Rüdiger Schuch, seit Jahresbeginn Präsident der Diakonie, ist in Sorge um die Demokratie in Deutschland. In der AfD sei eine „radikale rassistische Ideologie endgültig angekommen“, sagte er im Interview des Evangelischen Pressedienstes (epd). Die Partei sei daher kein politischer Gesprächspartner für die Diakonie. Allerdings, fügte er hinzu, „müssen wir weiter das Gespräch mit Wählerinnen und Wählern der AfD suchen“. Schuch bezieht im Interview außerdem Position zur Sparpolitik der Ampel und zum sexuellen Missbrauch in Kirche und Diakonie.
Wenn eine Tagesmutter krank wird, trifft das gleich mehrere Familien hart. In der Regel gibt es in dem Ein-Frau-Betrieb keinen Ersatz für die erkrankte Tagesmutter. Dann müssen die Familien oft spontan improvisieren. Gut für diejenigen, die einsatzfähige und -willige Großeltern in der Nähe haben. Der Bundesverband für Kindertagespflege fordert vom Staat eine gesicherte Vertretung im Krankheitsfall von Kindertageseltern.
Eine besondere Alternative zum Altenheim findet offenbar zunehmend Anhänger: der Pflegebauernhof. Auf einem Hof werden alte Menschen betreut und sie übernehmen leichte Aufgaben. In Marienrachdorf im Westerwald wird diese Form des Mehrgenerationenmodells seit mehr als zwölf Jahren praktiziert. Im Schwarzwald wird gerade ein ehemaliges Gasthaus zu einem Pflegebauernhof umgebaut, bundesweit sind derzeit 20 Höfe dieser Art in Planung. Die Pflegeversicherung finanziert den Aufenthalt mit.
Krankenhäuser müssen nicht unbedingt die per Verordnung vorgeschriebenen Untergrenzen für das Pflegefachpersonal einhalten. Nach einem Gerichtsurteil müssen die Personaluntergrenzen für die pflegesensitiven Bereiche nach dem jeweiligen tatsächlichen Pflegeaufwand festgelegt werden. Diese Regelung im Sozialgesetzbuch V habe Vorrang vor der vom Bundesgesundheitsministerium erlassenen Verordnung über die pauschalierte Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen.
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Ihr Markus Jantzer
Berlin (epd). Rüdiger Schuch ist seit Jahresbeginn Präsident der Diakonie. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) spricht er über die Haushaltspläne der Ampel, Missbrauchsaufarbeitung und seine Sorge um die Demokratie. Bisher habe er den Kontakt zur AfD bewusst gemieden, sagt er - und plant das auch im neuen Amt. Eine Herausforderung sieht er aber im Umgang mit Kommunalpolitikern der Partei. Das Gespräch führten Bettina Markmeyer und Corinna Buschow.
epd sozial: Herr Schuch, seit Jahresbeginn sind Sie Präsident der Diakonie. In Berlin streitet die Politik über den Haushalt, Bauern haben protestiert, Lokführer gestreikt: Wie war das Ankommen in der Hauptstadt?
Rüdiger Schuch: Ich erlebe eine Stadt, die ein bisschen im Ausnahmezustand ist. Es war gelegentlich schwierig, von A nach B zu kommen. Man spürt einfach, dass es momentan in dieser Republik viele Herausforderungen und unterschiedliche Interessen gibt - und dass es schwer ist, die unterschiedlichen Interessen beieinander zu halten.
epd: Wie nehmen Sie die gesellschaftliche Stimmung wahr?
Schuch: Ich bin besorgt darüber, dass viele Menschen das Vertrauen in die demokratisch gewählte Politik, konkret die Bundesregierung, verloren haben. Oftmals spielt nicht der Streit um politische Antworten die wichtigste Rolle, sondern die Frage, ob „das System“ noch richtig ist. Offensichtlich hinterfragen das viele - nicht nur diejenigen, die populistische Parteien wählen. Man sieht das auch an der hohen Zahl derer, die nicht mehr zur Wahl gehen. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen. Bei der Landtagswahl haben 45 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme nicht abgegeben.
epd: Für Erschrecken hat kürzlich eine Recherche von „Correctiv“ gesorgt, die Pläne Rechtsextremer zur Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund offenbart hat. Wie haben Sie das aufgenommen?
Schuch: Die menschenverachtende Ideologie, die dort zum Vorschein kommt, ist leider nichts Neues. Durch die aktuellen Berichte wird aber offensichtlich, dass diese radikale rassistische Ideologie in der populistischen AfD endgültig angekommen ist. Und dass sich der Hass gegen immer mehr Menschen richtet, ob Deutsche oder nicht. Wir müssen in einem breiten Bündnis von Demokratinnen und Demokraten dagegen kämpfen. Diese Ideologie darf sich nicht durchsetzen.
epd: Wie werden Sie persönlich denn damit umgehen, wenn Treffen oder Gespräche mit Abgeordneten der AfD im Raum stehen?
Schuch: In meinen bisherigen Tätigkeiten habe ich den direkten Kontakt zur AfD bewusst gemieden. Auch jetzt sage ich: Eine derart radikalisierte Partei ist kein politischer Gesprächspartner für die Diakonie. Ich möchte aber unterscheiden zwischen denen, die sich als Parteimitglieder oder Funktionäre immer weiter radikalisieren, und den Menschen, die sich bei einer Wahl für diese Partei entscheiden. Wir müssen weiter das Gespräch mit Wählerinnen und Wählern der AfD suchen.
epd: In einer Handreichung aus dem Jahr 2018 hatte die Diakonie „professionelle Gelassenheit“ im Umgang mit AfD-Politikern empfohlen. Gilt das noch?
Schuch: In unserer Handreichung ziehen wir eine deutliche Linie gegen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Die neue Herausforderung heißt: Wie gehen wir um mit gewählten Amtsträgern der AfD wie Landräten oder Bürgermeistern? Denn mit denen müssen wir gezwungenermaßen auf einer verwaltungstechnischen Ebene reden, ob wir wollen oder nicht. Dabei ist für uns allerdings jederzeit klar: Wir sind entschieden in dem, was Diakonie ausmacht: dass man Menschen die Würde nicht abspricht, dass man Menschen unabhängig von Herkunft und Geschlecht offen begegnet und dass wir versuchen, eine gerechte und teilhabeorientierte Gesellschaft für alle mitzugestalten.
epd: Die Haushaltsberatungen auf Bundesebene nähern sich dem Ende. Die Ampel-Koalition muss sparen. Spart sie an den richtigen Stellen?
Schuch: Dass die Koalition sparen muss, ist ja nur die eine Wahrheit. Man kann es auch so sagen: Die Koalition braucht Geld für ihre Politik. Da sollte man neben Sparbemühungen auch fragen, wo Geld generiert werden kann.
epd: Wie wäre Ihre Antwort?
Schuch: Wir können Menschen mit guten Einkommen anders besteuern. Ich halte es zudem für richtig, die Vermögenssteuer neu auszurichten. Und ich halte es für richtig, bei Steuerhinterziehung genauer hinzuschauen. Das alles wäre besser, als wieder beim Bürgergeld zu sanktionieren oder über dessen Höhe zu diskutieren.
epd: Warum finden Sie das falsch?
Schuch: Die Diskussion geht an den Menschen vorbei. Ich kenne persönlich niemanden, der gern Bürgergeld bezieht oder darin ein Lebensmodell sieht. Und in Spardiskussionen ausgerechnet bei denjenigen anzusetzen, die selbst nicht ihre Stimme stark machen können, halte ich wirklich für verwerflich. Wenn wir an der Stelle das soziale Gleichgewicht gefährden, wird das Vertrauen in die Politik und die Demokratie weiter geschwächt. Das können wir uns nicht erlauben.
Es sollte uns außerdem nachdenklich stimmen, dass trotz Bürgergeldbezugs die Zahl derer, die zu den Tafeln gehen, weiter steigt. Und wenn wir eine Diskussion darüber führen, ob der Abstand vom Bürgergeld zu den unteren Einkommen zu gering ist, müssen wir eher über den Niedriglohnsektor reden.
epd: Und warum finden Sie Sanktionen für diejenigen falsch, die sich jeglicher Arbeit verweigern?
Schuch: Natürlich gibt es das in einzelnen Fällen, und das ist verwerflich. Wir sprechen aber über kein Massenphänomen, sondern eine kleine Zahl. Auch der Bundesarbeitsminister müsste das wissen. Zur Realität gehört außerdem auch, dass die meisten Bürgergeldempfängerinnen und -empfänger gar nicht die Voraussetzungen mitbringen für den ersten Arbeitsmarkt. Sie müssen vielmehr zunächst unterstützt werden, um sie in Arbeit zu bringen. Wir wissen aus unseren täglichen Erfahrungen vor Ort, dass Sanktionen dabei kontraproduktiv sind.
epd: Von den Herausforderungen für die Politik zu einer der großen Herausforderungen für die Kirchen: der Umgang mit sexualisierter Gewalt. Ende des Monats wird die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragte Studie zu Ausmaß und Risikofaktoren für Missbrauch vorgestellt, die auch die Diakonie umfasst. Was erwarten Sie?
Schuch: Wir kennen die Ergebnisse erst am 25. Januar. Aber schon jetzt wissen wir: Kirche und Diakonie haben gegenüber ihnen anvertrauten Menschen versagt. Dieser katastrophale Vertrauensbruch beschämt mich zutiefst. Wir erkennen dieses Leid der Menschen an, denen Unsagbares geschehen ist, und bitten sie um Entschuldigung. Für mich ist dabei entscheidend, dass diesen Menschen Gerechtigkeit widerfährt, manchmal leider erst Jahrzehnte später, und dass sie auch eine finanzielle Anerkennung erhalten. Und wir müssen unsere Strukturen kritisch reflektieren.
epd: Welche Strukturen sind das? Können Sie ein Beispiel geben?
Schuch: Abhängigkeits- und Machtverhältnisse können begünstigt haben, dass Menschen sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren. Man muss aber auch nach Arbeitsabläufen fragen und nach einer Kultur, die es ermöglicht, solche Taten anzubahnen.
epd: Von den bisher gemeldeten Fällen betreffen zwei Drittel den Bereich der Diakonie. Wie erklären Sie sich das?
Schuch: Diese Zahlen zeigen, dass es vor allem eine Gefährdung in Kinderheimen gegeben hat. Offensichtlich war es dort möglich, Kindern Gewalt anzutun. Es gab keine Strukturen, die die Perspektive der Kinder im Blick hatten. Das ist erschreckend. Denn zugleich gab es damals besonders gegenüber kirchlichen Häusern eine positive Erwartung von außen: Das ist eine kirchliche Einrichtung, das wird gut sein. Zusammen genommen ergab das eine toxische Mischung.
epd: Seit der Aufdeckung von Missbrauchsfällen wurden viele Präventionsprogramme geschrieben, Stellen eingerichtet, Mitarbeitende geschult: Können Sie sicher sein, dass sexualisierte Gewalt heute verhindert wird oder zumindest rasche Konsequenzen hat?
Schuch: Die Studie wird helfen, unsere Konzepte für Prävention und Schutz weiter zu verbessern. Das bleibt eine Daueraufgabe. Unsere Einrichtungen müssen Orte sein, in denen man gut und geschützt leben und arbeiten kann. Zur Wahrheit gehört aber auch: Hundertprozentig sicher können wir uns nie sein - und dürfen es auch nicht sein! Denn wir müssen in Kirchen und diakonischen Einrichtungen weiterhin sehr wachsam sein, dass Menschen keine sexualisierte Gewalt widerfährt.
Berlin (epd). Der Soziologe Steffen Mau von der Berliner Humboldt-Universität äußert sich besorgt über eine Radikalisierung des gesellschaftlich rechten Randes. Das Phänomen ziehe sich „bis in die Mitte hinein“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er halte das Bild einer gespaltenen Gesellschaft jedoch für überzogen. Es gebe nach wie vor eine Zentrierung um die Mitte herum.
Mit Sorge beobachtet der Soziologe auch eine Radikalisierung von Protestformen. Vor dem Hintergrund von „Veränderungszumutungen“ reagierten Menschen häufig übertrieben, sagte Mau mit Blick etwa auf die Blockade einer Fähre mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an Bord durch Bauern Anfang Januar. Manchen Menschen erscheine es als legitime Widerstandsgeste, so auf Politiker zuzugehen oder öffentliche Einrichtungen in Mitleidenschaft zu ziehen. „Das ist eine generelle Entwicklung von Entzivilisierung der Konfliktaustragung, die ich mit Sorge beobachte“, sagte Mau.
Grund für derartige Entwicklungen könnte eine unsichere wirtschaftliche Lage sein, in der sich Verteilungskämpfe intensivierten. Überdies seien die Bindungen an Parteien und andere große Organisationen wie Gewerkschaften oder Kirchen schwächer geworden.
Die Menschen würden „stärker von Stimmungen und einer Politik der Emotionen angesprochen“. Damit bewege sich die Wählerschaft stärker entlang von Aufregerthemen.
Das sei für Parteien sehr gefährlich, weil sie ständig von neuen Themen überrascht würden und andererseits einen Anreiz hätten, ihre Anhänger über emotionale Ansprache zu mobilisieren.
Mau empfiehlt dagegen, Debatten zu versachlichen und nicht auf jedes Thema „anzuspringen“. Aber es gebe offenbar eine Verlockung, aus Kulturkampfthemen politisches Kapital zu schlagen.
Globalisierung, Digitalisierung, Veränderungen der Arbeitswelt und Fragen von Migration gäben den Menschen das Gefühl, dass der Boden, auf dem sie stehen, brüchiger geworden sei. Viele Menschen ließen sich von Populisten ansprechen, weil deren Slogan laute: „Die Welt soll so bleiben, wie sie ist, und du sollst so bleiben, wie du bist.“ Forderungen nach Anpassung an die sich verändernde Welt würden dagegen oft abgelehnt.
Vor dem Hintergrund des Erstarkens rechtsextremer Kräfte sprach Mau von „einer komplizierten Phase der Anfechtungen der Demokratie“. Aber es gebe eine breite gesellschaftliche Mitte und ein großes Spektrum, das eine hohe Bindung an die liberalen Prinzipien und das Grundgesetz habe.
Halle, Magdeburg (epd). Mehrere Wohlfahrtsverbände in Sachsen-Anhalt unterstützen die geplante Abwahl des AfD-Politikers Ulrich Siegmund als Vorsitzender des Landtags-Sozialausschusses. Wie die Diakonie Mitteldeutschland sowie die Landesverbände von Arbeiterwohlfahrt und Paritätischem Wohlfahrtsverband am 17. Januar in Halle und Magdeburg erklärten, habe Siegmund aus ihrer Sicht durch sein Handeln und Auftreten den Zielen einer menschenwürdigen, gerechten und gleichwertigen Politik grundlegend widersprochen.
Nach Berichten des Recherchenetzwerks „Correctiv“ hatte Siegmund vor Kurzem an einem Treffen mit Rechtsextremen in Potsdam teilgenommen, bei dem unter anderem Pläne zur „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund vorgestellt worden sein sollen. Daraufhin wurden aus Reihen der anderen Landtagsfraktionen Forderungen laut, Siegmund als Vorsitzenden des Sozialausschusses abzuwählen. Siegmunds Anwaltskanzlei hatte dazu erklärt, der AfD-Politiker wolle weder deutsche Staatsbürger noch Menschen mit gültigem Aufenthaltsstatus ausweisen.
Die drei Wohlfahrtsverbände erklärten, gute Sozialpolitik brauche die enge Zusammenarbeit unter anderem zwischen dem zuständigen Landtagsausschuss und den Verbänden und Trägern sozialer Dienste. „Dieses Vertrauen und die Kooperation sehen wir hier massiv gestört und unsere Arbeit bedroht“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Einmal mehr hätten Vertreter der AfD gemeinsam mit ihren rechtsextremen Verbündeten gezeigt, dass sie grundlegenden Verfassungszielen der Menschenwürde und sozialen Gerechtigkeit widersprächen.
Ansbach (epd). Tagesmutter Lara-Katharina Stern sitzt gerade in der Malecke ihrer eigenen Kindertagesstätte im mittelfränkischen Ansbach. „Hier sind noch andere Farben. Die darfst du auch mitbenutzen“, sagt Stern und rückt dem kleinen Elias mit der rechten Hand die Box mit Buntstiften hin. Mit der linken Hand hält sie den einjährigen Lukas fest, der gerade auf ihrem Schoß sitzt.
Höchstens fünf Kinder darf die Tagesmutter gleichzeitig betreuen. „Bei kleinen Kindern muss man immer sehr aufpassen. Da ist es gut, wenn ich die volle Aufmerksamkeit habe“, sagt die 43-Jährige.
Deutschlandweit gibt es laut Statistischem Bundesamt rund 41.000 Kindertagespflegepersonen. Tageseltern kümmern sich um die Betreuung und Erziehung kleiner Kinder unter drei Jahren. Die Kindertagespflege ist eine gesetzlich anerkannte Betreuungsform und der Betreuung in Kindertagesstätten, den Kitas, gleichgestellt. Mehr als 850.000 Kinder unter drei Jahren sind derzeit in einer Tagesbetreuung.
Lara-Katharina Stern hat fünf eigene Kinder. Eines davon, die vierjährige Anni, ist heute bei der Tagespflege mit dabei. Die Kinder, um die sich die Tagesmutter kümmert, sind zwischen ein und drei Jahre alt. Ab dem dritten Jahr kommen die Kinder dann in den Kindergarten. „Das ist uns auch bei unseren eigenen Kindern wichtig. Der Besuch des Kindergartens und der Kontakt zu Gleichaltrigen fördert die Entwicklung der Kleinen“, sagt Stern.
Ihr Mann Martin unterstützt seine Frau ab und an. „Für uns ist es praktisch, dass wir hier unsere eigene Kindertagesstätte haben und keinen weiten Weg jeden Morgen fahren müssen“, sagt der 47-Jährige. „Wenn unsere eigenen Kinder krank sind, springt mein Mann für mich ein“, sagt sie. Sie versuche stets, sich nicht anzustecken. „Wenn ich selbst ausfalle, stehen die Eltern vor dem Problem, dass sie selbst eine Betreuung organisieren müssen.“ Nicht jeder habe Großeltern, die spontan einspringen können.
„In der Kita können die Betreuerinnen untereinander die Gruppen wechseln und sich gegenseitig unterstützen“, sagt Stern. In der Kindertagespflege hingegen sei man auf sich allein gestellt. „Ich traue mich kaum, krank zu sein. Falle ich aus, fällt die komplette Betreuung weg.“
Dennoch sei sie vom Konzept der Kindertagespflege überzeugt. „Ich würde selbst immer auf die Kindertagespflege zurückgreifen, auch für meine eigenen Kinder. Im Gegensatz zur Kita sind wir viel freier, können bei schönem Wetter spontan hinausgehen und den Tag so gestalten, wie wir wollen.“
Seit über sechs Jahren bietet Stern Kindertagespflege an, zunächst in den eigenen vier Wänden. Vor einem halben Jahr hat das Ehepaar Stern ein früheres Schreibwarengeschäft umgebaut. „Ich mag es, eine kleine heile Welt für die Kinder zu erschaffen“, sagt Stern und lässt ihren Blick schweifen über das bunte Bällebad, die hölzerne Rutsche und die Spielecke. Die Kinder werden hier täglich von acht bis 14 Uhr betreut.
Sie wünscht sich die Möglichkeit einer Ersatzbetreuung. „Dann könnten wir, wenn wir mal krank sind, uns richtig auskurieren. Und die Betreuung würde nicht auf die Eltern zurückfallen.“
Heiko Krause, Geschäftsführer des Bundesverbands für Kindertagespflege, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Noch immer wird nicht überall die gesicherte Vertretung im Krankheitsfall verwirklicht.“ Die Aufgabe, eine Ersatzbetreuung im Krankheitsfall zu organisieren, könne nicht allein den Kindertagespflegepersonen überlassen werden. Nach Krauses Auffassung müssten die kommunalen Jugendämter sicherstellen, dass bei Krankheit und Urlaub der Kindertagespflegeperson eine Vertretung zur Verfügung steht.
Für Lara-Katharina Stern wäre eine Vertretung im Krankheitsfall eine große Entlastung. „Ich liebe meinen Beruf, aber dass ich krank werden könnte und mich dann nicht auskurieren kann, ist eine ständige Belastung“, sagt sie, den Blick auf die Kleinkinder gerichtet, die sich gerade im Bällebad austoben.
Berlin (epd). Der Bundesverband für Kindertagespflege fordert eine gesicherte Vertretung im Krankheitsfall von Kindertageseltern. „Diese ist immer noch nicht überall verwirklicht“, kritisierte der Bundesgeschäftsführer des Verbandes, Heiko Krause, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Aufgabe, eine Ersatzbetreuung im Krankheitsfall zu organisieren, könne nicht allein den Kindertagespflegepersonen überlassen werden. Nach Krauses Auffassung müssten die kommunalen Jugendämter sicherstellen, „dass bei Krankheit und Urlaub der Kindertagespflegeperson eine Vertretung zur Verfügung steht“.
Eltern müssten sicher sein können, dass ihre Kinder auch bei einer Erkrankung der Kindertagespflegeperson gut betreut werden. Um das zu gewährleisten, könnten die Kommune oder ihr Jugendamt sogenannte Stützpunkte anbieten. „Dorthin bringen die Eltern dann die Kinder, damit sie im Bedarfsfall durch eine Vertretung der Kindertagespflegeperson betreut werden“, erklärte Krause.
Eine andere Möglichkeit ist laut Krause das Konzept der Freihalteplätze. „Das bedeutet, dass die Kindertagespflegeperson zum Beispiel einen Betreuungsplatz nicht besetzt, aber der Jugendhilfeträger diesen leeren Platz bezahlt“, sagte der Verbandsvertreter dem epd. Im Krankheitsfall würden dann die Kinder der erkrankten Kindertagespflegeperson auf die freigehaltenen Plätze von anderen Kindertagespflegepersonen verteilt. „Wichtig ist, dass die Kinder die Vertretungsperson schon vorher kennenlernen können. Dazu sollte es bezahlte Kontaktstunden geben“, forderte Krause.
Im Jahr 2024 wird die Kindertagespflege in Deutschland 50 Jahre alt: 1974 startete das erste bundesweite Modellprojekt „Tagesmütter“. Das sei laut Krause eine gute Gelegenheit, auf die Vorteile dieser Betreuungsform aufmerksam zu machen.
Berlin (epd). Umwelt- und Sozialverbände haben bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gegen eine Verschiebung des Klimageldes protestiert. In einem Offenen Brief schreiben sie: „Herr Minister Lindner: Zahlen Sie das Klimageld noch in dieser Legislaturperiode aus!“ Der Brief liegt dem Evangelischen Pressedienst (epd) vor.
Lindner hatte am 14. Januar in einem Interview gesagt, über die Einführung des Klimageldes werde nicht mehr vor der nächsten Bundestagswahl entscheiden. Zur Begründung hatte er unter anderem erklärt, wenn etwa der Einbau von Wärmepumpen gefördert werde, könne man nicht auch noch ein Klimageld auszahlen. Das Geld könne nur einmal ausgegeben werden. Die Entwicklung eines Klimageldes und eines Auszahlungswegs ist im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vereinbart. Das Finanzministerium ist für den Auszahlungsmechanismus zuständig.
Dem Appell an Lindner haben sich 16 Verbände angeschlossen, darunter die AWO, die Diakonie, der Sozialverband VdK und der Paritätische Gesamtverband sowie die Klima Allianz Deutschland, der BUND, die Deutsche Umwelthilfe und der Verbraucherzentrale Bundesverband. Sie argumentieren, sie hätten sich für die CO2-Bepreisung unter der Bedingung eingesetzt, dass die von den Bürgerinnen und Bürgern gezahlten Beträge über ein Klimageld zurückerstattet werden. Eine solche Zahlung sorge dafür, dass der Klimaschutz sozial gerechter werde und erhöhe die gesellschaftliche Akzeptanz für den Klimaschutz. Unabhängig von Klimageld und CO2-Preis müsse die Bundesregierung zudem für „eine ausreichende Förderkulisse zur Unterstützung einer sozial ausgeglichenen Klimapolitik“ sorgen, heißt es in dem Offenen Brief.
Unterdessen legte die FDP-Fraktion einen Plan vor, wie das Klimageld finanziert werden könnte. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler erklärte in der „Bild“-Zeitung (18. Januar), so könne durchaus im kommenden Jahr ein Klimageld von fast 100 Euro pro Kopf ausgezahlt werden. Zur Gegenfinanzierung schlägt die FDP-Fraktion die Streichung von Subventionen vor, unter anderem bei der Förderung der E-Mobilität, bei Hilfen zur Dekarbonisierung der Industrie und für die Chip-Industrie. Die Aufstellung liegt dem epd vor. Entlastungen beim Strompreis und die Förderungen beim Heizungstausch sollen Köhler zufolge nicht wegfallen.
Die Grünen wollen sich weiter für ein Klimageld in dieser Legislaturperiode einsetzen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, kündigte an, das Klimageld werde Gegenstand der Haushaltsberatungen für das kommende Jahr sein. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vermied am 17. Januar bei der Regierungsbefragung im Bundestag eine konkrete Aussage zum Zeitpunkt einer möglichen Einführung.
Über das Klimageld sollen die staatlichen Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bevölkerung zurückgegeben werden. Der CO2-Preis ist Anfang des Jahres von 30 auf 45 Euro pro Tonne erhöht worden, was sich beim Heizen und Tanken bemerkbar macht.
Berlin (epd). Das Bündnis „Soziales Wohnen“ wirft Bund und Ländern „Missmanagement“ bei den staatlichen Unterstützungen für das Wohnen vor. Es stellte am 16. Januar in Berlin eine Studie des Pestel-Instituts vor, wonach aus den Staatskassen im vorigen Jahr allein 700 Millionen Euro an überhöhten Mieten gezahlt wurden. Insgesamt haben die staatlichen Wohnhilfen erstmals mehr als 20 Milliarden Euro betragen. In dem Bündnis haben sich die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), der Deutsche Mieterbund, sowie Fachverbände der Caritas und der Bauindustrie zusammengetan.
Der Hauptgrund für die weiter steigenden Staatsausgaben ist dem Bündnis zufolge die jahrzehntelange Vernachlässigung des sozialen Wohnungsbaus. Deshalb fehlen laut der Studie rund 910.000 Sozialwohnungen. Bundesweit gebe es noch 1,1 Millionen Sozialwohnungen, sagte Studienleiter Matthias Günther vom Pestel-Institut. Vor 15 Jahren waren es mit rund zwei Millionen fast doppelt so viele. Mindestens diese Zahl müsse wieder erreicht werden.
Am größten ist der Mangel an Sozialwohnungen in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Niedersachsen, wie aus der Studie hervorgeht. Danach fehlen in Baden-Württemberg rund 206.000 Sozialwohnungen, in Bayern 195.000, in Berlin 131.000 und in Niedersachsen 109.000 Sozialwohnungen. Hamburg und Nordrhein-Westfalen hingegen stehen beim Sozialwohnungsbestand mit rund 4.400 sowie 4.500 fehlenden Wohnungen relativ gut da.
Bundesbauministerin Clara Geywitz (SPD) wies die Darstellung des Bündnisses „Soziales Wohnen“ über fehlende Sozialwohnungen in Deutschland zurück. Sie sagte dem Sender „tagesschau24“ die Studie, auf die sich die Verbände stützten, halte sie „für hochgradig unseriös. Das sind Zahlen, die die Kollegen sich ausgedacht haben“, sagte die SPD-Politikerin. Deshalb komme es auch zu „relativ absurden Ergebnissen“, beispielsweise, dass in Nordrhein-Westfalen angeblich weniger Sozialwohnungen fehlten als in Sachsen.
Zugleich erklärte die Ministerin aber, tatsächlich fehlten überall Sozialwohnungen, möglicherweise sogar mehr als eine knappe Million. „Wir haben einfach die letzten zwei Jahrzehnte viel zu wenig Geld in Sozialwohnungen investiert. Das rächt sich jetzt“, sagte Geywitz. Man sei bei einem Bestand von lediglich noch einer Million Sozialwohnungen gelandet, weil die Wohnungen nur 20 bis 25 Jahre in der Sozialbindung sind „und dann ganz normale Wohnungen werden“, erklärte Geywitz.
Laut Matthias Günter, Studienleiter bei Pestel, führt der „dramatische Mangel an sozialem Wohnraum“ dazu, dass die staatliche Unterstützung für das Wohnen „völlig aus dem Ruder läuft“. Die von den Behörden übernommenen Mieten lägen fast durchweg mindestens fünf Prozent über den ermittelten örtlichen Durchschnittsmieten. Man müsse sich fragen, „ob wir am Ende nicht die Vermieter fördern“, sagte Günther.
Besonders drastische Zahlen liefert die Stadt München. Hier lag die von den Jobcentern gezahlte Miete bei den Kosten der Unterkunft mit 19,20 Euro pro Quadratmeter rund 6,40 Euro - und damit 50 Prozent - über der Münchner Durchschnittsmiete von 12,80 Euro. Günther sagte, im Osten Deutschlands lägen die staatlich übernommenen Mieten in der Regel unter den Durchschnittsmieten. Das gelte allerdings nicht mehr für Städte wie Leipzig, Dresden, Erfurt oder auch Rostock. Die höchsten Mietpreise würden von den Behörden aber im Westen und Südwesten gezahlt.
Zu den staatlichen Hilfen zählen das Wohngeld für Geringverdiener und die Kosten der Unterkunft für Bürgergeld-Bezieherinnen und -Bezieher. Der Bundesvorsitzende der DGB-Gewerkschaft IG BAU, Robert Feiger, sagte, wo günstige Wohnungen fehlten, „muss der Staat die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt akzeptieren“. Diese seien in den vergangenen Jahren „bekanntlich durch die Decke gegangen“, kritisierte er. Rund 15 Milliarden Euro hätten die Behörden für die Kosten der Unterkunft bezahlt, fünf Milliarden Euro seien in das Wohngeld geflossen. Damit habe der Staat für die Wohnhilfen fünfmal so viel ausgegeben wie für die Förderung des Sozialwohnungsbaus mit vier Milliarden Euro, kritisierte Feiger.
Die Verbände erneuerten ihre Forderung nach einer Kehrtwende beim Wohnungsbau und einem Sonderbudget von 50 Milliarden Euro für den Bau von Sozialwohnungen. Dies müsse ebenso wie das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr ermöglicht werden, forderte Feiger: „Mit der Schuldenbremse baut man keine Sozialwohnungen.“ Das Bündnis verlangt außerdem, die Mehrwertsteuer für den Neubau von Wohnungen auf sieben Prozent zu senken. Zudem müsse im sozialen Wohnungsbau eine zwingende Co-Finanzierung der Bundesländer festgeschrieben werden.
Die Ampel-Koalition wollte pro Jahr 400.000 neue Wohnungen errichten lassen, davon 100.000 Sozialwohnungen. 2023 wurden dem Bündnis „Soziales Wohnen“ zufolge aber nur rund 30.000 Sozialwohnungen fertiggestellt, in den Vorjahren rund 25.000. Von 2022 bis 2026 stellt der Staat 14,5 Milliarden Euro für den Sozialwohnungsbau bereit.
Berlin (epd). Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will in diesem Jahr die im Koalitionsvertrag vereinbarte umfangreiche Reform des Abstammungs-, Sorge- und Adoptionsrechts angehen. Wie aus am 16. Januar in Berlin veröffentlichten Eckpunkten hervorgeht, soll damit Familienformen, die nicht auf der traditionellen Ehe von Mann und Frau fußen, rechtlich Rechnung getragen werden, etwa Patchwork- oder Regenbogenfamilien. Das Familienrecht hinke dieser Realität hinterher, erklärte Buschmann. Vielen werde durch das Familienrecht das Leben unnötig schwer gemacht.
Der Justizminister stellte klar, wobei es auch künftig bleiben wird: Ein Kind soll nur zwei Eltern haben, und Mutter des Kindes ist die Frau, die es geboren hat. Es soll künftig aber unter anderem möglich sein, dass ein Kind von lesbischen Partnerinnen zwei rechtliche Mütter hat, wenn es in die Ehe geboren wird oder die Partnerin der Mutter die Mutterschaft anerkennt. Diese Regelung entspricht der bestehenden für den „Normalfall“ von verschiedengeschlechtlichen Paaren, kann nur bislang nicht auf zwei Frauen angewendet werden. Bei ihnen muss die Partnerin das Kind bislang erst adoptieren.
Zudem plant Buschmann, leiblichen Vätern die Anerkennung der Vaterschaft zu erleichtern. Das soll in Konstellationen helfen, in denen die Mutter verheiratet ist, ein anderer Mann aber Vater des Kindes ist. Bislang ist selbst bei Einigkeit aller Beteiligten ein Scheidungsantrag oder ein aufwendiges Gerichtsverfahren notwendig, um den leiblichen Vater auch zum rechtlichen Vater werden zu lassen. Künftig soll dies leichter gehen. Zudem soll die Rechtslage, die in Streitfällen derzeit den Ehemann der Mutter zulasten des leiblichen Vaters bei der Vaterschaftsanerkennung bevorteilt, geändert werden.
Buschmanns Pläne sehen für mehr Rechtssicherheit vor, dass insbesondere in Regenbogen-Familien schon vor der Geburt schriftlich vereinbart wird, wer die rechtlichen Eltern des Kindes werden. So könnten etwa ein lesbisches und schwules Paar, die durch private Samenspende ein Kind zeugen, vereinbaren, dass die leiblichen Eltern auch die rechtlichen Eltern sind. Ebenso könnte die Partnerin der Mutter rechtliches Elternteil werden, indem der leibliche Vater verzichtet.
Die Reform sieht weiter vor, dass sorgerechtliche Befugnisse, die klassischerweise allein bei den Eltern liegen, auf bis zu zwei weitere Personen erweitert werden dürfen, und Adoptionen auch nicht verheirateten Paaren ermöglicht werden. Buschmann plant auch, die Rechte der Kinder zu stärken, indem sie eigene Rechte für den Umgang mit Großeltern und Geschwistern, ein Recht auf Kenntnis der Abstammung sowie Mitbestimmungsbefugnisse in Sorge- und Umgangsrechtsfragen bekommen. Im Sorgerecht soll klargestellt werden, dass ein Familiengericht das sogenannte Wechselmodell, bei dem sich die Eltern nach der Trennung die Betreuungszeit etwa gleich aufteilen, anordnen kann, wenn es dem Kindeswohl entspricht.
Die Eckpunkte müssen von Buschmanns Ministerium noch in einen Gesetzentwurf gegossen werden. Dies soll in der ersten Jahreshälfte geschehen. Danach muss der Bundestag über die Reform beraten. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) stellte sich bereits hinter die Pläne des Kabinettskollegen. Es sei gut, „das Recht endlich den gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen“. Das Eckpunktepapier sei eine gute Grundlage auf dem Weg „zu einer dringend erforderlichen Gesetzesreform“.
Für den Deutschen Kinderschutzbund erklärte Präsidentin Sabine Andresen, sie sehe die Initiative des Bundesjustizministers im Grundsatz positiv. „Wir begrüßen die vorgeschlagenen Regelungen zur Co-Mutterschaft ebenso wie die Möglichkeit für Kinder, die leibliche Vaterschaft prüfen lassen zu können, ohne damit die rechtliche Vaterschaft in Frage stellen zu müssen.“ Damit würden Rechtsunsicherheiten beseitigt und gleichzeitig dem Recht des Kindes auf Wissen über seine Herkunft Rechnung getragen.
Zugleich betonte die Professorin, die vorgeschlagene Regelung zum Wechselmodell dürfe nicht kommen. Es könne zwar „eine dem Kindeswohl entsprechende Lebensform für viele Familien sein. Sind Eltern nach der Trennung gut in der Lage, im Sinne des Kindes zu handeln und zu kommunizieren, kann das Wechselmodell bereichernd sein und dem Kindeswohl entsprechen. In konflikthaften Trennungssituationen aber, das belegte zuletzt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats im Bundesfamilienministerium, entspricht das Wechselmodell nicht dem Kindeswohl“, sagte Andresen. Es stürze Kinder dann in nicht aufzulösende Loyalitätskonflikte. „Den entsprechenden Vorschlag des Bundesjustizministers lehnen wir deshalb als ungeeignet ab“, sagte die Präsidentin.
Der Lesben- und Schwulenverband begrüßte die Regelungen grundsätzlich, übte aber auch Kritik. „Das Eckpunktepapier enttäuscht mit fehlenden konkreten Vorschlägen zu trans, inter und nichtbinärer Elternschaft“, findet der Verband.
Berlin (epd). Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) plant eine umfassende Reform im Familienrecht, die insbesondere Regenbogen- und Patchwork-Familien mehr Rechtssicherheit geben soll. Im ersten Halbjahr soll das Gesetzesvorhaben, für das Buschmann jetzt Eckpunkte vorgelegt hat, formell gestartet werden. Änderungen soll es im Abstammungs-, Sorge-, Umgangs- und Adoptionsrecht geben. Die Pläne im Überblick:
LESBISCHE ELTERN
Für ein Kind, das in die Ehe oder Partnerschaft von zwei Frauen geboren wird, soll die Partnerin der Mutter auch automatisch zweite Mutter werden können. Bislang muss sie das Kind adoptieren. Die Regelung gilt dann analog zu der für verschiedengeschlechtliche Paare, bei denen der Mann, der mit der Mutter verheiratet ist oder die Vaterschaft anerkennt, Vater wird. Von Geburt an automatisch zwei Väter zu haben, wird weiterhin nicht gehen, da dies nur über eine Leihmutterschaft möglich wäre. Sie ist in Deutschland verboten.
ELTERNSCHAFTSVEREINBARUNGEN
Insbesondere für Regenbogen-Familien soll es künftig die Möglichkeit geben, die Elternschaft bestenfalls vor der Geburt eines Kindes rechtssicher festzulegen. Das betrifft etwa Fälle, in denen eine Frau in lesbischer Beziehung durch Samenspende eines Mannes in schwuler Partnerschaft schwanger wird. Sie könnten dann etwa festlegen, dass die leiblichen Eltern auch die rechtlichen Eltern werden. Der leibliche Vater kann aber auch auf die Rolle als rechtlicher Vater verzichten. Auch künftig soll es dabei bleiben, dass ein Kind zwei Eltern hat und die Frau, die es zur Welt gebracht hat, die Mutter ist.
LEICHTERE VATERSCHAFTSANERKENNUNG
Leiblichen Vätern soll die Anerkennung der Vaterschaft erleichtert werden. Ist ein anderer Mann als der Ehegatte der Frau Vater eines Kindes, braucht es bislang ein aufwendiges Gerichtsverfahren oder eine Scheidung, damit der Erzeuger auch rechtlicher Vater werden kann - selbst wenn sich alle Beteiligten darüber einig sind. Künftig soll es reichen, wenn die Mutter und der Ehemann bis spätestens acht Wochen nach der Geburt ihr Einverständnis zur Übernahme der Vaterschaft erklären. In Streitfällen sollen leibliche Väter gestärkt werden, indem während eines gerichtlichen Anerkennungsverfahrens kein anderer Mann die Vaterschaft des Kindes anerkennen kann.
„KLEINES SORGERECHT“
Eltern sollen künftig bis zu zwei weiteren Personen sorgerechtliche Befugnisse einräumen können, um alltägliche Dinge wie Arztbesuche der Kinder einfacher zu gestalten, wenn sie von anderen begleitet werden. Das können neue Partner oder Partnerinnen der Eltern sein, aber beispielsweise auch Großeltern.
ADOPTIONSMÖGLICHKEIT AUCH FÜR UNVERHEIRATETE
Auch unverheiratete Paare sollen künftig Kinder adoptieren dürfen. Zudem soll es möglich sein, dass verheiratete Personen auch allein ein Kind adoptieren dürfen.
EIGENES UMGANGSRECHT FÜR KINDER
Das Umgangsrecht beschränkt sich bislang auf Rechte der Erwachsenen. Mit der Reform sollen auch Kinder ein eigenes Recht auf Umgang mit Großeltern, Geschwistern oder leiblichen Elternteilen bekommen. Die Rechte der Kinder sollen auch gestärkt werden, indem sie bei Fragen des Sorge- und Umgangsrechts ab dem Alter von 14 Jahren Mitentscheidungsbefugnisse haben.
RECHT AUF KENNTNIS DER ABSTAMMUNG
Kinder sollen künftig feststellen lassen dürfen, wer ihr leiblicher Vater ist, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass sich durch das Ergebnis automatisch auch die rechtliche Vaterschaft ändert. Zudem plant Buschmann eine Erweiterung des Samenspenderegisters, das bislang nur offizielle Spenden registriert. Künftig soll es auch private Samenspenden und Embryonenspenden erfassen. Geprüft werden soll auch, ob ein freiwilliger Eintrag im Ausland praktizierter Eizellspenden möglich ist, um Menschen die Recherche ihrer Abstammung zu erleichtern. In Deutschland ist das Verfahren nicht erlaubt.
KLARSTELLUNG ZUGUNSTEN DES WECHSELMODELLS
Wenn es dem Kindeswohl entspricht, soll ein Familiengericht in Streitfällen nach einer Trennung künftig auch das Wechselmodell anordnen können, was bislang nicht praktiziert wird. Das Kindschaftsrecht geht nach Angaben des Ministeriums bislang davon aus, dass ein Kind nach einer Trennung überwiegend von einem Elternteil betreut wird. Heute nähmen Eltern aber vermehrt zu gleichen Teilen Erziehungsverantwortung wahr, heißt es in den Eckpunkten.
Frankfurt a. M. (epd). Im vergangenen Jahr hat die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) mehr Organspender registriert als im Jahr 2022. Der Anstieg betrage elf Prozent, teilte die Stiftung am 16. Januar in Frankfurt am Main mit. Demnach haben im zurückliegenden Jahr 965 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet, 96 mehr als im Jahr 2022.
Um 8,1 Prozent erhöhte sich demnach die Zahl der Organe, die über die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant verteilt werden konnten. 2023 seien 2.877 Organe transplantiert worden, 2022 waren es 2.662. Am häufigsten wurden Nieren transplantiert (1.488).
Mit dem Plus von elf Prozent habe man in Deutschland wieder das Niveau erreicht, das es vor dem Einbruch der Spenderzahlen 2022 gab, sagte der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel. Das sei jedoch „angesichts der rund 8.400 schwer kranken Patientinnen und Patienten auf den Wartelisten deutlich zu niedrig“. Im internationalen Vergleich bilde Deutschland noch immer ein Schlusslicht und profitiere im Eurotransplant-Verbund, indem es mehr Organe erhält als abgibt. Als Gründe für den Rückgang 2022 hatte die DSO die Corona-Pandemie genannt sowie fehlende Einwilligungen potentieller Spender.
Rahmel appellierte an die Bevölkerung, zu Lebzeiten eine Entscheidung zur Organspende zu treffen und diese in einem Spenderausweis oder einer Patientenverfügung zu dokumentieren. Ohne die Zustimmung der Verstorbenen oder deren Angehörigen sei keine Organspende möglich. In diesem Zusammenhang verwies der Mediziner auf das Organspende-Register, das im Laufe dieses Jahres online gehen soll. Dort könnten Bürger künftig ihre Entscheidung für oder gegen eine Organ- oder Gewebespende hinterlegen.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sagte, der Aufwärtstrend bei den Organspenden sei gut, dürfe jetzt aber nicht ins Stocken geraten. "Das vor vier Jahren beschlossene Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende gilt es, konsequent umzusetzen.
Deshalb müssten Bund und Länder ihre Pläne für eine Widerspruchsregelung begraben, so Brysch. „Auch ist ein zentrales Onlineregister überfällig. Ebenso haben die Landesregierungen ihren Widerstand gegen die Einholung der Willenserklärungen durch die Bürgerämter aufzugeben.“
Berlin (epd). Bei der Verbesserung der Qualität der Kinderbetreuung hat es nach Angaben von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) erkennbare Fortschritte gegeben. Der Monitoringbericht für das Jahr 2022 zeige, dass der Personalausbau fortgesetzt und der Personalschlüssel verbessert worden sei, teilte das Ministerium am 13. Januar in Berlin mit. Es gebe aber weiterhin große Unterschiede zwischen den Bundesländern. „Auch über 2024 hinaus gibt es Handlungsbedarf“, resümierte die Grünen-Politikerin. Sie betonte, frühkindliche Bildung sei „ein zentrales Element, wenn es darum geht, Bildungserfolg und familiäre Herkunft zu entkoppeln“.
Laut dem vierten Monitoringbericht arbeiteten 2022 in den rund 60.000 Kindertageseinrichtungen in Deutschland mehr als 683.000 pädagogische Fachkräfte. Im Vergleich zum Vorjahr bedeute dies einen Anstieg um 3,3 Prozent, im Vergleich zu 2019 sogar einen Zuwachs von 12 Prozent. Über die Hälfte des pädagogischen Personals sei in Teilzeit beschäftigt. Insgesamt würden etwa 3,5 Millionen Kinder bundesweit in Kitas oder von Tagesmüttern und -vätern betreut.
Der Betreuungsschlüssel verbesserte sich den Angaben zufolge. Bundesweit betreute demnach eine Fachkraft vier Kinder unter drei Jahren, bei Kindern von drei Jahren bis zum Schuleintritt liege der Personalschlüssel bei 1 zu 7,8. Dabei gebe es große Unterschiede zwischen den Bundesländern, vor allem bei der U3-Betreuung, hieß es. Am besten schnitt Baden-Württemberg ab, wo eine pädagogische Fachkraft im Schnitt drei Kinder unter drei Jahren betreue. Den ungünstigsten Personalschlüssel wies Mecklenburg-Vorpommern auf, wo eine Person für fast sechs Kinder zuständig sei.
Die Inanspruchnahme der Kleinkind-Betreuung ist laut Bericht in den ostdeutschen Bundesländern nach wie vor deutlich höher als im Westen. Demnach gingen 2022 bundesweit insgesamt gut 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren in die Kita. In westdeutschen Bundesländern seien es mit einem Anteil von knapp 32 Prozent weiterhin deutlich weniger gewesen als in den ostdeutschen Ländern mit gut 53 Prozent.
Knapp ein Drittel (29,1 Prozent) aller Kinder in der Kindertagesbetreuung hatte den Angaben zufolge einen Migrationshintergrund. Zwei Drittel (66,9 Prozent) davon besäßen eine nicht deutsche Familiensprache. Unter dreijährige Kinder mit Migrationshintergrund besuchten seltener eine Kindertagesbetreuung als Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Mit zunehmendem Bildungsgrad der Eltern und Haushaltseinkommen steige die Quote an.
Straßburg (epd). Der geplante europäische Behindertenausweis ist ein Stück näher gerückt. Das EU-Parlament stimmte am 17. Januar seine Position ab. „Dieses Gesetz wird nicht nur das Reisen erleichtern, sondern auch die Freizügigkeit der EU für alle Europäer in die Tat umsetzen“, sagte die EU-Abgeordnete Lucia Nicholsonova in Straßburg. Mit der Abstimmung im Parlament können die abschließenden Verhandlungen mit den EU-Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission beginnen. Der EU-Behindertenausweis soll noch vor der Europawahl im Juni auf den Weg gebracht werden.
Der EU-weite Behindertenausweis und der europäische Parkausweis für Menschen mit Behinderungen sollen sicherstellen, dass Betroffene bei Reisen in das EU-Ausland von den gleichen Rechten profitieren wie die Bewohner des Landes, einschließlich des Zugangs zu Parkplätzen. Bisher wird der Behindertenstatus nicht immer EU-weit anerkannt. Außerdem sollen die Ausweise kostenlos und schneller ausgestellt werden, der Behindertenausweis innerhalb von 60 Tagen, der EU-Parkausweis innerhalb von 30 Tagen.
Marienrachdorf, Bad Teinach-Zavelstein (epd). Im Alter leben wie einst in der bäuerlichen Großfamilie: Das Konzept eines Pflegebauernhofes greift das alte Mehrgenerationenmodell auf, indem es alte Menschen am Alltag eines landwirtschaftlichen Betriebes teilhaben lässt. Guido Pusch setzte es in Marienrachdorf im Westerwaldkreis vor mehr als zwölf Jahren um.
Der Nebenerwerbslandwirt entwickelte die Idee aus Eigenbedarf. „Die Oma sollte nicht ins Pflegeheim“, erinnert er sich. Der Hof bot Platz. Er wurde pflegegerecht umgebaut. Weitere Pflegebedürftige zogen ein. Mittlerweile ist das Konzept „Pusch“ bundesweit nachgefragt.
Einmieten können sich Menschen mit Pflege- oder Betreuungsbedarf. Sie helfen, je nach körperlicher Fitness, bei den Arbeiten am Hof in der Tierpflege mit. Die Kosten trägt wie im Pflegeheim größtenteils die Pflegeversicherung.
Rund 20 Pflegebauernhöfe sind, verteilt auf ganz Deutschland, in Planung. Der Hof in Marienrachdorf ist bisher der einzige aktive Pflegebauernhof. In Bad Teinach-Zavelstein (Landkreis Calw) soll im Frühjahr 2024 der erste Pflegebauernhof Baden-Württembergs seine Arbeit aufnehmen.
Die Hürden sind hoch: Umbaumaßnahmen in Höhe von schnell zweieinhalb Millionen Euro und zahlreiche behördliche Auflagen schrecken ab. Der Landwirt muss investieren und langfristig 20 bis 30 fremde Personen auf seinem Hof akzeptieren. Dorothee Schuon im Schwarzwald scheute den Aufwand nicht und lässt ihr Elternhaus zurzeit in einen Pflegebauernhof nach dem Vorbild von Guido Pusch umwandeln.
Noch herrscht Baustellenlärm auf dem Anwesen von Dorothee Schuon. Ihr Elternhaus, der frühere Gasthof „Löwen“, wird gerade umgebaut. Wo früher Gäste gegessen, getrunken und übernachtet haben, entsteht ein Zuhause für alte Menschen.
„Vor dem Haus werden wir drei Alpakas haben“, sagt Schuon. Schon jetzt gebe es mehr Anfragen als Plätze. Zielgruppe seien Menschen ab 60 Jahren mit Pflegebedarf und Interessierte, die als Selbstversorger in einer WG zusammenwohnen wollten, erläutert sie. Und sie zeigt die großzügigen Zimmer mit Bad und Toilette, die Küche und die hellen Esszimmer.
Anders als im klassischen Pflegeheim sind die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegebauernhofs in den Alltag eingebunden. „Sie bringen die Alpakas auf die Weide, sammeln Eier von den Hühnern ein und helfen, je nach Kräften, bei der Stallarbeit“, berichtet die Sprecherin von der Initiative „Zukunft-Pflegebauernhof“, Kordula Wiefel. Gerade demenziell erkrankte Menschen profitierten vom Streicheln der Tiere, weiß sie.
„Gebraucht zu werden“ helfe den Menschen auch im Alter, sagt Wiefel. Auf dem Hof könnten sich alte Menschen sinnstiftend einbringen, darin unterscheide sich der Alltag von dem im Pflegeheim. „Die Tagesstruktur hängt von den Launen der Natur ab, ist nicht künstlich“, betonte die Sprecherin.
Auch die Arbeitsbedingungen für den Betreuungsdienst seien besser, unterstreicht sie. Sie berichtet von Pflegekräften, die im Heim gekündigt hätten und lieber auf dem Pflegebauernhof arbeiten wollten. „Den Heimen läuft das Fachpersonal davon“, sagt Wiefel.
Als „Grundübel“ macht sie „die Wirtschaftlichkeit“ der Heime aus. Die Heime seien zu „Aufbewahrungsstationen“ geworden, weil das Personal fehle, so die Sprecherin.
„Zukunft-Pflegebauernhof“ könnte eine Antwort darauf sein. „Die Beschäftigung ist nicht künstlich ausgedacht, die Arbeiten müssen gemacht werden“, erklärt Wiefel. Denn der Bauernhof muss sich selbst tragen.
Die Pflegekasse übernimmt lediglich die Kosten für die Betreuung. Im Erdgeschoss bei Dorothee Schuon wird es einen Hofladen geben. Mehrere sonnendurchflutete Gemeinschaftsräume laden zu Geselligkeit ein.
Der Altersaufenthalt auf dem Pflegebauernhof stellt nicht die Hilfsbedürftigkeit der Bewohner, sondern deren Ressourcen in den Mittelpunkt. Bleiben darf jeder Bewohner bis zu seinem Lebensende. Der ambulante Pflegedienst am Hof begleitet bis zum letzten Atemzug.
Köln, Ansbach (epd). Als Maximilian Wagner (Name geändert) 2019 die Diagnose Glioblastom erhielt, war seine Tochter gerade einmal drei Monate alt. Bei Glioblastomen handelt es sich um die aggressivste Form von Gehirntumoren im Erwachsenenalter. „Mein Mann hatte einen epileptischen Anfall und kam daraufhin ins Krankenhaus. Die Ärzte sagten, er hätte noch sechs Wochen zu leben“, erinnert sich seine Ehefrau Karin.
Wagner hatte sich entgegen den Erwartungen der Ärzte erholt. Doch im Jahr 2021 wuchs der Tumor wieder. Im Sommer 2022 ging es dem Familienvater immer schlechter. Ab September konnte er nichts mehr selbstständig machen. Seine Frau pflegte ihn. „Wir haben gehofft bis zum Schluss“, sagt sie. Ab 1. Oktober 2022 war er auf der Palliativstation, wo er wenige Wochen später verstarb.
Halt fand seine Ehefrau in einer Selbsthilfegruppe für jung Verwitwete in Ansbach. „Egal, wie eng man mit Freunden und Familie ist, es sind doch nochmal andere Gespräche mit Menschen, die das gleiche erlebt haben“, sagt die 37-Jährige. Die Pädagogin aus Mittelfranken möchte ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen, zum Schutz ihres Kindes.
Laut dem Hamburger Verein jung verwitwet e.V. gibt es in Deutschland etwa 500.000 Witwen und Witwer zwischen 20 und 59 Jahren. Unterstützung erhalten Betroffene von verschiedenen Stellen, wie beispielsweise von „Flüsterpost“ mit Sitz in Mainz, einem Verein für Kinder krebskranker Eltern. „Ich erhielt dort viele wertvolle Tipps, wie ich meiner Tochter den Tod ihres Vaters beibringen konnte“, sagt Wagner. „Man solle nicht sagen, der Papa wird einschlafen oder weggehen, sondern es klar und deutlich aussprechen: Er wird sterben.“ Die Angst vor dem Ungewissen sei für Kinder oft schlimmer als die Wahrheit.
Neben der Trauer musste sich Wagner auch mit vielen anderen Dingen auseinandersetzen. Vom Staat hätte sie sich dabei mehr Hilfe gewünscht. „Die bürokratischen Hürden rund ums Erbe haben mich im ersten Jahr viel Kraft gekostet. Zu sehen, dass ich damit nicht allein war, hat mir sehr geholfen“, erinnert sie sich.
Ellen Peiffer ist Vorsitzende des Vereins VIDU verein-verwitwet in Köln, bei dem Betroffene Hilfe finden. „Generell können sich jung Verwitwete an dieselben Stellen wenden wie andere Verwitwete auch“, sagt Peiffer. Für die Hilfe zur Trauerbewältigung seien das in der Regel Kirchen, Hospize, freie Trauerbegleiter und Psychologen. „Sie haben bei Trauergruppen-Angeboten allerdings häufig das Problem, dass sie wesentlich jünger sind als die anderen verwitweten Menschen“, sagt Peiffer. Spezielle Beratungsangebote für jüngere Verwitwete seien selten. Für Fragen rund um die Existenzsicherung gebe es beispielsweise keine spezielle Anlaufstelle, kritisiert sie. „Hier muss man sich leider allein durchkämpfen“, sagt Peiffer.
Diese Erfahrung musste auch Wagner machen. „Niemand kannte sich mit der Witwenrente aus. Drei Monate lang war nicht einmal klar, ob ich überhaupt Rente bekomme“, erinnert sie sich. Auch um das Erbe des neu gebauten Hauses gab es trotz eines vorhandenen Testaments Probleme. „Es hat ein Jahr lang gedauert, bis alles geklärt war. Wäre ich dringend auf das Geld angewiesen, hätte ich ein großes Problem gehabt.“
Mittlerweile gibt es vom Bundesfamilienministerium ein leicht zu bedienendes Online-Tool für jung Verwitwete. „Seit etwa drei Jahren erfahren auf www.infotool-familie.de auch Verwitwete mit Kindern, welche staatlichen Leistungen ihnen zustehen“, sagt Peiffer.
Tod werde vor allem mit alten Menschen in Verbindung gebracht. Jüngere würden oft kaum über den eigenen Tod nachdenken, geschweige denn sich mit Dingen wie Vorsorge und Patientenverfügung auseinandersetzen. Das liege nach Peiffers Ansicht daran, dass Tod und Trauer angstbesetzte Themen seien, über die man nicht nachdenken möchte. Außerdem wüssten viele nicht, wie sie mit Trauernden umgehen sollen.
Karin Wagner und ihre Tochter haben ihren eigenen Umgang mit der Trauer gefunden. „Wir haben ein Kissen genäht mit einem seiner T-Shirts, damit sie mit ihm kuscheln kann.“ Für die heute Vierjährige sei ihr Vater nach wie vor sehr präsent in ihrem Leben. „Sie trauert immer noch stark. Sie möchte jeden Tag über ihn reden, sagt oft, sie wünsche sich, ihr Papa könne sie in den Arm nehmen“, sagt Wagner. Um den Jahrestag herum habe sie viel geweint.
Aktuell sei sie wütend, da sie in Bilderbüchern und auf Kinderfesten immer Väter sieht und sie keinen mehr habe. „Er hat ihr versprochen, wenn er in den Himmel kommt, nimmt er sich einen Platz auf dem Mond, damit sie immer weiß, wo er ist.“ Sie sei dankbar für dieses Symbol. Noch heute schaue ihre Tochter zum Mond in den Himmel.
Göttingen, Tübingen (epd). Der Versuch ist gewagt, doch er gelingt. Mit wenigen Handgriffen wandelt sich der schmucklose Konferenzraum 0A2062.3 im Bettenhaus 2 der Universitätsmedizin Göttingen in einen Schönheitssalon. Die Telefone kommen auf den Fußboden, Blöcke und Stifte in den Schrank. Stattdessen werden Kosmetikspiegel auf den Tisch gestellt, dazu Tissue-Boxen, Wattepads, Tischmülleimer.
Acht Frauen nehmen an dem zweistündigen Kosmetikseminar „Look good, feel better“ der „DKMS life“ teil. Alle sind an Krebs erkrankt, sie haben Operationen, Bestrahlungen, Chemo- und Immuntherapien hinter sich oder stecken noch mittendrin. Die Therapien haben ihr Aussehen verändert. Haare, Wimpern und Augenbrauen sind ausgegangen, die Haut hat aufgrund der Bestrahlung Flecken bekommen. Sie ist fahl, trocken, gerötet, das Gesicht vom Cortison bei manchen rundlich geworden.
Hier setzt der kostenfreie Kosmetikkurs der „DKMS life“, einer Tochtergesellschaft der in Tübingen ansässigen Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) an. Kosmetikerinnen zeigen den Frauen, wie gut sie mit Mützen und Tüchern auf dem Kopf aussehen. Sie erklären ihnen, wie sie ihre empfindliche Haut pflegen und die Folgen der Therapie mit Schminke abdecken können. In insgesamt 27 Ländern weltweit werden die Schminkkurse für Krebspatientinnen angeboten.
„Die Kurse sind beliebt und schnell ausgebucht“, sagt Andrea Schmidt-Schweda. Sie ist ambulante „Breast and Cancer Care Nurse“ in der Universitätsmedizin Göttingen. Als solche begleitet sie Krebspatientinnen, fungiert als Bindeglied zwischen Ärzten und Patientinnen, vermittelt Kontakte in die Psychoonkologie, die Ernährungsberatung und auch zu den Kosmetikkursen. In der Universitätsmedizin Göttingen finden seit 2017 jedes Jahr rund vier bis sechs Schminkkurse statt.
2020 sind nach Schätzung des Zentrums für Krebsregisterdaten im Berliner Robert Koch-Institut insgesamt rund 493.200 Krebserkrankungen in Deutschland erstmalig diagnostiziert worden. Betroffen waren rund 261.800 Männer und 231.400 Frauen. Etwa die Hälfte der Fälle betraf Brustdrüse, Prostata, Dickdarm und Lunge. Etwa 1,6 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer Krebserkrankung, die in den vergangenen fünf Jahren diagnostiziert wurde, geschätzt mehr als 4,5 Millionen Menschen sind in den vergangenen 25 Jahren an Krebs erkrankt.
Eine von ihnen ist Jana Weiß. Die 51-Jährige bekam im April 2022 die Diagnose Brustkrebs: ein triple-negatives Mammakarzinom, eine aggressive Tumorart. „Ich weiß gar nicht mehr, wie ich damals, als ich das erfuhr, zu meinem Auto kam, ich habe nur geweint“, sagt die dreifache Mutter aus Thüringen. Zeit zum Nachdenken blieb nicht. Bereits im Mai begann die Chemo, vier Zyklen. „Es war schrecklich, ich habe 16 Kilo abgenommen, mich nur übergeben und geschlafen.“
Doch die Therapie zeigte Wirkung. Der Tumor war auf den Bildern kaum noch erkennbar. Es folgten eine Operation, bei der das Gewebe um den Tumor entfernt wurde, sowie eine Bestrahlung der Brust. Am 6. Januar dann der Anruf: „Sie sind tumorfrei.“ Jana Weiß: „Da habe ich wieder geheult - aber dieses Mal vor Freude.“
Jetzt sitzt die Frau, die von sich selbst lachend sagt, sie habe sich noch nie geschminkt „außer an Fasching“, in Raum 0A2062.3 und öffnet mit den anderen Frauen neugierig die graue Tasche, auf der die Worte „Hoffnung ist schön“ stehen. Sekundenschnell ist der Tisch bedeckt mit Mascara, Reinigungslotion, Foundation, Lippenkonturenstiften, Sonnencreme, Tuchmasken, Gesichtswasser und Puderpinseln.
„Das ist gesponsert, das dürfen Sie alles behalten“, sagt Kosmetikerin Manuela Klingenstein, die das Seminar leitet. Die Frauen öffnen erst zaghaft, dann immer beschwingter Tiegel, Tuben und Puderdöschen. Es wird geschnuppert, getestet, geklönt und gelacht. „Das ist das Schöne an den Seminaren, dieser Austausch, dieses Zusammensein mit anderen, die Ähnliches durchmachen“, sagt Schmidt-Schweda.
Klingenstein erklärt, dass das Reinigungsgel steril sei, das sei wichtig bei entzündeter Haut. Und Sonnencreme: „Sie ist wirklich unerlässlich.“ Sie gibt Schminktipps: „Die Foundation immer von innen nach außen streichen und immer dran denken: Helle Farben heben hervor, dunkle setzen zurück.“ Essenziell sei der Concealer. Jana Weiß schaut fragend. „Der hilft gegen Augenringe und kaschiert die Nasolabialfalten - ein echter Zauberstift“, sagt Klingenstein.
Die Frauen lachen, auch Uta Moreno-Morales. „Wochenlang ging es nur um Krankheit, um Therapie, um Ängste. Es macht Spaß, sich mit dem eigenen Körper, seinem Aussehen wieder mal von einer leichten, femininen Seite zu befassen“, sagt die 58-Jährige, die ein malignes Melanom im Gesicht hatte. Haut musste transplantiert werden, die Narbe zieht sich vom linken Auge bis zum Ohrläppchen.
Eigentlich schminken sich die Frauen selbst, doch in diesem Fall macht Klingenstein eine Ausnahme. In ihrer Hand mischt sie verschiedene Töne von stark deckendem Make-up. Die Kosmetikerin klopft das Make-up vorsichtig auf die transplantierte Haut.
Die Frauen sind baff. „Wahnsinn, was das ausmacht“, sagt eine. Moreno-Morales blickt in den Kosmetikspiegel - und lächelt glücklich. Sie ist nicht die Einzige an diesem Nachmittag, die positiv überrascht ist. Jana Weiß, die Frau mit den kurzen grauen Haaren, die sich bisher noch nie geschminkt hat, kann den Blick nicht von ihrem eigenen Spiegelbild abwenden.
Den anderen geht es genauso. Fast scheinen den Frauen die Worte zu fehlen. Dann sagt eine: „Du siehst toll aus - viel frischer.“
Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen in Deutschland wird bereits zu über 84 Prozent von An- und Zugehörigen geleistet. Tendenz steigend. Wachsender Pflegebedarf und akuter Mangel an Pflegekräften führen zunehmend zu gesundheitlicher Überforderung der Angehörigen. Der Notstand zwingt mehr und mehr Menschen, vor allem Frauen, ihre Berufstätigkeit zu reduzieren. Mit ernsthaften Folgen für ihre eigene wirtschaftliche Situation und die des Landes.
Politik und Zivilgesellschaft sind in der Verantwortung, endlich neue Wege zu gehen: den Ausbau von Pflegeunterstützung und -entlastung mehr als gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu verstehen. Pflegende Angehörige an der Planung und Gestaltung der Pflege zu beteiligen. Flexiblere Rahmenbedingungen zu schaffen und neue Brücken zu schlagen für eine flächendeckende, quartiersbezogene und bedarfsgerechte pflegerische Versorgung in unseren Kommunen. Der Bundesverband wir pflegen e.V. stellt in diesem Positionspapier neue Forderungen und Lösungswege zur Diskussion, die sich zwingend aus dem Pflegenotstand vieler Familien ergeben.
Knappe Ressourcen führen zu einer schlechten Versorgung der Pflegebedürftigen. Mittlerweile haben wir eine Situation, die als „Pflegetriage“ bezeichnet wird. Leistungserbringer (Pflegedienste, Pflegeheime, Tagespflegeeinrichtungen) entscheiden darüber, wer, wann und wie versorgt wird, wobei ablauforganisatorische Kriterien und wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen. Dadurch bleiben Schwerstpfegebedürfige mit hohem grundpfegerischen Bedarf of unterversorgt.
Vor dem Hintergrund, dass die knappen Ressourcen aufgrund des Fachkräftemangels kurzfristig nur begrenzt ausbaubar sind, müssen die Prioritäten der Versorgung so gesetzt werden, dass die Kompetenzen der Fachkräfte dort eingesetzt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Der pflegebedürfige Mensch und seine Bedarfe müssen wieder im Mittelpunkt stehen. Das gilt auch für die Leistungsfähigkeit der pflegenden Angehörigen.
Damit vorhandenes Angebot in Anspruch genommen werden kann, muss dieses nicht nur quantitativ vorhanden sein, sondern auch qualitativ den Bedarfen und Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und ihrer pflegenden Angehörigen entsprechen. Die Angebote müssen quartiersnah, mit ausreichenden Öffnungszeiten für alle Altersgruppen und spezifische Krankheitsbilder infrastrukturell und personell ausgestaltet sein und eine flexible Nutzung von Einsatzzeiten und Leistungskomplexen ermöglichen.
Eine gute Pflege kann nur gelingen, wenn Angehörige, die diese Sorge- und Pflegearbeit übernehmen, weiterhin ihre Beziehungen und Bezüge im sozialen Umfeld aufrechterhalten können. Insbesondere darf eine fehlende Unterstützungsinfrastruktur nicht dazu führen, dass pflegende Angehörige ihre Berufstätigkeit aufgeben.
Um eine Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sicherzustellen, braucht es ein ausreichendes Angebot an bedarfsgerechten Unterstützungs- und Entlastungsleistungen, pflegesensible und diskriminierungsfreie Arbeitsbedingungen sowie eine sozialrechtliche Flankierung. Ein Rechtsanspruch auf Tagespfege ist wesentlich für die Vereinbarkeit von Pfege, Leben und Beruf, um die Planbarkeit von Lebens- und vor allem Berufsalltag zu ermöglichen.
Damit die versicherungsrechtlichen Ansprüche der Pflegebedürftigen auch tatsächlich den Bedürfnissen entsprechend in der Pflege eingesetzt werden können, ist eine Flexibilisierung der Leistungskriterien unumgänglich, um eine vereinfachte und bedarfsgerechte Inanspruchnahme zu ermöglichen. Sofern bedarfsgerechte Sachleistungen nicht zur Verfügung stehen, ist eine finanzielle Leistung zur eigenverantwortlichen Organisation der Pflege zu gewährleisten. Die Unterschiedlichkeit von Pflegesituationen erfordert individuelle Gestaltungsmöglichkeiten des Pflegesettings. Dies erfordert eine Zusammenfassung aller Leistungsansprüche über die Grenzen der Leistungsbereiche hinweg in einem flexibel nutzbaren Gesamtbudget.
Selbstbestimmte Pflege muss die paternalistische Pflege ersetzen. Was gut ist für den Einzelnen, müssen der Einzelne und die Familien entscheiden. So individuell, wie heutige Lebensmodelle sind, muss häusliche Pflege organisiert werden können.
Die eigenverantwortliche Gestaltung des Pflegesettings erfordert eine entsprechende Pflegeinfrastruktur, die ein Zusammenwirken von professioneller und informeller Pflege forciert. Dazu muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen für die Weiterentwicklung von Unterstützungsangeboten unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Initiativen in einer quartiersnahen Versorgung. Dies erfordert Investitionen in eine wachsende Infrastruktur flexibler Unterstützung. Die Kommunen, denen die Verantwortung für die pflegerische Daseinsvorsorge obliegt, brauchen Ressourcen und Rechte, um ehrenamtliche und wettbewerbliche Angebote steuern und koordinieren zu können.
Summiert man sämtliche Ansprüche auf, die pflegebedürfige Menschen an die Pflegeversicherung haben, so zeigt sich, dass die Summe der Ansprüche, die nicht abgerufen werden, mit 74 Milliarden Euro größer ist als die Summe der ausgezahlten Leistungen. Dies liegt nicht daran, dass die pflegebedürftigen Menschen und ihre Angehörigen diese Leistungen nicht wollen, sondern daran, dass die Ansprüche nur als Sachleistung abgerufen werden können, entsprechende Angebote jedoch fehlen.
Gerade diejenigen Leistungen, die den pflegenden Angehörigen eine wirkliche Entlastung bringen könnten, können besonders selten in Anspruch genommen werden. Die Tagespflege wäre die wichtigste Entlastung von pflegenden Angehörigen, damit sie weiterhin berufstätig bleiben können. Solche Plätze stehen aber nur weniger als drei Prozent der pflegebedürftigen Menschen zur Verfügung. Dadurch können allein bei der Tagespflege Leistungsansprüche in Höhe von 40 Milliarden Euro nicht eingelöst werden. Müssen pflegende Angehörige deswegen die Erwerbstätigkeit aufgeben oder einschränken, kann Armut drohen. Zudem verschärf dies den Arbeitskräftemangel und schwächt die Wirtschafskraft der Gesellschaft.
Seit Jahren hält der Ausbau von Pflegeheimen und ambulanten Diensten mit der Zunahme der pflegebedürftigen Menschen nicht Schritt: Die Versorgungsquote der vollstationären Pflege sank seit 2013 von 28 Prozent auf 16 Prozent im Jahr 2021, die der ambulanten Dienste seit 2017 von 24 Prozent auf 21 Prozent im Jahr 2021. Der Fachkräftemangel verschärf diesen Prozess aktuell dramatisch. Mittlerweile bekommen gerade schwerstpflegebedürftige Menschen oft keinen Heimplatz oder werden von den ambulanten Diensten nicht oder nur unzureichend versorgt.
Die Steigerungen der Leistungsausgaben der Sozialen Pflegeversicherung haben seit ihrer Einführung die Inflation faktisch so gut wie nie ausgeglichen. Über den gesamten Zeitraum haben die realen Pro-Kopf-Leistungsausgaben nur in den Jahren 2020 und 2021 das Niveau der Anfangsphase erreicht und sind 2022 wieder gesunken. Das Versprechen der Politik einer stetigen Verbesserung der Ansprüche läuf faktisch völlig ins Leere.
Der Anteil der pflegebedürftigen Menschen in häuslicher Versorgung steigt seit Jahren kontinuierlich an, entsprechend sinkt der Anteil der vollstationär Versorgten. Die Unterstützung durch die Pflegeversicherung ist für die pflegebedürftigen Menschen in der vollstationären Pflege deutlich höher. Eine immer größere Last der Pflege liegt allein bei den pflegenden Angehörigen mit der Folge einer enormen Überlastung, die deren wirtschaftliche Leistungskraft schwächt und auch Krankheitskosten in bislang kaum abschätzbarem Umfang verursacht.
Prien am Chiemsee (epd). Die Zahl der Jugendlichen mit Depressionen steigt laut dem Psychiater Ulrich Voderholzer seit Jahren. Die Corona-Pandemie habe diesen Trend verstärkt, sagte der Ärztliche Direktor der Schön Klinik Roseneck und Chefarzt für Psychosomatik und Psychotherapie in Prien am Chiemsee dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die jungen Leute seien oftmals orientierungslos, unsicher und hätten keine stabilen Familienverhältnisse.
Dazu komme exzessiver Medienkonsum, der zu noch mehr Orientierungslosigkeit führen könne, sagte Voderholzer. Junge Menschen seien im Internet oftmals überfordert: Dort ließen sich relativ leicht extreme Strömungen und Meinungen finden. Schon Zwölfjährige könnten mit ein paar Mausklicks an Pornos und Gewaltvideos kommen. Problematisch finde er auch, welches Körperbild in sozialen Medien vermittelt werde. Man werde ständig mit Bildern von vermeintlich perfekten Körpern konfrontiert. Das könne wiederum dazu führen, dass - vor allem Mädchen - in eine Essstörung abrutschten und für den vermeintlich perfekten Körper hungerten.
Insgesamt stellt Voderholzer nach eigener Aussage eine große Unsicherheit bei jungen Leuten fest. Wichtig seien für Jugendliche daher ein sicheres familiäres Umfeld, verlässliche und liebevolle Bezugspersonen, Freundschaften und regelmäßige Bewegung an der frischen Luft. Der Psychiater plädiert auch für weniger Leistungsdruck. „Gefühlt möchten heute die meisten Eltern, dass ihre Kinder aufs Gymnasium gehen. Das ist ein großer Druck für ein Grundschulkind.“
Stuttgart (epd). Krankenhäuser müssen zur Vermeidung von Gesundheitsgefahren ausreichendes Pflegepersonal bereithalten. Die dazu vom Bundesgesundheitsministerium erlassene Verordnung über die pauschalierte Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen in „pflegesensitiven Bereichen“ in Krankenhäusern sei jedoch gesetzwidrig, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem am 12. Januar veröffentlichten Urteil. Das Sozialgesetzbuch V verlange „zwingend“, dass die Personaluntergrenzen für jeden pflegesensitiven Bereich eines Krankenhauses nach dem jeweiligen Pflegeaufwand festgelegt werden, erklärten die Stuttgarter Richter.
Der Gesetzgeber hatte die Krankenhäuser zunächst verpflichtet, Pflegepersonaluntergrenzen in „pflegesensitiven Bereichen“ festzulegen. Damit sollte verhindert werden, dass zu wenige Pflegekräfte zu viele besonders pflegebedürftige Patienten versorgen. Eine gesundheitliche Gefährdung der Patienten und krankheitsbedingte Ausfälle von Pflegekräften aufgrund zu hoher Arbeitsbelastung sollten so vermieden werden. Krankenhäuser und Krankenkassen konnten sich jedoch nicht auf entsprechende Pflegepersonaluntergrenzen einigen.
Daraufhin regelte das Bundesgesundheitsministerium per Verordnung die „pflegesensitiven Bereiche“ und die dort einzuhaltende Mindestzahl an Pflegekräften, differenziert nach Tag- und Nachtschichten. Als pflegesensitive Bereiche werden darin beispielsweise die Intensivmedizin, die Pädiatrie, die Geriatrie und die Neurologie bestimmt. Gehen mindestens 40 Prozent der Behandlungsfälle in einer Fachabteilung auf festgelegte pflegeintensive Erkrankungen zurück, wie beispielsweise ein Schlaganfall in der Neurologie, liegt ebenfalls ein pflegesensitiver Bereich vor. So ist in der Neurologie eine Pflegepersonaluntergrenze von einer Pflegekraft auf zehn Patienten in der Tagschicht und von 20 Patienten in der Nachtschicht vorgesehen.
Die Datenerhebung und Festlegung der pflegesensitiven Bereiche in einem Krankenhaus erfolgt durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK). Hält ein Krankenhaus die Pflegepersonaluntergrenzen nicht ein, drohen von der InEK Sanktionen etwa in Form eines Vergütungsabschlags für erbrachte Leistungen.
Im Streitfall hatte die Trägerin eines 70-Betten-Plankrankenhauses mit Chirurgie und Neurologie aus dem Raum Karlsruhe geklagt. Das InEK hatte 2021 dessen Neurologie als pflegesensitiven Bereich eingestuft und das Krankenhaus zur Einhaltung der Pflegepersonaluntergrenzen aufgefordert. Der konkrete Pflegeaufwand wurde dabei nicht berücksichtigt.
Die Klinik hielt dies für rechtswidrig und klagte. Sie verfüge zwar über eine neurologische Fachabteilung. Dort würden aber nicht die typischen Krankheitsbilder der Neurologie wie Schlaganfall oder Epilepsie behandelt. Pflegeintensive Komplexbehandlungen würden überhaupt nicht durchgeführt. Vielmehr stehe die Behandlung von nicht pflegeintensiven Kopfschmerz- und anderen Schmerzpatienten im Vordergrund. Diese Besonderheiten führten zu einem viel geringeren Personaleinsatz. Auch die Quote von 40 Prozent der typischen pflegeintensiven Erkrankungen werde bei weitem nicht erreicht. Diese liege vielmehr zwischen 17,4 und 22,5 Prozent.
Das InEK wies darauf hin, dass nach der Verordnung allein das Vorhandensein einer Neurologie pauschal die Einstufung als pflegesensitiver Bereich begründen könne. Das LSG gab dem Krankenhausträger recht. Die Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums verstoße gegen höherrangiges Recht, hier gegen Paragraf 137i Sozialgesetzbuch V. Die Festlegung pflegesensitiver Bereiche und die damit verbundenen Pflegepersonaluntergrenzen seien aber grundsätzlich zur Sicherung des Patientenschutzes und der Versorgungsqualität gerechtfertigt. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit stehe dem nicht entgegen.
Die pauschale Festlegung eines pflegesensitiven Bereiches allein aufgrund des Vorhandenseins einer Neurologie sei jedoch nicht mit dem Gesetz vereinbar. Denn dieses sehe „zwingend vor, dass für jeden pflegesensitiven Bereich im Krankenhaus“ der jeweilige Pflegeaufwand ermittelt werden müsse. Dies sei hier nicht geschehen.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung wurde die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel zugelassen.
Az.: L 5 KR 3223/22
Karlsruhe (epd). Krankenhäuser müssen bei verwirrten und desorientierten Patientinnen und Patienten eine besonders hohe Sturzgefahr im Blick haben und Vorkehrungen gegen Stürze treffen. Andernfalls kommt ohne ausreichende Sturzvorbeugung ein Entschädigungsanspruch wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Betracht, stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 11. Januar veröffentlichten Beschluss klar.
Im Streitfall ging es um eine inzwischen verstorbene Frau, der am 10. Dezember 2008 im Alter von 66 Jahren ein künstliches Kniegelenk eingesetzt worden war. Zwei Tage nach dem Eingriff wurde die 66-Jährige zunehmend verwirrt, unruhig und desorientiert. Infolgedessen wurde bei ihr ein „extrem hohes Sturzrisiko“ festgestellt. Im Beisein einer Pflegekraft stürzte sie morgens dann auch tatsächlich, verletzte sich aber nicht.
Als ihr mittags das Essen auf den Nachttisch neben ihrem Bett gestellt wurde, setzte sie sich auf die Bettkante und stürzte. Sie erlitt einen mehrfachen Unterschenkelbruch. Es entwickelten sich Komplikationen, die zur Amputation des Unterschenkels und später nach einem weiteren Sturz auch des Oberschenkels führten.
Die Erben der Frau verlangten Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Klinik habe trotz des hohen Sturzrisikos infolge der Verwirrtheit nicht mit vorbeugenden Maßnahmen reagiert. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte die Klage abgewiesen.
Der BGH verwies das Verfahren wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs an das OLG zurück. Das Gericht sei ohne eigene Sachkunde davon ausgegangen, dass das erhöhte Sturzrisiko zum Zeitpunkt des Sturzes nicht mehr bestanden habe. Vielmehr hätte es hierzu ein Gutachten einholen müssen, erklärte der BGH.
Ohnehin sei eine Klinik zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit verpflichtet, erklärte der BGH. Sie müsse die „notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen“ treffen, damit sich ein bestehendes Sturzrisiko bei einer Patientin nicht verwirkliche. Bestehe ein erhöhtes Sturzrisiko, sei es zumutbar, dass die Patientin ihre Mahlzeiten im Bett liegend einnehmen könne. Werde dies missachtet und komme es deshalb zu einem Sturz, seien Entschädigungsansprüche möglich.
Az.: VI ZR 244/21
Karlsruhe (epd). Patienten müssen vor einer Operation auch über eine mögliche Änderung der Operationsmethode während des Eingriffs aufgeklärt werden. Hat der Arzt Hinweise auf eine denkbare Operationserweiterung nicht beachtet, muss er, „soweit dies möglich ist, die Operation beenden, den Patienten nach Abklingen der Narkosewirkungen entsprechend aufklären und seine Einwilligung in den weitergehenden Eingriff einholen“, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 11. Januar veröffentlichten Urteil. Im konkreten Fall stellten die Karlsruher Richter jedoch keinen ärztlichen Aufklärungsfehler fest.
Der Kläger aus dem Raum Frankfurt am Main ließ sich im Oktober 2016 wegen anhaltender Schulterschmerzen in einer Klinik operieren. Der Chefarzt für Schulterchirurgie hatte zuvor unter anderem einen Sehnenriss und eine Entzündung im Schultergelenk diagnostiziert. Der Patient wurde darüber aufgeklärt, dass die Operation mit einem kleinen Endoskop durchgeführt werden sollte. Sollten Komplikationen auftreten, wäre eine größere offene Operation notwendig.
Während des Eingriffs kam es zu Komplikationen, die eine weitergehende Operation erforderlich machten. Infolge der Operation erlitt der Kläger eine Infektion. Daraufhin musste er sich zwei weitere Male operieren lassen. Der Kläger warf dem Arzt und der Klinik einen Aufklärungsfehler vor und verlangte Schadensersatz und Schmerzensgeld. Er sei nicht ordnungsgemäß über den erweiterten Eingriff und die damit verbundenen Infektionsrisiken aufgeklärt worden.
Der BGH wies den Mann ab. Der Arzt habe den Kläger korrekt aufgeklärt. Zwar habe er den Patienten über die Infektionsrisiken der erweiterten Operationsmethode nicht unterrichtet. Da das Infektionsrisiko aber genauso groß gewesen sei, wie bei der ursprünglich geplanten Operationsmethode, habe es keiner weiteren Aufklärung darüber bedurft.
Az.: VI ZR 380/22
Kassel (epd). Eine verspätet eingereichte Folgekrankschreibung bei der gesetzlichen Krankenkasse darf nicht zum Ruhen des Krankengeldanspruchs führen. Denn seit 2021 sind nicht mehr die Versicherten, sondern die Vertragsärzte zur Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verpflichtet, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel in einem am 15. Januar veröffentlichten Urteil. Etwas anderes könne Privatärzte und Reha-Kliniken gelten, da sie nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer Erkrankung von mehr als sechs Wochen Anspruch auf Krankengeld. Hierfür muss die Arbeitsunfähigkeit (AU) nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch der Krankenkasse angezeigt werden. Eine verspätete Mitteilung begründete einen vorübergehenden Verlust des Krankengeldes. Seit 2021 müssen Arztpraxen die elektronische Meldung der Krankschreibung an die Krankenkassen übernehmen.
Im Streitfall wurde die Arbeitsunfähigkeit des Klägers zwar lückenlos vom 31. März 2021 bis zum 21. Juli 2021 attestiert. Die Folgebescheinigungen gingen jedoch zu spät bei der Krankenkasse ein. Vom 12. Mai bis 21. Juli 2021 lehnte die Krankenkasse daher die Krankengeldzahlung ab.
Das BSG entschied, dass der Kläger trotz der verspäteten Meldung der AU Anspruch auf Krankengeld hat. Seit Anfang 2021 seien die Vertragsärzte verpflichtet, die Krankschreibungen elektronisch an die gesetzlichen Krankenkassen zu übermitteln, erklärte das BSG. Gehe daher eine vom Arzt zu übersendende AU-Bescheinigung zu spät bei der Krankenkasse ein, dürfe dies nicht zulasten des Versicherten gehen und ihm das Krankengeld vorenthalten werden. Etwas anderes könne nur für Ärzte und Einrichtungen gelten, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, wie Privatärzte und Reha-Einrichtungen.
Dass die technischen Voraussetzungen für den elektronischen Versand der AU-Bescheinigungen in den Praxen im streitigen Zeitraum teilweise nicht vorgelegen haben, spiele für den Krankengeldanspruch des Versicherten keine Rolle, entschieden die obersten Sozialrichter.
Az.: B 3 KR 23/22 R
Erfurt (epd). Arbeitgeber müssen auch bei der Einstellung schwerbehinderter Praktikanten die gesetzlichen Vorschriften zur Gleichbehandlung behinderter Menschen beachten. Dient das Praktikum dem Erwerb „beruflicher Fähigkeiten, Kenntnissen, Fähigkeiten oder beruflicher Erfahrungen“, kann bei einer Benachteiligung wegen einer Behinderung ein Entschädigungsanspruch bestehen, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem am 16. Januar veröffentlichten Urteil. Im entschiedenen Fall wiesen die Erfurter Richter den behinderten Kläger jedoch ab, weil er keine Diskriminierung nachweisen konnte.
Der behinderte Mann hatte sich bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) für ein Förderprogramm für Studierende beworben. Das Förderprogramm gliederte sich in einen Studien- und einen Praktikumsteil auf. Die Teilnehmer des Programms erhielten eine monatliche Förderung von 880 Euro und während des Praktikums 1.570 Euro monatlich.
Während des Bewerbungsverfahrens beantragte der Kläger die Gleichstellung mit einem anderen schwerbehinderten Menschen. Als er zum Vorstellungsgespräch für das Förderprogramm eingeladen wurde, wies er auf seinen Gleichstellungsantrag hin. Die kurz darauf erhaltene Absage führte er auf seine Behinderung zurück. Im Bewerbungsverfahren hätte die Schwerbehindertenvertretung angehört werden müssen. Da das nicht geschehen sei, stehe ihm eine Entschädigung wegen Diskriminierung zu, forderte der Kläger.
Dem widersprach das BAG. Allerdings müssen sich Arbeitgeber auch in einem Bewerbungsverfahren für ein Praktikum an die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes halten, betonte das Gericht. So müsse bei einem schwerbehinderten Bewerber etwa die Schwerbehindertenvertretung angehört werden. Ein Verstoß gegen diese Pflicht sei ein Indiz für eine entschädigungspflichtige Diskriminierung, hieß es.
Dennoch habe der Kläger keinen Anspruch auf eine Entschädigung, urteilte das BAG. Denn im Bewerbungsverfahren sei die beantragte Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen noch nicht verbindlich festgestellt worden. Der Kläger könne sich daher nicht auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) berufen, urteilte das Gericht.
Az.: 8 AZR 212/22
Luxemburg (epd). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den Flüchtlingsschutz von Frauen gestärkt. In einem Urteil vom 16. Januar erkennen die Richter in Luxemburg Gewalt gegen Frauen aufgrund ihres Geschlechts als eine Form der Verfolgung an. Auch können Frauen als „soziale Gruppe“ im EU-Recht gelten. Folglich könnten Frauen als Flüchtlinge anerkannt werden, „wenn sie in ihrem Herkunftsland aufgrund ihres Geschlechts physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt und häuslicher Gewalt, ausgesetzt sind“, hieß es. Werden sie nicht als Flüchtling anerkannt, können Frauen subsidiären Schutz erhalten, wenn ihnen in ihrem Heimatland Gewalt oder der Tod droht.
Vor dem EuGH ging es um den Fall einer geschiedenen Kurdin aus der Türkei. Sie hatte erklärt, von ihrer Familie zwangsverheiratet und von ihrem Ehemann geschlagen und bedroht worden zu sein. Im Falle einer Rückkehr in die Türkei befürchtete sie einen sogenannten Ehrenmord und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz in Bulgarien. Das bulgarische Gericht fragte den Gerichtshof in Luxemburg daraufhin, wie es das EU-Recht für internationalen Schutz im Fall der Frau auslegen soll.
In der EU werden Menschen als Flüchtlinge anerkannt in Fällen der Verfolgung aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Das regelt die Richtlinie 2011/951. Der subsidiäre Schutz gilt für Drittstaatsangehörige, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, aber glaubhaft machen können, dass sie bei der Rückkehr in ihre Heimat Gefahr laufen, unmenschlich behandelt oder gar getötet zu werden.
Im Sommer 2023 trat die EU der Istanbul Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen bei. Der Gerichtshof entschied nun, das EU-Recht zum Flüchtlingsschutz müsse in Einklang mit der Konvention ausgelegt werden. Die Konvention erkennt Gewalt gegen Frauen aufgrund des Geschlechts als eine Form der Verfolgung an. Außerdem weist der Gerichtshof darauf hin, dass Frauen insgesamt als eine soziale Gruppe im Sinne der Richtlinie zum Flüchtlingsschutz angesehen werden können.
Az.: C-621/21
Bad Oeynhausen (epd). Wenn Dierk Starnitzke im Dezember in den Ruhestand tritt, endet eine Epoche in der Stiftung: Der Theologe und Vorstandssprecher stand über 18 Jahre lang in der Führungsverantwortung. Der Stiftungsrat des Wittekindshofes hat ein Verfahren zur Wiederbesetzung seiner Position eröffnet.
Starnitzke bleibt bis zu seinem Ausscheiden zugleich Vorsteher der Brüder- und Schwesternschaft des Wittekindshofes. Zudem leite er das Ressort Identität, Kommunikation und Ausbildung. Außerdem bleibe er Vorstand der Förderstiftung Oikos - Menschen Heimat geben.
Bis zu seinem Ausscheiden sehe er es als seine Pflicht, die Arbeit der Stiftung noch wesentlich mitzugestalten, erklärte Starnitzke. Besonders werde er sich in die derzeit entwickelte Gesamtstrategie einbringen.
Ein weiteres Aufgabenfeld sei das laufende Ermittlungsverfahren gegen ehemalige leitende Mitarbeitende wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hatte zuletzt im September 2022 Anklage gegen vier ehemalige Mitarbeitende erhoben. Nach dem Bekanntwerden im Jahr 2019 von möglichen Übergriffen in einem heilpädagogischen Intensivbereich der Stiftung hatte der Wittekindshof Strukturreformen zur Prävention auf den Weg gebracht.
Der 1961 in Porta Westfalica-Kleinenbremen geborene Starnitzke trat im September 2006 seinen Dienst als Vorstand des Wittekindshofs an. Zuvor war der Theologe in den von Bodelschwinghschen Stiftungen Pastor der Diakonischen Gemeinschaft Nazareth und Geschäftsführer der Evangelischen Bildungsstätte für Diakonie und Gemeinde in Bethel. Von 1996 bis 1999 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kirchlichen Hochschule Bethel tätig und wurde dort zum Doktor der Theologie promoviert. Seit 2022 lehrt er als außerplanmäßiger Professor der Universität Bielefeld am Institut für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement.
Die 1887 gegründete Stiftung Wittekindshof unterstützt nach eigenen Angaben mehr als 5.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Beeinträchtigungen. Insgesamt arbeiten rund 3.750 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 16 Städten in Ostwestfalen, im Münsterland und im Ruhrgebiet. Es werden mehr als 5.100 Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen mit und ohne Behinderungen angeboten.
Philip Kling ist seit dem Jahreswechsel neuer Geschäftsführer von drei Gesellschaften der Stiftung Liebenau. Er steht nun an der Spitze der Liebenau Gebäude- und Anlagenservice gGmbH, der Liebenau Service gGmbH und der Liebenau Objektservice gGmbH. Kling war zuvor Leiter Finanzen und Grüne Betriebe bei der Stiftung Liebenau und kaufmännischer Geschäftsführer des Instituts für Soziale Berufe in Ravensburg (IfSB). Er löste die bisherigen Geschäftsführer Christian Braun, Frank Moscherosch und Michael Staiber ab. Klings weitere bisherige Funktionen bleiben bestehen. Braun führt weiterhin als inzwischen alleiniger Geschäftsführer die Liebenau Berufsbildungswerk gemeinnützige GmbH (BBW) in Ravensburg. Auch Moscherosch und Staiber bleiben in verantwortlichen Führungspositionen für die Stiftung Liebenau tätig.
Ulrike Petermann (49) wird Theologische Vorständin der Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg. Sie wurde vom Kuratorium der Stiftungen berufen. Petermann leitet als Theologische Vorständin seit 2019 den Diakonieverein Bitterfeld-Wolfen-Gräfenhainichen. Zuvor war sie als Leiterin der Unternehmenskommunikation bereits neun Jahre in den Pfeifferschen Stiftungen tätig. Die Diplom-Theologin ist in Sachsen-Anhalt geboren und aufgewachsen, studierte in Halle und Leipzig Theologie sowie Gesundheitsökonomie. Petermann wird ihre neue Tätigkeit im Sommer beginnen. Sie übernimmt dann gemeinsam mit den Vorständen Michael Saffé und Klaus-Dieter Schinkel die Verantwortung für den größten diakonischen Komplexträger in Sachsen-Anhalt.
Heike Hofmann (SPD) ist neue Ministerin für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales in Hessen. Die 50-jährige Landtagsabgeordnete aus Weiterstadt (Darmstadt-Dieburg) wurde Nachfolgerin von Nancy Faeser als innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, als diese nach der Bundestagswahl Bundesinnenministerin wurde. Diana Stolz (CDU), Vize-Landrätin des Kreises Bergstraße, wurde zur Familienministerin in der neuen schwarz-roten Landesregierung von Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) ernannt. Nach den Landtagswahlen am 8. Oktober 2023 löst nun nach zehn Jahren eine schwarz-rote Koalition die schwarz-grüne Regierung in Hessen ab.
Lothar Wieler und Klaus Cichutek haben von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuzen erhalten. Cichutek hatte in der Zeit der Corona-Pandemie das für Arzneimittelzulassungen zuständige Paul-Ehrlich-Institut geleitet, Wieler das Robert Koch-Institut. Die beiden Behördenleiter würden auch deswegen ausgezeichnet, weil sie „inmitten manchmal des größten Durcheinanders einen kühlen Kopf bewahrt haben“. „Und weil Sie den Kopf weder vor lauter Hektik verloren noch ihn aus Angst, einen Fehler zu machen, in den Sand gesteckt haben“, fügte der Bundespräsident hinzu.
Oskar Paul erhält den ersten Preis des mit 3.000 Euro dotierten Caritas-Journalistenpreises Baden-Württemberg. Geehrt wird er für seine Serie „Chillen, Party, Sucht: Vom Erwachsenwerden mit Drogen“, die in dem in Konstanz erscheinenden „Südkurier“ erschienen ist. Die beiden mit jeweils 1.500 Euro dotierten zweiten Preise gehen an Patrick Batarilo für sein auf SWR2 gesendetes Radio-Feature „Von leeren Häusern und neuer Hoffnung - Alleinsein im Alter“ sowie an Kai Diezemann für seinen Film „Wir kämpfen für dich - Wenn Eltern ihre Kinder pflegen“, der im SWR-Fernsehen ausgestrahlt wurde. Eine „Lobende Erwähnung“ bekommt Lisa Petrich für ihre in der „Badischen Zeitung“ veröffentlichte Reportage „Nicht mehr in Ordnung“ über das Leben von Messies.
24.1.:
Online-Seminar „Soziale Arbeit über Grenzen hinweg - offenes Beratungsangebot zu Einzelfragen der Kinder- und Jugendhilfe mit Auslandsbezug“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980-605
25.1. Berlin:
Seminar „Das Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation für Pflegefachkräfte“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828212
29.1.-28.3. Stuttgart:
Seminar „Von der Fach- zur Führungskraft“
Tel.: 030/26309-142
Februar
12.2. Berlin:
Seminar „Wer schaukelt das Kind? Partnerschaftliche Vereinbarkeitspolitik in der Diskussion. Pflege, Kinderbetreuung und Beruf geschlechtergerecht gestalten“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980-605
12.2.-4.3.:
Online-Seminar „Nachwuchs gewinnen und fördern - so geht's“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/275828212
15.2. München:
Seminar „Interne Revision bei gemeinnützigen Trägern“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-119
20.2.:
Online-Kurs „Spendenrecht - steuerliche Regelungen“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
28.-29.2.:
Online-Kurs „Umgang mit Todeswünschen in der Palliativversorgung“
Tel.: 030/26309-139
März
5.-6.3.:
Online-Seminar „Haftungsrecht und Gemeinnützigkeit“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 0711/286976-10
6.-7.3.:
Online-Fortbildung „Der Einsatz von Einkommen und Vermögen in der Sozialhilfe (SGB XII)“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980 606