Ausgabe 35/2017 - 01.09.2017
Kassel (epd). Ein Kfz-Lackierer hat für einen geschäftlichen Termin einen ungewöhnlichen Weg gewählt: Er kletterte durch das Dachgeschossfenster seiner Wohnung - und stürzte. Dafür muss nach einem 31. August verkündeten Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel die Unfallversicherung aufkommen (AZ: B 2 U 2/16 R). Wenn sich aber Arbeitnehmer auf der Fahrt zur Arbeit beim Brötchenholen verletzen, dann wird es nach zwei BSG-Urteilen vom Donnerstag schwieriger (AZ: B 2 U 1/16 R und B 2 U 11/16 R).
Im ersten Fall hatte ein selbstständiger Kfz-Lackierer einen besonderen Weg gewählt, um rechtzeitig einen Geschäftstermin zu erreichen. Da er seine Wohnung misslicherweise nicht durch die Haustür verlassen konnte, kletterte er kurz entschlossen durch das Dachgeschossfenster des zweieinhalbstöckigen Mehrfamilienhauses.
"Dabei rutschte ich mit den Fingern an der Dachkante ab und kam so unglücklich auf, dass ich mir das Bein brach", hieß es schließlich in der Unfallanzeige. Der Lackierer stürzte 2,60 Meter in die Tiefe auf ein Vordach des Hauses. Der verständigte Notarzt stellte einen Unterschenkelbruch fest.
Die Berufsgenossenschaft Verkehr lehnte die Anerkennung als versicherten Arbeitswegeunfall ab. Das BSG stellte hingegen einen versicherten Wegeunfall fest. Nach der ständigen Rechtsprechung bestehe ab dem Durchschreiten der Außentüre eines Hauses Versicherungsschutz. Danach ist ein Unfall im Treppenhaus nicht versichert, im Vorgarten dagegen schon. Sei das Durchschreiten der Haustür nicht möglich, könne ausnahmsweise das Klettern durch ein Fenster der direkte Weg zur Arbeit sein, erklärte das Gericht.
Regelmäßig verunglücken Arbeitnehmer auf ihrem Arbeitsweg, wenn sie diesen zum Brötchenkaufen unterbrechen. Das BSG hatte nun in zwei Verfahren zu entscheiden, ob hier der Versicherungsschutz eintritt.
In einem Fall hatte der Kläger sein Auto auf dem Arbeitsweg angehalten, um auf der anderen Straßenseite bei einem Bäcker "Semmeln für eine Brotzeit" zu kaufen. Als er die lange Schlange sah, kehrte er zu seinem Auto um, stürzte und brach sich die linke Schulter.
Im zweiten Fall hatte die Klägerin beim Metzger eingekauft, das Fleisch zur Beifahrerseite ihres Autos gebracht und war dann auf dem Weg zur Fahrertür gestürzt. Ergebnis: ein gebrochener Oberschenkel und eine gebrochene Hand.
Bei beiden Unfällen habe es sich nicht um einen versicherten Wege- und damit Arbeitsunfall gehandelt, befand das BSG. Entscheidend sei die "Handlungstendenz" des Beschäftigten. Danach ist die private Verrichtung erst dann abgeschlossen, wenn der Versicherte im Auto sitzt und seinen Arbeitsweg wieder aufnimmt. Erst dann bestehe Unfallschutz.