.



Cannabis

Interview

"Wir Schmerzpatienten sind aufgeschmissen"




Michael Autrum
epd-bild/Jörg Koch
Michael Autrum ist Schmerzpatient. Seit 2014 erhält Autrum Cannabis-Blüten zur Verdampfung aus der Apotheke - zuvor war er auf starke Morphine angewiesen. Im Interview berichtet er von seinen Erfahrungen mit dem neuen Gesetz zur Verordnung von medizinischem Cannabis.

Michael Autrum ist Frührentner. Er leidet an schweren chronischen Schmerzen. Für ihn sei die neue Cannabis-Therapie ein wichtiger Schritt gewesen, sagt Autrum. Die starken Schmerzmittel, die er zuvor einnehmen musste, hätten äußerst unangenehme Nebenwirkungen gehabt. Nun verhindern Lieferengpässe der Hersteller eine wirksame Therapie. Mit Autrum sprach Florian Naumann.

epd sozial: Herr Autrum, wie ist es Ihnen mit der Gesetzesänderung bislang ergangen?

Michael Autrum: Das mit dem Cannabis ging gut, die ersten zwei, drei Monate. In der Apotheke sind jetzt aber keinerlei Sorten mehr verfügbar. Bis September wird es nichts mehr geben. Mein Arzt hat mir deshalb Dronabinol-Tropfen verschreiben müssen. Das Medikament hat 22.000 mal weniger THC-Wirkstoff als Cannabisblüten - das ist natürlich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wir Cannabis-Patienten sind jetzt wirklich bis Ende August aufgeschmissen. Und was danach passiert, weiß nur Gott.

epd: Was bedeutet der Lieferengpass konkret für Sie?

Autrum: Ohne die Cannabisblüten kann ich bei weitem nicht so gut am Leben teilhaben. Ich merke selber, dass Tropfen mir nicht so gut tun, auch von den Schmerzen her. Vor der Umstellung auf Cannabis habe ich alles an Schmerzmitteln nehmen müssen, was es so gab: Meine Höchstdosis waren 44 Tabletten am Tag, inklusive Morphinpumpe. Das ging irgendwann gar nicht mehr: Eine Nebenwirkung war zum Beispiel hohe Aggressivität. Ich fand beschämend, dass ich so war. Das war nicht ich. Als ich mich selbst in einer Filmaufnahme gesehen habe, war das der Moment, an dem ich gesagt habe "jetzt kommt keine Tablette mehr rein".

epd: Andere Patienten klagen über Schwierigkeiten bei der Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Autrum: Ich habe die Kostenübernahme sofort bekommen. Am 10. März war das Gesetz da, seit dem 11. März habe ich die Kostenübernahme. Ich finde das Gesetz in dieser Hinsicht super - aber ich weiß auch von anderen Patienten, die noch schlimmer dran sind, die womöglich sogar Krebs haben, dass sie keine Kostenübernahme bekommen haben. Von denen, die eine Ausnahmegenehmigung hatten, haben bislang vielleicht 60 Prozent eine Kostenübernahme. Und das sind schwerstkranke Menschen.

epd: Sie sind in einem Selbsthilfe-Netzwerk organisiert. Welche Optionen sehen Sie und andere Patienten jetzt?

Autrum: Das ist eine gute Frage. Auf dem Schwarzmarkt versorge ich mich nicht. Ich könnte das machen, ein Gericht würde da wohl einen Notstand anerkennen. Aber was bringt es mir, wenn das Cannabis mit Haarspray versetzt ist oder getränkt wurde mit Wasser, damit es schwerer ist? Anscheinend soll es darauf hinauslaufen, dass wir alle selbst anbauen müssen, denn es kann doch nicht sein, dass wir alle zwei, drei Monate lang unterversorgt sind. Ein anderes Problem sind die Kosten.

epd: Inwiefern?

Autrum: Früher hab ich 60 Euro in der Apotheke bezahlt für fünf Gramm Cannabis. Jetzt, nach der Gesetzesänderung würde ich 200 Euro für die gleiche Menge zahlen, wenn ich das privat übernehmen würde. Das sind 400 Prozent Aufschlag, das ist eine Frechheit. In Holland bezahlen Patienten 30 Euro für fünf Gramm medizinisches Cannabis. Ich verstehe nicht, warum die Bundesregierung nicht sagt, "fahrt nach Holland und deckt euch ein". Wir alle schütteln nur noch mit dem Kopf.



Sozialgericht

Kein Cannabis bei anderen Therapiemöglichkeiten



Kassenpatienten haben keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für eine Behandlung mit Cannabis, wenn es noch andere Therapiemöglichkeiten gibt. Das Sozialgericht Düsseldorf lehnte mit dem am 24. August veröffentlichten Beschluss den Eilantrag eines 67-jährigen schwerbehinderten Mannes aus Remscheid ab. Die Kasse müsse die Kosten für die Versorgung mit medizinischem Cannabis nicht übernehmen, da "unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts" nicht angenommen werden könne, dass alle aktuellen Behandlungsoptionen ausgeschöpft seien, hieß es.

Der an Gelenkentzündungen und Rheuma leidende Mann hatte darauf hingewiesen, dass die Standardtherapien bei ihm schwerwiegende Nebenwirkungen ausgelöst hätten. Seit Beginn der Cannabisbehandlung im Jahr 2008 habe er keine Krankheitsschübe mehr gehabt, die Schmerzen und sonstigen Nebenwirkungen seien zurückgegangen. Die Kosten für die Cannabismedikamente hätten zuletzt für etwa zwei Monate bei rund 2.100 Euro gelegen.

Die Krankenkasse hatte die Kostenübernahme abgelehnt und auf Grundlage der ärztlichen Unterlagen erklärt, es sei unklar, welche Therapieoptionen der Antragsteller bereits ausprobiert habe.

Das Sozialgericht Düsseldorf folgte der Argumentation der Kasse. Eine Kostenübernahme für Cannabis setze voraus, dass bei einer schwerwiegenden Erkrankung keine anerkannte Behandlung zur Verfügung stehe oder sie nach der Einschätzung eines Arztes nicht in Betracht komme. Zusätzlich müsse die Aussicht auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehen.

Im Fall des Antragstellers stünden medizinische Standards zur Verfügung, die von der Kasse übernommen würden. Zudem liege die letzte Rheumabasistherapie bei dem Mann schon mindestens 16 Jahre zurück.

Az.: S 27 KR 698/17 ER



Verschuldung

Leichtsinnig und arglos in die roten Zahlen




Alle Ausgaben auf dem Prüfstand: Schuldnerberatung in Wuppertal
epd-bild/Werner Krüper
Jugendliche Gedankenlosigkeit, Krankheit oder gescheiterte Selbstständigkeit. Die Wege in den Schuldensumpf sind vielfältig. Der Abbau von Schulden ist für jeden ein Kraftakt. Doch er kann gelingen, vor allem mit viel Disziplin.

Arbeitslosigkeit oder Sucht? Nein, sagt Andreas. Solche Dinge seien nicht schuld, dass er in einen Schuldensumpf gestolpert wäre. "Es waren eigentlich nur Kleinigkeiten - Handyverträge, Stromkosten oder überzogener Dispo", sagt der 38-Jährige. Aber im Laufe der Jahre addierten sich die Beträge auf 16.000 Euro Schulden. Eine Summe, die für einen Hartz IV-Empfänger kaum abzustottern ist und jegliche Perspektive nimmt.

Angefangen hatte Andreas' Schlamassel in der Oberstufe eines Mannheimer Gymnasiums. Irgendwie sei ihm alles zu viel geworden und seine Eltern nervten. Er schmiss die Schule und zog von zu Hause aus. Eigentlich hatte er den Traum gehabt, Jura zu studieren. Einen Plan B hatte er nicht. Er wurde depressiv, hangelte sich von Job zu Nebenjob, machte Praktika als Tanzlehrer und verdiente zeitweise in einem Callcenter auch 1.500 Euro netto. "Aber leider habe ich nicht nachgedacht und das Geld auf den Kopf gehauen", sagt Andreas. Am Wochenende zum Feiern nach Stuttgart oder ein neuer Fernseher, abzahlbar in Raten.

Briefe ungeöffnet weggeworfen

Irgendwann diente das neu verdiente Geld nur noch dazu, das überzogene Konto wieder auszugleichen und alte Rechnungen abzustottern. Zum Leben blieb nicht viel, und Andreas fing an CDs zu klauen, die er verkaufte. Mehrmals kam er für kurze Zeit in Haft. Und gleichzeitig wuchs in ihm das Gefühl, ein Versager zu sein. Er bat weder seine Eltern um Hilfe, noch fing er an sich zu sortieren. Briefe schmiss er ungeöffnet weg.

"Das ist der Klassiker. Man steckt den Kopf in den Sand und die Spirale dreht sich nach unten", sagt seine Sozialarbeiterin Alexandra Meinzer vom Wichernheim Heidelberg, der Wiedereingliederungshilfe der evangelischen Stadtmission Heidelberg. Im Ernstfall folgen auf nicht bezahlte Rechnungen Mahngebühren, Zinsen werden erhoben, es kommt zu einem gerichtlichen Mahn- und Vollstreckungsverfahren, das ebenfalls vom Schuldner zu bezahlen ist, plus häufig Kosten der eingeschalteten Inkassounternehmen.

30 Jahre lang sind Forderungen möglich

"In vielen Fällen sind die Nebenkosten irgendwann höher als die ursprüngliche Forderung", erklärt Meinzer. Sind Gläubiger erst einmal im Besitz eines Vollstreckungstitels, haben sie 30 Jahre lang das Recht, das Vermögen des Schuldners zu pfänden. Der Schuldner hat dann kaum noch Chancen, wieder auf einen grünen Zweig zu kommen. Meinzer sagt, sie erlebe häufig, dass Schuldner irgendwann keinen Überblick mehr hätten, wem sie eigentlich was schulden.

Dabei ist unwirtschaftliches Haushalten nur ein kleinerer Faktor beim Einstieg in die Schuldenspirale: Laut dem Statistischem Bundesamt haben bei einer freiwilligen Umfrage unter circa 290.000 verschuldeten Bundesbürgern 21 Prozent Arbeitslosigkeit als Ursache angegeben. Auf Platz zwei mit circa 14 Prozent folgen Krankheit, Sucht oder Unfall. 13 Prozent führten Trennung, Scheidung oder Tod des Partners als Grund an. Und neun Prozent erklärten, eine gescheiterte Selbstständigkeit habe zu den Miesen geführt.

Jeder kleine Schritt zählt

Gabriele Kraft, Juristin und in der Diakonie Baden für die Schuldnerberatung zuständig, erklärt, sie sehe es schon als ein Erfolg, wenn es gelingt, nicht weitere Schulden anzusammeln. Dabei zählt jeder noch so kleine Schritt. "Ich rate jedem Schuldner, sein Girokonto in ein Pfändungsschutzkonto umzuwandeln, damit ihm das Nötigste zum Leben bleibt." Auf einem solchen Konto können Schuldner 1.139,99 Euro ansparen, die nicht gepfändet werden können. Ein kleiner Lichtblick und eine Sicherheit, dass notwendigen Ausgaben, wie Miete und Lebensmittel bezahlt werden können.

Außerdem muss, oft durch Anschreiben der Schufa und potenziellen Gläubigern, festgestellt werden, welche Forderungen bestehen. Dann stelle sich die Frage: Kann man mit den Gläubigern Kleinstratenzahlungen aushandeln und ein "Leben mit Schulden" führen oder muss, als letzte Möglichkeit, das Privatinsolvenzverfahren eröffnet werden. "Ich rate tendenziell zu einem "Leben mit Schulden", sagt Kraft. Das sieben Jahre dauernde Insolvenzverfahren sei zermürbend. Hingegen würden viele Menschen in einem sortierten "Leben mit Schulden" wieder Selbstachtung gewinnen.

Andreas hat sich für das Insolvenzverfahren entschieden. Er hat im Wichernheim eine Ausbildung als Alltagsbegleiter für Senioren abgeschlossen und sucht nun einen Job: "Ich möchte mit diesem Teil meines Lebens abschließen."

Leonie Mielke


Studie

Große Unterschiede der Kita-Qualität zwischen Bundesländern




Mittagessen in der Kita
epd-bild/Rolf Zöllner
Die Qualität der Kinderbetreuung hängt offenbar stark vom Wohnort ab. Große Unterschiede gibt es laut einer Studie nicht nur zwischen Ost und West. Auch innerhalb der Bundesländer gibt es erhebliche Schwankungen.

Die Qualität der Kinderbetreuung hat sich einer Studie zufolge in den vergangenen Jahren bundesweit verbessert. Es gebe jedoch große Abstände zwischen den Bundesländen, erklärte die Bertelsmann Stiftung am 28. August in Gütersloh bei der Vorstellung ihres aktuellen Ländervergleichs. Die Stiftung mahnte, zuerst müsse in die Betreuung investiert werden, bevor eine Beitragsfreiheit angegangen werde. Politik der Grünen und der SPD sowie Sozialverbände mahnten bundesweite Standards für die Kinderbetreuung an.

Personalschlüssel verbessert

Der Studie zufolge kamen im Jahr 2016 4,3 Kinder auf eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft in Krippengruppen. Im Jahr 2012 waren es noch 4,8. In Kindergartengruppen verbesserte sich der Personalschlüssel von 9,8 auf 9,2 Kinder pro Fachkraft.

Große Unterschiede gibt es vor allem zwischen westlichen und östlichen Bundesländern. In den westlichen Bundesländern kommen auf eine Fachkraft durchschnittlich 3,6 Kinder unter drei Jahren sowie 8,5 Kinder über drei Jahren. In östlichen Bundesländern ist eine Betreuung für sechs Kinder unter drei Jahren und rund zwölf Kinder über drei Jahren zuständig.

Das beste Betreuungsverhältnis gibt es der Studie zufolge in Baden-Württemberg mit drei Unterdreijährigen sowie rund sieben Kinder über drei Jahren auf eine Fachkraft. Bundesweites Schlusslicht ist Sachsen mit 6,5 und 13,4 Kinder auf eine Betreuungskraft. Aber auch innerhalb der Bundesländern gibt es beträchtliche Schwankungen.

"107.200 vollzeitbeschäftigte Fachkräfte nötig"

Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt einen qualitätssichernden Personalschlüssel von einer Fachkraft auf drei Kinder in Krippengruppen und sowie das Verhältnis von 1 zu 7,5 in Kindergartengruppen. Für einen kindgerechten Personalschlüssel müssten nach Berechnungen der Stiftung zusätzlich 107.200 vollzeitbeschäftigte Fachkräfte gewonnen und weitere 4,9 Milliarden Euro jährlich bereitgestellt werden.

Bund und Länder müssten einheitliche Qualitätsstandards umsetzen, forderte der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger. Eine Beitragsfreiheit solle erst dann angegangen werden, wenn die Qualität stimme und genug Betreuungsplätze zur Verfügung stünden.

Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) erklärte, dass Eltern und Kinder ein Recht auf gute Angebote hätten. Um die Betreuung zu verbessern, müsse der Bund dauerhaft mehr Mittel zur Verfügung stellen, sagte die Ministerin am 28. August in Berlin. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt forderte, dass alle Eltern für ihre Kinder einen Anspruch auf einen Ganztagsplatz in einer guten Kita haben müssten.

GEW für bundesweites Qualitätsgesetz

Sozialverbände und Gewerkschaften mahnten einheitliche Regelungen für Qualitätsstandards an. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sprach sich für ein bundesweit verbindliches Kita-Qualitätsgesetz aus. Neben dem quantitativen Ausbau seien auch Investitionen in die Kita-Qualität nötig, erklärte das Deutsche Kinderhilfswerk. Die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF) forderte eine bessere Ausbildung für Fachkräfte der Kinderbetreuung. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sprach sich zudem für eine deutliche Aufwertung des Erzieherberufs aus.

Grundlage des jährlichen "Ländermonitors Frühkindliche Bildungssysteme" sind Auswertungen von Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik.

Holger Spierig


Familie

Kinder verändern Gleichgewicht in der Partnerschaft




Ein Vater bringt sein Kind zur Tagesmutter.
epd-bild/Jens Schulze
Die traditionellen Geschlechterrollen bestehen fort. Für Frauen bedeutet das nach der Geburt eines Kindes: Sie erledigen erheblich mehr unbezahlte Arbeit. Auch bei Männern erhöht sich mit der Vaterschaft die Arbeitsbelastung, jedoch in anderer Form.

Die Geburt eines Kindes verändert in einer Partnerschaft die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau erheblich. Wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung am 28. August in Wiesbaden mitteilte, wenden junge Eltern für Beruf und unbezahlte Tätigkeiten rund 63 Stunden pro Woche auf. Mütter übernehmen laut einer aktuellen Studie nach der Geburt des ersten Kindes mit 51 Wochenstunden für Betreuung und Tätigkeiten im Haushalt die Hauptverantwortung für den Nachwuchs. Ihr berufliches Engagement fahren sie demnach auf durchschnittlich zwölf Wochenstunden zurück. Viele Frauen übten ihren Beruf anschließend nicht wieder in vollem Umfang aus.

Zementierte Rollenverteilung

Frischgebackene Väter konzentrierten sich dagegen auf die Sicherung des Lebensunterhalts. Der Studie zufolge arbeiten sie durchschnittlich 31 Stunden pro Woche im Job. Unbezahlte Tätigkeiten im Haushalt, Kinderbetreuung, Weiterbildung und das Pendeln nähmen weitere 32 Stunden in Anspruch. Die ungleiche Zeitverteilung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Arbeit im Haushalt zementiere die traditionelle Rollenverteilung, hieß es.

Das traditionelle Familienbild sei immer noch stark verankert, erklärte die Soziologin Ralina Panova vom Institut. "Obwohl das Bewusstsein zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesellschaftlich gestiegen ist, führt die Geburt eines Kindes immer noch zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse."

Dies habe auch zur Folge, dass Mütter oftmals Abstriche bei den Karriereaussichten machten und deutlich weniger verdienten als Väter, was sich später auf die Alterssicherung auswirke. Ein Wiedereinstieg in den Beruf zum selben Umfang wie vor der Geburt des Kindes finde in der Regel nicht statt. Gerade in ländlichen Gegenden seien auch die Betreuungsmöglichkeiten noch nicht ausreichend, um beiden Elternteilen nach der Geburt eines Kindes die Rückkehr in Vollzeitarbeit zu ermöglichen, sagte Panova.

Einbußen in der Freizeit

In der Familenphase nach der Geburt des ersten Kindes (im Durschnitt ab dem 29. Lebensjahr) ist der Studie zufolge eine deutliche Zunahme der Gesamtbelastung für beide Geschlechter zu erkennen, wobei in dieser Phase die Belastung bei Männern überproportional ansteige und das Niveau der Frauen erreiche. Auffällig sei, dass es bei Männern mit der Geburt des ersten Kindes große Einbußen in der Freizeit gebe, während Frauen schon in einer früheren Lebensphase (26-28 Jahre) weniger Wochenstunden für Freizeit zur Verfügung hätten.

Mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes führe ein abnehmender Betreuungsaufwand wieder zu einer moderaten Zunahme der Erwerbstätigkeit bei den Frauen auf bis zu 20,6 Stunden die Woche. Damit verblieben sie aber deutlich unter dem Niveau der Männer, schreiben die Autoren der Studie. Dies spiegele sich insbesondere in der starken Verbreitung von Teilzeitarbeit bei Frauen wider.

Die Studie zeigt auch, dass schon in der Lebensphase vor der Geburt eines Kindes Unterschiede in der Arbeitsbelastung zwischen Mann und Frau bestehen. "Während bei der bezahlten Arbeit lediglich in der Altersgruppe 20 bis 22 die Männer mit 24 Stunden gegenüber 17 Stunden bei Frauen eine deutlich stärkere Belastung mit Erwerbsarbeit aufweisen, ist bei den Frauen bereits in dieser Phase durchweg eine deutlich stärkere Belastung durch Hausarbeit zu erkennen", heißt es. Dies führe ingesamt zu einer stärkeren Arbeitsbelastung bei Frauen mit bis zu 54 Wochenstunden gegenüber 48 Stunden bei Männern.

David Schäfer


Lebensverhältnisse

Armutsrisiko für Kinder und Jugendliche steigt




Knapp bei Kasse
epd-bild/Steffen Schellhorn
In Deutschland gibt es weiterhin große regionale Unterschiede bei der Armutsgefährdung. Menschen in Süddeutschland sind dem geringsten Armutsrisiko ausgesetzt. Bei Kindern und Jugendlichen stieg die Armutsgefährdungsquote 2016 erneut leicht an.

In Deutschland gibt es weiterhin deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland bei der Armutsgefährdung. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag in Wiesbaden mitteilte, hatten 2016 im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) 15 Prozent der Bevölkerung ein erhöhtes Armutsrisiko, in den neuen Ländern (einschließlich Berlin) waren 18,4 Prozent der Menschen armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung hat. Die Armutsgefährdungsquote bei Kindern und Jugendlichen stieg um einen halben Prozentpunkt auf 20,2 Prozent. Sozialverbände äußerten angesichts dieser Zahlen Kritik an der Bundesregierung.

Arbeit schützt nicht vor Armut

Ein besonders hohes Armutsrisiko haben Erwerbslose. Im früheren Bundesgebiet war 2016 mehr als die Hälfte der Arbeitslosen (52,9 Prozent), in den neuen Ländern zwei Drittel (66,9 Prozent) davon betroffen.

Auch Alleinerziehende und ihre Kinder sind nach Angaben des Bundesamtes überdurchschnittlich armutsgefährdet. Im vergangenen Jahr war dies bei 42,4 Prozent der Alleinerziehenden-Haushalte im früheren Bundesgebiet und 46,9 Prozent dieser Haushalte in den neuen Ländern der Fall. Während in Berlin 34,5 Prozent der Alleinerziehenden-Haushalte von Armut bedroht waren, traf dies in Sachsen-Anhalt auf 60 Prozent der Alleinerziehenden-Haushalte zu.

Der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) äußerte sich besorgt über das gestiegene Armutsrisiko von Kindern. "Kinderarmut ist auf einem neuen Hoch - und das trotz boomender Wirtschaft und niedriger Arbeitslosigkeit", erklärte DKSB-Präsident Heinz Hilgers in Berlin. Einer der Gründe dafür sei, dass Arbeit nicht mehr vor Armut schütze. "Fast eine Million Kinder lebten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 2016 in Haushalten, wo die Eltern trotz ihrer Berufstätigkeit mit Hartz IV aufstocken mussten", erklärte der Kinderschutzbund. Hilgers kritisierte eine "völlig verfehlte Kinder- und Familienförderung. Kinder sind und bleiben heute für viel zu viele Familien ein Armutsrisiko."

Relativ gute Lage in Baden-Württemberg

Auch die Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, Barbara Eschen, sieht in der stagnierenden Armutsquote von fast 16 Prozent ein bedrückendes Zeugnis für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der letzten Jahre. "Die Bundesregierung hat kaum etwas getan, um die systematische soziale Benachteiligung von Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund zu überwinden", erklärte Eschen, die auch Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist.

Die Menschen in Baden-Württemberg und Bayern waren im Jahr 2016 bundesweit dem geringsten Armutsrisiko ausgesetzt. Die Armutsgefährdungsquote lag mit 11,9 Prozent in Baden-Württemberg und 12,1 Prozent in Bayern unter denen der übrigen Bundesländer. Das höchste Armutsrisiko herrschte in Bremen (22,6 Prozent), gefolgt von Sachsen-Anhalt (21,4 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (20,4 Prozent).

Ellen Nebel, David Schäfer


EU

Migrationsforscher kritisiert geplante Flüchtlingslager in Afrika



Der Migrationsforscher Jochen Oltmer hat die Pläne Deutschlands und Frankreichs kritisiert, Flüchtlinge in sogenannten "Hotspots" in Afrika festzuhalten und dort ihr Asylrecht zu prüfen. Die Pläne, die nach dem Gipfeltreffen europäischer und afrikanischer Staats- und Regierungschefs vom 28. August bekannt wurden, folgten aus Sicht Europas einem rein innenpolitischen Kalkül, sagte Oltmer im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Osnabrück.

Das gelte gerade auch für Deutschland mit Blick auf die Bundestagswahl: "Es geht darum, die Menschen jetzt von Europa fernzuhalten. Somit stehen erneut die europäischen Interessen im Vordergrund." Wenn Grenzkontrollen auf andere Kontinente verlegt würden, nehme die Aufmerksamkeit für die Not der Schutzsuchenden in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit ab.

Die weiteren Aspekte der Vereinbarung seien sehr unpräzise, bemängelte der Professor am Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück. Wie die Registrierungszentren ausgestattet werden sollen, sei ebenso unklar wie die Ausgestaltung der versprochenen Entwicklungshilfe. Wie viele Flüchtlinge letztlich über Resettlement-Programme nach Europa kommen sollen, sei ebenfalls offengeblieben. Die Tatsache, dass es nach wie vor kein einheitliches europäisches Asylrecht gebe, erschwere solche Regelungen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte nach dem Treffen bekanntgegeben, dass die Asylchancen von Flüchtlingen künftig schon in den Transitstaaten Niger und Tschad geprüft werden sollen. Das solle in Lagern unter Aufsicht des UNHCR geschehen. Im Gegenzug würden die Staaten mehr Entwicklungshilfe erhalten. Libyen soll bei der Bekämpfung von Schlepperbanden unterstützt werden.

Die Entwicklung in der Türkei derzeit zeigt Oltmer zufolge, wie problematisch es sei, mit autoritären Regierungen zusammenzuarbeiten. Das EU-Türkei-Abkommen habe die Position von Präsident Recep Tayyip Erdogan deutlich gestärkt.



Bildung

Fast zwei Drittel der Flüchtlinge haben einen Schulabschluss



64 Prozent der in den letzten drei Jahren nach Deutschland geflüchteten Erwachsenen haben nach eigenen Angaben einen Schulabschluss. Wie aus einer am 30. August veröffentlichten Befragung mehrerer Institute hervorgeht, haben 20 Prozent der Flüchtlinge einen Hochschulabschluss oder beruflichen Bildungsabschluss.

Etwa vier von zehn Flüchtlingen, die zwischen dem 1. Januar 2013 und dem 31. Januar 2016 nach Deutschland gekommen sind, haben bislang einen Integrationskurs des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge besucht. Das Sozio-ökonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hatte die Befragung gemeinsam mit dem Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB) und dem Forschungszentrum des Bundesamtes vorgenommen.

Der Studie zufolge haben 35 Prozent der erwachsenen Geflüchteten ihren Schulabschluss an einer weiterführenden Schule gemacht. Rund elf Prozent der Männer und Frauen verfügen lediglich über Bildung auf Grundschulniveau. Weitere elf Prozent gaben an, in ihrer Heimat gar keine Schule besucht zu haben. Mit acht Prozent hat nur ein geringer Teil eine Berufsausbildung abgeschlossen. "Es besteht also noch erheblicher Qualifizierungsbedarf", sagte der Direktor des SOEP, Jürgen Schupp. Dies sei offenbar auch den Geflüchteten bewusst. "Knapp die Hälfte ist daran interessiert, einen Schulabschluss in Deutschland zu machen." Zwei Drittel strebten einen beruflichen Abschluss an.

Etwa ein Fünftel der Befragten gab 2016 an, gut oder sehr gut Deutsch zu sprechen. Mehr als doppelt so viele hätten jedoch noch erhebliche Probleme mit der deutschen Sprache. Die Ergebnisse zeigen auch, dass an den Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mehr Männer (42 Prozent) als Frauen (31 Prozent) teilnehmen. "Ein wesentlicher Grund dafür ist eine fehlende Kinderbetreuung", sagte Herbert Brücker vom IAB in Nürnberg.

Die Studie stützt sich auf eine repräsentative Befragung von 4.816 Flüchtlingen in Deutschland.



Gesundheit

Experte: Sprachbarriere zwischen Flüchtlingen und Ärzten ist Skandal



Fachleute haben die Sprachbarriere zwischen Ärzten und Flüchtlingen in Deutschland als "Skandal" bezeichnet. "Es werden einfach keine Dolmetscher finanziert", sagte der Psychiater Heinz-Jochen Zenker am 25. August in Hannover bei einem Fachtag für die psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen. Kliniken müssten sich Übersetzer oft aus anderen Haushaltsposten "abknapsen", niedergelassene Ärzte könnten dies überhaupt nicht, sagte der Mediziner. "Aber der Gesetzgeber geht an das Problem nicht heran." Generell gebe es eklatante strukturelle Defizite in der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen - "selbst wenn man es als Arzt oder Klinikchef gut meint".

Migration spiele in der medizinischen Ausbildung eine erschreckend geringe Rolle, kritisierte Zenker. Zudem arbeite das deutsche Gesundheitssystem fast ausschließlich angebotsorientiert, Bedarfe bei Flüchtlingen würden nicht ermittelt. Die Zivilgesellschaft versuche diese strukturelle Versorgungslücke mit Hilfe psycho-sozialer Beratungszentren zu schließen. Doch diese deckten derzeit schätzungsweise nur ein Viertel des Bedarfes ab. Der Mediziner ist Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer. Rund 40 Prozent aller hier ankommenden Flüchtlinge sind Zenker zufolge traumatisiert.



Bundesrat

Niedersachsen fordert bundesweit kostenlose Verhütungsmittel



Mit einer Bundesratsinitiative will das Land Niedersachsen erreichen, dass einkommensschwache Frauen ärztlich verordnete Verhütungsmittel kostenlos erhalten. Das Kabinett beschloss am 29. August einen Antrag an die Länderkammer, wonach in diesen Fällen die Krankenkassen die Kosten übernehmen.

Derzeit übernehmen die Krankenkassen der Landesregierung zufolge die Kosten für Verhütungsmittel nur bis zum vollendeten 20. Lebensjahr. Danach müssten Frauen mit geringem Einkommen und Bezieherinnen von Hartz IV oder Sozialhilfe empfängnisverhütende Mittel aus dem im monatlichen Regelsatz selbst finanzieren. Der darin enthaltenen Bedarf für Gesundheitspflege liege bei 15 Euro.




sozial-Branche

Kinderbetreuung

Stundenweise weg von Mama und Papa




Kita in Berlin
epd-bild/Verena Mörath
Sanfter Übergang: Für einen gelungenen Start in der Kita, der Krippe oder dem Kindergarten ist eine gute Eingewöhnungsphase wichtig. Dafür müssen sich alle Zeit lassen.

Mit der Aufnahme in eine Kita beginnt für viele Kinder und Eltern eine aufregende, manchmal auch schwierige Zeit. "Eine geschlagene dreiviertel Stunde hat sie geweint", berichtet eine Mutter in einem Internetforum für Eltern über den Kita-Start ihrer Tochter. Andere erzählen dagegen von Kindern, die schon am ersten Tag "ungerührt in den Gruppenraum laufen" und gar nicht mehr gehen wollen.

Alles neu am ersten Tag

Den ersten Kita-Tagen kommt eine große Bedeutung zu, sagen Wissenschaftler. "Für das Kind ist alles - also die Umgebung, die Erzieherin, das Spielzeug und die anderen Kinder - noch fremd, auch wenn die Eltern die Kita mit ihrem Kind schon öfter besucht haben oder das Kind schon einen Schnuppertag hatte", erklärt Tina Eckstein-Madry, die an der Universität Wien zur Frühentwicklung von Kindern forscht.

Sie hat auch an der "Wiener Krippenstudie" zur Eingewöhnungsphase von Kleinkindern in Kinderkrippen mitgearbeitet. Die Essenz der Untersuchung: Eingewöhnung ist wichtig - es dauert im Schnitt 14 Tage, bis eine Bindung zu den Betreuungspersonen aufgebaut ist.

Scheinbar "kurz und schmerzlos" das Kind abzugeben, sei keine gute Idee, sagt auch Silvia Wiedebusch-Quante, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Hochschule Osnabrück und Mitherausgeberin des "Praxishandbuchs Kindergarten". "Man darf die Eingewöhnungszeit gerade für Kinder, die sich scheinbar leicht von ihren Bezugspersonen trennen können, nicht unterschätzen."

Vertrauen aufbauen

Aus Sicht von Eckstein-Madry ist die Eingewöhnungszeit für alle Beteiligten wichtig: "Begleiten die Eltern ihr Kind bei der Eingewöhnung, kann das Kind die Erzieherin kennenlernen und Vertrauen zur ihr aufbauen - im Wissen, dass die Eltern als Sicherheit noch da sind." Die Eltern lernten zugleich die Arbeit der Erzieherin kennen und könnten direkt beobachten, wie das Kind mit der neuen Situation umgehe. Und die Erzieherin könne mit den Eltern Rituale besprechen, zum Beispiel für das Verabschieden.

In den meisten Fällen bieten die Kitas ein Eingewöhnungskonzept an, das sich am sogenannten Berliner oder Münchner Modell anlehnt. Die bindungsorientierten Modelle wurden zwischen den 80er und 90er Jahren entwickelt, nachdem ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin gezeigt hatte, dass Kinder ohne Eingewöhnung bis zu vier Mal so häufig erkranken wie eingewöhnte Kinder. Bei den unter Zweijährigen kam es manchmal auch zu Rückständen in der Entwicklung.

Das Berliner Modell sieht vor, dass das Kind zunächst nur gemeinsam mit Mutter oder Vater die Kita besucht. Frühestens am vierten Besuchstag steht die erste Trennung an - meist nur für wenige Minuten. In den darauffolgenden Wochen wird die Dauer der Trennungen kontinuierlich gesteigert, die Eltern sollten in der Zeit in der Nähe bleiben. Die Eingewöhnung gilt als abgeschlossen, wenn sich das Kind gut von der Erzieherin trösten lässt - sich also eine Bindung eingestellt hat.

Eingewöhnung gestalten

Langes Weinenlassen, wie es eine Mutter im Internetforum beschreibt, sei dabei "keinesfalls in Ordnung", sagt Silvia Wiedebusch-Quante. "Bei einer Eingewöhnung nach den bewährten Modellen wird die Trennungsphase abgebrochen, wenn sich das Kind nicht beruhigt."

Das Münchner Modell ist eine Weiterentwicklung des Berliner Modells. Hierbei wird darauf vertraut, dass nicht nur die Erzieherin, sondern auch die Gruppe - also die anderen Kinder - mit zur Eingewöhnung beitragen. Zudem ist es zeitlich weniger starr.

Eine gute Eingewöhnung erkenne man jedoch nicht daran, dass sie zwingend nach einem der beiden Modelle organisiert werde, sagt Eckstein-Madry. Wichtig sei, "dass die Einrichtung grundsätzlich eine Idee davon hat, wie sie die Eingewöhnung gestalten möchte und klar formulieren kann, was sie von den Eltern erwartet".

Bei vielen Trägern ist das schon Standard, wie etwa bei den evangelischen Kitas im Zuständigkeitsbereich des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe. Sie wenden ein eigenes Qualitätsmanagement für die Eingewöhnung an. "Viele Einrichtungen lehnen sich dabei an das Berliner Modell an", sagt Sabine Prott, die im Diakonischen Werk für die Kitas zuständig ist.

Anstrengende Phase

Für Wissenschaftlerin Eckstein-Madry helfen zudem folgende Regeln beim Kita-Start: Vater oder Mutter sollte grundsätzlich bei der Eingewöhnung mit in den Gruppenraum kommen, die Begleitperson während der Eingewöhnungsphase nicht wechseln. "Eine kurze, aber klare Verabschiedung macht dem Kind deutlich, dass man jetzt geht." Ebenso könnten Rituale wie ein Abschiedskuss oder das Mitnehmen des Lieblingskuscheltiers die Eingewöhnung erleichtern.

Wichtig sei, dass jedes Kind die Zeit bekomme, die es auch brauche. "Das heißt auch für die Eltern, dass sie sich diese Zeit nehmen sollten - nicht nur für die Eingewöhnung, sondern auch für den restlichen Tag", sagt Eckstein-Madry. Denn die Phase der Eingewöhnung sei anstrengend für das Kind.

Auch Sabine Prott vom Diakonischen Werk appelliert an das Verständnis der Eltern. "Manchmal ist das schwer zu vermitteln - vor allem, wenn der Jobstart wieder ansteht oder schon ab einem gewissen Datum Beiträge für die Kita gezahlt werden, ohne dass das Kind voll da ist."

Stephanie Höppner


Krankenhäuser

Gastbeitrag

Die Gesundheitsreformation




Sebastian Schmidt-Kaehler
epd-bild/Michael Fuchs
Evangelische Krankenhäuser müssen sich von anderen Träger für den Patienten spürbar unterscheiden, fordert Sebastian Schmidt-Kaehler in seinem Gastbeitrag für epd sozial. Protestantische Grundhaltung sollte sein, die Autonomie und Selbstbestimmung der Patienten zu achten, fordert der Kommunikations- und Gesundheitsexperte.

Die Verbindung von Religion und Medizin ist uralt. Auch die Krankenhäuser von heute haben christliche Wurzeln und knüpfen an die Tradition der kirchlichen Hospitäler an. Diese Häuser folgten dem Motiv der Barmherzigkeit und bildeten einen Schutzraum für Bedürftige. Seither ist viel Zeit vergangen, und die Pesthäuser vor den Toren der Städte gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Und noch etwas: Die Kirchen sind längst nicht mehr die einzigen Akteure innerhalb der Krankenhauslandschaft. Sie handeln in einem harten wirtschaftlichen Wettbewerb - auch mit profitorientierten Unternehmen.

Angst vor industrialisierten Behandlungsfabriken

Im Wettbewerb müssen sich auch die evangelischen Krankenhäuser behaupten und sich dabei den ökonomischen Realitäten und Zwängen unterwerfen. Aus der Patientenperspektive weckt diese Entwicklung jedoch Sorgen und Ängste vor einer "entmenschlichten" Medizinindustrie. Schon heute steht immer wieder der Vorwurf im Raum, die kirchlichen Krankenhäuser seien Wirtschaftsunternehmen, die sich von privaten Klinikkonzernen kaum mehr unterschieden.

Zukunftsforscher und Medien zeichnen in diesem Zusammenhang ein eher düsteres Bild vom Krankenhaus der Zukunft. Sie beschreiben industrialisierte Untersuchungs- und Behandlungsfabriken, die nur noch den Gesetzmäßigkeiten der Geldflüsse folgen. Was hätte das noch mit Kirche zu tun? Was, wenn eines Tages nur noch das Kreuz über der Tür daran erinnert, dass man in einem kirchlichen Krankenhaus liegt?

Wir nähern uns langsam den Herausforderungen des demografischen Wandels. Die sozialen Sicherungssysteme werden weiter unter Druck geraten, und schon bald werden Hunderttausende von Fachkräften im Gesundheitswesen fehlen. In der Folge werden immer weniger Menschen immer mehr Patienten und Pflegebedürftige versorgen müssen. Personale Zuwendung wird also zu einem knappen Gut. Zudem werden Digitalisierung, Gen- und Biotechnologie nicht nur Segen bringen, sondern gleichzeitig eine Vielzahl ethischer Fragen aufwerfen.

Dem Kranken zugewandt

Im Gesundheitswesen der Zukunft wird es den Kirchen an Aufgaben und Herausforderungen also nicht mangeln. So wäre es sicher auch nicht im Interesse der Patienten, wenn die Stimme der Kirchen in der Flut unterschiedlicher Partikularinteressen des Gesundheitssystems verstummen würde.

Die Stimme muss aber natürlich auch hörbar sein - Patienten müssen einen Unterschied spüren können. Was aber, wenn eben dieser Unterschied immer häufiger auf der Strecke bleibt und die Verwirklichung christlicher Werte wirtschaftlichen Zwängen weichen muss? Die fortschreitende Ökonomisierung des Gesundheitswesens lässt den kirchlichen Krankenhäusern hier keine Wahl - oder vielleicht doch?

Als der barmherzige Samariter das Opfer eines Gewaltverbrechens an der Straße zwischen Jerusalem und Jericho findet, beweist er großen Weitblick: Er gießt Öl und Wein auf die Wunden, verbindet ihn und bringt ihn in eine Herberge. Aber mehr noch: In der Herberge nimmt er sich Zeit, pflegt den Mann und kümmert sich um ihn. Anschließend verhandelt er für den Mann mit dem Herbergsvater über den weiteren Verbleib und die Versorgung des Mannes und hinterlässt zwei Silbergroschen für entstehende Kosten. Der Samariter hat sich nicht nur um die Akutversorgung der Wunden gekümmert. Er hat sich dem Kranken zugewandt und ihn in seiner Not aufgefangen.

Eine Station von vielen

Auch heute bildet die stationäre Akutversorgung nur ein Glied in der Versorgungskette. Zuvor sind die Patienten erkrankt und haben bis zur stationären Aufnahme vielleicht schon eine Vielzahl von Instanzen durchlaufen. Möglicherweise haben sie auch einen Unfall erlitten und wurden aus ihren Lebenswelten herausgerissen. Nach dem Krankenhaus folgt dann vielleicht eine Rehabilitationsmaßnahme, die Nachsorge, vielleicht auch Pflege - oder die letzte Meile bis zum Ende des Lebens.

Das Krankenhaus ist auf dem Weg durch das Gesundheitswesen also häufig nur eine Station von vielen. Umso wichtiger erscheint es, die Lebenswelten vor und nach dem stationären Aufenthalt mitzudenken. Auch der Samariter hatte den ganzen Weg seines "Patienten" vor Augen. Vielleicht liefert dieser Weitblick eine Inspiration für den Unterschied, den kirchliche Krankenhäuser machen können.

Wer könnte Patienten besser auffangen als die Kirchen? Für die Diakonie und die Caritas arbeiten rund eine Million hauptamtliche Mitarbeiter. Kein anderer Akteur verfügt über solch ein Netzwerk im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens. Dahinter stehen Hunderttausende von Unterstützungs-, Hilfs- und Beratungsangeboten, die die medizinische Behandlung und Versorgung komplementär ergänzen.

Profil evangelischer Krankenhäuser

Ein weiterer Aspekt, in dem evangelische Krankenhäuser einen Unterschied machen können, betrifft die Einbeziehung der Patienten und Angehörigen. Wir leben heute in einer Zeit, in der die Medizin den "benevolenten Paternalismus" langsam überwindet. Nicht allein der Arzt weiß, was gut für den Patienten ist. Der Patient hat ein Recht auf eine informierte und partizipative Entscheidungsfindung. Er hat ein Recht auf Autonomie, Selbstbestimmung und Respekt.

Diese Überwindung einer patriarchalischen Gesundheitsversorgung ist ein zutiefst protestantisches Ansinnen: Patienten dürfen selbst denken und entscheiden und müssen sich nicht diktieren lassen, was zu ihrem besten ist. Selbstbestimmung und Patientenautonomie könnten folglich als Leitbild dazu beitragen, das Profil evangelischer Krankenhäuser weiter zu schärfen.

In enger Verbindung damit steht die Kommunikation mit den Patienten. Eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld hat gezeigt, dass mehr als die Hälfte der Deutschen erhebliche Probleme hat, mit gesundheitsrelevanten Informationen umzugehen. Die Weltgesundheitsorganisation hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass diese Menschen nicht nur eine deutliche höhere Rate an Krankenhauseinweisungen aufweisen. Sie haben auch höhere Risiken in Bezug auf Fehlbehandlungen und Komplikationen und weisen höhere Morbiditätsraten und vorzeitige Sterbefälle auf.

Alles andere als überflüssig

Eine verständliche und an die Lernvoraussetzungen der Patienten angepasste Information, Aufklärung und Kommunikation ist also immer auch eine Frage gesundheitlicher Teilhabe. Würden evangelische Krankenhäuser an dieser Stelle einen spürbareren Unterschied machen, so wäre dies immer auch Ausdruck einer protestantisch geprägten Grundhaltung, die die Autonomie und Selbstbestimmung der Patienten achtet und niemanden ausschließt.

Natürlich lassen sich Einsparungen und ökonomische Zwänge nicht wegdiskutieren. Wenn diese aber der Verwirklichung christlicher Werte entgegenstehen und kranke Menschen zu Behandlungsobjekten werden lassen, dann sollte Kirche in guter protestantischer Tradition Partei für die Patienten ergreifen, sich einmischen, Missstände aufdecken und sich dabei von festgefahrenen Strukturen und Autoritäten nicht abschrecken lassen.

Kirchliche Krankenhäuser sind auch in der heutigen Zeit alles andere als überflüssig. Die Aufgaben und Herausforderungen sind vielfältig, und die Stimme der Kirchen ist wichtiger denn je. Die kirchliche Trägerschaft allein wird jedoch nicht ausreichen, um im Gesundheitssystem der Zukunft bestehen zu können. Stattdessen kommt es auf den Unterschied an, den kirchliche Krankenhäuser machen.

Diesen Unterschied gilt es, wieder stärker herauszuarbeiten. Die Rückbesinnung auf unsere christlichen Werte, aber auch die Ideen der Reformation können uns dabei die Richtung weisen. Der Arzt und Kabarettist Dr. Eckart von Hirschhausen hat es auf den Punkt gebracht: "Wir brauchen keine Gesundheitsreform, wir brauchen eine Gesundheitsreformation!"

Dr. Sebastian Schmidt-Kaehler ist geschäftsführender Gesellschafter der Patientenprojekte GmbH, einer auf den Bereich der Patientenkommunikation spezialisierten Beratungsgesellschaft.


Kriminalität

Polizei deckt 84 weitere mutmaßliche Morde durch Ex-Pfleger auf




Intensivstation eines Krankenhauses
epd-bild/Werner Krüper
Neuen Ermittlungen zufolge konnte Pfleger Niels H. über Jahre hinweg ungestört mindestens 90 Menschen töten, weil Kollegen und Vorgesetzte weggeschaut haben. Wie viele Opfer wirklich auf sein Konto gehen, wird nie geklärt werden können.

Die Mordserie durch den früheren Krankenpfleger Niels H. hat laut Ermittlern einen weitaus größeren Umfang als bisher bekannt. Er soll weitere 84 Menschen getötet haben. Damit würden ihm bislang insgesamt 90 Morde vorgeworfen, sagte der Leiter der Sonderkommission "Kardio", Arne Schmidt, nach fast dreijährigen Ermittlungen am 28. August in Oldenburg. Die Arbeit der Sonderkommission sei beendet, jedoch werde weiter im Alltagsbetrieb der Polizei ermittelt. Vertreter der beiden betroffenen Kliniken sprachen den Hinterbliebenen ihr Mitgefühl aus.

Herzversagen und Kreislaufkollaps

H. hatte zwischen den Jahren 2000 und 2005 Patienten zunächst in einer Oldenburger, dann in einer Delmenhorster Klinik Medikamente gespritzt, die ein Herzversagen oder einen Kreislaufkollaps auslösten. Anschließend reanimierte er seine Opfer, um als Held zu erscheinen. Der heute 40-Jährige wurde bereits für sechs Taten verurteilt und verbüßt eine lebenslange Haftstrafe.

In einer Stellungnahme betonte der Vorstand des Klinikums Oldenburg, Dirk Tenzer, dass sein Haus noch vor Gründung der Sonderkommission eine interne Untersuchung angeschoben habe, um Sterbefälle in der Beschäftigungszeit von H. zu untersuchen. Die Ermittlungsergebnisse der Soko hätten die eigenen Ergebnisse bestätigt und neue Opfernamen aufgezeigt. Die Klinik wolle sich bei den Angehörigen der Opfer melden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die damals Verantwortlichen die Ermittlungsbehörden nicht eingeschaltet hätten. "Wir halten deren Einschätzung aus heutiger Sicht für falsch."

Leitende Klinikbeschäftigte vor Gericht

Der Geschäftsführer des Delmenhorster Josef-Hospitals, Ralf Delker, sagte, er sei bestürzt über die deutlich höheren Opferzahlen. Sein Haus sei sensibilisiert und habe Vorkehrungen "für ein Höchstmaß an Patientensicherheit" getroffen.

Dem Soko-Leiter Schmidt zufolge hat es in beiden Kliniken frühzeitig zahlreiche Hinweise gegeben, die eine polizeiliche Ermittlung gerechtfertigt hätten. Allein aufgrund der Aktenlage wäre ein schwerer Verdacht auf H. gefallen, der ihn vermutlich auch überführt hätte. Drei der damals verantwortlichen Mitarbeitenden des Delmenhorster Krankenhauses müssten sich demnächst vor Gericht verantworten. Noch nicht abgeschlossen seien die Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Klinikums Oldenburg.

Auch nach dem Ende der Soko "Kardio" arbeiteten einige Ermittler der Soko weiter an dem Fall. In 41 Fällen stehe das toxikologische Ergebnis noch aus. Schmidt zufolge sei nur "die Spitze des Eisberges" bekannt. So könnten etwa mehr als 130 Verdachtsfälle nicht weiter verfolgt werden, weil die mutmaßlichen Opfer mit einer Feuerbestattung beigesetzt wurden. Ob und wie viele weitere Opfer von H. getötet wurden, bleibe ungewiss.

Land plant anonymes Fehler-Meldesystem

Der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme dankte seinen Kollegen, aber auch den Pastoren für die schwere Begleitung der Angehörigen und Friedhofsmitarbeiter. Auf 67 Friedhöfen seien 134 Leichen exhumiert worden, um Beweise zu sichern: "Die Ermittlungen sprengen jede Vorstellungskraft und haben mich entsetzt." Kühme schloss sich der Kritik an die damaligen Klinikleitungen an und unterstrich, "viele Todesfälle hätten verhindert werden können".

Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) verwies auf eine geplante umfangreiche Novelle zum niedersächsischen Krankenhausgesetz mit einem anonymen Fehler-Meldesystem und einer erweiterte Leichenschau. Außerdem sollten künftig Stationsapotheker den Umfang von Arzneimitteln überwachen, um Auffälligkeiten schneller erkennen können. Rundt nahm damit Forderungen der Deutschen Stiftung Patientenschutz auf.

Jörg Nielsen


Verbände

Zentralwohlfahrtsstelle der Juden wird 100




Bertha Pappenheim gab den Anstoß zur Gründung der Zentralwohlfahrtsstelle.
epd / Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland / Jüdisches Museum
Die jüdische Sozialarbeit in Deutschland hat vor 100 Jahren einen Dachverband gebildet. Von Anfang an war die Integration von Flüchtlingen eine wichtige Aufgabe. Doch der Schatten des Antisemitismus ist bis heute nicht gewichen.

Israelische Flüchtlingshelfer für Deutschland? In Frankfurt am Main und in Berlin arbeiten Arabisch sprechende Sozialarbeiter und Psychologen aus Israel. Eingefädelt hat das die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). "Hierzulande gibt es zwar Übersetzer, aber kaum arabischsprachige Fachkräfte, die den kulturellen Hintergrund der Flüchtlinge kennen", sagt der stellvertretende Direktor der ZWST, Aron Schuster. Der Vorstand des Johanniter-Regionalverbands Rhein-Main, Oliver Pitsch, lobt: "Die Israeli kennen die Themen der Flüchtlinge und sie kennen unsere Gesellschaft."

Die Integration von Zuwanderern sei immer ein wichtiges Thema für die ZWST gewesen, erklärt Schuster. Und das seit 100 Jahren: Der Dachverband der jüdischen Wohlfahrtspflege wurde am 9. September 1917 gegründet. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts kamen mehr als 100.000 Juden, die aus Russland und südosteuropäischen Ländern vertrieben wurden, nach Deutschland. Dies sowie die sozialen Nöte während des Ersten Weltkriegs veranlassten die Sozialarbeiterin, Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Bertha Pappenheim (1859-1936), den Anstoß zur Gründung des Sozialverbands zu geben, wie die Berliner Historikerin Verena Buser erläutert.

Folgenreicher Zeitungsartikel

Mit dem Zeitungsartikel "Weh' dem, dessen Gewissen schläft!" rüttelte die Gründerin des Jüdischen Frauenbundes aus Neu-Isenburg bei Frankfurt Ende 1916 die jüdische Öffentlichkeit auf. Pappenheim rief zu einem Zusammenschluss der nach Schusters Angaben damals mehr als 3.000 jüdischen Wohlfahrtsvereine in Deutschland auf. Sie waren aus dem jüdischen Verständnis heraus gegründet worden, dass Wohltätigkeit und Gerechtigkeit (hebr. Zedakah) religiöse Pflichten seien. Der Aufruf stieß auf ein positives Echo: Am 9. September 1917 beschlossen Delegierte in Berlin die Gründung der "Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden", wie sie zuerst hieß.

Der Sozialverband wuchs rasch, formierte eine Jugend- und Altenarbeit und kümmerte sich um Obdachlose. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kamen Hilfen dazu für jüdische Kinder, die keine deutsche Schulen mehr besuchen durften, die Winterhilfe, weil Juden aus dem Winterhilfswerk ausgeschlossen wurden, und Auswanderungshilfen. 1939 schlossen die Nazis die Zentralwohlfahrtsstelle, die Restabteilung "Fürsorge" zerschlugen sie 1943 und ermordeten die meisten Mitarbeiter in Vernichtungslagern.

Neugründung im Jahr 1950

Nach der Niederlage Hitlerdeutschlands beschloss der 1950 gegründete Zentralrat der Juden in Deutschland 1951 die Neugründung der ZWST. Als "Ein-Mann-Betrieb" von dem Auschwitz-Überlebenden Berthold Simonsohn in Hamburg geleitet, begann die ZWST soziale Helfer für die jüdischen Gemeinden zu schulen, staatliche Wiedergutmachungszahlungen durchzusetzen und bei der Eingliederung von Flüchtlingen aus der Sowjetischen Besatzungszone zu helfen. 1955 zog die Geschäftsstelle nach Frankfurt am Main.

Der Sozialverband griff weitere Tätigkeitsfelder auf: Erziehungsberatung, Jugendarbeit, Ausbildungsbeihilfen, Hilfe für Holocaust-Überlebende und Altenarbeit. In der Zeit des Kalten Krieges kam die Integration von jüdischen Flüchtlingen aus Osteuropa hinzu, die vor Repressionen flohen. Nach dem Fall der Mauer 1989 wurde dies die wichtigste Aufgabe. Mehr als 200.000 Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kamen nach Deutschland.

Der Dachverband hat nach Schusters Angaben heute rund 100 Mitarbeiter, die meisten von ihnen Sozialarbeiter und Pädagogen. Das Budget von acht bis neun Millionen Euro im Jahr werde vom Zentralrat der Juden in Deutschland und vom Bundesfamilienministerium aufgebracht. Auch in der Gegenwart entwickele sich die ZWST weiter: Die Behindertenarbeit werde verstärkt, nachdem Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion zunehmend davon überzeugt werden konnten, behinderte Angehörige nicht aus Scham zu verstecken. Der 2015 gegründete deutsch-israelische Freiwilligendienst schicke dieses Jahr 20 deutsche Freiwillige nach Israel und 20 Israeli nach Deutschland.

Überalterung der Gemeinden ist Problem

Die Fortbildung gegen Antisemitismus und Rassismus wird durch das 2015 in Berlin errichtete "Kompetenzzentrum Prävention und Empowerment" verstärkt. Die größten Herausforderungen heute seien die Überalterung der jüdischen Gemeinden und der wachsende Antisemitismus, sagt Schuster. "Ist es normal, dass unser Bildungs- und Freizeitheim im rheinland-pfälzischen Bad Sobernheim durch Sicherheitsleute geschützt werden muss?" Vor Jugendfreizeiten erkundigten sich Eltern regelmäßig nach den Sicherheitsmaßnahmen.

Mit einem Festakt am 10. September in Frankfurt feiern die jüdischen Gemeinden in Deutschland die Gründung der ZWST vor 100 Jahren. Als Gäste werden unter anderen Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) und der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Peter Neher, erwartet."

Jens Bayer-Gimm


Kirchen

Gewerkschaften

Caritas und Diakonie verteidigen das kirchliche Arbeitsrecht




Demonstration gegen kirchliches Arbeitsrecht in Düsseldorf
epd-bild/Stefan Arend
Ver.di-Chef Frank Bsirske hat einmal mehr die Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts gefordert. Caritas und Diakonie verweisen in ihren Reaktionen auf die vergleichsweise hohen Lohnabschlüsse und die hohe Tarifbindung ihrer Einrichtungen.

Caritas und Diakonie haben die Forderung der Gewerkschaft ver.di nach Abschaffung des kirchlichen Arbeitsrechts zurückgewiesen. "Die tariflichen Arbeitsbedingungen in Einrichtungen und Diensten der Caritas sind besser sind als die von der Gewerkschaft ver.di abgeschlossenen Tarifverträge im Sozialbereich", sagte eine Sprecherin des katholischen Wohlfahrtsverbandes am 31. August dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch die Diakonie betonte, dass sich das kirchliche Arbeitsrecht für die Mitarbeiter bewährt habe. Ver.di-Chef Frank Bsirske hatte zuvor das kirchliche Arbeitsrecht als grundgesetzwidrig verurteilt.

"Eingriff in Grundrechte"

Der "Dritte Weg", der unter anderem Streiks in kirchlichen Einrichtungen und Unternehmen ausschließt, "gehört abgeschafft", sagte Bsirske. "Dass der Arbeitgeber allein beansprucht, die Regeln aufzustellen, an die sich dann alle halten müssen, halte ich für einen Eingriff in die Grundrechte der kirchlichen Arbeitnehmer." Die Gewerkschaft ver.di war 2012 mit einer Klage gegen das kirchliche Arbeitsgericht vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt gescheitert.

Bei den Sozialunternehmen der katholischen Caritas sind rund 615.000 Menschen beschäftigt, bei der evangelischen Diakonie arbeiten rund 460.000 Beschäftigte. Die Gewerkschaft ver.di versucht seit längerem, auch für die kirchlichen Beschäftigten Tarifverträge abzuschließen. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtseinrichtungen müssen sich allerdings nicht dem Tarifrecht unterwerfen. Vielmehr finden nach dem kirchlichen Arbeitsrecht Lohnverhandlungen in sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen statt, die paritätisch mit Vertretern der Beschäftigten und der kirchlichen Arbeitgeber besetzt sind.

Laut Caritas erzielen diese Kommissionen "sehr gute Ergebnisse. Kommt es tatsächlich einmal nicht zu einer Einigung, so steht ein verbindliches Vermittlungsverfahren zur Verfügung. Eines Streikrechts bedarf es daher nicht", erklärte der Verband. Nach Darstellung der Diakonie hat sich der "Dritte Weg" über 40 Jahre bewährt. Er zeige, dass auch "ohne Arbeitskampfmaßnahmen überdurchschnittlich gute Tarifwerke gemeinschaftlich mit der Mitarbeiterschaft entwickelt werden können".

"Sehr ordentliche Bezahlung"

Ein weiterer großer Vorteil des Kirchenarbeitsrechts sei die sehr hohe Tarifbindung, unterstrich die Caritas-Sprecherin. Während es insbesondere in privaten Einrichtungen der Sozialwirtschaft wenig Tarifverträge gebe, fielen in der Caritas 98 Prozent aller Einrichtungen und Dienste "unter den guten Tarif der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR)". Auch die Diakonie reklamierte für ihre Einrichtungen "eine hohe Tarifbindung und ein sehr ordentliches Niveau in der Bezahlung".

Als Fortschritt für die Beschäftigen bezeichnete der evangelische Wohlfahrtsverband einen "flächendeckenden Tarif für die Sozialbranche, über den ver.di und die Diakonie in Gesprächen sind". Der gemeinsame Einsatz zum Wohle der Mitarbeitenden werde allerdings erschwert, wenn ver.di nicht die Grundsätze kirchlicher Identität akzeptiere.

Die Caritas unterstützte Forderungen der Gewerkschaft ver.di nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in der Pflege. Der katholische Verband forderte dafür einen höheren Personalschlüssel und erklärte: "Nicht das kirchliche Arbeitsrecht, sondern die unzureichende Finanzierung der Pflege verhindert bessere Arbeitsbedingungen."

Markus Jantzer


Arbeit

Besorgnis über drohenden Fachkräftemangel wächst



Rund drei Millionen Fachkräfte könnten einer Studie zufolge im Jahr 2030 in den Betrieben fehlen. Besondere Sorge macht die Personallücke in der Pflege.

Eine Prognose über einen drohenden großen Fachkräftemangel löst bei Gewerkschaften, Politikern und Unternehmen Besorgnis aus. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di warnte vor einer enormen Fachkräftelücke in den Sozial- und Erziehungsdiensten. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bezeichnete den Mangel an Fachkräften als eines der größten Geschäftsrisiken für jedes zweite Unternehmen.

Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte, allein in den Pflegeberufen fehlten bereits heute bundesweit 70.000 Fachkräfte. Er rief die Arbeitgeber auf, für die Mangelberufe gute Arbeitsbedingungen zu schaffen und tariflich abgesicherte und angemessene Löhne zu zahlen.

Auch Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), der bis zum Juni dieses Jahres der Pflegebeauftragte der Bundesregierung war, zeigte sich besonders besorgt über den drohenden Mangel an Pflegekräften. "Wo finden wir jedes Jahr mehr Menschen, die bereit sind, einen Menschen zu pflegen?" Allein in Nordrhein-Westfalen würden in den kommenden 20 bis 30 Jahren jedes Jahr etwa 4.000 Pflegekräfte mehr als im jeweiligen Vorjahr benötigt. Eine Herkulesaufgabe sei es außerdem, Flüchtlinge so für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren, "dass sie uns auch helfen, die Lücke bei den Fachkräften zu schließen und dass sie selber eine Perspektive für ihr Leben in Deutschland finden", sagte Laumann.

Das Baseler Forschungsinstitut Prognos hatte am 30. August eine Studie veröffentlicht, wonach Deutschland bis zum Jahr 2030 etwa drei Millionen qualifizierte Arbeitnehmer fehlen könnten. Für das Jahr 2040 wurde eine Fachkräftelücke von rund 3,3 Millionen errechnet. Als Gründe nannte Prognos eine zunehmende Überalterung der Gesellschaft und den Wegfall von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung und Automatisierung.



Jahresbilanz

Diakonie Bethel wächst weiter



Das diakonische Unternehmen Bethel bleibt auf Wachstumskurs: Neues Projekt ist der Bau eines Kinderzentrums. Auch die Unterstützung von Spendern ist ungebrochen. Damit werden viele Vorhaben ermöglicht, die sonst nicht zu finanzieren wären.

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel haben im vergangenen Jahr einen Überschuss von 6,95 Millionen Euro erwirtschaftet. Der Betrag, der etwa auf Vorjahresniveau liegt, werde vollständig in die diakonische Arbeit des Sozialunternehmens reinvestiert, sagte Bethel-Finanzvorstand Rainer Norden, am 30. August in Bethel. Ein Schwerpunkt für die Zukunft ist der Bau eines neuen Kinderzentrums, der im Jahr 2019 begonnen werden soll.

Ein Plus von 3,4 Prozent

Die Gesamterträge des diakonischen Unternehmens stiegen gegenüber dem Vorjahr leicht auf 1,14 Milliarden Euro. Das sei ein Plus von 3,4 Prozent, erklärte Norden. Leicht gewachsen sei auch die Zahl der Mitarbeiter um rund 450 auf knapp 18.450.

Die Höhe der Spenden und Nachlässe stieg ebenfalls leicht auf rund 49,96 Millionen Euro. Die große Spendenbereitschaft zeige eine enge Verbundenheit vieler Menschen mit Bethel, erklärte Bethel-Chef Ulrich Pohl. Ohne die Spenden könne Bethel viele Angebote im Sozialbereich nicht leisten.

Das Evangelische Klinikum Bethel entwickele sich mit einem positiven Betriebsergebnis von 0,2 Prozent stabil, hieß es. Mit rund 1.500 Betten und 4.300 Beschäftigten ist das Klinikum den Angaben zufolge das größte evangelische Krankenhaus in Deutschland.

Neues Kinderzentrum geplant

Deutlich gestiegen gegenüber dem Vorjahr seien die Investitionen von insgesamt 80,3 Millionen Euro, erläuterte Finanzvorstand Norden. Schwerpunkte seien neue Wohnangebote in allen Regionen und die Weiterentwicklung von Akutkrankenhäusern sowie von Werkstätten für behinderte Menschen.

Ab dem Jahr 2019 soll ein neues Kinderzentrum Bethel entstehen. Ziel sei es, die Diagnostik und Behandlung unter einem Dach zu bündeln und Familien stärker einzubeziehen. Das Leistungsspektrum soll um eine Kinder- und Jugendpsychiatrie ergänzt werden. Die neue Klinik soll 146 Betten bieten. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2022 geplant. Die bisherige Kinderklinik Bethels, die jährlich rund 40.000 Kinder und Jugendliche behandelt, gehört zu den größten in Deutschland. Die Kosten für den Neubau betragen laut Norden voraussichtlich mehr als 60 Millionen Euro. Die Hälfte der Summe soll aus Spendenmitteln aufgebracht werden.

Bethel-Chef Pohl sagte, dass behinderte Menschen inzwischen wesentlich besser in die Gesellschaft integriert seien. Trotzdem bleibe noch viel zu tun für eine inklusive Gesellschaft.

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel zählen zu den größten diakonischen Werken Europas. Rund 230.000 Menschen hat das diakonische Werk nach Angaben des Vorstands im vergangenen Jahr behandelt, betreut oder ausgebildet.




sozial-Recht

Bundessozialgericht

Klettern durch das Dachfenster als versicherter Arbeitsweg




Pendler auf dem Weg zur Arbeit
epd-bild / Friedrich Stark
Was nur wenige wissen: Der Weg zur Arbeit ist nur unter bestimmten Voraussetzungen durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt. Bei einer Unterbrechung zum Brötchenkaufen etwa kann der Versicherungsschutz erlöschen.

Ein Kfz-Lackierer hat für einen geschäftlichen Termin einen ungewöhnlichen Weg gewählt: Er kletterte durch das Dachgeschossfenster seiner Wohnung - und stürzte. Dafür muss nach einem 31. August verkündeten Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel die Unfallversicherung aufkommen (AZ: B 2 U 2/16 R). Wenn sich aber Arbeitnehmer auf der Fahrt zur Arbeit beim Brötchenholen verletzen, dann wird es nach zwei BSG-Urteilen vom Donnerstag schwieriger (AZ: B 2 U 1/16 R und B 2 U 11/16 R).

2,60 Meter tief gestürzt

Im ersten Fall hatte ein selbstständiger Kfz-Lackierer einen besonderen Weg gewählt, um rechtzeitig einen Geschäftstermin zu erreichen. Da er seine Wohnung misslicherweise nicht durch die Haustür verlassen konnte, kletterte er kurz entschlossen durch das Dachgeschossfenster des zweieinhalbstöckigen Mehrfamilienhauses.

"Dabei rutschte ich mit den Fingern an der Dachkante ab und kam so unglücklich auf, dass ich mir das Bein brach", hieß es schließlich in der Unfallanzeige. Der Lackierer stürzte 2,60 Meter in die Tiefe auf ein Vordach des Hauses. Der verständigte Notarzt stellte einen Unterschenkelbruch fest.

Die Berufsgenossenschaft Verkehr lehnte die Anerkennung als versicherten Arbeitswegeunfall ab. Das BSG stellte hingegen einen versicherten Wegeunfall fest. Nach der ständigen Rechtsprechung bestehe ab dem Durchschreiten der Außentüre eines Hauses Versicherungsschutz. Danach ist ein Unfall im Treppenhaus nicht versichert, im Vorgarten dagegen schon. Sei das Durchschreiten der Haustür nicht möglich, könne ausnahmsweise das Klettern durch ein Fenster der direkte Weg zur Arbeit sein, erklärte das Gericht.

Unfallschutz erst im Auto

Regelmäßig verunglücken Arbeitnehmer auf ihrem Arbeitsweg, wenn sie diesen zum Brötchenkaufen unterbrechen. Das BSG hatte nun in zwei Verfahren zu entscheiden, ob hier der Versicherungsschutz eintritt.

In einem Fall hatte der Kläger sein Auto auf dem Arbeitsweg angehalten, um auf der anderen Straßenseite bei einem Bäcker "Semmeln für eine Brotzeit" zu kaufen. Als er die lange Schlange sah, kehrte er zu seinem Auto um, stürzte und brach sich die linke Schulter.

Im zweiten Fall hatte die Klägerin beim Metzger eingekauft, das Fleisch zur Beifahrerseite ihres Autos gebracht und war dann auf dem Weg zur Fahrertür gestürzt. Ergebnis: ein gebrochener Oberschenkel und eine gebrochene Hand.

Bei beiden Unfällen habe es sich nicht um einen versicherten Wege- und damit Arbeitsunfall gehandelt, befand das BSG. Entscheidend sei die "Handlungstendenz" des Beschäftigten. Danach ist die private Verrichtung erst dann abgeschlossen, wenn der Versicherte im Auto sitzt und seinen Arbeitsweg wieder aufnimmt. Erst dann bestehe Unfallschutz.

Frank Leth


Bundessozialgericht

Aufwandsentschädigung für Ehrenamt mindert Hartz IV



Hartz-IV-Bezieher müssen sich eine Aufwandsentschädigung für eine ehrenamtliche Tätigkeit als Einkommen auf ihr Arbeitslosengeld II anrechnen lassen. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) am 24. August in Kassel entschieden.

Geklagt hatte ein Hartz-IV-Bezieher aus dem Kreis Wesel. Der Mann war ehrenamtlich für drei Personen als Betreuer tätig. Im Jahr 2012 erhielt er eine Aufwandsentschädigung von knapp 1.000 Euro. Die Aufwandsentschädigung soll sämtliche im Rahmen der Betreuung anfallenden Kosten abdecken.

Das Jobcenter wertete die Aufwandsentschädigung als Einkommen und minderte daraufhin die Hartz-IV-Leistungen. Der Hartz-IV-Bezieher meinte, dass es sich um zweckgebundene Einkünfte handele, die nicht angerechnet werden dürfen.

Das BSG urteilte, dass die Aufwandsentschädigung Einkommen sei und mindernd auf das Arbeitslosengeld II angerechnet werden muss. Es handele sich nicht um zweckbestimmte Einnahmen.

Im konkreten Fall bekam der Kläger dennoch ausnahmsweise recht, da das Jobcenter formal fehlerhaft die Hartz-IV-Bescheide erstellt hatte.

Az.: B 4 AS 9/16 R



Bundessozialgericht

Höheres Arbeitslosengeld wegen Lohnnachzahlung



Erhalten Arbeitnehmer für einen Lohnverzicht zum Erhalt ihres Arbeitsplatzes später doch noch eine Nachzahlung, dürfen sie nicht mit geringerem Arbeitslosengeld abgespeist werden. Wurde im Zuge des Lohnverzichts mit dem Arbeitgeber vereinbart, dass bei einer späteren Betriebsstilllegung der Lohn nachgezahlt wird, muss diese Nachzahlung bei der Höhe des Arbeitslosengeldes I berücksichtigt werden, entschied am 24. August das Bundessozialgericht.

Dabei müssen sich laut Urteil auch am Ende der Beschäftigung ausgezahlte Arbeitszeitkontenguthaben erhöhend auf das Arbeitslosengeld auswirken. Im konkreten Fall bekam damit die Klägerin aus dem Raum Halle recht, die bis zum 30. Juni 2012 bei einem Unternehmen aus der Callcenter-Branche arbeitete.

Als das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten geriet und eine Betriebsstilllegung drohte, wurde mit dem Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung ein Lohnverzicht vereinbart. Die Klägerin erhielt mit neuem Arbeitsvertrag dann statt rund jährlich 39.000 Euro nur noch rund 25.000 Euro an Lohn ausgezahlt.

Die Vereinbarung galt ab 2010 bis 31. Dezember 2013. Sollte in dieser Zeit dennoch der Betrieb stillgelegt werden, sollte die Klägerin den verzichteten Lohn nachgezahlt bekommen. Ende Juni wurde der Betrieb dann tatsächlich geschlossen. Die Klägerin war für einen Monat arbeitslos und erhielt rund 12.000 Euro an Lohn nachgezahlt.

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) berücksichtigte die Nachzahlung bei der Arbeitslosengeldhöhe nicht mit. Die Zahlung sei wegen des Endes der Beschäftigung erfolgt, so dass diese mit einer Abfindung vergleichbar sei. Dies wirke sich nicht erhöhend auf das Arbeitslosengeld aus.

Das Bundessozialgericht sprach der Klägerin mehr Arbeitslosengeld zu. Sie habe arbeitsrechtlich wirksam die Lohnnachzahlung vereinbart. Das Arbeitsentgelt sei nicht wegen der Beendigung der Beschäftigung, sondern wegen der Erfolglosigkeit des vereinbarten Lohnverzichts nachgezahlt worden.

Die Bundesagentur müsse zudem auch noch weitere 75 Euro mit in die Berechnung des Arbeitslosengeldes einfließen lassen, die die Klägerin für ihr Arbeitszeitguthaben erhalten hatte. Auch dieses wirke sich erhöhend auf das Arbeitslosengeld aus.

Az.: B 11 AL 16/16 R



Bundesgerichtshof

Nahe Verwandte haben Vorrang vor Berufsbetreuern



Nahe Verwandte haben bei der Betreuung für einen hilfebedürftigen Angehörigen Vorrang vor einem Berufsbetreuer. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betreute zu dem Verwandten persönliche Bindungen unterhält und er die Betreuung auch gewünscht hat, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 28. August veröffentlichten Beschluss. In zwei weiteren Fällen klärte der BGH die Einsetzung eines Kontrollbetreuers und die Einreichung einer Schlussrechnung bei Ende einer Betreuung.

Gegen die Einsetzung eines Berufsbetreuers hatte eine gehörlose Frau aus München geklagt. Sie wurde zunächst von ihrer Mutter betreut. Später übertrug das Amtsgericht die Aufgaben einem Berufsbetreuer.

Der BGH entschied, dass die Mutter und auch der weiter entfernt wohnende Bruder bei der Betreuung nicht einfach hätten übergangen werden dürfen. Nur wenn "gewichtige Gründe des Wohls des Betreuten" dem entgegenstehen, sei die Bestellung eines Berufsbetreuers erforderlich. Dies sei hier nicht der Fall gewesen. Nahe Verwandte hätten grundsätzlich Vorrang vor einem Berufsbetreuer.

Der BGH klärte in einem weiteren Fall, dass das Betreuungsgericht beim Ende einer Betreuung nicht immer eine Schlussrechnung verlangen kann. Grundsätzlich müssen Elternteile, Ehegatten oder Kinder zum Ende der Betreuung dem zuständigen Gericht eine Schlussrechnung über das verwaltete Vermögen vorlegen.

Endet die Betreuung, weil der ehrenamtliche Betreuer stirbt, geht die Pflicht, eine Schlussrechnung abzulegen, aber nicht auf die Erben über, entschied der BGH. Denn das Amt des Betreuers sei unvererblich.

Und schließlich entschied der BGH: Lehnt eine geschäftsunfähige betreute Person den Kontakt zu Angehörigen ab, die laut Vollmacht die Betreuung ausüben sollen, ist dies nicht unbedingt ein Grund zur Bestellung eines Kontrollbetreuers. Auch wenn mit der Kontaktverweigerung die Betreuung erschwert sei, sei es nicht Aufgabe des Kontrollbetreuers, den Bevollmächtigen in seiner Tätigkeit zu unterstützen.

Az.: XII ZB 390/16 (Nahe Verwandte)

Az.: XII ZB 515/16 (Schlussrechnung)

Az.: XII ZB 502/16 (Kontrollbetreuer)



Bundesarbeitsgericht

Asklepios-Klinik an Tarifvertrag für öffentlichen Dienst gebunden



Nach der Privatisierung von öffentlichen Krankenhäusern gelten für die Beschäftigten häufig weiter die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst. Ein privater Klinikbetreiber könne sich von den Tarifverträgen nur lösen, wenn er mit Zustimmung des Arbeitnehmers einen neuen Arbeitsvertrag vereinbare oder eine Änderungskündigung ausspreche, urteilte am 30. August das Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt. Eine Änderungskündigung müsse aber "sozial gerechtfertigt" sein. Das ist der Fall, wenn etwa eine Schließung des Unternehmens droht.

Damit bekam eine seit 1986 angestellte Stationshilfe in einem Krankenhaus im hessischen Langen-Seligenstadt recht. Für das kommunale Krankenhaus galt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Laut Arbeitsvertrag sollten auch immer die aktuellen TVöD-Tarife angewendet werden. Als das Krankenhaus privatisiert wurde, sollten die TVöD-Tarife nun nicht mehr gelten. Die Klinik gehört seit Mitte 2008 dem Asklepios-Klinikkonzern an.

Das BAG legte das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof zur Prüfung vor. Dieser hatte mit Urteil vom 27. April 2017 keine Einwände, dass der TVöD weiter für die Alt-Beschäftigten gilt (AZ: C-680/15 und C-681/15). Daraufhin entschied nun das BAG, dass für die klagende Stationshilfe weiterhin der jeweils aktuelle TVöD anzuwenden sei. Ein Betriebserwerber wie Asklepios könne allenfalls einen neuen Arbeitsvertrag vereinbaren oder - beispielsweise wegen wirtschaftlicher Zwänge - eine Änderungskündigung aussprechen.

Az.: 4 AZR 95/14



Bundesarbeitsgericht

Fristlose Kündigung nach Griff an die Genitalien eines Kollegen



Greift ein Arbeitnehmer einem Kollegen absichtlich an den Hoden, muss er mit der fristlosen Kündigung rechnen. Solch ein Eingriff in die Intimsphäre stelle eine sexuelle Belästigung und eine Entwürdigung dar, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 24. August veröffentlichten Urteil. Auf die Frage, inwieweit der Übergriff sexuell motiviert war, komme es für eine sexuelle Belästigung nicht an, erklärten die obersten Arbeitsrichter.

Gegen seine Kündigung hatte ein Stahlarbeiter aus dem Raum Bremen geklagt. Der Mann hatte im Oktober 2014 einem Leiharbeiter von hinten schmerzhaft an den Hoden gefasst und danach gesagt, dass dieser "dicke Eier" habe. Der malträtierte Kollege fühlte sich erniedrigt und beschwerte sich.

Der Arbeitgeber kündigte dem Stahlarbeiter fristlos, hilfsweise ordentlich. Der Beschäftigte habe den Fremdfirmenmitarbeiter sowohl körperlich als auch verbal sexuell belästigt, was nicht hinnehmbar sei. Der Leiharbeiter sei außerdem gedemütigt worden.

Das Landearbeitsgericht (LAG) Bremen hielt die Kündigung für unbegründet. Eine Abmahnung hätte ausgereicht. Um eine sexuelle Belästigung habe es sich nicht gehandelt, da das Verhalten nicht sexuell motiviert war. Er habe auch nicht mit Vorsatz gehandelt. Vielmehr sei der Griff in die Genitalien ein "situatives und unreflektiertes Verhalten" gewesen.

Das BAG urteilte, der absichtliche Griff an den Hoden stelle eine sexuelle Belästigung und einen Eingriff in die Intimsphäre dar. Es komme nicht darauf an, dass der Täter den Übergriff aus sexuellen Motiven ausüben oder sexuelle Lust dabei empfinden will. Der Kläger habe den Kollegen erniedrigen und seine Macht zeigen wollen.

Das LAG muss nun den Fall nun neu bewerten und über die Wirksamkeit der Kündigung entscheiden.

Az.: 2 AZR 302/16



Bundesarbeitsgericht

Keine Pfändung von Zulagen für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit



Zulagen für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit dürfen nicht gepfändet werden. Die Zahlungen stellten sogenannte Erschwerniszulagen dar und seien nach der Zivilprozessordnung unpfändbar, urteilte am 23. August das Bundesarbeitsgericht (BAG). Sonn- und gesetzliche Feiertage stünden zudem laut Grundgesetz unter besonderem Schutz, so dass der Gesetzgeber allein deshalb bei Arbeitseinsätzen an diesen Tagen von einer Erschwernis ausgehe, erklärten die Erfurter Richter.

Geklagt hatte eine bei einer Sozialstation als Hauspflegerin angestellte Berlinerin. Sie hatte wegen hoher Schulden Privatinsolvenz anmelden müssen.

Das Gesetz sieht in solch einem Fall vor, dass ein vom Insolvenzgericht bestellter Treuhänder das Vermögen des Schuldners zugunsten der Gläubiger verwertet. In einer sechsjährigen Wohlverhaltensphase zieht der Treuhänder vom Arbeitgeber des Schuldners alle pfändbaren Einkünfte ein. Dies sind Einkünfte, die über 1.140 Euro im Monat liegen. Nach der Wohlverhaltensphase kann der Schuldner von seinen restlichen Schulden befreit werden.

Hier hatte der Treuhänder jedoch bei der Klägerin auch tarifvertragliche Zuschläge für Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht-, Samstagsarbeit sowie für Arbeiten an Heiligabend und Silvester als pfändbare Einkünfte angesehen. Insgesamt ging es um 1.144,91 Euro. Die Hauspflegerin meinte, dass es sich um Erschwerniszulagen handele, für die Pfändungsschutz gelte.

Das BAG urteilte, dass die Zulagen für die Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit Erschwerniszulagen und damit unpfändbar seien. Zulagen für Schicht- und Samstagsarbeit sowie an Heiligabend und Silvester seien dagegen nicht vor Pfändung geschützt. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg muss nun den pfändbaren Teil der Zulagen neu berechnen.

Az.: 10 AZR 859/16



Arbeitsgericht

Abmahnung für Fußballschauen während der Arbeit



Ein Arbeitnehmer, der während der Arbeitszeit Fußball schaut, muss eine Abmahnung hinnehmen. Der Mitarbeiter eines Automobilzulieferers sei deshalb zu Recht abgemahnt worden, erklärte das Arbeitsgericht Köln in einem Urteil vom 28. August. Der Mann scheiterte mit einer Klage auf Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte.

Nach Aussage von zwei Zeugen habe der Kläger mindestens 30 Sekunden lang ein Fußballspiel auf einem dienstlichen Computer angesehen und damit seine Arbeitsleistung während dieser Zeit nicht erbracht, erklärte die Kammer zur Begründung. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.

Az.: 20 Ca 7940/16




sozial-Köpfe

Diakonie

Evangelischer Klinikverband hat eine Direktorin




Melanie Kanzler
epd-bild/-DEKV
Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband (DEKV) hat seit 1. September eine neue Vorsitzende. Die 43-jährige Diplom-Politologin Melanie Kanzler übernimmt das Amt von Pastor Norbert Groß, der in den Ruhestand geht.

Die neue DEKV-Vorsitzende Melanie Kanzler war seit 2011 beim Pharma-Konzern Pfizer als "Senior Manager Governmental Relations & Policy Affairs" tätig. Zuvor arbeitete die gebürtige Potsdamerin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Referentin der Abteilung für die "Belange behinderter Menschen, Prävention, Rehabilitation, Soziale Entschädigung" sowie als Büroleiterin des CDU-Bundestagsabgeordneten Hans-Joachim Fuchtel.

Norbert Groß war seit 1999 Verbandsdirektor des DEKV. Er wird bei der Jahrestagung des Klinikverbandes, die am 11. und 12. September in Hannover stattfindet, offiziell verabschiedet. Anschließend präsentiert sich Melanie Kanzler den Mitgliedern erstmals als neue Verbandsdirektorin. Im Jubiläumsjahr der Reformation steht die Veranstaltung unter dem Motto "Reformation verpflichtet! - Krankenhaus neu denken". Unter dieser Überschrift soll die Jahrestagung den Auftrag der Kirche an die evangelischen Krankenhäuser in den Blick nehmen und aufzeigen, wie dieser diakonische Auftrag in konkrete unternehmerische Ziele zu übersetzen ist.

Der Deutsche Evangelische Krankenhausverband vertritt nach eigenen Angaben mit 205 evangelischen Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen an über 230 Standorten jedes zehnte deutsche Krankenhaus. Diese versorgen jährlich mehr als 1,9 Millionen Patienten stationär und mehr als drei Millionen ambulant.



Weitere Personalien



Thorben Albrecht, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, ist in eine neue Kommission der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf berufen worden. Die "Global Commission on the Future of Work" will sich im Rahmen der Jahrhundertinitiative der ILO mit den Fragen der sich immer schneller verändernden Arbeitswelt und daraus entstehenden Gestaltungsnotwendigkeiten beschäftigen. Albrecht gehört der SPD an, ist Historiker und war von 2011 bis 2013 Abteilungsleiter Politik im SPD-Parteivorstand. Der gebürtige Lüneburger ist er neben dem schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven der einzige europäische Regierungsvertreter in der Expertenkommission. Die internationale Expertenkommission wird von Ameenah Gurib-Fakim, Präsidentin von Mauritius, und von Löfven geleitet

Bettina Wilhelm (52) wird neue Landesfrauenbeauftragte der Bremischen Bürgerschaft. Sie folgt ab dem 1. November der langjährigen Beauftragten Ulrike Hauffe im Amt. Wilhelm war in den vergangenen acht Jahren Erste Bürgermeisterin von Schwäbisch Hall und hat dort auch die Bereiche Bildung, Jugend, Soziales, Integration, Gleichstellung und bürgerschaftliches Engagement verantwortet. Zuvor war sie Abteilungsleiterin Pädagogik sowie Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Ludwigsburg. Wilhelm ist parteilos und diplomierte Pädagogin, Sozialpädagogin und Erzieherin. Die bisherige Beauftragte Hauffe war 23 Jahre im Amt.

Christine Braunert-Rümenapf wird in Berlin Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung. Sie übernimmt Anfang September das Amt ihres Vorgängers Jürgen Schneider. Die 55-Jährige war zuvor Referentin beim Berliner Behindertenbeauftragten. Schneider geht in den Ruhestand.

Katja Karger (48) will den Deutschen Gewerkschaftsbund in Hamburg auch weiterhin führen. Bei der anstehenden Wahl für den Vorsitz am 6. September ist sie die einzige Kandidatin. Karger ist seit Dezember 2013 Vorsitzende des DGB Hamburg und die erste Frau in diesem Amt.

Diana Golze (Linke) wird nach ihrem schweren Unfall voraussichtlich Ende November wieder ihr Regierungsamt antreten. Der Genesungsprozess der brandenburgischen Sozialministerin (42) verlaufe positiv und werde nach derzeitigem Stand voraussichtlich noch etwa zwölf Wochen in Anspruch nehmen, teilte das Ministerium mit. Die Ministerin war im Urlaub in Italien bei einem Unwetter von einem umstürzenden Baum getroffen und schwer verletzt worden. Nach dem Unfall wurde sie in Italien notoperiert und wenig später in eine Klinik in Deutschland verlegt. Bis zu ihrem erneuten Amtsantritt wird sie von Staatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt (Linke) vertreten.




sozial-Termine



Die wichtigsten Fachveranstaltungen bis Oktober

September

11.-12.9. Hannover:

DEKV-Jahrestagung "Reformation verpflichtet! Krankenhaus neu denken"

des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes

Tel.: 030/801986-0

www.dekv-ev.de

12.-13.9. Paderborn:

Seminar "Umgang mit Sterben, Tod und Trauer"

der INVIA Akademie

Tel.: 05251/2908-38

www.inivia-akademie.de

14.9. Fulda:

Symposium "Gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern - Wie Kirche und Diakonie sich als Akteur im Sozialraum versteht"

der Diakonie Hessen und der EKHN

Tel.: 0561/1095-3305

http://www.wirsindnachbarn-alle.de/modellregion-sued/

14.9. Siegburg:

Seminar "Besonderheiten und Anforderungen bei der geschlechtssensiblen Arbeit mit Jungen und Männern"

des SKM Katholischer Verband für soziale Dienste in Deutschland

Tel.: 0211/23394878

18.-19.9. Berlin:

Seminar "Behindertenhilfe - Aktuelle steuerliche und handelsrechtliche Entwicklungen"

der Solidaris Unternehmensgruppe

Tel.:02203/8997-221

www.solidaris.de

18.-19.9. Freiburg:

Einführungsseminar "Datenschutz in sozialen Einrichtungen"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

18.-19.9. Frankfurt a.M.:

Fortbildung "Scham - die Wächterin der Würde. Forum Ethik in der Caritas"

der Fortbildungs-Akademie der Caritas

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

18.-19.9. Nürnberg:

10. Fachforum Onlineberatung

des Instituts für E-Beratung

Tel.: 0911/58802580

www.e-beratungsinstitut.de

18.-20.9. Würzburg:

Seminar "Arbeit mit jungen Menschen, die unsere Sprache und Kultur nicht kennen - Methoden, Wege, Zugänge"

des Evangelischen Erziehungsverbands

Tel.:0511/390881-0

19.-20.9. Paderborn:

Seminar "Gut vernetzt im Sozialraum - Gemeinsam lässt sich viel bewegen!"

der IN VIA Akademie

Tel.: 05251/2908-38

www.invia-akademie.de

19.-22.9. Bergisch Gladbach:

Seminar "Burn on statt Burn-out -Boxenstopp"

der Fortbildungs-Akademie der Caritas

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

21.9. Frankfurt a.M.:

Austauschforum zur SGB-VII-Reform

des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-452

21.-22.9. Bad Boll:

Fortbildung "Mitwirkung und Beteiligung im Wohnheim und in Wohngruppen"

der Evangelischen Akademie Bad Boll

Tel.: 07164/79-211

www.ev-akademie-boll.de

21.-22.9. Freiburg:

4. Caritas-Stiftersymposium

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

24.-25.9. Freiburg:

Seminar "Die Kunst, erfolgreiche Gespräche mit Mitarbeitern zu führen"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

25.-27.9. Berlin:

Seminar "Eltern und Jugendliche digital erreichen: Potenziale neuer Angebote und Herausforderungen für die kommunale Praxis"

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980605

26.9. Köln:

Seminar "Professionelle Fördermittelakquise für Organisationen der Sozialwirtschaft"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

26.-27.9. Kassel:

Fachtagung "Management in der Suchttherapie"

des Bundesverbandes für stationäre Suchthilfe

Tel.: 0561/779351

www.suchthilfe.de

27.9. Stuttgart:

Seminar "Alle inklusive? Menschen mit schweren Behinderungen in der Freizeit"

der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

Tel.: 0711/1640-600

www.akademie-rs.de

28.9. Stuttgart:

Fachtag Ethik "Wenn Vielfalt zur Herausforderung wird"

des Diakonischen Werks Württembergs

Tel.: 0711/1656-340

www.diakonie-wuerttemberg.de

Oktober

5.10. Münster:

Seminar "Zeit- und Selbstmanagement - Effizienter Umgang mit den eigenen Ressourcen"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

http://www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

5.-6.10. Darmstadt:

Fachtagung "Innovation und Legitimation in der aktuellen Migrationspolitik - ein Dialog zwischen Politikwissenschaft, politischer Praxis und Sozialer Arbeit"

der Schader-Stiftung

Tel.: 06151/1759-0

www.schader-stiftung.de/migrationspolitik

6.10. Ludwigsburg:

Fachforum "Diversity in Organisation und Gesellschaft - global denken, loyal handeln"

der Evangelischen Fachhochschule Ludwigsburg

www.eh-ludwigsburg.de/weiterbildung

12.10. Freiburg:

Seminar "Behindertenhilfe - Aktuelle steuerliche und handelsrechtliche Entwicklungen"

der Solidaris Unternehmensgruppe

Tel.:02203/8997-221

www.solidaris.de

16.10. Berlin:

Tagung "Geld ohne Gegenleistung - Das Grundeinkommen als Zukunft des Sozialstaates?"

der Evangelischen Akademie zu Berlin und des Sozialwissenschaftlichen Institutes der EKD

Tel.: 030/20355-0

www.eaberlin.de

18.10. Schwerin:

Fachtagung "Gesellschaft im Wandel- Wohin bricht die Jugendsozialarbeit auf?"

der BAG EJSA

Tel.: 0711/16489-20

www.bagejsa.de

18.-19.10. Berlin:

Fachtagung "Digitalisierung. Kinder. Jugendhilfe - Potenziale und Risiken in einem dynamischen Feld ausbalancieren"

des Vereins SOS-Kinderdorf

Tel.: 089/12606432

www.sos-fachportal.de

19.-20.10. Kassel:

DVSG-Bundeskongress "Soziale Arbeit im Gesundheitswesen"

der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen

Tel.: 030/394064540

www.dvsg-bundeskongress.de