Köln, Ansbach (epd). Als Maximilian Wagner (Name geändert) 2019 die Diagnose Glioblastom erhielt, war seine Tochter gerade einmal drei Monate alt. Bei Glioblastomen handelt es sich um die aggressivste Form von Gehirntumoren im Erwachsenenalter. „Mein Mann hatte einen epileptischen Anfall und kam daraufhin ins Krankenhaus. Die Ärzte sagten, er hätte noch sechs Wochen zu leben“, erinnert sich seine Ehefrau Karin.
Wagner hatte sich entgegen den Erwartungen der Ärzte erholt. Doch im Jahr 2021 wuchs der Tumor wieder. Im Sommer 2022 ging es dem Familienvater immer schlechter. Ab September konnte er nichts mehr selbstständig machen. Seine Frau pflegte ihn. „Wir haben gehofft bis zum Schluss“, sagt sie. Ab 1. Oktober 2022 war er auf der Palliativstation, wo er wenige Wochen später verstarb.
Halt fand seine Ehefrau in einer Selbsthilfegruppe für jung Verwitwete in Ansbach. „Egal, wie eng man mit Freunden und Familie ist, es sind doch nochmal andere Gespräche mit Menschen, die das gleiche erlebt haben“, sagt die 37-Jährige. Die Pädagogin aus Mittelfranken möchte ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen, zum Schutz ihres Kindes.
Laut dem Hamburger Verein jung verwitwet e.V. gibt es in Deutschland etwa 500.000 Witwen und Witwer zwischen 20 und 59 Jahren. Unterstützung erhalten Betroffene von verschiedenen Stellen, wie beispielsweise von „Flüsterpost“ mit Sitz in Mainz, einem Verein für Kinder krebskranker Eltern. „Ich erhielt dort viele wertvolle Tipps, wie ich meiner Tochter den Tod ihres Vaters beibringen konnte“, sagt Wagner. „Man solle nicht sagen, der Papa wird einschlafen oder weggehen, sondern es klar und deutlich aussprechen: Er wird sterben.“ Die Angst vor dem Ungewissen sei für Kinder oft schlimmer als die Wahrheit.
Neben der Trauer musste sich Wagner auch mit vielen anderen Dingen auseinandersetzen. Vom Staat hätte sie sich dabei mehr Hilfe gewünscht. „Die bürokratischen Hürden rund ums Erbe haben mich im ersten Jahr viel Kraft gekostet. Zu sehen, dass ich damit nicht allein war, hat mir sehr geholfen“, erinnert sie sich.
Ellen Peiffer ist Vorsitzende des Vereins VIDU verein-verwitwet in Köln, bei dem Betroffene Hilfe finden. „Generell können sich jung Verwitwete an dieselben Stellen wenden wie andere Verwitwete auch“, sagt Peiffer. Für die Hilfe zur Trauerbewältigung seien das in der Regel Kirchen, Hospize, freie Trauerbegleiter und Psychologen. „Sie haben bei Trauergruppen-Angeboten allerdings häufig das Problem, dass sie wesentlich jünger sind als die anderen verwitweten Menschen“, sagt Peiffer. Spezielle Beratungsangebote für jüngere Verwitwete seien selten. Für Fragen rund um die Existenzsicherung gebe es beispielsweise keine spezielle Anlaufstelle, kritisiert sie. „Hier muss man sich leider allein durchkämpfen“, sagt Peiffer.
Diese Erfahrung musste auch Wagner machen. „Niemand kannte sich mit der Witwenrente aus. Drei Monate lang war nicht einmal klar, ob ich überhaupt Rente bekomme“, erinnert sie sich. Auch um das Erbe des neu gebauten Hauses gab es trotz eines vorhandenen Testaments Probleme. „Es hat ein Jahr lang gedauert, bis alles geklärt war. Wäre ich dringend auf das Geld angewiesen, hätte ich ein großes Problem gehabt.“
Mittlerweile gibt es vom Bundesfamilienministerium ein leicht zu bedienendes Online-Tool für jung Verwitwete. „Seit etwa drei Jahren erfahren auf www.infotool-familie.de auch Verwitwete mit Kindern, welche staatlichen Leistungen ihnen zustehen“, sagt Peiffer.
Tod werde vor allem mit alten Menschen in Verbindung gebracht. Jüngere würden oft kaum über den eigenen Tod nachdenken, geschweige denn sich mit Dingen wie Vorsorge und Patientenverfügung auseinandersetzen. Das liege nach Peiffers Ansicht daran, dass Tod und Trauer angstbesetzte Themen seien, über die man nicht nachdenken möchte. Außerdem wüssten viele nicht, wie sie mit Trauernden umgehen sollen.
Karin Wagner und ihre Tochter haben ihren eigenen Umgang mit der Trauer gefunden. „Wir haben ein Kissen genäht mit einem seiner T-Shirts, damit sie mit ihm kuscheln kann.“ Für die heute Vierjährige sei ihr Vater nach wie vor sehr präsent in ihrem Leben. „Sie trauert immer noch stark. Sie möchte jeden Tag über ihn reden, sagt oft, sie wünsche sich, ihr Papa könne sie in den Arm nehmen“, sagt Wagner. Um den Jahrestag herum habe sie viel geweint.
Aktuell sei sie wütend, da sie in Bilderbüchern und auf Kinderfesten immer Väter sieht und sie keinen mehr habe. „Er hat ihr versprochen, wenn er in den Himmel kommt, nimmt er sich einen Platz auf dem Mond, damit sie immer weiß, wo er ist.“ Sie sei dankbar für dieses Symbol. Noch heute schaue ihre Tochter zum Mond in den Himmel.