sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Nils Sandrisser
epd-bild/Christiane Stock

die Union und die SPD haben ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Demnach wollen sie das Bürgergeld abwickeln und durch eine neue Grundsicherung ersetzen, die Einwanderung begrenzen und das Rentenniveau sichern. Hinsichtlich anderer Sozialthemen wie Pflege, Schwangerschaftsabbruch oder Cannabis-Legalisierung bleibt das Papier unkonkret. Sozial- und Kassenverbände sehen in dem Vertrag mehr Schatten als Licht.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde dafür sorgen, dass dessen Empfängerinnen und Empfänger sich in die soziale Hängematte legen, sagen die Gegner dieses Vorhabens. 2020 begann ein Forschungsprojekt, das untersuchen sollte, ob das stimmt. Nun liegen die Ergebnisse vor.

Sogenannte Messies können sich schwer oder gar nicht von Dingen trennen. Im Lauf der Zeit vermüllen ihre Wohnungen. Das schafft Leidensdruck. Der Verein Fortis im Landkreis Böblingen bei Stuttgart unterstützt Menschen, die das Sammeln und Horten nicht mehr im Griff haben, und hilft ihnen beim Aufräumen. Esther Schippert arbeitet in der Schweiz als Aufräum-Coach. Sie erklärt, welche Probleme dem Messie-Syndrom zugrunde liegen und wie man ihm beikommt.

Wenn Krankenhäuser eine vollstationäre Behandlung abrechnen wollen, muss der Patient oder die Patientin auch die ganze Zeit im Krankenhaus liegen. Das gilt zwar nicht immer, ist aber in solchen Ausnahmefällen an bestimmte Gegebenheiten geknüpft. Das Bundesarbeitsgericht in Kassel gab einer Klinik recht, die eine Patientin mit psychischer Störung teilweise außerhalb des Krankenhauses behandelt hatte. In ihrem Fall war das nötig, um zu erproben, ob der Therapieerfolg auch im Alltag erhalten bleibt.

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Ihr Nils Sandrisser




sozial-Thema

Regierungsbildung

Was im Koalitionsvertrag zu Sozialthemen steht




CDU-Chef Friedrich Merz
epd-bild/Peter Jülich
Sechseinhalb Wochen nach der Bundestagswahl steht der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. Auf 144 Seiten treffen die drei Parteien zahlreiche Festlegungen, etwa zur Migrationspolitik oder zum Bürgergeld. Zugleich bleiben viele Fragen offen.

Berlin (epd). Bei der Vorstellung ihres Koalitionsvertrags haben sich Union und SPD am 9. April in Berlin bemüht, Aufbruchstimmung zu verbreiten. „Hinter uns liegt ein hartes Stück Arbeit, aber vor uns liegt ein starker Plan“, fasste CDU-Chef Friedrich Merz die Verhandlungen mit SPD und CSU zusammen. Bei der Präsentation des Vertrags hob er unter anderem einen „neuen Kurs“ in der Migrationspolitik hervor. SPD-Chef Lars Klingbeil nannte den Vertrag ein „Aufbruchsignal“.

Pläne zum Bürgergeld

Nach dem Willen von CDU, CSU und SPD ist das Bürgergeld bald Geschichte. Ersetzt werden soll die Sozialleistung laut dem Koalitionsvertrag durch eine „Grundsicherung für Arbeitssuchende“, die sich insbesondere durch strengere Regeln auszeichnet. Der sogenannte Vermittlungsvorrang, den es schon zu Zeiten von Hartz IV gab, soll „für die Menschen, die arbeiten können“, wieder eingeführt werden. Das bedeutet, dass die Vermittlung in einen Job Vorrang hat vor Weiterbildung und Qualifizierung, etwa dem Erreichen eines Berufsabschlusses.

Wer gegen Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten verstößt, dem können schon heute Leistungen gekürzt werden. Künftig sollen diese „schneller, einfacher und unbürokratischer durchgesetzt werden“. Allerdings können auch heute Sanktionen schon ab der ersten Pflichtverletzung verhängt werden. Die Pflichten an sich sollen ebenfalls verschärft werden. „Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen“, heißt es weiter.

Bei den Kosten für die Unterkunft, die der Staat bezahlt, gilt derzeit eine Karenzzeit von einem Jahr - erst danach wird geprüft, ob diese als zu hoch eingestuft werden und ein Umzug als sinnvoll erachtet wird. „Dort, wo unverhältnismäßig hohe Kosten für Unterkunft vorliegen, entfällt die Karenzzeit“, heißt es nun im Koalitionsvertrag. Änderungen sind zudem bei den Freibeträgen für Vermögen vorgesehen. Die Regelung, dass im ersten Jahr des Leistungsbezugs deutlich höhere Vermögen unangetastet bleiben als später, fällt weg. Außerdem soll die Höhe des Schonvermögens an die „Lebensleistung“ gekoppelt werden. Bislang gilt nach Ablauf des ersten Jahres ein einheitlicher Betrag von 15.000 Euro pro Person.

Pläne zur Migration

Die Koalition aus CDU, SPD und CSU will nach eigener Formulierung „Migration ordnen und steuern und irreguläre Migration wirksam zurückdrängen“. Besondere Betonung legt sie auf das Wort „Begrenzung“. Auch Asylsuchende sollen künftig an den Grenzen zurückgewiesen werden. Bislang wird das nur für Menschen praktiziert, die kein gültiges Visum oder eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis haben, nicht für Schutzsuchende. Die Zurückweisungen sollen „in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn“ erfolgen.

Humanitäre Aufnahmeprogramme wie etwa das für Ortskräfte und Menschenrechtler in Afghanistan eingerichtete Kontingent sollen „so weit wie möglich“ beendet werden. Neue Programme, mit denen besonders Schutzbedürftige direkt ausgeflogen werden, wollen Union und SPD laut Koalitionsvertrag nicht auflegen. Der Familiennachzug zu Menschen mit subsidiärem Schutzstatus soll für zwei Jahre ausgesetzt werden. Seit 2018 können enge Angehörige dieser Flüchtlingsgruppe über ein Kontingent aufgenommen werden, das 1.000 Plätze pro Monat umfasst. Subsidiären Schutz erhalten Menschen, die nicht direkt individuell verfolgt werden, in der Heimat aber etwa wegen eines Konflikts an Leib und Leben bedroht sind.

Schwarz-Rot will auch die Zahl der Abschiebungen weiter steigern. Ein Ansatz ist dabei, Herkunftsländer zur Rücknahme ihrer Staatsangehörigen zu bewegen. Beim Einbürgerungsrecht ist vorgesehen, die Verkürzung der Wartezeit von fünf auf drei Jahre zu streichen.

Pläne zur Rente

Das Rentenniveau soll „bei 48 Prozent gesetzlich bis zum Jahr 2031“ festgelegt werden, heißt es im Vertrag von CDU, CSU und SPD. Die sogenannte Mütterrente wird dem Papier zufolge ausgeweitet: Dieser Aufschlag auf die Rentenpunkte für Erziehungszeiten soll künftig „für alle“ gelten. Bisher bezieht er sich nur auf die Erziehung von Kindern - auch durch Männer -, die vor 1992 geboren wurden. Finanziert werden soll dies aus Steuermitteln.

Das Arbeiten über das gesetzliche Renteneintrittsalter hinaus wollen Union und SPD attraktiver machen. Wer dies tut, soll bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei verdienen können, deutlich mehr als jetzt. Ebenfalls geplant ist ein Zuschuss zur Altersvorsorge von Kindern zwischen 6 und 18 Jahren: Für sie sollen ab dem kommenden Jahr pro Monat zehn Euro in ein „individuelles, kapitalgedecktes und privatwirtschaftlich organisiertes Altersvorsorgedepot“ eingezahlt werden. Als Erwachsene sollen sie dann weiter einzahlen können. „Die Erträge aus dem Depot sollen bis zum Renteneintritt steuerfrei sein“, heißt es weiter. Bei Erreichen der Regelaltersgrenze kann das Ersparte dann ausgezahlt werden.

Pläne zum Gesundheitssystem

CDU, CSU und SPD wollen den Zugang zu Fachärzten und -ärztinnen neu regeln. Laut dem Koalitionsvertrag wird ein „Primärarztsystem“ eingeführt: Der erste Weg führt demnach in der Regel in eine Haus- oder Kinderarztpraxis - dort wird entschieden, ob ein Facharzttermin nötig ist. Ausnahmen soll es für Augenheilkunde und Gynäkologie geben.

Außerdem nehmen sich die Koalitionäre eine „große Pflegereform“ vor. Die Details bleiben vorerst offen - eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll beauftragt werden, Vorschläge zu machen. Die Kommission soll vor Jahresende Ergebnisse vorlegen. Reformiert werden sollen auch die Notfall- und Rettungsdienste. Hierzu nennt der Koalitionsvertrag ebenfalls keine Einzelheiten.

Die unvollendete Krankenhausreform der Ampelkoalition soll weiterentwickelt werden. In zwei Schritten soll eine Vorhaltevergütung eingeführt werden. Für die Grund- und Notfallversorgung sollen für den ländlichen Raum Ausnahmen und erweiterte Kooperationen ermöglicht werden. Die Definition, was ein Fachkrankenhaus ist, soll überarbeitet werden, damit solche Häuser in den Ländern erhalten bleiben können. Was bislang die gesetzlichen Krankenkassen in den Jahren 2022 und 2023 für die Transformation bezahlen sollten, soll nun aus dem Sondervermögen Infrastruktur beglichen werden.

In vielen Punkten vage

Bei weiteren zuvor sehr umstrittenen Punkten bleibt der Koalitionsvertrag vage: So heißt es zur im vergangenen Jahr beschlossenen Legalisierung von Cannabis, dass das Gesetz in diesem Herbst evaluiert wird. Beim Thema Organspende lautet das Ziel, die Zahl der Spenden zu erhöhen - ohne zu sagen, wie. Den Streit um die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen klammert der Koalitionsvertrag aus, verspricht aber eine Erweiterung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Christina Neuhaus, Corinna Buschow


Regierungsbildung

Merz: Reform der Sozialversicherungen ist "feste Absicht"



Auch wenn der Koalitionsvertrag nur die Einsetzung von Kommissionen vorsieht: Reformen bei Gesundheit, Pflege und Rente seien die "feste Absicht" der von ihm geführten Bundesregierung, sagt Friedrich Merz. Das Ziel sind stabile Beiträge.

Frankfurt a.M. (epd). CDU-Chef Friedrich Merz sichert Reformen bei Gesundheit, Pflege und Rente zu. Entsprechende Veränderungen könnten nicht im Rahmen von Koalitionsverhandlungen beschlossen werden. Sofort nach dem Regierungsantritt würden entsprechende Kommissionen berufen, sagte Merz am Abend des 9. April im „heute journal“ des ZDF. Wenige Stunden zuvor hatten Union und SPD ihren ausverhandelten Koalitionsvertrag zur Bildung der nächsten Bundesregierung vorgelegt.

Aus Sicht des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU), muss die nächste Bundesregierung alles dafür tun, um den Anstieg der Sozialbeiträge zu bremsen. Der „Bild“-Zeitung (Donnerstag) sagte Frei: „Das ist in der Tat eine Riesen-Herausforderung bei den Krankheitskosten, bei den Pflegekosten, aber auch bei der Rentenversicherung.“ Es gehe „nach wie vor darum, vor allen Dingen kleine und mittlere Einkommen in der Einkommensteuer zu entlasten, aber auf der anderen Seite dafür zu sorgen, dass die Sozialabgaben nicht weiter durch die Decke gehen“.

„Hartes Ringen“

Merz sagte im ZDF, die „feste Absicht“ von Union und SPD sei es, die Sozialversicherungssysteme zukunftsfest zu machen. „Und das wollen wir sehr schnell machen, in dieser Wahlperiode“, fügte der CDU-Chef hinzu, der sich Anfang Mai zum Bundeskanzler wählen lassen will.

Bei der Rentenformel habe die Union mit der SPD in den Koalitionsverhandlungen „hart gerungen“. Diese sei nur für die nächsten sechs Jahre festgeschrieben. „Danach wird es Veränderungen geben müssen“, betonte Merz. Im Koalitionsvertrag stehe das Wort „Eigenverantwortung“. „Diese Systeme werden umgestellt, sie werden zukunftsfest gemacht“, sagte der CDU-Vorsitzende und fügte hinzu: „Die Zeit nehmen wir uns.“ Das müsse solide und verlässlich erfolgen.

Das Wort „Eigenverantwortung“ wird mit Bezug auf die Rente nicht im Koalitionsvertrag verwendet. Auf den 144 Seiten heißt es unter anderem: „Wir werden die Alterssicherung für alle Generationen auf verlässliche Füße stellen. Deshalb werden wir das Rentenniveau bei 48 Prozent gesetzlich bis zum Jahr 2031 absichern.“ In einer Rentenkommission soll bis zur Mitte der Legislaturperiode eine neue Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau geprüft werden.



Regierungsbildung

Stimmen zum Koalitionsvertrag



Frankfurt a.M. (epd). Sozialverbände und Krankenkassen äußern sich überwiegend enttäuscht über den am 9. April vorgestellten Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Bei der Rente und der Krankenhausreform machen sie positive Punkte aus, bei Fragen der Begrenzung des Anstiegs von Sozialbeiträgen oder der Pflegereform verweisen sie auf Leerstellen. Pläne zum Bürgergeld stoßen bei den Verbänden auf Ablehnung.

Sozialbeiträge:

Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands: „Echte Entlastungen für die Beitragszahlenden sind perspektivisch nicht erkennbar. Konkrete Maßnahmen zur nachhaltigen Stabilisierung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sucht man vergeblich. Vor allem die Frage, wann der Bund endlich seiner Verantwortung für die Finanzierung der Gesundheitsversorgung von Bürgergeld-Beziehenden und weiterer versicherungsfremder Leistungen angemessen nachkommt, bleibt weiterhin unbeantwortet.“

Christoph Straub, Vorstandvorsitzender der Krankenkasse Barmer: „Im Koalitionsvertrag fehlen ausgabenbegrenzende Maßnahmen vollständig, zudem sind weder eine Anpassung des Bundeszuschusses an die GKV noch weitere Entlastungen durch vollständig steuerfinanzierte versicherungsfremde Leistungen vorgesehen. (...) Angesichts weiter steigender Beitragssätze sind umgehend greifende ausgabenbegrenzende Maßnahmen der neuen Bundesregierung unerlässlich. Andernfalls droht sich die Beitragssatzspirale in der GKV und der Pflegeversicherung weiterzudrehen.“

Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse: „Weder sieht der Vertrag vor, staatliche Aufgaben endlich wieder gerecht aus der Steuerkasse statt aus dem Beitragstopf zu bezahlen, noch stehen konkrete Maßnahmen zur Kostendämpfung auf der To-Do-Liste der Koalitionäre. Hier muss die Koalition nachlegen. Eine Expertenkommission wird die Beitragsspirale ebenso wenig stoppen wie vage Absichtserklärungen.“

Rente:

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK: „Dass die neue Koalition von CDU/CSU und SPD sich zur Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und zur Erweiterung der Mütterrente entschlossen hat, wertet der VdK als sehr positiv. Dies sind wichtige Schritte zur Verhinderung von Altersarmut.“

Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands: „Die vorläufige Sicherung des Rentenniveaus und die volle Anerkennung der Mütterrente sind wichtige, aber nicht ausreichende Maßnahmen, um den Anstieg von Altersarmut zu bremsen.“

Pflege:

Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege: „Der Koalitionsvertrag ist für die Altenpflege eine einzige Enttäuschung: kein Wort zur Sicherung der Pflegeheime, kein Wort zur wirtschaftlichen Situation der Einrichtungen und kein Wort zu den immer länger werdenden Wartelisten für einen Pflegeplatz.“

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz: „Pflegebedürftige haben nichts vom schwarz-roten Koalitionsvertrag. Alle brandaktuellen Themen werden an eine Kommission wegdelegiert.“

Barbara Dietrich-Schleicher, Vorsitzende des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland: „Bitter stößt auf, dass die wirtschaftliche Schieflage vieler Einrichtungen und Dienste mit keinem Wort erwähnt wird. (...) Die wirtschaftliche Lage scheint der Politik egal zu sein.“

Kathrin Sonnenholzner, Präsidentin des Arbeiterwohlfahrt-Bundesverbands: „Die vorgesehenen Maßnahmen ersetzen in keiner Weise die längst überfällige große Reform der Pflegeversicherung hin zu einer solidarisch finanzierten Vollversicherung.“

Armut:

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK: „Die Pläne zum Bürgergeld sind irritierend: Besonders die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs in den Jobcentern wird nicht helfen, Langzeitarbeitslose langfristig zu qualifizieren. Der Drehtüreffekt ist hier vorprogrammiert.“

Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands: „Die Rückabwicklung des Bürgergeldes, die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs und die Verschärfung der Sanktionen gehen zu Lasten besonders benachteiligter Menschen.“

Sabina Schutter, Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf: „Der Vertrag enthält viele Absichten, die Hoffnung machen - wie etwa die Bekämpfung der Kinderarmut durch unbürokratische und digitale Zugänge zu Leistungen wie dem Kinderzuschlag und dem Bildungs- und Teilhabepaket. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an und wir nehmen die Koalition beim Wort - Kinderarmut muss Priorität haben.“

Rüdiger Schuch, Präsident der Diakonie Deutschland: „Wie die Verteidigung, Straßen und Brücken muss die künftige Bundesregierung jetzt auch den Sozialstaat zukunftsfest machen. (...) Wer in soziale Sicherheit investiert, stärkt damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie.“

Michael Groß, Präsident des Arbeiterwohlfahrt-Bundesverbands: „Wir kritisieren die Abschaffung wesentlicher Bestandteile des Bürgergelds und die Rückkehr zu den Hartz-Gesetzen. Es fehlen deutlichere Signale, um mit einem ‚Sozialen Arbeitsmarkt‘ Menschen die Integration in das Berufsleben zu ermöglichen.“

Inklusion:

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK: Als groben Missstand werte ich, dass die Koalition sich zu keiner Verpflichtung zur Barrierefreiheit (...) entschieden hat. Dass die Ausgleichsabgabe für Schwerbehinderte wieder in Werkstätten und in stationäre Einrichtungen fließen soll, ist eindeutig ein Rückschritt. Hier sollte das Geld direkt für die Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt verwendet werden.

Martin Danner, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe: "Die BAG Selbsthilfe begrüßt die Ankündigung der zukünftigen Bundesregierung im Koalitionsvertrag stärker auf Barrierefreiheit im privaten Gewerbe hinwirken zu wollen. (...) Lediglich auf Veränderungen 'hinzuwirken' reicht aber nicht aus, denn Barrierefreiheit darf nicht vom guten Willen einzelner Unternehmen abhängen. Es braucht eine verbindliche gesetzliche Verpflichtung, die private Anbieter endlich in die Pflicht nimmt (...).

Tobias Schmidt, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke: „Die neue Bundesregierung hat in ihrem vorgelegten Koalitionsvertrag zugesagt, den Fachkräftemangel zu bekämpfen und Berufs- sowie Ausbildungsabschlüsse zu fördern. Das ist eine gute Nachricht, eine zügige konkrete Umsetzung ist jetzt nötig. Schwarz-Rot muss vor allem sicherstellen, dass mehr junge Menschen, die aufgrund von Teilhabeeinschränkungen, Sprachbarrieren, psychischen Belastungen oder Lernschwierigkeiten bislang keine betriebliche Ausbildung absolvieren können, durch gezielte Förderung für den allgemeinen Arbeitsmarkt qualifiziert werden.“

Krankenhausreform:

Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands: Eine der wenigen konkreten Zusagen ist, dass der bisher der GKV zugeschriebene Finanzierungsanteil am Krankenhaus-Transformationsfonds aus Mitteln des Sondervermögens Infrastruktur und somit aus Steuermitteln gespeist werden soll.

Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbands: „Es ist positiv, dass die Politik den Druck aus dem System nimmt und die Einführung neuer Leistungsgruppen an die Ergebnisse der laufenden Evaluation knüpft.“ Ein echter Inflationsausgleich für 2022 und 2023 sei jedoch nicht vorgesehen, lediglich Geld aus dem Sondervermögen für Sofort-Transaktionskosten würden in Aussicht gestellt. „Die angespannte wirtschaftliche Lage der Kliniken wird dadurch nicht substanziell aufgefangen.“

Gerald Gaß, Vorstandvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft: „Positiv ist, dass die dringend notwendigen Mittel zur Deckung der Lücke aus den Jahren 2022 und 2023, die benötigt werden, um die Strukturen zur Gestaltung einer planvollen neuen Krankenhauslandschaft stabilisieren zu können, auch in der Endfassung des Koalitionsvertrages enthalten sind. (...) Besonders kritisch sehen wir die geplante Vorhaltefinanzierung. In der jetzigen Ausprägung hätte sie fatale Auswirkungen und würde zu Engpässen und Wartelisten in der medizinischen Versorgung führen.“




sozial-Politik

Wissenschaft

Studie: Grundeinkommen führt nicht in die Hängematte




Bedingungsloses Grundeinkommen
epd-bild/Rolf Zöllner
Eine Vereinfachung des deutschen Sozialstaats wird schon lange diskutiert: Mit dem sogenannten bedingungslosen Grundeinkommen steht eine Alternative zum Bürgergeld im Raum. Jetzt liegt dazu eine Langzeitstudie vor.

Berlin (epd). Die Zahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) wirkt sich einer Studie zufolge bei den Beziehern positiv auf Lebenszufriedenheit und Arbeitsleben aus. Menschen arbeiteten zwar nicht weniger, seien aber deutlich zufriedener im Beruf und mental gesünder, sagte die Wiener Wirtschaftspsychologin Susann Fiedler als Mitautorin am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung einer Langzeitstudie zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Initiiert wurde das Pilotprojekt mit insgesamt rund 1.700 erwerbstätigen Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern vom Verein Mein Grundeinkommen und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). DIW-Studienleiter Jürgen Schupp sagte, die Ergebnisse entkräfteten das Stereotyp, dass Grundeinkommensbezieher in die „soziale Hängematte“ abgleiten: „Es wäre wünschenswert, wenn in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft hoffentlich künftig verstärkt faktenbasiert gestritten würde.“

Studienergebnisse schwer vergleichbar

Die Studienteilnehmer waren im Alter zwischen 21 und 40 Jahren. Rund 120 von ihnen erhielten zwischen Juni 2021 und Mai 2024 monatlich 1.200 Euro Grundeinkommen zur freien Verfügung. Für die Studie wurden sie im Laufe der drei Jahre wie auch eine Vergleichsgruppe ohne Grundeinkommen achtmal zu Einkommen, Gesundheit, Wohlbefinden, Erwerbstätigkeit und Zukunftsplänen befragt. Teilnehmen konnten Personen mit einem monatlichen Nettoeinkommen zwischen 1.100 und 2.600 Euro. Finanziert wurde das BGE durch Spenden von mehr als 200.000 Menschen. Ein neuer Versuch soll im Mai starten.

Studien zu einem BGE gab es in der Vergangenheit etwa in Finnland und den USA. Die Ergebnisse sind wegen der unterschiedlichen Studiendesigns schwer zu vergleichen.

Laut den Initiatoren führt das bedingungslose Grundeinkommen „nicht in die selbstgewählte Arbeitslosigkeit“. Entsprechende Annahmen, die von einem Erwerbsrückgang von bis zu 27 Prozent ausgingen, müssten überdacht werden. Auch Arbeitszeit wurde nicht wesentlich verringert. Zentrales Ergebnis sei eine signifikante Verbesserung des subjektiven Wohlempfindens der Bezieher.

Deren allgemeine Lebenszufriedenheit sei um 42 Prozent gestiegen und über den Studienverlauf hinweg stabil geblieben. Die mentale Gesundheit verbesserte sich um 30 Prozent, sagte Fiedler. Vereinschefin Klara Simon ergänzte, ein BGE könne zu massiven Einsparungen im Gesundheits- und Sozialsystem führen.

Die Mehrheit würde profitieren

Ein weiteres Ergebnis: Die Bezieher sparten mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Geldzahlungen. Sie gaben zudem knapp acht Prozent der Zahlungen zur Unterstützung von Familie und Freunden oder spendeten für wohltätige Zwecke.

Zur Frage der staatlichen Finanzierbarkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle wirbt der Verein für einen Steuermix. Ein mit dem DIW entwickelter Online-Finanzierungsrechner zeige, „das Grundeinkommen ist finanzierbar“.

So werde die Mittelschicht deutlich gestärkt, 83 Prozent der Bevölkerung würden finanziell profitieren. „Bis zu einem Nettoeinkommen von 3.350 Euro hätten die Menschen mehr“, rechnete Vereinschefin Simon vor. Für weitere sieben Prozent würde sich nichts ändern. Nur zehn Prozent müssten mehr zur Finanzierung eines BGE beitragen.



Kinder

Gastbeitrag

Inklusive Kinder- und Jugendhilfe: Wie geht es weiter?




Silke Mehre
epd-bild/privat/Contec
Mit dem Aus der Ampel kam auch die Reform der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe zum Stillstand. Vielerorts wurden bereits Weichen gestellt. Doch es fehlt weiter ein verlässlicher gesetzlicher Rahmen, erläutert Silke Mehre von der Unternehmensberatung Contec GmbH in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

Ein Epochenwandel mit offenem Ausgang: Mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) im Jahr 2021 schien der Weg zu einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe klar vorgezeichnet. Die Reform sollte bis 2028 in einem dreistufigen Verfahren umgesetzt werden. Der zweite Etappenschritt erfolgte planmäßig im Januar 2024: die Einführung der Verfahrenslotsen und -lotsinnen. Auch der nächste Meilenstein, das Bundesgesetz zur Zusammenführung der Leistungen aus SGB VIII und SGB IX, schien mit dem am 27. November 2024 vom Bundeskabinett verabschiedeten Referentenentwurf auf Kurs - bis der Bruch der Regierungskoalition im November 2024 das Vorhaben stoppte. Jetzt liegt es an der neuen Bundesregierung, den Prozess zügig wieder aufzunehmen. Soll die sogenannte „Inklusive Lösung“ wie geplant bis zum 1. Januar 2028 in Kraft treten, bleibt nicht mehr viel Zeit.

Breite Zustimmung trifft auf unsichere Rahmenbedingungen

Die Reform stößt in der Fachwelt auf breite Zustimmung. Vielerorts wurden bereits Weichen gestellt, um die Kinder- und Jugendhilfe weiterzuentwickeln. Doch es fehlt weiterhin ein verlässlicher gesetzlicher Rahmen und damit die Grundlagen für Länder, Kommunen, Träger der freien Jugendhilfe und Leistungserbringer der Eingliederungshilfe, um die Veränderungen gezielt anzugehen.

Zentrale Fragen sind weiterhin ungeklärt: • Wer gehört künftig zum leistungsberechtigten Personenkreis? • Welche Art und welcher Umfang an Leistungen sind vorgesehen? • Wer übernimmt die Finanzierung? • Welche Verfahrenswege sind vorgesehen?

Zwei Systeme - und viele bestehende Hürden

Vor allem aber geht es um nicht weniger als um die gleichberechtigte Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen. Zwar gilt der Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich universell (§1 SGB VIII), jedoch sind Minderjährige mit einer körperlichen und/oder geistigen Behinderung bis jetzt weitestgehend von den Hilfen zur Erziehung (HzE) ausgeschlossen. Für sie ist das Hilfesystem der Eingliederungshilfe nach SGB IX zuständig.

Diese Aufspaltung der Zuständigkeit in zwei getrennte Systeme bringt jedoch erhebliche bürokratische Hürden mit sich: komplexe Antrags- und Bewilligungswege, Doppelungen und gegenseitige Erklärungen der Nicht-Zuständigkeit. Eine Zusammenarbeit oder Abstimmung der beteiligten Behörden findet bislang kaum statt.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die fachlichen Ansätze grundlegend unterscheiden. Während die Jugendhilfe auf partizipative Verständigungsprozesse über geeignete Hilfen setzt, verfolgt die Eingliederungshilfe in den meisten Bundesländern ein standardisiertes Verfahren auf Grundlage der ICF-Kriterien (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit). Ziel ist es, den individuellen Bedarf personenzentriert zu ermitteln, Leistungsansprüche gegenüber verschiedenen Trägern verbindlich zu klären und das Leistungsgeschehen zu koordinieren.

Jetzt starten und Inklusion wagen

Wenn Hilfen in Zukunft also ganzheitlich und aus einer Hand unter der Gesamtzuständigkeit der öffentlichen Jugendhilfe erfolgen sollen, wie sieht dann die konkrete Ausgestaltung aus? Werden künftig alle Kinder und Jugendlichen unter einem Dach betreut? Oder bleiben zwei Systeme bestehen, die je nach individuellem Bedarf systemübergreifend agieren? Wie kann gewährleistet werden, dass Förder- und Entwicklungschancen überall gleich verteilt sind? Wie lassen sich unterschiedliche Ziele, Methoden, Qualitätsstandards, Berufsprofile, Fachkräftequoten und Personalschlüssel harmonisieren? Wie werden Strukturen, Leistungen, Verträge und Finanzierungsmodelle zusammengeführt? Und schließlich: Wer finanziert diesen umfassenden strukturellen Umbau?

Trotz der noch offenen Punkte sollten sich Leistungsträger und Leistungserbringer bereits jetzt auf den Weg machen und an der Neugestaltung ihrer Angebote arbeiten. Denn selbst wenn die Umsetzung der „Inklusiven Lösung“ nicht wie geplant zum 1. Januar 2028 in Kraft treten sollte, ist der Inklusionsgedanke bereits mit dem KJSG seit 2021 gesetzlich fest verankert. Regelungsbereiche wie beispielsweise die Stärkung und Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, ein besserer Kinderschutz, mehr Prävention vor Ort sowie verbindliche Beschwerdemöglichkeiten für junge Menschen mit und ohne Behinderung sind somit schon heute Anforderungen zur Sicherstellung einer gleichberechtigten Teilhabe aller junger Menschen.

Die entscheidende Frage lautet daher: Wie gestalten wir den Paradigmenwechsel in unserer Organisation? Wie leben wir Inklusion vor Ort?

Von der Analyse zur Umsetzung

Ein erster Schritt kann eine Bestandsaufnahme sein: Welche Angebote bestehen bereits? Wo sind Anpassungen sinnvoll und notwendig? Darauf folgt die strategische Planung - mit Fokus auf Organisationsentwicklung, Personalstrategie und Finanzierung.

Mögliche Leitfragen für diesen Prozess: • Wo und wie verändern wir unser Angebot und unsere Prozesse? • Welche Kompetenzen benötigen unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und welche Fortbildungen sind erforderlich? • Welche Vernetzungs- oder Kooperationsmöglichkeiten bestehen?

An diese Planungsphase schließt sich idealerweise die Entwicklung neuer Konzepte und deren Erprobung in Pilotprojekten und später eventuell in Modellprojekten an. Auf Basis dieser Erfahrungen können sie anschließend weiterentwickelt und skaliert werden - mit regelmäßigen Überprüfungen und Anpassungen.

Zugegeben, das ist ein hochambitioniertes und komplexes Vorhaben. Doch es lohnt sich: Wer frühzeitig aktiv wird, nutzt die Übergangszeit nicht nur zur inhaltlichen Weiterentwicklung, sondern positioniert sich auch als zukunftsfähiger Anbieter. Schon jetzt werden bei Auswahlverfahren Träger beziehungsweise Leistungserbringer bevorzugt, die inklusiv aufgestellt sind.

Und auch intern bringt eine Neuausrichtung positive Impulse. Mitarbeitende sollten von Beginn an einbezogen und der Transformationsprozess partizipativ gestaltet werden. Die Themen Beteiligung, Selbstvertretung und die Stärkung von Rechten betreffen nicht nur die Leistungsempfängerinnen und -empfänger, sondern sollten auch für Mitarbeitende im Dienstalltag erlebbar sein.

Silke Mehre hat Sozialmanagement studiert und ist bei Unternehmensberatung Contec GmbH als Management- und Organisationsberaterin tätig.


Kinder

Wissenschaftlerin: Fachkräfte für Kinderschutz besser ausbilden



Frankfurt a.M. (epd). Für ein verpflichtendes Lehrangebot zum Thema Kinderschutz in allen pädagogischen Studiengängen kämpft die Erziehungswissenschaftlerin Maud Amal Nordstern seit knapp drei Jahrzehnten. Noch immer sei es in Deutschland „mehr oder weniger dem Zufall überlassen, ob jemand im Bereich Kinderschutz ausgebildet in die Praxis geht oder nicht“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Professorin für Jugendhilfe und Kinderschutz an der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) hat sich Anfang April in den Ruhestand verabschiedet.

Die Frankfurt UAS hat verpflichtende Lehrinhalte zum Thema Kinderschutz im Curriculum der Studierenden für Soziale Arbeit im Jahr 2013 verankert. Das hätten in der Folgezeit auch viele andere Hochschulen getan, nachdem das Kindschaftsrecht nachgeschärft wurde, erläuterte Nordstern. „Die Juristen haben viel Fleißarbeit geleistet, aber das hilft nicht, wenn flankierend etwa im Jugendamt die Rahmenbedingungen nicht stimmen, das heißt, wenn bei den Fachkräften die Qualifikation fehlt.“

Fokus auf sexualisierte Gewalt reicht nicht

Auch die Evangelischen Hochschulen bildeten keine Ausnahme, sagte Nordstern, die 2013 mit dem Hessischen Hochschulpreis für Exzellenz in der Lehre ausgezeichnet worden ist. Dort, wo der Kinderschutz überhaupt in den Vorlesungsverzeichnissen stehe, sei er oft reduziert auf sexualisierter Gewalt. „Das reicht aber nicht aus“, betonte Nordstern.

Fachkräfte, die mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt kommen, sollten wahrnehmen können, wann diese in Not sind. Die Ursache könnten schwere Vernachlässigung sein, Misshandlung, sexualisierte oder seelische Gewalt oder bei kleinen Kindern auch Schütteltraumata. Die Fachkräfte sollten nach den Worten von Nordstern in der Lage sein, das Gespräch mit den Betroffenen zu suchen oder gut zu beobachten. Sie sollten auch wissen, wie sie zu dokumentieren haben und welche Abläufe die Schutzpläne ihrer Einrichtung vorsehen.

Oft kaum Basiswissen

Zur Basisqualifikation gehöre das Wissen um suggestionsfreie Gesprächsführung, führte Nordstern aus. Fachkräfte sollten ebenso Bescheid wissen über Verhalten, das zum Risiko für das Kind werden kann. Es komme immer wieder vor, dass sich ein Kind etwa im Hort einer pädagogischen Fachkraft anvertraue, die dann die Mutter anspreche und das Kind anschließend nach Hause gehen lasse. „Und das Kind ist danach blutig geprügelt.“

Das Basiswissen gehöre in alle pädagogischen Bachelor-Studiengänge, forderte Nordstern. Fallverantwortliche Fachkräfte hingegen, die im Jugendamt oder mit schwer traumatisierten Kindern arbeiten oder Familienhilfe in riskanten Situationen leisten, „müssen mehr wissen, psychologisch, rechtlich, pädagogisch“, betonte die Wissenschaftlerin. Für ein solches spezialisiertes Fachwissen sehe die Studienlandschaft eigentlich Masterstudiengänge vor. Vereinzelt gebe es diese als Weiterbildungsangebote, auch an Fernuniversitäten, die Studierende selbst finanzieren müssen. „Ich würde mir das von staatlichen oder kirchlichen Fachhochschulen mit Präsenz wünschen. Nur aus der Ferne kann man ein Lehrangebot zum Kinderschutz eigentlich nicht machen“, urteilte Nordstern.



Schwangerschaftsabbruch

Trauer nach einer Abtreibung ist ein Tabuthema




Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch
epd-bild/Heike Lyding
Über das Abtreibungsrecht wird politisch gestritten. Während Befürworter und Gegner eine Änderung des Paragrafen 218 kontrovers diskutieren, bleiben die seelischen Folgen für Frauen und Männer oft außen vor.

Östringen, Stuttgart (epd). Wenn öffentlich von Abtreibung die Rede ist, geht es meist um die Rechtslage: die Abwägung zwischen dem Recht der Frau auf eine Entscheidung über ihren Körper und ihren eigenen Lebensplan sowie dem Schutz des ungeborenen Lebens. Doch der Abbruch einer Schwangerschaft ist mehr als ein juristisch heikler Fall. Er ist die Entscheidung für oder gegen ein Leben mit Kind, sei es aus medizinischen oder aus sozialen Gründen. Beides bedeutet einen existenziellen Einschnitt.

106.000 Abtreibungen gab es 2024 bundesweit, meldete Anfang April das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Eine der betroffenen Frauen ist Carolin. Sie erfuhr bei der zweiten Ultraschalluntersuchung in der 20. Schwangerschaftswoche, dass das „Kind etwas zu klein“ sei, der Kopf möglicherweise etwas „zu groß“. Die darauffolgende Pränataldiagnostik ergab zahlreiche Fehl- und Missbildungen durch ein Cris-du-chat-Syndrom. Der Chromosomendefekt hätte eine Vollzeitpflege bedeutet, aus Sicht der Ärzte eine klare medizinische Indikation für einen Abbruch der Schwangerschaft.

Erste Beratung ist Krisenintervention

„Ich brauchte Zeit für die Entscheidung, bin spazieren gegangen und habe 30 Minuten durchgeweint“, berichtet Carolin in der Selbsthilfegruppe „Sternenkinder Ettlingen“. Im Beisein der Familie und eines Pfarrers wurde Ron, so sollte das Kind heißen, verabschiedet. „Ein Spätabbruch berührt das Umfeld anders als in den ersten zwölf Wochen“, sagt Ursula Kunz vom Diakonischen Werk Karlsruhe. Die erste Beratung nach einer Diagnosestellung sei „reine Krisenintervention“, erläutert die Beraterin der Informations- und Vernetzungsstelle Pränataldiagnostik in Karlsruhe.

Zu dem Schock kommt hinzu: Das Umfeld - Nachbarn, Freunde - reagiert oftmals empathielos. Da helfe es, sich zunächst „Mantras“ oder Redewendungen zu überlegen, die die Kommunikation erleichtern, sagt Kunz. Wichtig sei es, die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden. Sie beobachte ein Bedürfnis nach Kontakt mit anderen Betroffenen, um nicht mehr mutterseelenallein zu sein mit dem Bruch in der Biografie. „Es handelt sich generell um ein Tabuthema“, betont die Sozialpädagogin. Zuletzt seien jedoch mehr Angebote auch kreativer Art zur Verarbeitung eines Schwangerschaftsabbruchs entstanden.

Bei einer medizinischen Indikation für einen Abbruch geht es für Eltern und Angehörige darum, den Kinderwunsch loszulassen. Ganz anders bei einer sozialen Indikation. Hier gibt es keinen Kinderwunsch. „Da ist etwas, das nicht zu meinem Leben gehört, etwas, was nicht gewollt ist“, sagt Martin Klumpp. Der frühere Stuttgarter Prälat leitete vier Jahrzehnte lang Gesprächsgruppen zur Trauerbegleitung nach einem Schwangerschaftsabbruch. Entweder passe bei einer sozialen Indikation die Beziehung nicht, oder Frauen stünden mangels Verantwortungsbereitschaft des Vaters und der Familie unter Druck, sagt der evangelische Theologe.

Gefühl der Verlassenheit

So geschehen bei Susanne Schlenker aus Östringen im Kreis Karlsruhe. Es war das Jahr 1980, als die damals 16-Jährige ungewollt schwanger wurde. Sie ließ das Kind abtreiben. „Ich hatte keine Wahl, es wäre eine Schande für die Eltern gewesen“, berichtet die heute 61-Jährige. Zu Hause wurde nicht über den Eingriff gesprochen, der Freund durfte nichts davon wissen. „Ich fühlte mich allein, verlassen, auf mich selbst gestellt“, erinnert sie sich. Die Angst, von der Schwangerschaft zu sprechen, ließ sie erstarren.

Erst allmählich habe sie gelernt, Gefühle wahrzunehmen und den Mantel des Schweigens zu heben. „Das Wichtigste war die Beziehung zu dem Kind, ich habe ihm einen Platz gegeben“, sagt Schlenker. Die seelische Belastung nach einer Abtreibung werde unterschätzt, ist die Trauer- und Sterbebegleiterin überzeugt.

„Menschen in unserer Gesellschaft sind nicht geübt darin, Gefühle auszudrücken“, sagt auch Klumpp. Gefühle wie Scham, Schuld oder Wut veränderten sich jedoch, wenn man sie fühle, weiß der psychologische Familien-, Ehe- und Lebensberater. Nach einem Abbruch sei man „verletzt und verletzlich“. Bei den Gesprächsrunden fühle er sich „in der wahren Kirche“, sagt der Theologe und ergänzt: „Jesus sagte: 'Die mühselig und beladen sind, dürfen zu mir kommen.' Er hat nicht gefragt, ob jemand anständig war.“

Susanne Lohse


Pflege

Verband fordert Maßnahmen gegen Heiminsolvenzen



Berlin (epd). Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) warnt vor den Folgen von Heiminsolvenzen. Die Not der Heime sei „mit Händen zu greifen“, sagte AGVP-Präsident Thomas Greiner am 7. April in Berlin. Regelmäßig meldeten Medien neue Insolvenzen.

Greiner forderte die Politik zum Handeln auf. Das Sondierungspapier von Union und SPD sei in dieser Hinsicht aber „ein Totalausfall“, sagte er: „Kein Wort zur Versorgungssicherheit in der Altenpflege, nur der vage Verweis auf eine große Reform - das ist zu wenig.“

Vorwürfe an Kassen und Sozialhilfeträger

Laut AGVP-eigenen Zahlen mussten in den Jahren 2023 und 2024 mehr als 1.200 Pflegeeinrichtungen Insolvenz anmelden oder schließen. Greiner warf Pflegekassen und Sozialhilfeträgern vor, sie ließen Heimbetreiber „auf Millionenbeträgen sitzen“. Bürokratische Vorgaben hemmten betriebswirtschaftliche Abläufe und blockierten Innovationen.

Menschen erwarteten, für ihre gezahlten Beiträge auch einen Pflegeplatz zu bekommen, sagte Greiner. Löse der Staat dieses Versprechen nicht mehr ein, gehe nicht nur Versorgung und Wirtschaftskraft verloren, sondern auch Vertrauen in die Politik, in die Institutionen und die Demokratie insgesamt.



Pflege

Fachleute: Gemeindepflege weiter ausbauen



Darmstadt (epd). Das in Teilen Hessens umgesetzte Beratungsangebot der „Gemeindepflege“ wird von Fachleuten begrüßt und deren flächendeckender Ausbau empfohlen. Dieses Angebot, durch das ältere Menschen selbstständig im gewohnten Sozialraum leben können, müsse „durch eine 100-prozentige Regelfinanzierung des Landes Hessen gesichert werden“, heißt es in einer Mitteilung des „Bündnisses Pflege“ und der Evangelischen Fachhochschule Darmstadt im Anschluss an einen Fachtag mit 200 Besuchern. Bereits die jetzigen Eigenanteile der Kommunen überforderten deren Möglichkeiten und würden bei einer weiteren Erhöhung des Eigenanteils zum Abbau der Gemeindepflege führen, hieß es.

Die in der Gemeindepflege tätigen Fachkräfte nehmen bei ihren Hausbesuchen beispielsweise die soziale Situation, gesundheitliche und hauswirtschaftliche Versorgung ebenso in den Blick wie die individuelle Wohnsituation, Mobilität oder Freizeitgestaltung und beugen damit Isolation und Pflegebedürftigkeit vor. Bei Bedarf informieren sie über alltagsbegleitende Angebote, passende Hilfen beziehungsweise Dienstleistungen und vermitteln diese. Diese „Kümmererstruktur setzt niedrigschwellig an und wirkt“.

Appell für weiteren Ausbau der Beratung

In einem Appell an die Landesregierung heißt es, beim flächendeckenden Ausbau gebe es einen Personalbedarf von mindestens einer Stelle pro 30.000 Einwohnern. Derzeit gibt es das Angebot in 18 Landkreisen und Städten. Zudem sollte dieser Service inhaltlich weiterentwickelt werden. „Allgemeingültige Standards und Tätigkeitsprofile für die Gemeindepflege sind zu implementieren. Eine geregelte Weiterbildung sollte verpflichtend sein.“ Derzeit unterstützt das Land Angebote der Gemeindepflege als Projektförderung im Wege der Anteilsfinanzierung als Zuschuss in Höhe von 80 Prozent der Ausgaben bis zu einer maximalen Förderhöhe von 50.000 Euro pro Jahr bezogen auf eine Vollzeitstelle.

Sinnvoll sei es zudem, eine hessenweite Koordinierungs- und Beratungsstelle einzurichten, die Kommunen, Initiativen oder andere Träger im Prozess der Sozialraumentwicklung beziehungsweise Quartiersentwicklung zu Alter und Pflege berät, begleitet und unterstützt.

Das Land hatte im Dezember mitgeteilt, dass das Projekt über den Zeitraum von 2026 hinaus weitergehen soll. Seinerzeit gab es 84 Gemeindepflegerinnen und -pfleger.




sozial-Branche

Krankheiten

Wenn Behalten zum Zwang wird




Messie-Wohnung
epd-bild/Annette Zöf
Messies seien faul und undiszipliniert, so lauten gängige Vorurteile. Doch hinter dem zwanghaften Anhäufen von Dingen steckt oft viel mehr. Eine Betroffene berichtet über Ursachen und darüber, wo sie Hilfe fand.

Leonberg (epd). Katharina Dechert (Name geändert) kann sich noch an den Moment erinnern, in dem sie gemerkt hat, dass ihr Umgang mit Dingen anders ist als bei anderen. „Vor vielen Jahren haben meine Schwester und mein Schwager bei mir aufgeräumt“, sagt die 64-Jährige, die in einer 55 Quadratmeter großen Dreizimmerwohnung in einem Ortsteil von Leonberg lebt. „Sie haben rückgemeldet, dass nach sechs bis acht Wochen die Unordnung wieder dieselbe war.“

Lange habe sie sich nicht eingestehen können, dass sie „eigentlich krank“ sei, berichtet Dechert: „Ich habe es verdrängt. In der Zeit vor Corona war ich sehr viel unterwegs, damit ich die Unordnung zu Hause nicht aushalten muss.“ Dechert, die viele Jahre als OP-Pflegerin gearbeitet hat und heute Rentnerin ist, leidet an zwanghaftem Horten, besser bekannt als Messie-Syndrom. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, da das Messie-Syndrom immer noch schambehaftet sei.

Verschlechterung während Corona

Besonders von „Dingen, bei denen ich mir denke, dass ich sie noch brauchen kann“, könne sie sich schwer trennen. „Oder von alten Erinnerungsstücken wie meinem grünen, selbstgestrickten Teddybären. Die Erinnerung macht mich aus.“ Auch Täschchen von alten Zuckermessgeräten behält sie. „Das ist völlig unlogisch. Ich bekomme es aber nicht hin.“

Die Corona-Zeit habe ihre Situation verschlechtert. „Ich habe ausschließlich im Homeoffice gearbeitet, in der medizinischen Dokumentation. Ich hatte große Angst, mich mit dem Coronavirus anzustecken, habe mich daher total zurückgezogen und hatte keinen persönlichen Kontakt mehr zu meinen Kollegen.“ In dieser Zeit habe sie vermehrt Dinge im Internet bestellt. „Überall waren Kartons. Viele Dinge standen im Weg, die Küche war voll. Ich hatte auf dem Herd lediglich zwei Kochfelder frei. So konnte ich nicht mehr richtig kochen und essen“, erinnert sich Dechert.

Der einzige Raum, der noch halbwegs begehbar war, war das Schlafzimmer. Zudem hatte sie einen Raum, den sie das „Chaoszimmer“ nennt. Hier lagert sie seit vielen Jahren Gegenstände: Fotos, Nähmaschinen, Stoffe, Akten, Malsachen, Ordner.

Zuerst kommt der Müll weg

Über einen Zeitungsartikel erfuhr sie von Fortis. Der Verein bietet verschiedene Leistungen für Menschen, die straffällig waren, wohnungslos sind, psychisch erkrankt sind oder eine Abhängigkeitserkrankung haben - darunter auch eine sozialpädagogische Räumungshilfe. „Dann habe ich Kontakt zu Fortis aufgenommen. Wir haben uns erst im Büro getroffen, wo mir die Arbeitsweise der Räumungshilfe vorgestellt wurde. Schon in dem Artikel war für mich klar, dass das auch für mich eine gute Hilfe sein kann, mich gut unterstützen könnte“, sagt Dechert rückblickend. Die Fortis-Mitarbeiter und auch den Sachbearbeiter der Stadt für die Antragsstellung in die Wohnung zu lassen, habe viel Mut erfordert.

Joachim Schönstein, Teamleiter von Fortis, erklärt: „Im ersten Schritt räumen wir gemeinsam Dinge weg, von welchen sich Betroffene leichter trennen können, wie beispielsweise Verpackungen, Müll und beschädigte Dinge.“ Vorrangig sollen Küche, Bad und WC wieder nutzbar gemacht werden.

Der Verein unterstützt bei Reinigungsarbeiten, hilft bei der Müllentsorgung und dem Etablieren eines neuen Ordnungssystems. „In motivierenden Gesprächen unterstützen wir dabei, das Sammelverhalten zu reflektieren und Strategien für Veränderungen zu finden“, sagt Schönstein. Ein respektvoller, wertschätzender Umgang sei dabei wichtig: „Wir erarbeiten gemeinsam die Veränderungen.“ Das Tempo gebe der jeweilige Klient vor, der im Rahmen der eigenen Möglichkeiten mitarbeite.

Monatliche Gesprächsgruppe

Zusätzlich gibt es eine monatlich stattfindende Gesprächsgruppe für Betroffene, die von Fortis-Mitarbeitenden geführt wird. Dechert fühle sich hier sehr gut aufgehoben, sagt sie: „Andere Teilnehmer haben die gleichen Probleme wie ich. Das hat mich sehr erleichtert, zu sehen, dass es anderen auch so geht. Ich weiß nun, dass es sich um eine Krankheit handelt, die nichts mit Faulheit zu tun hat.“

Durch die Gruppentreffen geht es ihr bereits besser, doch Besuch zu empfangen, fällt ihr nach wie vor schwer. „Am Anfang ist da immer große Scham. Man will möglichst keine Besuche mehr zulassen. Früher war kaum Platz für eine weitere Person in der Wohnung. Es musste erst aufwendig Platz gemacht werden, zum Sitzen, aber auch auf dem Tisch für eine Teetasse.“

Auch ihre Geschwister und Eltern hatten wenig Verständnis für ihr Verhalten, berichtet sie: „Ich bekam viele Vorwürfe. Ich musste mir anhören, dass ich faul sei. Das habe ich teilweise für mich als Selbstdefinition übernommen.“ Damals scheiterten alle Unterstützungsversuche der Familie, die stellvertretend für sie aufräumen wollten. „Sie haben gemerkt, dass ich es selbst machen muss, sie höchstens assistieren können.“

Nachhaltigkeit macht es leichter

Das Sammeln und die Unfähigkeit, sich von Dingen zu trennen, beeinflussten immer noch ihren Alltag: „Alles um mich herum, die gesammelten Dinge, sind mir wichtig, zeigen den Verlauf meines Lebens, haben mich begleitet. Das sind Erinnerungen. Diese Dinge haben mich ausgemacht.“

Doch sie habe einen Weg gefunden, sich leichter von Dingen trennen zu können: „Es fällt mir leichter, wenn ich weiß, dass eine weitere Verwendung garantiert ist, zum Beispiel auf dem Wertstoffhof oder im Verschenkhaus.“ Denn dort habe sie erlebt, dass andere Menschen ihre Dinge gebrauchen können.

Stefanie Unbehauen


Krankheiten

Hintergrund

Die Arbeit des Vereins Fortis



Leonberg (epd). Der studierte Sozialarbeiter und Diakon Joachim Schönstein fordert mehr Aufklärung über das Messie-Syndrom. „Es ist wichtig zu transportieren, dass es sich um eine vielschichtige Erkrankung handelt“, erklärt der Teamleiter des Fortis in der Region Leonberg. „Betroffene können nichts dafür. Sie sind weder faul noch inkompetent.“

Fortis ist ein gemeinnütziger, regionaler Verein, der 1971 aus dem Arbeitskreis „Resozialisierung“ hervorging und Mitglied im Diakonischen Werk Württemberg ist. Ursprünglich auf Straffälligenhilfe fokussiert, eröffnete der Verein 1974 die erste betreute Wohngemeinschaft. Im Laufe der Jahre übernahm er weitere Aufgaben wie Beratung und Betreutes Wohnen für wohnungslose Menschen. 2006 erfolgte schließlich die Umbenennung in Fortis - Für Orientierung, Teilhabe, Integration und Solidarität.

Auf gar keinen Fall unabgesprochen handeln

Der Verein wird durch staatliche Gelder finanziert, die für die Betreuung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen gezahlt werden. Er bietet Leistungen für Menschen, die straffällig waren, wohnungslos sind, psychisch erkrankt sind oder eine Abhängigkeitserkrankung haben - darunter auch eine sozialpädagogische Räumungshilfe für Messies.

Die neue anzustrebende Ordnung solle den persönlichen Wünschen des Klienten entsprechen, erläutert Schönstein. Ein respektvoller, wertschätzender Umgang sei dabei besonders wichtig: „Wir sind Gast in der jeweiligen Wohnung. Betroffene brauchen vor allem Verständnis und auf keinen Fall stellvertretendes, unabgesprochenes Handeln des Umfelds.“ Es komme häufig vor, dass beispielsweise während eines Krankenhausaufenthalts der Betroffenen die Angehörigen aus guter Absicht heraus die Wohnung aufräumen. „Das führt dann zur Katastrophe. Für die Betroffenen haben die Dinge Bedeutung und Wert. Sie brauchen die Kontrolle darüber.“

Jährlich erhalte er etwa 10 bis 15 Anfragen von Messies. Voraussetzung, um die Hilfe des Vereins zu beanspruchen, ist, dass ein fallverantwortlicher Dienst, beispielsweise die Stadt, das Landratsamt oder der Sozialpsychiatrische Dienst, miteinbezogen wird. „Dieser Dienst übernimmt die Koordination der erforderlichen Schritte und Hilfen in Zusammenarbeit mit uns.“ Die Kostenübernahme erfolgt auf der Grundlage von § 67 Sozialgesetzbuch XII, in Abstimmung mit dem Amt für Soziales des Landkreises Böblingen. Die Hilfe ist zeitlich befristet.



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Das Stichwort: Messie-Syndrom



Der englische Begriff „mess“ bedeutet so viel wie Chaos oder Unordnung. Das Messie-Syndrom ist eine Verhaltensstörung, die sich durch eine starke Unfähigkeit auszeichnet, Ordnung im eigenen Zuhause zu halten. Betroffene sammeln oft übermäßig viele Gegenstände an. Gleichzeitig haben sie Schwierigkeiten, sich von ihnen zu trennen, selbst wenn sie keinen praktischen Nutzen haben.

Dieses Verhalten führt zu chaotischen, überfüllten Wohnräumen, die oft unorganisiert und unsauber sind. Im internationalen Krankheitsregister ICD-11 wird pathologisches Horten durch eine „Anhäufung von Besitztümern“ beschrieben, wodurch die Wohnräume von Betroffenen so überfüllt sind, dass ihre Nutzung oder Sicherheit beeinträchtigt ist.

Vielfältige Ursachen

Laut Schätzungen leiden in Europa zwischen zwei und sechs Prozent der Bevölkerung am Messie-Syndrom. Die Ursachen sind vielfältig und können psychische Störungen wie Depressionen, Angststörungen, ADHS oder Zwangsstörungen umfassen, aber auch in Verbindung mit Demenz auftreten. Betroffene empfinden häufig Scham und leiden unter sozialer Isolation, da sie sich für den Zustand ihrer Wohnung schämen und es vermeiden, Besuch zu empfangen.

Eine Behandlung des Messie-Syndroms erfolgt meist durch psychologische Therapien wie die kognitive Verhaltenstherapie sowie durch praktische Unterstützung, etwa von professionellen Organisatoren. Ziel ist es, das zwanghafte Verhalten zu reduzieren und die psychische Belastung der Betroffenen zu lindern.



Krankheiten

Interview

Expertin zu Messie-Syndrom: "Es kann jeden treffen"




Esther Schippert
epd-bild/privat/Esther Schippert
Menschen, die an dem Messie-Syndrom leiden, haben den Drang, Dinge anzuhäufen, was in Chaos und Vermüllung endet. Eine Aufräumexpertin erklärt, wieso die Krankheit schambehaftet ist und wie Angehörige damit umgehen können.

Zürich (epd). Aufräum-Coach Esther Schippert arbeitet seit 2016 mit Menschen zusammen, die an dem Messie-Syndrom leiden. Die Zürcherin hat einen Verein gegründet, in dem auch Angehörige Hilfe finden können. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst erklärt sie, wie einer ihrer Besuche in einer Messie-Wohnung abläuft. Die Fragen stellte Stefanie Unbehauen.

epd sozial: Frau Schippert, Sie arbeiten seit acht Jahren mit Menschen zusammen, die an dem Messie-Syndrom leiden. Wie gehen Sie vor?

Esther Schippert: Der erste Kontakt ist immer sehr vorsichtig. Betroffene schreiben mich an, dann telefonieren wir und anschließend wird ein erstes Treffen vereinbart. Wichtig ist, dass die Chemie stimmt. Vertrauen ist sehr wichtig für die Zusammenarbeit. Denn das Thema ist nach wie vor schambehaftet.

epd: Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach?

Schippert: Es gibt viele Vorurteile. Betroffene seien faul, bockig oder gar sozial schwach. Doch das stimmt nicht. Ich weiß aus meiner Erfahrung als Stress- und Resilienz-Coach, dass sich das Messie-Syndrom durch alle Gesellschaftsschichten zieht. Es sind häufig sehr intelligente Menschen, teilweise Akademiker mit Doktortitel. Es kann jeden treffen. Vom Kind im Kindergarten bis hin zur 80-jährigen Seniorin im Altenheim.

epd: Welche Gründe stecken hinter dem Symptom?

Schippert: Hinter dem zwanghaften Horten stecken meist ganz andere Gründe als Faulheit. Meine Klienten geben sich damit Sicherheit und Liebe. Es geht darum, ein Loch zu stopfen. Auslöser für den Sammelzwang sind oft Traumata. Da gibt es zum Beispiel das Kind, dessen Mutter ein zweites Baby bekommen hat und das sich nun übersehen fühlt. Oder die Ehefrau, die um ihren verstorbenen Mann trauert und sich von seinen Klamotten nicht trennen kann. Das Horten ist wie ein Schutzwall, eine Burg.

epd: Tritt das Messie-Syndrom häufig auch in Kombination mit anderen psychischen Erkrankungen auf?

Schippert: Ja, das Messie-Syndrom ist meist nur die Spitze des Eisbergs. Oft liegen andere Erkrankungen vor und der Sammelzwang ist nur die Folge. Dabei handelt es sich vorwiegend um Störungen wie Burnout, Depressionen, Angst, Kaufsucht oder Demenz im Alter. Zudem haben Betroffene meist einen geringen Selbstwert. Viele wollen sich mit ihren Problemen nicht auseinandersetzen. Manche schlafen auf dem Sessel, weil sie keinen Platz mehr im Bett haben. Sie gewähren sich selbst sehr wenig Raum. Dahinter steckt häufig der Gedanke: „Ich habe nicht viel verdient, ich bin nichts wert.“

epd: Wann wenden sich Betroffene an Sie und suchen sich Hilfe?

Schippert: Betroffene wenden sich häufig erst an mich, wenn es gar nicht mehr anders geht. Sie schieben das auf, weil sich die meisten so schämen. Wenn zum Beispiel die Hausverwaltung kommt, ein Handwerkerbesuch ansteht oder ein Umzug. Manche kommen danach nie wieder oder melden sich erst wieder, wenn es gar nicht mehr geht, manche warten bis zur Zwangsräumung. Viele haben Angst davor, dass irgendwann die Behörde vor der Tür steht und ihnen die Kinder wegnimmt. Sie stellen sich täglich die Frage: Was passiert, wenn das rauskommt?

epd: Wie kann man sich ein Treffen in der Wohnung eines Messies vorstellen?

Schippert: Wenn ich zum ersten Mal dorthin komme, höre ich erst einmal zu. Die Klienten dürfen mir alles erzählen, was sie möchten. Die Tür für eine Fremde zu öffnen, kostet bereits viel Überwindung. Beim ersten Treffen passiert meist noch nichts. Ich schaue dann erstmal, lasse mir erzählen, wie das passiert ist und gehe dann wieder. Dann melden sich Klienten häufig Wochen lang nicht mehr, haben Angst, dass ich Dinge wegwerfe, die ihnen wichtig sind. Doch das tue ich nicht. Ich mache nichts allein, sondern alles mit den Klienten zusammen. Es ist wichtig, dass die Klienten mit dabei sind und einen Prozess durchlaufen.

epd: Auch für Angehörige keine einfache Situation.

Schippert: Ja, das zwanghafte Horten belastet nicht nur Messies selbst, sondern auch ihre Angehörigen. Nichtbetroffene, die mit Betroffenen zusammenleben, haben oft Schwierigkeiten, sich abzugrenzen oder wissen nicht, wie das geht. Aus diesem Grund habe ich im vergangenen September einen Verein für Messie-Betroffene und ihre Angehörigen gegründet. Bei offenen Treffen können sich Angehörige informieren und bei einem Spaziergang mit mir, dem sogenannten „Walk and Talk“, ihre Situation schildern. Es gibt leider wenig Ansprechpartner im deutschsprachigen Raum. Ein weiteres Problem ist die Finanzierung. Häufig werde ich von Institutionen wie Altenheimen und Psychiatrien angeschrieben, dann werden wiederum Stiftungen kontaktiert, die die Gelder bewilligen sollen. Der Prozess dauert häufig so lange, dass die Klienten abspringen. Die Leute, die wirklich Hilfe brauchen, sollten diese sofort erhalten und nicht erst in einem halben Jahr.



Bildung

Miniroboter unterstützt kranke Schüler




Avatar für langzeitkranke Schülerinnen und Schüler
epd-bild/Stefanie Walter
Der Lahn-Dill-Kreis hat vier Roboter angeschafft, mit denen kranke Schüler weiterhin am Unterricht teilnehmen können. Allerdings geht es um mehr als den Schulstoff.

Wetzlar, München (epd). Der Miniroboter sieht niedlich aus mit seinem dicken Kopf. Die Augen können glücklich, fragend oder traurig gucken. Der kleine Avatar erfüllt eine große Aufgabe: Er unterstützt kranke Schülerinnen und Schüler, damit sie weiterhin am Unterricht teilnehmen können.

Im Medienzentrum des Lahn-Dill-Kreises in Wetzlar stellt Silke Schaub den Roboter auf den Tisch und nimmt einen Tabletcomputer in die Hand. Der Avatar, so erklärt es die pädagogische Leiterin, steht im Klassenraum. Der kranke Schüler steuert ihn von zu Hause aus über das Tablet. Er kann den Roboter in alle Richtungen drehen, per Livestream sieht er die Mitschüler, hört sie sprechen und kann sich selbst beteiligen.

Datenschutz ist gewährleistet

Medienpädagoge Matthias Aubel legt einen Stapel bunter Halstücher und Aufkleber neben den etwa 30 Zentimeter großen Avatar. Die Kinder können ihn mit Tier-Stickern und Leuchtsternen bekleben, ihm einen Namen geben, vielleicht eine Eintracht-Frankfurt-Kappe aufsetzen.

Aubel wischt über das Tablet: Der Roboterkopf dreht sich. Er tippt auf ein Handsymbol: Der Kopf leuchtet grün. „Der Lehrer weiß, jetzt möchte der Schüler etwas sagen.“ Ein blaues Mondsymbol zeigt an: Der kranke Schüler will sich im Moment nicht beteiligen. Datenschutz sei gewährleistet, betonen Schaub und Aubel. Der Stream kann nicht gespeichert werden, Screenshots sind nicht möglich.

Vier Avatare hat der Lahn-Dill-Kreis vor kurzem angeschafft. Schneller als erwartet seien sie bereits an zwei Schulen im Einsatz, berichtet Schaub. Ein Ziel sei, dass langzeiterkrankte Kinder und Jugendliche nicht so viel vom Unterricht verpassen. „Sie sollen aber auch emotional und sozial nicht abgehängt werden.“ Der Avatar steht am Platz des kranken Schülers. „Den anderen Kindern wird bewusst, dass jemand fehlt.“

Kontakt zur Schule bleibt erhalten

Angestoßen hat das Projekt der Leiter der Förderschule an der Brühlsbacher Warte in Wetzlar, Kristian Snoeijer. „Im Idealfall ist es so, dass die Schüler ein paar Monate lang über den Avatar am Unterricht teilnehmen und dann wieder in Präsenz“, erläutert er. Der Roboter sei ein „flankierender Baustein, damit der Kontakt zur Schule nicht gekappt wird“.

Der Lahn-Dill-Kreis hat Modelle AV1 der norwegischen Firma „No Isolation“ gekauft. Deutschlandweit seien 1.400 Avatare im Einsatz, berichtet die Marketingmanagerin Carina Schmitz vom Münchner Büro des Unternehmens. Schmitz bezeichnet sie als „Re-Integrationstools“: Sie helfen Kindern und Jugendlichen mit Krebserkrankungen, Long Covid oder psychischen Krankheiten, nach schweren Operationen, teilweise bei Behinderungen. „Wir hatten auch schon Fälle, dass Kinder im Hospiz waren.“

Auch auf dem Pausenhof dabei

Eine schwer kranke Schülerin habe sich mit Hilfe des AV1 aufs Abitur vorbereitet. Aktuell werde er in einem Kindergarten ausprobiert und war bereits Teil eines Schulverweigerer-Projektes. Schmitz erzählt, dass die Aufregung immer riesengroß ist, wenn der Avatar in die Klasse kommt. „Aber nach kurzer Zeit ist da wieder die Lisa oder der Paul.“

5.000 Euro zahlte der Kreis pro Avatar, das Land unterstützte die Finanzierung. Besonders gefalle ihr, dass die Mitschüler den Miniroboter in einen Rucksack stecken und mit auf den Pausenhof nehmen können, sagt Schaub. „Vielleicht kann er sogar mit auf die Klassenfahrt.“

Stefanie Walter


Familie

Kinderwunsch bei Männern: Plötzlich steht man da, ist 50 und allein




Kinderlos: Alexander Stolle
epd-bild/Christine Siefer
Ungewollte Kinderlosigkeit kann sehr belastend sein - für Frauen wie für Männer. Bei Alexander Stolle, Single aus Berlin, ist der Wunsch, Vater zu werden, mit den Jahren immer stärker geworden. Kein Einzelfall: Die Zahl ungewollt kinderloser Männer steigt.

Frankfurt a.M. (epd). „Hättest du eigene Kinder, dann wüsstest du, dass…“ - so beginnt der Satz, den Alexander Stolle schon oft in seinem Leben gehört hat. Ein Satz, der den 54-Jährigen gleich mehrfach trifft. Es verdeutlicht dem Berliner Single schmerzhaft, dass sein Wunsch nach Vaterschaft bisher unerfüllt geblieben ist. Und er spricht ihm jegliche Kompetenz beim Thema Kindererziehung ab. Dabei ist er mehrfacher Onkel und hat im großen Freundes- und Familienkreis viele Kinder beim Aufwachsen begleitet, wie er erzählt: „Es versetzt mir einen Stich, wenn mein Cousin mir strahlend ein neues Foto seines Sohnes zeigt.“ Er sei der einzige Kinderlose in seinem Umfeld.

Eine repräsentative Studie des Bundesfamilienministeriums ergab 2020, dass in der Gruppe der kinderlosen Frauen und Männer zwischen 20 und 50 jeder dritte wie Alexander Stolle ungewollt kinderlos ist. Bei Frauen ist der Anteil von 2013 bis 2020 um sechs, bei Männern um acht Prozentpunkte gestiegen. Befragt wurden über 10.000 Menschen.

Kinderlosigkeit bei Männern kein öffentliches Thema

Dass auch Männer unter Kinderlosigkeit leiden, das kommt in der öffentlichen Wahrnehmung oft zu kurz, meint Psychologe Tewes Wischmann. Er hat über 30 Jahre lang zu den psychologischen Aspekten von Kinderlosigkeit geforscht und war Projektleiter der Studie „Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde“. „Ende der 1980er Jahre wurden zu den Beratungsangeboten meist nur Frauen eingeladen. Wir haben dann bewusst auch Männer adressiert“, erzählt der 68-Jährige.

Seine Beobachtung: Männer leiden unter unerfülltem Kinderwunsch genauso wie Frauen. Die Gesellschaft suggeriere Männern aber, dass sie länger Vater werden könnten als Frauen Mutter. Dabei nehme auch beim Mann die Fruchtbarkeit als dem 45. Lebensjahr ab und das Risiko für Fehlgeburten steige, sagt Wischmann.

Unter den Befragten des Bundesministeriums gaben bis zum 34. Lebensjahr fast gleich viele Frauen und Männer an, ungewollt kinderlos zu sein. Ab 35 Jahren nimmt der Anteil der Männer zu und der der Frauen ab. In der Altersgruppe 45 bis 50 Jahre ist der Anteil ungewollt Kinderloser bei Männern viermal so hoch wie bei Frauen.

Kinderwunsch wurde immer stärker

Auch bei Alexander Stolle wurde der Kinderwunsch mit zunehmendem Alter stärker. Nach der Schule wollte er sich erst einmal nicht binden. Seiner zweiten Freundin machte er einen Heiratsantrag. Kurz darauf trennten sie sich. „Ich habe über zehn Jahre gebraucht, diesen Herzschmerz zu verarbeiten“, erzählt der Berliner. Die nächste Beziehung hielt acht Jahre und blieb ebenfalls kinderlos. „Plötzlich steht man da, ist 50 Jahre alt und allein“, sagt er.

Der Aussage „Kein Kind zu haben, gilt in unserer Gesellschaft als Makel“ stimmten in der Befragung des Bundesministeriums 39 Prozent der Befragten zu, 19 Prozent mehr als noch 2013. Das sei auch ein Indikator für die gestiegenen Diskriminierungserfahrungen von ungewollt Kinderlosen, resümiert die Studie. Auch Alexander Stoll hat die Erfahrung gemacht: Die Gesellschaft suggeriere ihm, dass Kinderlosigkeit ein Makel sei.

Ungewollte Kinderlosigkeit oft sexuell konnotiert

56 Prozent der befragten Männer gaben zudem an, dass Vaterschaft zum Mannsein dazu gehöre. „Bei Männern ist ungewollte Kinderlosigkeit oft auch sexuell konnotiert und es werden häufig sexuelle Funktionsstörungen unterstellt“, berichtet Psychologe Wischmann.

Bei Familienfesten sitzt Alexander Stolle auch schon einmal am Kindertisch oder allein am Ende der Tischplatte. „Man fühlt sich ausgeschlossen und wie der Depp vom Dienst“, so empfindet er es dann. Die Einsamkeit habe ihm vor allem in der Corona-Pandemie zugesetzt, als sich alle in die Kernfamilien zurückgezogen hätten.

Aber es geht es ihm nicht nur um Gemeinschaft, sondern auch darum, ein Kind zu begleiten zu können, in seiner Entwicklung zu erleben und zu unterstützen. Er müsse immer an den Song „Haus am See“ von Peter Fox denken, in dem der Sänger von seinen Kindern und Enkeln singt, die vorbeikommen und zusammen spielen. „Ich würde gerne stolz auf meine Kinder sein und ihnen das auch vermitteln.“ Ein Gefühl, das er selber in seiner Kindheit vermisst habe.

Sprüche aus dem Umfeld wie „Dann genieß doch deine Freiheit“ bagatellisierten die Gefühle ungewollt Kinderloser, sagt Psychologe Wischmann. „Das ist eine existenzielle Krise, die auch in einem Trauerprozess münden kann.“ Der Experte empfiehlt Betroffenen, sich bewusst mit der finalen Kinderlosigkeit auseinanderzusetzen. Wichtig sei, sich neue Ziele zu setzen und sich nicht zu isolieren - damit die Situation nicht in Einsamkeit münde.

Alexander Stolle ist nach der Corona-Zeit als Geschäftsführer eines Appartement-Hotels beruflich noch einmal durchgestartet. Beim Thema Kinderwunsch hat er die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. „Ich rechne aber auch nicht mehr damit“, gibt er zu. Er wünscht sich von seinem Umfeld vor allem mehr Verständnis und Empathie. „Die Männer meiner Generation sind darauf konditioniert, stark zu sein. Das bedeutet nicht, dass wir es immer sind.“

Christine Siefer


Migration

Pastorinnen und Ehrenamtliche betreuen Geflüchtete im Kirchenasyl




Pastorin Kristina Wollnik-Hagen und Pastor Sven Quittkat im Gespräch mit Flüchtlingen in der Stephansstift-Gemeinde in Hannover
epd-bild/Nancy Heusel
Das Kirchenasyl gerät in der Politik zunehmend in die Kritik. Die Gemeinden nähmen nicht mehr nur Härtefälle auf, lautet ein Vorwurf. 2024 gab es knapp 2.400 Fälle. Für die Helfenden ist das kaum verständlich. Sie spüren die Not der Schutzsuchenden.

Hannover (epd). Das Gelände der evangelischen Stephansstift-Gemeinde in Hannover ist weitläufig, viele Gebäude gruppieren sich um die Kirche. „Wir haben als diakonische Gemeinde genügend Möglichkeiten, Geflüchtete, die eine Abschiebung fürchten, hier gut unterzubringen“, sagt Pastor Sven Quittkat. Insgesamt zehn Personen gewährt die Gemeinde derzeit Kirchenasyl. „Trotzdem habe ich jede Woche rund 30 weitere Anfragen, die ich nicht erfüllen kann, und eine lange Warteliste.“

Die Angst der Menschen, die von Abschiebungen bedroht seien, nehme zu, seit sich die Stimmung im Land immer mehr gegen Geflüchtete richte, erzählt Quittkat. „Selbst wenn sie hier bei uns sind, schlafen sie nicht gut. Sie haben Angst, dass nachts zwischen 3 und 6 Uhr morgens die Polizei vor der Tür steht, um sie in Abschiebehaft zu nehmen.“

Erst einmal Sicherheit vermitteln

Gerade in den ersten Tagen und Wochen gehe es darum, ihnen Sicherheit zu vermitteln, sagt Helene Eißen-Daub, die sich ehrenamtlich um die Menschen im Kirchenasyl der Stephansstift-Gemeinde kümmert. „Ich gehe dann jeden Tag hin, nur um ihnen immer wieder zu sagen: You are safe.“ Darüber hinaus ist die pensionierte Pastorin Gesprächspartnerin, Seelsorgerin und Hauswirtschafterin, wenn es etwa gilt, die Wohnungen für einen Neueinzug herzurichten.

Die meisten Geflüchteten verfügten aber auch selbst über ein Netzwerk von Unterstützern, die sie besuchten, übersetzten oder für sie einkauften, erklärt Pastor Quittkat. Denn die Schutzsuchenden dürfen das Gelände der Kirchengemeinde nicht verlassen und erhalten auch keine Asylbewerberleistungen.

„All diese Dienste wären mit unserer Handvoll Ehrenamtlicher gar nicht zu leisten“, sagt Pastorin Kristina Wollnik-Hagen, zuständig für die Frauen im Kirchenasyl der Gemeinde. „Vor zehn Jahren hatten wir noch 30 Ehrenamtliche. Die mussten wir manchmal sogar bremsen, damit die Geflüchteten auch mal für sich sein konnten.“

Zunahme der Kirchenasyl-Zahlen

Die Zahl der Kirchenasyle hat in den Jahren nach der Corona-Pandemie deutlich zugenommen. Knapp 2.400 Fälle bundesweit zählte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im vergangenen Jahr. Zwei Jahre zuvor waren es halb so viele, 2017 und 2018 jeweils etwa 1.500. In der Regel werden die Geflüchteten mit dem Kirchenasyl vor der Abschiebung in das EU-Ersteinreiseland bewahrt. Nach sechs Monaten läuft die Rücküberstellungsfrist ab und Deutschland übernimmt das Asylverfahren. Dann verlassen die Menschen das Kirchenasyl.

Laut einer Vereinbarung zwischen Staat und Kirchen soll Kirchenasyl nur in besonderen Härtefällen gewährt werden. Diese werden in Form von Dossiers dem BAMF zur Prüfung vorgelegt. Welcher Fall ein Härtefall ist, darüber sind sich Politik und Behörden einerseits und die Kirche andererseits allerdings zunehmend uneinig.

Das Kirchenasyl ist seit Monaten unter Druck. Laut Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende der ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, gab es 2024 bundesweit etwa zehn kritische Situationen, in denen Behörden ein Kirchenasyl vorzeitig beendet oder eine Räumung versucht haben. Diese Aktionen wurden meist von öffentlichen Protesten begleitet.

Ehrenamtliche durch Räumungsversuche verunsichert

Solche Aktionen führten dazu, dass Gemeinden sich zurückziehen, sagt Pastorin Uta Giesel von der Matthäusgemeinde in Hildesheim, die schon seit vielen Jahren Kirchenasyl gewährt. Die ohnehin schon weniger werdenden Ehrenamtlichen würden verunsichert.

Einige Gemeinden öffnen sich für lokale Vereine und Initiativen und können dadurch auf einen größeren Pool an Helfenden zurückgreifen. So auch die Bremer Neustadt-Gemeinde: Dort bieten etwa der Flüchtlingsrat und die „Omas gegen rechts“ Cafés, Sprachkurse oder eine Fahrradwerkstatt an, erzählt Pastor Thomas Lieberum.

Für die Haupt- und Ehrenamtlichen vor Ort sind Zweifel und Kritik am Kirchenasyl oft schwer nachvollziehbar. Sie sind immer wieder mit den Berichten der Schutzsuchenden über die schlechte Behandlung in einigen Ländern wie Kroatien, Bulgarien, Rumänien, aber auch Litauen oder Polen konfrontiert.

Vier Monate im Kirchenasyl

Die Menschen lebten auf der Straße, hungerten, würden mit Gewalt in Nicht-EU-Staaten zurückgedrängt und Frauen seien sexualisierter Gewalt ausgesetzt, zählt Quittkat auf. „Das ist doch nicht humanitär und hat mit der UN-Menschenrechtscharta oder der Genfer Flüchtlingskonvention nichts zu tun“, empört sich der Pastor.

Auch Asad (Name geändert) war einst im Kirchenasyl. Der 22-jährige Kurde war als politisch Verfolgter aus der Türkei geflohen. Vier Monate habe er im Kirchenasyl verbracht. Albträume hätten ihn gequält, tagsüber sei es oft langweilig gewesen. „Aber ich habe viele nette Menschen und meinen besten Freund in der Kirche kennengelernt“, erzählt er. „Er hat mich fast jeden Tag besucht, wir haben gegrillt oder Schach gespielt. Ich bin ihm sehr dankbar.“

Heute hat Asad einen festen Job bei einer Metallbaufirma. Die Unsicherheit über seine Zukunft ist jedoch geblieben. „Vor zwei Monaten hatte ich mein Interview für den Asylantrag. Ich hoffe, dass ich in Deutschland bleiben darf.“

Martina Schwager


Behinderung

Klinikverband wirbt für "Zentren für Inklusive Medizin"



Berlin (epd). Der Deutsche Evangelische Krankenhausverbandes (DEKV) hat sich anlässlich des dritten Global Disability Summit 2025 in Berlin dafür ausgesprochen, mit speziellen Hilfen die Versorgungsgerechtigkeit für Menschen mit Behinderung entscheidend zu verbessern. Man könne dazu einen Impuls setzen, indem „Zentren für Inklusive Medizin“ geschaffen würden, heißt es in einer Mitteilung.

„Menschen mit intellektueller oder komplexer Beeinträchtigung haben ein bis zu 20 Prozent höheres Risiko, früher zu versterben. Der Grund sind Erkrankungen, die vermeidbar wären, wenn sie richtig diagnostiziert und behandelt würden. Das ist eine massive Benachteiligung“, sagte Vorsitzender Christoph Radbruch.

Für Behandlung fehlen passende Leitlinien

Mit mehr zielgruppenspezifischem Wissen und Erfahrung könne diese Gerechtigkeitslücke in der stationären Versorgung für Menschen mit Behinderung geschlossen werden. „Doch dieses patientenspezifische Wissen wird noch zu wenig im Medizinstudium und der Facharztweiterbildung vermittelt“, monierte Radbruch: „Für die Behandlung vor Ort fehlen evidenzbasierte Behandlungsleitlinien.“

Die vorgeschlagenen Zentren beschrieb er als Kompetenzzentren mit einer ausgewiesenen medizinischen und pflegerischen Expertise in der stationären Versorgung von Menschen mit intellektueller oder komplexer Beeinträchtigung. Ein solcher Leuchtturm der Versorgung ist laut Radbruch beispielsweise das Evangelische Krankenhaus Bethel und Mara in Bielefeld.

Zentren fördern den nötigen Wissenstransfer

Durch Aus-, Fort- und Weiterbildung würden diese Zentren dafür sorgen, dass das Wissen zu den besonderen medizinischen Bedarfen von Menschen mit Behinderung beim Fachpersonal in der Regelversorgung eine größere Verbreitung findet. Durch Forschung und Wissenschaft werden evidenzbasierte Behandlungsleitlinien und Lehrmaterialien entstehen, auf die Ärztinnen und Ärzte in der Regelversorgung zurückgreifen können.

Zusammen mit Praxisvertreterinnen aus den evangelischen Krankenhäusern hat der DEKV eine Konzeption für Zentren für Inklusive Medizin entwickelt, die sich an der Zentrums-Regelung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nach § 136 c Abs. 5 SGB V orientiert. Sie legt Qualitätskriterien an die medizinische und die pflegerische Versorgung fest und beschreibt besondere Aufgaben, die von einem Zentrum übernommen werden können, wie zum Beispiel die Beratung von Krankenhäusern der Regelversorgung zur Versorgung entsprechender Patientinnen und Patienten.

Das Besondere im Vergleich zu den bestehenden G-BA-Zentren, beispielsweise den Herz- oder Krebszentren, ist, dass Zentren für Inklusive Medizin nicht auf die Behandlung einer einzelnen Erkrankungsgruppe ausgerichtet sind. Die Aufgabe des Zentrums liegt in der Expertise zu behinderungsspezifischen Bedarfen bei der Versorgung einer Vielzahl von Erkrankungen aus unterschiedlichen medizinischen Fachrichtungen.

Dirk Baas


Digitalisierung

Studie: Roboter verbessert Gesundheit von Pflegebedürftigen




Assistenzroboter in einem Pflegeheim
epd-bild/Jens Schulze
Ein Forschungsprojekt hat den Einsatz von Robotern in Pflegeheimen untersucht. Ergebnis: Sie steigern das Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner. Mit den Ergebnissen lassen sich die technischen Helfer weiter verbessern.

Kiel, Lübeck (epd). Der Einsatz von humanoiden Robotern in Pflegeheimen kann die mentale und körperliche Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohnern verbessern. Das ist ein Ergebnis des Pilotprojekts „Robust“, bei dem Erfahrungen mit Roboter Charlie in zwei vollstationären Pflegeeinrichtungen der Diakonie in Schleswig-Holstein und zwei Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen über drei Jahre wissenschaftlich begleitet und ausgewertet wurden. Am Projekt waren auch der Verband der Ersatzkassen (vdek), die Fachhochschule (FH) Kiel sowie die Gesellschaft für digitalisierte und nachhaltige Zusammenarbeit Siegen (DNZ) beteiligt, wie die FH am 9. April mitteilte.

Dreimal pro Woche sei der Roboter in das Angebot der jeweiligen Pflegeeinrichtung integriert worden, hieß es. „Unsere Seniorinnen und Senioren waren von Charlie schnell begeistert. Sie empfinden ihn als Bereicherung und machen bei den Bewegungsübungen, zu denen Charlie sie motiviert, ebenso gerne mit wie bei der Beantwortung von Quizfragen“, berichtete Jutta Tandler, Projektverantwortliche im Pflegezentrum Travetal der Diakonie Nord Nord Ost in Lübeck.

Bewegung am meisten gefragt

Die meistgenutzte App war diejenige mit Bewegungsübungen, gefolgt von der Jukebox mit über 100 Schlagern sowie klassischer Musik und der Quiz-App. „Mit den Erfahrungswerten aus der Pflegeeinrichtung konnten wir die Robotik-Apps kontinuierlich weiterentwickeln und das Angebotsspektrum des Roboters verbessern“, sagte Projektleiter Jens Lüssem.

Mögliche gesundheitsförderliche Aspekte bei den Bewohnenden seien über acht Wochen untersucht worden. Das Ergebnis: Der Einsatz von Charlie und anderen Robotern habe nachweislich das Wohlbefinden bei den Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeeinrichtungen gesteigert. „Sie hatten Spaß an dem Roboter, bewegten sich mehr und fühlten sich weniger einsam“, sagte Gaby Lenz, Professorin für Soziale Arbeit an der FH Kiel.

Auch Doreen Boniakowsky, Geschäftsbereichsleitung Pflege der Diakonie Nord Nord Ost, bewertet das Projekt als Erfolg: „In unserem Pflegezentrum Travetal ist Roboter Charlie mittlerweile fester Bestandteil der Wochenplanung.“ Es sei geplant, Charlie auch in den vier weiteren Lübecker Pflegeeinrichtungen einzusetzen. Während der Pilotphase habe die Diakonie Nord Nord Ost bereits Spendengelder in Höhe von 20.000 Euro gesammelt, um sich einen eigenen Roboter anzuschaffen.

Zum Abschluss des Projekts gebe es für interessierte Pflegeeinrichtungen eine Handreichung, in der alle Beteiligten die Erkenntnisse aus dem Projekt „Robust“ (Robotik-basierte Unterstützung von Prävention und Gesundheitsförderung in stationären Pflegeeinrichtungen) veröffentlichen. Der vollständige Abschlussbericht soll zeitnah online veröffentlicht werden.




sozial-Recht

Bundessozialgericht

Vollstationäre Behandlung auch außerhalb der Klinik




Intensivbehandlung im Krankenhaus
epd-bild/Steffen Schellhorn
Patienten müssen für eine vollstationäre Therapie nicht zwingend den ganzen Tag in der Klinik sein. Ein Krankenhaus könne eine vollstationäre Vergütung verlangen, wenn ein psychisch Kranker auswärtige Belastungserprobungen durchführt, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Krankenhäuser verdienen vor allem mit der vollstationären Behandlung von Patienten ihr Geld. Für solch eine vollstationäre Behandlung müssen Patienten aber nicht zwingend die ganze Zeit in einem Krankenhaus bleiben, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am 3. April. Gehöre es bei psychisch kranken Patienten zur Therapie, dass sie zeitweise außerhalb der Klinik ihre Belastung im Alltag erproben sollen, darf die gesetzliche Krankenkasse deshalb nicht die Vergütung für eine vollstationäre Behandlung verweigern, so die Kasseler Richter.

Erprobungen im Alltag

Die Klägerin, die Trägerin der Heinrich Sengelmann Kliniken in Bargfeld-Stegen im Landkreis Stormarn, hatte von der Hanseatischen Krankenkassen die Vergütung für eine vollstationär aufgenommene Borderline-Patienten verlangt. Die Frau wurde wegen ihrer schweren Persönlichkeitsstörung für 72 Tage stationär aufgenommen. Zur Therapie ihrer Erkrankung gehörte auch eine sogenannte Belastungserprobung. Dabei sollte die Patientin in der Klinik erlernte Techniken, wie sie mit ihrer Störung im Alltag umgehen kann, außerhalb des Krankenhauses anwenden. Solche Belastungserprobungen werden auch bei anderen Krankheitsbildern angewandt, etwa bei Schizophrenie oder Depressionen.

Die Krankenkasse wollte die Krankenhausrechnung von zuletzt 22.026 Euro nicht bezahlen. Es habe keine vollstationäre Behandlung vorgelegen, da die Patientin sich an 35 Tagen außerhalb der Klinik aufgehalten habe. Die Therapie hätte allenfalls teilstationär durchgeführt werden können, wobei sich die Frau an Wochenenden zu Hause aufhalten könne. Zudem basiere das angewandte Behandlungskonzept der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) auf ambulanten Behandlungen.

Der Krankenhausträger wies darauf hin, dass die Belastungserprobung Teil des vollstationären Klinikaufenthaltes gewesen sei. Die Patientin habe in der Klinik übernachtet. Während der Erprobung, die in der Regel nachmittags stattfand, sei sie engmaschig therapeutisch begleitet worden. So habe sie jederzeit in das Krankenhaus zurückkehren oder die Therapeuten anrufen können.

Voraussetzungen müssen gegeben sein

Das BSG urteilte, dass die Versicherte in der Klinik im Rahmen eines multimodalen und multiprofessionellen Therapieansatzes vollstationär behandelt worden sei. Für eine vollstationäre Behandlung müsse ein Patient nicht die ganze Zeit in der Klinik sein. Gehöre es zum Therapieplan - wie hier die Belastungserprobung -, dass ein Teil der medizinisch erforderlichen Behandlung auch außerhalb der Klinik stattfinde, müsse dies möglich sein.

Voraussetzung sei, dass eine „enge räumliche und funktionelle Anbindung an das Krankenhaus während der gesamten Behandlung durchgehend erhalten bleibt“. Der Behandlungsplan müsse einen stetigen Wechsel von Behandlungen im Krankenhaus und engmaschig therapeutisch begleiteten auswärtigen Belastungserprobungen vorsehen. Die Rückkehr in das Krankenhaus müsse jederzeit möglich sein. Auch müsse ein Klinikbett freigehalten werden. All dies habe hier vorgelegen, so das BSG.

Behandlungsintensität ist entscheidend

Am 30. August 2023 urteilten die obersten Sozialrichter, dass Krankenhäuser auch eine 60-minütige Notfallbehandlung als ganzen vollstationären Behandlungstag abrechnen können. Voraussetzung hierfür sei, dass während der kurzen stationären Notfallbehandlung die Klinikmittel intensiv genutzt werden, die ambulant regelmäßig nicht in gleicher Weise verfügbar sind.

Im Streitfall sprach das BSG den Kreiskliniken Gummersbach-Waldbröl 1.086 Euro als Vergütung für einen vollstationären Behandlungstag zu. Das Krankenhaus hatte einen Patienten mit Schlaganfallverdacht notfallmäßig aufgenommen und in der Schlaganfallstation umfassend mit einer Computertomografie und einem EKG untersucht und ihn medikamentös behandelt. Nach 60 Minuten wurde er in ein anderes Krankenhaus verlegt.

Der Vergütungsanspruch für eine vollstationäre Behandlung bestehe, wenn mit hoher Intensität die besonderen personellen und sachlichen Mittel im erstaufnehmenden Krankenhaus genutzt wurden, erklärte das BSG. Davon sei bei der Behandlung in einem Schockraum oder auf einer Schlaganfallstation regelmäßig auszugehen.

Die Kasseler Richter hatten bereits am 19. September 2013 ebenfalls geurteilt, dass eine vollstationäre Behandlung auch dann vorliegen könne, wenn ein Patient sich weniger als 24 Stunden im Krankenhaus aufgehalten hat. Eine solche Mindestaufenthaltsdauer lasse sich weder dem Gesetz noch der bisherigen Rechtsprechung entnehmen.

Az.: B 1 KR 31/23 R (Bundessozialgericht zur Belastungserprobung)

Az.: B 1 KR 15/22 R (Bundessozialgericht zur Notfallbehandlung)

Az.: B 3 KR 34/12 R (Bundessozialgericht zur Mindestaufenthaltsdauer)

Frank Leth


Bundessozialgericht

Regelung zur Notfallversorgung in Krankenhäusern gekippt



Kassel (epd). Eine Regelung, wonach bestimmte Krankenhäuser einen Abschlag von 60 Euro auf ihre Rechnungen hinnehmen müssen, muss nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 2. April überarbeitet werden. Die Kasseler Richter erklärten eine entsprechende Regelung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen als nichtig, so dass betroffene Krankenhäuser unter Umständen Nachforderungen bei den Krankenkassen stellen können.

Anlass des Rechtsstreits ist eine Ergänzung des Sozialgesetzbuchs V aus dem Jahr 2016, die ein gestuftes System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern vorsieht. Der G-BA hatte dies 2018 umgesetzt. Dessen Regelungen sehen in drei Stufen eine Basis-, eine erweiterte und eine umfassende Notfallversorgung sowie eine „spezielle Notfallversorgung“ vor. Der erhöhte Aufwand der Notfallversorgung wird mit Zuschlägen belohnt. Krankenhäuser, die keinem dieser Bereiche zugeordnet werden können, nehmen aus Sicht des Gesetzgebers automatisch nicht an der Notfallversorgung teil. Seit 2019 müssen diese pro Klinikrechnung einen Abschlag von 60 Euro vornehmen.

Grundsätzlich richtig, aber zu pauschal

Diese pauschale Regelung erklärte das BSG nun für nichtig. Grundsätzlich allerdings sei es rechtmäßig, dass Kliniken mehr Geld für die Notfallversorgung erhalten können. Die Grundstrukturen der Notfallversorgung könnten also überwiegend bestehen bleiben. Die Voraussetzungen, wann ein Krankenhaus als nicht an der Notfallversorgung teilnehmende Einrichtung gilt, müsse der G-BA noch einmal festlegen.

Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft sind bundesweit rund 335 Krankenhäuser von den Abschlägen betroffen. Zahlreiche Krankenhäuser haben gegen das System der Notfallstrukturen geklagt, darunter im entschiedenen Fall auch eine Münchener Augenklinik, die nicht der Notfallversorgung zugeordnet wurde.

Inwieweit nun die betroffenen Krankenhäuser bei den Krankenkassen Nachforderungen für gezahlte Rechnungsabschläge geltend machen können, ist nicht ganz sicher. Kliniken müssten jede einzelne Rechnung prüfen, Abschläge dann einzeln nachfordern und gegebenenfalls auch Verjährungsfristen sowie die Richtigkeit der Rechnung berücksichtigen.

Az.: B 1 KR 25/23 R



Bundesarbeitsgericht

Erst Attest bestätigt sicher Schwangerschaft



Erfurt (epd). Eine Arbeitnehmerin ist arbeitsrechtlich erst dann gesichert schwanger, wenn ein ärztliches Attest vorliegt. Ein selbst durchgeführter positiver Schwangerschaftstest sei als Nachweis der Schwangerschaft nicht ausreichend, urteilte das Bundesarbeitsgericht am 3. April. Wurde die Schwangerschaft erst nach der Frist zur Einreichung einer Kündigungsschutzklage ärztlich bestätigt, begründet dies allerdings die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage, urteilten die Erfurter Richter.

Schwangere Arbeitnehmerinnen genießen nach deutschem und EU-Recht Kündigungsschutz. Wird ihnen dennoch gekündigt, haben sie nach dem Kündigungsschutzgesetz regelmäßig drei Wochen nach Zugang der Kündigung Zeit, Kündigungsschutzklage zu erheben.

Frist zur Kündigungsschutzklage verpasst

Im entschiedenen Fall ging es um eine in einer Arztpraxis angestellte Behandlungsassistentin. Als die Frau am 14. Mai 2022 ihre Kündigung erhalten hatte, wies sie nach 15 Tagen ihre Arbeitgeberin auf einen selbst durchgeführten positiven Schwangerschaftstest hin. Einen Termin beim Frauenarzt erhielt die Beschäftigte erst am 17. Juni 2022. Damit hatte sie die übliche Dreiwochenfrist zur Einreichung einer Kündigungsschutzklage verpasst.

Sowohl das Sächsische Landesarbeitsgericht als auch das BAG urteilten, dass die Frau die nachträgliche Klagezulassung verlangen könne. Eine gesicherte Kenntnis der Schwangerschaft sei erst mit Vorliegen des ärztlichen Zeugnisses der Fall gewesen. Auf diese Kenntnis komme es für die Einreichung einer Kündigungsschutzklage an. Im Attest wurde der Klägerin bescheinigt, dass sie bereits bei Zugang der Kündigung schwanger war.

Az.: 2 AZR 156/24



Bundesarbeitsgericht

Kein Schadensersatz wegen zu später Daten-Auskunft



Erfurt (epd). Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können allein wegen verspäteter Auskunft über ihre beim Arbeitgeber gespeicherten Daten noch keine Entschädigung verlangen. Nur die Befürchtung, der Arbeitgeber könne die Daten missbrauchen, reiche für einen Entschädigungsanspruch nicht aus, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 7. April veröffentlichten Urteil.

Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) müssen datenverarbeitende Stellen, also auch Arbeitgeber, Betroffenen Auskunft über ihre gespeicherten Daten geben. Dies soll „unverzüglich“ geschehen, spätestens innerhalb eines Monats.

Auskunftsbegehren nach sechs Jahren

In dem entschiedenen Rechtsstreit hatte ein im Jahr 2016 beschäftigter Kundendienstmitarbeiter eines Immobilienunternehmens im Oktober 2022 Auskunft über seine noch gespeicherten Daten verlangt. Der frühere Arbeitgeber kam dem zu spät und unvollständig nach. Erst im Dezember 2022 wurde die Auskunft vollständig erteilt. Der ehemalige Mitarbeiter verlangte daraufhin Schadensersatz nach der DSGVO. Die zu späte Auskunft habe zu einem Kontrollverlust über seine beim Arbeitgeber gespeicherten Daten geführt. Er habe befürchtet, dass der Arbeitgeber mit den Daten „Schindluder“ betreiben könnte.

Das Arbeitsgericht Duisburg verurteilte den Arbeitgeber zu Schadensersatz in Höhe von 10.000 Euro. Sowohl das Landesarbeitsgericht Düsseldorf als auch jetzt das BAG lehnten den Schadensersatzanspruch hingegen ab.

Für Schadensersatz müsse ein Schaden eingetreten sein, erklärte das BAG. Zwar könne auch die begründete Befürchtung eines Datenverlusts, etwa bei einem Datenleck des Arbeitgebers, einen Schaden darstellen und zu einer Entschädigung führen. Das bloße Berufen auf ein negatives Gefühl wegen einer verspäteten Auskunft reiche aber nicht aus. Der Kläger müsse schon konkrete Hinweise dafür vorbringen, dass seine Daten missbräuchlich verwendet worden seien. Zudem habe der Arbeitgeber sechs Jahre lang die Daten des Klägers gespeichert, ohne Schindluder damit zu treiben.

Az: 8 AZR 62/24



Landgericht

Kein zweiwöchiger Vaterschaftsurlaub nach Geburt des Kindes



Berlin (epd). Väter können nach der Geburt ihres Kindes keinen zweiwöchigen bezahlten Vaterschaftsurlaub beanspruchen. Zwar sehe die sogenannte EU-Vereinbarkeitsrichtlinie unabhängig von der vorherigen Beschäftigungs- oder Betriebszugehörigkeitsdauer für Väter eine zweiwöchige bezahlte Freistellung nach der Geburt des Kinds vor, stellte das Landgericht Berlin II in einem am 1. April verkündeten Urteil fest. Die bestehenden Regelungen zur Elternzeit und zum Elterngeld seien aber ausreichend, damit die EU-Richtlinie in deutsches Recht als umgesetzt gilt.

Der Kläger hatte nach der Geburt seines Kinds Erholungsurlaub bei seinem Arbeitgeber genommen. Er vertrat allerdings die Auffassung, dass der Staat ihm stattdessen einen bezahlten zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub hätte gewähren müssen. Dies sehe die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie so vor. Deutschland habe dies nicht in nationales Recht umgesetzt, so dass ihm damit Schadensersatz zustehe. Die frühere Ampelkoalition hatte eigentlich geplant, ein entsprechendes Gesetz über den Vaterschaftsurlaub im Jahr 2025 zu verabschieden. Doch dazu kam es nach dem Bruch der Koalition nicht mehr.

Elternzeit und Elterngeld reichen aus

Im entschiedenen Rechtsstreit argumentierte der Bund, dass nach der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie keine Verpflichtung zur Einführung eines Vaterschaftsurlaubs bestehe, wenn Väter stattdessen Elternzeit und Elterngeld beanspruchen könnten. Schadensersatz müsse daher nicht gezahlt werden.

Dies bestätigte das Landgericht. Elterngeld und Elternzeit seien ausreichend, „um der Umsetzungspflicht in deutsches Recht nachzukommen“. Die EU-Richtlinie sehe vor, dass Regelungen zu Elternurlaub berücksichtigt werden könnten. Da Väter in Elternzeit gehen und Elterngeld beziehen könnten, sei die zusätzliche Einführung eines speziellen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaubs nicht erforderlich. Gegen das Urteil kann beim Kammergericht Berlin Berufung eingelegt werden.

Az.: 26 O 133/24



Sozialgericht

Therapiedreirad-Nutzung im Straßenverkehr auf eigene Verantwortung



Darmstadt (epd). Gehbehinderte Menschen müssen mit der Nutzung eines Therapiedreirads den Nahbereich ihrer Wohnung eigenverantwortlich erschließen können. Nur weil mit dem Hilfsmittel weitere Strecken zurückgelegt werden können, als ein gesunder Mensch zu Fuß geht, und mit der Nutzung Risiken im Straßenverkehr nicht ausgeschlossen werden können, dürfe ein Therapiedreirad nicht verwehrt werden, entschied das Sozialgericht Darmstadt in einem am 31. März veröffentlichten Urteil.

Bei dem Kläger besteht ein sogenanntes genetisches Syndrom FOXP1. Die Genmutation führt unter anderem zu einer starken Gehbehinderung, Muskelschwäche und psychosozialen Beeinträchtigungen mit autistischen Zügen. Im Alter von 15 Jahren hatte er bei seiner Krankenkasse die Versorgung mit einem Therapiedreirad beantragt. Mit dem 8.323 Euro teuren Rad könne er den knapp einen Kilometer langen Schulweg selbstständig bewältigen und infolge der erhöhten Mobilität leichter Kontakte zu Gleichaltrigen knüpfen.

Krankenkasse sah unkalkulierbares Risiko

Die Krankenkasse lehnte die Versorgung mit dem Hilfsmittel ab. Wenn der Kläger das Therapiedreirad unbeaufsichtigt nutze, bestehe im Straßenverkehr behinderungsbedingt ein „nicht kalkulierbares Risiko der Eigen- und Fremdgefährdung“. Die Krankenkasse sei nicht dafür da, das Fahrradfahren zu ermöglichen.

Das Sozialgericht urteilte hingegen, indem der Kläger mit dem Hilfsmittel den Nahbereich seiner Wohnung erschließen könne, werde seine Behinderung mittelbar ausgeglichen. Die Ausweitung seines Mobilitätsradius über den eines gesunden Fußgängers hinaus stehe seinem Anspruch auf ein Therapierad stehe nicht entgegen.

Gefährdungen bei der Nutzung des Therapiedreirads im Straßenverkehr seien regelmäßig hinzunehmen. Im vorliegenden Fall habe der Sachverständige die Nutzung im verkehrsberuhigten Bereich für möglich gehalten. „Der Kläger hat einen Anspruch darauf, in die Lage versetzt zu werden, sich einen Freiraum nach seinen Möglichkeiten und Vorstellungen eigenverantwortlich zu erschließen“, heißt es in dem Urteil.

Az.: S 25 KR 51/23




sozial-Köpfe

Gesundheit

Melanie Kanzler als Kuratoriumsvorsitzende wiedergewählt




Melanie Kanzler
epd-bild/Ev. Krankenhausverband/Tobias Koch
Die alte Vorsitzende des Kuratoriums für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen ist auch die neue. Melanie Kanzler will den Fokus auf die Perspektive benachteiligter Gruppen legen.

Berlin (epd). Melanie Kanzler bleibt Vorsitzende des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Das Kuratorium des Instituts wählte sie für eine Amtszeit bis 2027 wieder. Im Kuratorium vertritt Kanzler, die auch Verbandsdirektorin des Evangelischen Krankenhausverbands ist, die Evangelische Kirche in Deutschland.

Kanzler erklärte, besondere Bedeutung habe für sie eine zielgerichtete und maßvolle Qualitätssicherung. „Mehr Qualität und weniger Bürokratie muss unser Kompass sein“, sagte sie. „Die gesetzlichen Verfahren zur Qualitätssicherung sind unverzichtbar, weil sie den Blick für Verbesserungsmöglichkeiten bei Leistungserbringern und für die Weiterentwicklung des gesamten Gesundheitssystems schärfen.“ Laut Kanzler müsse die zentrale Frage lauten, wo eine Qualitätssicherung effektiv und effizient wirke.

„Solidarität immer mitdenken“

Besonders die Perspektive benachteiligter und verletzlicher Gruppen sei ihr ein Anliegen, sagte Kanzler weiter: „Solidarität heißt, diese Menschen immer mitzudenken. Es braucht den Mut, Menschenwürde nicht nur zu fordern, sondern konkret in der gesundheitlichen und sozialen Versorgung umzusetzen.“

Das IQTIG ist ein wissenschaftliches Institut, seine Kernaufgabe ist die gesetzlich verankerte Qualitätssicherung im Gesundheitswesen. Dazu berät es den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das Bundesgesundheitsministerium bei der Entwicklung und Anwendung von Verfahren, die die Qualität der medizinischen Versorgung messen und verbessern sollen.



Weitere Personalien



Elke Ronneberger ist mit einem Festgottesdienst in Berlin als neue Sozialvorständin des Bundesverbands der Diakonie eingeführt worden. Sie übt das Amt bereits seit Jahresanfang aus und gehörte davor zur Geschäftsführung des Diakoniewerks Kloster Dobbertin. Ronneberger kündigte an, bei ihrer Arbeit einen Fokus auf das Thema Wohnen legen zu wollen. „Bezahlbarer Wohnraum ist eine der zentralen sozialen Fragen unserer Zeit“, erklärte sie. Vor allem für Menschen und Familien mit geringen Einkommen müsse sozialer und ökologisch verträglicher Wohnraum geschaffen werden „Mieten dürfen nicht mehr als 30 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens kosten.“

Markus Schmidt hat sein Amt als neuer Rektor der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld angetreten. Der Sozialwissenschaftler folgt auf Hilke Bertelsmann. Die Gesundheitswissenschaftlerin, die mehr als zehn Jahre Rektorin lang der FH war, wechselt wieder in die Lehre und leitet den neuen Bachelorstudiengang „Notfallsanitäter/in“. Schmidt ist seit Oktober 2020 als Professor für Praktische Theologie und Diakoniewissenschaft an der FH Diakonie tätig. „Gemeinsam mit den Mitarbeitenden möchte ich Lehr- und Lernkonzepte weiterentwickeln, um die Studierenden bestmöglich auf ihren Berufseinstieg vorzubereiten“, kündigte der neue Rektor an. Derzeit baut Schmidt den neuen Masterstudiengang „Diakonik - Interprofessionelle Leitung, organisationale Bildung, diakonische Profilentwicklung“ mit auf.

Christian Nicolay (55) ist neuer Direktor des Caritasverbands Trier. Der Bankkaufmann und Betriebswirt folgt auf Bernd Kettern, der sich nach 30 Jahren Tätigkeit für die Trierer Caritas in den Ruhestand verabschiedet hat. Nicolay war zuvor Direktor der Hypovereinsbank/UniCredit Bank in München.

Christian Frank (45) wird im Oktober neues Vorstandsmitglied der St. Franziskus-Stiftung Münster. Das Kuratorium der konfessionellen Krankenhausgruppe berief ihn für den Bereich Finanzen. Frank kommt vom privaten Gesundheitskonzern Sana, wo er Geschäftsführer einer Klinik mit zwei Standorten in Lübeck war. Davor war der Betriebswirtschaftler bei einer Hamburger Klinik in der Geschäftsführung und bei einer Unternehmensberatung tätig. Die St. Franziskus-Stiftung ist Träger von derzeit 14 Krankenhäusern und 10 Behinderten- und Senioreneinrichtungen in Nordrhein-Westfalen und Bremen. Sie beschäftigt mehr als 15.000 Menschen.

Christian Heyn ist seit Monatsbeginn Geschäftsführer des Bereichs „Wohnen und Pflegen“ des Agaplesion-Konzerns. Er verantwortet diesen Bereich gemeinsam mit Alexander Dettmann. Heyn ist studierter Gesundheitsökonom und arbeitet seit 2015 für Agaplesion, wo er ab 2019 den Zentralen Dienst Finanzen und Steuern leitete. Zuvor arbeitete er bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers.

Andreas Meindl (45) hat zu Anfang April seine neue Funktion als Co-Geschäftsführer des Caritasverbands im Erzbistum Hamburg angetreten. Er leitet den Diözesancaritasverband gemeinsam mit Matthias Timmermann und folgt auf Beate Jussen. Meindl ist Diplm-Sozialpädagoge und arbeitet seit 2006 bei der Caritas. 2018 wurde er Leiter der Region Rostock. Der Caritasverband Hamburg betreibt rund 190 Beratungs- und Hilfsstellen, Pflegeheime, Pflegedienste und Kliniken. Mehr als 2.000 Beschäftigte arbeiten für ihn.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Juni



Mai

5.-12.5.:

Online-Seminar „Ausgliederung und Umstrukturierung beim Verein“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 01577/7692794

5.5.-30.6.:

Online-Kursreihe „Führung auf Distanz - Verteilte Teams mit agilen und digitalen Werkzeugen führen“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

6.5. Stuttgart:

Seminar „Arbeitsrecht für Führungskräfte und Personaler. Der Zyklus eines Arbeitsverhältnisses - aus Sicht der Personalabteilung“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-548

6.5.:

Online-Kurs „Führen in Teilzeit - geteilte Führung. Vorteile und Nutzen einer neuen Art zu führen“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-16

8.-15.5.:

Online-Grundkurs „Digitale Öffentlickeitsarbeit und Social-Media für soziale Einrichtungen“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 01577/7692794

11.-13.5. Berlin:

Zertifizierter Kurs „Selbstmanagement mit dem Zürcher Ressourcen-Modell“

der Akademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/2883106

12.5.-30.6.:

Online-Kurs „Rechtliche Beratung in der Wohnungslosenhilfe“

der Akademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 0172/2883106

14.-16.5. Augsburg:

Podium Altenhilfe: „Vielfalt des Älterwerdens - Gestaltungsaufgaben der Altenhilfe“

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-419

16.5.:

Online-Fachaustausch „Umsetzung von Housing First in deutschen Kommunen“

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-606

21.-22.5.:

Online-Schulung „Jahresgespräche mit Mitarbeitenden führen - wirkungsvolle Methoden und Gelingensfaktoren“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-23

22.5.:

Online-Fortbildung „Krisenprävention durch Früherkennung - Weg zur stabilen Unternehmensführung“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

Juni

2.-3.6. Hannover:

Fachtagung „Aktuelle Fragen des Bürgergeldes, der Grundsicherung für Arbeitssuchende“

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-606

3.-5.6.:

Online-Seminar „Fehlzeiten - Urlaub, Krankheit und Abwesenheitszeiten im Arbeitsrecht“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200 1700

4.-5.6.:

Online-Seminar „Aktuelle Entwicklungen in der europäischen Sozialpolitik“

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980 424