Karlsruhe (epd). Krankenhäuser müssen bei verwirrten und desorientierten Patientinnen und Patienten eine besonders hohe Sturzgefahr im Blick haben und Vorkehrungen gegen Stürze treffen. Andernfalls kommt ohne ausreichende Sturzvorbeugung ein Entschädigungsanspruch wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Betracht, stellte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 11. Januar veröffentlichten Beschluss klar.
Im Streitfall ging es um eine inzwischen verstorbene Frau, der am 10. Dezember 2008 im Alter von 66 Jahren ein künstliches Kniegelenk eingesetzt worden war. Zwei Tage nach dem Eingriff wurde die 66-Jährige zunehmend verwirrt, unruhig und desorientiert. Infolgedessen wurde bei ihr ein „extrem hohes Sturzrisiko“ festgestellt. Im Beisein einer Pflegekraft stürzte sie morgens dann auch tatsächlich, verletzte sich aber nicht.
Als ihr mittags das Essen auf den Nachttisch neben ihrem Bett gestellt wurde, setzte sie sich auf die Bettkante und stürzte. Sie erlitt einen mehrfachen Unterschenkelbruch. Es entwickelten sich Komplikationen, die zur Amputation des Unterschenkels und später nach einem weiteren Sturz auch des Oberschenkels führten.
Die Erben der Frau verlangten Schadensersatz und Schmerzensgeld. Die Klinik habe trotz des hohen Sturzrisikos infolge der Verwirrtheit nicht mit vorbeugenden Maßnahmen reagiert. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte die Klage abgewiesen.
Der BGH verwies das Verfahren wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs an das OLG zurück. Das Gericht sei ohne eigene Sachkunde davon ausgegangen, dass das erhöhte Sturzrisiko zum Zeitpunkt des Sturzes nicht mehr bestanden habe. Vielmehr hätte es hierzu ein Gutachten einholen müssen, erklärte der BGH.
Ohnehin sei eine Klinik zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit verpflichtet, erklärte der BGH. Sie müsse die „notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen“ treffen, damit sich ein bestehendes Sturzrisiko bei einer Patientin nicht verwirkliche. Bestehe ein erhöhtes Sturzrisiko, sei es zumutbar, dass die Patientin ihre Mahlzeiten im Bett liegend einnehmen könne. Werde dies missachtet und komme es deshalb zu einem Sturz, seien Entschädigungsansprüche möglich.
Az.: VI ZR 244/21