Karlsruhe (epd). Eine Hebamme sollte bei einer viel zu langen Hausgeburt und nachlassender Wehentätigkeit bei einer Schwangeren den Rettungswagen rufen. Denn stirbt das ungeborene Kind nach Eintritt der Wehen und hätte es bei rechtzeitiger Verständigung des Notarztes gerettet werden können, kommt eine Verurteilung der Hebamme wegen Totschlags durch Unterlassen infrage, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 19. Dezember veröffentlichten Beschluss.
Im konkreten Fall hob der BGH die Verurteilung einer Hebamme wegen Totschlags durch Unterlassen aber auf und verwies das Verfahren an das Landgericht Verden zurück. Die Hebamme hatte sich 1998 selbstständig gemacht. Nach den Feststellungen des Landgerichts entwickelte sie „zunehmend tiefgreifende Vorbehalte gegen Krankenhausgeburten“. Spätestens 2009 meinte sie, dass natürliche Hausgeburten uneingeschränkt einer Klinikgeburt vorzuziehen seien. Entsprechend beriet sie Schwangere, darunter 2014 auch die 39-jährige Nebenklägerin.
Nachdem die Frau am 9. Januar 2015 einen Blasensprung erlitten hatte und Eröffnungswehen einsetzten, meinte die Hebamme, dass die Hausgeburt ihren üblichen Verlauf nimmt. Doch die Geburt schritt sehr langsam voran. Erst zwei Tage später führte die Hebamme bei der Kindsmutter einen Test durch, um den Blasensprung sicher zu diagnostizieren. Blut und Körpertemperatur wurden nicht auf Entzündungszeichen hin untersucht. Eine vorsorgliche Antibiotika-Therapie unterblieb, obwohl dies spätestens 24 Stunden nach Eröffnung der Fruchtblase empfohlen ist.
Als die Kindsmutter einen stechenden Schmerz verspürte und die Wehentätigkeit nachließ, rief die hinzugezogene Hausärztin den Rettungswagen. Spätestens auf dem Transport in die Klinik starb das ungeborene Kind an einem Sauerstoffmangel.
Das Landgericht verurteilte die Hebamme wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer vierjährigen Haftstrafe. Sie habe trotz der Geburtskomplikationen „in arroganter und selbstüberschätzender Art und Weise“ wegen ihrer Abneigung gegen Krankenhausgeburten nicht rechtzeitig den Rettungswagen gerufen.
Der BGH hob diese Entscheidung jedoch auf und verwies das Verfahren zur erneuten Prüfung an das Landgericht zurück. Allerdings sei eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen nicht ausgeschlossen. Das „Unterlassen“ setze jedoch voraus, dass der Tod des Kindes bei rechtzeitiger Verständigung des Rettungswagens „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre“. Dies sei hier nicht der Fall.
Das Landgericht habe erst für den frühen Morgen des Todestages den Tötungsvorsatz der Angeklagten festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt habe nur noch eine „gewisse“ Wahrscheinlichkeit für die Rettung des Kindes bestanden. Das Landgericht müsse daher den Schuldspruch wegen Totschlags durch Unterlassen in Tateinheit mit Körperverletzung noch einmal prüfen.
Mit Beschluss vom 11. Mai 2016 hatte der BGH dagegen eine Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten gegen eine erfahrene Hebamme und approbierte Ärztin bestätigt. Die Angeklagte hatte trotz Komplikationen und drohendem Sauerstoffmangel beim Kind an einer „Hausgeburt“ in einem Hotel festgehalten. Das Kind kam sterbend zur Welt. Dadurch sei die Schwelle von der „bewussten Fahrlässigkeit“ zum „Totschlag durch Unterlassen“ überschritten, entschied das Landgericht in seinem nun vom BGH bestätigten Urteil.
Lässt eine Hebamme eine Mutter und ihr gerade geborenes Baby im Kreißsaal allein, sollte immer auch an Notfälle gedacht werden. Denn kann die Mutter im Notfall keine Klingel in Reichweite betätigen, liegt bei einem eintretenden Gesundheitsschaden ein grober Behandlungsfehler vor, für den das Krankenhaus und die Hebamme haften, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Celle am 20. September 2021.
Im Streitfall konnte eine Mutter wegen der nur zwei Stunden zurückliegenden Geburt ihres Kindes noch nicht aufstehen. Als sie das in seinem Bettchen liegende Kind verdächtig ruhig empfand, konnte sie die Hebamme wegen einer fehlenden Klingel nicht herbeirufen. Später stellte sich heraus, dass das Kind wegen einer verringerten Atemfrequenz eine schwere Hirnschädigung erlitten hatte. Hierfür müssten Klinik und Hebamme ein Schmerzensgeld von 300.000 Euro sowie für die künftig anfallenden Kosten eine Entschädigung zahlen, urteilte das OLG.
Az.: 6 StR 128/23 (BGH, Totschlag wegen Unterlassens)
Az.: 4 StR 428/15 (BGH, Hausgeburt im Hotel)
Az.: 1 U 32/20 (OLG Celle)