Frankfurt a. M. (epd). Über 14 Jahre ist es her, dass Gudrun Bayerlein (Name geändert) zuletzt im Urlaub war. Die Reise nach Ungarn, an den Plattensee, war die letzte für eine lange Zeit. „Es kostet mich seelisch so viel Kraft, überhaupt nach einem Urlaub zu schauen, weil ich genau weiß, dass ich es mir nicht leisten kann“, sagt die 81-Jährige.
Als alleinstehende Frau hatte die Münchnerin immer finanzielle Schwierigkeiten, trotz ihrer Arbeit als Sekretärin. Heute, als Rentnerin, sei eine Reise nahezu unmöglich. Da sie sich für ihre Armut schäme, möchte sie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen.
So wie Bayerlein geht es vielen Deutschen. Fast 22 Prozent der Bevölkerung können es sich nicht leisten, für eine Woche im Jahr in den Urlaub zu fahren. Das geht aus Daten des Statistikamtes der Europäischen Union, Eurostat, hervor.
Alleinstehende mit minderjährigen Kindern im Haushalt waren mit 42 Prozent besonders häufig betroffen. Auch Familien und Rentner können sich oft keine Reise leisten. So waren es im vergangenen Jahr mehr als 28,7 Prozent der Erwachsenen über 65 Jahre, die auf einen Urlaub verzichten mussten. Im Jahr zuvor waren es noch 27,3 Prozent.
Dieses Jahr ist die Situation besonders schwierig. Inflation, steigende Energie- und Lebensmittelpreise schmälern das Reisebudget. Dennoch habe der Urlaub für viele Deutsche immer noch einen hohen Stellenwert, wie aus der Tourismusanalyse 2023 der Stiftung für Zukunftsfragen hervorgeht.
Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung, teilte dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit: „Der Urlaub ist und bleibt das Highlight des Jahres. Auf diese magischen zwei Wochen fiebern wir hin, wir sparen auf sie hin, und wir freuen uns darauf, endlich unterwegs zu sein.“ Die Vorfreude und das Berichten hinterher seien dabei fast genauso wichtig wie der Urlaub selbst.
Um sich den Urlaub trotz steigender Preise leisten zu können, sind die Deutschen bereit, auf einiges zu verzichten, wie aus der Analyse hervorgeht. Demnach gab mehr als jeder Zweite an, sich im Alltag einzuschränken, um sich seinen Urlaub leisten zu können. 54 Prozent wollen am Urlaubsort ihre Restaurantbesuche einschränken. Zudem gab etwa die Hälfte an, nicht mehr jedes Jahr zu verreisen.
Mit höherem Verdienst steigen die Reisehäufigkeit, die Dauer sowie die Ausgaben für den Urlaub. „Ruheständler und Singles verreisen unterdurchschnittlich häufig, aber haben auch wiederum oftmals ein geringeres frei verfügbares Einkommen“, sagt Reinhardt.
Besonders Familien können sich oft keine Reise leisten. Antje Funcke, Expertin für Familie und Bildung bei der Bertelsmann Stiftung, weiß, was das mit Kindern macht. „Kindern ist sehr bewusst, wenn ihre Freundinnen und Freunde in den Ferien verreisen, sie selbst aber nie in den Urlaub fahren können, da das Geld einfach nicht da ist.“ Damit würden ihnen Erfahrungsräume und neue Erlebnisse fehlen, die die meisten anderen Kinder auf den Reisen haben. „Sie können auch in der Kita oder Schule später nicht erzählen, was sie Tolles in den Ferien erlebt haben, und fühlen sich dann häufig ausgegrenzt und zurückgesetzt“, erklärt Funcke weiter.
Ferien seien zudem wichtige Erholungs- und Entspannungszeiten für die Familie, in denen Zeit füreinander da ist, Stress und Sorgen im Alltag ausgeblendet werden können. „Das ist für das Familienklima sehr wichtig. Nicht einmal eine Woche Urlaub im Jahr machen zu können, ist insofern eine Belastung für die ganze Familie“, sagt Funcke.
Auch für Thomas Eder (Name geändert) ist eine Urlaubsreise in weite Ferne gerückt. Der Vater einer schwerbehinderten Tochter war das letzte Mal vor vier Jahren im Urlaub, kurz vor der Geburt seiner heute dreieinhalbjährigen Tochter. „Mein Kleine litt bei der Geburt unter Sauerstoffunterversorgung“, sagt der 45-Jährige. Dadurch habe sie enorme gesundheitliche Schäden. „Sie ist sehbehindert, hat Epilepsie und ist geistig zurückgeblieben.“ Er möchte anonym bleiben, da er nicht will, dass die Erkrankungen seines Kindes öffentlich zu lesen sind.
Therapiebesuche stehen bei ihm auf der Tagesordnung. „Sie muss regelmäßig zur Logopädie, zur Physiotherapie und in die Blindenschule“, sagt der Saarbrücker. Die Behandlungen sind mit enormem Zeitaufwand verbunden. Um seine Tochter bestmöglich zu unterstützen, bleibt er in ihrer Nähe. „Ich kann das Saarland nicht einfach verlassen, ich habe Verantwortung für mein Kind“, sagt der Psychologe.