sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

Handwerksbetriebe finden nur noch schwer Azubis. Aber auch andere Branchen melden viele offene Ausbildungsstellen. Das ist eine Chance für Bewerberinnen und Bewerber, deren Schulnoten nicht allzu gut sind. Wenn sich Ausbildungsbetriebe auf sie einstellen, können beide Seiten profitieren. Mit Schnuppertagen und Praktika, bei denen sie Bewerberinnen und Bewerber erst einmal kennenlernen können, machen viele Betriebe gute Erfahrungen.

Hebammen arbeiten nicht allzu gerne in Kreißsälen. Die Arbeitsbedingungen seien dort zu schlecht, ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Landesvertretungen des Deutschen Hebammenverbandes. Daran würde wohl auch die geplante Krankenhausreform nichts ändern. Die Hebammen warnen vor längeren Wegen für Gebärende und Neugeborene. Sehr unterschiedlich ist die Situation der Umfrage zufolge bei der ambulanten Betreuung von Frauen vor der Geburt ihres Kindes und danach im Wochenbett. Während in einigen Regionen Schwangere kaum eine Hebamme finden, ist die Lage anderswo entspannt.

Aktuell gibt es Streit im Bundeskabinett um die Kindergrundsicherung. Finanzminister Christian Linder (FDP) will dafür höchstens zwei Milliarden Euro jährlich geben, Familienministerin Lisa Paus (Grüne) meldet einen höheren Bedarf an. Jetzt belegt eine Studie im Auftrag der Diakonie, die mehrere vorangehende Untersuchungen zusammenfasst: Wer bei armen Kindern spart, muss später richtig draufzahlen.

Wer Sozialhilfe bezieht und in einer Wohnung lebt, die zu groß und teuer ist, muss nicht unbedingt umziehen - wenn nämlich die Bewohner auf die Barrierefreiheit ihrer Bleibe angewiesen sind. So hat es das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschieden. Wenn ein Sozialhilfeträger nicht angeben kann, ob der Wohnungsmarkt eine solche Wohnung zu einem angemessenen Mietpreis überhaupt anbietet, muss er die teurere und größere Wohnung weiter bezahlen.

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Ihr Markus Jantzer




sozial-Politik

Ausbildung

Gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz trotz schlechter Schulnoten




Azubi Tobias Keil vom Metallunternehmen Franz Hof
epd-bild/Rolf K. Wegst
Ausbildungsbetriebe suchen händeringend nach Azubis. Um die unbesetzten Stellen zu belegen, stellen Betriebe nun auch Schulabgänger mit schlechten Noten ein. Das kann Vorteile für beide Seiten haben.

Frankfurt a. M. (epd). Offene Lehrstellen gibt es derzeit noch viele. Vor allem Handwerksbetriebe haben Schwierigkeiten, Azubis zu finden. Das Metallverarbeitungsunternehmen Franz Hof im mittelhessischen Haiger hat damit allerdings kein Problem. Ausbildungsleiter Steffen Uhr sagt: „Für uns als Firma ist das im Moment nicht so schwer, weil wir in der Region einen guten Ruf als Arbeitgeber haben. Uns ist der Mensch sehr wichtig und wir wollen, dass unsere Mitarbeiter ihr Potenzial entfalten können.“

Betrieb bietet Nachhilfe für Schüler an

Ein freundlicher und wertschätzender Umgang untereinander sei dabei sehr wichtig. „Was bringen die besten Noten, wenn die Personen nicht bereit sind, sich in ihr Umfeld einzubringen und gemeinsam mit den Kollegen und Kolleginnen am Erfolg der Firma zu arbeiten?“, fragt Uhr. Um die Azubis in der Berufsschule zu unterstützen, bietet die Firma Werksunterricht und Nachhilfe an. Tobias Keil, Azubi im ersten Lehrjahr, sagt: „Mir gefällt die Ausbildung bei der Firma Hof sehr gut.“

Auch der Gießener Handwerksbetrieb Hermann Luh GmbH, der sich auf Bodenbeläge spezialisiert hat, stellt Azubis ohne Blick auf ihre Schulnoten ein. Für Geschäftsführer Wilhelm Luh stehen charakterliche Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Teamfähigkeit im Vordergrund. „Wir stellen uns die Frage: Hat jemand Lust auf handwerkliches Arbeiten? Passt er ins Team?“, sagt der Bauingenieur.

Um das herauszufinden, lädt er die Bewerber zum Probearbeiten ein. „Ein Praktikum von mindestens drei Wochen ist bei uns zwingend erforderlich“, sagt Luh. Das sei sowohl für den Bewerber als auch für das Unternehmen von Vorteil. „Der Bewerber kann in Ruhe schauen, ob ihm der Beruf des Parkett- und Bodenlegers überhaupt gefällt. Er lernt seine zukünftigen Kollegen und das Arbeiten bei uns im Betrieb kennen“, erläutert Luh. Gleichzeitig kann der Chef den Bewerber auf Herz und Nieren testen. „Wir können danach beurteilen, ob er zu uns passt, ob er Talent für das Handwerk besitzt und ob er jeden Morgen pünktlich zur Arbeit kommt.“

Betriebstreue nach der Ausbildung

Der Fachkräftemangel zieht sich durch alle Branchen und beginnt bereits an der Berufsschule. Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt es noch etwa 256.000 freie Ausbildungsplätze. Demgegenüber stehen rund 147.000 Bewerberinnen und Bewerber, die noch keine Stelle gefunden haben. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Martin Wansleben, sagt: „Die Ausbildungssituation spitzt sich zuungunsten der Betriebe immer stärker zu.“

Arbeitsmarkt-Experte Clemens Wieland von der Bertelsmann Stiftung sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Auch junge Menschen mit schwächeren Schulleistungen können im Betrieb sehr gute Leistungen bringen. Und das Risiko ist geringer, dass sie nach der Ausbildung ein Studium aufnehmen und dem Betrieb wieder verloren gehen.“ Zudem gebe es eine Reihe von Unterstützungsangeboten während der Ausbildung sowohl für Betriebe als auch für Jugendliche wie etwa sozialpädagogische Begleitung. „Diese Angebote werden immer noch zu wenig in Anspruch genommen“, kritisiert Wieland.

Angebote wie Schnuppertage und Praktika seien gute Möglichkeiten, um jenseits der Schulnoten geeignete Bewerber zu finden. Wieland spricht hierbei von einem „Klebeeffekt“ - wenn auf ein Praktikum der Beginn der Lehre folge.

Das Nürnberger Unternehmen Schmitt + Sohn Aufzüge schreibt jährlich etwa 50 Ausbildungsplätze aus. „Eine Auswertung nach Schulabschluss nehmen wir nicht vor“, sagt Aniko Peiffer, Referentin für Unternehmenskommunikation. Die Zeugnisse nehme man nicht so wichtig, denn es gebe viele Situationen im Leben junger Menschen, die zu einem Leistungsabfall in der Schule führen könnten. „Für uns ist es wichtig, ob jemand ins Unternehmen passt, ob er oder sie Freude an der Arbeit hat und engagiert ist. In der Vergangenheit haben wir die Erfahrung gemacht, dass schlechte Schulnoten keine Auswirkung auf die Leistung im Beruf haben müssen.“

Stefanie Unbehauen


Ausbildung

Interview

Institutspräsident: Firmen müssen Ansprüche bei Azubis herunterfahren




Friedrich Hubert Esser
epd-bild/Bundesinstitut für Berufsbildung
2,5 Millionen junge Erwachsene in Deutschland hatten 2021 keinen Berufsabschluss. Das müsse sich ändern, fordert Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung. Er fordert "ein Angebot für alle jungen Menschen, sich beruflich zu qualifizieren".

Bonn (epd). Friedrich Hubert Esser fordert mehr Anstrengungen gegen den Fachkräftemangel. „Wir müssen alle Ressourcen nutzen und sowohl inländische junge Menschen qualifizieren als auch für mehr Zuwanderung sorgen. Sonst werden sich künftig die Probleme der Unternehmen, genügend Personal zu finden, nicht lösen lassen“, sagte der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) im Interview. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Herr Professor Esser, wer in der Ausbildung gescheitert ist oder wer erst gar keine Lehrstelle findet, landet meist im Übergangssystem. Warum gelingt es der Politik nicht, die Zahlen der dort verharrenden jungen Menschen nennenswert zu senken?

Hubert Esser: Kann ich, bevor ich die Frage beantworte, erklären, warum ich mich an dem Begriff „Übergangssystem“ stoße?

epd: Gerne. Aber der Begriff ist doch eingeführt, wird schon lange verwendet und steht auch im Nationalen Bildungsbericht ...

Esser: Ja, das stimmt. Die Bezeichnung ist aber unpassend, weil damit eine Negativkonnotation verbunden ist. Ich spreche, und das tue ich nicht alleine, lieber von einem Chancenverbesserungssystem. Das klingt zwar sperriger, aber ich meine, damit verbindet sich ein positiverer Akzent. Denn damit richtet man den Blick bewusst nach vorne. Und es wird auch besser beschrieben, um was es inhaltlich geht, nämlich Bildungsdefizite aufzuarbeiten, die verhindern, eine passende Lehrstelle im dualen System zu finden - also zum Beispiel durch gezielte Angebote fehlende Schulabschlüsse nachzuholen. Oder in Praktika in Unternehmen herauszufinden, wohin der berufliche Weg denn eigentlich führen soll.

epd: Warum finden so viele Menschen nur über Umwege oder keine Lehrstelle?

Esser: Das hat mit den Mechanismen des Marktes zu tun. Wenn über Jahre genügend junge Leute für die Ausbildung da waren, konnten Firmen sich aussuchen, wem sie eine Lehrstelle anbieten. Das waren in aller Regel diejenigen mit besseren Schulzeugnissen. Folglich mussten sie sich auch nicht sonderlich bemühen, Nachwuchs zu finden. Der kam quasi von selbst, auch ohne wesentlichen eigenen Input, zumindest in den meisten Branchen der Wirtschaft. Aber diese Zeiten sind vorbei. Die Schulabgänger und -abgängerinnen von heute sind in einer besseren Marktposition, und die Firmen müssen sich dem Wettbewerb um weniger Menschen stellen, die eine Ausbildung machen wollen.

epd: Genau deshalb müsste es aber einfacher werden für weniger gut Qualifizierte, eine Lehrstelle zu finden ...

Esser: Das stimmt. Die Unternehmen müssen sich rühren, und viele tun das auch schon. Für sie wird die Lage prekärer, denn der Fachkräftemangel wird vermehrt zum Betriebsrisiko in vielen Branchen. Die Firmen müssen, und das wissen sie auch, toleranter sein und ihre hohen Ansprüche aus der Vergangenheit herunterfahren. Aber längst nicht alle investieren schon gezielt in die eigene Ausbildung. Das ist aber dringend nötig. Denn junge Leute mit einem schwächeren Leistungsniveau verursachen Aufwand und Kosten für Nachschulungen oder Nachhilfe während der dualen Ausbildung.

epd: Also gibt es bereits ein Umdenken in den Betrieben, aber auch noch Luft nach oben?

Esser: Ja. Aber es ist mir wichtig zu erwähnen, dass nicht nur die einzelnen Unternehmen gefordert sind, die Werbung um den Nachwuchs voranzutreiben und zu professionalisieren. Unternehmen, Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, Innungen und Kreishandwerkerschaften müssen unbedingt gemeinsam agieren und sich des Themas Nachwuchsgewinnung annehmen. Denn gerade Kleinst- und Kleinbetriebe sind da oft überfordert und auf Hilfe angewiesen.

epd: Wie bringt man Schulabgänger und ausbildende Unternehmen angesichts von Zehntausenden unbesetzten Lehrstellen besser zusammen?

Esser: Wir müssen frühzeitig in der Schule ansetzen. Schulabgängern und -abgängerinnen fehlen häufig die nötigen Informationen über Wege in die Ausbildung, über die Voraussetzungen und die späteren Möglichkeiten weiterer beruflicher Qualifikation. Die Berufs- und Studienorientierung muss daher an allen Schulformen praxisnäher werden. Das tragen wir als Bundesinstitut für Berufsbildung auch an die Bundesregierung heran.

epd: Was genau raten Sie?

Esser: Es empfiehlt sich, Schulen auch in die Netzwerke von Betrieben, Unternehmensverbänden, Kreishandwerkerschaften und Kammern zu integrieren. Auf dieser Schiene lassen sich dann gut Praktikumsplätze in der Region organisieren und anbieten. Das ist die beste Form, eine praxisorientierte Berufsorientierung zu ermöglichen. Oder man bietet Ausbildungsmessen an und nutzt auch Plattformen des Matchings im Internet - Stichwort Digitalisierung. All das muss das Ziel haben, praxisnah und verbindlich zu informieren.

epd: Die Bundesregierung will mit dem modifizierten Einwanderungsgesetz den Mangel an Fachkräften beheben. Ist sie da auf dem richtigen Weg, oder sollte man sich nicht besser um die vielen Menschen kümmern, die, und jetzt nehme ich Ihren Begriff, das „Chancenverbesserungssystem“ nutzen?

Esser: Das ist für mich keine Frage von Entweder-oder. Beide Optionen darf man nicht gegeneinander ausspielen. Beides ist wichtig für den deutschen Arbeitsmarkt - zum einen die Frage, wie sich inländische Potenziale gezielt heben lassen, und dann die verbesserte, vor allem vereinfachte Fachkräftesicherung durch Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen. Wir müssen alle Ressourcen nutzen und sowohl inländische junge Menschen qualifizieren als auch für mehr Zuwanderung sorgen. Sonst werden sich künftig die Probleme der Unternehmen, genügend Personal zu finden, nicht lösen lassen. Erst recht nicht, wenn die Generation der Babyboomer in einigen Jahren in Rente geht.

epd: Kommen wir zum Schluss noch auf die neue Ausbildungsgarantie zu sprechen. Ist der Begriff nicht irreführend? Es geht ja nicht um ein Recht auf eine duale Ausbildung ...

Esser: Ja, ich habe Zweifel, ob der Begriff richtig gewählt ist. Der Begriff hat eine Geschichte. Denn es wurde vor Jahren in der Politik breit diskutiert, ob die Unternehmen gesetzlich verpflichtet werden sollen, Ausbildungsplätze anzubieten. Das ist zwar längst Geschichte, aber der Begriff wurde beibehalten. Positiv an der neuen Regelung ist jedoch, dass sie ein starkes politisches Zeichen setzt. Es geht um den Schulterschluss aller Stakeholder, das Mögliche zu unternehmen, damit kein junger Mensch chancenlos zurückbleibt. Alle jungen Menschen sollen ein Angebot bekommen, sich beruflich zu qualifizieren, optimalerweise im Rahmen einer Berufsausbildung. Der Wirtschaftsstandort Deutschland kann es sich nicht leisten, Zehntausende junge Leute unqualifiziert zu lassen. Wir müssen alles dafür tun, dass die Zahl von Menschen ohne Berufsabschluss sinkt, und zwar schnell.



Migration

Einbürgerungen sollen künftig schneller möglich sein




Antragsformular für eine Einbürgerung
epd-bild/Christiane Stock
Deutschland orientiert sich bei der Einbürgerung an den USA und Frankreich: Die Wartezeit von bislang acht Jahren soll künftig auf fünf Jahre verkürzt werden. Der Doppelpass wird erlaubt.

Berlin (epd). Der deutsche Pass soll künftig schneller und leichter zu bekommen sein. Das Bundeskabinett brachte am 23. August in Berlin einen Gesetzentwurf auf den Weg, der die Wartezeit für eine Einbürgerung von acht auf fünf Jahre verkürzt und die Mehrstaatigkeit zulässt. Wer antisemitisch, rassistisch oder in irgendeiner Form menschenverachtend handelt, hat die Chance vertan, eingebürgert zu werden. Kritik gibt es vor allem daran, dass Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderungen häufig die Voraussetzungen nicht erfüllen könnten.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, „die Reform ist ein Bekenntnis zu einem modernen Deutschland“. Es sei „allerhöchste Zeit“. Deutschland könne den weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe nur gewinnen, „wenn sie in absehbarer Zeit voll und ganz Teil unserer Gesellschaft werden können“. Zugleich betonte Faeser: „Rassismus, Antisemitismus oder jede andere Form von Menschenfeindlichkeit stehen einer Einbürgerung entgegen - da gibt es keinerlei Toleranz.“

Sicherung des Lebensunterhaltes als Voraussetzung

Voraussetzung für die Einbürgerung sind neben der gelungenen Integration auch gute Deutschkenntnisse sowie die eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes. Wer besonders gut integriert ist, kann bereits nach drei Jahren eingebürgert werden. Faeser nannte als Beispiele den KI-Professor, der das Land voranbringe, oder die Frau, die sich bei der freiwilligen Feuerwehr engagiere.

Für Alleinerziehende oder Menschen mit Behinderung, die auf Unterstützung vom Staat angewiesen sind, können Ausnahmeregelungen greifen. Faeser betonte aber, dass ein Anspruch auf Einbürgerung nur dann bestehen soll, wenn die Personen ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familie selbst erarbeiten. Für Härtefälle gebe es die Ermessenseinbürgerung.

Hier fordert die unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, Nachbesserungen ebenso wie die Diakonie, Flüchtlingsorganisationen und Grünen-Abgeordnete. Die Diakonie-Vorständin Sozialpolitik, Maria Loheide, warnte, „dadurch werden Alleinerziehende, pflegende Angehörige, Menschen mit Behinderung sowie kranke und alte Menschen von der Einbürgerung weitgehend ausgeschlossen“. Die Grünen-Rechtspolitikerin Canan Bayram sprach von „Schwächen“ im Entwurf.

Unbefristetes Aufenthaltsrecht

In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern erhalten den Plänen zufolge indes vorbehaltlos den deutschen Pass und dürfen gleichzeitig die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten, wenn mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Komplizierter ist es für Kinder, bei denen die Staatsangehörigkeit der Eltern ungeklärt ist. Hier muss laut Faeser zunächst alles dafür getan werden, um die Staatsbürgerschaft zu klären.

Ferner hob die Ministerin die Lebensleistung der sogenannten Gastarbeiter hervor, die bis 1974 in Westdeutschland eingereist sind sowie der sogenannten DDR-Vertragsarbeiter, die bis 1990 nach Ostdeutschland kamen. Für sie soll die Schwelle zur Einbürgerung niedriger sein als für alle anderen. Faeser sprach von einem „späten Dank“ an die Gruppe von Menschen, die Deutschland jahrzehntelang mit aufgebaut hätten.

Das Gesetz könnte theoretisch bereits im kommenden Januar in Kraft treten. Hier habe aber der Bundestag das Prä, sagte Faeser. Da das Regelwerk der Ministerin zufolge nicht zustimmungspflichtig ist, kann der Bundesrat zwar Einspruch einlegen, das Gesetz aber nicht blockieren. Aus der Union gibt es insbesondere Kritik an „Turbo-Einbürgerungen“ nach drei Jahren angesichts der wegen gestiegener Zuwanderungszahlen überforderten Kommunen.

Mey Dudin


Geschlecht

Kabinett bringt Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg



Bei Gesellschafts-Themen ist die Ampel-Koalition einig. Die zuständigen Kabinettsmitglieder verteidigen das Selbstbestimmungsgesetz gegen Kritik. Trans- und intergeschlechtlichen Menschen wird es erleichtert, den Geschlechtseintrag ändern zu lassen.

Berlin (epd). Die Bundesregierung hat das Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht. Das Kabinett beschloss am 23. August in Berlin einen Gesetzentwurf von Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht binären Menschen wird es damit erleichtert, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen. Künftig reicht eine entsprechende Erklärung beim Standesamt, ob der Geschlechtseintrag „männlich“, „weiblich“ oder „divers“ lauten soll.

Transsexuellengesetz wird abgeschafft

Paus sagte im Anschluss an die Kabinettssitzung, das Grundgesetz garantiere die freie Entfaltung der Persönlichkeit: „Wer ich bin, das weiß nur ich selbst. Das gilt auch für die geschlechtliche Identität.“ Darüber selbstbestimmt entscheiden zu können, sei ein Menschenrecht. Buschmann warb für einen besonnenen Umgang mit den Änderungen. Es gehe um eine kleine Gruppe von Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht mit ihrer sexuellen Identität übereinstimme.

Das Selbstbestimmungsgesetz löst das seit mehr als 40 Jahren gültige Transsexuellengesetz ab, das das Bundesverfassungsgericht in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärt hat. Nach geltendem Recht ist eine Änderung des Geschlechtseintrags nur durch einen gerichtlichen Beschluss möglich, der eine Begutachtung durch zwei Sachverständige voraussetzt. Die Betroffenen schildern das Verfahren als entwürdigend.

Künftig melden die Menschen drei Monate vor der eigentlichen Abgabe ihre Erklärung beim Standesamt und die künftigen Vornamen an. Sie versichern, dass die Streichung oder die Änderung ihrer Geschlechtsidentität am besten entspricht. Die Erklärung gilt sofort nach der Abgabe.

Minderjährige ab 14 Jahren sollen mit Zustimmung der Eltern oder eines Familiengerichts die Erklärung zur Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags abgeben können. Für Kinder unter 14 Jahren können die Eltern eine Erklärung zum Geschlechtswechsel abgeben. Buschmann versicherte, bei einem verantwortungslosen Umgang von Eltern mit dieser Regelung habe der Staat Möglichkeiten, dagegen vorzugehen.

Bedenken von Medizinern

Demgegenüber wirft die Union der Ampel-Koalition vor, den Kinder- und Jugendschutz zu schwächen. Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Silvia Breher (CDU), erklärte, die Ampel ignoriere die Bedenken von Medizinern, die davor warnten, dass Jugendliche in der Pubertät voreilige Entscheidungen treffen könnten. Außerdem würden ihre Eltern in eine schwierige Lage gebracht, etwa wenn sie sich über die Zustimmung zum Geschlechtswechsel nicht einigen könnten.

Der erste Entwurf des Gesetzes war in einigen Punkten noch geändert worden. So ist nun auf Drängen des Innenministeriums sichergestellt, dass sich niemand durch eine Änderung des Geschlechtseintrags einer Strafverfolgung entziehen kann. Das Selbstbestimmungsgesetz soll laut Entwurf im November 2024 in Kraft treten. Die endgültige Entscheidung liegt beim Bundestag.

Der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, sprach von einem historischen Tag und forderte, das Gesetz solle früher in Kraft treten. Die Betroffenen hätten lange darauf warten müssen. In einer „feministischen Petition“ forderten über 300 Frauenhäuser und Verbände, die sogenannten Misstrauensparagrafen aus dem Selbstbestimmungsgesetz zu streichen.

Im jetzt vorliegenden Entwurf geht das Gesetz auf Befürchtungen ein, die die Verbände für transfeindlich halten, etwa, dass ein Mann sich unter dem Vorwand, eine Transfrau zu sein, Zugang zur Frauensauna verschafft. Dagegen steht das Hausrecht, wonach die Geschäftsführung einzelnen Personen den Zugang verweigern kann. Sportvereine können weiterhin selbst entscheiden, welche Personen für welche Wettkämpfe starten.

Wie viele trans- und intergeschlechtliche sowie nicht binäre Menschen in Deutschland leben, ist nicht bekannt. Schätzungen zufolge können es einige Zehntausend sein. Einen Anhaltspunkt bieten die Verfahren nach dem Transsexuellengesetz: 2021 haben rund 3.200 Menschen ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Die Zahlen sind seit den 2010er Jahren gestiegen.

Bettina Markmeyer


Flüchtlinge

Dokumentation

"Jugendliche vor Gewalt, Übergriffen und Machtmissbrauch schützen"



Das Bundesjugendkuratorium hat einen Appell zur Wahrung der Rechte junger Menschen auf der Flucht veröffentlicht. Denn die neuen Pläne der EU ließen "nicht erkennen, wie eine Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht in den Grenzverfahren und Aufenthaltsorten an den Grenzen überhaupt möglich sein kann". epd sozial dokumentiert das Papier des Expertengremiums im Wortlaut.

Das Bundesjugendkuratorium hat in den vergangenen Jahren mehrfach darauf hingewiesen, dass die Rechte junger Menschen, die geflüchtet sind, grundlegend - auch in Krisenzeiten - verwirklicht werden müssen. Die UN-Kinderrechtskonvention, aber auch weitere UN-Konventionen, wie zum Beispiel über die Rechte von Menschen mit Behinderung und supranationale Abkommen zu Migration und Flucht, die u.a. den Schutz, Rechtssicherheit, eine diskriminierungsfreie Kindheit und Jugend sowie eine Zukunftsperspektive für junge Menschen garantieren, sind mit entsprechenden rechtsstaatlichen Verfahren und Infrastrukturen abzusichern. Zudem ist die Verwirklichung der Rechte transparent, unabhängig und regelmäßig zu überprüfen.

Zwar wird in den Diskussionen um die gegenwärtigen europäischen Vorschläge zur zukünftigen Regulation und zu den Zugängen zum Asylverfahren an den EU-Außengrenzen von der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass in dem weiteren Prozess gerade die Rechte von Kindern und Jugendlichen gestärkt, deren Absicherung geregelt und durch Verfahren und Infrastrukturen untersetzt werden sollen. Zudem wird hervorgehoben, dass die Verfahren für unbegleitete minderjährige Geflüchtete grundsätzlich nicht gelten sollen.

Verwirklichung von Rechten nicht zu erkennen

Offen bleibt aber, wie die Rechte aller Kinder und Jugendlichen gesichert werden. Angesichts der bisher bekannten Vorschläge ist nicht zu erkennen, wie eine Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht in den Grenzverfahren und Aufenthaltsorten an den Grenzen überhaupt möglich sein kann.

Vor diesem Hintergrund formuliert das Bundesjugendkuratorium grundlegende Prüfkriterien für die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen, die in zukünftigen europaweiten Regelungen berücksichtigt werden müssen.

Alle Verfahren sind so zu gestalten, dass die in den internationalen Abkommen geregelten Rechte von Kindern und Jugendlichen gewahrt und verfahrenspraktisch gesichert sind. Grundlegend ist dabei ein unabhängiger Rechtsschutz für Kinder und Jugendliche zu garantieren. Es muss organisational abgesichert sein, dass Kinder und Jugendliche in Rechtsangelegenheiten unabhängig beraten und vertreten werden.

Keine entwürdigenden Altersfeststellungen, immer mit Rechtsbeistand

Kinder und insbesondere Jugendliche dürfen nicht entwürdigenden Altersfeststellungen unterzogen werden. Die Verfahren zur Altersfeststellung sind seit Jahren in der Kritik und stellen keine Basis dar, um zum Beispiel Volljährigkeit festzustellen.

Kinder und Jugendliche dürfen nicht von Entscheidungsbehörden und durch sie beauftragte Organisationen ohne unabhängigen Rechtsbeistand einer Altersfeststellung unterzogen werden.

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Eltern. Sie dürfen nicht indirekt dazu gezwungen werden, ihre Eltern zu verlassen, um allein weiter zu fliehen, da nur unbegleitete minderjährige Geflüchtete geschützt werden. Kinder und Jugendliche müssen mit ihren Eltern gemeinsam geschützt werden.

Grenznahe Aufenthalte so kurz wie möglich

Eine Unterbringung und Versorgung an der Grenze kann kaum kinder- und jugendgerecht erfolgen. Die Größe der Einrichtungen, die Fluktuation der Geflüchteten in diesen Einrichtungen, der Zwangskontext des Aufenthaltes und (der beobachtbaren) unfreiwilligen Rückführungen sowie nicht zuletzt die ggf. der eigenen Familie drohenden Rückführung bilden Rahmenbedingungen, die die Wahrung von Mindeststandards für kinder- und jugendgerechte Unterbringung und Versorgung geradezu verunmöglichen. Darum sind die Aufenthalte so kurz wie möglich zu gestalten.

Kinder und Jugendliche erleben häufig Gewalt, sexualisierte Übergriffe und Missbrauch auf der Flucht. Sie sind aufgrund ihrer verletzlichen Position und der Machtasymmetrie zwischen Erwachsenen und Kindern insbesondere vor Gewalt, Übergriffen und Machtmissbrauch zu schützen.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und sexualisierten Übergriffen ist explizit durch transparente Organisationsformen, Ombudsverfahren, „sichere“ und geschützte Orte sowie kinder- und jugendgerechte - auch anonym erreichbare - Anlaufstellen, an die sich Kinder und Jugendliche mit Gewalterfahrungen in ihren Sprachen jederzeit auch jenseits von akuten Notsituationen wenden können, an allen Aufenthaltsorten - insbesondere auch an den Grenzen - sicherzustellen.

Beratung in der jeweiligen Muttersprache

Insgesamt ist in allen Verfahren sowie an allen Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche auch in der EU aufhalten, das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Gehör zu verwirklichen (siehe Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention).

Kinder und Jugendliche müssen in ihrer Muttersprache über ihre Situation informiert werden. Es müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sie ihre Bedürfnisse ausdrücken sowie sich in ihrer Muttersprache in den Verfahren verständigen und beteiligen können.

Es bedarf altersgerechter und barrierefreier Beratungsorte, Verfahren und Infrastrukturen, damit mit allen Kindern und Jugendlichen ihre Situation und das weitere Vorgehen besprochen werden kann. Darüber hinaus haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wohlbefinden und Gesundheitsförderung.

Ernährung, medizinische und soziale Versorgung

Es ist sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche auf der Flucht sowohl altersgemäß ernährt als auch medizinisch und sozial versorgt werden. Sie brauchen zudem Orte, an denen sie sich mit anderen Kindern und Jugendlichen über ihre Bedürfnisse austauschen und als junge Menschen zusammen sein können.

Das Bundesjugendkuratorium sieht die genannten Eckpunkte als unverzichtbare Mindeststandards für die Weiterentwicklung einer europäischen Flüchtlingspolitik an. Ziel muss es sein, die Rechte von Kindern und Jugendlichen an den Grenzen und auf der Flucht in Europa zu verwirklichen. Nur wenn die Verfahren und Infrastrukturen zur Verwirklichung der Rechte sowie in diesem Zusammenhang auch die organisationalen, finanziellen, personellen und professionellen Verantwortungsstrukturen in den Ländern der EU differenziert und transparent vereinbart sind, kann von einer Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen gesprochen und diese auch überprüft werden.



Arbeit

Institut: Politik muss gezielter gegen Arbeitslosigkeit vorgehen



Obwohl viele Arbeitgeber dringend Personal suchen, sind weiterhin viele Menschen erwerbslos. Laut dem IW-Arbeitsmarktexperten Holger Schäfer sind gezieltere Maßnahmen nötig, um die Langzeitarbeitslosigkeit und damit auch Armut zu senken.

Köln (epd). Laut einer Analyse des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) erschweren verschiedene Faktoren die Senkung der Arbeitslosigkeit, obwohl es viele offene Stellen gibt. So spielten etwa die Dauer der Arbeitsuche, ein Missverhältnis bei Qualifikation und Standort sowie persönliche und gesundheitliche Einschränkungen eine Rolle, heißt es in einem am 23. August in Köln veröffentlichten IW-Report. Die Zahl der Arbeitslosen sinke auch dann nicht automatisch auf null, wenn Betriebe Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen haben, hieß es.

2,6 Millionen Erwerbslose

Aktuell steigen den Angaben zufolge die Arbeitslosenzahlen, gleichzeitig gibt es ungewöhnlich viele unbesetzte Stellen. So habe die Zahl der Arbeitslosen im Juli 2023 mit insgesamt 2,6 Millionen um knapp 150.000 höher gelegen als im Juni. Hinzu kämen knapp 900.000 Personen in Unterbeschäftigung, die etwa arbeitsmarktpolitische Maßnahmen absolvieren. Auch die Zahl der unbesetzten Stellen sei hoch: Für das erste Quartal wurden laut Analyse rund 700.000 gemeldete sowie eine Million ungemeldete offene Stellen erfasst. Das sei der höchste jemals für ein erstes Quartal gemessene Wert.

Der IW-Arbeitsmarktexperte Schäfer forderte, die Bundesregierung müsse mehr tun, um die Langzeitarbeitslosigkeit und damit auch Armut zu senken. „Armut in Deutschland hat in ganz starkem Maße mit der Arbeitslosigkeit zu tun: Mehr als 60 Prozent der Arbeitslosen sind armutsgefährdet und verfügen über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens“, sagte er der „Rheinischen Post“. Bei den Erwerbstätigen seien dagegen weniger als zehn Prozent armutsgefährdet.

Sparen an der falschen Stelle

Bei der geplanten Kindergrundsicherung sei es wichtig, darauf zu achten, dass durch höhere Transferleistungen nicht der Anreiz zur Arbeitsaufnahme verringert werde. „Es wäre absurd, wenn durch die Kindergrundsicherung das wichtigste Mittel zur Armutsbekämpfung, nämlich das Erzielen eines eigenen Erwerbseinkommens, konterkariert werden würde“, warnte Schäfer.

Laut dem IW-Report, der sich unter anderem auf Daten der Bundesagentur für Arbeit beruft, ist die Qualifikation eines der Hauptprobleme bei der Arbeitssuche. Rund 60 Prozent der insgesamt 900.000 Langzeitarbeitslosen verfügten über keine abgeschlossene Berufsausbildung.

Ein Drittel der Langzeitarbeitslosen habe keinen deutschen Pass. Programme, die darauf abzielten, diese Menschen in dauerhafte und besser bezahlte Jobs zu bringen, seien daher ebenfalls wichtige Ansatzpunkte, sagte Schäfer. Die meisten Maßnahmen für Zugewanderte, wie etwa Sprachtrainings und Weiterbildungen, brächten gute Fortschritte. Hier sollte nicht gespart werden, warnte der Wirtschaftswissenschaftler mit Blick auf die Kürzungspläne für den Bundeshaushalt 2024.

Nora Frerichmann


Arbeit

Gleichstellungsmaßnahmen verkleinern den Gender Pay Gap



Nürnberg (epd). Die Einführung von Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern geht einer Studie zufolge mit einer Verringerung des Gender Pay Gaps bei Vollzeitbeschäftigten einher. Jede zusätzliche Maßnahme in einem Betrieb hängt mit einem um durchschnittlich 2,5 Prozentpunkte geringeren Gender Pay Gap zusammen, wie aus einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervorgeht. Dieser Effekt bestehe allerdings nur in Westdeutschland, teilte das Nürnberger Institut am 22. August mit.

Die IAB-Forscher haben in der Studie untersucht, wie sich Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung auf die Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern im Betrieb ausgewirkt haben. Zu diesen Maßnahmen zählen unter anderem betriebliche Kinderbetreuungsangebote sowie die gezielte Förderung des weiblichen Nachwuchses, beispielsweise durch ein Mentoringprogramm. IAB-Forscher Florian Zimmermann erklärte: „Diese Maßnahmen können zu einer Reduktion des Gender Pay Gaps beitragen, indem Frauen im Betrieb beispielsweise flexibler arbeiten können oder häufiger befördert werden.“

Die Forscher betonen, dass alle untersuchten Maßnahmen zu einer Verringerung des Gender Pay Gaps beitragen. „Eine öffentliche Förderung von freiwilligen betrieblichen Maßnahmen könnte empfehlenswert sein, um die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern am Arbeitsmarkt zu reduzieren“, ergänzte IAB-Forscher Matthias Collischon.



Niedersachsen

Preisträger des Integrationspreises 2023 stehen fest



Hannover (epd). Die Preisträger des Niedersächsischen Integrationspreises 2023 stehen fest. Aus mehr als 180 Bewerbungen habe die Jury vier Gewinner ausgewählt, teilten Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und der Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe, Deniz Kurku am 21. August mit. Der mit 24.000 Euro dotierte Integrationspreis wird zum vierzehnten Mal vergeben, das diesjährige Motto lautet „Integration im ländlichen Raum und Stadtquartier“.

Zu den Preisträgern zählt den Angaben zufolge das „Nestwerk für soziale und kulturelle Projekte“ aus Hagen im Bremischen im Landkreis Cuxhaven, das für Geflüchtete Gesundheitsberatung und Kinderbetreuung anbietet. Gewonnen hat ferner der Kulturtreff Roderbruch in Hannover, der ein Clownsprojekt in einem Wohnprojekt für Flüchtlinge initiiert hat. Die Integrationslotsen im Landkreis Cloppenburg bieten Migranten in einem Café Unterstützung bei der schulischen, beruflichen und sozialen Integration, und das Cluster Projekt in Hildesheim hat ein Fitnessstudio für Jugendliche zu einem sozialen und sportpädagogischen Treffpunkt ausgebaut.

Der mit zusätzlichen 6.000 Euro dotierte Sonderpreis des Bündnisses „Niedersachsen packt an“ geht nach den Angaben an die Kirche „Zum Guten Hirten“ in Godshorn in der Region Hannover. 20 Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren können in der Gemeinde unter der Woche zu Mittag essen, werden pädagogisch betreut und erhalten Hilfe bei den Hausaufgaben.

Mit dem Integrationspreis werden nach Angaben des Landes Projekte ausgezeichnet, die sich besonders engagiert und mit guten Ideen der Integration Geflüchteter annehmen. Ziel des Wettbewerbs sei es, Vereine, Initiativen, Verbände und Stiftungen zum Nachahmen zu motivieren.




sozial-Branche

Gesundheit

Hebammen sehen geplante Zentralisierung kritisch




Neugeborenes zwischen Hebamme und Mutter (re.)
epd-bild/Detlef JHeese
Kreißsäle bieten Hebammen offenbar keine guten Arbeitsbedingungen. Die Krankenhausreform würde nach Auskunft der Landesvertretungen des Verbandes der Geburtshelferinnen keine Verbesserung bringen.

Frankfurt a.M. (epd). Die geplante Zentralisierung der Geburtshilfe in besonders geeigneten Kliniken stößt auf überwiegenden Widerstand bei den Hebammenverbänden. Die Landesvertretungen des Deutschen Hebammenverbands (DHV) sehen Risiken für Schwangere und Neugeborene aufgrund längerer Fahrtwege, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressediensts (epd) ergab. Eine flächendeckende Versorgung und kurze Anfahrtswege zu einer Klinik mit Kreißsaal müssten Priorität haben, sagte die baden-württembergische Verbandsvorsitzende Jutta Eichenauer. Die bayerische Hebammenverbands-Vorsitzende Mechthild Hofner warnte: „Jeder längere Transport ist für Frühgeborene extrem schädlich.“

Forderungen nach Hebammenkreißsälen

Nach Einschätzung der Vorsitzenden des Brandenburger Hebammenverbands, Beatrice Manke, würde eine Zentralisierung außerdem nicht dazu führen, dass die verbleibenden Geburtshilfen besser mit Personal ausgestattet würden. „Wir wissen aus zahlreichen Gesprächen mit Klinikhebammen, dass diese dann eher in die Freiberuflichkeit gehen würden als in die nächstgelegene Klinik“, sagte sie.

Der Thüringer Landesverband verwies auf mögliche Planungsprobleme durch eine Zentralisierung. „Die Kinder, die durch fehlende Versorgung in Thüringen außerhalb der thüringischen Landesgrenzen geboren werden, fallen aus der Thüringer Geburtenstatistik heraus“, erläuterte Annika Wanierke, Vorsitzende des Thüringer Landesverbands. „So kann keine wirkliche Bedarfsermittlung mehr erfolgen und der Versorgungsbedarf wird verzerrt.“

Gemäß der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Klinikreform soll Geburtshilfe nur noch in Häusern angeboten werden, die in einem dreistufigen System mindestens die Qualitätsstufe 2 erbringen.

Forderungen nach Hebammenkreißsälen kamen aus Sachsen und Nordrhein-Westfalen. „Ganz normal verlaufende Geburten erfordern keine ärztliche Anwesenheit“, sagte Barbara Blomeier, Vorsitzende des Landesverbandes NRW.

Personallücke statistisch nicht erfasst

In vielen Kreißsälen fehlen nach Angaben der Verbände derzeit Hebammen. Allerdings werde diese Personallücke statistisch nicht erfasst. Genau beziffern konnte sie nur der Bremer Landesverband. In den fünf Kreißsälen der Hansestadt seien derzeit 16 Vollzeitstellen unbesetzt. Nach Angaben der Vorsitzenden des Landesverbands der Hessischen Hebammen, Martina Klenk, haben vor allem die Krankenhäuser der Maximalversorgung große Probleme, freie Planstellen für Hebammen zu besetzen. Gründe dafür seien etwa unzureichende Vergütung und große Arbeitsverdichtung.

Die Kreißsäle sind nach Einschätzung der Landesverbände unattraktiv als Arbeitsplätze. Sie nannten einen geringen Anteil an originären Hebammentätigkeiten, eine starke ärztliche Dominanz der Geburtshilfe und unflexible Arbeitszeitmodelle als Ursachen, warum Hebammen häufig nicht in Krankenhäusern arbeiten wollen. In Rheinland-Pfalz müsse sich eine Geburtshelferin oft um drei oder sogar fünf gebärende Frauen gleichzeitig kümmern. In Schleswig-Holstein, so habe eine Umfrage ergeben, würden 140 Hebammen in die Kreißsäle zurückkehren, wenn sich die Arbeitsbedingungen dort verbesserten.

Ein Mangel an Geburtshelferinnen habe den Auskünften zufolge aber als alleiniger Grund nicht zu Schließungen von Kreißsälen geführt. Eine Schließung sei in der Regel auf wirtschaftliche Gründe zurückzuführen, erklärte Mechthild Hofner vom bayerischen Hebammenverband.

In der ambulanten Versorgung, also der Schwangerschafts- und Wochenbettbetreuung, gibt es offenbar große regionale Unterschiede. Der brandenburgische Hebammenverband meldete, es gebe Regionen mit einer großen Dichte von freiberuflichen Hebammen, aber vor allem in den ländlichen Gebieten sei die Versorgung „nicht flächendeckend gesichert“. In Bremen sei die Situation stark angespannt, sagte Christina Altmann, die Vorsitzende des dortigen Landesverbands: „Die Kolleginnen sind häufig ausgebucht bis Spätsommer nächsten Jahres.“ Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern geht hingegen nach eigenen Angaben nicht von einem Hebammenmangel aus.

Nils Sandrisser


Pflege

Verbände: Mehrheit der Bevölkerung für Pflegevollversicherung




Altenpflegerin mit einer Heimbewohnerin
epd-bild/Werner Krüper
Verbände fordern eine Pflegeversicherung, die alle Kosten für die Pflege übernimmt. Angesichts der steigenden Preise seien die meisten Menschen mit der Finanzierung überfordert.

Berlin (epd). Vier Fünftel der Erwachsenen in Deutschland glauben nicht, dass sie die Kosten für ihre Pflege selbst aufbringen könnten. Der Paritätische Gesamtverband und ver.di forderten deshalb, gestützt auf eine aktuelle forsa-Umfrage, am 24. August in Berlin, die Finanzierung der Pflege grundlegend zu reformieren. Eine Pflegevollversicherung müsse alle Ausgaben für die Pflege im Heim oder zu Hause übernehmen, erklärten sie. Die Politik habe eine breite Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich, wenn sie das Finanzierungsproblem endlich anginge, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider.

Heimkosten von 2.700 Euro im Monat

Laut der forsa-Umfrage im Auftrag des Bündnisses für eine Pflegevollversicherung befürworten parteiübergreifend 81 Prozent der Bevölkerung den Umbau der Pflegeversicherung zu einer Vollversicherung. Unter den Anhängern der Grünen sind es 82 Prozent, bei FDP-Wählern immer noch 76 Prozent. Dem Bündnis für eine Pflegevollversicherung gehören neben dem Paritätischen und ver.di der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sowie weitere Sozial- und Pflegeverbände an.

Die Befragten sollten außerdem angeben, mit welchen Ausgaben sie für einen Heimplatz rechnen. Dabei zeigte sich der Umfrage zufolge, dass drei Viertel die Kosten unterschätzen. In einem Pflegeheim müssen Bewohner im ersten Jahr im Bundesdurchschnitt 2.700 Euro pro Monat selbst zahlen, davon entfallen auf die reine Pflege 1.250 Euro, der Rest auf die Zuzahlung zu den Unterbringungs- und Verpflegungskosten. Für die repräsentative Erhebung wurden Anfang August 1.010 über 18-Jährige online befragt.

Die inzwischen zwei Jahrzehnte alte Forderung nach einer Bürgerversicherung in der Pflege erhält aus Sicht des Bündnisses neue Dringlichkeit durch die stark steigenden Kosten für die rund fünf Millionen pflegebedürftigen Menschen im Land. Der Vorsitzende des BIVA-Pflegeschutzbundes, Manfred Stegger, sagte, besonders schlimm sei, dass auch Menschen in die Sozialhilfe rutschten, die für ihre Pflege gespart hätten. Die Ausgaben summierten sich inzwischen schnell auf 20.000 bis 30.000 Euro im Jahr.

Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung

Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesverband forderte, die Politik müsse das gesellschaftliche Problem der Pflege lösen. Es dürfe nicht an einer Partei scheitern, wenn eine so große Mehrheit in der Bevölkerung für eine Pflegevollversicherung sei, kritisierte sie mit Blick auf die FDP, die auf zusätzliche private Vorsorge setzt und in der Ampel-Koalition Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung ablehnt.

Um die Ausgaben beherrschbar zu halten, sieht das Konzept für eine Vollversicherung vor, die private Pflegeversicherung abzuschaffen, den Pflegebeitrag auf alle Einkommensarten zu erheben, statt nur auf Erwerbseinkommen, und die Beiträge für besonders gut verdienende Mitglieder zu erhöhen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt wären, würden die Beiträge nur geringfügig steigen müssen, versicherte Bühler. Dazu, was den Staat und die Beitragszahler eine Pflegevollversicherung unter den gegenwärtigen Bedingungen kosten würde, legte das Bündnis keine aktuellen Schätzungen vor.

Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva-Maria Welskop-Deffaa, warnte vor einer Überfrachtung der Pflegeversicherung. Sie müsse zwar so weiterentwickelt werden, dass sie auch bei langandauernder Pflegebedürftigkeit die notwendigen Leistungen abdecke. Sie sprach sich aber gegen eine Vollversicherung für alle aus. „Wir brauchen kein Erbenschutzprogramm“, erklärte Welskop-Deffaa. Wer alt und krank sei, könne auch sein Vermögen für die Pflege aufzehren.

Der Präsident der Patientenschutzstiftung, Eugen Brysch, nannte die Äußerung der Caritas-Präsidentin „starken Tobak“. Pflege, die arm mache, dürfe nicht in dieser Form bagatellisiert werden, erklärte er.

Bettina Markmeyer


Familien

Nachteile für Mütter bei Unterhaltsrechtsreform befürchtet




Eine Mutter mit ihren beiden Kindern
epd-bild/Detlef Heese
Der Kindesunterhalt führt nach Trennungen regelmäßig zu Streit unter Eltern. Nun plant Justizminister Buschmann eine Reform. Demnächst möchte er Eckpunkte vorlegen. Verbände befürchten Nachteile für Mütter.

Berlin (epd). Familienverbände befürchten angesichts einer von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) geplanten Reform des Unterhaltsrechts Nachteile für alleinerziehende Mütter. Ein Ministeriumssprecher wies dies am 21. August zurück und betonte zugleich, vorgestellt würden in Kürze Eckpunkte und kein fertiger Gesetzentwurf. Es gehe darum, den Vorschlag mit der Rechtspraxis, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft zu diskutieren.

Lebensrealität von Familien

Die Deutsche Kinderhilfe warnte vor einem „bürokratischen Monster“. Der Ehrenvorsitzende des Vereins, Rainer Becker, erklärte, Unterhaltsregelungen würden massiv verkompliziert, indem „kaum zu beantwortende Fragen“ aufgeworfen würden. So sei unklar, wie etwa mit den Kosten für Bekleidung, Schulbedarf oder Klassenfahrten umgegangen werde. Wenn tageweise abgerechnet werden müsse, sei neuer Streit vorprogrammiert, warnte er. Becker wies zugleich darauf hin, dass Frauen hierzulande bei gleicher Qualifikation ein deutlich geringeres Einkommen hätten als Männer. Daher sollten zunächst die Gehälter angeglichen werden.

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter rief den Minister auf, sich anstelle eines Leitbildes von Gleichstellung, das häufig nicht gelebt worden sei, an der Lebensrealität von Familien zu orientieren. So steige in einem Viertel der Paarfamilien die Mutter ganz aus dem Beruf aus. Wenn beide Elternteile arbeiteten, dominiere das Modell: er Vollzeit, sie Teilzeit. Bei Alleinerziehenden sei wiederum die Armutsquote so hoch wie bei keiner anderen Familienform.

Der Verband schlägt daher ein Drei-Stufen-Modell vor, bei dem der Kindesunterhalt sich je nach der Zahl der Übernachtungen von Kindern im Haushalt des zahlenden Elternteils unterscheidet. Eine Unterhaltspflicht für beide Eltern dürfe aber erst dann einsetzen, wenn der hauptsächlich betreuende Elternteil im Alltag spürbar entlastet werde, sagte Geschäftsführerin Miriam Hoheisel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Care-Arbeit sei schon vor der Trennung oft mit beruflichem Kürzertreten verbunden, fügte sie hinzu. Wenn das bei der Reform nicht berücksichtigt werde, bestehe die Gefahr, dass die Armut in Eineltern-Familien weiter ansteige.

Viele Lebensentwürfe

Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic, warnte vor negativen Folgen für alleinerziehende Mütter. „Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, das Unterhaltsrecht an moderne Lebensmodelle anzupassen. Dabei müssen wir ein besonderes Augenmerk darauf legen, dass wir Menschen, die ohnehin schon sehr viel leisten, den Rücken stärken und nicht ihr Armutsrisiko erhöhen“, sagte Mihalic am 21. August der „Rheinischen Post“. So seien bestimmte Kosten für Lebensmittel, Schulbedarf oder die Freizeitgestaltung besonders für alleinerziehende Mütter eine Herausforderung.

In ihrem Koalitionsvertrag haben die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP vereinbart, im „Unterhaltsrecht die Betreuungsanteile vor und nach der Scheidung besser berücksichtigen“ zu wollen, „ohne das Existenzminimum des Kindes zu gefährden“. Laut Buschmann soll sich die Reform auf Trennungsfamilien fokussieren, in denen ein Elternteil zwar die Hauptbetreuung leistet, der andere Elternteil sich aber ebenfalls zu 30 oder 40 Prozent bei der Erziehung einbringt. Die Entlastung könnte demnach bei gut 100 Euro im Monat liegen.

Der Interessenverband Unterhalt und Familienrecht begrüßte die Pläne. „Wir finden es wichtig, dass der Grundsatz gilt: beide betreuen, beide bezahlen“, sagte Verbandssprecher Josef Linsler dem epd. Er forderte zugleich, eine Reform solle nicht nur von einem Modell ausgehen, nach dem Trennungsfamilien leben würden. Möglichst viele Lebensentwürfe sollten möglich sein.

Mey Dudin, Nils Sandrisser


Familien

Diakonie: Kindergrundsicherung ist nicht so teuer wie Kinderarmut




"Die Arche" - ein Hilfswerk für arme Kinder
epd-bild/Christian Ditsch
In den Ampel-Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung mischen sich Diakonie und DIW mit aktuellen Berechnungen ein: Die Folgen von Kinderarmut kosten eine Gesellschaft demnach viel mehr als eine Existenzsicherung für jedes Kind.

Berlin (epd). Diakonie-Präsident Ulrich Lilie warnt davor, die geplante Kindergrundsicherung kleinzusparen. Damit riskiere Deutschland hohe Folgekosten, sagte er am 18. August in Berlin bei der Vorstellung eines Gutachtens zu den finanziellen Auswirkungen von Kinderarmut und Kindergrundsicherung: „Wer bei den Kindern spart, zahlt später drauf.“ Gesunde und gut ausgebildete Kinder hätten deutlich bessere Chancen, als Erwachsene ihren Lebensunterhalt zu verdienen, als Kinder, die mit staatlichen Hilfen groß werden.

Kosten verfestigter Kinderarmut

Kinderarmut koste den Staat und damit die Bevölkerung langfristig das Vielfache einer auskömmlichen Existenzsicherung für alle Kinder, erklärte Lilie. Der Diakonie-Chef stellte gemeinsam mit DIW-Präsident Marcel Fratzscher ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der Diakonie vor. Danach werden die Kosten der verfestigten Kinderarmut in Deutschland in einer breit angelegten OECD-Studie von 2022 auf jährlich 110 bis 120 Milliarden Euro geschätzt. Das wäre das Zehnfache der Summe von zwölf Milliarden Euro jährlich, die Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) anfangs für die Einführung einer Kindergrundsicherung verlangt hatte.

Eine genaue Berechnung der Folgekosten von Armut sei schwierig, da die Kosten langfristig anfielen, heißt es in der DIW-Studie. Vielfach belegt sei aber, dass die gesundheitlichen Folgen von Armut und die Auswirkungen einer schlechteren Schul- und Berufsausbildung zu hohen Mehrausgaben im Gesundheitswesen, weniger Fachkräften und mehr Sozialleistungen führen. Für DIW-Chef Marcel Fratzscher ist deshalb eine Kindergrundsicherung „eine der klügsten Investitionen einer Regierung“. Wenn die Armut bekämpft werde, profitierten die Betroffenen, die Wirtschaft und die Gesellschaft.

Das DIW-Team berechnete drei Szenarien für die Einführung einer Kindergrundsicherung. Mit der stärksten angenommenen Erhöhung des Satzes für armutsgefährdete Kinder um 100 Euro im Monat plus der geplanten Verwaltungsvereinfachung würden sich die künftigen Ausgaben auf rund 5,5 Milliarden Euro im Jahr belaufen. Mit dieser Summe würde der Staat zielgenau die Einkommensarmut bei Alleinerziehenden und Paaren mit drei und mehr Kindern senken, wo die Armutsquoten mit knapp 40 Prozent bei den Alleinerziehenden am höchsten sind. Um allen Kindern das im Steuerrecht festgelegte Existenzminimum zu garantieren, sind der Diakonie und dem Bündnis Kindergrundsicherung zufolge mindestens 20 Milliarden Euro im Jahr notwendig.

Zwei Millionen Kinder beziehen Bürgergeld

Im Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung hat Ministerin Paus ihre Forderungen inzwischen auf bis zu sieben Milliarden Euro pro Jahr reduziert. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) will die Ausgaben bei zwei Milliarden Euro jährlich deckeln. Die beiden Minister verhandeln seit Monaten über einen Kompromiss. Zuletzt brach der Streit anlässlich eines Steuersenkungsprogramms für die Wirtschaft erneut offen aus.

In der Kindergrundsicherung sollen Familienleistungen zusammengefasst werden. Sie ist das wichtigste sozialpolitische Vorhaben der Ampel. Grüne und SPD wollen die Zahlungen an arme Familien auch erhöhen, während die FDP allein durch Verwaltungsvereinfachungen mehr Familien erreichen will. Wegen der hohen bürokratischen Hürden nehmen aktuell viele Familien ihre Ansprüche nicht wahr. Das gilt besonders für den Kinderzuschlag, den nur 35 Prozent der Berechtigten beziehen.

Der Studie zufolge ist zwischen 2010 und 2021 der Anteil armutsgefährdeter Kinder von rund 18 Prozent auf knapp 21 Prozent gestiegen und dem Statistischen Bundesamt zufolge in diesem Jahr noch weiter auf rund 24 Prozent der Minderjährigen. Rund zwei Millionen Kinder beziehen Bürgergeld. Als armutsgefährdet gilt ein Haushalt, dessen Einkommen niedriger ist als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte.

Bettina Markmeyer


Pflege

Diakonie verschafft Pflegenden eine Auszeit




Tanz-Nachmittag mit Demenzpatienten
epd-bild/Jörn Neumann
Nach der Diagnose "Demenz" lebt der Betroffene durchschnittlich noch zehn Jahre. In dieser Zeit benötigt er Betreuung, Aufsicht und zuweilen auch Pflege. Entlastungsangebote für Angehörige gibt es nur wenige, die Diakonie Karlsruhe bietet eines an.

Karlsruhe (epd). Die Betreuung Demenzkranker geht an die Substanz. Claudia Knörrle aus Karlsruhe macht diese Erfahrung seit drei Jahren, als bei ihrem Ehemann die Diagnose „frontotemporale Demenz“ gestellt wurde. „Es nimmt alles ab“, sagt sie. Ihr Mann kann nicht mehr sprechen, braucht Begleitung zur Toilette und muss gefüttert werden. Die Krankheit schreitet schnell voran. Einen Pflegedienst will Knörrle erst holen, „wenn er nicht mehr stehen kann“.

Auf sich allein gestellt

Nach Schätzung der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Tendenz steigend. Pflegekräfte sind rar und teuer. Hilfskräfte über Onlineportale wie „betreut.de“ dürfen die Betroffenen aus rechtlichen Gründen nicht einmal zur Toilette begleiten.

Wie Knörrle sind viele Angehörige von demenziell erkrankten Menschen auf sich allein gestellt. Der Gesprächspartner fehlt. „Aufgrund der Erkrankung ist ein empathisches Miteinander nicht mehr möglich“, weiß Petra Nußbaum vom Diakonischen Werk Karlsruhe.

Unter dem Motto „Tapetenwechsel - Urlaub ohne Kofferpacken“ bietet der evangelische Wohlfahrtsverband seit 2021 Auszeiten für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen an. An zwei Wochenenden können sie im September im Waldzentrum im Hardtwald Pause machen und gemeinsam Kraft schöpfen. Es wird für sie gekocht, es gibt Singkreise, Gesprächsrunden und Gymnastikangebote.

Während Betreuerinnen des Diakonischen Werkes sich um die Demenzkranken kümmern, haben die Angehörigen auch Zeit für einen Austausch untereinander. „Das Wochenende ist eine mentale Unterstützung, nicht unbedingt eine konkrete Hilfe im Alltag“, erklärt Nußbaum. Entlastungsangebote wie diese gebe es zu wenig, sagt sie.

Freundschaften sind entstanden

Je nach Schweregrad der Erkrankung kämen auch die demenziell Erkrankten untereinander in Kontakt, sagt die Diakonin. Über Blickkontakt seien auch diejenigen „voll integriert“, die sprachlich eingeschränkt sind - wie der Mann von Claudia Knörrle.

Andere seien körperlich noch fitter und spielten Ball, sagt Nußbaum. Knörrle hat bereits zweimal am „Tapetenwechsel“ teilgenommen. Sie schätzt es, für zwei Tage von der unmittelbaren Verantwortung entbunden zu sein. Aus den Wochenenden hätten sich „nette Freundschaften mit anderen entwickelt“, berichtet sie.

Die Auszeit habe auch ihren Mann berührt. „Er spricht sehr auf Musik, das Singen und Lachen an“, berichtet Knörrle. Diese Anregungen fehlten im Alltag. „Wenn wir können, machen wir wieder beim 'Tapetenwechsel' mit“, sagt sie mit Blick auf den Herbst.

Susanne Lohse


Pflege

Konzertierte Aktion Pflege startet neues Kapitel der Zusammenarbeit



Heime müssen in die Insolvenz, Fachkräfte verlassen den Beruf - die Lage in der Pflege ist vielerorts desolat. Dagegen will die Konzertierte Aktion Pflege in Niedersachsen aktiv werden und schrittweise für Abhilfe sorgen.

Hannover (epd). Mit einem Zehn-Punkte-Plan will die „Konzertierte Aktion Pflege“ in Niedersachsen in eine neue Phase ihrer Arbeit eintreten. Als erste Schritte wollen sich die Wohlfahrtsverbände, Pflegekassen und das Sozialministerium gemeinsam mit weiteren Partnern verstärkt um die Fachkräftegewinnung kümmern, wie sie am 22. August in Hannover mitteilten. Zudem sollen pflegende An- und Zugehörige entlastet und die Pflege weiter entbürokratisiert und digitalisiert werden.

In kurzer Zeit ein Pflegeabschluss

„In diesen herausfordernden Zeiten gilt es einmal mehr, mit großer Aufmerksamkeit die Belastungen in der Pflege zu erkennen und sie gemeinsam anzugehen“, sagte Sozialminister Andreas Philippi (SPD). So solle beispielsweise eine berufsbegleitende Fortbildung zur Pflegeassistenzkraft aufgebaut werden, mit der ungelernte Hilfskräfte kurzfristig einen Pflegeabschluss erreichen können. Auch würden Modelle geprüft, wie eine einjährige Ausbildung in der Pflegeassistenz ausgestaltet werden kann. „Wir brauchen schnell helfende Hände an den Betten“, betonte Philippi. Dies aber nur, ohne mehrjährige Ausbildungswege schlechter zu stellen.

Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, sagte, dem Fachkräftemangel müsse „mit vielen Maßnahmen zu Leibe“ gerückt werden. Das gesamte Pflegesystem stehe unter enormem Druck, teils könnten Betten nicht belegt werden, weil Anbietern das Personal fehle.

Die Vorsitzende des Pflegerats in Niedersachsen, Vera Lux, sprach sich in diesem Zusammenhang für mehr Tempo bei der Anerkennung von Abschlüssen internationaler Fachkräfte aus. Sie betonte, dass aber vor allem mehr berufliche Autonomie, eine angemessene Bezahlung bei flexiblen und verlässlichen Arbeitszeiten sowie ein angemessener Pflegeschlüssel zur Entlastung des Personals beitragen würden.

Reform der Pflegeausbildung

Kritik kam von der CDU im Landtag. Es sei nicht genau klar, wie Minister Philippi etwas gegen den Fachkräftemangel unternehmen wolle, monierte der CDU-Fraktionsvorsitzende Sebastian Lechner. Seine Partei fordere bereits seit Monaten eine Reform der Pflegeausbildung. „Die Einführung der ab dem ersten Tag vergüteten einjährigen Pflegehelfer-Ausbildung wäre ein Anfang, um schnell Abhilfe zu schaffen.“

An der Konzertierten Aktion Pflege sind auch Verbände privater Anbieter, kommunale Spitzenverbände und Vertretungen der Pflegekräfte selbst beteiligt. Die erste Arbeitsphase des Bündnisses von 2019 bis 2022 hatte nach Ministeriumsangaben unter anderem zu Regelungen für eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen von Pflegekräften geführt. Sie habe zudem eine neue Kultur der Zusammenarbeit zwischen den Partnern sowie eine Landesförderung für mehr Kurzzeitpflegeplätze und eine Beschwerdestelle Pflege befördert.

Björn Schlüter


Kirchen

Württemberg hat ein eigenes Arbeitsgericht für Kirche und Diakonie



Streitigkeiten lassen sich auch in Kirche und Diakonie nicht immer vermeiden. Doch wie kommt man dann zu seinem Recht? In Württemberg kümmert sich ein spezielles Gericht um Konflikte in der evangelischen Arbeitswelt.

Stuttgart (epd). Die kirchliche Arbeitswelt ist ein eigener Kosmos. Hier gibt es keine Gewerkschaften, keine Streiks, keine Aussperrungen. Eine heile Welt sind Kirche und Diakonie dennoch nicht. Schwere Konflikte müssen auf andere Weise ausgetragen werden - in Württembergs evangelischer Landeskirche etwa vor dem „Kirchengericht für mitarbeitervertretliche Streitigkeiten“.

In diesem Jahr hat eine neue sechsjährige Amtszeit für dieses Gericht begonnen. Für Eberhard Natter (68), früherer Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, ist das Ehrenamt als Vorsitzender Richter im Kirchengericht Neuland. Sein Kollege Daniel Obst (50), Richter am Arbeitsgericht Mannheim, kennt die Materie dagegen schon, weil er bereits in der zurückliegenden Amtsperiode im Kirchengericht saß.

Zankapfel tarifliche Eingruppierung

Durchschnittlich ein Fall pro Woche gelangt vor das Kirchengericht. Nach Schätzung der beiden Richter dreht sich rund die Hälfte der Streitigkeiten um die tarifliche Eingruppierung von Mitarbeitern. Wird eine gelernte Altenpflegerin etwa bei Behinderten eingesetzt, mit denen üblicherweise Heilerziehungspflegerinnen arbeiten, kann die Bezahlung für Zoff sorgen: Bekommt sie das Geld, das eine Altenpflegerin üblicherweise verdient - oder den höheren Lohn einer Heilerziehungspflegerin? Für das Gericht heißt das: die Fakten zusammentragen und prüfen, inwiefern die Altenpflegerin „gleichwertige Erfahrungen“ erworben hat, die eine höhere Eingruppierung rechtfertigen.

Andere Streitthemen sind Rechte und Pflichten von Mitarbeitervertretungen (MAVs) in diakonischen und kirchlichen Einrichtungen. Manche Arbeitgeber wollen zum Beispiel die Kommunikation der MAV kontrollieren oder stellen nicht ausreichend Mittel zur Verfügung. Kontroversen gibt es auch immer wieder bei den Neuwahlen zur MAV - etwa, wer wahlberechtigt ist und wer gewählt werden kann. Insbesondere bei leitenden Angestellten wird darum gestritten, ob sie wirklich die Mitarbeiter vertreten können oder doch Teil der Betriebsleitung sind.

Zu den Besonderheiten des Kirchengerichts gehört ein nicht-öffentlicher Einigungstermin vor der eigentlichen Verhandlung. In jedem zweiten Fall gelingt laut Natter und Obst hier schon eine Verständigung, die ein weiteres Verfahren überflüssig macht. Klappt das nicht, wird der Streit vier bis fünf Monate später in öffentlicher Verhandlung erörtert. Dieser Termin beginnt mit einem weiteren Einigungsversuch vor der Verhandlung, was manchmal funktioniert, oft aber auch nicht. Einen Beschluss der Kammer gibt es in der Regel noch am selben Tag.

Entscheidungen werden meist akzeptiert

Die Entscheidungen des Gerichts genießen laut Daniel Obst eine hohe Akzeptanz. Die Beteiligten hielten sich praktisch immer an die Beschlüsse, obwohl es keine Handhabe gebe, sie auch zu vollstrecken. Ein Grund könnte sein, dass die Besetzung des Gerichts von der Arbeitsrechtlichen Kommission bestimmt wird - und da haben Arbeitgeber und Beschäftigte die gleiche Anzahl an Stimmen. Ein Beisitzer in der Kammer kommt von den Arbeitnehmern, einer von den Arbeitgebern - und gemeinsam können sie sogar den Richter überstimmen. Das alles sind laut Eberhard Natter Regelungen, die die Streitparteien friedlicher stimmen.

Ausgeschöpft ist der Rechtsweg mit einem Kirchengerichtsspruch allerdings nicht. Die Beteiligten haben immer noch die Möglichkeit, als höhere Instanz den Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover anzurufen. Beim Streit um Eingruppierungen geschehe das fast immer, sagen Natter und Obst. Vor allem die Dienstgeber hätten Angst vor den finanziellen Auswirkungen - denn wenn eine Person besser bezahlt werde, könnten sich möglicherweise auch andere auf den Richterspruch berufen.

Marcus Mockler



sozial-Recht

Landessozialgericht

Sozialhilfe muss barrierefreien Wohnraum im Blick haben




Rollstuhlfahrerin im Treppenhaus
epd-bild/Beatrice Blank
Sozialhilfeträger können bei einer zu teuren Wohnung auch von gehbehinderten Hilfebeziehern einen Umzug verlangen. Sind diese aber auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen, muss die Suche danach gemäß einem Urteil auch aussichtsreich sein.

Stuttgart (epd). Gehbehinderte Sozialhilfebezieher, die auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen sind, können auch bei einer zu teuren Wohnung nicht zu einem Umzug gezwungen werden. Kann ein Sozialhilfeträger keinerlei Angaben über das Vorhandensein entsprechenden Wohnraums auf dem Wohnungsmarkt zu einem angemessenen Mietpreis machen, „kann nicht davon ausgegangen werden, dass solche Wohnungen in ausreichendem Umfang auch vorhanden sind“, urteilte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem am 19. August veröffentlichten Urteil. In solch einem Fall könne die Behörde verpflichtet sein, weiter eine zu große und zu teure Wohnung zu bezahlen, entschieden die Stuttgarter Richter.

Im Rollstuhl durch die Wohnung

Geklagt hatte ein weitgehend auf den Rollstuhl angewiesener gehbehinderter Rentner mit einem Grad der Behinderung von 80. Als die Ehefrau und die Tochter im September 2019 aus der gemieteten Wohnung ausgezogen waren, beantragte er Sozialhilfe. Er wies darauf hin, dass er auf die 105 Quadratmeter große Vierzimmerwohnung weiter wegen seiner Behinderung angewiesen sei. Die Wohnung sei barrierefrei eingerichtet, sodass er mit dem Rollstuhl überall hingelangen könne. Er benötige zudem ein Zimmer, in dem eine Pflegeperson schlafen könne. Sein Pflegebedarf hänge von seinem schwankenden Gesundheitszustand ab.

Der Sozialhilfeträger bewilligte Sozialhilfe, wies aber darauf hin, dass die Warmmiete in Höhe von 980 Euro nur für sechs Monate übernommen werden könne. Denn die angemessene Höchstmiete für eine alleinstehende Person betrage nur 519 Euro. Außerdem sei die Wohnung mit 105 Quadratmetern viel zu groß. Angemessen sei eine Wohnungsgröße von höchstens 45 Quadratmetern. Die Behörde forderte den gehbehinderten Mann daher auf, sich eine kostengünstigere Wohnung zu suchen. Wegen der Covid-19-Pandemie wurde die bis Anfang April 2020 geltende Sechsmonatsfrist bis zum 1. September 2020 verlängert.

Der Sozialhilfebezieher erhob Klage. Sein behinderungsbedingter erhöhter Wohnbedarf sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Außerdem gebe es zu dem vom Sozialhilfeträger geforderten Mietpreis keine barrierefreie Wohnung auf dem Wohnungsmarkt. Er prüfe regelmäßig Mietmarktangebote in Zeitungen und Aushängen in Supermärkten. Auf Nachfrage des LSG hatte der Sozialhilfeträger mitgeteilt, dass keine Datensätze zu barrierefreien Wohnungen im Landkreis existentierten.

„Kostensenkung unmöglich“

Das LSG urteilte, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Umzug in eine günstigere Wohnung zuzumuten sei. Komme ein Sozialhilfebezieher der Aufforderung zur Kostensenkung nicht nach, sei die Behörde nicht mehr zur Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten verpflichtet.

Fordere ein Sozialhilfeträger zum Umzug in eine angemessene Unterkunft auf, müsse eine solche Wohnung auf dem Wohnungsmarkt aber auch gefunden werden können. Hier sei der Kläger auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen. Ein Wohnflächenmehrbedarf sei wegen der Rollstuhlnutzung naheliegend, was der Sozialhilfeträger nicht berücksichtigt habe.

Entscheidend sei aber, dass die Behörde selbst gar nicht davon ausgehe, dass zu dem geforderten Mietpreis überhaupt eine barrierefreie Wohnung zu finden sei. Es lägen auch keinerlei Angaben darüber vor, dass solche Wohnungen in ausreichendem Umfang vorhanden seien. „Somit war für den Kläger eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret im streitigen Zeitraum nicht verfügbar und nicht zugängig, so dass grundsätzlich eine Kostensenkung unmöglich war“, urteilte das LSG. Der Kläger habe daher Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten, hier allerdings nur in Höhe von 858 Euro, da er nur dies beantragt hat.

Rollstuhlfahrer in Obdachlosenunterkunft

Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen vom 7. März 2018 müssen Behörden auch bei der Unterbringung eines wohnsitzlosen Rollstuhlfahrers in einer Obdachlosenunterkunft auf Barrierefreiheit und Menschenwürde achten. Dazu gehöre nicht nur das Vorhandensein einer Toilette. Diese müsse auch „unter Wahrung der Intimsphäre“ für ihn erreichbar sein. Stufen oder eine zu geringe Türbreite zum Toilettenraum seien nicht hinnehmbar.

Dass Sozialhilfeträger bei einer geforderten Suche nach angemessenen Wohnraum die Behinderung von Sozialhilfebeziehern mit im Blick haben müssen, hatte am 6. Oktober 2022 auch das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. Führten behinderungsbedingte Beeinträchtigungen „zu einer erheblichen Einschränkung oder Verschlossenheit des Wohnungsmarkts“, müsse die Behörde etwa mit einer Wohnungsvermittlung Unterstützung bieten. Gebe es keine erforderliche Hilfe, könne dann die bisher bewohnte, teurere Unterkunft als angemessen gelten.

Az.: L 2 SO 2864/21 (LSG Stuttgart)

Az.: 9 E 129/18 (OVG NRW)

Az.: B 8 SO 7/21 R (BSG)

Frank Leth


Bundesverfassungsgericht

Haft wegen gestreckter Medikamente bestätigt



Karlsruhe (epd). Der frühere Bottroper Apotheker Peter S. ist zu Recht wegen gestreckter Krebsmedikamente in 14.564 Fällen zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Auch wenn nicht in jedem Einzelfall konkret nachgewiesen werden konnte, welcher Patient eine Unterdosierung des Krebsmedikaments erhalten hat, ist die verhängte Freiheitsstrafe nicht zu beanstanden, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 22. August veröffentlichten Beschluss. Der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass jede Strafe eine nachweisbare Schuld voraussetzt, sei nicht verletzt worden, erklärten die Karlsruher Richter.

Krebsarzneimittel zu gering dosiert

Der frühere Bottroper Apotheker Peter S. hatte Krebsmedikamente für Patienten individuell zubereitet und diese an onkologische Arztpraxen und Krankenhäuser geliefert. Zwischen Januar 2012 und November 2016 hatte der Apotheker nach den Feststellungen des Landgerichts Essen 28.285 Krebsarzneimittel hergestellt. In mindestens 14.564 Fällen hatte er sie aber zu gering dosiert. Bei den gesetzlichen Krankenkassen hatte er dagegen eine ordnungsgemäße Dosierung abgerechnet.

In 66 Fällen konnte das Landgericht die Unterdosierung konkret nachweisen. In den weiteren 14.498 Fällen hatte das Gericht die Unterdosierung lediglich berechnet.

Freiheitsstrafe von zwölf Jahren

Das Landgericht verhängte mit Urteil vom 6. Juli 2018 wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in 14.564 Fällen eine Freiheitsstrafe von zwölf Jahren (Az.: 56 KLs 11/17). Außerdem wurden ein lebenslanges Berufsverbot und die Einziehung von 17 Millionen Euro angeordnet. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Verurteilung.

Die Beschwerde gegen die lange Haftstrafe hatte vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg. Auch wenn nicht in jedem Einzelfall die Unterdosierung nachweisbar sei, habe das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise die Zahl der Unterdosierungen bestimmt, so das Bundesverfassungsgericht. Die Fälle, in denen der Apotheker die Herstellung der Arzneimittel Mitarbeitern überließ, müsse er sich ebenfalls anrechnen lassen. Denn er habe dies so angeordnet. Der verfassungsrechtliche Schuldgrundsatz, nach dem eine Strafe nur nach nachgewiesener Schuld erfolgen dürfe, sei nicht verletzt worden. Auch andere Grundrechtsverletzungen seien nicht erkennbar.

Az.: 2 BvR 1373/20



Bundesarbeitsgericht

Kündigungen bei Insolvenz erleichtert



Erfurt (epd). Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat betriebsbedingte Kündigungen bei einer Insolvenz des Arbeitgebers erleichtert. Eine Kündigung sei auch dann wirksam, wenn der Arbeitgeber wegen der beabsichtigten Stilllegung des Betriebs einem Beschäftigten kündige, später aber das Unternehmen doch noch verkaufe, sodass der Geschäftsbetrieb fortgesetzt werde, urteilten die obersten Arbeitsrichter in Erfurt am 17. August.

Damit ist der schwerbehinderte, in einem Unternehmen der Stahlindustrie beschäftigte Kläger seinen Job los. Für das in Nordrhein-Westfalen ansässige Unternehmen wurde am 1. März 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der daraufhin bestellte Insolvenzverwalter stellte im Juni 2020 vor dem Gläubigerausschuss fest, dass kein Käufer für das Unternehmen in Sicht sei. Er schloss daraufhin mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich, der zum 31. Mai 2021 die Stilllegung des Betriebs vorsah.

Kündigungen „auf Vorrat“ ausgesprochen

In dem Interessenausgleich wurden zudem Listen der zu kündigenden Arbeitnehmer erstellt, auf der auch der schwerbehinderte Kläger stand. Dieser wurde zum 31. Mai 2021 gekündigt. Teile des Unternehmens konnten jedoch im Februar 2021 verkauft werden konnten. Der Kläger meinte, dass seine Kündigung unwirksam sei. Die Kündigungen seien nur „auf Vorrat“ ausgesprochen worden. Eine endgültige Stilllegungsabsicht habe nie bestanden.

Während das Landesarbeitsgericht Hamm ihm noch recht gab, hatte die vom Arbeitgeber eingelegte Revision beim BAG Erfolg. Die Kündigung sei wegen „dringender betrieblicher Erfordernisse“ gerechtfertigt. Zwar könne bei einem voraussichtlichen Verkauf des Unternehmens eine Kündigung unwirksam sein. Hier habe der Insolvenzverwalter aber glaubhaft gemacht, dass er zum Zeitpunkt der Kündigung den Betrieb tatsächlich stilllegen wollte. Dies sei für die Wirksamkeit der Kündigung entscheidend.

Az.: 6 AZR 56/23



Oberlandesgericht

Scheidungskrieg rechtfertigt keine längere Inobhutnahme eines Kindes



Frankfurt a.M. (epd). Ein heftiger Streit der Eltern über Sorgerechtsfragen rechtfertigt keine längerfristige Unterbringung des Kindes in einem Heim. Wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte sprach das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in einem am Freitag veröffentlichten Urteil einem betroffenen Jungen eine Entschädigung in Höhe von 3.000 Euro zu. Die Folgen der Fremdunterbringung dürften für das Kind nicht gravierender sein als die Folgen eines Verbleibs in der eigenen Familie.

In dem verhandelten Fall hatte der Vater das Jugendamt eingeschaltet, nachdem sein damals sechsjähriger Sohn ihm mitgeteilt hatte, von der Mutter geschlagen worden zu sein. Nach Vorlage eines ärztlichen Attests hatten die Behörden eine Inobhutnahme veranlasst. Dies sei auch rechtmäßig gewesen, urteilten die Frankfurter Richter. Die lange Dauer von knapp vier Monaten stelle jedoch eine Pflichtwidrigkeit des Jugendamtes dar.

Die monatelange Trennung von den Eltern habe der Junge als ungerechtfertigte Folge seiner Beschwerde über die Schläge durch seine Mutter empfunden. Das Kind war nach einem Beschluss des Familiengerichts aus dem Heim zunächst zur Mutter zurückgekehrt, später hatte das Oberlandesgericht das Sorgerecht jedoch dem Vater übertragen, bei dem der Junge seither lebt.

Az.: 1 U 6/21



Verwaltungsgericht

Geschwister müssen Bestattung für unbekannten Halbbruder übernehmen



Mainz (epd). Geschwister müssen auch bei einem unbekannten verstorbenen Halbbruder dessen Bestattung bezahlen. Denn es kommt für die Bestattungspflicht nicht darauf an, ob Geschwister untereinander ein „familiäres Näheverhältnis“ aufgewiesen haben, sondern vielmehr, dass objektiv ein nahes Verwandtschaftsverhältnis besteht, entschied das Verwaltungsgericht Mainz in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 19. Juli.

Anlass des Rechtsstreits war der Tod eines im August 2021 verstorbenen Mannes. Auf der Suche nach Angehörigen machte die Ordnungsbehörde schließlich zwei Halbgeschwister aus und forderte diese zur Bestattung ihres Halbbruders auf.

Als diese dem nicht nachkamen, veranlasste die Behörde selbst die Einäscherung und Urnenbeisetzung. Die Bestattungskosten in Höhe von insgesamt 2.649 Euro sollten die Halbgeschwister je zur Hälfte zahlen.

Halbbruder verschwiegen

Einer der Halbgeschwister lehnte dies ab. Er habe erst jetzt durch die Behörde erfahren, dass er noch einen Halbbruder habe. Danach hatte die Mutter die Existenz des Halbbruders verschwiegen. Dieser wurde 1966 als Jugendlicher von einem anderen Paar adoptiert. Der Mann sei ihm völlig unbekannt und fremd. Es sei unbillig, dass er nun für dessen Bestattung aufkommen müsse.

Doch das alles spielt keine Rolle, urteilte das Verwaltungsgericht. Ein besonderer Härtefall liege nicht vor. Auch wenn ein familiäres Näheverhältnis zu dem Verstorbenen nicht bestanden habe, stelle dies „die Zumutbarkeit der Bestattung regelmäßig nicht infrage“. Entscheidend für die Übernahme der Bestattungskosten sei das vorliegende enge Verwandtschaftsverhältnis.

Az.: 3 K 425/22.MZ



Arbeitsgericht

Arbeitgeber müssen nicht jedem Beschäftigten Inflationsprämie zahlen



Paderborn (epd). Arbeitgeber müssen nicht jedem ihrer Arbeitnehmer einen freiwilligen Inflationsausgleich gewähren. Sie dürfen bestimmte Gruppen ihrer Beschäftigten von der Inflationsprämie ausschließen, wenn sie dafür einen sachlichen Grund haben, entschied das Arbeitsgericht Paderborn in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 6. Juli. Der Gleichbehandlungsgrundsatz werde dann nicht verletzt.

Im konkreten Fall hatte ein Arbeitgeber wegen wirtschaftlicher Engpässe in der Corona-Pandemie seinen Arbeitnehmern neue Arbeitsverträge angeboten. Mitarbeiter, die die neuen Arbeitsverträge unterzeichneten, verzichteten damit auf die ihnen ursprünglich zustehende Jahressonderzahlung.

Die Klägerin unterschrieb den neuen Arbeitsvertrag nicht und strich daher - anders als der Großteil ihrer Kolleginnen und Kollegen - weiterhin die arbeitsvertraglich zugesicherten Jahressonderzahlungen ein. Diese beliefen sich für die Jahre 2020 und 2021 auf insgesamt rund 3.700 Euro brutto.

Prämie für Einsatz und Betriebstreue

Als sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens wieder verbesserte, gewährte der Arbeitgeber in Abstimmung mit dem Betriebsrat allen Beschäftigten, die auf die Sonderzahlungen verzichtet hatten, eine freiwillige Inflationsprämie in Höhe von netto 1.000 Euro. Teilzeitbeschäftigte erhielten einen anteiligen Betrag entsprechend ihrer Arbeitszeit.

Die teilzeitbeschäftigte Klägerin wollte ebenfalls die Inflationsprämie, hier in Höhe von 666 Euro, erhalten. Dies gebiete der Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Prämie solle ja den Einsatz und die Betriebstreue belohnen und die Inflation ausgleichen. Auch sie sei von der gestiegenen Inflation betroffen. Sie solle offenbar in verbotener Weise dafür gemaßregelt werden, dass sie den neuen Arbeitsvertrag nicht unterzeichnet habe.

Doch die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Inflationsprämie, urteilte das Arbeitsgericht. Zwar sei es aus Gleichbehandlungsgründen verboten, einzelne vergleichbare Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern aus unsachlichen oder sachfremden Gründen von einer Erhöhung der Arbeitsentgelte auszuschließen. Hier habe der Arbeitgeber aber einen guten Grund gehabt. Er habe einen Ausgleich für diejenigen Mitarbeiter schaffen wollen, die in der Vergangenheit mit dem neuen Arbeitsvertrag auf ihre Sonderzahlungen verzichtet hatten. Die Inflationsprämie solle nun deren Mehrbelastung abmildern. Die Klägerin habe dafür ihre arbeitsvertraglich zustehenden Sonderzahlungen weiter erhalten. Eine verbotene Maßregelung sei die verweigerte Prämienzahlung nicht.

Az.: 1 Ca 54/23



Landgericht

Schadenersatzklage gegen Astrazeneca abgewiesen



Mainz (epd). Das Landgericht Mainz hat am 21. August eine Schadenersatzklage gegen den Impfstoffhersteller Astrazeneca abgewiesen. In dem Verfahren hatte eine Zahnärztin mindestens 150.000 Euro von dem Unternehmen gefordert, weil sie kurz nach der Corona-Impfung dauerhaft das Gehör in einem Ohr verloren hatte.

Pharmaunternehmen haften nicht für Impfschäden, wenn der Nutzen eines Vakzins für die Allgemeinheit dessen Risiken überwiegt, erklärte das Gericht zur Begründung. Welches persönliche Risiko für einen konkreten Anwender bestehe, sei dabei „nicht erheblich“. Dies ergebe sich aus dem Arzneimittelgesetz. Der Astrazeneca-Impfstoff habe 2022 eine „vorbehaltlose EU-weite Standardzulassung“ erhalten.

EMA: Gesamtnutzen überwiegt

Die damals 40-jährige Zahnärztin hatte sich Anfang 2021 mit dem Vakzin des schwedisch-britischen Impfstoffherstellers impfen lassen. Kurze Zeit später wurden die Astrazeneca-Impfungen in Deutschland vorübergehend ausgesetzt, weil es in einer Reihe von Fällen im zeitlichen Zusammenhang mit dem Impftermin überwiegend bei jüngeren Frauen zu sehr seltenen Hirnvenenthrombosen gekommen war. Die Europäische Arzneimittelagentur EMA war allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass der Gesamtnutzen des Impfstoffes im Kampf gegen Covid-19 die Risiken der Nebenwirkungen überwiege.

In einer Mitteilung des Gerichts heißt es, auch möglicherweise unvollständige Arzneimittelinformationen machten den Hersteller des Impfstoffes nicht schadenersatzpflichtig. Die Kammer sei „nicht davon überzeugt“, dass sich die Klägerin gegen eine Impfung entschieden hätte, wenn sie von möglichen seltenen Komplikationen in Form eines plötzlichen Hörverlusts gewusst hätte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Anwalt der Klägerin, Joachim Cäsar-Preller, kündigte an, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. „Wir haben die Bestätigung eines Impfschadens der Berufsgenossenschaft“, sagte er der „hessenschau“. Damit sei die Situation seiner Mandantin eigentlich viel besser als die anderer Patienten, die wegen der Folgen einer Corona-Impfung klagten.

Az.: 1 O 192/22




sozial-Köpfe

Behinderung

Paul Streidl neuer Landesbeauftragter für Schwerhörigenseelsorge




Paul Streidl
epd-bild/Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern
Die Schwerhörigenseelsorge der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bekommt einen neuen Landesbeauftragten: Der Pfarrer Paul Streidl übernimmt das Amt am 1. September.

Nürnberg (epd). Neuer Landesbeauftragter für Schwerhörigenseelsorge der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern wird zum 1. September Pfarrer Paul Streidl. Der 52-Jährige folgt auf Pfarrer Rolf Hörndlein, der die Funktion seit 2007 wahrgenommen hatte und zum 1. August in den Ruhestand gegangen ist. Streidl ist Gemeindepfarrer in der Lätaregemeinde in München-Perlach und wird dort auch weiterhin tätig sein. In der Schwerhörigenseelsorge war er bereits als Dekanatsbeauftragter in Passau und München engagiert.

Da Streidl selbst von Geburt an von hochgradiger Innenohrschwerhörigkeit betroffen sei, könne er sich besonders gut in die Bedürfnisse von Gehörlosen und Schwerhörigen einfühlen, hieß es weiter. Das Thema Schwerhörigkeit sei bei vielen Betroffenen immer noch mit Scham behaftet, sagte der neue Landesbeauftragte. Es führe teilweise zu starken psychosozialen Belastungen. Um dies zu ändern, bedürfe es auch des kirchlichen Engagements. Die Schwerhörigenseelsorge der bayerischen Landeskirche wendet sich an Betroffene und ihre Bezugspersonen, an kirchliche Mitarbeitende und die allgemeine Öffentlichkeit.

In seiner neuen Funktion möchte Streidl die bisherige Arbeit der Schwerhörigenseelsorge weiterentwickeln. Eine Frage sei, in welcher Form man die Dekanate und Gemeinden künftig unterstützen könne, sagte er. Auch die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation mit neuen Medien und Netzwerken sollten in der Seelsorge für Schwerhörige verstärkt genutzt werden. Angesiedelt ist die Schwerhörigenseelsorge im Seelsorge- und Teilhabezentrum der Landeskirche am Nürnberger Egidienplatz.



Weitere Personalien



Alexandra Roth und Frank Lehmann haben als Doppelspitze die Geschäftsführung der Immanuel Diakonie Südthüringen übernommen und damit die Nachfolge von Lutz Reichardt angetreten, der nach zwölf Jahren als Geschäftsführer in den Ruhestand verabschiedet worden ist. Lehmann ist seit 2005 Verwaltungsleiter und Roth seit 2022 Fachbereichsleiterin der Behindertenhilfe der Einrichtung. Der Träger erweiterte in den vergangenen Jahren seine Hilfsangebote stetig. Neben den Angeboten für Menschen mit Behinderungen und mit Suchterkrankungen kamen 2012 die Altenpflege und 2016 die Flüchtlingshilfe hinzu. Die Zahl der Mitarbeitenden wuchs entsprechend. Waren es 2011 noch knapp 170 Mitarbeitende, gestalten heute über 300 Menschen die Arbeit in den 14 Einrichtungen in Südthüringen und in Hessen.

Bernhard Hülsken ist vom Direktor des Diözesancaritasverbandes Münster, Dominique Hopfenzitz, in den Ruhestand verabschiedet worden. 29 Jahre war Hülsken bei der Caritas im Bistum Münster aktiv. Der Sozialarbeiter und Referent für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe habe wie kein Zweiter Theorie und Praxis zu verknüpfen gewusst. Im Bereich der Krisen- und Gewaltberatung für Jungen und Männer hat er laut Hopfenzitz Pionierarbeit geleistet, Netzwerke aufgebaut, Projekte wie „Echte Männer reden“ konzipiert, Fachkräfte geschult und gleichzeitig in der Beratung gearbeitet. Als Anerkennung seiner beruflichen Leistungen erhielt der 65-Jährige das Goldene Ehrenzeichen des Deutschen Caritasverbandes.

Jean Franke kommt ab September als Geschäftsführerin zu den Sana Kliniken Berlin-Brandenburg. Mit-Geschäftsführer Michael Kabiersch übernimmt dann die Funktion des Sprechers. Erst im Frühjahr dieses Jahres verließ Franke den Sana-Konzern. Nach 17 Jahren zog es sie zur Immanuel Albertinen Diakonie. Franke übernahm dort die Geschäftsführung der beiden Kliniken Märkische Schweiz und Rüdersdorf. Nun kehrt die 45-Jährige wieder zurück. Jean Franke ist studierte Gesundheitsökonomin.

Jonathan Graf wird zum 1. Dezember Geschäftsführer des Verbands privater Kliniken und Pflegeeinrichtungen Berlin-Brandenburg. Der 41-Jährige übernimmt die Position von Lutz-Peter-Sandhagen, der sich zum Jahresende in den Ruhestand begibt. Graf leitet derzeit den Geschäftsbereich Krankenhäuser mit den Themen Politik und Finanzierung beim Bundesverband Deutscher Privatkliniken, wo er seit 2012 tätig ist. Der Verband vertritt in Berlin und Brandenburg 61 Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen und stationäre Pflegeeinrichtungen mit insgesamt 12.681 Plätzen.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis September



August

30.8. Berlin:

Seminar „Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

31.8. Berlin:

Seminar „Einfach empfehlenswert! MitarbeiterInnen als MarkenbotschafterInnen“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel. 030/275828221

31.8. Berlin:

Seminar „Datenschutz in sozialen Einrichtungen“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 0251/48261-173

31.8. Berlin:

Seminar „Betriebsverfassungsrecht aus Arbeitgebersicht“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817159

31.8.:

Webinar „Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundlagen der Nachhaltigkeitsberichterstattung“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

September

4.-5.9. Berlin:

Seminar „Recht auf Risiko?! Selbstschädigendes Verhalten von KlientInnen in der Assistenz“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

4.-13.9.:

Online-Kurs „Grundlagen des strategischen Managements für die Sozialwirtschaft“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828-227

5.9. Köln:

Seminar „Interne Revision bei gemeinnützigen Trägern“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-119

7.9. Köln:

Seminar „Kostenrechnung für ambulante Pflege- und Betreuungsdienste“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

13.-14.9.:

Online-Seminar „Datenschutz und Social Media“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001-700

15.-22.9.:

Online-Kurs „Leichte Sprache - Regeln und Anwendung“

der AWO-Bundesakademie

Tel.: 030/26309-139

18.-20.9.:

Online-Kurs „Auf ein Wort - Beratung: kurz, knapp, sofort“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761 200 1700

22.9.:

Online-Seminar „Klimaziele identifizieren, validieren & kommunizieren“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828-211

25.-28.9.:

38. Bundesweite Streetworker-Tagung „Armut, Klassismus, psychische Krisen: Wie alles dann doch zusammen hängt“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

28.-29.9. Berlin:

„Deutscher Pflegetag 2023“

des Deutschen Pflegerates

Tel.: 030/300669-0