sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

der Gefängnisladen in Castrop-Rauxel im Ruhrgebiet ist bundesweit eine Ausnahmeerscheinung. Das Geschäft mit von Häftlingen hergestellten Produkten ergänzt den Onlinehandel unter knastladen.de, den es bereits seit mehr als einem Jahrzehnt gibt. Die handgemachten Waren sind begehrt, doch viel Geld verdienen die Gefangenen damit nicht. Ziel ist etwas ganz anderes.

Die Behindertenhilfe hat zunehmend Probleme, Mitarbeitende zu finden. Längst ist auch die Suche nach Hilfskräften zur Geduldsfrage geworden. „Der Einsatz von Fremdpersonal ist an vielen Stellen fast schon normal“, stellt Sabine Ulrich, Pastorin und Geschäftsführerin der Rotenburger Werke, fest. Das hat gravierende Folgen: „Der Rechtsanspruch auf selbstbestimmte Teilhabe ist nicht zu verwirklichen, wenn das Personal nicht verfügbar ist beziehungsweise nicht gewonnen werden kann“, sagt Hubert Vornholt, Vorstand des Bundesverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie.

Die befürchteten Kürzungen des Bundes im Sozialen bleiben wohl aus. Doch die Lage der diakonischen Träger bleibe angespannt, sagt die Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, Annette Noller, im Interview mit dem epd. Sie rechne jedoch 2024 nicht mit Insolvenzen bei ihren Mitgliedern. Ihre Organisation habe ein „sehr gut aufgestelltes Risikomanagement“, so die Vertreterin von 1.400 Einrichtungen und Diensten in Württemberg.

Hebammen, die bei schweren Komplikationen bei der Geburt zu spät den Rettungswagen alarmieren, machen sich strafbar. Denn: Stirbt das Kind bei einer „natürlichen Hausgeburt“ nach Einsetzen der Wehen, kann nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofes ein strafbarer Totschlag durch Unterlassen vorliegen.

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Ihr Dirk Baas




sozial-Politik

Bundesregierung

Union fordert Tempo und Transparenz beim Klimageld




Das Klimageld für höhere Heiz- und Energiekosten lässt auf sich warten.
epd-bild/Anke Bingel
Der CO2-Preis steigt, die Einnahmen des Staates aus der CO2-Bepreisung steigen auch, aber das versprochene Klimageld zur finanziellen Entlastung der Privathaushalte lässt weiter auf sich warten. Opposition und Experten dringen auf Zusagen.

Berlin (epd). Nach der Anhebung des CO2-Preises zum Jahresbeginn fordert die Union von der Ampel-Koalition eine finanzielle Entlastung der privaten Haushalte. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Andreas Jung sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin, die Regierung müsse Transparenz über die Verwendung der Einnahmen herstellen und unverzüglich einen Plan vorlegen, wie sie an die Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden sollten. Der klimapolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Olaf in der Beek, kündigte das von der Koalition versprochene Klimageld für 2025 an. Das Umweltbundesamt legte am Donnerstag neue Zahlen zu den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung vor.

Jung, der klimapolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag ist, kritisierte: „Die Ampel dreht am CO2-Preis, hat dabei aber eine soziale Unwucht.“ Er forderte, die zusätzlichen Einnahmen für den Bund von etwa vier Milliarden Euro dürften nicht im Haushalt versickern: „Entscheidend dafür ist allein der politische Wille, nicht die technische Infrastruktur“, sagte Jung mit Blick auf praktische Probleme, die nach Angaben der Bundesregierung die Auszahlung eines Klimageldes derzeit noch nicht erlauben.

„Vertrauen der Bürger wird verspielt“

Die Rückgabe staatlicher Einnahmen an die Bürger könne „auch über die Senkung der Stromnebenkosten wie etwa der Netzentgelte erfolgen“, sagte Jung. „Mit den aktuellen Plänen verspielen SPD, FDP und Grüne Vertrauen in das wichtige Instrument der CO2-Bepreisung“, kritisierte der CDU-Politiker. Die Ampel verspreche „in Sonntagsreden das Klimageld und verplant die Mittel dafür dann über Jahre hinweg anderweitig.“

Die CO2-Bepreisung soll dazu beitragen, den Ausstoß des klimaschädlichen Gases zu verringern. Sie verteuert Öl, Gas, Benzin und Diesel und ist zum Jahresbeginn von 30 Euro pro Tonne ausgestoßenem Gas auf 45 Euro gestiegen und damit stärker, als die Ampel-Koalition angesichts der hohen Energiepreise geplant hatte. Der Bundestag hatte die Erhöhung Mitte Dezember vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils beschlossen. Infolge des Richterspruchs fehlen dem Bund Milliardenbeträge für Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele.

Der FDP-Politiker in der Beek, versicherte: „2025 wird das Klimageld gezahlt werden“. Über die Mittel müsse „ohne Wenn und Aber“ Ende dieses Jahres entschieden werden, sagte er dem epd. Es sei ein Problem, dass Deutschland technisch immer noch nicht in der Lage sei, ein Klimageld auszuzahlen. „Es ist gut, dass das Finanzministerium unter Christian Lindner (FDP) einen solchen Mechanismus nun auf den Weg bringt.“ Der FDP-Klimaexperte räumte ein, dass die verzögerte Auszahlung des versprochenen Klimageldes die Akzeptanz der CO2-Bepreisung schwächen könnte: „Leider ist das so“, sagte er.

FDP: Rückzahlungen an Preise binden

Ein fester CO2-Preis entfalte zudem aus Sicht der FDP keine ausreichende Lenkungswirkung. Seine Partei trete dafür ein, den Emissionshandel - also den Handel mit Verschmutzungszertifikaten - schneller auszuweiten, was zu stärkeren Preissprüngen bei fossiler Energie führen würde. Die Rückzahlungen an die Bürger müssten prozentual an die Preise gebunden werden: „Dann weiß ein Klimaminister auch, wie viel er für das Klimageld zurücklegen muss.“

SPD, Grüne und FDP hatten das Klimageld im Koalitionsvertrag 2021 vereinbart. Der Verbraucherzentrale Bundesverband hat kürzlich errechnet, dass der Bund seit der Einführung des CO2-Preises 2021 rund 11,4 Milliarden Euro eingenommen hat. Das entspreche einer Einmalzahlung von 139 Euro pro Kopf.

Unterdessen legte das Umweltbundesamt am Donnerstag neue Zahlen über die Einnahmen aus der Bepreisung von fossilen Energieträgern vor. Danach sind 2023 rund 18 Milliarden Euro an den Bund geflossen. Der Deutschen Emissionshandelsstelle zufolge, die beim Umweltbundesamt angesiedelt ist, sind das 40 Prozent mehr als 2022. Das Geld fließt in den Klima- und Transformationsfonds, aus dem auch das Klimageld finanziert werden soll.

Bettina Markmeyer


Strafvollzug

Shopping bei "Santa Fu" und "knastladen.de"




Ein von einem Strafgefangenen hergestelltes Vogelhäuschen
epd-bild/Simone Hryzyk/AWO Bremerhaven
In vielen Justizvollzugsanstalten stellen Häftlinge Waren her, die auch außerhalb der Gefängnismauern begehrt sind. Viel Geld verdienen die Insassen damit indes nicht. Ziel ist etwas ganz anderes.

Frankfurt a. M. (epd). Lönsstraße 16 mitten in Castrop-Rauxel - auf den ersten Blick eine Innenstadtadresse wie jede andere. Doch der Laden, der unter dieser Anschrift firmiert, ist nicht wie jeder andere: „Knastladen“ heißt er und der Name ist Programm. Die Produkte hier stammen aus mehr als 20 Justizvollzugsanstalten (JVA) des Landes Nordrhein-Westfalen. Gefertigt haben sie Häftlinge wie Toni Most (Name geändert), der wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung einsitzt.

Umfangreiches Angebot

„Wir stellen viele Sachen her, die nicht nur für die JVA gedacht sind, sondern wir verkaufen die auch über unseren Knastladen“, erzählt Most dem Evangelischen Pressedienst (epd) und zählt auf: Tische und Tischplatten aus massivem Holz, Kerzenhalter in verschiedenen Formen und Größen. „Zurzeit stellen wir einen Futtertrog für Wildschweine her.“ Das Angebot sei sehr umfangreich. „Da wird’s einem nicht langweilig“, sagt Most, der in einer Gefängnisschreinerei arbeitet.

Vor gut zwei Jahren eröffnete der Knastladen in der Castroper Innenstadt. Nils Radtke, Sprecher der nordrhein-westfälischen Vollzugsdirektion, sagt dem epd: „Die Möglichkeit, dort Artikel anzuschauen und anzufassen, wird gerne angenommen.“ Es gebe dort „viele schöne, selbst gefertigte und praktische Artikel wie beispielsweise Schmuck, Handtaschen, Vogelhäuser und Nistkästen“.

Der Gefängnisladen in Castrop-Rauxel ist bundesweit eine Ausnahmeerscheinung. Das stationäre Geschäft ergänzt den Onlinehandel unter knastladen.de, den es bereits seit mehr als einem Jahrzehnt gibt. Und es existieren noch eine ganze Reihe anderer Onlineshops mit Waren, die Häftlinge herstellen: Unter jailers.de, haftsache.de, gitterladen.de, santa-fu.de oder unter jva-shop.de können Kundinnen und Kunden fündig werden. Vorreiter bei im Knast gefertigten schönen und nützlichen Dingen war Niedersachsen, wo laut Landesjustizministerium bereits im Jahr 2001 der bundesweit erste Online-JVA-Shop eingerichtet wurde.

Kochbuch „Huhn in Handschellen“

Auf santa-fu.de etwa, benannt nach der legendären Hamburger JVA im Stadtteil Fuhlsbüttel, zählt zu den Topsellern „Alaarm!“, laut Beschreibung ein „wildes Ausbrecherspiel, von Gefangenen selbst entwickelt und auf den Zellen gespielt“ oder „KnastLandFluss“, außerdem das Kochbuch „Huhn in Handschellen“. Auch Flaschenöffner in Handschellenform, zu beziehen über jva-shop.de, stellen einen Bezug zum Ort der Fertigung her.

Manche JVA verfügt über einen eigenen Verkaufsraum auf dem Anstaltsgelände, andere veräußern ihre Produkte auf Adventsbasaren oder Weihnachtsmärkten. In Nordrhein-Westfalen sind die Sachen auch auf der Messe „Creativa“ in Dortmund zu haben. Neben wiederkehrenden Waren wie jahreszeitlichen Dekoartikeln oder Grills und Grillzubehör gibt es auch regionale Besonderheiten: im Ruhrgebiet einen Zechen-Briefständer oder eine Edelstahllore, in Bayern einen Brezenschneider, in Sachsen typisch erzgebirgische Schwibbögen und Räucherfiguren.

Das Geld aus dem Verkauf der Waren fließt oft in den Landeshaushalt. Manche Landesregierung gibt einen Teil der Einnahmen an die Opfer-Hilfsorganisation Weißer Ring oder für soziale Zwecke weiter.

Hohe Arbeitsmotivation

Das saarländische Justizministerium erklärt: „Durch die Übernahme von Arbeit können die Gefangenen Geld verdienen“, das etwa für Tabak, Kaffee, zur Schuldentilgung oder für die Telefon- und TV-Rechnung verwendet werden könne. Die Motivation zur Arbeit und damit zum Gelderwerb sei hoch, heißt es weiter.

Im Mittelpunkt steht überall die Resozialisierung, also die Vorbereitung auf die Entlassung aus der Haft und eine hoffentlich straffreie Zukunft. Der Referent für Straffälligenhilfe bei der Diakonie Deutschland, Lars Schäfer, sieht für inhaftierte Menschen „viele gute Gründe, arbeiten zu wollen: Arbeit bedeutet Abwechslung und hilft somit gegen Langeweile, sie strukturiert den Tag, fördert die soziale Teilhabe in Haft, hilft beim Erwerb unterschiedlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten und bringt einen - wenn auch sehr geringen - Verdienst mit sich.“

Der Stundenlohn eines Gefangenen liegt nach Angaben der Bremer Justizverwaltung zwischen 1,62 und 2,70 Euro. Für den katholischen Gefängnisseelsorger Michael King verstößt die geringe Entlohnung „gegen das Resozialisierungsgebot“.

Susanne Rochholz


Bundesregierung

Mehr Schutz für Mediziner vor radikalen Abtreibungsgegnern




Ein Gesetz soll Medizinern Schutz vor radikalen Abtreibungsgegnern bieten (Archivbild)
epd-bild/Christian Ditsch
Ärztepräsident Reinhardt hat die Koalition aufgefordert, seine Kolleginnen und Kollegen vor den Bedrohungen radikaler Abtreibungsgegner zu schützen. SPD, Grüne und FDP haben das bereits vereinbart; in diesem Jahr soll das Gesetz nun kommen.

Berlin (epd). Die Ampel-Koalition will den Schutz von Ärztinnen, Ärzten und Schwangeren vor radikalen Abtreibungsgegnerinnen und -gegnern verbessern. Die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Ulle Schauws, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), der entsprechende Gesetzentwurf werde voraussichtlich bis März in den Bundestag eingebracht. Eine Sprecherin von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sagte, der Entwurf sei inzwischen intern weitgehend abgestimmt. Eine Kabinettsbefassung sei „zeitnah“ geplant.

Schauws sagte, Belästigungen und Bedrohungen durch Abtreibungsgegner vor Arztpraxen, Kliniken oder Beratungsstellen seien „ein unhaltbarer Zustand“. Schwangere würden massiv in ihrer Privatsphäre verletzt. Die Zahl der Praxen, die Abbrüche vornehmen, gehe auch wegen der Gehsteigbelästigungen und Bedrohungen zurück. Sie habe sich in den vergangenen Jahren auf bundesweit 1.000 halbiert.

Ärztepräsident sieht Handlungsbedarf

Zuletzt hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, die Ampel-Koalition aufgefordert, den Schutz von Ärztinnen und Ärzte zu verbessern, die Abtreibungen vornehmen. Sie müssten wirksam vor Drangsalierungen, Bedrohungen und Angriffen bewahrt werden, sagte Reinhardt dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ am 2. Januar. Die Mediziner hätten es zum Teil mit radikal auftretenden Aktivisten zu tun, die in der Nähe von Praxen wochenlang demonstrieren, und bekämen Mails mit Beleidigungen und auch expliziten Bedrohungen. „Nötig ist, dass dies konsequenter als bisher verfolgt und auch strafrechtlich geahndet wird“, forderte Reinhardt: „Was einige Kolleginnen und Kollegen erleben, geht über das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung weit hinaus.“

Die Gesundheitsexpertin der FDP-Bundestagsfraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, unterstützte den Ärztepräsidenten. Sie sagte dem epd, Reinhardts Forderungen seien „absolut nachvollziehbar“. Meinungsäußerungen müssten klar von Bedrohungen und Übergriffen abgegrenzt werden: „Hier muss konsequent gegen Störer ermittelt und notfalls Anklage erhoben werden“, verlangte Aschenberg-Dugnus.

Bis zu 5.000 Euro als Strafe vorgesehen

Im Gesetzentwurf ist eine Abstandsregel von 100 Metern zu Praxen oder Eingängen von Kliniken oder Beratungsstellen vorgesehen. In diesem Bereich sollen sogenannte Gehsteigbelästigungen verboten werden. Dazu zählt, Schwangere und Mitarbeitende von Beratungsstellen, Kliniken oder Arztpraxen am Betreten der Gebäude zu hindern oder Frauen gegen ihren Willen anzusprechen, sie einzuschüchtern und von einer Abtreibung abhalten zu wollen. Nach Angaben aus Fraktionskreisen sollen Bußgelder von bis zu 5.000 Euro verhängt werden können.

Die rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Sonja Eichwede und die frauenpolitische Sprecherin, Leni Breymaier, sagten dem epd, sogenannte Lebensschützerinnen und -schützer versuchten, in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen einzugreifen und Ärztinnen, Ärzte und Beratungsstellen an ihrer Arbeit zu hindern. Das Kabinett müsse das Gesetz dagegen nun zeitnah beschließen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast, erklärte, sie habe sich die sogenannten Mahnwachen mehrfach angeschaut: „Es ist abstoßend, wie vorgegangen wird“, erklärte sie. Man könne unterschiedlicher Auffassung sein, aber der Schutz von Ratssuchenden sei ein hohes Gut.

Abtreibungen sind im Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches geregelt, wonach sie zwar grundsätzlich verboten sind, nach vorheriger Beratung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche aber ohne Strafe bleiben. Die Ampel-Koalition lässt diese Regelung derzeit durch eine von ihr eingesetzte Kommission prüfen. SPD, Grüne und FDP haben außerdem vereinbart, gegen die Methoden der Lebensschützer vorzugehen: „Sogenannten Gehsteigbelästigungen von Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegnern setzen wir wirksame gesetzliche Maßnahmen entgegen“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Bettina Markmeyer


Armut

Vegane Gerichte aus geretteten Lebensmitteln




Ein Kunde im Bistro Good
epd-bild/Stefanie Unbehauen
Im Bistro Good in Bad Windsheim werden aus geretteten Lebensmitteln vegane Gerichte gezaubert. Durch das soziale Projekt "Volxküche" kann zusätzlich ein Menü an Bedürftige gespendet werden. Wie kommt das Konzept bei den Gästen an? Ein Besuch.

Bad Windsheim (epd). Martin Rienecker beugt sich konzentriert über die Theke, während er zwei Teller des Mittagsmenüs anrichtet. Das heutige Gericht: Rosmarinkartoffeln mit Blaukraut und veganer Bratwurst. „Mir ist wichtig, auf Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker zu verzichten. Ich koche immer frisch“, erklärt der Bistro-Besitzer.

„Meine Tochter und ich sind Stammgäste hier“, sagt Doris Schmieg, während sie die beiden Teller nimmt und an den Tisch trägt, an dem ihre Tochter Karina sitzt. Seit zwei Jahren ernähren sich die beiden vegan. Mutter und Tochter sind begeistert von dem abwechslungsreichen Essen. „Es ist immer wieder köstlich“, sagt die 62-Jährige.

Für vier Euro ein Mittagsmenü

Die beiden wohnen in Rothenburg ob der Tauber und kommen öfter hier her. „Viele vegane Angebote gibt es in Franken leider nicht“, sagt Karina Schmieg. Besonders gut findet die 24-Jährige, dass die Speisen aus genießbaren Lebensmitteln hergestellt werden, die vor der Entsorgung gerettet wurden.

Vor über zwei Jahren, im September 2021, haben Martin Rienecker und seine Ehefrau Marion Brueggen das Restaurant Good im Zentrum der mittelfränkischen Stadt Bad Windsheim gegründet. Das Essen ist günstig. Nur vier Euro kostet das Mittagsmenü. Außerdem besteht das Angebot, freiwillig den doppelten Preis zu zahlen, um auf diese Weise ein Essen für einen Bedürftigen zu spenden. Der Name des sozialen Projekts: Volxküche.

Die Idee hat das Ehepaar gemeinsam entwickelt. „Wir haben einfach zwei Probleme zusammengefügt: zum einen den sozialen Aspekt, dass viele Menschen immer weniger Geld zur Verfügung haben, und zum zweiten die Lebensmittelverschwendung“, sagt der 43-Jährige.

Woher die Ideen für die Gerichte kommen? „Ich schaue, was ich habe und was ich daraus machen kann.“ Er sagt: „Kochen war schon immer meine Leidenschaft.“ Zwischen 60 und 70 Gäste hat das Bistro täglich. „Mehr ist kaum machbar.“ Auch von den Lebensmittelspenden sei es abhängig, wie viele Gerichte er kochen könne. Etwa neun bis zwölf Essen am Tag seien umsonst.

Manche Kunden kommen täglich ins Lokal

Die Lebensmittelspenden kommen von Privatpersonen, die einen eigenen Garten haben und nicht alles verwenden können. Auch der nebenan liegende Fruchthof sei ein großer Spender, ebenso wie der Bauernhof Bio-Hilfe. „Da gibt es viele Lebensmittel, die es nicht in den Laden schaffen würden. Weil sie einen Hagelschaden haben, krumm, zu klein oder zu groß sind“, erklärt Rienecker.

Während er spricht, betreten zwei Schüler den Kiosk. „Am meisten ist hier los, wenn alle Mittagspause haben“, sagt der Bistrobesitzer. Die Energiekosten haben auch ihn getroffen. Vor rund einem Jahr musste er die Preise um 50 Cent pro Essen erhöhen. „Wird die Mehrwertsteuer im Januar angehoben, müssen wir weiter auf 4,50 Euro hoch.“

Seit Beginn des Projekts wurden mehr als 17 Tonnen Lebensmittel gerettet. Laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft werden in Deutschland jährlich rund elf Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle entsorgt. Ein Großteil davon wäre häufig noch genießbar.

„Eine größere Portion bitte“

Gleichzeitig haben die Tafeln immer mehr Zulauf. Im vergangenen Jahr verzeichneten die Tafeln einen Zuwachs von 50 Prozent. Das liegt unter anderem an den gestiegenen Lebensmittelpreisen. Laut Statistischen Bundesamt sind die Nahrungsmittelpreise zwischen Juli 2021 und Juli 2023 um über 27 Prozent gestiegen.

Auch die Zahl der Menschen, die am Existenzminimum leben, steigt. Laut Armutsbericht des Paritätischen aus dem vergangenen Jahr sind über 14 Millionen Menschen in Deutschland arm. Das sind 840.000 mehr als vor der Corona-Pandemie.

Ein Mann im Rollstuhl kommt in den Laden. „Ich bin jeden Tag hier. Ich habe mir die Dauerkarte für 60 Euro geholt“, sagt der Bad Windsheimer. Dadurch kostet ein Gericht nur drei Euro. „Einmal Hunger“, ruft er Rienecker zu und ergänzt lachend: „Aber eine größere Portion bitte.“

„Eine Dame hat mir den Laden hier empfohlen. Seitdem komme ich jeden Tag her“, sagt der 53-Jährige, der seit 2004 krankheitsbedingt in Frührente ist. Seit fünf Wochen geht er zur Dialyse aufgrund eines Nierenschadens. Durch die vegane, gesunde Ernährung seien seine Blutwerte so gut wie lange nicht. „Es schmeckt nicht nur, sondern ist auch gut für meine Gesundheit.“

Stefanie Unbehauen


Kriminalität

Interview

Gewalt gegen Einsatzkräfte: "Schwere Fälle sind die Ausnahme"




Tobias Singelnstein
epd-bild/Goethe-Universität/Dettmar
In der Debatte um Gewalt gegen Einsatzkräfte entsteht nach den Worten des Juristen Tobias Singelnstein schnell ein falscher Eindruck in der Öffentlichkeit. Bei der Masse der Fälle gehe es lediglich um Delikte von geringer Schwere, sagt der Frankfurter Forscher im Interview mit dem epd.

Frankfurt a. M. (epd). Nach der Silvesternacht vor einem Jahr mit schweren Krawallen in Berlin entbrannte eine Debatte um die vermeintlich gestiegene Gewalt gegen Einsatzkräfte. Dieser Jahreswechsel blieb vergleichsweise ruhig. Der Jurist Tobias Singelnstein, der an der Goethe-Universität Frankfurt zu diesem Thema forscht, gibt zu bedenken, dass es wahrscheinlich nur so wirkt, als seien Polizisten oder Rettungspersonal heute mehr Gewalt ausgesetzt als früher. Die Fragen stellte Nils Sandrisser.

epd sozial: Herr Singelnstein, wer die gesellschaftliche Debatte verfolgt, bekommt leicht den Eindruck, die Gewalt gegen Einsatzkräfte würde immer schlimmer. Stimmt das?

Tobias Singelnstein: Das ist eine gute Frage, die sich gar nicht so leicht beantworten lässt. Das Thema ist in den vergangenen zehn, 15 Jahren innerhalb der Polizei breiter diskutiert und dann auch von der Politik und den Medien aufgegriffen worden. Das Bundeslagebild, das solche Taten erfasst, zeigt in der Tat über die vergangenen Jahre hinweg einen Anstieg der erfassten Fälle. Das ist aber nur das Hellfeld. Die Frage ist, ob wir tatsächlich einen Anstieg sehen oder ob lediglich mehr Fälle aus dem Dunkel- ins Hellfeld gewandert sind.

epd: Und ist das so?

Singelnstein: Für eine Aufhellung des Dunkelfeldes würde sprechen, dass es durch die Debatte eine größere Sensibilität für das Thema innerhalb der Polizei gibt. Das kann zu einer Zunahme der Anzeigebereitschaft führen, sodass mehr Fälle in der Statistik erfasst werden, während es tatsächlich aber nicht zu mehr Taten kommt.

epd: Das bedeutet: Früher war es schlicht normal, dass man im Einsatz auch mal eine abgeräumt bekommt, und heute nehmen Einsatzkräfte das nicht mehr so einfach hin?

Singelnstein: Das ist ein möglicher Effekt, ja. Wir werden ja als Gesellschaft insgesamt sensibler für Gewalt, und das gilt auch für die Polizei. Im Hinblick auf Gewaltdelikte insgesamt ist sich die Forschung weitgehend einig, dass die langfristige Zunahme im Hellfeld eher auf eine gestiegene Anzeigebereitschaft als auf eine Zunahme der Zahl der Taten zurückzuführen ist. Bezüglich der Gewalt gegen Einsatzkräfte gibt es verschiedene Untersuchungen, die ebenfalls ein differenzierteres Bild zeigen. Hinter das vermeintlich klare Bild aus dem Bundeslagebild, das einen deutlichen Anstieg zeigt, muss man also ein großes Fragezeichen setzen.

epd: Ehe man behauptet, dass früher alles besser war, müsste man auch erst einmal wissen, wie es früher war. Wie war es denn früher?

Singelnstein: Mein Eindruck ist, dass es früher deutlich drastischere Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Bürgern gegeben hat, wenn wir etwa an Versammlungsgeschehen in den 1980er oder 1990er Jahren denken, zum Beispiel am 1. Mai. Damit hat die Wirklichkeit heute nicht mehr viel zu tun. Aber in der Polizei wird das anders wahrgenommen und debattiert.

epd: Das muss ja nicht schlecht sein. Dass man vor 20 Jahren über Gewalt nicht gesprochen hat, muss ja nicht bedeuten, dass man das heute auch nicht tun soll.

Singelnstein: Genau. Allerdings entsteht schnell ein falscher Eindruck, über was für Fälle wir hier eigentlich reden. In der öffentlichen Debatte geht es in der Regel um aufsehenerregende, schwere Ereignisse. Die Bilder in den Medien nehmen dann auch eher solche Fälle in den Fokus. Beispiel: Der ausgebrannte Bus in Berlin nach Silvester 2022. Oder wenn etwa jemand aus vollem Lauf mit gestrecktem Bein in einen Polizisten hineinspringt. Es ist aber wichtig, sich klarzumachen, dass diese schweren Fälle die Ausnahme sind. Die ganz große Masse der erfassten Fälle sind Widerstandshandlungen oder Tätlichkeiten. Dafür reicht es aus, einen Beamten zu schubsen oder passiv Widerstand zu leisten. Von den 2022 erfassten 42.000 Fällen sind rund 20.000 Widerstände und 16.000 tätliche Angriffe. Das sind niedrigschwellige Delikte, die auch sehr leichte Handlungen erfassen.

Ausgangspunkt dieser Debatte über Gewalt gegen Einsatzkräfte war eine starke Thematisierung durch die Polizeigewerkschaften. Das kann man als Reaktion darauf lesen, dass in den vergangenen 20 Jahren problematische Gewaltanwendungen durch die Polizei selbst stärker gesellschaftlich debattiert worden sind.

epd: Wollten die Polizeigewerkschaften etwa von der eigenen Gewalt ablenken?

Singelnstein: Ich glaube, in der Polizei ist jedenfalls das Bedürfnis entstanden, die eigene Perspektive einzubringen. Also klarzumachen, dass sie die Guten und auch Opfer von Gewalt sind. Das muss man nicht unbedingt als Ablenkung interpretieren, sondern das kann auch das Setzen eines Kontrapunktes sein. Das ist dann irgendwann von Politik und Medien aufgegriffen worden, denn es ist ja ein eingängiges Thema: Wenn Leute von Gewalt betroffen sind, die Leib und Leben einsetzen, um Konflikte zu klären und Schaden abzuwenden, findet das niemand gut.

epd: Da könnte es aber eine Grenze hin zur Instrumentalisierung geben. Sehen Sie diese Grenze in Teilen des politischen Spektrums überschritten?

Singelnstein: Es gibt natürlich immer so eine Wechselwirkung zwischen Politik und Polizei, und verschiedene Parteien versuchen, solche Themen für sich zu nutzen. So hat es zum Beispiel einen erheblichen Einfluss, wenn die Politik entscheidet, dass man ein Lagebild zu dem Thema braucht. Wenn das dann jährlich präsentiert wird, dann greifen Medien das Thema immer wieder auf, und dann ist es jedes Jahr in der öffentlichen Debatte und stellt dabei ein bestimmtes Bild von dem Problem her. Meistens wird dabei dann nicht so genau differenziert, was das für Zahlen sind und wofür sie stehen.

epd: Welche Rolle spielt eigentlich der Fachkräftemangel? Das Blaulichtmilieu zieht ja generell auch Menschen an, deren Motivation durchaus zweifelhaft ist. Die beispielsweise fasziniert sind von der Ausübung von Macht, und dementsprechend wenig deeskalierendes Verhalten zeigen. Müssen Polizei und Rettungsdienste nun auch vermehrt solche Menschen einstellen und zeigt sich das in der Gewaltstatistik?

Singelnstein: Es gibt natürlich Fälle, bei denen Einsatzkräfte einfach so angegriffen werden. Aber meistens handelt es sich doch eher um Situationen zwischen Bürgern und Polizei, die Schritt für Schritt eskalieren. Oft sind das komplexe, soziale Interaktionen, in denen ein Wort das andere gibt, und in denen im Nachhinein nicht selten darüber gestritten wird, wer welche Verantwortung für die Eskalation trägt. Aus Sicht der Polizei sind solche Situationen eigentlich immer auch ein Misserfolg, weil es eine Form gescheiterter Kommunikation ist. Auch wenn Kommunikation in der Ausbildung trainiert wird, bleibt es dabei, dass Leute in unterschiedlichem Maß gut kommunizieren können. Und es gibt in der Polizei Beamte, in der Regel sind es Männer, die häufig und schnell in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt sind.

Die Polizei hat in der jüngeren Vergangenheit eine deutliche Akademisierung und Professionalisierung erfahren. Das spricht eher dagegen, dass mehr solcher problematischen Leute eingestellt werden. Andererseits sind die Nachwuchssorgen bei der Polizei so groß, dass die eigentlich formulierten Einstellungsstandards in vielen Bundesländern erheblich abgesenkt worden sind.



Familie

Hintergrund

Was sich im nächsten Jahr für Familien mit Kindern ändert



Im kommenden Jahr steigt der Kinderzuschlag, ebenso der Kinderfreibetrag. Eltern erhalten mehr Kinderkrankentage, Alleinerziehende einen höheren Unterhaltsvorschuss. Ein Überblick über das, was sich für Familien ändert.

Berlin (epd). Der Kinderzuschlag steigt seit dem 1. Januar von bis zu 250 Euro auf bis zu 292 Euro pro Monat und Kind. Ihn erhalten Eltern, die zwar genug für sich selbst verdienen, deren Einkommen aber nicht oder nur knapp ausreicht, um den gesamten Bedarf der Familie zu decken.

  • Der Kinderfreibetrag erhöht sich für das Jahr 2024 um 360 Euro auf 6.384 Euro pro Kind. Der Freibetrag wird bei der Einkommensteuer berücksichtigt und führt dazu, dass Eltern weniger Steuern zahlen müssen.
  • Der Unterhaltsvorschuss wurde zum Jahreswechsel erhöht. Ihn können Alleinerziehende beantragen, die vom anderen Elternteil keinen oder unregelmäßig Unterhalt bekommen. Ab Januar beträgt der Vorschuss - für Kinder im Alter von 0 bis 5 Jahren monatlich bis zu 230 Euro - und damit 43 Euro mehr als derzeit, - für Kinder im Alter von 6 bis 11 Jahren monatlich bis zu 301 Euro (plus 49 Euro), - und für Kinder im Alter von 12 bis 17 Jahren monatlich bis zu 395 Euro (plus 57 Euro).
  • Die Anzahl der regulären Kinderkrankentage erhöht sich - gegenüber den Jahren vor der Corona-Pandemie - von 10 auf 15 Arbeitstage pro Kind und Elternteil im Jahr. Für Alleinerziehende sind es statt 20 nun 30 Arbeitstage. Bei mehreren Kindern können künftig insgesamt bis zu 35 Arbeitstage pro Elternteil genommen werden oder 70 Arbeitstage im Falle von Alleinerziehenden. Wird ein Kind stationär behandelt, gibt es ab 2024 einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf Kinderkrankengeld. Diese Regelung entlastet gesetzlich krankenversicherte Eltern bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nachdem die Corona-Sonderregelungen ausgelaufen sind.
  • Die Koalitionsfraktionen der Bundesregierung haben sich auf Änderungen beim Elterngeld geeinigt. Die neuen Regelungen sehen vor, dass die Grenze des zu versteuernden Einkommens, ab der der Anspruch auf Elterngeld entfällt, zum 1. April für gemeinsam Elterngeldberechtigte von 300.000 Euro auf 200.000 Euro abgesenkt wird. Für Alleinerziehende soll ab 1. April eine Einkommensgrenze von 150.000 Euro gelten. Derzeit liegt sie bei 250.000 Euro.

Außerdem wird die Möglichkeit des gleichzeitigen Bezugs von Elterngeld neu geregelt. Ein gleichzeitiger Bezug von Basiselterngeld soll künftig nur noch für maximal einen Monat bis zum 12. Lebensmonat des Kindes möglich sein.

Markus Jantzer


Pflege

Hintergrund

Das ändert sich 2024 in der Pflege



Berlin (epd). Zum Jahreswechsel werden im Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung Änderungen wirksam. Die wichtigsten Neuerungen:

  • KINDERKRANKENTAGE: Pro Kind und Elternteil stehen Familien in diese Jahr 15 bezahlte Kinderkrankentage zu. Vor der Corona-Pandemie waren es zehn Tage. Für Alleinerziehende erhöht sich der Anspruch von 20 auf 30 Tage.
  • KINDERKRANKENGELD: Versicherte erhalten einen Anspruch auf Kinderkrankengeld, wenn und solange die Mitaufnahme eines Elternteils bei stationärer Behandlung des versicherten Kindes aus medizinischen Gründen notwendig ist.
  • EIGENANTEILE IN DER PFLEGE: Vollstationär versorgte Pflegebedürftige werden entlastet. Im ersten Jahr der Heimunterbringung übernimmt die Pflegekasse 15 Prozent (bisher 5 Prozent) des pflegebedingten Eigenanteils, den Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 für Pflege im Heim aufbringen müssen. Im zweiten Jahr übernimmt die Pflegeversicherung künftig 30 Prozent (bisher 25 Prozent), im dritten Jahr 50 Prozent (bisher 45 Prozent) und bei einer Verweildauer von vier und mehr Jahren 75 Prozent (bisher 70 Prozent) des monatlich zu zahlenden pflegebedingten Eigenanteils. Damit reduzieren sich die Kosten, die Heimbewohner zu tragen haben.
  • HÄUSLICHE PFLEGE: Das Pflegegeld wurde angehoben. Die Beträge, die Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 für die eigenständige Sicherstellung der Pflege einsetzen - und in der Regel als Anerkennung an pflegende Angehörige weitergeben - stiegen um fünf Prozent. Gleichzeitig wurden auch die Leistungsbeträge für ambulante Pflegesachleistungen, also häusliche Pflegehilfen durch ambulante Pflege- und Betreuungsdienste, um fünf Prozent angehoben.
  • PFLEGEUNTERSTÜTZUNGSGELD: Wer einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen unterstützt, hat nun pro Kalenderjahr Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld für bis zu zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person. Bislang war der Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld auf insgesamt bis zu zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person begrenzt.
  • SCHWERSTPFLEGEBEDÜRFTIGE: Für pflegebedürftige Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene der Pflegegrade 4 und 5, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, traten am 1. Januar verschiedene Verbesserungen bei der Verhinderungspflege in Kraft: Unter anderem wurde die Höchstdauer auf bis zu acht Wochen pro Kalenderjahr verlängert und die Möglichkeit eröffnet, dass die Mittel der Kurzzeitpflege vollständig für die Verhinderungspflege umgewidmet werden können. Außerdem setzt der Anspruch auf Verhinderungspflege früher ein, die Voraussetzung einer sechsmonatigen Vorpflegezeit entfällt.
  • INFORMATIONSRECHTE: Versicherte können nun von ihrer Pflegekasse verlangen, halbjährlich eine Übersicht über die von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten zu erhalten. Die Informationen sind dabei so aufzubereiten, dass Laien sie verstehen können.
  • PFLEGESTUDIUM: Studierende in der Pflege erhalten für die gesamte Dauer ihres Studiums eine Vergütung. Die hochschulische Pflegeausbildung wird als duales Studium ausgestaltet. Künftig ist auch ein Ausbildungsvertrag vorgesehen. Daneben wird die Finanzierung des praktischen Teils der hochschulischen Pflegeausbildung in das bestehende Finanzierungssystem der beruflichen Ausbildung integriert. Mit Übergangsvorschriften wird sichergestellt, dass diejenigen, die auf Grundlage der bisherigen Regelungen eine hochschulische Pflegeausbildung begonnen haben, für die verbleibende Studienzeit ebenfalls eine Ausbildungsvergütung erhalten.
  • AUSLÄNDISCHE PFLEGEFACHKRÄFTE: Die Anerkennungsverfahren werden bundesweit vereinheitlicht und vereinfacht. Der Umfang und die erforderliche Form der vorzulegenden Unterlagen werden bundesrechtlich geregelt. Zudem wird die Möglichkeit geschaffen, auf eine umfassende Gleichwertigkeitsprüfung - zugunsten einer Kenntnisprüfung oder eines Anpassungslehrgangs - zu verzichten.
Markus Jantzer


Sozialhilfe

Hintergrund

Das ändert sich 2024 für Bezieher staatlicher Hilfen und Arbeitslose



Berlin (epd). Mit dem Jahreswechsel ändern sich etliche Bestimmungen beim Bürgergeld, bei Leistungen für Flüchtlinge und beim Mindestlohn. Außerdem gibt es wichtige Neuerungen für Erwerbslose und Menschen mit Behinderung:

  • BÜRGERGELD UND SOZIALHILFE: Die Bezieherinnen und Bezieher von Sozialhilfe oder Bürgergeld erhalten mehr Geld. So steigt der Betrag für Alleinstehende um 61 Euro auf 563 Euro pro Monat. Für zwei Partner einer Bedarfsgemeinschaft, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gibt es jeweils 506 Euro (bisher: 451 Euro). Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren bekommen 471 Euro statt bisher 420 Euro. Kinder zwischen sechs und 13 Jahren bekommen 390 Euro (plus 42 Euro), Kinder unter sechs Jahren erhalten 357 Euro (plus 39 Euro). Für die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf ergibt sich für das erste Schulhalbjahr 2024 eine Erhöhung von 116 Euro auf 130 Euro und für das zweite Schulhalbjahr eine Erhöhung auf 65 Euro.
  • BEZIEHER VON ARBEITSLOSENGELD: Es entfällt für gesetzlich Krankenversicherte, die Arbeitslosengeld beziehen, die Pflicht, der Agentur für Arbeit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen. Dies gilt auch für Teilnehmende an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung oder einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung. Stattdessen kann die Bundesagentur für Arbeit eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung bei der zuständigen Krankenkasse automatisiert abrufen. Die Pflicht, eine eingetretene Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen, besteht hingegen fort.
  • GESETZLICHER MINDESTLOHN: Der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 12 Euro steigt im Januar auf 12,41 Euro brutto je Stunde. Die Einkommensgrenze für Minijobber verschiebt sich damit von 520 auf 538 Euro pro Monat. Der Mindestlohn für Beschäftigte in der Altenpflege steigt ab 1. Mai 2024: für Pflegefachkräfte auf 19,50 Euro, für Qualifizierte Pflegehilfskräfte auf 16,50 Euro und für Pflegehilfskräfte auf 15,50 Euro.
  • MINDESTVERGÜTUNG FÜR AZUBIS: Auszubildende in nicht tarifgebundenen Betrieben erhalten ebenfalls mehr Geld: Im ersten Lehrjahr liegt das Gehalt bei 649 Euro. Bis zum vierten Lehrjahr steigert es sich auf 909 Euro.
  • AUSGLEICHSABGABE: Am 1. Januar trat die vierte Stufe der Ausgleichsabgabe in Kraft. Diese gilt für Arbeitgeber, die trotz Beschäftigungspflicht keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Gleichzeitig wird die bisherige Bußgeldvorschrift bei Verstoß gegen die Beschäftigungspflicht aufgehoben. Die Höhe der vierten Stufe der Ausgleichsabgabe ist nach Unternehmensgröße gestaffelt und liegt zwischen 210 Euro und maximal 720 Euro. Die Mittel der Ausgleichsabgabe dürfen nur zur Förderung der Teilhabe schwerbehinderte Menschen am Arbeitsleben verwendet werden. Eine Mittelverwendung zur Förderung von Werkstätten für behinderte Menschen ist nicht mehr möglich.
  • SOZIALES ENTSCHÄDIGUNGSRECHT: Am 1. Januar trat das 14. Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) vollständig in Kraft. Es enthält das neue Soziale Entschädigungsrecht. Im SGB XIV werden vier Entschädigungstatbestände geregelt: Gewalttaten, nachträgliche Kriegsauswirkungen beider Weltkriege, Ereignisse im Zusammenhang mit der Ableistung des Zivildienstes sowie Impfschäden nach dem Infektionsschutzgesetz.
  • FLÜCHTLINGE: Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften mit Vollverpflegung sollen künftig weniger Bargeld erhalten. Bürgergeld beziehenden Geflüchteten, die in einer Gemeinschaftsunterkunft Vollverpflegung erhalten, werden künftig 186 Euro für Lebensmittel und Haushaltsenergie abgezogen. Der Betrag bezieht sich auf einen alleinstehenden Erwachsenen, für Ehepaare und Kinder variieren sie. Die Regelung betrifft Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in Gemeinschaftsunterkünften bleiben müssen, weil die Kommunen keine Wohnungen für sie haben. Eine weitere Gruppe sind Asylbewerber, die länger hier sind.
Markus Jantzer



sozial-Branche

Behinderung

Behindertenhilfe: Ohne Leiharbeit geht fast nichts mehr




Auto des Behindertenfahrdienstes des Arbeiter-Samariter-Bunds in Würzburg
epd-bild/Pat Christ
Eine neue Umfrage offenbart: In der Behindertenbetreuung bleiben viele Stellen lange unbesetzt. Der Evangelische Pressedienst (epd) hat sich bei Trägern umgehört, was das bedeutet und wie es gelingt, die Arbeit dennoch aufrechtzuerhalten.

Frankfurt a. M. (epd). Die nackten Zahlen lesen sich so: In der Behindertenhilfe der Diakonie bleiben 60 Prozent der offenen Fachkräftestellen im Schnitt länger als sechs Monate unbesetzt. Im September und Oktober befragt, sagten 53 Prozent der 147 teilnehmenden Träger, dass wegen Personalmangels Einrichtungsplätze nicht wieder besetzt wurden. 66 Prozent gaben an, auch Zeitarbeiter einzusetzen. Und dennoch müssen Anfragen von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen abgelehnt werden. Was heißt das in der Praxis? Wie gehen die Einrichtungen mit dem wachsenden Problem um, Fachkräfte und angelerntes Personal zu finden?

„Der Einsatz von Fremdpersonal ist an vielen Stellen fast schon normal“, stellt Sabine Ulrich, Pastorin und Geschäftsführerin der Rotenburger Werke, einem großen diakonischen Anbieter der Behindertenhilfe im nordöstlichen Niedersachsen, fest. Die Folgen des Personalmangels seien deutlich spürbar, so die Chefin von rund 2.000 Beschäftigten: „Plätze werden nicht wieder belegt. Zudem werden in neuen Angeboten Wohngruppen mit insgesamt rund 35 Plätzen nicht eröffnet.“

Recruiting, Werbekampagnen und Weiterbildung

Doch man stemme sich dem Problem jenseits des Einsatzes von Leiharbeitern entgegen, beteuert Ulrich: Einstellung eines Recruiters, Personalkampagnen, Werbetrailer auf der Homepage, Gewinnung von Beschäftigten aus dem Ausland, Qualifizierung schon vorhandener Mitarbeiter. Man tue alles Mögliche, um die Lücken irgendwie zu schließen.

„Bethel.regional“ hat derzeit 146 offene Stellen ausgeschrieben. „Aktuell kompensieren wir fehlendes Personal über Zeitarbeit und das seit gut einem Jahr bestehende 'FlowTeam', das in Teilen von Bethel.regional eingesetzt wird“, berichtet Geschäftsführer Mark Weigand. Das FlowTeam ist ein ortsübergreifendes, multiprofessionelles Team aus Fach- und Unterstützungskräften, dem inzwischen 50 Mitarbeitende angehören. „Die Teammitglieder können ihre Arbeitszeit flexibel mitgestalten. Nach über einem Jahr fällt das Fazit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wie auch von Bethel.regional als Arbeitgeber deutlich positiv aus“, so Weigand.

Die Kompensation von Personallücken mittels Zeitarbeitsfirmen stelle sich in mehrfacher Hinsicht als sehr schwierig dar, sagt der Geschäftsführer. Das betreffe sowohl die enorm hohen Kosten, die nicht refinanziert sind, als auch die benötigte Fachlichkeit im Bereich der Eingliederungshilfe.

Situation in Wohngruppen besonders brisant

„Die gesamte Behindertenhilfe hat mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen“, sagte die Bundesgeschäftsführerin der Lebenshilfe, Jeanne Nicklas-Faust, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Grundsätzlich bestehe in allen Feldern ein Mangel an Arbeits- und Fachkräften. „Am Beispiel Wohnen zeigt sich die Brisanz besonders deutlich, weil dort als unattraktiv geltende Rahmenbedingungen vorherrschen: Schichtdienst und Arbeit zu ungünstigen Zeiten, auch an Wochenenden. Häufig gibt es nur Teilzeitstellen, mobiles Arbeiten oder Arbeitszeitflexibilität ist nicht oder schwer möglich“, erläuterte Nicklas-Faust.

Zeitnah sei es schwierig, Abhilfe zu schaffen, räumte sie ein. „Eine leichtere Anerkennung internationaler Bildungsabschlüsse wäre wichtig, weil wir regelmäßig Rückmeldungen aus der Praxis erhalten, dass sowohl eine Einmündung in die Ausbildung als auch in die Berufstätigkeit sehr oft an langwierigen Prüfungsverfahren scheitert“, sagte Nicklas-Faust. Zudem müssten die Ausbildungsvergütungen steigen und das Schulgeld abgeschafft werden.

Längst sind auch angelernte Kräfte nur schwer zu bekommen

Hubert Vornholt, Direktor des Franz Sales-Hauses in Essen und Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, beklagte gegenüber dem epd, dass auch Assistenz- und Hilfskräfte schwer zu finden seien. „Die Mehrbelastungen der Mitarbeitenden, auch bedingt durch die Pandemie, immer höhere Qualitätsanforderungen sowie Schicht-, Teil- und Wochenenddienste, führen dazu, dass Personal der Eingliederungshilfe zunehmend in attraktivere Bereiche des Sozial- und Gesundheitswesens abwandert“, skizzierte Vornholt die Gründe.

Die Folgen seien gravierend: „Der Rechtsanspruch auf selbstbestimmte Teilhabe ist nicht zu verwirklichen, wenn das Personal nicht verfügbar ist beziehungsweise nicht gewonnen werden kann. Der akute Personalmangel verhindert sehr häufig, dass Menschen mit Behinderungen die Unterstützungsleistungen erhalten, die sie benötigen.“

Auch Vornholt forderte, die Anwerbung von Personal aus dem Ausland zu verstärken - wenn nur die Bürokratie nicht wäre: „Es vergeht in Deutschland viel zu viel Zeit, in der ausländische Fachkräfte als Nichtfachkräfte tätig sind - und auch nur eine niedrigere Entlohnung erhalten“, so der Fachmann. Das mache die Anwerbung zusätzlich unattraktiv. „Hilfreich wäre auch eine Fachkräfte-Offensive der Bundesregierung zur Steigerung der Attraktivität der Berufe in der Eingliederungshilfe.“ In diese Richtung denkt auch Frank Stefan, Vorstand der Diakonie Kork: „Der Beruf Pflege und Betreuung kommt in den Medien immer nur im Kontext mit Problemen vor. Das muss sich ändern.“

Augustinum fährt Platzangebot zurück

Christian Kranjčić, Prokurist der Pädagogischen Einrichtungen des Augustinums in München, berichtete, man habe das Platzangebot in der heilpädagogischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Wohngruppen bereits zurückgefahren. Theoretisch könne man 226 Plätze an zwei Standorten belegen. „Tatsächlich haben wir unser Angebot nur auf 209 Plätze ausgelegt, weil wir davon ausgehen, die für die größere Platzzahl notwendigen Personalstellen absehbar nicht besetzen zu können. Schon seit längerem sind aber auch von diesen Kapazitäten nur 181 Plätze belegt und zwei Gruppen geschlossen, weil das notwendige Fachpersonal fehlt“, so Kranjčić.

In einem anderen Arbeitsfeld, den Augustinum-Wohnstätten für erwachsene Menschen mit geistiger Behinderung, werden im Großraum München 250 Bewohnerinnen und Bewohner stationär betreut. Um die Versorgung aufrechtzuerhalten, „mussten wir 2023 in sehr hohem Umfang Mitarbeiter über Zeitarbeitsfirmen einsetzen“, sagte der Prokurist. Problem: Die Mehrkosten wurden in der Vergangenheit nicht refinanziert, darüber werde mit dem Leistungsträger verhandelt.

Auch das Augustinum baut seit Jahren das Recruiting stetig aus. „Wir bemühen uns um Mitarbeiter aus dem Ausland, was aber mit erheblichen Anstrengungen verbunden ist“, erläuterte Kranjčić. Denn die neuen Kollegen müssten in die Teams integriert werden, Hilfe bei der Wohnungssuche, beim Spracherwerb oder bei ganz alltäglichen kulturellen Fragen bekommen. Auch bemühe man sich, Mitarbeitende von der Hilfskraft zur Fachkraft zu qualifizieren. Doch das gehe oft aufgrund der familiären Umstände oft nur berufsbegleitend und eben nicht in Vollzeit.

Niedrigere Fachkraftquoten keine Lösung

Die Diakonie Kork setzt ebenfalls verstärkt auf das Recruiting ausländischen Personals. Auch müsse man deutlich mehr ausbilden, fordert Vorstand Stefan. Die Fachkraftquoten abzusenken, hält er zwar für bedingt möglich, doch das könne auch zu nicht gewollten Abstrichen bei der Qualität der Leistungen führen. Nach seinen Angaben vergeht oft bis zu einem Jahr, wenn eine Stelle neu zu besetzen ist. Die Folge seien verzögerte Neuaufnahmen bei dem Träger, einem von sieben Epilepsiezentren in Deutschland. Es zeichne sich zudem ab, dass künftig ein ganzes Haus geschlossen werden müsse.

Mark Weigand, Geschäftsführer von Bethel.regional, blickt mit Sorgen in die Zukunft. Er rechnet mit einer weiteren Verschärfung der Personallage bis Mitte der 2030er Jahre. „Wir werden uns diesem Thema weiter umfassend widmen müssen und es wird gravierende Auswirkungen auf die Praxis der Leistungserbringung in der Eingliederungshilfe haben.“ Einschnitte bei der Fachkraftquote sieht auch er kritisch: „Aus meiner Sicht benötigen wir zukünftig eine ressourcenschonende Angebotsentwicklung, die nicht unmittelbar mit der Absenkung der Qualität einhergeht.“

Dirk Baas


Behinderung

Interview

Caritas-Fachverband: Personalmangel gefährdet Teilhaberechte




Hubert Vornholt
epd-bild/Andreas Buck/Caritas-Fachverband CBP
Bei der Caritas ist die Sorge groß, die Betreuung von Menschen mit Behinderung wegen fehlender Mitarbeiter nicht mehr sicherstellen zu können. Welche Folgen lange Vakanzen haben, erläutert Hubert Vornholt, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, im Interview.

Berlin (epd). In der Eingliederungshilfe fehlen viele Beschäftigte - nicht nur Fachkräfte. Die Folge: Ohne ausreichendes Personal gibt es keine adäquate Betreuung und Unterstützung, etwa in Wohngruppen. Das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe gerate in Gefahr, sagt Hubert Vornholt, der Direktor des Franz Sales Hauses in Essen. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Der evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB) hat seine Mitglieder zum Personalnotstand befragt, mit erschreckenden Ergebnisse. Es dauert nicht selten Monate, bis eine vakante Stelle neu besetzt werden kann. Können Sie als Caritas-Fachverband diese Personalprobleme bestätigen?

Hubert Vornholt: Das ist definitiv der Fall. Die Bereitstellung von ausreichend Personal etwa für die Assistenz ist derzeit das drängendste Problem in der Behindertenhilfe. Und das hat massive Folgen. Der Rechtsanspruch auf selbstbestimmte Teilhabe ist nicht zu verwirklichen, wenn das dafür erforderliche Personal nicht verfügbar ist beziehungsweise nicht gewonnen werden kann. Der akute Personalmangel verhindert bereits jetzt sehr häufig, dass Menschen mit Behinderungen die Unterstützungsleistungen erhalten, die sie benötigen.

epd: Das Problem sind aber nicht nur die Fachkräfte, die fehlen?

Vornholt: Nein. Der Personalmangel betrifft inzwischen auch auf Assistenz- und Hilfskräfte. Die Mehrbelastungen der Mitarbeitenden, auch bedingt durch die Pandemie, immer höhere Qualitätsanforderungen sowie Schicht-, Teil- und Wochenenddienste, führen dazu, dass Personal der Eingliederungshilfe zunehmend in attraktivere Bereiche des Sozial- und Gesundheitswesens abwandert.

epd: Gibt es bereits Einrichtungen und Dienste, die ihre Angebote reduziert haben?

Vornholt: Ja, denn es gab bei uns im Verband schon 2022 eine bundesweite Erhebung über den künftigen Fachkräftebedarf in den Angeboten der Eingliederungshilfe. Die Auswertung hat gezeigt, dass 83 Prozent der Einrichtungen bereits Probleme bei der Stellenbesetzung beklagen und fünf Prozent der Fachkraftstellen bereits unbesetzt waren.

epd: Was sind die Folgen, wenn Stellen unbesetzt bleiben?

Vornholt: Unsere Träger schränken ihre Angebote im Bereich der Partizipation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein. Wohngemeinschaften in den sogenannten besonderen Wohnformen müssen geschlossen werden. Betroffene erhalten folglich keine Unterstützungsangebote mehr. Jene, die keinen Platz in einer besonderen Wohnform bekommen, müssen in der Herkunftsfamilie bleiben oder notfalls dorthin wieder zurückkehren.

epd: Wie ist die Situation bei der Ausbildung? Gibt es da Hoffnungen für die Zukunft?

Vornholt: Eine andere Erhebung aus dem Jahr 2023 zur Ausbildungssituation in den Bundesländern zeigt, dass es keinen Zuwachs bei der Ausbildung gibt und sich die Zahlen dort nur verstetigen. Aber in der Summe berichten die Mitglieder von einem bundesweit moderaten bis starkem Rückgang des Interesses an der Ausbildung der Heilerziehungspflege.

epd: Wie sähe eine zeitnahe Lösung bei der Personalrekrutierung aus, wenn es sie überhaupt gibt?

Vornholt: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Wir meinen, grundsätzlich müssen zunächst bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen im Job geschaffen werden. Nur so ist es möglich, die Attraktivität des Berufsbildes bundesweit zu steigern und junge Menschen für das Berufsbild Heilerziehungspflege gewinnen zu können. Nachteilig ist auch, dass Auszubildende in manchen Bundesländern, so zum Beispiel in Niedersachsen, immer noch Schulgeld zahlen. Deshalb fordern wir schon lange die vollständige Refinanzierung der Ausbildungskosten und -vergütungen in diesem Hilfefeld sowie die bundesweite Abschaffung des Schulgelds.

epd: Was ist mit den auch in der Pflege umworbenen Menschen aus dem Ausland?

Vornholt: Auf die muss sich der Blick mehr richten, die Anwerbung muss verstärkt werden. Aber leider haben ausländische Fachkräfte noch immer ein komplexes Anerkennungsverfahren mit hohen bürokratischen Hürden zu durchlaufen. Es vergeht in Deutschland viel zu viel Zeit, in der ausländische Fachkräfte als Nichtfachkräfte tätig sind - und auch nur eine niedrigere Entlohnung erhalten, was die Anwerbung zusätzlich unattraktiv macht. Hilfreich wäre auch eine Fachkräfte-Offensive der Bundesregierung zur Bekanntmachung und Steigerung der Attraktivität der Berufe in der Eingliederungshilfe.

epd: Das ist sozusagen die höhere Ebene. Was ist vor Ort möglich?

Vornholt: Auf der Ebene der Träger von Diensten und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen kann die Lösung nur darin bestehen, attraktive Bedingungen für junge Bewerber zu bieten, durch eine überzeugende Darstellung des Unternehmens als interessanter Arbeitgeber aufzutreten und sich mit Hilfe kreativer Methoden der Personalgewinnung und -bindung einen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitnehmermarkt zu verschaffen. Es kann auch helfen, jungen Menschen innerhalb der Berufsfindungsphase Zugang zu sozialen Bereichen zu verschaffen. Hier kann das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) ebenfalls einen geeigneten Zugang zur Heilerziehungspflege schaffen.

epd: Der Pflegenotstand ist seit Jahren ein Thema, aus der Behindertenhilfe hat man das so nicht gehört. Ist das ein Versäumnis, hier nicht Alarm geschlagen zu haben?

Vornholt: Tatsächlich ist es so, dass das Berufsbild der Heilerziehungspflege und darüber hinaus die Berufsbilder in der Eingliederungshilfe gegenüber der Pflege und der Kinderbetreuung und -erziehung wenig im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass Behinderung immer noch als Nischenthema begriffen wird. Es ist zu wenig im Bewusstsein, dass Behinderung kein Phänomen des Alters ist, sondern prinzipiell jeden treffen kann. Auch die Medien sind sehr zurückhaltend. Wir als CBP haben den Fachkräftemangel in der Behindertenhilfe seit längerem als Thema identifiziert. Schon 2019 richtete unsere Mitgliederversammlung den Blick auf die Fachkräfte in der Sozialwirtschaft, denn sie sind es, die die Qualität in der Eingliederungshilfe sichern und die Umsetzung der sozialen und beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen fördern. 2020 haben wir dann die Fachkräfte-Kampagne im CBP „DU ICH WIR … Miteinander auf dem Weg“ gestartet, unter anderem, um die Mitglieder bei der Personalgewinnung zu unterstützen. Und auch, um die Interessen von Fachkräften für soziale Berufe in der Eingliederungshilfe und Psychiatrie auf politischer und gesellschaftlicher Ebene offensiv in den Fokus zu rücken.



Behinderung

Arbeitszeiten nach Wunsch: 50 Beschäftigte im "FlowTeam"



Bethel (epd). Seit August 2022 gibt es das „FlowTeam“ bei Bethel.regional, ein ortsübergreifendes, multiprofessionelles Team aus Fach- und Unterstützungskräften. Mittlerweile zählt es 50 Mitarbeitende, Tendenz steigend, berichtete Geschäftsführer Mark Weigand dem epd. Die Teammitglieder können nach seiner Angabe ihre Arbeitszeit flexibel mitgestalten. „Nach über einem Jahr fällt das Fazit aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch von Bethel.regional als Arbeitgeber deutlich positiv aus.“

Mit diesem Angebot würden neue Mitarbeitende gewonnen - und somit der Einsatz von Zeitarbeit zumindest reduziert. Dabei übernimmt das „FlowTeam“ laut Weigand eine besondere Rolle, indem es den Ausgleich von fehlendem Personal in den Stammeinrichtungen zentral steuert. Bereichsleitungen der Stammteams haben nur noch einen Ansprechpartner. Das „FlowTeam“ werde zudem als eine Art Orientierungseinsatz gesehen, mit dem Ziel, passende Stellen für Mitarbeitende in den festen Teams zu finden.

Viele Professionen in vielen Arbeitszeitmodellen

Im „FlowTeam“ arbeiten Mitarbeitende mit allen Arbeitszeitmodellen und aus verschiedenen Kompetenzfeldern, vom Heilerziehungspfleger bis zur Sozialarbeiterin. Die Teammitglieder haben eine Festanstellung sowie eine Vergütung samt Sozialleistungen und Entwicklungsmöglichkeiten.

In einer vertraglichen Nebenabrede, dem sogenannten Rahmendienstplan, werden Arbeitszeiten, Arbeitstage sowie Einsatzorte individuell festgelegt. Das bietet laut Weigand sehr variable Einsatzmöglichkeiten, etwa für eine Mitarbeiterin, die aufgrund eines Zweitjobs immer nur in der ersten Monatshälfte arbeiten möchte. Oder für einen Studenten, der sein Arbeitspensum in den Ferien erhöhen kann.

Geringere Rotation als bei der Zeitarbeit

In der Regel werden die „FlowTeamer“ in bis zu fünf unterschiedlichen Wohnangeboten eingesetzt. Im Vergleich dazu ist die Rotation beim Zeitarbeitseinsatz wesentlich größer. So sei sichergestellt, dass die Klientinnen und Klienten nicht permanent wechselnde Bezugspersonen hätten.

„Wachsende Zufriedenheit und Motivation ohne Einbußen der Arbeitsqualität zeigen, dass das Konzept funktioniert und ein Instrument darstellt, Personaleinsatz neu und zukunftsfähig auszurichten“, urteilt Weigand. „Das Motto ist im Grunde recht einfach: Sag mir, wann du arbeiten kannst, und ich sage dir, wo du gebraucht wirst.“



Obdachlosigkeit

"Wir nehmen die Menschen hier, wie sie sind"




Zahnmobil der Diakonie für Wohnungslose: Zahnarzt Mainolf Krillke und Zahnarzthelferin Angela McLeod
epd-bild/Amandine Cormier
Seit zwölf Jahren versorgt das Zahnmobil in Hannover Menschen ohne Krankenversicherung. Vor kurzem hat das Team ein neues Fahrzeug in Betrieb genommen. Das Angebot ist nicht nur für Obdachlose oft die letzte Rettung.

Hannover (epd). Zahnarzthelferin Angela McLeod (60) wischt mit Desinfektionstüchern über den Behandlungsstuhl und legt frische Instrumente auf das Tablett. Auf den ersten Blick unterscheidet sich ihr Arbeitsplatz nicht von einem Behandlungsraum in einer gewöhnlichen Zahnarztpraxis. Doch heute wartet Mcleod mitten auf dem Raschplatz hinter Hannovers Hauptbahnhof auf Patienten, genauer: in einem Kleintransporter, der jede Woche mehrere Orte in der niedersächsischen Landeshauptstadt anfährt, um kostenlose zahnmedizinische Behandlungen anzubieten.

Das Angebot der Diakonie richtet sich in erster Linie an Menschen, die auf der Straße leben und nicht krankenversichert sind. Doch auch mit Krankenkassenkarte stoßen Wohnungslose in Zahnarztpraxen oft auf Ablehnung. McLeod und ihre Mitarbeiter gehen deshalb auf die Menschen zu, indem sie sich selbst auf die Straße begeben. „Damit ist eine Schwelle weg, die sonst in einer Praxis immer vorhanden ist“, sagt McLeod. Schon seit zwölf Jahren - so lange, wie es das Angebot gibt - arbeitet sie in der rollenden Minipraxis. Zwei ehrenamtliche Kräfte, ein Fahrer und ein Zahnarzt, begleiten sie bei jedem Einsatz.

Bereits mehr als 5.000 Personen behandelt

Das Zahnmobil, das auf die private Initiative der heute 91-jährigen Zahnärztin Ingeburg Mannherz und ihres Ehemanns Werner Mannherz zurückgeht, war bei seiner Gründung bundesweit eines der ersten zahnmedizinischen Angebote dieser Art. Seitdem wurden darin mehr als 5.000 Menschen zahnmedizinisch versorgt. Die jährlichen Kosten von rund 80.000 Euro werden durch Spenden und Zuschüsse der Diakonie finanziert, wie Carsten Krüger vom Förderverein erläutert. Um das zuletzt sehr wartungsbedürftige alte Fahrzeug zu ersetzen, wurde im Sommer für 180.000 Euro ein neues Auto gekauft und eingerichtet.

Angela McLeod ist nicht nur die Seele des Mobils, als gute Seele empfinden sie auch viele der Patientinnen und Patienten. Denn sie fragt nach und hört zu, wenn die Menschen aus ihrem meist harten Leben auf der Straße erzählen. „Wir nehmen die Menschen hier, wie sie sind“, erzählt sie. „Ich streichle auch die Wange und nehme die Leute in den Arm.“

20 freiwillige Zahnärzte und -ärztinnen sind im Einsatz

Mehr als 20 Zahnärztinnen und Zahnärzte arbeiten derzeit regelmäßig für das Mobil, einige nach Feierabend, aber auch viele Ruheständler. Einer von ihnen ist Mainolf Krillke (70) aus Werl bei Soest, der für die Einsätze regelmäßig nach Hannover pendelt. Im Zahnmobil gehe es vor allem darum, akute Schmerzen zu behandeln, also etwa Zähne zu ziehen und Löcher zu füllen, erläutert er.

Nur in Ausnahmefällen bieten Krillke und seine Kollegen auch Behandlungen jenseits der Basisversorgung an, wie etwa Wurzelbehandlungen oder Prothesen. Nachwuchsprobleme gebe es derzeit nicht, sagt er. Trotzdem hofft er, dass mehr junge Kolleginnen und Kollegen seinem Beispiel folgen und im Zahnmobil arbeiten. „Das tut einem sehr gut.“

Doch nicht nur Obdachlose nutzen das Angebot, sondern auch Bürger, die aufgrund unglücklicher Umstände ihren Versicherungsschutz verloren haben. Als Beispiel nennt Krillke etwa Architekten oder Malermeister, die als Selbstständige privat versichert waren und wegen Krankheit in die Insolvenz gegangen sind. Nach dem 55. Lebensjahr nehme sie die gesetzliche Krankenkasse oft nicht mehr auf. „Das ärgert mich. Da muss das Gesetz geändert werden.“

Auch Flüchtlinge werden regelmäßig versorgt

Außerdem fährt die rollende Praxis seit 2022 immer wieder die Notunterkunft für Flüchtlinge auf dem Messegelände an. Die dort untergebrachten Geflüchteten, vor allem Ukrainerinnen und Ukrainer, haben zwar Anspruch auf Versorgung im regulären Gesundheitssystem. Eine ordentliche Anamnese scheitere aber oft an der Sprache, erläutert Krüger. Viele Kollegen überfordere das.

Die Mitarbeiter des Zahnmobils hingegen haben über die Jahre gelernt, die Sprachbarriere zu überwinden, etwa indem sie digitale Übersetzungshilfen nutzen oder die Patienten bitten, einen Dolmetscher mitzubringen. Bis heute seien in dem Mobil Menschen aus hundert Nationen behandelt worden, sagt Krüger.

Angela McLeod hat im Zahnmobil insgesamt deutlich mehr Verantwortung, als sie als Zahnarzthelferin in einer regulären Praxis hätte, wie sie sagt. Dennoch kann sie sich derzeit keine schönere Tätigkeit vorstellen. „Das ist ein Herzensding.“ Viele Patienten kenne sie schon seit Jahren. Auch von denen, die es geschafft haben, von der Straße wegzukommen, sehe sie einige wieder. „Die kommen trotzdem hierher und sagen: Es war toll, dass ihr da wart. Zum Beispiel, wenn wir eine Frontzahnfüllung gemacht haben, die für die Person superwichtig war.“

Urs Mundt


Obdachlosigkeit

Caritas fordert Strategie für Umgang mit Drogenabhängigen




Ulrike Kostka
epd-bild/Caritas/Maurice Weiss
Auch in diesem Winter arbeiten die Kältehilfe-Einrichtungen in Berlin am Limit. Die meisten Unterkünfte sind nur nachts geöffnet. Die Caritas fordert deshalb eine neue Strategie mit mehr Angeboten, in denen sich die Betroffenen auch tagsüber aufhalten können.

Berlin (epd). Caritas-Direktorin Ulrike Kostka sagte im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), nötig sei auch ein spezielles Konzept im Umgang Menschen, die zugleich drogenabhängig und wohnungslos sind. Die Fragen stellte Bettina Gabbe.

epd sozial: In den Notübernachtungen der Berliner Kältehilfe waren in den vergangenen Wochen regelmäßig fast alle Plätze belegt. Was bedeutet das für die dortige Arbeit?

Ulrike Kostka: Gerade in diesem Winter sind wir an der obersten Grenze mit der Auslastung der Kältehilfe. Das zeigt, es besteht ein hoher Bedarf. Die Kältehilfe versucht immer wieder, mit dem Senat zusammen und weiteren Akteuren zusammen, weitere Unterkünfte zu öffnen.

epd: Wie viele Obdachlose gibt es in Berlin?

Kostka: Wir wissen, dass wir ungefähr 40.000 Wohnungslose haben, darunter Menschen, die in Gemeinschafts- und Notunterkünften untergebracht sind. Mehrere Tausend sind wohnungslos auf der Straße, mit steigender Tendenz.

epd: Was ist nötig, um die Kältehilfe auf eine stabile Grundlage zu stellen?

Kostka: Die Kältehilfe ist ein stabiles System, aber es gibt immer wieder auch Herausforderungen. Immer wieder gehen Immobilien verloren. Es ist sehr schwierig, neue Immobilien zu finden. Die Stadtmission musste jetzt eine 24/7-Unterkunft schließen und hat zunächst keine neue gefunden. Das andere ist, Fachkräfte zu finden, weil ein System mit kurzen Verträgen mit einer Laufzeit von ein paar Monaten auf Dauer nur schwer funktioniert. Zu den Faktoren, die Kältehilfe erschweren, gehören auch steigende Kosten. Wir brauchen darüber hinaus mehr ganzjährige Unterkünfte, denn die große Not beginnt oft nach dem Ende der Kältehilfe. Deswegen sind ganzjährige Unterkünfte und natürlich Wohnungen, die man Menschen vermitteln kann, ganz entscheidend. Und wir brauchen mehr Orte, an denen sich die Menschen am Tag aufwärmen und aufhalten können. Bei den meisten Einrichtungen der Kältehilfe müssen sie morgens wieder raus. Dieser Bedarf, der Tag, ist oft das große Problem.

epd: Warum müssen die Menschen die Unterkünfte am Tag verlassen?

Kostka: Weil die Einrichtungen gereinigt werden müssen. Aber auch, weil das Angebot so ausgelegt ist, was die Personalkapazitäten angeht. Es sind reine Notunterkünfte. Wenn man sie 24 Stunden offen halten wollte, wäre das wesentlich teuer. Davon gibt es nicht so viele Orte. Bundesweite Studien zeigen, dass die Menschen gerade am Tag zu wenig Orte haben, wo sie sich ausruhen und einfach aufhalten können. Die Zahl der Betroffenen nimmt zu, aber auch die Zahl der Menschen, die eine starke Suchtmittelabhängigkeit haben. Süchtige Menschen in der Kältehilfe stellen eine Herausforderung dar, deswegen braucht es da spezialisierte Einrichtungen.

epd: Warum werden in kalten Nächten nicht einzelne U-Bahnhöfe für Obdachlose offen gehalten?

Kostka: U-Bahnhöfe sind sehr gefährliche Orte für den Aufenthalt. Das ist wirklich nur eine Not-Option. Es bestehen dort große Gefahren, sei es Gewalt, sei es, dass die Menschen irgendwie auf die Gleise kommen. Deswegen ist das keine Option. Das sollte vermieden werden.

epd: Warum sind Angebote in Außenbezirken keine Lösung?

Kostka: Die Erfahrung zeigt, dass diese Einrichtungen wenig genutzt werden, weil die Menschen sich mehr in den Innenbezirken aufhalten. Die Innenbezirke sind ihr Lebensraum. Sie haben dort sozusagen ihre Wohnung, sie sind wohnungslos, aber sie leben dort ihr Leben, weil sie dort die meiste Unterstützung finden, Flaschen sammeln, betteln oder Zeitungen verkaufen können. Das würde in den Außenbezirken nicht gut funktionieren.

epd: Wo sehen Sie den größten Bedarf bei Angeboten für Obdachlose nicht nur im Winter?

Kostka: Der größte Bedarf besteht an Wohnungen, ganzjährigen Unterkünften und Tagesaufenthalten. Das andere, was uns Gedanken macht, ist die medizinische Versorgung. Wir machen uns große Sorgen um unsere Krankenwohnung. Das ist eine Krankenstation für 20 obdachlose Menschen, die sehr zentral und extrem wichtig ist, damit sich Menschen erholen können. Das sind Menschen mit schweren Erkrankungen, teilweise sterben dort auch Menschen. Da ist eine große finanzielle Lücke von über 350.000 Euro im Jahr. Diese Krankenwohnung muss für Berlin gesichert werden.

epd: Was sind Ihre Forderungen an den Senat?

Kostka: Wir fordern vom Senat eine langfristige finanzielle Sicherung der Krankenwohnung und die Schließung der finanziellen Lücke der Krankenwohnung. Darüber hinaus fehlen 120.000 Euro für die Caritas-Ambulanz. Wir brauchen mehr Tagesaufenthalte beziehungsweise Einrichtungen, wo die Menschen 24 Stunden bleiben können. Und es braucht eine Strategie im Umgang mit Menschen, die wohnungslos sind und suchtmittelabhängig. Da braucht es dringend eine Strategie, weil das extrem zunimmt.

epd: Welchen Stellenwert haben Weihnachtsaktionen wie die von Frank Zander für Obdachlose?

Kostka: Sie haben eine extrem hohe Bedeutung für die Menschen, die dort hingehen können und sich das ganze Jahr darauf freuen. Das ist für sie ein Ort der Wertschätzung, der Zuwendung. Das ist wirklich ein Highlight des ganzen Jahres. Sie werden dabei in den Mittelpunkt der Gesellschaft gestellt. Das ist sehr wichtig. Durch diese Aktionen wird das Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit in den Mittelpunkt gestellt, vor allem die Menschen, die wohnungslos sind, und diejenigen, die sich beruflich und ehrenamtlich für sie engagieren.

epd: Was sind aus Ihrer Sicht die dringendsten Maßnahmen gegen Wohnungslosigkeit?

Kostka: Das Wichtigste ist, dass man das Räumen von Wohnungen verhindert, weil dabei die Wohnung für den Menschen, aber auch für den Mietmarkt verloren geht, denn meistens wird sie teurer vermietet. Und natürlich der Bau von Wohnungen, aber auch der Zugang dazu für Wohnungslose, die sich häufig ganz hinten anstellen. Was wir dringend brauchen, sind Wohnkonzepte, für Menschen, die wohnungslos waren und pflegebedürftig oder chronisch erkrankt sind. Da erleben wir eine große Verelendung auf der Straße. Diese Menschen müssen dringend in Wohngemeinschaften oder Wohnmöglichkeiten bis hin zu Pflegeeinrichtungen kommen. Es kann nicht sein, dass Menschen auf der Straße mit Wunden leben und letztendlich auch teilweise sterben. Deswegen ist die Krankenwohnung so wichtig, weil sie ein erster Schritt ist, medizinische und pflegerische Behandlung zu bekommen. 50 Prozent der Menschen werden von dort weiter vermittelt in Wohnungen oder Einrichtungen.

epd: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sondervermögen und multiple Krisen führen zu einer angespannten Haushaltslage. Wird vor diesem Hintergrund genug für die Bekämpfung von Obdachlosigkeit in Berlin und auf Bundesebene getan?

Kostka: Der soziale Wohnungsbau ist zu sehr zurückgegangen. Es muss alles dafür getan werden, ihn zu fördern. Es besteht ein großes Risiko durch diese finanziellen Lücken, aber auch in den Landes- und Kommunalhaushalten, dass der soziale Wohnungsbau weiter eingeschränkt wird. Zum anderen darf man bei Maßnahmen gegen Obdach- und Wohnungslosigkeit nicht kürzen, weil es Menschenleben gefährdet. Und wenn immer mehr Menschen auf der Straße leben, führt es zu hohen Belastungen für die Betroffenen, aber auch für die Umgebung. Dementsprechend sind Investitionen in Wohnungslosenhilfe und vor allem auch Vermittlung von Wohnungen, die Bekämpfung der Ursachen viel kostengünstiger, als wenn Menschen immer mehr ihre Wohnungen verlieren. Für Prävention gegen Wohnungslosigkeit ist es wichtig, dass in diesen Bereich investiert wird.



Verbände

Interview

Diakonie-Chefin warnt vor Verschlechterung des sozialen Klimas




Annette Noller
epd-bild/Diakonisches Werk Württemberg
Die Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg, Annette Noller, rechnet im neuen Jahr nicht mit Insolvenzen bei ihren Mitgliedern. Ihre Organisation habe ein "sehr gut aufgestelltes Risikomanagement", sagte sie im Interview mit dem epd.

Stuttgart (epd). Sie vertritt 1.400 Einrichtungen und Dienste in Württemberg, die über 270.000 Menschen betreuen: Oberkirchenrätin Annette Noller ist Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg und Expertin für Sozialpolitik. Im Interview des Evangelischen Pressedienstes (epd) erklärt sie, welche Konsequenzen Kürzungen im Sozialbereich für die Gesellschaft haben, warum Mitarbeitende in der Diakonie nicht immer evangelisch sein müssen und was ihr für 2024 Hoffnung macht. Die Fragen stellte Marcus Mockler.

epd sozial: Frau Dr. Noller, die Bundesregierung muss Kürzungen im Haushalt 2024 vornehmen. Ist inzwischen klar, in welchen Bereichen das die Diakonie treffen wird?

Annette Noller: Die gute Nachricht ist aus unserer Sicht: Die angedachten Kürzungen etwa in den Bereichen Freiwilligendienste und Migrationsberatung werden so wahrscheinlich nicht kommen. Auch die Kindergrundsicherung und das Bürgergeld, die öffentlich kontrovers diskutiert wurden, werden wohl bleiben. Hätte es solche Kürzungen gegeben, wären wichtige Dienste gefährdet gewesen, die zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen. Allerdings wird es beim Kostenersatz auch keine Steigerung geben.

epd: Keine guten Aussichten ...

Noller: Wir wissen nicht, wie die Zahlen konkret aussehen, darüber wird erst in einer Haushaltsbereinigungssitzung des Bundestags im Februar entschieden. Es bleibt eine Planungsunsicherheit, etwa für Migrationsdienste und Demokratie-Bildung, sofern sie aus Bundesmitteln finanziert werden. Es besteht die reale Gefahr, dass wir, weil die Finanzierung nicht geklärt ist, Anfang des Jahres einzelne Dienste zum Beispiel in der Migrationsberatung werden schließen müssen. Auch bei anderen Verbänden werden Schließungen wegen der Planungsunsicherheit befürchtet.

epd: Welche konkreten Auswirkungen haben fehlende Mittel denn für unterstützungsbedürftige Menschen und für die Gesellschaft insgesamt?

Noller: Das soziale Klima könnte sich nochmals verschlechtern, weil Menschen, die Unterstützung benötigen, nicht ausreichend Unterstützung erhalten können. Nehmen wir ein positives Projekt wie die Schreibwerkstatt, die Menschen beim Ausfüllen von Formularen unterstützt, zum Beispiel von Hilfeanträgen. Menschen nehmen an dieser Werkstatt teil, bis sie die Dokumente eigenständig ausfüllen können. Ohne dieses Angebot bleiben viele von ihnen unversorgt. Wir können auch Menschen, die ins Bürgergeld geraten sind, helfen, wieder in Beschäftigung zu kommen. Da gibt es Unterstützung bei der Suche nach einer Kita oder Entlastung für pflegende Angehörige. Ohne diese Begleitung haben es diese Menschen sehr schwer, wieder in Teilhabe zu kommen und selbstbestimmt zu leben.

epd: In den vergangenen Monaten haben bundesweit mehrere diakonische Einrichtungen Insolvenz angemeldet. Droht das auch in Württemberg?

Noller: Nein, davon gehe ich nicht aus. Wir haben ein sehr gut aufgestelltes Risikomanagement. Unsere Mitglieder sind verpflichtet, uns jährlich die Jahresabschlüsse zu übermitteln. Wenn in Württemberg ein Träger in eine Notlage gerät, dann gehen wir vom Diakonischen Werk auf ihn zu und bieten Unterstützung an. Sollte es ganz eng werden, können wir auch durch Interimsmanagement und finanzielle Unterstützung helfen. Die Risiken sind natürlich gewachsen - Energiekrise, Tariferhöhungen, Inflation, unzureichende Refinanzierung. Doch wir arbeiten daran, unsere Träger zu halten, und haben das in der Vergangenheit auch geschafft.

epd: Auch der Fachkräftemangel bedroht soziale Einrichtungen. Rechnen Sie im kommenden Jahr mit Schließungen, weil nicht genügend ausgebildete Mitarbeiter zur Verfügung stehen?

Noller: Wir versuchen, gegenzusteuern, haben allerdings auch bei uns die Situation, dass zum Teil Stationen mangels Pflegekräften nicht voll belegt werden können. So schauen wir uns noch einmal genauer an, wie wir die Menschen im Team besser nach ihren Kompetenzen einsetzen können. Auch die Digitalisierung wird Pflegekräfte entlasten. Außerdem haben wir ein internationales Ausbildungsprojekt. Es fing im Kosovo an und wird jetzt unter anderem in Marokko und Tunesien fortgesetzt. Dort suchen wir nach geeigneten Frauen und Männern für die Pflege und wahrscheinlich auch bald für andere Bereiche und bereiten Sie vor Ort schon mit Sprachkursen auf die Ausbildung in Deutschland vor. Viele von ihnen bleiben für ein paar Jahre und sind gut integriert. Das ist ein Erfolgsprojekt.

epd: Wir leben in einer Zeit der Selbstoptimierung. Geht uns dabei die gesellschaftliche Solidarität verloren?

Noller: Ja, und das bereitet mir viele Sorgen. Wir beobachten seit der Jahrtausendwende einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft. Ein Teil der Menschen lebt in prekären Situationen, dieser Anteil wächst. Gleichzeitig stehen zwei Drittel der Gesellschaft zunehmend unter Leistungsdruck, um ihren Lebensstandard zu halten. Jeder lebt in dem Gefühl, sich selbst optimieren zu müssen, um nicht zu den Menschen in prekären Situationen zu gehören. Ich würde mir wünschen, dass ein biblisches Grundprinzip, nämlich dass eine Gesellschaft vom Zusammenhalt lebt, wieder mehr Geltung bekommt. Dass wir also weniger so leben müssen, dass wir uns optimieren, sondern dass wir so leben, dass unser Miteinander in der Gesellschaft jeden Einzelnen trägt. Dass die Bereitschaft wieder stärker wird, in Krisen einander zu tragen und miteinander zu teilen. Das optimiert das Zusammensein und nicht nur den Einzelnen.

epd: Andererseits gab es doch viel Solidarität, als 2015 und danach eine große Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland kam. Sind wir nicht weiterhin eine sehr solidarische Gesellschaft?

Noller: Wenn ich die Debatten zum Bürgergeld anschaue, bemerke ich: Es hat sich etwas verändert. Der Erfolg von Parteien am rechten Rand zeigt eine zunehmende Zahl von Wählern und Wählerinnen, die beim Thema Solidarität anders denken. Die Überzeugung, dass gemeinsames Tragen die Gesellschaft verbessert, muss jeden Tag neu erarbeitet werden. Zudem würde ich mir wünschen, dass die Menschen, die besonders viel besitzen, mehr Bereitschaft zeigen, davon abzugeben. Gemeinsam geht’s besser.

epd: Im Internet kursieren immer wieder Modellrechnungen, wonach sich Arbeiten gehen für Menschen in niedrigen Lohngruppen kaum mehr lohnt. Ist das Bürgergeld zu hoch?

Noller: Nein. Das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass ein Existenzminimum zu gewähren ist, das ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Schauen Sie sich die Zahlen an: pro Tag 6,51 Euro für Lebensmittel, monatlich 19 Euro für Gesundheit und Pflege, 41 Euro für Bekleidung und Schuhe. Wenn Sie da einen neuen Wintermantel brauchen oder die Waschmaschine reparieren lassen müssen, sind Sie ganz schnell am Ende. Das Problem mit dem Abstand zu den Arbeitenden entsteht durch die hohen Mieten. Denn jeder Bürgergeldempfänger erhält die Kosten für Unterkunft und Heizung. Allerdings nur in angemessener Höhe - wer in einer zu großen oder zu teuren Wohnung lebt, muss nach einer Karenzzeit von einem Jahr ausziehen. Die Lohnempfänger müssen ihre Miete selbst bezahlen. Durch die hohen Mieten verringert sich der Abstand, das bedeutet aber nicht, dass das Bürgergeld in seiner jetzigen Höhe schon auskömmlich wäre.

epd: Diakonische Einrichtungen sind ohne die Mitarbeit von Menschen, die keinen christlichen Hintergrund haben, nicht mehr arbeitsfähig. Wie stark ist ihr Anteil?

Noller: Wir haben in den großen diakonischen Einrichtungen bereits 20 bis 30 Prozent an Mitarbeitenden, die keiner Kirche angehören. In den Leitungsgremien muss allerdings laut unserer Satzung weiterhin der evangelische Einfluss bestimmend sein. Bei Organisationen in kirchlicher Trägerschaft, etwa Diakonischen Bezirksstellen, Kreisdiakonien und Diakonie-Sozialstationen, gilt die ACK-Klausel. Wer dort mitarbeitet, muss möglichst der evangelischen Kirche angehören oder zumindest einer Kirche, die in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) ist.

epd: Wie kann eine Einrichtung evangelisch sein, wenn ihre Mitarbeiter es nicht sind?

Noller: Das kann sie sehr gut. Die Kultur einer Einrichtung basiert einerseits auf den Mitarbeitenden, andererseits auf den Rahmenbedingungen der Organisation. Leitbilder, Satzungen und Onboarding-Kurse für neue Mitarbeiter erklären, was eine evangelische Einrichtung ausmacht. Natürlich haben wir weiterhin Gottesdienste und Andachten, viele unserer Sitzungen hier im Haus beginnen mit einer kleinen Besinnung. Wir feiern die christlichen Jahresfeste. Und wir reflektieren über aktuelle ethische Herausforderungen, zum Beispiel den assistierten Suizid.

epd: Was macht Ihnen fürs neue Jahr Mut? Und was macht ihnen Sorge?

Noller: Sorge macht mir das Erstarken von populistischen Strömungen, die den Zusammenhalt und auch den demokratischen Staat infrage stellen. Ich wünschte, dass alle Menschen, die zur Wahl solcher Parteien neigen, sich klarmachen, dass sie damit nicht nur protestieren, sondern damit möglicherweise die Schwächsten der Gesellschaft noch weiter schwächen. Was mir Mut macht: Wir sind eine Gesellschaft mit vielen Ressourcen, wir sind eine starke Demokratie, wir haben viele Menschen, die sich sozial sehr engagieren, wir haben viele zukunftsweisende Projekte und Möglichkeiten. Wir dürfen nicht nachlassen, an uns zu glauben und mit Gottes gutem Geist auch neue Wege zu gehen und Schwierigkeiten zu bewältigen.



Verbände

Arbeitgeberverband: Politik muss Abbau von Pflegeplätzen stoppen



Berlin (epd). Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) fordert die Bundes- und Landespolitik auf, den Abbau von Pflegeplätzen schnellstmöglich zu stoppen. „Dazu nötig sind die Einrichtung eines Pflegeplatz-Monitorings, eine Reform der Pflegevergütung und ein Recht auf einen Pflegeplatz“, heißt es in einer Mitteilung vom 2. Januar.

„Noch so ein Jahr wie das letzte und in der Altenpflege gehen die Lichter aus“, warnte Präsident Thomas Greiner. Davon müsse man heute ausgehen. Denn die sich zuspitzende Versorgungskrise in der Altenpflege sei seit 2023 gut dokumentiert. „Viele Pflegeplätze, die wir in den nächsten Jahrzehnten dringend benötigen, sind bereits verloren.“ Dennoch verharrten Politik und Kassen in Untätigkeit. Für die Altenpflege sei es entscheidend, dass Politik und Kassen jetzt endlich ins Handeln kommen. „Es ist höchste Zeit, dass sie die Realität anerkennen, transparent kommunizieren und wirksame Maßnahmen ergreifen“, sagte Greiner.

Rechtsanspruch auf Pflegeplatz gefordert

Der Verband wirbt für ein öffentliches Pflegeplatz-Monitoring, um die bestehende Unterversorgung transparent zu mache. Zudem müsse es eine Generalüberholung der Pflegevergütung und einen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz für Pflegebedürftige geben.

„Die Pflegekassen haben aufgrund der Versorgungsverträge mit Pflegeeinrichtungen ein genaues Bild der Versorgungslage. Sie müssen Transparenz herstellen, anstatt mit ihrer Geheimniskrämerei eine Lösung der Versorgungskrise zu verhindern“, sagte der Präsident. Und: Die Politik müsse sich an eine Generalüberholung der Altenpflegevergütung heranwagen. „Wir als Versorger brauchen Sicherheit, um die pflegerische Versorgung zu gewährleisten. Und auch Pflegebedürftige benötigen Sicherheit. Dazu fordern wir die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf einen Pflegeplatz.“




sozial-Recht

Bundesgerichtshof

Hebamme haftet bei "natürlicher Hausgeburt"




Eine Hebamme streicht über das Gesicht eines Säuglings.
epd-bild/Detlef Heese
Hebammen sollten sich bei Komplikationen einer "natürlichen Hausgeburt" nicht vor dem Ruf des Rettungswagens scheuen. Denn: Stirbt das Kind nach Einsetzen der Wehen, kann nach einem Gerichtsbeschluss ein strafbarer Totschlag durch Unterlassen vorliegen.

Karlsruhe (epd). Eine Hebamme sollte bei einer viel zu langen Hausgeburt und nachlassender Wehentätigkeit bei einer Schwangeren den Rettungswagen rufen. Denn stirbt das ungeborene Kind nach Eintritt der Wehen und hätte es bei rechtzeitiger Verständigung des Notarztes gerettet werden können, kommt eine Verurteilung der Hebamme wegen Totschlags durch Unterlassen infrage, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 19. Dezember veröffentlichten Beschluss.

Vorbehalte gegen Krankenhausgeburten

Im konkreten Fall hob der BGH die Verurteilung einer Hebamme wegen Totschlags durch Unterlassen aber auf und verwies das Verfahren an das Landgericht Verden zurück. Die Hebamme hatte sich 1998 selbstständig gemacht. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte sie „zunehmend tiefgreifende Vorbehalte gegen Krankenhausgeburten“. Spätestens 2009 meinte sie, dass natürliche Hausgeburten uneingeschränkt einer Klinikgeburt vorzuziehen seien. Entsprechend beriet sie Schwangere, darunter 2014 auch die 39-jährige Nebenklägerin.

Nachdem die Frau am 9. Januar 2015 einen Blasensprung erlitten hatte und Eröffnungswehen einsetzten, meinte die Hebamme, dass die Hausgeburt ihren üblichen Verlauf nimmt. Doch die Geburt schritt sehr langsam voran. Erst zwei Tage später führte die Hebamme bei der Kindsmutter einen Test durch, um den Blasensprung sicher zu diagnostizieren. Blut und Körpertemperatur wurden nicht auf Entzündungszeichen hin untersucht. Eine vorsorgliche Antibiotika-Therapie unterblieb, obwohl dies spätestens 24 Stunden nach Eröffnung der Fruchtblase empfohlen ist.

Als die Kindsmutter einen stechenden Schmerz verspürte und die Wehentätigkeit nachließ, rief die hinzugezogene Hausärztin den Rettungswagen. Spätestens auf dem Transport in die Klinik starb das ungeborene Kind an einem Sauerstoffmangel.

„Arrogant und selbstüberschätzend“

Das Landgericht verurteilte die Hebamme wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer vierjährigen Haftstrafe. Sie habe trotz der Geburtskomplikationen „in arroganter und selbstüberschätzender Art und Weise“ wegen ihrer Abneigung gegen Krankenhausgeburten nicht rechtzeitig den Rettungswagen gerufen.

Der BGH hob diese Entscheidung jedoch auf und verwies das Verfahren zur erneuten Prüfung an das Landgericht zurück. Allerdings sei eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen nicht ausgeschlossen. Das „Unterlassen“ setze jedoch voraus, dass der Tod des Kindes bei rechtzeitiger Verständigung des Rettungswagens „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre“. Dies sei hier nicht der Fall.

Das Landgericht habe erst für den frühen Morgen des Todestages den Tötungsvorsatz der Angeklagten festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt habe nur noch eine „gewisse“ Wahrscheinlichkeit für die Rettung des Kindes bestanden. Das Landgericht müsse daher den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen in Tateinheit mit Körperverletzung noch einmal prüfen.

„Hausgeburt“ in einem Hotel

Mit Beschluss vom 11. Mai 2016 hatte der BGH dagegen eine Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten gegen eine erfahrene Hebamme und approbierte Ärztin bestätigt. Die Angeklagte hatte trotz Komplikationen und drohendem Sauerstoffmangel beim Kind an einer „Hausgeburt“ in einem Hotel festgehalten. Das Kind kam sterbend zur Welt. Dadurch sei die Schwelle von der „bewussten Fahrlässigkeit“ zum „Totschlag durch Unterlassen“ überschritten, entschied das Landgericht in seinem nun vom BGH bestätigten Urteil.

Lässt eine Hebamme eine Mutter und ihr gerade geborenes Baby im Kreißsaal allein, sollte immer auch an Notfälle gedacht werden. Denn kann die Mutter im Notfall keine Klingel in Reichweite betätigen, liegt bei einem eintretenden Gesundheitsschaden ein grober Behandlungsfehler vor, für den das Krankenhaus und die Hebamme haften, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Celle am 20. September 2021.

Im Streitfall konnte eine Mutter wegen der nur zwei Stunden zurückliegenden Geburt ihres Kindes noch nicht aufstehen. Als sie das in seinem Bettchen liegende Kind verdächtig ruhig empfand, konnte sie die Hebamme wegen einer fehlenden Klingel nicht herbeirufen. Später stellte sich heraus, dass das Kind wegen einer verringerten Atemfrequenz eine schwere Hirnschädigung erlitten hatte. Hierfür müssten Klinik und Hebamme ein Schmerzensgeld von 300.000 Euro sowie für die künftig anfallenden Kosten eine Entschädigung zahlen, urteilte das OLG.

Az.: 6 StR 128/23 (BGH, Totschlag wegen Unterlassens)

Az.: 4 StR 428/15 (BGH, Hausgeburt im Hotel)

Az.: 1 U 32/20 (OLG Celle)

Frank Leth


Bundesgerichtshof

Auflagen bei Zwangsräumung und Suizidgefahr geklärt



Karlsruhe (epd). Vermieter können einem suizidgefährdeten Mieter nicht ohne Weiteres per Zwangsräumung die Wohnung nehmen. Doch stellt ein Gericht das Verfahren um die Zwangsräumung wegen einer erheblichen Gefahr für die körperliche Unversehrtheit eines psychisch kranken Mieters befristet ein, muss es auch Auflagen prüfen, damit der Eigentümer zumindest weiter seine Miete erhält, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 3. Januar veröffentlichten Beschluss. Der Mieter könne auch zur Mitwirkung gegenüber den Sozialbehörden verpflichtet werden, damit diese Mietzahlungen und -schulden übernehmen, so die Karlsruher Richter.

Im konkreten Streit ging es um einen 58-jährigen behinderten Mieter eines Hauses aus dem Raum Bernau bei Berlin. Er geriet mit dem neuen Vermieter wegen behaupteter Mietmängel aneinander. Als er daraufhin die Miete minderte, kündigte der Wohnungseigentümer wegen unterbliebener Zahlungen das Mietverhältnis und strengte zugleich ein Verfahren zur Zwangsräumung an.

Mieter klagte gegen Zwangsräumung

Der Mieter beantragte jedoch Räumungsschutz und verlangte die Einstellung der Zwangsräumung. Er verwies nicht nur auf seine drohende Obdachlosigkeit, sondern auch auf zahlreiche erhebliche gesundheitliche Einschränkungen, darunter Depressionen.

Ein vom Landgericht Frankfurt/Oder beauftragter Sachverständige stellte wegen der drohenden Zwangsräumung bei dem Mann eine erhebliche Suizidgefahr fest. Eine Therapie des psychisch Kranken sei mangels Motivation nicht erfolgversprechend. Das Landgericht stellte daraufhin das Zwangsvollstreckungsverfahren befristet für zwei Jahre ein. Der Lebensschutz habe Vorrang, hieß es zur Begründung.

Landgericht muss Auflagen erneut prüfen

Der BGH verwies das Verfahren an das Landgericht zurück. Bestehe wegen der beabsichtigten Zwangsräumung eine erhebliche Suizidgefahr, könne im Einzelfall wegen der Gefahr für Leib oder Leben das Verfahren befristet eingestellt werden. Dem psychisch Kranken sei es jedoch zuzumuten, „auf die Verbesserung seines Gesundheitszustands hinzuwirken“. Hier hätte das Landgericht entsprechende Auflagen prüfen müssen.

Zudem dürfe auch das Vermögensinteresse des Vermieters nicht außer Betracht bleiben. So könnten gerichtliche Auflagen sicherstellen, dass der Eigentümer seine Miete erhält und bereits aufgelaufene Mietschulden beglichen werden. Der psychisch kranke Mieter könne zur Mitwirkung gegenüber den Sozialbehörden verpflichtet werden, damit diese die Mietschulden übernehmen.

Az.: I ZB 11/23



Oberlandesgericht

Private Unfallversicherungsrente nur mit Attest über Dauerfolgen



Braunschweig (epd). Für Invaliditätsleistungen von einer privaten Unfallversicherung müssen Versicherte rechtzeitig eine ärztliche Bescheinigung über die Dauerfolgen eines erlittenen Unrfalls einreichen. Versäumen sie es, innerhalb der vertraglichen Frist ein solches ärztliches Attest einzureichen, führt das zum Leistungsausschluss, betonte das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig in einem am 27. Dezember bekanntgegebenen Beschluss. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das zwischenzeitlich bestätigt und die gegen die OLG-Entscheidung eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde in einem nicht veröffentlichten Beschluss zurückgewiesen. (Az.: IV ZR 434/22).

Im konkreten Fall war die Klägerin mit einem Blutalkoholgehalt von 0,8 Promille eine Treppe hinuntergestürzt. Wegen ihrer dabei erlittenen Verletzungen nahm sie ihre private Unfallversicherung in Anspruch und beantragte Invaliditätsleistungen. Die Versicherung wies den Anspruch indes ab. Ursache des Unfalls sei der Alkoholkonsum gewesen; das schließe die Leistungspflicht aus, so die Begründung.

Kein Geld wegen versäumter Frist

Sowohl das Landgericht Göttingen als auch das OLG wiesen den Anspruch der Frau ab - allerdings nicht wegen des Alkoholkonsums als Ursache des Sturzes. Die Frau habe es schlicht versäumt, innerhalb der vertraglichen Frist von 24 Monaten ein Attest einzureichen, mit dem ein Arzt ihr unfallbedingte Dauerschäden bescheinigt.

Hierzu betonte das OLG, dass sich die Versicherung darauf auch dann berufen kann, wenn sie ihre Einstandspflicht zunächst wegen einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung der Frau abgelehnt habe. Dass verstoße nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Versicherung habe nicht erklärt, dass der Alkohol der einzige Grund für die Leistungsablehnung gewesen sei. Ein schützenswertes Vertrauen sei daher nicht entstanden, befand das Gericht.

Az.: 11 U 646/20



Verwaltungsgericht

Seniorenheimbesucher machen nachts keinen Lärm



Karlsruhe (epd). Anwohner eines Pflegeheimes müssen nachts keinen Lärm von Besuchern einer in der Nähe gelegenen Einrichtung fürchten. In einem Bebauungsplan für ein Pflegeheim könne zwar die Zahl der geplanten Parkplätze festgelegt werden, nicht aber zusätzlich zeitliche Beschränkungen für Besucher, die mit dem Pkw kommen, entschied das Verwaltungsgericht Karlsruhe in einem am 29. Dezember bekanntgegebenen Beschluss. So sei eine starke Nutzung nachts nach 22 Uhr und damit eine hohe Lärmbelästigung nicht zu erwarten.

Das Gericht billigte damit den Neubau eines Seniorenpflegeheims in Helmstadt-Bargen im Rhein-Neckar-Kreis. Die geplante Einrichtung soll über 66 Betten, sechs barrierefreie Wohnungen und vier Mitarbeiterwohnungen verfügen. Eine Cafeteria, ein Friseur und eine Fußpflegepraxis sind ebenfalls auf dem Gelände geplant.

Lärmschutzregelungen unnötig

Doch benachbarte Landwirte wollten den Neubau verhindern. So rügten sie, dass der Bebauungsplan der Gemeinde zu unbestimmt sei. Er enthalte keine Regelungen für die nächtliche Nutzung des Parkplatzes.

Das sei auch nicht nötig, entschied das Verwaltungsgericht. „Bei lebensnaher Betrachtung liegt es auf der Hand, dass der nächtliche Zu- und Abfahrtsverkehr zu der genehmigten Altenpflegeeinrichtung gering ausfallen wird“. Das gelte nicht nur für das Seniorenheim selbst, sondern auch für Cafeteria, Friseur und Fußpflegepraxis. Nach 22 Uhr abends sei insgesamt kaum Besucherverkehr zu erwarten.

Dass es wegen der mutmaßlichen Hörschwäche mehrerer Bewohner zu lauten Rufen auf dem Parkplatz kommen werde, sei rein spekulativ. „Jedenfalls wären diese Geräusche sozialadäquat und letztlich wohntypisch“, stellte das Verwaltungsgericht klar. Ohnehin liege das geplante Heim nicht in einem reinen Wohngebiet. So befänden sich in der Nähe unter anderem die landwirtschaftlichen Betriebe der Antragsteller selbst sowie eine Kirche.

Az.: 2 K 2792/23




sozial-Köpfe

Unternehmen

Michael Dietmann wird Chef des Unionhilfswerks Berlin




Michael Dietmann
epd-bild/Unionhilfswerk
Michael Dietmann wurde vom Stiftungsrat des Unionhilfswerks Berlin zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. Er ist seit dem 1. Januar Mitglied des Vorstands und übernimmt zum 1. Oktober 2024 die Position des Vorsitzenden.

Berlin (epd). Michael Dietmann rückt an die Spitze des Unionhilfswerks, einem breit gefächerten Berliner Sozialträger. Dietmann ist derzeit Vorsitzender des Aufsichtsrates der gemeinnützigen Gesellschaften des Unternehmens und stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates. Er ist gelernter Bankkaufmann und hat ein Betriebswirtschaftsstudium an der FU Berlin abgeschlossen.

In den vergangenen fast 20 Jahren war er in unterschiedlichen Funktionen bei unterschiedlichen Unternehmen der Finanzbranche in leitender Funktion tätig. Seit 1995 ist das CDU-Mitglied Parlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus. Dietmann tritt die Nachfolge von Norbert Prochnow an, der seit 2014 das Amt des Vorstandsvorsitzenden innehat und am 30. September 2024 aus dem Vorstand ausscheiden wird.

Thomas Georgi, Vorsitzender des Stiftungsrats, sagte: „Michael Dietmann verfügt über umfangreiche Erfahrung im Finanzsektor und hat seine Fähigkeiten zur Bewältigung komplexer organisatorischer Herausforderungen in leitenden Positionen bei namhaften Finanzinstituten unter Beweis gestellt.“ Sein Engagement für das Gemeinwesen zeige sich auch in seiner langjährigen Mitgliedschaft im Abgeordnetenhaus von Berlin.

Vor der offiziellen Übergabe im kommenden Herbst wird Dietmann als drittes Mitglied in die Geschäfte eingearbeitet. Zum Vorstand zählt neben dem Vorsitzenden Norbert Prochnow der stellvertretende Vorsitzende Andreas Sperlich. Prochnow sagte, er kenne Dieckmann seit fast 15 Jahren und sei „fest davon überzeugt, dass die Zukunft des sozialen Trägers in guten Händen liegt“.

Das christliche Hilfswerk wurde 1947 gegründet und zählt nach eigenen Angaben 3.000 Mitarbeitende und etwa 900 Freiwillige. Es betreut und unterstützt rund 5.500 Menschen in über 130 Einrichtungen in unterschiedlichen sozialen Feldern.



Weitere Personalien



Rüdiger Schuch (55), Pfarrer aus Westfalen, hat zum Jahreswechsel als Nachfolger von Ulrich Lilie das Amt des Präsidenten der Diakonie Deutschland übernommen. Zuletzt vertrat Schuch von 2020 bis 2023 als Leiter des Evangelischen Büros NRW in Düsseldorf die Landeskirchen im Rheinland, von Westfalen und Lippe gegenüber der Landesregierung und dem Landtag von Nordrhein-Westfalen. Zuvor war der Theologe Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Perthes-Stiftung e.V., einem diakonischen Träger in Münster. Von 2006 bis 2013 stand Schuch als Superintendent an der Spitze des Evangelischen Kirchenkreises Hamm und gehörte in dieser Zeit verschiedenen diakonischen Aufsichtsgremien an.

Sabine Bösing ist seit dem Jahreswechsel neue Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W). Sie war bisher stellvertretende Geschäftsführerin und löst Werena Rosenke ab, die in den Ruhestand tritt. Bösing ist seit 2018 als Fachreferentin für die Themen Gesundheit, Frauen, Familien und als stellvertretende Geschäftsführerin für die BAG W tätig. Ihre bisherigen Aufgaben hat Fachreferent Joachim Krauß übernommen.

Claudia Matthäus, Paul-Gerhard Stäbler und Andreas Wahl sind seit Jahresbeginn neue Richterinnen und Richter am Bundessozialgericht. Matthäus, promovierte Juristin, kommt von der Bayerischen Sozialgerichtsbarkeit und war März 2021 bis Februar 2023 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Bundessozialgericht abgeordnet. Sie wurde dem für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zuständigen 1. Senat des Bundessozialgerichts zugewiesen. Paul-Gerhard Stäbler stammt aus Stuttgart und wurde im Juli 2016 zum Richter am Landessozialgericht Badenwürttemberg. ernannt. 2017 bis 2019 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Bundesverfassungsgericht abgeordnet. Er gehört dem für die Sozialhilfe und das Asylbewerberleistungsrecht zuständigen 8. Senat an. Andreas Wahl, promovierte Jurist, war zunächst am Sozialgericht Chemnitz tätig. Nach zwischen-zeitlichen Abordnungen an das Sächsische Landessozialgericht und das Bundessozialgericht wurde er im Dezember 2005 zum Richter am Landessozialgericht und im Juli 2012 zum Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht ernannt. Er wurde dem für die gesetzliche Unfallversicherung zuständigen 2. Senat zugewiesen.

Ruth Schröck, 1987 erste Pflegeprofessorin in Deutschland an der Fachhochschule Osnabrück, ist tot. Sie starb am 30. Dezember in ihrer Wahlheimat Edinburgh in Schottland. „Ruth Schröck war eine der großen und prägenden Persönlichkeiten für die professionelle Pflege in Deutschland“, sagte DBfK-Präsidentin Christel Bienstein über verstorbene das Ehrenmitglied. Schröck habe mit dem Hintergrund ihrer beruflichen und akademischen Ausbildung und Tätigkeit in Großbritannien beeinflusste ganz entscheidend den frühen Diskurs um die Akademisierung der Pflege und das Denken über die professionelle Pflege beeinflusst. Ihre Verdienste wurden in Deutschland und in Großbritannien mehrfach anerkannt, beispielsweise mit mehreren Ehrendoktorwürden. Der Bundespräsident verlieh ihr 2017 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Thorsten Kaatze (53) hat den Vorsitz der Geschäftsführung des Evangelischen Klinikums Bethel in Bielefeld (EvKB) übernommen. Er leitet gemeinsam mit Matthias Ernst die Geschäftsführung der Betheler Krankenhäuser in Bielefeld. Ernst bleibt weiterhin Vorsitzender Geschäftsführer des Krankenhauses Mara und Geschäftsführer des EvKB. Kaatze tritt die Nachfolge von Mathias Kreft an, der Bethel zum Jahresende verlassen hat. Kaatze bringt 13 Jahre Erfahrung in der Führung eines Universitätsklinikums mit. Der gebürtige Mindener hatte seit 2010 in verschiedenen Funktionen für das Universitätsklinikum Essen gearbeitet.

Tobias Gaydoul, Finanzvorstand der Rummelsberger Diakonie, ist in die Sprechergruppe des Brüsseler Kreises gewählt worden. Der Zusammenschluss von 13 europäischen Unternehmen der Sozialwirtschaft vertritt die Gruppe nach außen. Die Wahlperiode beträgt sechs Jahre. Gaydoul ist seit 1. April 2020 Vorstand Finanzen der Rummelsberger Diakonie und Geschäftsführer der Rummelsberger Dienste für Menschen gGmbH. Der gebürtige Darmstädter war bis zu seiner Beschäftigung bei der Rummelsberger Diakonie für die KMPG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig. Dort leitete er schwerpunktmäßig Projekte in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Darüber hinaus wirkt Gaydoul in Aufsichtsräten und Beiräten von Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft, Banken und Versicherungen mit.

Stephan Dransfeld leitet seit dem Jahreswechsel den neu geschaffenen Funktionsverbund Eingliederungshilfe und Außerklinische Pflege der Alexianer, einem der größten konfessionellen Träger in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft. Benjamin Michael Koch führt jetzt nach einer grundlegenden Strukturreform den Verbund Rheinland. Für zwei weitere Verbünde werden die Leitungskräfte noch gesucht. Zum 1. Januar wurde zwischen der Zentrale in Münster und den zwölf Regionen eine weitere Ebene eingezogen: die Verbünde, die zusammen liegende Regionen verbinden. Jetzt gibt es vier Verbünde: Rheinland, Westfalen, Berlin-Brandenburg, Sachsen-Anhalt und den Funktionsverbund Eingliederungshilfe und Außerklinische Pflege.

Jens Domke (34) ist seit dem Jahreswechsel Direktor des Johanniter-Krankenhauses Stendal. Vorgänger Michael Schmidt wechselte zum 1. Oktober 2023 an das Ev. Krankenhaus Hubertus in Berlin. Domke hat seine beruflichen Wurzeln im Bereich der Pflege. Bei der Helios Klinik Blankenhain konnte der Gesundheitsökonom in der Position des Standortleiters Führungserfahrung sammeln. Parallel dazu war er außerdem als Geschäftsführer des HeliMed Versorgungszentrums in Erfurt tätig. Neben Domke sind weiterhin Ines Donner als Kaufmännische Direktorin, Beate Wogawa als Pflegedirektorin und Professor Jörg Fahlke als Ärztlicher Direktor im Leitungssteam.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis Februar



Januar

15.1.:

Online-Seminar „Rechtliche Beratung in der Wohnungslosenhilfe - Mehr GeRECHTigkeit auf der Straße“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

16.1. Köln:

Seminar „Interne Revision bei gemeinnützigen Trägern“

der Solidaris Unternehmensberatung

Tel.: 02203/8997-119

16.1. Köln:

Seminar „Basiswissen Altenhilfe“

der Solidaris Unternehmensberatung

Tel.: 02203/8997-221

17.1.:

Webinar „Probleme in der Pflege lösen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98816-802

19.1.-2.2.:

Online-Seminar „Psychiatrische Krankheitsbilder - Grundlagen“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-476

22.1.:

Online-Kurs „Agiles Führen - Methoden zur Steigerung der Verantwortlichkeit, Zusammenarbeit und Selbstorganisation“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

24.1. Köln:

Seminar „Personaleinsatzplanung unter dem Bundesteilhabegesetz“

der BFS Service GembH

Tel.: 0221/98816-802

24.1.:

Online-Seminar „Soziale Arbeit über Grenzen hinweg - offenes Beratungsangebot zu Einzelfragen der Kinder- und Jugendhilfe mit Auslandsbezug“

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980605

24.1.:

Online-Seminar „Soziale Arbeit über Grenzen hinweg - offenes Beratungsangebot zu Einzelfragen der Kinder- und Jugendhilfe mit Auslandsbezug“

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-605

24.1.:

Online-Kurs „Arbeitsorganisation und Tourenplanung - ein Seminar zur neuen Personalbemessung in stationären Pflegeeinrichtungen“

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/286976-10

25.1. Berlin:

Seminar „Das Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation für Pflegefachkräfte“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828212

29.1.-28.3. Stuttgart:

Seminar „Von der Fach- zur Führungskraft“

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-142

Februar

12.2. Berlin:

Seminar „Wer schaukelt das Kind? Partnerschaftliche Vereinbarkeitspolitik in der Diskussion. Pflege, Kinderbetreuung und Beruf geschlechtergerecht gestalten“

des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge

Tel.: 030/62980-605

12.2.-4.3.:

Online-Seminar „Nachwuchs gewinnen und fördern - so geht's“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828212