sozial-Recht

Landessozialgericht

Sozialhilfe muss barrierefreien Wohnraum im Blick haben




Rollstuhlfahrerin im Treppenhaus
epd-bild/Beatrice Blank
Sozialhilfeträger können bei einer zu teuren Wohnung auch von gehbehinderten Hilfebeziehern einen Umzug verlangen. Sind diese aber auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen, muss die Suche danach gemäß einem Urteil auch aussichtsreich sein.

Stuttgart (epd). Gehbehinderte Sozialhilfebezieher, die auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen sind, können auch bei einer zu teuren Wohnung nicht zu einem Umzug gezwungen werden. Kann ein Sozialhilfeträger keinerlei Angaben über das Vorhandensein entsprechenden Wohnraums auf dem Wohnungsmarkt zu einem angemessenen Mietpreis machen, „kann nicht davon ausgegangen werden, dass solche Wohnungen in ausreichendem Umfang auch vorhanden sind“, urteilte das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem am 19. August veröffentlichten Urteil. In solch einem Fall könne die Behörde verpflichtet sein, weiter eine zu große und zu teure Wohnung zu bezahlen, entschieden die Stuttgarter Richter.

Im Rollstuhl durch die Wohnung

Geklagt hatte ein weitgehend auf den Rollstuhl angewiesener gehbehinderter Rentner mit einem Grad der Behinderung von 80. Als die Ehefrau und die Tochter im September 2019 aus der gemieteten Wohnung ausgezogen waren, beantragte er Sozialhilfe. Er wies darauf hin, dass er auf die 105 Quadratmeter große Vierzimmerwohnung weiter wegen seiner Behinderung angewiesen sei. Die Wohnung sei barrierefrei eingerichtet, sodass er mit dem Rollstuhl überall hingelangen könne. Er benötige zudem ein Zimmer, in dem eine Pflegeperson schlafen könne. Sein Pflegebedarf hänge von seinem schwankenden Gesundheitszustand ab.

Der Sozialhilfeträger bewilligte Sozialhilfe, wies aber darauf hin, dass die Warmmiete in Höhe von 980 Euro nur für sechs Monate übernommen werden könne. Denn die angemessene Höchstmiete für eine alleinstehende Person betrage nur 519 Euro. Außerdem sei die Wohnung mit 105 Quadratmetern viel zu groß. Angemessen sei eine Wohnungsgröße von höchstens 45 Quadratmetern. Die Behörde forderte den gehbehinderten Mann daher auf, sich eine kostengünstigere Wohnung zu suchen. Wegen der Covid-19-Pandemie wurde die bis Anfang April 2020 geltende Sechsmonatsfrist bis zum 1. September 2020 verlängert.

Der Sozialhilfebezieher erhob Klage. Sein behinderungsbedingter erhöhter Wohnbedarf sei nicht ausreichend berücksichtigt worden. Außerdem gebe es zu dem vom Sozialhilfeträger geforderten Mietpreis keine barrierefreie Wohnung auf dem Wohnungsmarkt. Er prüfe regelmäßig Mietmarktangebote in Zeitungen und Aushängen in Supermärkten. Auf Nachfrage des LSG hatte der Sozialhilfeträger mitgeteilt, dass keine Datensätze zu barrierefreien Wohnungen im Landkreis existentierten.

„Kostensenkung unmöglich“

Das LSG urteilte, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Umzug in eine günstigere Wohnung zuzumuten sei. Komme ein Sozialhilfebezieher der Aufforderung zur Kostensenkung nicht nach, sei die Behörde nicht mehr zur Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten verpflichtet.

Fordere ein Sozialhilfeträger zum Umzug in eine angemessene Unterkunft auf, müsse eine solche Wohnung auf dem Wohnungsmarkt aber auch gefunden werden können. Hier sei der Kläger auf eine barrierefreie Wohnung angewiesen. Ein Wohnflächenmehrbedarf sei wegen der Rollstuhlnutzung naheliegend, was der Sozialhilfeträger nicht berücksichtigt habe.

Entscheidend sei aber, dass die Behörde selbst gar nicht davon ausgehe, dass zu dem geforderten Mietpreis überhaupt eine barrierefreie Wohnung zu finden sei. Es lägen auch keinerlei Angaben darüber vor, dass solche Wohnungen in ausreichendem Umfang vorhanden seien. „Somit war für den Kläger eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret im streitigen Zeitraum nicht verfügbar und nicht zugängig, so dass grundsätzlich eine Kostensenkung unmöglich war“, urteilte das LSG. Der Kläger habe daher Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten, hier allerdings nur in Höhe von 858 Euro, da er nur dies beantragt hat.

Rollstuhlfahrer in Obdachlosenunterkunft

Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen vom 7. März 2018 müssen Behörden auch bei der Unterbringung eines wohnsitzlosen Rollstuhlfahrers in einer Obdachlosenunterkunft auf Barrierefreiheit und Menschenwürde achten. Dazu gehöre nicht nur das Vorhandensein einer Toilette. Diese müsse auch „unter Wahrung der Intimsphäre“ für ihn erreichbar sein. Stufen oder eine zu geringe Türbreite zum Toilettenraum seien nicht hinnehmbar.

Dass Sozialhilfeträger bei einer geforderten Suche nach angemessenen Wohnraum die Behinderung von Sozialhilfebeziehern mit im Blick haben müssen, hatte am 6. Oktober 2022 auch das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. Führten behinderungsbedingte Beeinträchtigungen „zu einer erheblichen Einschränkung oder Verschlossenheit des Wohnungsmarkts“, müsse die Behörde etwa mit einer Wohnungsvermittlung Unterstützung bieten. Gebe es keine erforderliche Hilfe, könne dann die bisher bewohnte, teurere Unterkunft als angemessen gelten.

Az.: L 2 SO 2864/21 (LSG Stuttgart)

Az.: 9 E 129/18 (OVG NRW)

Az.: B 8 SO 7/21 R (BSG)

Frank Leth