sozial-Politik

Flüchtlinge

Dokumentation

"Jugendliche vor Gewalt, Übergriffen und Machtmissbrauch schützen"



Das Bundesjugendkuratorium hat einen Appell zur Wahrung der Rechte junger Menschen auf der Flucht veröffentlicht. Denn die neuen Pläne der EU ließen "nicht erkennen, wie eine Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht in den Grenzverfahren und Aufenthaltsorten an den Grenzen überhaupt möglich sein kann". epd sozial dokumentiert das Papier des Expertengremiums im Wortlaut.

Das Bundesjugendkuratorium hat in den vergangenen Jahren mehrfach darauf hingewiesen, dass die Rechte junger Menschen, die geflüchtet sind, grundlegend - auch in Krisenzeiten - verwirklicht werden müssen. Die UN-Kinderrechtskonvention, aber auch weitere UN-Konventionen, wie zum Beispiel über die Rechte von Menschen mit Behinderung und supranationale Abkommen zu Migration und Flucht, die u.a. den Schutz, Rechtssicherheit, eine diskriminierungsfreie Kindheit und Jugend sowie eine Zukunftsperspektive für junge Menschen garantieren, sind mit entsprechenden rechtsstaatlichen Verfahren und Infrastrukturen abzusichern. Zudem ist die Verwirklichung der Rechte transparent, unabhängig und regelmäßig zu überprüfen.

Zwar wird in den Diskussionen um die gegenwärtigen europäischen Vorschläge zur zukünftigen Regulation und zu den Zugängen zum Asylverfahren an den EU-Außengrenzen von der Bundesregierung darauf hingewiesen, dass in dem weiteren Prozess gerade die Rechte von Kindern und Jugendlichen gestärkt, deren Absicherung geregelt und durch Verfahren und Infrastrukturen untersetzt werden sollen. Zudem wird hervorgehoben, dass die Verfahren für unbegleitete minderjährige Geflüchtete grundsätzlich nicht gelten sollen.

Verwirklichung von Rechten nicht zu erkennen

Offen bleibt aber, wie die Rechte aller Kinder und Jugendlichen gesichert werden. Angesichts der bisher bekannten Vorschläge ist nicht zu erkennen, wie eine Verwirklichung der Rechte von Kindern und Jugendlichen auf der Flucht in den Grenzverfahren und Aufenthaltsorten an den Grenzen überhaupt möglich sein kann.

Vor diesem Hintergrund formuliert das Bundesjugendkuratorium grundlegende Prüfkriterien für die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen, die in zukünftigen europaweiten Regelungen berücksichtigt werden müssen.

Alle Verfahren sind so zu gestalten, dass die in den internationalen Abkommen geregelten Rechte von Kindern und Jugendlichen gewahrt und verfahrenspraktisch gesichert sind. Grundlegend ist dabei ein unabhängiger Rechtsschutz für Kinder und Jugendliche zu garantieren. Es muss organisational abgesichert sein, dass Kinder und Jugendliche in Rechtsangelegenheiten unabhängig beraten und vertreten werden.

Keine entwürdigenden Altersfeststellungen, immer mit Rechtsbeistand

Kinder und insbesondere Jugendliche dürfen nicht entwürdigenden Altersfeststellungen unterzogen werden. Die Verfahren zur Altersfeststellung sind seit Jahren in der Kritik und stellen keine Basis dar, um zum Beispiel Volljährigkeit festzustellen.

Kinder und Jugendliche dürfen nicht von Entscheidungsbehörden und durch sie beauftragte Organisationen ohne unabhängigen Rechtsbeistand einer Altersfeststellung unterzogen werden.

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Eltern. Sie dürfen nicht indirekt dazu gezwungen werden, ihre Eltern zu verlassen, um allein weiter zu fliehen, da nur unbegleitete minderjährige Geflüchtete geschützt werden. Kinder und Jugendliche müssen mit ihren Eltern gemeinsam geschützt werden.

Grenznahe Aufenthalte so kurz wie möglich

Eine Unterbringung und Versorgung an der Grenze kann kaum kinder- und jugendgerecht erfolgen. Die Größe der Einrichtungen, die Fluktuation der Geflüchteten in diesen Einrichtungen, der Zwangskontext des Aufenthaltes und (der beobachtbaren) unfreiwilligen Rückführungen sowie nicht zuletzt die ggf. der eigenen Familie drohenden Rückführung bilden Rahmenbedingungen, die die Wahrung von Mindeststandards für kinder- und jugendgerechte Unterbringung und Versorgung geradezu verunmöglichen. Darum sind die Aufenthalte so kurz wie möglich zu gestalten.

Kinder und Jugendliche erleben häufig Gewalt, sexualisierte Übergriffe und Missbrauch auf der Flucht. Sie sind aufgrund ihrer verletzlichen Position und der Machtasymmetrie zwischen Erwachsenen und Kindern insbesondere vor Gewalt, Übergriffen und Machtmissbrauch zu schützen.

Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt und sexualisierten Übergriffen ist explizit durch transparente Organisationsformen, Ombudsverfahren, „sichere“ und geschützte Orte sowie kinder- und jugendgerechte - auch anonym erreichbare - Anlaufstellen, an die sich Kinder und Jugendliche mit Gewalterfahrungen in ihren Sprachen jederzeit auch jenseits von akuten Notsituationen wenden können, an allen Aufenthaltsorten - insbesondere auch an den Grenzen - sicherzustellen.

Beratung in der jeweiligen Muttersprache

Insgesamt ist in allen Verfahren sowie an allen Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche auch in der EU aufhalten, das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Gehör zu verwirklichen (siehe Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention).

Kinder und Jugendliche müssen in ihrer Muttersprache über ihre Situation informiert werden. Es müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit sie ihre Bedürfnisse ausdrücken sowie sich in ihrer Muttersprache in den Verfahren verständigen und beteiligen können.

Es bedarf altersgerechter und barrierefreier Beratungsorte, Verfahren und Infrastrukturen, damit mit allen Kindern und Jugendlichen ihre Situation und das weitere Vorgehen besprochen werden kann. Darüber hinaus haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wohlbefinden und Gesundheitsförderung.

Ernährung, medizinische und soziale Versorgung

Es ist sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche auf der Flucht sowohl altersgemäß ernährt als auch medizinisch und sozial versorgt werden. Sie brauchen zudem Orte, an denen sie sich mit anderen Kindern und Jugendlichen über ihre Bedürfnisse austauschen und als junge Menschen zusammen sein können.

Das Bundesjugendkuratorium sieht die genannten Eckpunkte als unverzichtbare Mindeststandards für die Weiterentwicklung einer europäischen Flüchtlingspolitik an. Ziel muss es sein, die Rechte von Kindern und Jugendlichen an den Grenzen und auf der Flucht in Europa zu verwirklichen. Nur wenn die Verfahren und Infrastrukturen zur Verwirklichung der Rechte sowie in diesem Zusammenhang auch die organisationalen, finanziellen, personellen und professionellen Verantwortungsstrukturen in den Ländern der EU differenziert und transparent vereinbart sind, kann von einer Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen gesprochen und diese auch überprüft werden.