sozial-Branche

Behinderung

Interview

Caritas-Fachverband: Personalmangel gefährdet Teilhaberechte




Hubert Vornholt
epd-bild/Andreas Buck/Caritas-Fachverband CBP
Bei der Caritas ist die Sorge groß, die Betreuung von Menschen mit Behinderung wegen fehlender Mitarbeiter nicht mehr sicherstellen zu können. Welche Folgen lange Vakanzen haben, erläutert Hubert Vornholt, Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, im Interview.

Berlin (epd). In der Eingliederungshilfe fehlen viele Beschäftigte - nicht nur Fachkräfte. Die Folge: Ohne ausreichendes Personal gibt es keine adäquate Betreuung und Unterstützung, etwa in Wohngruppen. Das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe gerate in Gefahr, sagt Hubert Vornholt, der Direktor des Franz Sales Hauses in Essen. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Der evangelische Fachverband für Teilhabe (BeB) hat seine Mitglieder zum Personalnotstand befragt, mit erschreckenden Ergebnisse. Es dauert nicht selten Monate, bis eine vakante Stelle neu besetzt werden kann. Können Sie als Caritas-Fachverband diese Personalprobleme bestätigen?

Hubert Vornholt: Das ist definitiv der Fall. Die Bereitstellung von ausreichend Personal etwa für die Assistenz ist derzeit das drängendste Problem in der Behindertenhilfe. Und das hat massive Folgen. Der Rechtsanspruch auf selbstbestimmte Teilhabe ist nicht zu verwirklichen, wenn das dafür erforderliche Personal nicht verfügbar ist beziehungsweise nicht gewonnen werden kann. Der akute Personalmangel verhindert bereits jetzt sehr häufig, dass Menschen mit Behinderungen die Unterstützungsleistungen erhalten, die sie benötigen.

epd: Das Problem sind aber nicht nur die Fachkräfte, die fehlen?

Vornholt: Nein. Der Personalmangel betrifft inzwischen auch auf Assistenz- und Hilfskräfte. Die Mehrbelastungen der Mitarbeitenden, auch bedingt durch die Pandemie, immer höhere Qualitätsanforderungen sowie Schicht-, Teil- und Wochenenddienste, führen dazu, dass Personal der Eingliederungshilfe zunehmend in attraktivere Bereiche des Sozial- und Gesundheitswesens abwandert.

epd: Gibt es bereits Einrichtungen und Dienste, die ihre Angebote reduziert haben?

Vornholt: Ja, denn es gab bei uns im Verband schon 2022 eine bundesweite Erhebung über den künftigen Fachkräftebedarf in den Angeboten der Eingliederungshilfe. Die Auswertung hat gezeigt, dass 83 Prozent der Einrichtungen bereits Probleme bei der Stellenbesetzung beklagen und fünf Prozent der Fachkraftstellen bereits unbesetzt waren.

epd: Was sind die Folgen, wenn Stellen unbesetzt bleiben?

Vornholt: Unsere Träger schränken ihre Angebote im Bereich der Partizipation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein. Wohngemeinschaften in den sogenannten besonderen Wohnformen müssen geschlossen werden. Betroffene erhalten folglich keine Unterstützungsangebote mehr. Jene, die keinen Platz in einer besonderen Wohnform bekommen, müssen in der Herkunftsfamilie bleiben oder notfalls dorthin wieder zurückkehren.

epd: Wie ist die Situation bei der Ausbildung? Gibt es da Hoffnungen für die Zukunft?

Vornholt: Eine andere Erhebung aus dem Jahr 2023 zur Ausbildungssituation in den Bundesländern zeigt, dass es keinen Zuwachs bei der Ausbildung gibt und sich die Zahlen dort nur verstetigen. Aber in der Summe berichten die Mitglieder von einem bundesweit moderaten bis starkem Rückgang des Interesses an der Ausbildung der Heilerziehungspflege.

epd: Wie sähe eine zeitnahe Lösung bei der Personalrekrutierung aus, wenn es sie überhaupt gibt?

Vornholt: Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Wir meinen, grundsätzlich müssen zunächst bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen im Job geschaffen werden. Nur so ist es möglich, die Attraktivität des Berufsbildes bundesweit zu steigern und junge Menschen für das Berufsbild Heilerziehungspflege gewinnen zu können. Nachteilig ist auch, dass Auszubildende in manchen Bundesländern, so zum Beispiel in Niedersachsen, immer noch Schulgeld zahlen. Deshalb fordern wir schon lange die vollständige Refinanzierung der Ausbildungskosten und -vergütungen in diesem Hilfefeld sowie die bundesweite Abschaffung des Schulgelds.

epd: Was ist mit den auch in der Pflege umworbenen Menschen aus dem Ausland?

Vornholt: Auf die muss sich der Blick mehr richten, die Anwerbung muss verstärkt werden. Aber leider haben ausländische Fachkräfte noch immer ein komplexes Anerkennungsverfahren mit hohen bürokratischen Hürden zu durchlaufen. Es vergeht in Deutschland viel zu viel Zeit, in der ausländische Fachkräfte als Nichtfachkräfte tätig sind - und auch nur eine niedrigere Entlohnung erhalten, was die Anwerbung zusätzlich unattraktiv macht. Hilfreich wäre auch eine Fachkräfte-Offensive der Bundesregierung zur Bekanntmachung und Steigerung der Attraktivität der Berufe in der Eingliederungshilfe.

epd: Das ist sozusagen die höhere Ebene. Was ist vor Ort möglich?

Vornholt: Auf der Ebene der Träger von Diensten und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen kann die Lösung nur darin bestehen, attraktive Bedingungen für junge Bewerber zu bieten, durch eine überzeugende Darstellung des Unternehmens als interessanter Arbeitgeber aufzutreten und sich mit Hilfe kreativer Methoden der Personalgewinnung und -bindung einen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitnehmermarkt zu verschaffen. Es kann auch helfen, jungen Menschen innerhalb der Berufsfindungsphase Zugang zu sozialen Bereichen zu verschaffen. Hier kann das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) ebenfalls einen geeigneten Zugang zur Heilerziehungspflege schaffen.

epd: Der Pflegenotstand ist seit Jahren ein Thema, aus der Behindertenhilfe hat man das so nicht gehört. Ist das ein Versäumnis, hier nicht Alarm geschlagen zu haben?

Vornholt: Tatsächlich ist es so, dass das Berufsbild der Heilerziehungspflege und darüber hinaus die Berufsbilder in der Eingliederungshilfe gegenüber der Pflege und der Kinderbetreuung und -erziehung wenig im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass Behinderung immer noch als Nischenthema begriffen wird. Es ist zu wenig im Bewusstsein, dass Behinderung kein Phänomen des Alters ist, sondern prinzipiell jeden treffen kann. Auch die Medien sind sehr zurückhaltend. Wir als CBP haben den Fachkräftemangel in der Behindertenhilfe seit längerem als Thema identifiziert. Schon 2019 richtete unsere Mitgliederversammlung den Blick auf die Fachkräfte in der Sozialwirtschaft, denn sie sind es, die die Qualität in der Eingliederungshilfe sichern und die Umsetzung der sozialen und beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen fördern. 2020 haben wir dann die Fachkräfte-Kampagne im CBP „DU ICH WIR … Miteinander auf dem Weg“ gestartet, unter anderem, um die Mitglieder bei der Personalgewinnung zu unterstützen. Und auch, um die Interessen von Fachkräften für soziale Berufe in der Eingliederungshilfe und Psychiatrie auf politischer und gesellschaftlicher Ebene offensiv in den Fokus zu rücken.



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