sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

in diesem Sommer konnte sich mehr als jeder Fünfte in Deutschland keine Fahrt in den Urlaub leisten. Die hohe Inflation schmälerte das Reisebudget. Antje Funcke, Expertin für Familie und Bildung bei der Bertelsmann Stiftung, sagt, ohne Urlaub fehlten Kindern Erfahrungsräume und neue Erlebnisse. „Sie können auch in der Kita oder Schule später nicht erzählen, was sie Tolles in den Ferien erlebt haben, und fühlen sich dann häufig ausgegrenzt und zurückgesetzt“, erklärt Funcke.

Nach monatelangem Ringen in der Ampel-Koalition hat das Bundeskabinett nun die Einführung einer Kindergrundsicherung gebilligt. Damit will die Bundesregierung die Kinderarmut verringern. Allerdings wachsen die Zweifel der Praktiker, ob die Umsetzung gelingen kann.

Wohnungen von Messies sehen oft schockierend aus: Zimmer sind mit überflüssigen Gegenständen zugestellt, Essensreste liegen herum und stinken. Die Zahl der Menschen mit dem Messie-Syndrom wird auf bundesweit drei Millionen geschätzt. Der diakonische Verein „Fortis“ versucht zu helfen. Dabei sei viel Feingefühl gefordert. Denn das Thema sei extrem schambesetzt, sagt Joachim Schönstein, der die gemeindepsychiatrischen Hilfen von „Fortis“ in Leonberg leitet.

Viele Pflegeheimbetreiber in Deutschland geraten nach Informationen des Bremer Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang wegen der schlechten Zahlungsmoral von Sozialhilfeträgern in Schwierigkeiten. „Es gibt zig Millionen Rückstände“, sagte Rothgang im epd-Interview. Das bringe Einrichtungen an den Rand des Ruins.

Solange Sozialträger von einer staatlichen Investitionskostenförderung für ein Pflegeheimgebäude profitieren, dürfen sie für angefallene Investitionskosten von den Bewohnerinnen und Bewohnern ohne behördliche Genehmigung keine höheren Tagessätze verlangen. Dies gelte auch dann, wenn die bei der Bewilligung der Förderung festgelegte Zweckbindung für das Gebäude zwar ausgelaufen ist, der Heimbetreiber aber noch Abschreibungen geltend machen kann, urteilte das Bundessozialgericht.

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Ihr Markus Jantzer




sozial-Politik

Armut

Zu arm für eine Urlaubsreise




Drachensteigen an der Nordseeküste
epd-bild/Dieter Sell
Mehr als jeder fünfte Deutsche kann sich keinen Urlaub leisten. Rentner und Familien sind besonders oft betroffen. Eine Rentnerin und der Vater einer schwerbehinderten Tochter berichten.

Frankfurt a. M. (epd). Über 14 Jahre ist es her, dass Gudrun Bayerlein (Name geändert) zuletzt im Urlaub war. Die Reise nach Ungarn, an den Plattensee, war die letzte für eine lange Zeit. „Es kostet mich seelisch so viel Kraft, überhaupt nach einem Urlaub zu schauen, weil ich genau weiß, dass ich es mir nicht leisten kann“, sagt die 81-Jährige.

Als alleinstehende Frau hatte die Münchnerin immer finanzielle Schwierigkeiten, trotz ihrer Arbeit als Sekretärin. Heute, als Rentnerin, sei eine Reise nahezu unmöglich. Da sie sich für ihre Armut schäme, möchte sie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen.

Geschmälertes Reisebudget

So wie Bayerlein geht es vielen Deutschen. Fast 22 Prozent der Bevölkerung können es sich nicht leisten, für eine Woche im Jahr in den Urlaub zu fahren. Das geht aus Daten des Statistikamtes der Europäischen Union, Eurostat, hervor.

Alleinstehende mit minderjährigen Kindern im Haushalt waren mit 42 Prozent besonders häufig betroffen. Auch Familien und Rentner können sich oft keine Reise leisten. So waren es im vergangenen Jahr mehr als 28,7 Prozent der Erwachsenen über 65 Jahre, die auf einen Urlaub verzichten mussten. Im Jahr zuvor waren es noch 27,3 Prozent.

Dieses Jahr ist die Situation besonders schwierig. Inflation, steigende Energie- und Lebensmittelpreise schmälern das Reisebudget. Dennoch habe der Urlaub für viele Deutsche immer noch einen hohen Stellenwert, wie aus der Tourismusanalyse 2023 der Stiftung für Zukunftsfragen hervorgeht.

Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung, teilte dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit: „Der Urlaub ist und bleibt das Highlight des Jahres. Auf diese magischen zwei Wochen fiebern wir hin, wir sparen auf sie hin, und wir freuen uns darauf, endlich unterwegs zu sein.“ Die Vorfreude und das Berichten hinterher seien dabei fast genauso wichtig wie der Urlaub selbst.

Erfahrungsräume für Kinder

Um sich den Urlaub trotz steigender Preise leisten zu können, sind die Deutschen bereit, auf einiges zu verzichten, wie aus der Analyse hervorgeht. Demnach gab mehr als jeder Zweite an, sich im Alltag einzuschränken, um sich seinen Urlaub leisten zu können. 54 Prozent wollen am Urlaubsort ihre Restaurantbesuche einschränken. Zudem gab etwa die Hälfte an, nicht mehr jedes Jahr zu verreisen.

Mit höherem Verdienst steigen die Reisehäufigkeit, die Dauer sowie die Ausgaben für den Urlaub. „Ruheständler und Singles verreisen unterdurchschnittlich häufig, aber haben auch wiederum oftmals ein geringeres frei verfügbares Einkommen“, sagt Reinhardt.

Besonders Familien können sich oft keine Reise leisten. Antje Funcke, Expertin für Familie und Bildung bei der Bertelsmann Stiftung, weiß, was das mit Kindern macht. „Kindern ist sehr bewusst, wenn ihre Freundinnen und Freunde in den Ferien verreisen, sie selbst aber nie in den Urlaub fahren können, da das Geld einfach nicht da ist.“ Damit würden ihnen Erfahrungsräume und neue Erlebnisse fehlen, die die meisten anderen Kinder auf den Reisen haben. „Sie können auch in der Kita oder Schule später nicht erzählen, was sie Tolles in den Ferien erlebt haben, und fühlen sich dann häufig ausgegrenzt und zurückgesetzt“, erklärt Funcke weiter.

Sehr wichtig für das Familienklima

Ferien seien zudem wichtige Erholungs- und Entspannungszeiten für die Familie, in denen Zeit füreinander da ist, Stress und Sorgen im Alltag ausgeblendet werden können. „Das ist für das Familienklima sehr wichtig. Nicht einmal eine Woche Urlaub im Jahr machen zu können, ist insofern eine Belastung für die ganze Familie“, sagt Funcke.

Auch für Thomas Eder (Name geändert) ist eine Urlaubsreise in weite Ferne gerückt. Der Vater einer schwerbehinderten Tochter war das letzte Mal vor vier Jahren im Urlaub, kurz vor der Geburt seiner heute dreieinhalbjährigen Tochter. „Mein Kleine litt bei der Geburt unter Sauerstoffunterversorgung“, sagt der 45-Jährige. Dadurch habe sie enorme gesundheitliche Schäden. „Sie ist sehbehindert, hat Epilepsie und ist geistig zurückgeblieben.“ Er möchte anonym bleiben, da er nicht will, dass die Erkrankungen seines Kindes öffentlich zu lesen sind.

Therapiebesuche stehen bei ihm auf der Tagesordnung. „Sie muss regelmäßig zur Logopädie, zur Physiotherapie und in die Blindenschule“, sagt der Saarbrücker. Die Behandlungen sind mit enormem Zeitaufwand verbunden. Um seine Tochter bestmöglich zu unterstützen, bleibt er in ihrer Nähe. „Ich kann das Saarland nicht einfach verlassen, ich habe Verantwortung für mein Kind“, sagt der Psychologe.

Stefanie Unbehauen


Armut

Es reicht kaum noch für das Billigste




Kinderzeichnung zum Thema Armut
epd-bild/Pat Christ
Ein neues Spielzeugauto, weil das alte kaputt ist. Ein trendiger Nagellack, weil ihn die anderen Mädels in der Klasse auch haben. Oder einfach ausreichend zu essen. Für viele Kinder in Deutschland ist das nicht drin, weil sie arme Eltern haben.

Selb (epd). Es war ein komisches Gefühl für Anna (alle Namen geändert). „Da standen so viele Menschen“, schildert die 13-Jährige aus dem oberfränkischen Selb ihren Eindruck, als sie das erste Mal mit ihrer Mutter zur Tafel der Malteser ging. Das war im August. Bis dahin hatte Sabine Mohn stets versucht, die Familie aus eigener Kraft zu versorgen. Aufgrund der Teuerungen gelang das nicht mehr. Immer mehr Familien geht das so.

Auch sie habe nicht gedacht, dass der Andrang bei der Tafel so groß sei, bestätigt Annas 35 Jahre alte Mutter. Inzwischen haben sich beide an den Anblick gewöhnt. Jeden Samstag gehen sie zur Tafel. „Lebensmittel im Supermarkt zu kaufen, ist ja fast unmöglich geworden“, sagt Sabine Mohn Die Trennung vom Vater ihrer heute 13, elf und vier Jahre alten Kinder vor rund zwei Jahren bildete den Anfang ihrer finanziellen Talfahrt.

„Niemand unterstützt mich“

Die hauswirtschaftstechnische Helferin lebt von Bürgergeld. Wegen ihrer Kinder konnte sie bisher nicht arbeiten gehen: „Ich habe niemanden, der mich unterstützt.“ Annas Papa lebt sechs Stunden entfernt. Sie verzichte aufs Geldverdienen, weil es ihr wichtig sei, dass ihre Kinder gut groß werden, sagt Sabine Mohn Sie liebe alle drei sehr. Dass sie ihnen dauernd Wünsche versagen muss, schmerze sie.

Auf der Hitliste des Jüngsten stehen Spielzeugautos. Doch die gibt es nur selten. Die 13-jährige Anna liebt Sushi. Längst jedoch hat Anna aufgehört, um etwas zu bitten. Im Gegenteil. Sie ist, schildert ihre Mutter, so vernünftig, dass sie beim Einkaufen von sich aus immer nach den billigsten Produkten sucht. Wie es ist, notorisch klamm zu sein, fasst der Teenager so zusammen: „Ganz schön scheiße.“

Längst ist erwiesen, dass Armut krank machen kann. Und sie grenzt aus. Letzteres erfährt auch Anna. Eine einzige Freundin habe sie. Problematisch ist für Anna, dass sie fast nie mithalten kann. „Sie würde sich gern die Nägel machen lassen“, sagt ihre Mutter. Fast alle Gleichaltrigen gingen ins Nagelstudio. Anna möchte sich ihre Nägel nun selbst machen. Ihre Mutter spart daher auf ein Nagel-Set - als Weihnachtsgeschenk.

Sabine Mohn wünscht sich mehr soziale Gerechtigkeit - vor allem für Eltern. Dem oft geäußerten Vorwurf, das Bürgergeld sei doch recht üppig, widerspricht sie: Wegen der Inflation reiche es längst nicht mehr. Hoffnung hatte die vierköpfige Familie, dass bald ausreichend Kindergrundsicherung gezahlt würde. Doch vom Entwurf des Gesetzes ist sie enttäuscht. Auch das werde ihre Situation nicht wesentlich verbessern, sagt sie.

Beengte Wohnverhältnisse

Die Tafeln kann man durchaus als eine Art Sozialbarometer betrachten: Nicht nur in Selb, sondern überall in Deutschland stehen die Menschen vor Tafel-Läden Schlange. Immer mehr Tafeln haben einen Aufnahmestopp. Peter Enzi von den Maltesern im Bistum Regensburg, der den Tafel-Laden in Selb leitet, macht die wachsende Armut Sorgen. Vor allem, weil sich nicht alle Armen trauen, Unterstützung zu holen.

Insbesondere Familien sind von Armut betroffen. Wobei es einen Unterschied macht, ob sie auf dem Land oder in einer Großstadt leben. „Für viele Münchner Haushalte stellt schon in normalen Zeiten die Finanzierung der laufenden Wohn- und Lebenshaltungskosten eine Herausforderung dar“, heißt es im Münchner Armutsbericht von 2022. Das führt zu äußerst beengten Wohnverhältnissen.

„Wir kennen hier in München Familien, die zu sechst in einem Zimmer wohnen“, berichtet etwa eine Münchner Schwangerenberaterin. Werden Frauen, die in derart beengten Verhältnissen leben, neuerlich schwanger, sorge das für einen regelrechten Schock. Fast zwangsläufig führt der Weg in die Schwangerschaftskonfliktberatung: „Oft äußern die Frauen bei uns, dass sie sich ein weiteres Kind einfach nicht leisten können.“

Aber auch auf dem Land wird Wohnen immer mehr zum sozialen Thema. „Das Thema kommt mindestens bei jedem zweiten Kontakt vor“, sagt Diana Mameli vom Caritasverband Amberg-Sulzbach. Der Sozialarbeiterin, die in der Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe sowie in der Sozialberatung arbeitet, fällt noch etwas anderes auf: „Mindestens jeder Zweite, der zu mir kommt, ist psychisch belastet.“ Das sei früher nicht so gewesen.

Der Familiensoziologe Josef Brüderl von der Uni München sagt, wer etwas gegen die „relative“ Kinderarmut tun wolle, müsste die Einkommensungleichheit reduzieren. „Das würde deutliche Eingriffe in die Einkommensverteilung erfordern“, sagt der Wissenschaftler. Doch bisher habe sich dies niemand in der Politik getraut.

Pat Christ


Familie

Grünes Licht und viel Kritik am Gesetz der Kindergrundsicherung




Die Kindergrundsicherung kommt.
epd-bild/Detlef Heese
Mit der Kindergrundsicherung will die Bundesregierung Kinderarmut verringern. Bisher wurde das sozialpolitische Reformvorhaben vom Ampel-Streit um die Finanzierung dominiert. Nun wachsen die Zweifel der Praktiker, ob die Umsetzung gelingen kann.

Berlin (epd). Nach monatelangem Ringen in der Ampel-Koalition hat das Bundeskabinett am 27. September in Berlin die Einführung einer Kindergrundsicherung gebilligt. Der Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sieht vor, dass mit der Kindergrundsicherung das Kindergeld, der Kinderzuschlag für Familien mit wenig Einkommen und Leistungen für Kinder im Bürgergeld und in der Sozialhilfe zusammengefasst werden. Dazu zählen auch Beträge für Schulsachen und Freizeitaktivitäten.

„Antwort auf Kinderarmut“

Die Kindergrundsicherung soll zum 1. Januar 2025 eingeführt werden. Kritik kam aus der Verwaltung und von Sozialverbänden. Die SPD drang darauf, den Zeitplan einzuhalten.

Paus bezeichnete die Reform als „eine Antwort auf die Kinderarmut“. Mit der Kindergrundsicherung knüpfe die Ampel-Regierung „ein wirksames Sicherheitsnetz für alle Kinder und ihre Familien“, erklärte sie. Armutsgefährdete Alleinerziehende im Bürgergeld würden bessergestellt, da sie künftig in der Regel 55 Prozent der Unterhaltszahlungen behalten dürften. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren, die heute den Kinderzuschlag bekommen, würden etwa 60 Euro mehr im Monat erhalten, junge Erwachsene voraussichtlich 42 Euro mehr. Kinder bis 14 Jahre könnten durch die Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums bis zu 28 Euro monatlich mehr erhalten, sagte Paus.

Die Armutsquote für Kinder und Jugendliche liegt in Deutschland seit Jahren bei rund 20 Prozent. Insgesamt sollen mit der Kindergrundsicherung 5,6 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erreicht werden, davon knapp zwei Millionen Kinder, die heute Bürgergeld beziehen. Die Reform werde dafür sorgen, dass Familien ihre Leistungen schneller, besser und einfacher erhielten, versicherte Paus.

Teure Doppelstrukturen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bezweifelte das. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel forderte die Fraktionen im Bundestag auf, das Gesetz zu verbessern. Viele Familien müssten für einzelne Unterstützungen, etwa für eine Klassenfahrt, andernfalls auch weiterhin zum Jobcenter. Der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, rechnete hingegen vor, dass die 1.000 Jobcenter in Deutschland näher an den Menschen seien, als es 300 Familienservice-Stellen für die Kindergrundsicherung sein könnten. Es würden teure Doppelstrukturen aufgebaut: „Das wird ein Verwaltungs-Desaster“, warnte Sager. Ähnlich äußerte sich der Städte- und Gemeindebund. Er rechnet mit 500 Millionen Euro zusätzlicher Verwaltungskosten.

Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, begrüßte den Kabinettsbeschluss. Er kritisierte aber, dass der Gesetzentwurf noch nicht abschließend rechtlich geprüft sei, und kündigte an, dass der Bundestag erst mit den Beratungen beginnen werde, wenn dies geschehen sei. Das Familienministerium rechnet für die zweite und die vierte Novemberwoche mit den ersten Beratungen im Bundestag und Bundesrat. Die Vize-Fraktionsvorsitzende der Union, Dorothee Bär (CSU), kritisierte, die Regierung schicke ein „unausgegorenes und umstrittenes Konzept“ ans Parlament und setze sich in beispielloser Weise über die Einwände von Ländern, Kommunen und Verbänden hinweg.

Diskriminierung aufgrund von Aufenthaltsstatus

Mehr als 20 Verbände forderten, minderjährige Flüchtlinge in die Kindergrundsicherung einzubeziehen. In einem gemeinsamen Appell erklärten unter anderen die Diakonie, das Kinderhilfswerk, der Paritätische und Pro Asyl, die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verbiete eine Diskriminierung aufgrund von Herkunft und Aufenthaltsstatus. Paus bestätigte, dass Kinder von Asylbewerberinnen und -bewerbern nicht einbezogen würden.

Für die Kindergrundsicherung stehen im Einführungsjahr 2,4 Milliarden Euro im Bundeshaushalt zur Verfügung, nach Angaben von Paus davon zunächst gut 400 Millionen für den Umbau der Verwaltung. Anfangs hatte die Ministerin zwölf Milliarden Euro für ihr Projekt gefordert. Im Gesetzentwurf wird davon ausgegangen, dass die Ausgaben für die Kindergrundsicherung bis 2028 bei einer Inanspruchnahme von 80 Prozent auf knapp sechs Milliarden Euro steigen werden.

Bettina Markmeyer


Familie

Hintergrund

Was sich durch die Kindergrundsicherung ändert



Berlin (epd). Das Bundeskabinett hat am 27. September in Berlin die Einführung einer Kindergrundsicherung beschlossen. Sie soll ab 2025 ausgezahlt werden. Ziel ist, die Kinderarmut in Deutschland zu senken und die Beantragung und Auszahlung der staatlichen Leistungen für Kinder zu vereinfachen. Fragen und Antworten:

Was ändert sich für die Familien?

Das Kindergeld, der Kinderzuschlag für Eltern mit geringen Einkommen sowie Bürgergeld und Sozialhilfe für Kinder und die Zuschüsse für Schulsachen und Freizeitaktivitäten werden in der Kindergrundsicherung zusammengefasst. Das Kindergeld von derzeit 250 Euro im Monat für 18 Millionen Kinder wird künftig als sogenannter „Garantiebetrag“ automatisch ausgezahlt. Neu ist, dass der Betrag regelmäßig an die Preisentwicklung angepasst werden soll.

Der heutige Kinderzuschlag und die Sozialleistungen werden künftig im „Zusatzbetrag“ gebündelt. Die Summe für das einzelne Kind richtet sich nach dem Einkommen der Eltern und dem Alter des Kindes. Zuständige Stelle wird der „Familienservice“, zu dem die heutigen Familienkassen bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) ausgebaut werden. Dafür müssen neue Einheiten aufgebaut und Personal eingestellt werden. Die BA bezweifelt, dass sie die Umstellung der IT bis 2025 bewältigen kann. Der Deutsche Landkreistag fürchtet ein „Verwaltungs-Desaster“.

Die Familienservice-Stellen sollen anhand ihnen vorliegender Daten die Familien informieren, wenn sie möglicherweise Anspruch auf Leistungen haben (Kindergrundsicherungs-Check). Die Eltern müssen dann aber selbst einen Antrag stellen; dieser soll vereinfacht werden. Es sollen möglichst alle Kinder die Unterstützung bekommen, die ihnen zusteht.

Wie viele Kinder werden die Kindergrundsicherung erhalten?

Mit dem Zusatzbetrag der Kindergrundsicherung sollen Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) zufolge 5,6 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene erreicht werden, darunter 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche, die heute Bürgergeld beziehen. Ausgenommen werden Kinder von Asylbewerberinnen und -bewerbern.

Wer profitiert besonders von den Neuregelungen?

Armutsgefährdete Alleinerziehende sollen bessergestellt werden: Unterhaltszahlungen für Kinder bis sieben Jahre werden auf die Kindergrundsicherung nur zu 45 Prozent angerechnet statt, wie bisher beim Bürgergeld, in vollem Umfang. Die Mütter oder Väter können also in der Regel 55 Prozent der Unterhaltszahlung behalten, außer wenn diese sehr hoch ist. Bei Kindern über sieben Jahren gilt das nur, wenn die Eltern wenigstens 600 Euro im Monat selbst verdienen. Das soll sie dazu anreizen, erwerbstätig zu sein.

Steigen die Leistungen für Kinder und Jugendliche?

Inwiefern die staatlichen Leistungen für Kinder und Jugendliche steigen, hängt von ihrem Alter ab und von der Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums. Das Existenzminimum ist die Summe, die für Essen, Kleidung und Wohnen ausreichen muss und auch, um trotz relativer Armut am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. In Kürze wird eine Neuberechnung erwartet, die zu einer geringfügigen Erhöhung der Leistungen für Kinder unter 14 Jahren führen könnte - laut Familienministerin könnten es bis zu 28 Euro monatlich mehr sein.

Außerdem werden laut Familienministerium die Leistungen für Jugendliche und junge Erwachsene steigen, die heute den Kinderzuschlag beziehen: für Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren um rund 60 Euro im Monat und für junge Erwachsene voraussichtlich um 42 Euro.

Was kostet die Kindergrundsicherung den Staat zusätzlich?

Für 2025 sollen 2,4 Milliarden Euro mehr im Haushalt des Bundesfamilienministeriums eingestellt werden. Paus geht davon aus, dass bei einer Inanspruchnahme von 80 Prozent im Jahr 2028 die Kindergrundsicherung insgesamt knapp sechs Milliarden Euro kostet.

Bettina Markmeyer


Wohnen

Bundesregierung kündigt Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit an




Wohnungsbau in Tübingen
epd-bild/Verena Müller
1990 ist die Wohngemeinnützigkeit abgeschafft worden. Nun will die Bundesregierung sie wieder einführen. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen sollen Steuervorteile erhalten. Kommunale Spitzenverbände forderten Bund und Länder unterdessen zu mehr Anstrengungen auf.

Berlin (epd). Die Bundesregierung will mit einer Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit für mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutschland sorgen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) stellten am 25. September nach einem Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt in Berlin ein Paket aus 14 Maßnahmen vor, darunter dieses Vorhaben, das im nächsten Jahr an den Start gehen soll.

Steuerliche Förderung und Investitionszulagen

Die Wohnungsgemeinnützigkeit war 1990 abgeschafft worden, ihre Wiedereinführung wird seit Jahren diskutiert. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen erhalten dann Steuervorteile und verpflichten sich dafür, dauerhaft Sozialwohnungen anzubieten. SPD, Grüne und FDP hatten in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, die Ampel-Regierung werde „zeitnah eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen auf den Weg bringen“.

Geywitz kündigte ferner eine Sonderregelung im Baugesetzbuch an, damit Städte und Kommunen mit angespannten Wohnungsmärkten bis Ende 2026 schneller und einfacher bezahlbaren Wohnraum planen zu können. Der Entwurf solle noch in diesem Jahr vorliegen.

Kommunale Spitzenverbände forderten mehr Anstrengungen von Bund und Ländern. Seit einem Jahr lägen die im „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ vereinbarten Maßnahmen auf dem Tisch, teilten der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund anlässlich des Treffens des Bündnisses in Berlin mit. Die Bedingungen für den Wohnungsbau hätten sich seither aber verschlechtert.

Bund und Länder müssten die Digitalisierung vorantreiben und Bürokratie abbauen, forderten die kommunalen Verbände. Kommunen sollten umfassender und leichter ein Vorkaufsrecht ausüben können. Zudem bräuchten sie deutlich mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau. Dazu gehörten auch gezielte Investitionszuschüsse für Wohnungsbauträger, die Sozialwohnungen errichten. Steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten mit der Gießkanne seien nicht genug.

Ziel für den Wohnungsbau nicht mehr erreichbar

Die Länder sind nach den Worten der drei kommunalen Spitzenverbände gefordert, den Bestandschutz zu erweitern und so die Umnutzung von Büro- und Gewerbeflächen in Wohnraum zu vereinfachen. Die Städte, Landkreise und Gemeinden täten für eine Beschleunigung des Wohnungsbaus bereits alles, was sie könnten. Unter anderem genehmigten sie zügiger Bauprojekte, stellten Bauland bereit und ertüchtigten Leerstände.

Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) mahnte mietrechtliche Reformen an, um bezahlbaren Wohnraum sicherzustellen. AWO-Präsident Michael Groß wies darauf hin, dass eine Neubauwohnung für viele Menschen nicht bezahlbar sei und sie nur in günstigeren Bestandsgebäuden eine Wohnung finden würden.

Die Bundesregierung hat das Ziel, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Dafür hat Geywitz Vertreterinnen und Vertreter der Bundesländer und Kommunen, der Wohnungs- und Bauwirtschaft, der Sozialverbände, Umweltverbände, Gewerkschaften, Kirchen und zivilgesellschaftlicher Organisationen an den Tisch geholt. Das Bündnis bezahlbarer Wohnraum ist bereits zum zweiten Mal im Kanzleramt zum „Bündnis-Tag“ zusammengekommen. Die Regierung räumt aber ein, dass das angestrebte Ziel für den Wohnungsbau in diesem Jahr nicht mehr erreichbar ist. Als Gründe werden gestiegene Baukosten, höhere Zinsen und fehlende Fachkräfte genannt.

Mey Dudin, Nils Sandrisser


Bundeskanzler

Scholz: Sozialstaat wichtig "in schwierigen Zeiten wie diesen"




Kanzler Scholz spricht bei der Jubiläumsfeier der Diakonie.
epd-bild/Christian Ditsch
Die Diakonie Deutschland feiert ihr 175-jähriges Bestehen. Kanzler Scholz betont die Bedeutung eines starken Sozialstaats für den Zusammenhalt und die Kindergrundsicherung als wichtigen Fortschritt bei der Armutsbekämpfung.

Berlin (epd). Zum 175. Jubiläum der Diakonie Deutschland hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Bedeutung eines starken Sozialstaats betont. Er sichere Zusammenhalt, „gerade in schwierigen Zeiten wie diesen“, sagte er am 22. September bei einer Festveranstaltung in Berlin vor 350 Gästen aus Politik und Gesellschaft. Dies gelte auch für die derzeitigen Veränderungen hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Ihm sei wichtig, „dass es Sicherheit im Wandel gibt“, sagte Scholz. Dazu leisteten die Diakonie und andere Wohlfahrtverbände mit ihren Angeboten einen entscheidenden Beitrag.

Scholz: Kinder brauchen die Hoffnung auf eine gute Zukunft

Scholz ging auch auf die bevorstehenden Beschlüsse zur Einführung einer Kindergrundsicherung ein. Sie sei ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Kinderarmut. Gerade Kinder bräuchten die Hoffnung, dass sie eine gute Zukunft haben, sagte Scholz. Dies könne man nicht per Gesetz verordnen. „Aber wir können die Voraussetzungen dafür schaffen - und die geplante Kindergrundsicherung ist dafür ein wichtiger Fortschritt“, betonte Scholz.

Die Kindergrundsicherung soll Leistungen für Kinder in armen Familien zusammenführen. Eingeführt werden soll die Kindergrundsicherung 2025.

Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, sagte, genau wie zur Gründungszeit der Diakonie seien auch die gegenwärtigen Herausforderungen in der „Zeitenwende“ nur im Miteinander von Politik und Zivilgesellschaft zu bewältigen. Die Diakonie wolle dazu ihren Beitrag leisten. Lilie sagte, viele Menschen seien demokratiemüde und erschöpft von Krisen und ständigem Wandel. Es gebe aber auch viele, die sich engagierten und etwas Sinnvolles für die Gesellschaft und die Menschen tun wollten.

Der Diakonie-Chef nannte insbesondere die Freiwilligendienste und bat den Bundeskanzler, „sich persönlich dafür einsetzen, dass es zu einer deutlichen Korrektur dieses überhaupt nicht einsichtigen und noch weniger weitsichtigen Kürzungsbeschlusses kommt“. Die Ampelkoalition will die Bundeszuschüsse zu den Freiwilligendiensten stark kürzen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Der Diakonie zufolge würde das zum Wegfall von einem Viertel der rund 100.000 Stellen pro Jahrgang führen.

Kurschus: Soziale Gerechtigkeit ist Voraussetzung für Freiheit

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, sagte bei dem Festakt, alle, die sich gegenwärtig darum mühten, den demokratischen Zusammenhalt zu sichern und zu stärken, „sollen und müssen wissen - und zwar ohne den Hauch eines Zweifels -, dass Kirche und Diakonie dabei sind“. Sie betonte, dass soziale Gerechtigkeit eine Voraussetzung für Freiheit sei. „Freiheit ist keine Freiheit, wenn die sozialen Fragen nicht gelöst sind“, sagte die westfälische Präses.

Als Geburtsstunde der modernen Diakonie gilt die Brandrede des Hamburger Theologen Johann Hinrich Wichern am 22. September 1848 auf dem Evangelischen Kirchentag in Wittenberg. Wichern kritisierte die Untätigkeit seiner Kirche angesichts der Verelendung großer Teile der Bevölkerung im Zuge der Industrialisierung und forderte ein Netzwerk der „rettenden Liebe“. Ein Jahr später begann der Central-Ausschuss für die Innere Mission der evangelischen Kirche die Hilfsangebote zu koordinieren und auszubauen.

Heute arbeiten nach Angaben des Verbandes bundesweit mehr als 627.000 Menschen für die Diakonie. Der evangelische Verband gehört damit zu den größten Arbeitgebern in Deutschland. Zu den rund 33.400 Einrichtungen zählen Krankenhäuser, Pflegedienste, Kindergärten oder Anlaufstellen für Obdachlose und Geflüchtete. Mehr als zehn Millionen Menschen nehmen jährlich die Dienste in Anspruch, rund 700.000 Ehrenamtliche unterstützen die Arbeit.

Bettina Markmeyer


Pflege

Interview

Pflegeökonom Rothgang: "Dann kommt schnell eine Abwärtsspirale"




Heinz Rothgang
epd-bild/David Ausserhofer
Die stationäre Altenpflege ist von einer Insolvenzwelle gebeutelt. Zwar seien die Heim-Pleiten allein für die Versorgung noch nicht gravierend, sagt der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang. Dennoch sei die Situation schlimm.

Bremen (epd). Viele Pflegeheimbetreiber geraten nach Informationen des Bremer Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang wegen der schlechten Zahlungsmoral von Sozialhilfeträgern in Schwierigkeiten. „Es gibt zig Millionen Rückstände“, sagte Rothgang im Interview. Das bringe Einrichtungen an den Rand des Ruins. Außerdem bräuchten die Heimbetreiber mehr Flexibilität bei den Pflegesatzverhandlungen. Ein Gespräch über Personalmangel, die schlechte Zahlungsmoral von Kostenträgern und Lösungswege. Mit Rothgang sprach Dieter Sell.

epd sozial: Herr Professor Rothgang, wo sehen Sie die Gründe für die Insolvenzwelle im stationären Pflegebereich?

Heinz Rothgang: Da kommen viele Faktoren zusammen. An erster Stelle steht wahrscheinlich Personalmangel. Wenn ich als Einrichtung zu wenig Pflegekräfte habe und deshalb Kapazitäten stilllegen muss, stimmt meine Kalkulation nicht mehr. Die in Schwierigkeiten geratene Convivo-Unternehmensgruppe beispielsweise hatte am Ende in Bremen eine Belegung von unter 75 Prozent. Vereinbart werden in Pflegesatzverhandlungen aber in der Regel Werte oberhalb von 95 Prozent. Jeder ungeplante Leerstand führt zu Defiziten bei der Refinanzierung der Gemeinkosten und der Investitionskosten. Die Einrichtungen, die knapp kalkuliert haben - das sehen wir häufig bei Pflegeketten -, sind da stärker betroffen. Wenn Personal wegbricht und die Kalkulation total auf Kante genäht ist, droht eine Stilllegung von Teilkapazitäten durch die Heimaufsicht und damit Defizit. Wird alternativ Leiharbeit eingesetzt, entstehen aber auch Defizite, da diese viel teurer ist und nicht refinanziert wird. Personalunterbesetzungen wiederum können dazu führen, dass weiteres Personal das Heim verlässt. Dann kommt die Einrichtung schnell in eine Abwärtsspirale.

epd: Gibt es noch weitere Risiken?

Rothgang: Das waren neben der allgemeinen Inflation im vergangenen Jahr vor allem Indexmietverträge. Große Ketten besitzen die Immobilien ja häufig nicht, sondern haben sie gemietet. Und diese Mietverträge sind oft per Index an die Inflation gekoppelt. Wenn wir wie 2022 teilweise zweistellige Inflationsraten haben, aber beispielsweise nur zwei Prozent Steigerung in die Kalkulation eingestellt sind, ist das ein großes Problem - insbesondere, wenn die Kostenträger nicht zeitnah nachverhandeln wollen. Und natürlich gibt es auch Managementfehler und strategische Marktbereinigungen. So werden in den großen Ketten unter Kostendruck einzelne Einrichtungen, die sich nicht mehr tragen, geschlossen, um die ganze Kette zu stabilisieren.

epd: Vor diesem Hintergrund: Wie schlimm ist die Lage denn jetzt wirklich?

Rothgang: Noch ist die Zahl der Plätze begrenzt, die durch Pleiten verloren gehen. Eine Kollegin hat nachgezählt und für die ersten vier Monate des Jahres 700 Plätze ermittelt, die wirklich verloren gegangen sind. Bei mehr als 700.000 Plätzen, die wir in Deutschland haben, ist das weniger als ein Promille. Hintergrund ist, dass eine Pleite in der Mehrzahl der Fälle nicht zu einer verloren gegangenen Versorgung führt - auch wenn sich die Situation in jüngster Zeit nochmal zugespitzt hat. In Bremen beispielsweise bei Convivo waren 500 Plätze betroffen, die inzwischen fast alle unter anderer Leitung weiterbetrieben werden. Das heißt: Beim Eigentümerwechsel verschwinden die Kapazitäten vielfach nicht. Schlimmer wäre es, wenn jede Einrichtung wegen Personalmangels auch nur einen Platz unbesetzt lässt. Das wäre mehr als ein Prozent der Kapazitäten, die uns fehlen würden.

epd: Also gar nicht so schlimm?

Rothgang: Die Pleiten alleine sind für die Versorgung gar nicht so schlimm. Aber sie sind ein Anzeiger für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Anbieter. Zusammen mit den Leerständen, die wir in Einrichtungen haben, fehlenden Neubauten, die wir seit Jahren haben, ist die Lage aber auch für die Versorgungssicherheit schon schlimm. Wir haben bereits eine unzureichende Versorgung, und das nicht nur im stationären Bereich, sondern auch in der häuslichen Pflege. Ambulante Pflegedienste fangen an zu optimieren, indem sie manche Pflegebedürftige nicht mehr versorgen. Klienten beispielsweise, die weiter weg wohnen, werden gar nicht mehr aufgenommen. Dazu kommt, dass die Anpassungen der Pflegeversicherungsleistungen die Inflation nicht ausgleichen. Wir haben also in Wirklichkeit einen permanenten Realwertverlust der Versicherungsleistungen. Bei gleicher Inanspruchnahme würde dies zu steigenden Eigenanteilen der Klienten führen. Das machen die meisten Anbieter in der häuslichen Pflege aber nicht. Stattdessen werden die Leistungen reduziert: statt drei Einsätzen nur noch zwei in der Woche. Der Realwertverlust der Pflegeversicherungsleistungen kann so zu Versorgungsdefiziten führen.

epd: Wie könnte man das Thema Fachkräftemangel denn angehen?

Rothgang: Wir haben in Deutschland schon einiges getan, aber immer nach dem Motto: zu spät und zu wenig. Zunächst aber noch etwas Grundsätzliches: Sie reden vom Fachkräftemangel, ich spreche inzwischen vom Pflegekräftemangel. Bisher ging es in der Diskussion immer nur um die Fachkräfte, die Assistenzkräfte mit ein- und zweijähriger Ausbildung wurden komplett vernachlässigt. Der Mangel bezieht sich inzwischen aber auch auf diese Personengruppe. Die gute Nachricht ist, dass hier schneller etwas getan werden kann. So können wir den Personen, die in der generalistischen Ausbildung gescheitert sind, den Weg in einen Pflegeassistenzberuf ebnen, damit sie der Pflege nicht verloren gehen.

Im stationären Bereich führt die sukzessive Einführung des Personalbemessungsverfahrens dazu, dass sich der Personalmehrbedarf vor allem auf Pflegekräfte mit ein- und zweijähriger Ausbildung bezieht: Durch Weiterqualifikation der bisher Ungelernten und durch mehr Ausbildungsplätze kann hier auch kurzfristiger mehr erreicht werden als bei den Fachkräften. Grundsätzlich brauchen wir mehr Wege, damit sich Pflegekräfte schnell berufsbegleitend weiterqualifizieren können, ohne dass die Träger oder die Einrichtungen dafür zahlen müssen. Da würde ich mir vorstellen, dass die Bundesagentur für Arbeit stärker als bisher unterstützt.

epd: Was ließe sich bei der Refinanzierung besser machen?

Rothgang: Eine ganz einfache und triviale Sache: Die Sozialhilfeträger müssen ihre Rechnungen bezahlen, und zwar zügig. Es gibt zig Millionen Rückstände, weil Sozialhilfeträger genau das nicht getan haben, was dann Einrichtungen an den Rand des Abgrunds bringt. Dazu kommt: Wir brauchen mehr Flexibilität bei den Pflegesatzverhandlungen. Wenn die Kosten aufgrund der unerwarteten Inflation explodieren, kann man nicht sagen, die nächsten Verhandlungen sind in einem Jahr. Da haben die Kostenträger einfach gemauert. Und wenn wegen Personalmangel absehbar ist, dass ich bestimmte Belegungen auch im nächsten Jahr nicht erreichen kann, dann müssen wir die Kalkulation anpassen, mal nur 90 Prozent Belegung vereinbaren.

Zentral für Pflegeheime wird sein, die Spielräume, die die neuen Personalobergrenzen schaffen, so schnell und umfassend wie möglich auszuschöpfen. Denn klar ist doch: Wenn ich als Einrichtung mehr Personal habe, das aufgrund der gesetzlichen Personalobergrenzen ja refinanziert werden muss, habe ich weniger Stress in meiner Belegschaft. Dann verlassen weniger Pflegekräfte die Einrichtung und den Beruf, und es kann der Teufelskreis aus zu wenig Personal, daraus resultierender Überforderung und daraus folgendem Ausscheiden von Pflegekräften aus dem Beruf durchbrochen werden.




sozial-Branche

Psychiatrie

Horten, bis die Wohnung aus allen Nähten platzt




Wohnung eines Messies
epd-bild/Pat Christ
Wer die Wohnung eines Messies betritt, ist geschockt: Räume sind zugestellt mit überflüssigen Gegenständen. Essensreste liegen herum und riechen. Menschen mit dem Messie-Syndrom brauchen Hilfe. Ihre Zahl wird auf bundesweit drei Millionen geschätzt.

Frankfurt a. M. (epd). In einer Zimmerecke stapeln sich Wasserkanister. Die ganze Wand ist zugestellt. Auch Lebensmittel liegen überall in der Wohnung herum. Hier hat sich jemand eingebunkert. Aus Angst, dass es irgendwann kein Wasser und nichts mehr zu essen gibt. Was die Klientin des Vereins „Fortis“ tat, hat sie jedoch nicht nur aus Angst getan: Sie leidet am Messie-Syndrom.

Wohnung versinkt im Chaos

Der vor mehr als 50 Jahren gegründete Verein „Fortis“, Mitglied im Diakonischen Werk Württemberg, hat mit Menschen zu tun, die ihre eigenen vier Wände im Chaos versinken lassen. In jüngster Zeit stiegen die Zahlen stark an, sagt Joachim Schönstein, der die gemeindepsychiatrischen Hilfen von „Fortis“ in Leonberg leitet: „Bisher hatten wir oft nur 5, höchstens 10 Klienten mit dieser Problematik, im Augenblick sind es 17.“ Die aktuellen Krisensituationen spielen nach seiner Einschätzung bei der Zunahme mit hinein.

Wer Messies helfen wolle, müsse mit Feingefühl zu Werke gehen, sagt Schönstein. Denn das Thema sei extrem schambesetzt. Wer will schon fremde Menschen in seine Wohnung lassen, wenn diese vermüllt und verdreckt ist? Das Team von „Fortis“ fährt deshalb mit einem neutralen Auto zu seinen Klienten. Jeder erscheint in unauffälliger Alltagskleidung. Nie werden riesige Mengen auf einmal aus der Wohnung getragen. Die Nachbarn, erklärt Schönstein, sollen nicht mitbekommen, warum die Räumungshelfer von „Fortis“ anrücken.

Bei den Betroffenen handle es sich oft um Menschen mit seelischen Leiden, erläutert der Familientherapeut: „Unsere Klienten haben zum Beispiel häufig die psychische Störung ADHS.“

„Gegenstände ersetzen Beziehungen“

Die Corona-Krise habe sich negativ ausgewirkt. So hätten Menschen in der Zeit, in der sie sehr viel zu Hause waren, noch mehr als sonst im Internet bestellt. „Dadurch ist viel zusätzliches Material in die Wohnungen gekommen.“ Gegenstände, erläutert Schönstein, haben für Messies eine wichtige Funktion: „Sie ersetzen Beziehungen.“ In der kontaktarmen Corona-Zeit sei diese Funktion noch wichtiger geworden.

Bei Dominikus Bönsch, Klinikpsychiater im unterfränkischen Lohr, landen immer wieder Menschen, die horten, was sie in die Finger bekommen. „Wir hatten jedes Jahr bis zu 30 Patienten, deren Wohnungen zwangsgeräumt werden mussten“, berichtet der Psychiatrieprofessor. Das Messie-Syndrom trete „meist in Kombination mit Zwangserkrankungen oder Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis“ auf.

Nach seiner Einschätzung hat die Problematik „deutlich zugenommen“. Es sei allerdings schwierig, „dies mit Zahlen zu untermauern“. Was daran liegt, dass die internationale ICD-10-Klassifikation von Krankheiten die Diagnose „Messie-Syndrom“ nicht aufführt. Nach Bönschs Ansicht wurden in der Corona-Krise die Auswirkungen der politisch angeordneten Maßnahmen auf psychisch kranke Menschen zu wenig beachtet.

Die Hälfte des Fensters verdeckt

„Manchmal genügt ein einziger Schicksalsschlag, und man wird zum Messie“, sagt Maria Andrea Hüttinger, die Vorstandsvorsitzende des Berliner Vereins „Freiraum Ordnungshilfe“. Sie hat schon viele vermüllte Wohnungen gesehen. In manche Wohnungen komme kaum noch Licht hinein, berichtet sie, denn „die Hälfte des Fensters ist verdeckt“.

Wochenlang kam offensichtlich niemand mehr auf die Idee, die Brösel vom Tischtuch zu schütteln. Der Abfall quillt über. Es riecht schrecklich. „Manchmal muss ich gegen Brechreiz ankämpfen“, schildert Hüttinger ihre Erlebnisse.

15 Männer und Frauen werden derzeit von 5 „Messie-Helfern“ des Vereins begleitet. „Meist geschieht dies über ein ganzes Jahr hinweg“, sagt Hüttinger. Weil es sich bei den Betroffenen um Menschen mit seelischer Beeinträchtigung handelt, werden die Ordnungshelfer in aller Regel über die Eingliederungshilfe finanziert.

Extrem großer Druck

„Manche Messies können nicht mehr in ihrem Bett schlafen, sie legen sich davor auf den Boden“, berichtet Michael Schröter, Gründer der ersten deutschen Messie-Akademie in Gauting bei München. Der 71-Jährige befasst sich seit 20 Jahren mit dem Messie-Syndrom. Aus seinem ersten Messie-Hilfe-Team sind inzwischen 20 bundesweit aktive Hilfstrupps geworden. Schröter schätzt die Zahl der Messies in Deutschland auf „mindestens drei Millionen Menschen“. Offizielle Zahlen gibt es nicht.

Messies suchen laut Schröter in der Regel erst dann Hilfe, wenn der Druck extrem groß geworden ist: „Es kann zum Beispiel sein, dass Handwerker wegen eines Wasserrohrbruchs in die Wohnung kommen müssen.“ Manchmal droht auch der Verlust der Wohnung. „Im allerbesten Fall schaffen wir es, dass eine bereits ausgesprochene Kündigung durch unsere Hilfe wieder zurückgenommen wird.“

Pat Christ


Hospiz

Eine Oase in der Wüste der Angst




Backen im Tageshospiz Bremervörde
epd-bild/Dieter Sell
In der Versorgung schwerstkranker und sterbender Menschen sind Tageshospize eine wichtige Säule. Doch während Einrichtungen dieser Art beispielsweise in Großbritannien längst etabliert sind, gibt es in Deutschland nur wenige. Der Bedarf ist groß.

Bremervörde (epd). In der Frühstücksrunde schwingt das Gespräch hin und her. Mal geht es um Kreuzfahrten und Seekrankheit, mal um den Besuch beim Zahnarzt, mal ums Obstmosten und die teuren Eintrittspreise im Freizeitpark. „Wer möchte noch einen Kaffee?“, fragt zwischendurch Volker Meinel. Es sind Themen, die bei jedem Frühstück angesprochen werden könnten. Nur die Gäste, die hier am Tisch zusammensitzen und zu denen auch der 63-jährige Meinel gehört, sind besondere.

„Zuletzt wog ich noch 47 Kilo“

Alle, die an diesem Morgen in das kirchliche Tageshospiz Bremervörde in der Mitte zwischen Cuxhaven, Bremen und Hamburg gekommen sind, leiden an einer unheilbaren und fortschreitenden Krankheit, können und möchten aber noch zu Hause leben. Meinel beispielsweise hatte im Frühjahr vergangenen Jahres plötzlich Schmerzen. Der Check beim Arzt ergab die Diagnose Krebs in Leber und Darm. Meinel baute rapide ab: „Zuletzt wog ich noch 47 Kilo, früher waren es 80.“

Auch die anderen Gäste am Tisch haben eine Krebsdiagnose. Mal haben sie über ihre Arztpraxis, mal über Mund-zu-Mund-Propaganda, mal über einen ambulanten Palliativdienst von dem Tageshospiz gehört, das sie jetzt an ein oder mehreren Tagen in der Woche besuchen. Los geht es dann immer mit einem gemeinsamen Frühstück, am Nachmittag fahren alle wieder nach Hause.

In dem Tageshospiz sind die Pflegekräfte, Therapeuten und medizinisches Personal speziell geschult und können auch im Notfall sofort eingreifen, Ehrenamtliche unterstützen zusätzlich. „Wenn du hier einen Platz bekommst - etwas Besseres kann dir gar nicht passieren“, ist Meinel überzeugt.

Dabei geht es für ihn und die anderen Gäste nicht nur um die pflegerisch-medizinische Seite. Denn am Tisch wird nicht nur gefrühstückt und geredet, oft spielen die Gäste miteinander, kochen zusammen, backen Brot, mosten Obst. Spaziergänge sind möglich, auch der Rückzug in ein eigenes Zimmer, je nach Lust und Kraft.

Leben bis zuletzt

„Das kann ganz unterschiedlich sein“, beschreibt es Meinel. „Morgens fühlst du dich noch gut, mittags richtig schlecht. Aber hier weiß jeder vom anderen, was er hat und wie es ihm geht - und kann entsprechend reagieren. Da wachsen dir Antennen. Und außerdem: Schwer krank zu sein heißt ja nicht, dass es mir jeden Tag schlecht geht.“

Auch und vor allem geht es darum, Leben zu gestalten, Leben bis zuletzt. Denn neben einer guten Versorgung brauchen Menschen in einer palliativen Situation, so beschreiben es Experten, Zuwendung, Zeit, eine Oase in der Wüste der Angst. Auch Renate Rosek betont in dieser Lage die Kraft der Gemeinschaft. „Das ist wie eine Selbsthilfegruppe, wie eine Familie.“

Die 74-Jährige ist verwitwet und zu Hause allein. Ihr Körper war durch den Krebs „runtergewirtschaftet“, wie sie sagt. „Zuerst habe ich mir gedacht, du kannst doch nicht täglich mit todkranken Menschen zusammen sein. Aber dann habe ich es einfach probiert, erstmal zwei Tage.“ Jetzt kommt sie montags bis freitags und sagt: „Ich bin hier richtig aufgepäppelt worden, hier werde ich aufgefangen. Und wir lachen auch viel.“

In Großbritannien, Irland und den USA bilden Tageshospize nach einer Studie der Medizinischen Hochschule Hannover neben vollstationären und ambulanten Angeboten seit vielen Jahrzehnten einen wichtigen Versorgungspfeiler für Menschen mit einer unheilbaren Erkrankung. So nahm bereits 1975 im britischen Sheffield das erste Hospiz die Tagesversorgung auf. Mitte der 1990er Jahre verzeichnete Großbritannien mehr als 200 teilstationäre, hospizlich-palliative Angebote.

Entlastung für pflegende Angehörige

Das erste deutsche Tageshospiz wurde 1993 in Halle (Saale) eröffnet. Und noch immer gehört Bremervörde, 2021 eingeweiht, zu den wenigen Einrichtungen dieser Art, die der Deutsche Palliativ- und Hospizverband auf seiner Website listet: Bundesweit sind es 15, weitere sechs sind im Bau oder geplant.

„Der Bedarf ist groß, wir brauchen mehr“, meint Benno Bolze, Geschäftsführer des Verbands mit Sitz in Berlin. „Auch, weil ein Tageshospiz die häusliche Versorgung stabilisiert und pflegende Angehörige entlastet.“ Damit es mehr Einrichtungen werden, müsse die Finanzierung auf eine verlässliche Grundlage gestellt werden.

Die entlastende Funktion erfährt die Ehefrau Meinels am eigenen Leib. Als es ihrem Mann so schlecht gegangen sei, habe er kaum etwas essen können. Er habe es keine 20 Schritte zur Toilette geschafft. „Ich hatte Angst, dass er verhungert“, blickt Renate Meinel zurück. Die Last der Verantwortung hat die Frau, die selbst ganztags berufstätig ist, „fast erdrückt“. Der Platz im Hospiz sei da „wie ein Sechser im Lotto gewesen“. Der Austausch mit anderen Gästen habe ihrem Mann gutgetan. „Davon profitieren wir auch als Paar.“

Mittlerweile hat Volker Meinel wieder zugelegt, durch hochkalorische Ernährung, die richtige Medikation und nicht zuletzt die Frühstücks- und Mittagsrunden. Renate Rosek geht es genauso: „In der Gemeinschaft zu essen, das ist doch was ganz anderes.“

Dazu kommt die Atmosphäre im Haus. „Ich komme jedes Mal mit einem guten Gefühl her und geh am Nachmittag mit einem guten Gefühl nach Hause“, sagt Ida Martens, mit 91 Jahren die Älteste in der Runde. „Die ganze Liebe, die die Betreuung hier ausstrahlt“, betont sie und ergänzt: „Das hier ist mein Zuhause.“

Dieter Sell


Pflege

Pflegefachkräfte fordern Aufwertung ihres Berufs




Pflegekraft an Geräten einer Intensivstation
Auf dem diesjährigen Deutschen Pflegetag herrscht trotz aller Probleme etwas Aufbruchstimmung. Die Pflegekräfte fordern mehr Anerkennung, mehr Kompetenzen und mehr Geld.

Berlin (epd). Zur Eröffnung des diesjährigen Deutschen Pflegetags am 28. September in Berlin hat die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Kompetenzen für Pflegekräfte gefordert. „Wir können in Zukunft so nicht mehr versorgen, wenn die Strukturen so bleiben“, betonte Vogler. In Krankenhäusern und Pflegeheimen fehlten Zehntausende Pflegekräfte.

Vogler bekräftigte die Forderungen des Pflegerats nach einem Einstiegsgehalt von 4.000 bis 4.500 Euro für Fachkräfte und eine Ausweitung der Kompetenzen für ausgebildete Fachkräfte, wie dies in anderen Staaten längst üblich sei. Mit Blick auf die Ausbildung forderte sie den Ausbau von Pflege-Studiengängen an den Hochschulen.

Mehr Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) versicherte den rund 7.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Pflegetags, es sei noch möglich, die Herausforderungen in der Pflege zu bewältigen. Dies werde aber nicht gelingen, „wenn wir den Pflegeberuf nicht aufwerten“, sagte er. Er stellte den Pflegekräften gesetzliche Regelungen zur Ausweitung ihrer Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten in Aussicht.

An dem Gesetzentwurf werde gegenwärtig gearbeitet, sagte der Minister. Das Ziel ist, Pflegefachkräften in Krankenhäusern und Pflegeheimen Aufgaben zu übertragen, die heute nur Ärzte erledigen dürfen. Lauterbach würdigte die Pflege als „eine Profession im Aufbruch“. Der Deutsche Pflegetag sei inzwischen genauso bedeutsam wie der Ärztetag, betonte er.

Einer forsa-Umfrage zufolge haben 92 Prozent der Bevölkerung indes wenig oder gar kein Vertrauen, dass die Politik eine hochwertige und bezahlbare pflegerische Versorgung sicherstellen wird. Knapp 40 Prozent der Befragten gaben an, die pflegerische Versorgung in ihrer Region habe sich in vergangenen anderthalb Jahren verschlechtert. Die repräsentative Umfrage wurde im Auftrag des Bosch Health Campus der Robert Bosch Stiftung im Juli dieses Jahres durchgeführt. Dafür wurden 1.003 Personen über 18 Jahren online befragt.

In Deutschland arbeiten rund 1,7 Millionen Menschen als Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen. Rund fünf Millionen Menschen sind pflegebedürftig, die große Mehrheit wird von Angehörigen versorgt. In den vergangenen beiden Jahren blieben rund 30.000 Stellen in der Pflege unbesetzt. In gut zehn Jahren werden dem Institut der Deutschen Wirtschaft zufolge 130.000 bis 150.000 mehr Pflegekräfte gebraucht als heute.

Bettina Markmeyer


Inklusion

Singen gegen das Vergessen: Großer Andrang bei Demenzchören




Frauen des inklusiven Chors "Vergissmeinnicht"
epd-bild/Evelyn Sander
Musizieren tut Demenzkranken gut. Wie viel Spaß es macht, zeigen die inklusiven Chöre "Vergissmeinnicht" in Hamburg. Aktuell ist die Nachfrage noch größer als vor der Corona-Pause.

Hamburg (epd). Es beginnt mit Schulterkreisen und Gähnen, mit „Ssst“, „Ruiuiui“ und „Dododo“: Jede Probestunde des inklusiven Chors „Vergissmeinnicht“ in Hamburg-Wandsbek startet mit Lockerungsübungen. „Bewegung gehört dazu“, sagt Chorleiterin Monika Röttger. Sie setzt sich ans Klavier und gibt erste Töne vor. Waren vor einem halben Jahr 18 ältere Männer und Frauen da, kommen aktuell 30.

„Die Nachfrage nach unseren Chören hat sich seit diesem Frühjahr fast verdoppelt“, freut sich Anna Hassel von der Alzheimer Gesellschaft Hamburg, die das Projekt „Vergissmeinnicht“-Chöre leitet. Neben Wandsbek und Altona wurde im August ein neuer, inklusiver Chor in Volksdorf gegründet. Es sollen noch mehr werden, damit der Weg für die Sängerinnen und Sänger zu den Chorproben möglichst kurz ist. „Wenn Menschen mit Demenz beim Singen gemeinsam aktiv sind, stärkt das ihr Selbstwertgefühl und ist einfach Lebensfreude pur“, sagt Hassel. Etwa ein Drittel der Teilnehmenden der „Vergissmeinnicht“-Chöre ist von Demenz betroffen, andere sind Angehörige oder Menschen, die einfach Lust auf Singen haben.

Humor, Geduld und Spontaneität

Männer und Frauen tuscheln, knuffen sich in die Seite und lachen. Manche stehen, andere sitzen. Strenge Vorschriften gibt es nicht. Nur eines ist der Stimmtherapeutin wichtig: „Das gemeinsame Singen soll glücklich machen“, sagt Chorleiterin Röttger. Perfektion, darauf kommt es der 61-jährigen Chorleiterin nicht an. „Auch Schema-F funktioniert bei diesem Chor nicht, wir orientieren uns immer an den Schwächsten in der Gruppe“, sagt sie. Was es benötige, seien Humor, Geduld und Spontaneität.

Manchmal werden Teilnehmende unruhig, tanzen, haben Lachanfälle oder kommen zum Klavier und wollen die Notenblätter sortieren. „Da muss ich einfach gut improvisieren können“, sagt Röttger und schmunzelt. Auf dem Programm stehen aktuell Lieder wie „Hejo, spann den Wagen an“ oder „Der Herbst ist da“, die viele Sängerinnen und Sänger von früher kennen. Seit zehn Jahren leitet sie diesen besonderen Chor, inzwischen rückt das Thema Musik für Demenzerkrankte immer mehr in den Fokus.

Im vergangenen Jahr gründete der Deutsche Musikrat die Bundesinitiative „Musik und Demenz“, um entsprechende Angebote flächendeckend voranzubringen. Auch das Bundesseniorenministerium und der Bundesmusikverband Chor & Orchester (BMCO) wollen das Angebot für Betroffene stärken und gründeten Anfang März das Förderprojekt „Länger fit durch Musik“.

Der Bedarf ist groß. Laut dem zuständigen Bundesministerium waren 2022 mehr als 1,8 Millionen Deutsche von Demenz betroffen, laut Schätzungen wird sich die Zahl bis zum Jahr 2050 auf rund 2,6 Millionen erhöhen. „Musiktherapie ist vor allem da hilfreich, wo Worte und Gespräche nicht mehr möglich sind“, sagt Lutz Neugebauer, Leiter der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft.

Aktives Gedächtnistraining

Forschungen belegten, dass Musik auch bei unruhigem oder ängstlichem Verhalten helfe. Und wenn Demenzerkrankte neue Lieder lernten, sei das „aktives Gedächtnistraining“, betont Chor-Projektleiterin Hassel, die auch Expertin für Kulturarbeit mit Älteren ist. Das Training könne die Demenzerkrankung zwar nicht aufhalten, aber ihren Verlauf verlangsamen, sagt die 40-Jährige. Der Chor sei viel mehr als nur Musik: Hier hätten sich neue Freundschaften gefunden, pflegende Angehörige tauschten sich aus, stützten einander, gemeinsam habe man Spaß.

„Ich möchte, dass unsere Sängerinnen und Sänger gesehen werden und den Applaus genießen können“, sagt Hassel. Ein Highlight war im Juli der Auftritt bei „Die Elbphilharmonie singt“. „Vergissmeinnicht“ war einer von 20 teilnehmenden Laienchören aus Norddeutschland. Auch der Weihnachtsauftritt mit dem NDR-Vokalensemble sie in diesem Jahr wieder geplant.

Der Chor- und Orchesterverband BMCO sieht Musik als „Königsweg“ zu Menschen mit Demenz. Sie baue „Klangbrücken“ zu Erinnerungen, Angehörigen und Betreuerinnen und Betreuern.

Wie sich das anfühlt, erlebt Tanja Döhring mit ihrem Vater Kurt Mletschkowsky, der in einer Demenz-Wohngemeinschaft lebt. Seit Jahren singen die beiden gemeinsam im „Vergissmeinnicht“-Chor. „Es tut ihm richtig gut und er hat nette, neue Menschen kennengelernt“, erzählt Döhring und legt ihre Hand auf den Arm ihres Vaters. Früher habe er oft unter der Dusche gesungen. Richtige Gespräche könne sie mit ihrem Vater nicht mehr führen, aber beim Chor spiele das auch keine Rolle: „Mein Vater strahlt richtig, wenn er singt.“ Und sogar neue Melodien kann er sich merken.

Evelyn Sander


Seemannsmission

"Zugleich Opfer, Retter und Begleiter"




Dirk Obermann
epd-bild/privat

Cuxhaven, Hamburg (epd). Seeleute sind nach den Erfahrungen der Deutschen Seemannsmission bei traumatischen Ereignissen an Bord wie schweren Unfällen, Havarien, Bränden oder Todesfällen in doppelter Weise betroffen. „Anders als beispielsweise bei Polizei und Feuerwehr können sie Opfer werden, sind aber auch Retter und Begleiter“, sagte Seemannsdiakon Dirk Obermann dem Evangelischen Pressedienst (epd). Deshalb seien eine spezifische Begleitung und eine mentale Unterstützung wichtig, betonte der Koordinator der psychosozialen Notfallversorgung bei der Deutschen Seemannsmission mit Sitz in Hamburg.

„Bei einem Brand an Bord sind sie selbst betroffen, müssen aber auch löschen und möglicherweise das Schiff sicher in einen Hafen bringen“, verdeutlichte der 57-jährige Experte. Oft seien sie dann noch über Monate an Bord und müssten sich auch räumlich weiter mit den teils traumatischen Erlebnissen auseinandersetzen.

Netzwerk für Seeleute

Die Deutsche Seemannsmission setzt sich Obermann zufolge in solchen Situationen in einem Netzwerk für die Seeleute ein. Eine zentrale Funktion nimmt dabei das Havariekommando in Cuxhaven ein, das seit 20 Jahren das maritime Notfallmanagement in Nord- und Ostsee koordiniert. „Bei der Seemannsmission sind mittlerweile mehr als 40 Kolleginnen und Kollegen als psychosoziale Fachkräfte ausgebildet“, sagte Obermann.

Aufgrund ihrer weltweiten Arbeit in den Häfen habe die Seemannsmission bei den meist international zusammengesetzten Besatzungen einen großen Vertrauensvorschuss. „Dadurch bekommen wir in Krisen relativ schnell einen Draht zu den Seeleuten“, erläuterte Obermann. „Traumatische Erlebnisse können Stresssymptome auslösen, wie Schlaf- und Appetitlosigkeit. Dann ist es wichtig zu erklären: Das ist normal. Was du erlebt hast, ist nicht normal.“ Es gehe oft vor allem darum, über ein Ereignis zu sprechen, das nur schwer in Worte zu fassen sei.

Professionelle Hilfe

Allerdings könnten Krisen und Notfälle auch zu Albträumen und Panikattacken führen. „Manchmal verlieren die Betroffenen das Gefühl für Raum und Zeit.“ Wenn die Symptome über Wochen anhielten, drohe eine Posttraumatische Belastungsstörung. In solchen Fällen sei professionelle Hilfe nötig. „Dann sind der Kapitän und die Reederei gefragt, etwa bei der Frage, ob ein Crewmitglied nach Hause zur Familie fliegt.“

Der Tod eines Kapitäns an Bord eines Containerfrachters auf dem Weg nach Südafrika habe ihm gezeigt, wie wichtig spirituelle Angebote in der psychosozialen Notfallversorgung seien, erinnerte sich Obermann. „Zuerst waren alle geschockt. Aber dann wurde der Leichnam an Bord aufgebahrt und im Hafen von Port Elizabeth in aller Würde an Land gebracht, die Crew konnte sich mit einem Gottesdienst verabschieden. Das hat allen gezeigt: Die Menschen hier sind nicht einfach ein Ersatzteil, das man wie eine Maschine auswechselt.“

Dieter Sell


Diakonie

Bethel verzeichnet 2022 gesunkenen Jahresüberschuss



Das Krisenjahr 2022 hat auch die v. Bodelschwinghschen Stiftungen wirtschaftlich herausgefordert. Im Vergleich zu 2021 fiel das Ergebnis deutlich geringer aus, auch das Spendenaufkommen ging zurück. Der Bethel-Vorstand zeigt sich dennoch zufrieden.

Bielefeld (epd). Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen in Bethel haben 2022 trotz hoher Inflation und Energiekrise ein positives Jahresergebnis von 5,77 Millionen Euro erzielt. „Wir sind erleichtert, dass unter den gegebenen Umständen am Ende des Geschäftsjahres 2022 für Bethel ein zufriedenstellendes Ergebnis stand“, sagte Bethel-Chef Ulrich Pohl am 28. September in Bielefeld. Das Ergebnis, also der Saldo aus den Erträgen und Aufwendungen, lag demnach 15,7 Prozent unter dem des Vorjahres (2021: 6,84 Millionen Euro). Der erwirtschaftete Betrag wird vollständig in die Arbeit Bethels reinvestiert.

Knapp 23.600 Bethel-Beschäftigte

Die Gesamterträge aller Stiftungsbereiche und Tochtergesellschaften der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - vergleichbar mit dem Umsatz - erhöhten sich 2022 um 13,9 Prozent auf 1,67 Milliarden Euro (2021: 1,47 Milliarden Euro). Die Sachinvestitionen fielen mit 101,6 Millionen Euro um 6,1 Millionen Euro geringer aus als im Jahr 2021.

Erstmals flossen in den Jahresbericht die Zahlen der diakonischen Einrichtung Eben-Ezer mit Sitz im lippischen Lemgo mit ein, die seit 2022 Teil der Bethel-Stiftungen ist. Wie der stellvertretende Vorstandvorsitzende der v. Bodelschwinghschen Stiftungen, Rainer Norden, erläuterte, stieg dadurch die Zahl der Bethel-Beschäftigten in Voll- und Teilzeit verglichen mit 2021 um 11,1 Prozent auf knapp 23.600. Das Angebot für Menschen mit Behinderungen und psychischen Beeinträchtigungen wuchs um fast 1.300 neue Plätze.

Um dem Fachkräftemangel sowohl in der Pflege als auch der Verwaltung zu begegnen, wollen die Stiftungen vor allem die Zahl der Ausbildungsplätze steigern. Norden kündigte außerdem an, dass 20 Pflegekräfte aus Indien sowie acht Hebammen und neun operationstechnische Assistenten aus Brasilien und Chile erwartet werden. Insgesamt sollen bis zu 140 Mitarbeitende aus dem Ausland angeworben werden. Pohl beklagte in diesem Zusammenhang fehlende Unterstützung aus der Politik: „Es kann nicht sein, dass einerseits das 'Recruiting' ausländischer Mitarbeitender unterstützt wird, gleichzeitig aber immer wieder die notwendigen Visa nicht erteilt werden.“

Spendenprojekt für Hospizarbeit

Mit der Einweihung des neuen Kinderzentrums in Bielefeld-Bethel ist das größte Spendenprojekt in der Stiftungsgeschichte nun abgeschlossen, wie es hieß. Knapp 60 Millionen Euro Spenden seien seit dem Jahr 2017 dafür zusammengekommen. Der Umzug von Verwaltung und den medizinischen Abteilungen der alten Klinik Gilead I erfolgt in den kommenden 14 Tagen.

Das Spendenprojekt für 2023/24 widmet sich unter dem Titel „Leben bis zuletzt“ der evangelischen Hospizarbeit. So will Bethel, das bislang sieben Hospize in Deutschland unterhält, zwei neue Häuser in Bad Kösen in Sachsen-Anhalt und in Wandlitz in Brandenburg bauen. Außerdem soll das erste Betheler Hospiz, das „Haus Zuversicht“ in Bielefeld, durch einen größeren Neubau ersetzt werden.

An Spenden, Nachlässen und Zustiftungen erhielten die v. Bodelschwinghschen Stiftungen im vergangenen Jahr insgesamt 66,58 Millionen Euro, über sieben Millionen Euro weniger als ein Jahr davor (2021: 73,66 Millionen Euro).

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel zählen zu den größten diakonischen Werken Europas. Rund 240.000 Menschen hat das diakonische Werk nach Angaben des Vorstands im vergangenen Jahr behandelt, betreut oder ausgebildet. Bethel ist an rund 300 Standorten mit Einrichtungen und Diensten in acht Bundesländern vertreten.

Katrin Nordwald



sozial-Recht

Bundessozialgericht

Förderung erschwert Umlage von Investitionskosten auf Heimbewohner




Ein Treppenhaus in einem Pflegeheim
epd-bild/Werner Krüper
Staatliche Investitionszuschüsse für Pflegeheime sollen Heimplätze billiger machen und Bewohner entlasten. Daran sind dann Heimbetreiber so lange gebunden, wie sie Vorteile aus der Förderung ziehen, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Das Bundessozialgericht (BSG) hat staatlich geförderten Pflegeeinrichtungen die Umlage ihrer Investitionskosten für den Bau eines Pflegeheims auf die Bewohnerinnen und Bewohner erschwert. Solange zugelassene Pflegeeinrichtungen von einer staatlichen Investitionskostenförderung für ein Pflegeheimgebäude etwa in Form von Abschreibungen profitieren, dürfen sie für angefallene Investitionskosten ohne behördliche Genehmigung keine höheren Tagessätze verlangen, urteilten am 20. September die Kasseler Richter. Dies gelte auch dann, wenn die bei der Bewilligung der Förderung festgelegte Zweckbindung für das Gebäude zwar ausgelaufen ist, der Heimbetreiber aber noch Abschreibungen geltend machen kann.

Zweckbindung für 25 Jahre

Im Streitfall hatte die Kreisstadt Mössingen im Landkreis Tübingen ein als Pflegeeinrichtung vorgesehenes Gebäude errichtet. Dort sollten zwölf Altenwohnungen sowie zwölf Tagespflegeplätze entstehen. Das Land Baden-Württemberg gab 1989 hierfür eine Investitionsförderung in Höhe von rund drei Millionen Mark (1.533.876 Euro). So sollte der Heimbetreiber bei der Berechnung der Tagessätze geringere Investitionskosten zugrunde legen und die Heimbewohner finanziell entlasten. Die Zweckbindung wurde auf 25 Jahre festgelegt.

Das Gebäude wurde nach der Fertigstellung im Jahr 1992 an das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg, einen der größten Altenhilfeträger in dem Bundesland, verpachtet. Wegen der staatlichen Investitionsförderung für das Gebäude fielen die Pachtforderung und damit auch die Tagessätze für die Bewohnerinnen und Bewohner geringer aus. Das Gebäude sollte dann nach 40,8 Jahren voll abgeschrieben sein. 2015 verkaufte die Kreisstadt das Haus an ein 100-prozentiges Tochterunternehmen des Wohlfahrtswerks.

Als die Zweckbindung der Förderung 2017 auslief, wollte der Einrichtungsbetreiber höhere Tagessätze verlangen und machte höhere Investitionskosten für das Gebäude geltend. Danach sollten Heimbewohner allein für die Investitionskosten nun 17,80 Euro pro Tag für ein Einzelzimmer, 15,65 Euro für ein Doppelzimmer und 12,46 Euro für die Tagespflege aufbringen.

Als der Landkreis Tübingen als Sozialhilfeträger dies ablehnte, rief der Heimbetreiber die Schiedsstelle an. Die mit dem Erhalt der staatlichen Förderung vereinbarte Zweckbindung sei ausgelaufen, daher könnten nun höhere Investitionskosten umgelegt werden.

Schiedsstelle nicht zuständig

Die Schiedsstelle entschied, dass sie keine auf die Bewohner umzulegenden höheren Investitionskostensätze festlegen könne. Dies sei nur bei nicht geförderten Einrichtungen möglich. Da der Heimbetreiber aber das Gebäude über 40,8 Jahre abschreibe und damit fortlaufend Vorteile ziehe, sei weiter von einer „geförderten Einrichtung“ auszugehen, für die sie nicht zuständig sei.

Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg urteilte am 13. April 2022, dass der Schiedsspruch und die Annahme der fehlenden Schiedsstellenzuständigkeit rechtmäßig seien. Solange buchhalterisch noch Zuschüsse aufzulösen und geförderte Wirtschaftsgüter abzuschreiben seien, liege weiterhin eine Förderung und damit eine geförderte Einrichtung vor. Daran ändere auch der Ablauf der Zweckbindungsfrist nichts.

Das BSG wies den klagenden Pflegeheimbetreiber ebenfalls ab. Es handele sich hier um eine „objektbezogen geförderte Einrichtung“. Für die gesonderte Berechnung der betriebsnotwendigen Investitionsaufwendungen bedürfe es daher der Zustimmung der zuständigen Landesbehörden, die hier fehle. Diese müssten bei ihrer Prüfung immer die „soziale Absicherung der Pflegebedürftigen“ im Blick haben und staatliche Fördermittel bei der Berechnung des von den Heimbewohnern zu zahlenden Investitionskostensatzes berücksichtigen. Die Schiedsstelle sei dagegen nur für nicht geförderte Einrichtungen zuständig und könne nur für diese Entscheidungen treffen.

Solange der Einrichtungsbetreiber aus der Förderung fortlaufend Vorteile ziehe, gelte er als „geförderte Einrichtung“. Hier sei dies die 40,8 Jahre dauernde Abschreibungsdauer. „Eine Förderung wirkt als dauerhafte Investition jedenfalls bis zum Ende der Abschreibungsfrist fort“, betonte das BSG. Unerheblich sei, dass die Zweckbindungsfrist aus dem Förderbescheid zwischenzeitlich abgelaufen ist.

Az.: B 8 SO 8/22 R (Bundessozialgericht)

Az.: L 2 SO 3089/20 KL (Landessozialgericht)

Frank Leth


Bundesarbeitsgericht

Faire Berechnung des Mutterschutzlohns gefordert



Erfurt (epd). Frauen müssen bei einem Beschäftigungsverbot wegen einer Schwangerschaft mit dem vom Arbeitgeber gezahlten Mutterschutzlohn auf faire Weise wirtschaftlich abgesichert werden. Üben sie eine Beschäftigung mit sehr stark schwankender Vergütung aus, kann zur Berechnung des Mutterschutzlohns das Durchschnittseinkommen der letzten zwölf Monate berücksichtigt werden, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 27. September in Erfurt entschied. Üblicherweise entspricht der Mutterschutzlohn dem Durchschnittseinkommen der letzten drei Monate vor Beginn der Schwangerschaft.

Arbeitseinsatz schwankt saisonal

Die heute 35-jährige klagende Flugbegleiterin wurde im Mai 2019 schwanger. Wegen der Schwangerschaft bestand ab Juli 2019 ein Beschäftigungsverbot, sodass der Arbeitgeber zur Zahlung von Mutterschutzlohn verpflichtet war.

Die Klägerin hielt die Berechnung ihres Mutterschutzlohns anhand des Bruttoeinkommens der letzten drei Monate für unfair. Sie erhalte eine stark schwankende Vergütung, entsprechend der saisonal anfallenden Arbeit beim Flugverkehr. Da sie im Mai 2019 schwanger geworden war und sie in den letzten drei Monaten zuvor deutlich weniger als üblich verdient hatte, bilde dieser Zeitraum nicht wirklich ihr durchschnittliches Arbeitsentgelt ab.

Wirtschaftliche Nachteile

Dem stimmte das BAG zu. Grundsätzlich gelte die Dreimonatsfrist auch bei schwankender Vergütungshöhe. Anderes gelte aber bei einem „außergewöhnlich schwankenden Arbeitsverdienst“ wie im vorliegenden Fall. Denn der Gesetzgeber habe bezweckt, dass die vom Schwangerschaftsverbot betroffenen Frauen einen Mutterschutzlohn entsprechend dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt erhalten. So sollen sie vor wirtschaftlichen Nachteilen infolge des Beschäftigungsverbots bewahrt werden.

Dieser Zweck werde aber nicht erreicht, wenn die variable Vergütung - etwa aus saisonalen Gründen - stark von dem tatsächlichen Durchschnittsverdienst abweicht. In solchen Fällen könne zur Berechnung des Mutterschutzlohns die Vergütung der letzten zwölf Monate herangezogen werden. Danach hat die Klägerin Anspruch auf einen Lohnnachschlag von insgesamt weiteren 2.593 Euro.

Az.: 5 AZR 305/22



Bundesarbeitsgericht

Einmal gegebene Dankesformel im Arbeitszeugnis ist bindend



Erfurt (epd). Arbeitgeber sind an eine einmal im Arbeitszeugnis gegebene Dankes- und Wunschformel gebunden. Die Verärgerung über eine Auseinandersetzung mit dem Beschäftigten rechtfertigt nicht, später auf die zuvor abgegebene „Dankes-, Bedauerns- und Wunschformel“ im Zeugnis zu verzichten, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem am 12. September veröffentlichten Urteil.

Die aus Niedersachsen stammende Klägerin arbeitete von 2017 bis 2021 bei einer Fitnessstudio-Kette zunächst als „Persönliche Assistentin der Geschäftsführung“ und dann als „Managerin of Administration and Central Services“. Sie schied aus eigenem Wunsch aus dem Unternehmen aus.

Zu unserer vollsten Zufriedenheit

Die Arbeitgeberin drückte darüber in dem Arbeitszeugnis ihr Bedauern aus. Sie schrieb: „Wir danken ihr für ihre wertvolle Mitarbeit und bedauern es, sie als Mitarbeiterin zu verlieren. Für ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihr alles Gute und auch weiterhin viel Erfolg.“

Doch mit der Beschreibung ihrer Arbeitsleistung und ihres Sozialverhaltens in dem Zeugnis war die Frau nicht zufrieden. Sie forderte Änderungen. Erst beim dritten Zeugnisentwurf bescheinigte der Arbeitgeber ihr, dass sie ihre „Aufgaben stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt und unseren Erwartungen in jeder Hinsicht optimal entsprochen“ habe. Dies entspricht einer Schulnote 1. Allerdings fehlte nun die zuvor gegebene Dankes- und Wunschformel in dem Zeugnis.

Arbeitsrechtliches Maßregelungsverbot

Das BAG urteilte, dass die Arbeitgeberin die einmal gegebenen Schlusssätze nicht streichen darf. Denn das stelle einen Verstoß gegen das arbeitsrechtliche Maßregelungsverbot dar. Arbeitnehmer dürften nicht benachteiligt werden, wenn sie in zulässiger Weise ihre Rechte ausüben. Dies habe hier die Arbeitnehmerin mit ihrer Forderung nach einem besseren Zeugnis getan.

Zwar bestehe kein Anspruch darauf, dass ein Arbeitgeber im Arbeitszeugnis solch eine Schlussformel abgibt, da es sich um eine „freiwillige Leistung“ handele, erklärte das BAG. Sei aber einmal solch eine Formel im Arbeitszeugnis gegeben worden, dürfe sie im Streit um andere Formulierungen später nicht wieder wegfallen.

Az.: 9 AZR 272/22



Bundessozialgericht

Krebs auch bei früherem Raucher als Berufskrankheit anerkannt werden



Kassel (epd). Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Anerkennung einer Harnblasenkrebserkrankung als Berufskrankheit nach einer jahrelangen Einwirkung krebserregender Stoffe im Beruf erleichtert. Gibt es keine anderen festgestellten außerberuflichen Ursachen für die Krebserkrankung, kann es allein auf die bestehende abstrakte Gefahr ankommen, dass ein Beschäftigter im Beruf krebserregenden Stoffen ausgesetzt war, urteilten die Kasseler Richter am 27. September Die Anerkennung als Berufskrankheit sei auch dann möglich, wenn der Arbeitnehmer jahrelang Raucher gewesen war.

Im konkreten Fall arbeitete der Kläger von 1998 bis 2013 als Schweißer in einem Unternehmen, das Großkücheneinrichtungen herstellte. Beim Schweißen musste er unter anderem Schweißnähte auf Risse prüfen. Dabei verwendete er sogenannte azofarbhaltige Sprays, die den krebserregenden Stoff o-Toluidin enthielten.

Außerberufliche Ursachen

Als bei dem Mann 2014 eine Harnblasenkrebserkrankung diagnostiziert wurde, führte er dies auf den berufsbedingten Umgang mit dem krebserregenden Stoff zurück. Er beantragte die Anerkennung einer Berufskrankheit und wollte sich so Rentenzahlungen sichern.

Die Berufsgenossenschaft Holz und Metal lehnte die Anerkennung der Berufskrankheit ab. Die Ursache der Erkrankung sei nicht geklärt. Es kämen auch außerberufliche Ursachen in Betracht. So habe der Kläger im Durchschnitt 15 Jahre lang täglich eine Packung Zigaretten geraucht. Ein beruflicher Zusammenhang sei nicht belegt.

Das Landessozialgericht Stuttgart wies den Kläger ab. Zwar hatte ein Gutachter keine außerberuflichen Ursachen für die Harnblasenkrebserkrankung festgestellt. Auch der Nikotinkonsum liege viele Jahre zurück. Dennoch sei nicht bewiesen, dass die berufliche Tätigkeit die Erkrankung verursacht habe.

Das BSG gab jetzt dem Kläger recht. Der Sachverständige habe jegliche außerberuflichen Ursachen ausgeschlossen - und zwar auch den Jahre zurückliegenden Nikotinkonsum. Auch gebe es im Streit keine festgelegten Grenzwerte, ab welcher Einwirkung mit dem krebserregenden Stoff eine Berufskrankheit vorliegen könne. In diesem Fall reiche die bestehende abstrakte Gefährdung für die Anerkennung einer Berufskrankheit aus, entschied das BSG.

Az.: B 2 U 8/21 R



Bundessozialgericht

Sozialhilfebezieher müssen für Sterbefall vorsorgen können



Kassel (epd). Sozialhilfebezieher müssen Vorsorge für den Sterbefall treffen können. Sie haben daher Anspruch darauf, dass Aufwendungen für eine angemessene Sterbegeldversicherung einkommensmindernd berücksichtigt werden und sie damit mehr Sozialhilfe erhalten können, entschied das Bundessozialgericht (BSG) in zwei am 21. September bekanntgegebenen Urteilen vom Vortag.

Im ersten Fall hatte eine Rentnerin im Dezember 2016 vom Landkreis Karlsruhe Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung beantragt. Als Einkommen führte sie eine Altersrente in Höhe von 465 Euro monatlich an. Einkommensmindernd wollte sie eine Sterbegeldversicherung in Höhe von 53,68 Euro monatlich berücksichtigen lassen. So wollte die Rentnerin höhere Sozialhilfeleistungen erhalten.

Zweifel am Verwendungszweck

Der Landkreis lehnte das ab. Die Beiträge seien zu hoch und nicht angemessen. Außerdem sei nicht ausreichend gewährleistet, dass das Sterbegeld für die Bestattung eingesetzt werde.

Im zweiten Verfahren hatte das Land Berlin als Sozialhilfeträger die Übernahme der Kosten für eine Sterbegeldversicherung in Höhe von monatlich 27,32 Euro brutto abgelehnt. Die schwerbehinderte, von einer fortschreitenden Nervenerkrankung betroffene Klägerin müsse die Sterbegeldversicherung vor dem Sozialhilfebezug abgeschlossen haben, damit die Beiträge einkommensmindernd berücksichtigt werden könnten.

Das BSG urteilte im ersten Fall, dass die Rentnerin die Beiträge zur Sterbegeldversicherung einkommensmindernd berücksichtigen lassen kann. Hierfür müsse verbindlich sichergestellt werden, dass die Versicherungsleistungen tatsächlich für den Bestattungsfall eingesetzt werden. Die Versicherungssumme von hier 4.000 Euro sei angemessen.

Den zweiten Fall verwiesen die Kasseler Richter an das Landessozialgericht (LSG) Potsdam zurück. Für die Berücksichtigung der Sterbegeldversicherung spiele es aber keine Rolle, ob diese vor oder nach dem Sozialhilfebezug abgeschlossen werde. Maßgeblich sei vielmehr, ob es Anlass dafür gebe, dass „Vorsorge für die Sicherstellung der Beerdigungskosten“ getroffen werden müssten. Ob dies wegen der fortschreitenden Nervenerkrankung der Fall ist, müsse das LSG ebenso noch einmal prüfen wie die Angemessenheit der Beiträge zur Sterbegeldversicherung.

Az.: B 8 SO 22/22 R Az.: B 8 SO 19 /22 R



Arbeitsgericht

Erlaubtes Rückenabtasten ist kein Freibrief für Grapschen



Berlin (epd). Das von einer Kollegin erlaubte Abtasten ihres Rückens beinhaltet nicht das Anfassen ihrer Brüste. Schiebt ein Kollege seine beiden Hände unter den BH der Frau, stellt dies eine sexuelle Belästigung dar, entschied das Arbeitsgericht Berlin in einem am 19. September bekanntgegebenen Urteil. Die Berliner Arbeitsrichter erklärten damit die außerordentliche Kündigung eines bei einer Bundesbehörde angestellten Arbeitnehmers für wirksam.

Hände auf den Brüsten der Kollegin

Im konkreten Fall hatte eine Kollegin dem klagenden Arbeitnehmer über Rückenschmerzen berichtet. Der bot ihr an, ihren Rücken genauer zu untersuchen. Als die Frau dem zustimmte, schob er ihre Oberbekleidung hoch und öffnete den BH. Doch es blieb nicht beim Abtasten des schmerzhaften Rückens. Der Mann legte seine Hände unter dem geöffneten BH auf die Brüste der Kollegin.

Diese empfand den Übergriff als sexuelle Belästigung und informierte den Arbeitgeber. Der Arbeitgeber reagierte schnell und kündigte dem Mann nach persönlicher Anhörung fristlos.

Reine Schutzbehauptung

Zu Recht, befand nun das Arbeitsgericht. Das nicht erlaubte Anfassen der Brüste stelle eine schwere Pflichtverletzung dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt. Der Einwand des Mannes, dass er nur den BH wieder schließen wollte und er dabei unbeabsichtigt die Brüste gestreift habe, sei als reine Schutzbehauptung zu werten. Die Angaben der Kollegin seien dagegen glaubhaft.

Eine Abmahnung sei wegen der Schwere der Pflichtverletzung, die sogar strafrechtlich relevant sein könne, nicht erforderlich. Das Interesse des Arbeitgebers an einer außerordentlichen Kündigung sei hier höher zu bewerten als das Interesse des Klägers, auch wenn das Arbeitsverhältnis bereits 19 Jahre bestanden habe.

Az.: 22 Ca 1097/23




sozial-Köpfe

Diakonie

Merkel übernimmt Ehrenvorsitz in Stephanus-Stiftung




Angela Merkel
epd-bild/Christian Ditsch
Der ehemalige Diakoniepräsident und heutige Vorsitzende des Kuratoriums der Stephanus-Stiftung, Klaus-Dieter Kottnik, ist mächtig stolz: Angela Merkel hat den Ehrenvorsitz des Aufsichtsgremiums übernommen.

Berlin (epd). Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist zur Ehrenvorsitzenden des Kuratoriums der Berliner diakonischen Stephanus-Stiftung gewählt worden. Die Stiftung betreut diakonische Angebote und Ausbildungsstätten an mehr als 140 Orten in Berlin und Brandenburg.

Die Altkanzlerin teilte in einer Erklärung mit: „Ich freue mich darauf, zukünftig diese Arbeit unterstützen zu dürfen.“ Angela Merkel hat seit ihrer Kindheit einen Bezug zur Stephanus-Stiftung. Sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre auf dem Waldhof in Templin, der heute ein inklusiver Standort ist, an dem Menschen mit und ohne Behinderung leben, lernen und arbeiten.

Die Vorstandsvorsitzende der Stephanus-Stiftung, Ellen Ueberschär, sagte: „Die Inklusion braucht nach wie vor starke Stimmen in der Öffentlichkeit.“

Kuratoriumsvorsitzender Klaus-Dieter Kottnik sagte: „Über die Jahrzehnte der deutschen Teilung hinweg und nach der Wiedervereinigung hat die Stephanus-Stiftung soziale Teilhabe mit dem Einstehen für politische Freiheiten verbunden.“ Die Übernahme des Ehrenvorsitzes durch die langjährige Bundeskanzlerin sei auch eine Anerkennung dieser Grundhaltung.

Die gemeinnützige Stephanus-Stiftung ist Mitglied im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz. Über ihre Tochtergesellschaften bietet sie soziale Dienste für Menschen im Alter an, Wohn- und Arbeitsangebote für Menschen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung sowie Dienste für Kinder, Jugendliche und Familien in besonderen Lebenslagen. An ihren 140 Standorten in Berlin und Brandenburg hat die Stiftung mehr als 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.



Weitere Personalien



Uwe Holmer, „Honeckers Pastor“, ist tot. Der ehemalige Leiter der Hoffnungstaler Anstalten im brandenburgischen Lobetal beherbergte 1990 für zehn Wochen den abgesetzten DDR-Staatschef Erich Honecker und dessen Ehefrau, Margot Honecker, in seinem Pfarrhaus. Nun ist der Theologe mit 94 Jahren in Mecklenburg gestorben. Das Kirchenasyl machte Holmer berühmt, brachte ihm aber auch eine Menge Anfeindungen und Hass ein. Die Zeit der Honeckers im Kirchenasyl kam im vergangenen Jahr auch ins Fernsehen. „Honecker und der Pastor“ wurde Mitte März 2022 im ZDF und auf Arte ausgestrahlt.

Ralf Kiesslich wird zum 1. Januar 2024 neuer Vorstandsvorsitzender und medizinischer Vorstand der Mainzer Universitätsmedizin. Der bisherige Ärztliche Direktor der Wiesbadener „Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken“ (HSK) wird damit Nachfolger von Norbert Pfeiffer. Der Kaufmännische Vorstand Christian Elsner werde die Universitätsmedizin im Einvernehmen und auf eigenen Wunsch vorzeitig Ende September verlassen. Seinen Posten soll zunächst die derzeitige Kanzlerin der Mainzer Universität, Waltraud Kreutz-Gers, übernehmen. Die Mainzer Uniklinik kämpft seit vielen Jahren mit großen Finanzproblemen.

Andreas Wieland ist neuer Geschäftsführer der Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal. Der 56-jährige Manager, Wirtschaftspsychologe und Theologe folgt auf Jutta Arndt, die das Unternehmen im Juli 2023 verlassen hat. Wieland trat seinen Dienst am 15. September an. Wieland verfügt über langjährige Erfahrung in der praktischen sozialen Arbeit sowie in der Leitung sozialer Institutionen und Bildungseinrichtungen im In- und Ausland. Die Diakonie Korntal ist mit ihren Einrichtungen an neun Standorten in Baden-Württemberg vertreten.

Stephan Ricken ist in die Geschäftsführung der Diakoniestation Wermelskirchen berufen worden. Er ist seit November 2021 Geschäftsführer Finanzen der Diakonie Bethanien und zeichnet dort für die Bereiche IT, Mobilität & Beschaffung, Technik, Personalverwaltung, Rechnungswesen und Controlling verantwortlich. Andrea Siebeneich folgt zum 1. Oktober als Einrichtungsleiterin auf Eckhard Häger. Siebeneich ist Fachkrankenschwester für Intensiv- und Anästhesiepflege, Qualitätsbeauftragte, Referentin für Gesundheits- und Sozialmanagement und Pflegeberaterin. Sie wird in der Diakoniestation Wermelskirchen Verantwortung für den Bereich Pflege und Betreuung übernehmen.

Markus Beier und Nicola Buhlinger-Göpfarth führen den Verband der Hausärztinnen und Hausärzte als Co-Bundesvorsitzende gemeinsam weiter. Sie erhielten auf der Delegiertenversammlung des Verbandes 95 Prozent der Stimmen. Eine Gegenkandidatur gab es nicht. Buhlinger-Göpfarth und Beier führen den Bundesverband seit 2022 gemeinsam in einem Vorstandsteam. Als zentralen Schwerpunkt ihrer Arbeit nannte die neu gewählte Spitze die Stärkung der hausärztlichen Strukturen sowie eine Honorarreform, die Bekämpfung des Fachkräftemangels sowie den Ausbau und die Weiterentwicklung der Verträge zur Hausarztzentrieren Versorgung.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis November



Oktober

5.10. Berlin:

Seminar „Psychische Gesundheit in der Sozialwirtschaft“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828-224

10.-11.10.:

Online-Seminar „Die Schnittstelle Eingliederungshilfe - Pflege gestalten“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

11.10.:

Online-Seminar „Sozialdatenschutz in der Online-Beratung - kompakt“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

18.-20.10. Freiburg:

Fortbildung „Kinderschutz in der Familienpflege - Auftrag und Handlungsoptionen im Einsatz“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

20.-21.10.:

Online-Tagung „Sterben wollen - Leben müssen - Sterben dürfen? - Von der Kontroverse in die Praxis: Umgang mit den assistierten Suizid“

des Hauses Villigst

Tel.: 02304/755-325

23.-24.10. Erkner:

Seminar „Die Umsetzung des KJSG in der Kindertagesbetreuung - Aktuelle Entwicklungen und Perspektiven“

des Deutschen Vereins

Tel.: 030/62980-219

23.-25.10. Hannover:

Fortbildung „Hilfe für wohnungslose Männer und Frauen in besonderen sozialen Schwierigkeiten“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

November

7.11.

Online-Seminar „Aktuelle steuerliche Themen in der Abgabenordnung und im Umsatzsteuerrecht - Update für Fortgeschrittene“

der AWO-Bundesakademie

Tel.: 030/26309-138

8.11. München

Seminar „Pflegesatzverhandlungen in der stationären Altenhilfe Vorbereitung, Strategie und Verhandlungsführung“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 0221/2093-0

8.-9.11.

Seminar „Grundlagen “Positive Führung„ - wertschätzend und zukunftsorientiert führen“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/2758282-21