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Württemberg hat ein eigenes Arbeitsgericht für Kirche und Diakonie



Streitigkeiten lassen sich auch in Kirche und Diakonie nicht immer vermeiden. Doch wie kommt man dann zu seinem Recht? In Württemberg kümmert sich ein spezielles Gericht um Konflikte in der evangelischen Arbeitswelt.

Stuttgart (epd). Die kirchliche Arbeitswelt ist ein eigener Kosmos. Hier gibt es keine Gewerkschaften, keine Streiks, keine Aussperrungen. Eine heile Welt sind Kirche und Diakonie dennoch nicht. Schwere Konflikte müssen auf andere Weise ausgetragen werden - in Württembergs evangelischer Landeskirche etwa vor dem „Kirchengericht für mitarbeitervertretliche Streitigkeiten“.

In diesem Jahr hat eine neue sechsjährige Amtszeit für dieses Gericht begonnen. Für Eberhard Natter (68), früherer Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, ist das Ehrenamt als Vorsitzender Richter im Kirchengericht Neuland. Sein Kollege Daniel Obst (50), Richter am Arbeitsgericht Mannheim, kennt die Materie dagegen schon, weil er bereits in der zurückliegenden Amtsperiode im Kirchengericht saß.

Zankapfel tarifliche Eingruppierung

Durchschnittlich ein Fall pro Woche gelangt vor das Kirchengericht. Nach Schätzung der beiden Richter dreht sich rund die Hälfte der Streitigkeiten um die tarifliche Eingruppierung von Mitarbeitern. Wird eine gelernte Altenpflegerin etwa bei Behinderten eingesetzt, mit denen üblicherweise Heilerziehungspflegerinnen arbeiten, kann die Bezahlung für Zoff sorgen: Bekommt sie das Geld, das eine Altenpflegerin üblicherweise verdient - oder den höheren Lohn einer Heilerziehungspflegerin? Für das Gericht heißt das: die Fakten zusammentragen und prüfen, inwiefern die Altenpflegerin „gleichwertige Erfahrungen“ erworben hat, die eine höhere Eingruppierung rechtfertigen.

Andere Streitthemen sind Rechte und Pflichten von Mitarbeitervertretungen (MAVs) in diakonischen und kirchlichen Einrichtungen. Manche Arbeitgeber wollen zum Beispiel die Kommunikation der MAV kontrollieren oder stellen nicht ausreichend Mittel zur Verfügung. Kontroversen gibt es auch immer wieder bei den Neuwahlen zur MAV - etwa, wer wahlberechtigt ist und wer gewählt werden kann. Insbesondere bei leitenden Angestellten wird darum gestritten, ob sie wirklich die Mitarbeiter vertreten können oder doch Teil der Betriebsleitung sind.

Zu den Besonderheiten des Kirchengerichts gehört ein nicht-öffentlicher Einigungstermin vor der eigentlichen Verhandlung. In jedem zweiten Fall gelingt laut Natter und Obst hier schon eine Verständigung, die ein weiteres Verfahren überflüssig macht. Klappt das nicht, wird der Streit vier bis fünf Monate später in öffentlicher Verhandlung erörtert. Dieser Termin beginnt mit einem weiteren Einigungsversuch vor der Verhandlung, was manchmal funktioniert, oft aber auch nicht. Einen Beschluss der Kammer gibt es in der Regel noch am selben Tag.

Entscheidungen werden meist akzeptiert

Die Entscheidungen des Gerichts genießen laut Daniel Obst eine hohe Akzeptanz. Die Beteiligten hielten sich praktisch immer an die Beschlüsse, obwohl es keine Handhabe gebe, sie auch zu vollstrecken. Ein Grund könnte sein, dass die Besetzung des Gerichts von der Arbeitsrechtlichen Kommission bestimmt wird - und da haben Arbeitgeber und Beschäftigte die gleiche Anzahl an Stimmen. Ein Beisitzer in der Kammer kommt von den Arbeitnehmern, einer von den Arbeitgebern - und gemeinsam können sie sogar den Richter überstimmen. Das alles sind laut Eberhard Natter Regelungen, die die Streitparteien friedlicher stimmen.

Ausgeschöpft ist der Rechtsweg mit einem Kirchengerichtsspruch allerdings nicht. Die Beteiligten haben immer noch die Möglichkeit, als höhere Instanz den Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover anzurufen. Beim Streit um Eingruppierungen geschehe das fast immer, sagen Natter und Obst. Vor allem die Dienstgeber hätten Angst vor den finanziellen Auswirkungen - denn wenn eine Person besser bezahlt werde, könnten sich möglicherweise auch andere auf den Richterspruch berufen.

Marcus Mockler