

seit mittlerweile drei Jahren harren viele Ukrainerinnen und Ukrainer in der Fremde aus, auch in Deutschland. Aber viele von ihnen warten nicht einfach auf ein Ende des russischen Angriffskriegs, sondern nehmen ihr Schicksal in die Hand. Der Ukrainische Verein Frankfurt am Main beispielsweise hat Kinder in den Fokus genommen. Im Vordergrund steht dabei die Vermittlung ukrainischer Sprache und Kultur an die Kleinen. Aber die Ehrenamtlichen des Vereins müssen mitunter auch damit umgehen, dass die Papas der Kinder nie mehr nach Hause kommen. Die Vorsitzende des Zentralverbands der Ukrainer in Deutschland, Liudmyla Mlosch, benennt Probleme, vor denen viele der Flüchtlinge hier in Deutschland stehen, und erklärt, wie sie ihre Zukunft sehen.
Das Wahlrecht steht Bürgerinnen und Bürgern zu, aber manche stellt es vor Herausforderungen. Beispielsweise, wenn sie nur schlecht lesen können oder geistig beeinträchtigt sind. Zwar wächst langsam das Bewusstsein dafür, dass barrierefreie Angebote notwendig sind, und viele Parteien erklären ihre Programme schon in Leichter Sprache. Bei der praktischen Umsetzung des Wahlrechts hapert es aber noch vielfach. Was Menschen mit Beeinträchtigungen oder geringen Lesekompetenzen hilft, ist ein bisschen Übung beim Wählen. Hier setzen Projekte in Hamburg und Celle an.
Obdachlose, Minijobber, Studierende, Rentner: Allein in München gehen Hunderte Menschen jeden Tag zu Vereinen und Initiativen, die ihnen kostenlos oder für schmales Geld ein Mittagessen ermöglichen. Die Ehrenamtlichen, die in den Suppenküchen Essen ausgeben, schieben Frust. Denn so viel sie auch tun, es ist nicht genug. Weil der Staat zu wenig für Armutsprävention tue, sagen sie.
Wer krank wird, hat in der Regel zunächst Anspruch auf Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber und später auf Krankengeld von der Krankenkasse. Aber das gilt nicht in jedem Fall. Für diesen Anspruch müsse ein Arbeitnehmer mindestens vier Wochen gearbeitet haben, stellte das Landessozialgericht Celle fest. Endete das Arbeitsverhältnis schon vorher, gibt es keine Lohnfortzahlung, und Krankengeld auch nur unter bestimmten Voraussetzungen.
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Ihr Nils Sandrisser
Frankfurt a.M. (epd). Emilia hat Geburtstag, sie wird vier Jahre alt. Kinder und Erzieherinnen sitzen um einen Tisch mit Brot, Käse, Obst und Marmelade, und singen „Zum Geburtstag viel Glück“. Auf Deutsch. Ansonsten hört man im Souterrain der katholischen Kirchengemeinde St. Bonifatius im Frankfurter Stadtteil Bonames viel Ukrainisch. Denn hier betreibt der Ukrainische Verein Frankfurt am Main eine provisorische Kinderbetreuung.
In diese Betreuung kommen Kinder, die noch keinen Betreuungsplatz haben. „Am Anfang dachten wir, das ist nur für ein paar Monate“, erinnert sich Roksolana Rakhletska. Sie ist im Vorstand des Ukrainischen Vereins und lebt schon seit 15 Jahren in Deutschland. Nun dauere dieses anfängliche Provisorium schon fast drei Jahre. Neben der Kinderbetreuung in der Gemeinde St. Bonifatius ist der Verein auch Träger zweier Kitas und einer Samstagsschule, die bereits seit 20 Jahren besteht.
Nicht immer geht es so fröhlich zu wie bei Emilias Geburtstag. Rakhletska zeigt eine Kinderzeichnung. Schwarz ist die einzige Farbe auf dem Bild. Es zeigt ein Haus, rechts darüber einen tiefschwarzen Kreis. „Eine Bombe“, erläutert Rakhletska. Nachdem der siebenjährige Andrii mit seinem Bild fertig war, hätten sie den Tisch reinigen müssen: „Er hat so stark gemalt, dass die Farbe durchs Papier ging.“
Russlands Bomben und Projektile zerstören nicht nur Häuser. In den Häusern sterben Zivilisten, Männer fallen an der Front. Rakhletska sagt, auch in die Kindergärten und in die Schule gingen Kinder, deren Papas nie mehr wieder nach Hause kommen. Der Verein arbeite mit zwei Psychologinnen zusammen, die aus der Ukraine stammten und die für solche Fälle ausgebildet seien. Sie bearbeiteten mit den Kindern und mit deren Müttern die Trauer und Verzweiflung.
Das Hauptaugenmerk des Vereins aber gilt der Pflege der ukrainischen Sprache und Kultur. Für dieses Ziel engagieren sich viele aus der ukrainischen Gemeinschaft ehrenamtlich. Beispielsweise Iryna Khudenko, die vor ihrer Flucht aus der Ukraine ein Unternehmen mit 73 Mitarbeitern leitete. Nun betreut sie hier Kinder, ebenso wie Alisa Hniedo, die in Mainz Politikwissenschaft studieren will. Oder wie Andrii Kazmirchuk, der im Brotberuf Sportlehrer an einer Privatschule ist. Für die Kinder, sagt Rakhletska, sei Kazmirchuk als männliche Bezugsperson enorm wichtig: „Ihnen fehlen die Väter.“
Die älteren Kinder gehen neben dem normalen Unterricht auf die Samstagsschule. Nicht immer mit viel Elan, räumt Olga Shendrya ein. Sie ist Leiterin der beiden Kitas, ihre Tochter besucht die Schule. „Manchmal will sie samstags nicht hin“, berichtet Shendrya. „Aber wenn sie nachmittags wieder kommt, hat es ihr doch immer gefallen.“ Schließlich treffe sie Freundinnen und Freunde dort.
Offensichtlich gefallen hat es auf der Schule auch Evelina Parukh. Sie war 15 Jahre alt, als sie floh. Das deutsche Schulsystem habe sie nicht überzeugt, berichtet sie: „Ich kam in eine Integrationsklasse und war beim Lernen ganz auf mich gestellt.“ Aber in die ukrainische Samstagsschule kommt sie auch heute noch, allerdings nicht mehr als Schülerin. Sie ist Volontärin dort und leitet die Tanz-AG.
Das sei nicht untypisch, sagt Rakhletska: „Viele wollen nach der Schulzeit den Kontakt nicht verlieren und fragen, ob sie bei uns anfangen können.“ Rakhletska ist neben ihrem Vorstandsamt im Verein auch Leiterin der Schule und Lehrerin für Ethnografie.
Bei Beginn des russischen Überfalls 2022 waren es rund 100 Kinder, kurz danach hatte sich deren Zahl mehr als verdreifacht. Mittlerweile besuchen rund 550 kleine Ukrainerinnen und Ukrainer die beiden Kindergärten und die Schule des Vereins.
Wie ihre Zukunft aussieht, können die meisten Ehrenamtlichen nicht genau sagen. Viel hänge davon ab, wann und wie der Krieg endet, sagen sie. Aber eine Sache sei dabei wichtig, sagt Kitaleiterin Shendrya: „Etwas zu tun. Nicht nur zu warten, was die Zukunft vielleicht bringt.“
Berlin (epd). „Es waren radikale Veränderungen für uns“, sagt Vereinschefin Liudmyla Mlosch über die Folgen des Kriegs in ihrer Heimat, der mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland brachte. Sie lobt die Aufnahmebereitschaft der Deutschen, sagt aber auch: „Es ist keineswegs immer leicht, in der Fremde zu leben und sich auch zu integrieren. Vor allem ältere Menschen tun sich schwer und quälen sich mit der deutschen Sprache.“ Die Fülle der Aufgaben des Vereins sei bedrückend. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Frau Mlosch, der andauernde Krieg in der Ukraine gefährdet auch die Solidarität mit den Opfern. Bröckelt die Willkommenskultur im Land? Wie fällt Ihre Bewertung aus?
Liudmyla Mlosch: Wir sind sehr froh, hier meist gut aufgenommen zu werden. Viele Deutsche haben uns die Hand gereicht. Sie verstehen, welche Schicksale die Flüchtlinge hinter sich haben. Und wir sehen auch, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger für uns interessieren, selbst aktiv werden und schauen, wo sie helfen können. Wir tun auch viel, um in Kontakt zu kommen und unsere Kultur, etwa bei Konzerten, lebendig werden zu lassen.
epd: Machen Ihnen die Debatten über eine Verschärfung der Migrationspolitik Sorgen?
Mlosch: Natürlich bekommen wir Ukrainer mit, was aktuell im Wahlkampf zur künftigen Migrationspolitik diskutiert wird. Und da gibt es schon die Sorge bei vielen Flüchtlingen, ob sie nicht doch das Land bald unter Druck wieder verlassen müssen. Doch ich sage dann immer, dass diese Diskussion uns nicht betrifft. Wir sind froh, dass die Aufenthaltsgenehmigung für die Flüchtlinge aus der Ukraine zumindest bis März 2026 verlängert wurde. Das gibt Sicherheit.
epd: Der Zentralverband der Ukrainer in Deutschland (ZVUD) besteht schon seit 2007. Er kümmerte sich zunächst um den kulturellen Austausch und will auch helfen, Ihre Landsleute mit der deutschen Gesellschaft vertraut zu machen. Wie hat sich mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine Ihre Arbeit verändert?
Mlosch: Eigentlich ist nichts mehr so, wie es vorher war. Es waren radikale Veränderungen für uns. Aber noch mal zur Erinnerung: Wir haben nicht erst drei Jahre Krieg in der Ukraine. Der Einmarsch auf die Krim war schon 2014. Seitdem wird gekämpft, vor allem im Osten unseres Landes. Die meisten Flüchtlinge kamen dann nach dem Angriff am 24. Februar 2022. Unsere Arbeit haben wir in diesen drei Jahren mehrfach geändert, haben die Angebote erweitert. Kinderbetreuung ist zu nennen, aber auch die psychologische Betreuung von traumatisierten Personen. Vor allem kümmern wir uns und die Hilfen bei der Integration, beim Absolvieren von Sprachkursen, helfen bei Anträgen bei den Behörden. Und, ganz wichtig: Wir versuchen auch, dass die Landsleute Wohnungen finden. Doch das ist nicht nur in Berlin oft kaum möglich. Ein weiterer Bereich unsere Arbeit ist es, Kriegsverletzten zu helfen, bei der Behandlung, aber auch bei der Rehabilitation und die Rückkehr ins Leben.
epd: Das sind alles Hilfen, die es vorher gar nicht gab ...
Mlosch: Ja, das stimmt. Als wir den Verein gegründet haben, ging es hauptsächlich darum, auch in Deutschland die ukrainische Kultur zu pflegen. Die eigene Community zu stärken und die Zusammenarbeit mit deutschen und internationalen Organisationen zu fördern. So haben wir ein Kinderzentrum gegründet, in dem Ukrainisch gesprochen wird. Wir haben früher oft gesehen, dass man uns für Russen hielt. Da haben wir immer widersprochen. Wir sind Ukrainer, mit eigener Kultur und Geschichte, die zudem viel älter ist als die russische.
epd: Über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine leben derzeit in Deutschland. Kommen denn noch immer Menschen zu uns, die vor dem Krieg flüchten?
Mlosch: Genau Zahlen habe ich auch nicht. Es kommen noch immer vereinzelt Menschen aus der Ukraine hierher. Doch es sind nicht mehr die großen Menschenmassen, die in den ersten Monaten geflohen sind. Ich weiß von vielen Bekannten und Verwandten, dass die Menschen versuchen, im eigenen Land zu bleiben, etwa im Westen des Landes, wo der Krieg noch nicht hingekommen ist. Auch in Polen und anderen Staaten, die ehemals zum Ostblock gehörten, gibt es oft Verwandte, die die Flüchtlinge aufnehmen. Und, das darf man auch nicht vergessen: Es ist keineswegs immer leicht, hier zu leben, in der Fremde, und sich auch zu integrieren. Vor allem ältere Menschen tun sich da schwer und quälen sich mit der deutschen Sprache.
epd: Viele Flüchtlinge sind ja auch schon wieder zurückgekehrt ...
Mlosch: Ja. Wenn keine Gefahr mehr besteht in den Heimatregionen, wenn sie nicht von den Russen besetzt sind, dann kehren die Menschen zurück. Ein weiterer Grund könnte sein, dass sie dort Arbeit gefunden haben. Und natürlich wollen viele Flüchtlinge auch zurück, um die zerstörten Orte wieder aufzubauen. Aus Erfahrung wissen die Menschen, dass es auch hier in Deutschland kein Leben ohne Probleme gibt. Auch deshalb bin ich sicher, dass nach Kriegsende 80 Prozent meiner Landsleute wieder zurück in ihre Heimat gehen. Viele wollen nach Hause.
epd: Ist das auch eine Frage des Alters?
Mlosch: Ja, es kommt dabei auch auf das Alter der Personen und vor allem ihrer Kinder an. Sind die Kinder schon etwas älter, dann sagen die Eltern oft, sie sollen vorerst hier bleiben für den Schulabschluss, eine Ausbildung oder gar ein Studium. Die Kinder sind ja gut integriert. Sie selbst würden aber zurückkehren, wenn es gefahrlos möglich ist. Ich schätze, dauerhaft bleiben würden wohl nur 20 bis 30 Prozent. Aber das hängt letztlich davon ab, ob und wann der Krieg endet.
epd: Spielt bei den Rückkehrplänen auch die Familienzusammenführung eine Rolle? Irgendwann werden die Männer ja nicht mehr an der Front sein.
Mlosch: Sicher. Doch hat der Krieg auch viele Familien zerstört. Die Männer sind gefallen oder schwer verletzt worden, sind dauerhaft behindert. Viele Frauen sind geschieden, weil sie diese Belastungen, die Trennung und die Ungewissheit nicht ausgehalten haben. Und ich weiß auch von der Verzweiflung vieler Frauen, ob mit oder ohne Kinder, die nicht wissen, wie es weitergehen soll, hier oder in der Ukraine. Da geht es auch um die Frage der Wohnungen in der Heimat. Viele sind zerstört, oft teilen sich Familien eine eigentlich zu kleine Wohnung oder wohnen bei Verwandten. Das sind alles keine guten Bedingungen für die Familienzusammenführung. Viele haben keine Zukunft hier, in der Ukraine aber auch nicht.
epd: Noch weiß niemand, wann der Krieg endet. Wie betrachten Sie im Rückblick die Aufnahme der Flüchtlinge hier im Land?
Mlosch: Wir sind überaus dankbar, hier in Sicherheit leben zu können. Auch wenn viele Flüchtlinge noch keine eigenen Wohnungen haben, also noch in Wohnheimen leben, oder auch noch keine Arbeit gefunden haben, so sehen wir doch, dass die Bürgerinnen und Bürger uns offen begegnen.
epd: Wo könnte es besser laufen in Sachen Integration?
Mlosch: Wer sich integrieren will, muss die deutsche Sprache können. Das ist für viele Menschen, vor allem ältere, nicht einfach. Die Sprachkurse werden gut angenommen, doch muss man auch sehen, dass das zu erreichende Sprachniveau A2, also Grundkenntnisse, oft nicht ausreicht, um danach im angestammten Beruf zu arbeiten. Viele scheitern auch schon an diesem Level. Ich kenne ein 42-jährige Frau, die A2 nicht geschafft hat. Sie ist Buchhalterin, aber ohne die grundlegenden Sprachkenntnisse kann sie in diesem Job nicht arbeiten. Auch das ist belastend und führt zu Frust. Und die Frau ist kein Einzelfall.
epd: Und es ist auch nicht leicht, Ausbildung oder Studium anerkennen zu lassen ...
Mlosch: Das ist leider so. Die Hürden in der Verwaltung sind leider sehr hoch. Und das dauert auch oft sehr lange. Bis dahin, wenn es überhaupt klappt und die Urkunden nach der Flucht überhaupt vorgelegt werden können, bleibt oft nur ein Job mit geringen Anforderungen. Viele Frauen müssen putzen gehen.
epd: Wie sieht es aus mit der psychologischen Betreuung, die viele nach Traumatisierungen ja dringend brauchen?
Mlosch: Da sind wir wieder bei den Sprachproblemen. Therapeutische Hilfen sind nicht einfach zu bekommen, wenn man sich nicht verständigen kann. Oft geht das nur mit Übersetzungen. Denn therapeutische Praxen, wo Ukrainisch gesprochen wird, sind natürlich kaum zu finden. Das gilt auch für normale Arztpraxen oder die Krankenhäuser. Muss bei Behörden übersetzt werden, dann dolmetschen wir bei Bedarf per Telefon.
epd: Wie optimistisch sind Sie, dass der Krieg bald endet?
Mlosch: Der Krieg dauert schon elf Jahre. Ich sehe aktuell noch keine echten Hoffnungszeichen. Frieden muss herrschen, das ist klar. Aber auch die Bedingungen müssen für uns akzeptabel sein.
epd: Wir blicken Sie auf den Wiederaufbau des Lands?
Mlosch: Der Wiederaufbau nach den gewaltigen Zerstörungen, besonders der Infrastruktur, wird Jahre dauern. Viele meiner Landsleute, die noch hier Schutz gefunden haben, sagen, dass sie beim Wiederaufbau mithelfen wollen. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die nur mit internationaler Hilfe gelingen kann. Für uns als Land ist das eine große Herausforderung, denn die Zahl der Bevölkerung ist innerhalb der zurückliegenden 30 Jahre und auch durch den Krieg von 52 auf 23 Millionen Menschen geschrumpft. Und durch die Kriegsverluste und die Flucht fehlt es in vielen Bereichen an Fachkräften.
Frankfurt a.M. (epd). Deutschland hat neben Polen innerhalb der EU nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine die meisten Menschen aufgenommen. Im Oktober 2024 waren laut dem Ausländerzentralregister (AZR) in Deutschland etwa 1,2 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine gemeldet, von ihnen waren rund 1,1 Millionen ukrainische Staatsangehörige.
Im November 2024 lebten laut der Bundesagentur für Arbeit 909.000 Ukrainer im erwerbsfähigen Alter in Deutschland (darunter 562.900 Frauen). Zusammen mit den Menschen aus den Hauptherkunftsländern von Asylbewerbern waren das knapp 2,5 Millionen Personen.
Seit dem russischen Überfall im Februar 2022 hat die Zahl der Beschäftigten mit ukrainischer Staatsangehörigkeit hierzulande um 225.000 zugenommen. Die meisten davon waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Insgesamt waren im Dezember 2024 534.000 Flüchtlinge aus der Ukraine als erwerbsfähig gemeldet.
Arbeitslos gemeldet und im Bezug von Sozialleistungen nach dem SGB II (Bürgergeld) waren 194.500 Personen aus der Ukraine. Integrationskurse besuchten 100.350 Flüchtlinge. 30.000 waren als Teilnehmer von Kursen zur berufsbezogenen Deutschsprachförderung gemeldet.
Die Beschäftigungsquote betrug im Juni 2024 bei den Männern Männer 55,1 Prozent, bei den Frauen 25,0 Prozent (ergibt zusammen 45,9 Prozent).
56 Prozent (237.435) der arbeitsuchenden Ukrainerinnen und Ukrainer hielten Ausschau nach einer Stelle auf Helferniveau. 36 Prozent (154.122) sind laut BA auf der Suche nach einer qualifizierten Tätigkeit.
Im Januar 2024 waren nach Angaben des Ausländerzentralregisters die meisten Flüchtlinge in den folgenden fünf Bundesländern untergekommen:
Hamburg, Celle (epd). Barbara Reindl ist viel beschäftigt. Die Übersetzerin für Leichte und Einfache Sprache blättert sich durch eng bedruckte Wahlbenachrichtigungen und Merkblätter. „Ich muss Kompliziertes einfach machen“, sagt die 62-jährige Hamburgerin. Seit Wochen gibt sie in Norddeutschland Workshops zur Bundestagswahl am 23. Februar und zur Hamburger Bürgerschaftswahl am 2. März. Sie hilft damit Menschen mit Lernschwierigkeiten, seelischen Beeinträchtigungen und fehlenden Sprachkenntnissen, aber auch Assistenzen, die mit Leichter Sprache arbeiten. Reindl: „Ich erkläre zum Beispiel in einfachen Worten, was genau gewählt wird, wie eine Wahl abläuft und was in Wahlbenachrichtigungen steht.“
Ihre Kurse sind ausgebucht. „Viele denken, dass die Wahl etwas ganz Selbstverständliches ist. Das stimmt aber nicht“, sagt die Sprachexpertin. Menschen, die schlecht lesen und schreiben können oder vielleicht nicht in Deutschland geboren wurden, fühlen sich bei Wahlen unsicher. „Das fängt schon bei den farbigen Umschlägen an und der Frage, welcher Zettel wo hineingehört“, sagt die Sprachwissenschaftlerin. Auch Bezeichnungen wie „Versicherung an Eides statt“ seien für sie eher abschreckend. In ihren Workshops baut Reindl eine Wahlkabine auf und spielt die Wahlabläufe ganz praktisch durch. Reindl: „Das gibt Teilnehmenden viel Sicherheit.“
Etwas südlich von Hamburg, in Celle, ist schon ein Wahlraum eingerichtet. Aber nur zu Übungszwecken. Doch Bildungsbegleiterin Karin Mickoleit und Arbeitsgruppenleiterin Kristin Herrmann nehmen ihr Amt als Wahlleiterinnen ernst. Bevor sie Maximilian Schnoor den Stimmzettel überreichen, muss der noch einmal zur Garderobe laufen, um seinen Ausweis aus der Jacke zu holen. „Ganz vergessen“, sagt der 32-Jährige. Doch er ist schnell wieder da, um geschützt von Blicken in der Wahlkabine seine zwei Kreuze zu machen.
Die Wahl, geheim und fast wie in echt, bildet an diesem Tag den Abschluss des Unterrichts in den Räumen der Lobetalarbeit in Celle. Die diakonische Einrichtung für Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung will dabei ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Berufsbildungsbereich und der Holzwerkstatt ermutigen, bei der Bundestagswahl ihr Stimmrecht wahrzunehmen. „Wer von ihnen hat schon mal gewählt?“, fragt die Berufsschullehrerin Regina Dickel und rund die Hälfte der rund 20 Frauen und Männer strecken die Arme hoch.
Thorsten Harms verrät nicht, wem er im Raum 4077 seine Stimme gegeben hat. Für die echte Bundestagswahl steht sein Entschluss aber fest, wie er betont: „Ich habe mich für eine Partei entschieden, die sich für Menschen mit Behinderungen einsetzt“, sagt der Werkstattmitarbeiter. „Niemals würde ich eine rechtsextreme Partei wählen“, fügt der kräftige Mann mit dem Kurzhaarschnitt an. „Man muss sich nur die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen angucken. Dann weiß man, wohin das führen kann.“
Seine Kollegin Petra Gilbert hat auf dem Wahlzettel einen bekannten Namen entdeckt. „Ach, der Henni Otti“, erfindet sie kurzerhand einen Spitznamen für den Celler CDU-Abgeordneten Henning Otte. „Den kenne ich doch“, sagt die 58-Jährige. Als sie im Café der Behinderteneinrichtung gearbeitet habe, sei er dort zu Gast gewesen. Sie fand ihn sympathisch und erwägt, ihm ihre Stimme zu geben. Der direkte Draht, findet sie, kann nicht schaden.
Wer kognitiv eingeschränkt ist oder aus anderen Gründen Schwierigkeiten mit Textverständnis hat, ist bei Wahlen häufig außen vor. Das zeigt beispielsweise die sogenannte Leo-Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2018: Demnach können 6,2 Millionen Menschen in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben. Anke Grotlüschen, Leo-Studienleiterin und Professorin für Lebenslanges Lernen, erklärt: „Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass das Leben mit geringer Literalität mit Ausgrenzungen und großen Unsicherheiten im Alltag verbunden ist. Auch die aktuellen Befunde jüngerer OECD-Studien zeigen, dass die Entwicklung im Bereich Schriftsprachkompetenz eher negativ verläuft.“
Mittlerweile stellt sich die Politik darauf ein. Auf den Internetseiten von SPD, CDU/CSU, FDP, Grünen und Linken finden sich die Wahlprogramme auch in Leichter Sprache, bei der AfD fehlt dieser Service. Woran es hapert, sei die praktische Umsetzung, beobachtet Übersetzerin Reindl: „Viele Menschen wissen nichts von den Angeboten in Leichter Sprache.“ Problematisch findet sie auch die regionalen Unterschiede bei den Wahlunterlagen. Während in Hamburg Anschreiben und Wahlbenachrichtigung in eher einfacher Sprache und übersichtlich gestaltet sind, strotzen die Schreiben im niedersächsischen Uelzen nur so von eng geschriebenen Sätzen mit komplizierten Formulierungen. „Hier gibt es wohl noch wenig Bewusstsein für barrierefreie Sprache“, sagt Reindl, die in Uelzen gleich 30 Teilnehmende im Workshop hatte.
Leichte Sprache nutzt dagegen kurze Sätze und bekannte Wörter. Zusammengesetzte Wörter werden mit Bindestrich getrennt, schwierige Begriffe immer erklärt und Inhalte auf das Wesentliche verknappt. Dabei geht es Reindl in ihren Wahl-Workshops nicht nur um Informationen, sondern auch um politische Teilhabe. Sie möchte den Menschen vermitteln, dass Politik etwas mit ihrem Leben zu tun hat und sie ihr Wahlrecht nutzen sollten. Reindl: „Jede Stimme ist wichtig.“
Während aber Menschen, die lediglich Leseschwierigkeiten haben, prinzipiell seit jeher wählen durften, war das bei Menschen anders, die eine Betreuung in allen Angelegenheiten haben. Jahrelang kämpften die Bundesvereinigung Lebenshilfe und andere Verbände gegen diesen Ausschluss von damals rund 85.000 Menschen von der politischen Willensbildung. „Jeder, der wählen will, kann sich eine Meinung bilden und muss die Unterstützung erhalten, die sie oder er zum Wählen braucht“, sagt Lebenshilfe-Sprecher Peer Brocke. Anfang 2019 entschied schließlich das Bundesverfassungsgericht, dass der Wahlrechtsausschluss eine Form der Diskriminierung und verfassungswidrig war.
Wie wichtig das Wahlrecht ist, unterstreicht auch der Bildungsbegleiter Michael Morcinek in der Unterrichtsstunde in Celle, die er gemeinsam mit Regina Dickel vorbereitet hat. Warum überhaupt neu gewählt werden muss und wer aktuell im Bundestag vertreten ist, wissen viele hier längst. Sie sind zwischen 18 und Anfang der 60er Jahre alt und alle wahlberechtigt. Doch eine Frau zeigt sich unentschlossen, zur Wahl gehen will sie eher nicht. „Das ist eine freie Entscheidung“, sagt Morcinek. „Aber man sollte sich damit beschäftigen. Wenn ich ihn nicht probiere, weiß ich ja auch nicht, ob Milchreis mir schmeckt“, versucht er einen Vergleich zu ziehen.
Dass es um Fragen geht, die hier alle betreffen, machen Morcinek und Dickel anhand der Parteiprogramme deutlich, die sie, soweit veröffentlicht, auch in Leichter Sprache mitgebracht haben. Einige Parteien wollen sich für Inklusion einsetzen. Eine dafür, dass Menschen mit Behinderung in Zukunft mehr Einkommen oder Vermögen besitzen dürfen, ohne dass ihnen dadurch Sozialleistungen gekürzt werden.
Zu informieren, ohne zu beeinflussen, das haben sich Dickel und Morcinek für diesen Tag vorgenommen. Informationen zur Wahl und den Parteiprogrammen in Leichter Sprache haben unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung und die Lebenshilfe herausgegeben. Ortsvereine der Lebenshilfe organisierten vielfach auch Diskussionsrunden mit Kandidierenden, wie Sprecher Peer Brocke erläutert.
Gemeinsam mit dem Verein „Tadel verpflichtet!“ hat die Lebenshilfe zudem die Broschüre „Demokratie schützen - Gefährliche politische Ideen erkennen“ veröffentlicht, in der sie erläutern, wie rechtspopulistisches Gedankengut zu erkennen ist. Im Unterricht in Celle gibt einer zu erkennen, dass er auch über die AfD mehr erfahren will. „Die grenzen Behinderte aus!“, gibt sein Nachbar zu bedenken. Auch Brocke sagt, die Werte der Lebenshilfe seien mit einer Wahl der AfD nicht vereinbar. Unter anderem spreche sich die Partei gegen Inklusion an Schulen aus. „Sie widerspricht dem Kern unserer Anliegen.“
Hannover (epd). Am Sonntag sind in Deutschland Bundestagswahlen. Nicht für alle Menschen ist der Gang zum Wahllokal gleichermaßen ohne Hindernisse. Welche Hilfen gibt es, damit auch Menschen mit Handicap oder in besonderen Lebenssituationen ihr Wahlrecht ausüben können? Und wo besteht noch Nachholbedarf? Eine Übersicht:
Barrierefreiheit: In Deutschland sind nicht alle Wahllokale barrierefrei. Im Oktober 2023 rügte der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen mangelnde Niedrigschwelligkeit, besonders in ländlichen Gebieten. Die Bundesfachstelle Barrierefreiheit empfiehlt in einer Handreichung zur Wahl: „Es sollten Räumlichkeiten oder Gebäude gewählt werden, in denen möglichst viele Wahlberechtigte selbstständig ihre Stimme abgeben können.“ Zur Barrierefreiheit gehören dabei neben baulichen Voraussetzungen unter anderem auch eine Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, eine Beschilderung mit Piktogrammen oder eine ausreichende Beleuchtung der Wahlkabinen.
Assistenz: Die Bundeswahlordnung benennt Hilfsmittel, die zum Beispiel Menschen mit Behinderungen nutzen können, um selbstständig zu wählen. Dazu gehören Personen, die als Wahlassistenz zum Beispiel vorlesen, was auf dem Wahlzettel steht oder auch für Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit ein Kreuz setzen können. Die Assistenten dürfen auch die Wahlkabine betreten. Als Assistenten können etwa vertraute Personen wie Angehörige oder Freunde mitgebracht werden. Laut Bundeswahlordnung kann die Hilfsperson auch ein vom Wähler bestimmtes Mitglied des Wahlvorstands sein.
Hilfsmittel: Damit blinde und sehbehinderte Menschen geheim und frei wählen können, versenden der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband und die entsprechenden Landesverbände eigens angefertigte Wahlschablonen. Darin sind Löcher eingestanzt, die den Kreisen zum Ankreuzen auf dem Stimmzettel entsprechen, wie der Blinden- und Sehbehindertenverband Niedersachsen erläutert. Außerdem gibt es dazu eine CD, auf welcher eine Gebrauchsanweisung der Schablone und alle Positionen des Stimmzettels, nach Wahlkreisen unterteilt, aufgelesen wurden.
Niedrigschwelligkeit: Damit auch wohnungslose Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen können, mussten sie für die anstehende Bundestagswahl bis spätestens Freitag, den 31. Januar 2025, einen Antrag auf Eintrag in das Wählerverzeichnis stellen. Das gilt für diejenigen, die keine Meldeadresse haben. Zuständig ist nach Angaben der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe das Wahlamt der jeweiligen Kommune, in der sich die betreffende Person gewöhnlich aufhält. Als Adresse kann die Gemeindeverwaltung angegeben werden. Der Antrag kann per Post oder durch eine andere Person eingereicht werden. Für die Briefwahl muss ein zusätzlicher Antrag gestellt werden. Sammelanträge, die von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe vorbereitet werden können, erleichtern den Menschen den Zugang zur Wahl.
Einige Wohnungsloseneinrichtungen wie der Kontaktladen Mecki in Hannover haben sich als offizielle Briefwahlaußenstelle für die Bundestagswahl registrieren lassen. Die vertraute Umgebung erleichtert es nach den Erfahrungen der Mitarbeitenden vielen Wohnungslosen, ihr Wahlrecht auszuüben.
Im Gefängnis: Für Gefängnisinsassen gilt wie für alle anderen auch: Sie sind wahlberechtigt, wenn sie deutsche Staatsbürger und mindestens 18 Jahre alt sind. Ein Gericht kann das aktive Wahlrecht allerdings wegen schwerer politischer Straftaten entziehen. Dazu gehören etwa die Vorbereitung eines Angriffskriegs und Landesverrat, aber auch Wahlbehinderung und Fälschung von Wahlunterlagen. Das Wahlrecht darf aber auch in diesen Fällen nicht lebenslang, sondern nur für zwei bis maximal fünf Jahre entzogen werden. Die Häftlinge können in der Anstalt selbst wählen, wenn diese als eigener Wahlbezirk registriert ist. Ansonsten bleibt ihnen die Briefwahl.
Osnabrück, Hannover (epd). Mit konzentriertem Blick lauschen die etwa 20 Männer und Frauen in dem Seminarraum in Osnabrück den Worten von Mina Oubelouali. Die Leiterin der internationalen Frauengruppe beim Verein Exil erläutert den Teilnehmenden eines Deutschkurses für Ausländer, welche Abstimmungsmöglichkeiten sie bei der Bundestagswahl hätten. Sie hält einen Stimmzettel in die Höhe und zeigt auf die beiden Spalten: „In jeder Spalte dürft ihr nur ein Kreuz machen.“
Bei der echten Bundestagswahl dürfen die Sprachschülerinnen und -schüler nicht wählen. Laut Statistischem Bundesamt betraf das Ende 2024 in Deutschland rund 14,1 Millionen ausländische Bürger. An diesem Tag dürfen Migranten und Geflüchtete in Osnabrück von 10 bis 19 Uhr dennoch ihre Stimme abgeben. Der Flüchtlingshilfe-Verein Exil hat an zwei Standorten eine symbolische Bundestagswahl für Menschen ohne Wahlberechtigung organisiert.
„Weil Migration das beherrschende Wahlkampfthema ist, wollen wir deutlich machen, dass viele Stimmen bei der Bundestagswahl fehlen werden“, erläutert Lara Benteler von Exil. „Geflüchtete und Migranten haben nicht die Chance, zu sagen, wie sie zu diesem Diskurs stehen.“ Gemeinsam mit Sprachkurs-Anbietern haben Exil-Mitarbeitende für die symbolische Wahl geworben und die Schüler bereits während der Unterrichtsstunden darauf vorbereitet.
Auf einigen Gesichtern der Ausländer im Seminarraum breitet sich Skepsis aus. Viele haben die Erläuterungen nicht richtig verstanden. Oubelouali, die aus Marokko stammt, wechselt ins Arabische. Ein Mann ruft: „Ich wähle Angela Merkel.“ Ein weiterer stimmt ihm zu. Beiden drohe die Abschiebung, erzählen sie. Sie wissen, dass die Ex-Bundeskanzlerin gar nicht kandidiert. Aber die CDU-Politikerin steht offenbar bei Geflüchteten noch immer hoch im Kurs.
Shala aus Syrien, die nur ihren Vornamen nennen möchte, sagt, sie habe Angst davor, wie es nach der Wahl weitergeht. Die 19-Jährige lebt seit drei Jahren in Deutschland. Zuvor war sie schon in der Türkei, durfte dann über den Familiennachzug zu ihrer Schwester nach Osnabrück reisen. Angesichts der Debatten über Grenzschließungen und „Remigration“ fragt sie sich, ob sie bleiben darf. „Aber ich fühle mich in Deutschland sicherer als in Syrien und der Türkei und möchte hierbleiben.“
Kai Weber vom Flüchtlingsrat bestätigt, dass viele Geflüchtete derzeit in Angst lebten, abgeschoben zu werden oder ihre Familie nicht nach Deutschland holen zu können. Andere überlegten angesichts der Stimmung, das Land von sich aus zu verlassen. „Selbst einige langjährige Mitarbeitende des Flüchtlingsrates fühlen sich hier unerwünscht.“
Im Exil-Wahllokal meldet Sherwan sich zu Wort. Der Kurde aus Syrien lebt seit zwei Jahren in Deutschland. Er möchte sich gerne für die Gesellschaft in Deutschland engagieren. Der 38-Jährige glaubt, die Flüchtlinge könnten viel zum Wohlstand in Deutschland beitragen: „Ich würde deshalb eine Partei wählen, die nicht gegen Migranten ist.“
Hinter welcher Partei er bei der symbolischen Wahl seine zwei Kreuze gemacht hat, will Sherwan aber nicht verraten. Dazu hat er hinter einer provisorischen Sichtschutzwand Platz genommen. Schließlich sei die Wahl geheim. Jetzt faltet er den Wahlzettel und wirft ihn mit einem Lächeln in die Urne.
Am Ende des Tages haben 300 Menschen an der symbolischen Wahl teilgenommen. Der Gewinner ist mit großem Abstand die SPD mit 47,6 Prozent der Zweitstimmen. Dahinter folgen Grüne (13,4), CDU (13,1) und Linke (8,4). Bei den Erststimmen ist die Verteilung ähnlich. Alle anderen Parteien, auch die AfD, scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde.
Alejandra Bedoya hat am Morgen um 10 Uhr als allererste ihre symbolische Stimme abgegeben. Die studierte Non-Profit-Managerin aus Kolumbien arbeitet seit einem Jahr als Ehrenamtskoordinatorin beim Verein Exil. Sie lebt seit dreieinhalb Jahren in Osnabrück und kennt die Abwehrhaltung gegen Migranten aus ihrer Heimat. Dort fürchteten die Einheimischen sich vor der Überfremdung durch Geflüchtete aus dem Nachbarland Venezuela.
Bedoya ist überzeugt, dass nur Begegnungen der Menschen untereinander das Misstrauen zerstreuen könne. „Zuwanderung bedeutet doch auch Bereicherung“, betont die junge Frau. Sie überlegt, so bald wie möglich die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen: „Ich möchte nicht mehr Mittelpunkt der Diskussionen sein, sondern selbst mitbestimmen.“
Mina Oubelouali ist diesen Schritt bereits gegangen. Im September, acht Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland, wurde sie eingebürgert. „Jetzt fühle ich mich endlich als vollwertiger Teil der Gesellschaft.“ Sie findet, die künftige Bundesregierung sollte darüber nachdenken, Migranten früher ein Wahlrecht zuzugestehen. „Man könnte die Wahlberechtigung zum Beispiel an die Niederlassungserlaubnis knüpfen. Die bekommen Ausländer nur, wenn sie ihren Lebensunterhalt verdienen und Steuern und Rentenbeiträge zahlen. Dann sollten sie auch wählen dürfen.“
Berlin (epd). Das Aktionsbündnis „Kinderrechte ins Grundgesetz“ wirbt vor der Bundestagwahl erneut dafür, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Damit bestehe „die große Chance, dass Kinderrechte stärker als bisher zu einem Kompass für politisches Handeln werden“, heißt es in dem Appell. Gerade in Krisenzeiten werde deutlich, „dass die Interessen von Kindern und Jugendlichen ansonsten nicht ausreichend Berücksichtigung finden“, so die Begründung für den Vorstoß.
In einer vor kurzem veröffentlichten repräsentativen Forsa-Umfrage für das Deutsche Kinderhilfswerk hatten den Angaben nach 73 Prozent der Befragten die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz als eine wichtige Aufgabe für die nächste Bundesregierung bezeichnet.
„Wir rufen alle Parteien dazu auf, sich im Bundestagswahlkampf klar für die Aufnahme der Kinderrechte einzusetzen“, sagte Professorin Sabine Andresen, Präsidentin des Kinderschutzbunds. Nur so sei sichergestellt, dass das Wohl von Kindern bei politischen Entscheidungen wirklich im Mittelpunkt stehe.
Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, sagte: „Besondere Bedeutung kommt dem Kinderrecht auf Beteiligung zu. Die Beteiligung von Kindern ist ein zentraler Wert einer demokratischen Gesellschaft. Das muss auch im Grundgesetz klar zum Ausdruck kommen.“
Sabine Walper, Präsidentin der Deutschen Liga für das Kind, verwies darauf, dass noch immer zu viele Kinder in Deutschland in Armut lebten, und zu viele müssten Diskriminierung, Gewalt oder Vernachlässigung erleiden. „Nach wie vor hängen die Bildungschancen eines Kindes und ein gesundes Aufwachsen zu stark von seiner sozialen Herkunft ab. Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz wären ein wichtiger Schritt, um die Folgen sozialer Ungleichheiten endlich abzubauen.“
Seit 1994 setzt sich das Aktionsbündnis Kinderrechte (bestehend aus Deutschem Kinderhilfswerk, Kinderschutzbund und UNICEF Deutschland in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind) für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ein. Der vom Aktionsbündnis Kinderrechte initiierte Appell „Kinderrechte ins Grundgesetz - aber richtig!“ wurde 2021 von mehr als 100 Organisationen aus der Kinder- und Jugendhilfe, Medizin, Pädagogik und anderen Bereichen unterstützt.
Berlin (epd). Das Bundesjugendkuratorium (bjk) ruft die künftige Bundesregierung auf, Weichen für die Zukunft junger Menschen in Deutschland zu stellen. „Sie muss der Kinder- und Jugendpolitik in der bundespolitischen Kräfteverteilung ein größeres Gewicht verleihen“, heißt es in einem Appell, der zusammen mit einem umfassenden Forderungskatalog veröffentlicht wurde.
Das Bundesjugendkuratorium kritisiert die Wahlprogramme der Parteien. Sie vermittelten „ein fragmentiertes, begrenztes und hochselektives Verständnis von Kinder- und Jugendpolitik“, mit dem man die künftigen Herausforderungen einer alternden Gesellschaft nicht meistern könne. Es fordert „eine entschlossene Kinder- und Jugendpolitik, die nicht nur reagiert, sondern gestaltet.“
Die politische Instrumentalisierung von vermeintlichen Interessen der jungen Menschen für die Beibehaltung der Schuldenbremse, Kürzung der Rentenansprüche oder die Verlängerung der Lebensarbeitszeit sei keine generationengerechte Sozialpolitik. „Vielmehr ist der gesellschaftspolitische Generationenvertrag in die Richtung der jungen Menschen transparent auszuformulieren. Es ist sozialrechtlich abzusichern, dass die sozialen Sicherungssysteme auch für die junge Generation zukunftsfähig sind“, heißt es in dem Papier.
Und weiter: „Die zukünftige Bundesregierung muss eine gesamtgesellschaftliche und zukunftsorientierte Perspektive auf Kinder- und Jugendpolitik entwickeln, welche die Rechte junger Menschen stärkt, sich an der generationalen und sozialen Lage sowie der Diversität der jungen Menschen orientiert und keine Gruppe ausgrenzt und kriminalisiert.“ Die gegenwärtigen politischen Positionierungen führten demgegenüber zu einer Verunsicherung und Spaltung - auch unter jungen Menschen in Deutschland, so die Kritik des bjk.
Das Beratungsgremium der Bundesregierung betonte: Kinder- und Jugendpolitik ist ein wesentlicher Baustein für eine gerechte und zukunftsfähige Gesellschaft. Empfohlen werden konkrete Maßnahmen auf acht Handlungsfeldern:
1. Rechte junger Menschen stärken: Junge Menschen müssen als eigenständige Rechtsträger anerkannt werden. Das BJK fordert die Aufnahme ihrer Rechte ins Grundgesetz sowie die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Zudem braucht es eine Stärkung ihrer digitalen Rechte und eine verbindliche Einbindung in politische Entscheidungsprozesse.
2. Demokratische Beteiligung ausbauen: Die Bundesregierung solle sicherstellen, dass junge Menschen nicht nur gehört, sondern aktiv beteiligt werden. Dazu gehört die Verankerung von Jugendbeteiligung in allen Bundesministerien sowie der Ausbau politischer Bildungsangebote, um eine starke demokratische Kultur zu fördern.
3. Kinder- und Jugendarmut bekämpfen: Junge Menschen haben ein Recht auf soziale Sicherheit. Die Bundesregierung muss das Leistungssystem so reformieren, dass es Armut wirksam verhindert. Bildungspolitik muss gezielt Chancengerechtigkeit schaffen - unabhängig von sozialer Herkunft.
4. Gewaltfreies Aufwachsen sichern: Der Kinderschutz braucht klare Strukturen. Schutzkonzepte gegen Gewalt müssen gesetzlich verankert und auf digitale Räume ausgeweitet werden. Die Finanzierung von Fachberatungsstellen und Präventionsmaßnahmen muss gesichert sein.
5. Moderne und inklusive Kinder- und Jugendhilfe: Die Kinder- und Jugendhilfe muss inklusiv für alle Kinder offen sein. Das BJK fordert eine Reform des Achten Sozialgesetzbuches, um Diskriminierung abzubauen und eine hochwertige Betreuung in Kitas und Schulen zu sichern.
6. Bessere Gesundheitsversorgung für junge Menschen: Physische und psychische Gesundheit sind oft abhängig von sozialer Herkunft. Die Bundesregierung muss niedrigschwellige Gesundheitsangebote ausbauen und Prävention an Schulen und in der Jugendhilfe stärken. Ein Monitoring zur Gesundheitssituation junger Menschen ist überfällig.
7. Junge Geflüchtete integrieren: Deutschland braucht eine klare Strategie für die Integration junger Geflüchteter. Dazu gehören schneller Zugang zu Bildung, verlässliche Schutzkonzepte und ein Rechtsrahmen, der junge Geflüchtete nicht benachteiligt.
8. Generationengerechte Klimapolitik voranbringen: Die Klimakrise betrifft vor allem junge Menschen. Deshalb müssen sie in klimapolitische Entscheidungen systematisch eingebunden werden. Zudem braucht es Maßnahmen, die klimafreundliches Verhalten sozial gerecht fördern, etwa durch bezahlbare Mobilitätsangebote.
Berlin (epd). Der Deutsche Kitaverband fordert von der künftigen Bundesregierung entschlossene Reformen zur Verbesserung der Kita-Qualität und den Ausbau der Sprachförderung. Nach einem Check der Wahlprogramme kommt der Verband zu dem Schluss, dass die Pläne der Parteien „deutliche Unterschiede in den Ansätzen zur Kita-Qualität, Fachkräftegewinnung und Sprachförderung zeigen“. In einer Mitteilung heißt es: „Wir brauchen ein echtes Kita-Qualitätsgesetz, das sich nicht nur auf Strukturmerkmale wie Fachpersonalschlüssel oder Gruppengrößen konzentriert.“
„Deshalb fordern wir eine verbindliche externe Evaluation der Kita-Qualität nach bundesweiten Standards“, betonte Waltraud Weegmann, Vorsitzende des Deutschen Kitaverbands als Dachorganisation der freien und unabhängigen Kitaträger. Auch die aktuelle Fachkräftesituation erfordere entschlossene Maßnahmen. Zwar setzten die meisten Parteien auf eine schulgeldfreie oder vergütete Ausbildung, doch der Kitaverband fordere darüber hinaus eine bundesweite Regelung zu einer Flexibilisierung der Ausbildung, des Einsatzes multiprofessioneller Teams mit begleitender Qualifizierung und die schnellere Anerkennung ausländischer Abschlüsse.
Man sehe, so Weegmann, die vielen Parteien erhobene Forderung nach verbindlichen Sprachtests für Kita-Kinder skeptisch. „Sprachförderung darf nicht nur durch Tests erfolgen, sondern muss als kontinuierliche, alltagsintegrierte pädagogische Begleitung in den Kitas verankert werden.“ Hierzu brauche es gezielte Weiterbildungen für Fachkräfte und eine angemessene Personalausstattung, erklärte Weegmann.
Sie appellierte an die kommende Bundesregierung, die frühkindliche Bildung mit Priorität zu behandeln und die Weichen für ein qualitativ hochwertiges, gerechtes Kita-System zu stellen.
Potsdam (epd). Mit dem Ende der DDR vor 35 Jahren seien viele Akten zu Missbrauch in Behinderteneinrichtungen verschwunden oder schwer auffindbar, sagte Jürgen Dusel dem Evangelischen Pressedienst (epd) anlässlich eines Fachgesprächs zum Thema am 18. Februar in Potsdam. Es müsse deshalb mehr getan werden, damit „auch die Täterinnen und Täter identifiziert und Strukturen aufgedeckt werden“, wo dies bislang noch nicht geschehen sei. Die Fragen stellten Yvonne Jennerjahn.
epd sozial: Vor einigen Jahren, 2021, wurde eine umfangreiche Studie über Missbrauch und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie in der DDR und der Bundesrepublik veröffentlicht, für die unter anderem mehr als 1.500 Fallakten ausgewertet wurden. Was wurde seit der Studie von 2021 für Betroffene getan und erreicht?
Jürgen Dusel: Durch die „Stiftung Anerkennung und Hilfe“, die von Bund, Ländern und den Kirchen getragen wurde, erhielten Menschen, die in der DDR oder in der BRD in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe oder der Psychiatrie Leid und Unrecht erfahren haben, endlich öffentliche Anerkennung und auch soziale Entschädigung. Diese Entschädigung - und das konnten bis zu 14.000 Euro sein - kann natürlich erfahrenes Leid nicht ungeschehen machen, aber sie hat auch einen symbolischen Wert. Sie zeigt deutlich an, dass eine Aufarbeitung stattfindet.
epd: Was hat die Stiftung, die von 2017 bis 2022 Betroffene unterstützt hat, noch erreicht?
Dusel: Die Stiftung existiert mittlerweile nicht mehr, sie war ja von vornherein als temporäres Projekt geplant. Sie hat die Initiative ihres überregionalen Fachbeirats, Gedenktafeln zu entwerfen und für deren Anbringen an Einrichtungen der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendpsychiatrie zu werben, umgesetzt. Und auch das ist eine wichtige Form der Anerkennung! Das erfahrene Leid darf nicht vergessen werden - auch, wenn viele Akten von damals nach der politischen Wende nicht mehr oder nur schwer aufzufinden waren. Diese einheitlichen Gedenktafeln sind übrigens barrierefrei, was ich besonders gut finde, sie enthalten eine Übersetzung in Leichter Sprache sowie in Brailleschrift.
epd: Wo sollte noch mehr getan werden?
Dusel: Beim Thema Gewaltschutz sind wir noch nicht am Ziel, aber mit dem Teilhabestärkungsgesetz wurde 2021 im Sozialgesetzbuch IX eine neue Regelung eingefügt, die die Einrichtungen zu Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt verpflichtet, insbesondere zu einrichtungsbezogenen Gewaltschutzkonzepten. Die Rechtsnorm sollte konkretisiert und um Mindeststandards ergänzt werden. Das hat leider in der nun endenden Legislaturperiode nicht mehr geklappt. Generell gilt, dass der Betrieb solcher Einrichtungen immer strukturelle Abhängigkeiten begünstigt und damit eine erhöhte Gefahr für Missbrauch mit sich bringt. Deshalb kommt der Deinstitutionalisierung auch beim Gewaltschutz eine wichtige Rolle zu. Auch mein Team und ich haben, zum Teil gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte, Handlungsempfehlungen zum Gewaltschutz in Einrichtungen veröffentlicht.
epd: Wo sehen Sie weiteren Handlungsbedarf?
Dusel: Missbrauch und Gewalt hat es auch in den Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen in der BRD gegeben. Der entscheidende Unterschied besteht aber darin, dass es in der BRD andere Kontroll- und Verfolgungsmöglichkeiten durch die unabhängige Justiz gegeben hat. Insofern gab es durchaus ein DDR-spezifisches Unrecht, da der Staat und die SED systematisch die Taten an Menschen mit Behinderungen vertuscht haben. Mit dem Ende der DDR sind auch viele Akten verschwunden oder schwer auffindbar. Deshalb ist hier die Forschung so wichtig, noch vorhandene Akten müssen gesichert werden und nicht nur die Opfer, sondern auch die Täterinnen und Täter identifiziert und Strukturen aufgedeckt werden, wo es bislang noch nicht geschehen ist. Um zu verhindern, dass dieses Unrecht sich wiederholt, muss die Erinnerungskultur gefördert werden. Auch brauchen wir verpflichtende Fortbildungen für Einrichtungspersonal zu Gewalt. Wir brauchen einen noch verbindlicheren und konkreteren Gewaltschutz, um Menschen mit Behinderungen in Einrichtungen wirksam vor Gewalt zu schützen, zudem müssen heutige Einrichtungen stärker durch unabhängige Stellen kontrolliert werden.
epd: Welche besonderen Herausforderungen gibt es noch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR?
Dusel: In der DDR waren Behinderteneinrichtungen oft isoliert und staatlich abgeschirmt, was Missbrauch begünstigte. Eine gesellschaftliche Diskussion über die Zustände in den Einrichtungen der Behindertenhilfe fand bislang aus meiner Sicht unzureichend und schleppend statt. Auch hier gilt, die Vorgänge aufzuarbeiten, Forschung zu ermöglichen, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und das Tabu zu brechen. Wir müssen uns unserer Vergangenheit, auch der der DDR, stellen. Die Auseinandersetzung mit dem Geschehenen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, aber die Aufarbeitung ist Aufgabe und Pflicht der demokratischen Institutionen.
Frankfurt a.M. (epd). Damit Seniorinnen und Senioren möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung leben können, braucht es viel Unterstützung durch Freiwillige, wie etwa Freunde und Nachbarn. Eine wichtige Rolle als Unterstützer spielen hier die Nachbarschaftsvereine. Das Modellprojekt „Nah sein“ im Auftrag der hessischen Landesregierung hat die Bedarfe in diesem Bereich ermittelt und seinen Bericht vorgestellt.
Dabei ging es vor allem um die Frage, wie Nachbarschaftshilfevereine organisiert sein müssen, damit sie auch in Zukunft ihre wertvolle Arbeit erbringen können. Dies sollte im Rahmen des Modellprojekts „Nah sein - Nachbarschaftshilfe im Alltag und im Haushalt Älterer“ ermittelt werden, das am Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität angesiedelt war und vom Familienministerium und den hessischen Pflegekassen finanziell unterstützt wurde. Das Ergebnis: Dringend notwendig ist eine Professionalisierung der Nachbarschaftshilfevereine, damit diese den Generationenwechsel bewerkstelligen können.
„Das Ergebnis dieses Projekts ist hilfreich für die weitere Arbeit der Vereine und hat aufgezeigt, wo diese ansetzen sollten“, betonte Ministerin Diana Stolz (CDU). Beispielsweise im Bereich der jüngeren Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Diese Erkenntnisse könnten nun auch Basis sein, um neue Ehrenamtliche zu gewinnen und zu qualifizieren wie auch, die Vereine untereinander zu vernetzen. Nun soll nach ihren Worten ein eigens gegründeter Landesverband helfen, das anspruchsvolle Ehrenamt professioneller zu organisieren.
„Wenn sich die Nachbarschaftshilfevereine vernetzen, können sie voneinander lernen und professionelle Kompetenzen aufbauen. Wir vertrauen einander, und uns verbindet die Freude am ehrenamtlichen Engagement“, sagte Traugott Arens, Vorstandsvorsitzender der Nachbarschaftshilfe Bad Nauheim und Gründungsmitglied des Landesverbands, der mit seinem Verein am Modellvorhaben beteiligt war.
In Anbindung an die Praxis würden, so Arens, die Herausforderungen am besten deutlich. Vernetzung und Professionalisierung übernehme der Hessische Landesverband der Nachbarschaftshilfen, der eigens hierfür gegründet wurde - als bundesweit erster seiner Art.
„Angesichts der steigenden Nachfrage bei einem schon heute zu geringen Angebot müssen wir die Vereine dringend beim Generationenwechsel unterstützen. Wenn die Vereine sterben, dauert es lange, um deren Unterstützungsangebote zu ersetzen“, ist Thomas Eymann, Vorstandsvorsitzender der Nachbarschaftshilfe Oberer Rheingau in Eltville und ebenfalls Gründungsmitglied des neuen Landesverbands, überzeugt.
„Wir sind stolz darauf, dass aus dem Modellvorhaben an der Goethe-Universität eine landesweite Struktur entstanden ist, die nicht nur Älteren helfen wird, sondern auch die stark beanspruchte jüngere Generation entlasten kann“, sagte Professor Bernhard Brüne, Vizepräsident der Goethe-Universität.
München (epd). Ein Korb mit Baguettescheiben, ein Stapel Suppenteller, daneben eine Schachtel voller Löffel: Es ist 13 Uhr an diesem nasskalten Februartag und im Foodtruck der Korbinian-Küche am Münchner Hauptbahnhof machen sich Marlies Brunner und die Ehrenamtliche Brigitte Weiss bereit für ihre Gäste. 365 Tage im Jahr bewirtet die Caritas hier, auf einem Pflasterdreieck zwischen mehrspurigen Hauptstraßen und Trambahn-Haltestellen, mehr als 450 Menschen mit Eintopf, Brot und Kaffee.
„Der Bedarf an warmem Essen wird größer“, sagt Brunner, die die Korbinian-Küche seit fünf Jahren leitet. Zu den Gästen zählten nicht nur Obdachlose, sondern auch Beschäftigte im Niedriglohnsektor, Studierende mit Bafög und Rentner, denen das Geld hinten und vorne nicht reicht.
Die Korbinian-Küche ist in München nicht das einzige Angebot für Menschen mit knurrendem Magen und wenig Geld. Auch in der Benediktinerabtei St. Bonifaz bekommen wochentags jeweils rund 400 Menschen ein warmes Essen. Der orthodoxe Templerorden verköstigt von Montag bis Samstag im Schnitt 320 bis 400 Personen. Und etwa 350 Bedürftige sind jeden Samstag in der Mensa der Laienbewegung von Sant'Egidio zu Gast. All diese Angebote werden weitgehend durch Spenden finanziert.
Beim „Sozialen Mittagstisch“ der Stadt, den unter anderem die Altenservicezentren anbieten, essen wochentags fast 350 Seniorinnen und - weit weniger - Senioren kostenlos. Die Heilsarmee, das Frauenobdach Karla 51, die Matthäusdienste und eine Vielzahl evangelischer und katholischer Gemeinden verstärken das Versorgungsnetz mit punktuellen Angeboten. Und obendrein gibt die Münchner Tafel jede Woche Lebensmittel für rund 23.000 Menschen aus.
Die Armut in der Landeshauptstadt nehme zu, sagen alle unisono. „Wir stellen einen höheren Zulauf von Menschen in existenzieller Not fest, auch die sichtbare Verelendung nimmt zu“, sagt Andrea Betz, Vorstandssprecherin der Diakonie München und Oberbayern. Als Frühwarnsystem diene dafür die Bahnhofsmission am Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs: Statt 110.000 Kontakte im Jahr 2018 habe man dort 2024 gut 300.000 Kontakte zu Hilfsbedürftigen gehabt.
Die Gründe dafür sind bekannt, aber nicht leicht zu ändern: Selbst Menschen mit fester Arbeit kommen im teuren München finanziell immer schwerer über die Runden. Wer dann noch überschuldet, psychisch krank, ohne soziales Netz oder wohnungslos ist, landet schnell bei der Tafel oder beim Mittagstisch.
Und auch wenn es davon so viele gibt, sei das Angebot doch nie genug, erklärt Ursula Kalb von Sant‘Egidio: „Die Menschen brauchen mehr als Essen, sie brauchen Begegnung, Hilfe und Beratung - gerade auch bei den komplizierten Anträgen für soziale Hilfeleistung.“ Denn wenn die bürokratischen Hürden zu hoch seien, „hören viele irgendwann auf, zu versuchen, dass sie zurechtkommen“, sagt Kalb.
Über das große Angebot für die Armen im reichen München ist Andrea Betz froh. „Aber für eine echte Armutsprävention braucht es Entscheidungen auf Bundesebene, zum Beispiel bei der Rente oder für Alleinerziehende.“ Auch Caritas-Direktor Hermann Sollfrank wünscht sich „einen präventiven statt einen reaktiven Sozialstaat“. Dafür benötige es eine bessere soziale Infrastruktur: „Jeder Armut sind gravierende private Schwierigkeiten vorgelagert“, sagt Sollfrank. Besser ausgestattete Erziehungs-, Schuldner- oder Wohnungslosenberatung könnten helfen, damit Menschen gar nicht erst in existenzielle Not rutschen.
Einstweilen hält die Korbinian-Küche am Hauptbahnhof die Stellung. Einen dringenden Wunsch hat dessen Team: Einen festen Container für die Essensausgabe und ein großes beheiztes Zelt für die Gäste. „Unser Truck kommt nächstes Jahr nicht mehr durch den TÜV“, sagt Marlies Brunner. Zudem gibt es in dem kleinen Gefährt weder Heizung im Winter noch Lüftung im Sommer. Auch einen würdigeren Raum zum Essen wünscht sie sich, statt der offenen Zelte, durch die der Wind pfeift. „Wir brauchen einfach eine Verstetigung für unser Angebot“, sagt Marlies Brunner.
Können Sie sich das vorstellen: Rund um die Uhr arbeiten und dafür keinen Cent erhalten? Sie würden mich wahrscheinlich verständnislos ansehen und sagen: „Natürlich nicht“. Das aber machen viele Mütter. Dabei wurde in der Vergangenheit, und wird es teilweise noch heute, ihre Arbeit in der Familie wenig anerkannt.
Aus diesem Grund forderten wir als kfd bereits im April 2012 zusammen mit dem Katholischen Deutschen Frauenbund: „Wer Kinder erzieht, leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Das gilt für alle Generationen und muss deshalb in gleicher Weise anerkannt werden.“ Vehement und unermüdlich haben wir uns seither für das Recht und die Entlohnung jener Frauen eingesetzt, die in den 1970er und 1980er Jahren kaum Möglichkeiten hatten, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Es fehlten Kinderbetreuungsplätze und familienpolitische Leistungen wie Elterngeld und Erziehungszeiten.
Aber was bedeutet eigentlich Mütterrente? Mit der seit 2014 eingeführten sogenannten Mütterrente sind die Zeiten der Kindererziehung gemeint, die von der Deutschen Rentenversicherung etwa so angerechnet werden, als hätten Mütter regulär Beiträge eingezahlt. Sie kommt bisher Müttern oder Vätern zugute, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Auch Frauen, die nie sozialversicherungspflichtig erwerbstätig waren, können durch die Mütterrente Rentenansprüche geltend machen, wenn sie mindestens zwei Kinder haben und so die erforderliche Mindestzeit von fünf Jahren erreichen. Damit wird die unbezahlt geleistete Erziehungsarbeit von Frauen anerkannt. Gleichberechtigung in Kirche und Gesellschaft ist unser zentrales Anliegen. Daher ist es nur natürlich, dass wir uns als Verband für Mütter starkmachen - damals wie heute.
202.000 Menschen haben die Forderung nach mehr Rentengerechtigkeit durch ihre Unterschrift im Jahr 2012 unterstützt. Wir hatten zusammen mit dem Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) dazu aufgerufen. Bereits damals wurden die drei Entgeltpunkte gefordert. Trotz dieser Aktion und vieler Briefe der damaligen Bundesvorsitzenden, Maria Theresia Opladen, an die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) passierte nicht viel. Ein Jahr später starteten wir, dieses Mal mit mehreren Verbänden als „Rentenbündnis katholischer Verbände“, eine Postkartenaktion. Nach der Bundestagswahl im September 2013 erhielten die neu gewählten Abgeordneten Postkarten mit der Aufforderung, sich für eine Rentenreform einzusetzen, die Altersarmut verhindert, das solidarische, leistungsbezogene System stärkt und Erziehungs- und Pflegezeiten besser anerkennt. Unser Bundesverband schickte Briefe mit der Postkarte an damalige Politikerinnen und Politiker, darunter Angela Merkel, Horst Seehofer, Andrea Nahles und Sigmar Gabriel.
Schließlich wurde die zukünftige Mütterrente im Koalitionsvertrag von Union und SPD im November 2013 mit aufgenommen. Mit dem Beschluss des Bundestags zur Leistungsverbesserung in der gesetzlichen Rentenversicherung trat am 1. Juli 2014 die Mütterrente in Kraft. Seitdem erhalten Mütter bei der Rentenberechnung einen zusätzlichen Entgeltpunkt (insgesamt dann zwei Rentenpunkte) für die Erziehung jedes Kindes, das vor 1992 geboren wurde. Das war und ist ein riesiger politischer Erfolg für uns als Verband.
Trotz dieses Erfolgs haben wir unser Ziel nie aus den Augen verloren. Für mehr Rentengerechtigkeit fordern wir weiterhin, dass Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben, ihre Erziehungsleistung mit drei Entgeltpunkten in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt bekommen. Im Jahr 2017 startete das „Rentenbündnis der katholischen Verbände“ daher eine weitere Postkartenaktion an Abgeordnete. Im Vordergrund stand erneut die Bekämpfung der Altersarmut; darin war auch die Forderung nach drei Entgeltpunkten für Mütter enthalten. Im Folgejahr sammelten wir und der KDFB für unser Anliegen 60.000 Unterschriften und überreichten sie dem damaligen Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD). Mit Erfolg. 2019 trat schließlich die sogenannte Mütterrente II in Kraft. Die damalige Bundesregierung aus Union und SPD konnte sich allerdings nur auf 2,5 Rentenpunkte einigen.
Anfang dieses Jahres wurde im Bundestag über die Mütterrente debattiert. Kontroverse Diskussionen gab und gibt es über die Einführung einer einheitlichen Mütterrente. Diese würde bedeuten, dass die Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, die gleichen Rentenpunkte erhalten wie Frauen mit Kindern, die nach 1992 geboren sind. Konkret wären das dann einheitlich drei Rentenpunkte je Kind. Wir als kfd gehen davon aus, dass die Diskussion um die einheitliche Mütterrente auch ein Thema der nächsten Regierung sein wird, und bleiben weiter dran.
Werden die drei Rentenpunkte beschlossen, dann erfüllt sich für uns eine jahrelange Forderung. Es wäre ein Zeichen echter Generationengerechtigkeit, das außerdem dazu beiträgt, die (drohende) Altersarmut von Frauen zu verhindern und die Sozialsysteme zu entlasten.
Die Entlohnung für Mütter ist ein Baustein auf dem Weg zur wirklichen Gleichstellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft. Er ist Bestandteil der kfd-Arbeit. Die gleiche Wertschätzung und den gleichen Respekt für Frauen und Männer machen wir in unserer aktuellen Postkartenaktion zur Bundestagswahl deutlich: Gleiche Macht, gleiche Zeit, gleiches Geld sind die Forderungen. Denn Gleichstellung ist kein Selbstläufer, sondern wird von allen gestaltet. Macht, Zeit und Geld müssen fair verteilt werden. Diesem Ziel können wir als Verband durch konkrete Maßnahmen näherkommen - wie mit der Mütterrente.
Konstanz (epd). Die Gründung eines Krankenhauses war im Mittelalter deutlich einfacher als heute. Vor acht Jahrhunderten setzten sich vermögende Konstanzer zusammen und gründeten ihr eigenes Spital. Die Kaufleute, die als Stifter auftraten, hoben ihr Krankenhaus unabhängig von der Kirche aus der Taufe. Was im Jahr 1225 erstmals beurkundet wurde, war und ist bis heute eine reine Bürgerstiftung, über welche die Bürger bestimmten und bis heute der Gemeinderat entscheidet.
Die Stiftung zählt zu den größten sozialen Dienstleistern in Konstanz. „Mit rund 560 Mitarbeitenden aus etwa 50 Nationen und etwa 50 Auszubildenden jährlich steht die Stiftung für Vielfalt, Innovation und soziale Verantwortung“, heißt es auf der Homepage.
Konstanz diente damals als Vorbild für andere. Das neue Spital war das erste, das auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg gegründet wurde - älter als etwa Überlingen und Rottweil. Nur reiche Städte konnten sich das leisten, nur Städte, deren bürgerliche Oberschicht so viel Vermögen auf der hohen Kante hatte, dass diese sich Wohltätigkeit leisten konnte. Bei näherem Hinsehen war es ein versuchtes Geschäft auf Gegenseitigkeit: Vermögende Bürger setzten sich für das Gemeinwohl ein - im Gegenzug erhofften sie sich den Aufschub von Höllenstrafen und ein gnädiges Urteil vor dem letzten Richter.
Der Stadtarchivar Jürgen Klöckler erklärt dazu auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd): „Die damaligen Menschen waren erfüllt von ständiger Todesangst, vor allem vor dem plötzlichen, unvorbereiteten Tod. Werke der Barmherzigkeit, wozu auch die Gründung eines Spitals zählte, dienten somit auch der Jenseitsvorbereitung.“ Dieser sehr irdische Handel ließ das Spital schnell wachsen: Immer wieder schenkten Bürger oder Patrizier ihr Ackerland, ihre Reben oder Stadthäuser, um das Spital gut auszurüsten.
Seinen ersten Sitz hatte diese bürgerliche Sozialeinrichtung unmittelbar am Ufer - damals noch feuchter Grund, heute die Fußgängerzone. Das mittelalterliche Gebäude ist noch erhalten, auch wenn das Spital längst ausgezogen ist und einen modernen Funktionsbau am Stadtrand bezogen hat. Pointe am Rande: In der ehemaligen Anstaltskapelle zum Heiligen Geist befindet sich aktuell das Wartezimmer eines Urologen.
Die Spitalstiftung hat ihren Besitz weitgehend in die heutige Zeit bringen können. Sie zählt damit zu den beständigsten Institutionen der Stadt, was auch mit ihrer Aufgabe zu tun hat: Fürsorge und Gesundheit sind ein Thema, das jede Generation aufs Neue benötigt und dafür die Mittel bereitstellt. Seinen Bischof hat Konstanz längst abgeben müssen, das war 1821. Ihr Spital konnte die Stadt mit aktuell 78.000 Einwohnern halten und immer wieder der Zeit anpassen.
Fünf Altersheime betreibt die Spitalstiftung heute. Dazu kommt das städtische Krankenhaus, das inzwischen in einen Verbund auf Kreisebene eingebracht ist. Zum Geschäft gehören auch eine Tagespflege, ein ambulanter Pflegedienst sowie neue Formen des Wohnens für Senioren, die einer WG ähneln. „Unser Markenkern ist nach wie vor die Fürsorge“, sagt Sabine Schilling, Pressesprecherin der Spitalstiftung. Da die Stiftung auch Eigentümerin von 460 Wohnungen im Stadtgebiet ist, steht die alte Einrichtung finanziell stabil da.
Durch kuriose Umstände kamen auch schöne Weinberge in den Besitz des Spitals. Es gibt die legendarische Überlieferung vom Fräulein Wendelgard - einer alleinstehenden und reichen Frau, die in der Nähe von Meersburg lebte. Ihr umfangreiches Rebland vermachte sie jedoch nicht ihren Mitbürgern, sondern dem Konstanzer Spital auf der anderen Seeseite.
Bis heute ist der Spitalwein ein wichtiger Teil im Portfolio dieser sozialen Einrichtung. Der Betrieb ist nach eigenen Angaben Deutschlands älteste noch existierende Stiftungskellerei. Früher hatte der Wein auch eine therapeutische Bedeutung: Kranke erhielten den einen oder anderen Schoppen Rotwein, um sie wieder auf die Beine zu bringen.
Münster (epd). Kurz vor der Bundestagwahl haben die Alexianer eine Kampagne für Werte wie Respekt, Solidarität, Vielfalt und Toleranz gestartet. Unter dem Motto „Du hast die Wahl“ werde mit Anzeigen in Zeitungen und bei Social Media betont, dass „christliche Träger für Kontinuität und Haltung, für einen respektvollen Umgang miteinander und mit unseren Patientinnen und Patienten, Bewohnerinnen und Bewohnern, Klientinnen und Klienten stehen“, heißt es in der Mitteilung vom 14. Februar.
„Als eines der größten konfessionellen Unternehmen der Gesundheits- und Sozialbranche mit über 33.000 Mitarbeitenden liegt es in unserer DNA, Toleranz und christliche Werte zu leben - und ihre Wichtigkeit ob der aktuellen herausfordernden gesellschaftlichen Debatten zu betonen“, sagte Hartmut Beiker, Vorsitzender des Stiftungskuratoriums der Alexianerbrüder.
Er beklagte, dass der Ton in der Gesellschaft immer schärfer werde, und die Akzeptanz für Menschen mit Beeinträchtigungen, Migrationshintergrund oder anderen Minderheiten abnehme. Zum Teil werde sie im Wahlkampf sogar ganz infrage gestellt. Dagegen wende sich der Sozialträger mit aller Entschiedenheit. Mit unterschiedlichen Motiven soll gezeigt, dass die Entscheidung für menschliches und tolerantes Handeln bei jedem Einzelnen liege, hieß es.
„Die Abkehr von den christlichen Werten führt zu einer immer kälter werdenden Gesellschaft - einer Gesellschaft, die nicht unserem Verständnis eines Miteinanders entspricht“, sagte Christian von Klitzing, Sprecher der Hauptgeschäftsführung der Alexianer GmbH. Die Kampagne sei für das gesamte Jahr 2025 angelegt, an allen Alexianer-Standorten sollen die Mitarbeitenden, Bewohner, Patientinnen und Besucher mit einbezogen werden.
Die Alexianer-Gruppe ist bundesweit in fünf Verbünden, acht Bistümern und sechs Bundesländern tätig. Als gemeinsames Dach der Unternehmensgruppe arbeitet die Alexianer GmbH im Auftrag der Stiftung der Alexianerbrüder, die als Träger und Gesellschafter das Erbe der 800 Jahre alten Ordensgemeinschaft der Alexianerbrüder und anderer Ordensgemeinschaften bewahrt. 2023 erwirtschaftete die Gruppe einen Umsatz von rund zwei Milliarden Euro.
Berlin (epd). Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge hat ein neues Themenheft veröffentlicht, das dem Bürgergeld gewidmet ist. „Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Bürgergeld-Gesetzes am 1. Januar 2023 stehen die Neuregelungen noch immer im Fokus der öffentlichen Diskussion“, heißt es in einer Mitteilung. Das neue Themenheft „Zwei Jahre Bürgergeld in der Praxis“ frage nach konkreten Erfahrungen mit der Umsetzung der Hartz-IV-Nachfolgeregelung.
Mit dem Bürgergeld-Gesetz war eine grundlegende Reform der Grundsicherung für Arbeitsuchende angestrebt. „Im Themenheft berichten Beteiligte aus der Praxis über Erfahrungen mit Kooperationsplan, Schlichtungsverfahren, ganzheitlicher Betreuung, Karenzzeit bei den Kosten der Unterkunft, Förderung der beruflichen Weiterbildung und Leistungsminderungen.“ Auf dieser Grundlage werde erörtert, ob die Ziele erreicht wurden und welche weiteren Reformen erforderlich seien, so der Verein.
„Die Publikation soll eine sachliche Auseinandersetzung mit der Kritik am Bürgergeld ermöglichen, auch im Hinblick auf die Höhe der Regelbedarfe und Regelungen zur Leistungsminderung“, erläuterte Verena Staats, Vorständin des Deutschen Vereins.
Für Fachkräfte bietet der Deutsche Verein zudem eine Veranstaltung im Juni in Hannover an: „Aktuelle Fragen des Bürgergeldes, der Grundsicherung für Arbeitsuchende“. Informationen dazu fänden sich auf der Homepage des Vereins unter „Veranstaltungen“.
Frankfurt a.M. (epd). Der Internationale Bund sieht seine eigenen Freiwilligendienste organisatorisch und inhaltlich gut aufgestellt. Das habe jetzt eine Untersuchung durch die unabhängige Qualitäts-Agentur Quifd belegt, heißt es in einer Mitteilung: „Hohe Professionalität, individuelle Beratung, fachliche Anleitung, gute Organisation“ zeichneten die IB-Dienste aus. Der Träger erfülle die Standards fast alle optimal, so das Urteil.
Zu den überprüften Kriterien zählten unter anderem das Verfahren zur Auswahl von Freiwilligen, die individuelle Begleitung, die fachliche Anleitung, der Versicherungsschutz oder die Erreichbarkeit der Ansprechpersonen vor Ort. Teil der Überprüfung waren den Angaben nach auch Gespräche mit jungen Menschen, die bereits einen Freiwilligendienst beim IB geleistet haben. Insgesamt vergaben die Autorinnen und Autoren des Gutachtens 2,98 von möglichen 3 Punkten.
Gelobt wurde zudem der positive Umgang mit dem Thema „Diversität“ sowie das Schulungsprogramm. Die Voraussetzungen für die Wiedervergabe des Quifd-Qualitätssiegels für Freiwilligendienste seien somit gegeben, hieß es. Dadurch verfügt der IB bis Ende Mai 2027 über diese Auszeichnung.
„Wir freuen uns sehr über das positive Ergebnis, denn es zeigt klar, dass Absolventen eines Freiwilligendienstes beim IB in guten Händen sind“, sagte Präsidentin Petra Merkel. Gleichzeitig sei ein solches Engagement eine gute Gelegenheit für junge Menschen, Erfahrungen zu sammeln und sich beruflich zu orientieren. „Umso unverständlicher ist, dass bei der Förderung von FSJ, BFD und FÖJ gespart werden soll“, monierte Merkel.
Der Internationale Bund (IB) ist nach eigenen Angaben mit mehr als 14.000 Mitarbeitenden einer der großen Dienstleister in der Jugend-, Sozial- und Bildungsarbeit in Deutschland.
Celle (epd). Arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung in einem neuen Arbeitsverhältnis mindestens einen Monat gearbeitet haben. Konnten sie nach dem Unterschreiben ihres Arbeitsvertrags krankheitsbedingt ihre Arbeit nicht antreten und wurde ihnen noch in der Probezeit gekündigt, kann ihnen auch das Krankengeld versagt werden, stellte das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem am 10. Februar bekanntgegebenen Urteil klar.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen müssen Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit eines erkrankten Arbeitnehmers sechs Wochen lang Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten. Danach erhält der erkrankte Arbeitnehmer innerhalb von drei Jahren bis zu 72 Wochen Krankengeld von seiner Krankenkasse. Bei neuen Arbeitsverhältnissen besteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung erst nach einer Wartezeit von vier Wochen. Während der Wartezeit kann ein Krankengeldanspruch bestehen. Voraussetzung ist, dass der betroffene Arbeitnehmer keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall hat.
Im konkreten Fall hatte der 36-jährige arbeitslose Kläger aus dem Landkreis Cuxhaven vor Auslaufen seines Arbeitslosengelds Ende Oktober 2023 eine neue Stelle als Lagerist in einem Reinigungsunternehmen gefunden. Den Arbeitsvertrag unterschrieb er noch im Oktober. Zum Arbeitsantritt ab November kam es wegen einer Erkrankung nicht.
Der Arbeitgeber kündigte dem Mann zwei Wochen später innerhalb der Probezeit. Er wurde nicht zur Sozialversicherung angemeldet. Da die vierwöchige Wartezeit nicht erfüllt war, erhielt er von seinem Arbeitgeber auch keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auch die Krankenkasse lehnte die Zahlung von Krankengeld an den Mann ab. Er habe kein Einkommen erzielt, so dass auch kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe.
Der Kläger forderte seinen Arbeitgeber auf, ihn ab dem Zeitpunkt, an dem er seinen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, zur Sozialversicherung anzumelden. Damit wollte er seinen Krankengeldanspruch sichern. Durch den Arbeitsvertrag sei ein Beschäftigungsverhältnis begründet worden. Dies müsse auch dann gelten, wenn er krankheitsbedingt an der Arbeitsaufnahme gehindert sei.
Das LSG urteilte aber, dass allein die Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag noch kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründe. Erst wenn das Arbeitsverhältnis ununterbrochen vier Wochen bestanden habe und der Arbeitnehmer Arbeitsentgelt erzielt habe, bestehe ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Erst dann müsse der Arbeitgeber den Kläger zur Sozialversicherung anmelden.
Auch Krankengeld konnte er mit seiner Klage nicht durchsetzen. Zum einen hätte er hierfür seine Krankenkasse und nicht seinen Arbeitgeber verklagen müssen. Zum anderen könne es nach dem Gesetz während der vierwöchigen Wartezeit kein Krankengeld geben, wenn der Arbeitnehmer anderweitig für den Krankheitsfall abgesichert sei. Dies sei hier der Fall, da der Kläger über seine Ehefrau familienversichert gewesen sei. Dies schließe einen Krankengeldanspruch aus.
Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. November 2023 geht ein Krankengeldanspruch jedoch nicht verloren, wenn der krankschreibende Vertragsarzt die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten der Krankenkasse zu spät mitgeteilt hat. Die Meldung an die Krankenkassen ist seit 2021 eine Pflicht des Vertragsarztes und nicht mehr des Versicherten. Eine verspätete Meldung könne daher nicht dem Versicherten angelastet werden.
Besteht ein Krankengeldanspruch, können Versicherte 70 Prozent des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts erhalten. Zuvor geleistete Überstunden wirken sich aber nicht generell erhöhend auf das Krankengeld aus, urteilte das LSG Baden-Württemberg am 5. September 2018. Überstunden könnten nur dann erhöhend berücksichtigt werden, wenn sie regelmäßig anfallen. Die Mehrarbeit für die Einarbeitung eines Arbeitnehmers zähle dagegen nicht mit, da sie nicht regelmäßig anfalle, so die Stuttgarter Richter.
Versicherte haben auch Anspruch auf Krankengeld, wenn sie wegen der Erkrankung ihres unter zwölf Jahre alten Kindes nicht arbeiten können. Der Anspruch auf dieses Kinderkrankengeld besteht für zehn Tage im Jahr, bei Alleinerziehenden für 20 Tage. Voraussetzung ist, dass das Kind im Haushalt des Versicherten lebt, stellte das Sozialgericht Neuruppin in einem Gerichtsbescheid vom 18. November 2020 klar. Sind die Eltern getrennt und springe ein Vater bei der Betreuung des bei der Mutter lebenden erkrankten Kindes ein, könne dieser kein Krankengeld beanspruchen.
Az.: L 16 KR 61/24 (Landessozialgericht Celle)
Az.: B 3 KR 23/22 R (Bundessozialgericht)
Az.: 5 KR 4242/17 (Landessozialgericht Stuttgart)
Az.: S 20 KR 244/19 (Sozialgericht Neuruppin)
Karlsruhe (epd). Tarifparteien können für Schichtarbeiter im Nachtdienst geringere Zuschläge vorsehen als für andere Spätbeschäftigte, die nicht in Schichten arbeiten. Auch wenn das eine Ungleichbehandlung darstellt, ist solch eine tarifliche Regelung von der im Grundgesetz geschützten Koalitionsfreiheit gedeckt und gehört zum Gestaltungsspielraum der Tarifparteien, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am 19. Februar veröffentlichten Beschluss. Die Karlsruher Richter hoben zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts (BAG) auf und verwiesen die Verfahren an die obersten Arbeitsrichter zurück.
Konkret ging es um unterschiedliche tarifliche Nachtarbeitszuschläge für Beschäftigte in Brauereien in Norddeutschland und für Arbeitnehmer der Lebensmittelindustrie in Nordrhein-Westfalen. Die Manteltarifverträge sahen für Schichtarbeiter, die regelmäßig nachts eingesetzt werden, einen Zuschlag von 25 Prozent vor. Zudem gab es Schichtfreizeiten und bezahlte Pausen. Nicht in Schichtarbeit tätige Beschäftigte erhielten laut Tarifvertrag dagegen einen 50-prozentigen Zuschlag. Die klagenden, in Wechselschicht eingesetzten Arbeitnehmer sahen in ihrem geringeren Zuschlag eine Ungleichbehandlung.
Das Bundesarbeitsgericht gab ihnen recht. Es sei nicht ersichtlich, warum Nachtschichtarbeiter weniger erhalten als Arbeitnehmer, die lediglich unregelmäßig nachts arbeiten. Die Kläger könnten eine Anpassung nach oben, also Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 50 Prozent sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft verlangen.
Das Bundesverfassungsgericht hob die BAG-Urteile jetzt jedoch auf und verwies die Verfahren zurück. Die Verfassungsbeschwerden der beiden betroffenen Arbeitgeberinnen seien begründet, ihre im Grundgesetz geschützte Koalitionsfreiheit wurde verletzt. Die unterschiedlichen Zuschläge für Nachtarbeit seien vom Gestaltungsspielraum der Tarifparteien gedeckt. Zwischen Nachtarbeit und regelmäßiger Nachtschichtarbeit bestünden unterschiedliche soziale Belastungen. Die planbare Nachtschichtarbeit stelle einen sachlichen Grund für niedrigere Nachtarbeitszuschläge dar, befand das Gericht.
Zu Unrecht habe das BAG auch eine Anpassung der Zuschläge für Nachtschichtarbeit „nach oben“ bestimmt. Das, so Karlsruhe, gehe nicht auf einen Willen der Tarifvertragsparteien zurück. Würde eine Gleichheitswidrigkeit unterstellt, hätte das BAG zunächst den Tarifvertragsparteien Gelegenheit zu erneuten Verhandlungen und zur Korrektur der beanstandeten Regelung geben müssen, hieß es zur Begründung.
Az.: 1 BvR 1109/21 und 1 BvR 1422/23
Erfurt (epd). Das Erreichen vorgegebener Ziele bei der Arbeit muss sich lohnen. Hängt die Höhe der Vergütung teilweise vom Einhalten unternehmerischer Ziele und von der zuvor festgelegten Leistung eines Mitarbeiters ab, muss der Arbeitgeber die jährlich angepassten Zielvorgaben auch rechtzeitig mitteilen, urteilte am Mittwoch das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt (AZ: 10 AZR 57/24). Andernfalls könne dem Arbeitnehmer Schadensersatz für die entgangene Vergütung zustehen.
Der Kläger war in einem Unternehmen im Raum Köln beschäftigt und hatte Führungsverantwortung. Im Arbeitsvertrag war neben einem Bruttofixgehalt auch eine variable Vergütung vereinbart. Deren Höhe richtete sich danach, ob die jährlich festgesetzten Unternehmensziele erreicht wurden und ob der Mitarbeiter die Leistungsvorgaben, also seine individuellen Ziele, erfüllte. Die Vergütung hing zu 70 Prozent von Unternehmenszielen und zu 30 Prozent von individuellen Zielen ab.
Im Jahr 2019 wurden dem Kläger erst Mitte Oktober konkrete Zahlen über die zu erreichenden Unternehmensziele mitgeteilt. Eine Vorgabe über die vom Kläger zu erreichenden individuellen Ziele erfolgte nicht. Wegen dieser verspäteten Mitteilung verlangte der Arbeitnehmer einen Schadensersatz von mehr als 16.000 Euro für eine entgangene variable Vergütung. Es sei davon auszugehen, dass er rechtzeitig mitgeteilte Ziele auch erreicht hätte.
Dem folgte das BAG. Der Arbeitgeber habe schuldhaft seine arbeitsvertragliche Verpflichtung verletzt, rechtzeitig Zielvorgaben bekanntzugeben. Mit Zielvorgaben des Arbeitgebers sollten Arbeitnehmer besonders motiviert werden. Die Motivations- und Anreizfunktion werde aber nicht erfüllt, wenn der Arbeitgeber die Zielvorgaben gar nicht oder zu spät mitteilt. Auch die Berechnung der Schadensersatzhöhe sei nicht zu beanstanden.
Lüneburg (epd). Bei nachgewiesener Zuvielarbeit können Lehrkräfte einen finanziellen Ausgleich beanspruchen. Ohne ausreichende und lückenlose Belege über die geleistete Arbeitszeit gibt es aber nichts, urteilte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) am 11. Februar. Die Lüneburger Richter sprachen damit einem früheren Grundschulrektor einen finanziellen Ausgleich von rund 31.000 Euro zu, wiesen die Klage einer ehemaligen Grundschulrektorin dagegen „mangels entsprechender Aufzeichnungen“ über Zuvielarbeit ab.
Der frühere Grundschulrektor hatte an der „Niedersächsischen Arbeitszeitstudie Lehrkräfte an öffentlichen Schulen 2015/2016“ teilgenommen. Die Studie kam zu einem eindeutigen Ergebnis. Der Rektor hatte wöchentlich durchschnittlich mehr als acht Stunden Zuvielarbeit geleistet.
Ein vom Niedersächsischen Kultusministerium eingesetztes Expertengremium Arbeitszeitanalyse hatte die Studiendaten als valide und repräsentativ bewertet und für den Grundschulbereich eine strukturelle Mehrarbeit angenommen. Der Grundschulrektor hatte zudem mit eigenen Aufzeichnungen seine Mehrarbeit belegt.
Das OVG urteilte daraufhin, dass der Pädagoge von November 2017 bis einschließlich Juli 2022 Zuvielarbeit geleistet hat. Die individuelle wöchentliche Mehrarbeit bezifferte das Gericht auf fünf Stunden und 48 Minuten, für die der Rektor einen finanziellen Ausgleich von rund 31.000 Euro verlangen könne.
Der Kläger hatte zwar acht Stunden und 48 Minuten als wöchentliche Mehrarbeit geltend gemacht. Dies geht aber laut OVG aber teilweise auf Organisationsdefizite oder ein „überobligatorisches Engagement“ des Rektors zurück. Das Kultusministerium habe sich die Ergebnisse des Expertengremiums über die Mehrarbeit auch zu eigen gemacht, wirksame Entlastungsmaßnahmen für den Grundschulrektor aber nicht veranlasst, stellte das OVG weiter fest.
Az.: 5 L C 193/20 und 5 LC 4/21
Frankfurt a.M. (epd). Eine Klinik darf die Herausgabe tiefgefrorenen Spermas eines Verstorbenen an die Witwe für eine künstliche Befruchtung in Spanien nicht verweigern. Habe der Mann zu Lebzeiten der postmortalen Verwendung seines Samens zugestimmt, sei das Embryonenschutzgesetz, welches eine künstliche Befruchtung verbietet, nur einschränkend auszulegen, entschied das Landgericht Frankfurt am Main in einem am 14. Februar bekanntgegebenen, noch nicht rechtskräftigen Beschluss. Die Klinikmitarbeiter müssten auch keine strafrechtliche Verfolgung fürchten, wenn sie das Keimmaterial herausgeben.
Damit kann eine Witwe mit dem kryokonservierten Samen ihres verstorbenen Mannes in einer spanischen Klinik eine künstliche Befruchtung in Form einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) durchführen lassen. Ihr Ehemann hatte zu Lebzeiten sein Sperma in einem deutschen Krankenhaus für eine spätere künstliche Befruchtung einfrieren lassen. Als die Frau nach dem Tod ihres Mannes die Herausgabe des tiefgefrorenen Samens verlangte, wies die Klinik sie mit Verweis auf das Embryonenschutzgesetz ab. Das Gesetz verbiete es, eine künstliche Befruchtung mit dem Samen eines verstorbenen Mannes durchzuführen. Freiheits- oder Geldstrafe drohten. Die Klinikmitarbeiter könnten sich durch die Herausgabe des kryokonservierten Spermas der Beihilfe schuldig machen.
Doch das Landgericht erklärte, dass der Mann in der postmortalen Verwendung seines Spermas eingewilligt habe. Er könne sich auf sein Grundrecht auf reproduktive Autonomie berufen, sprich: Er müsse selbstbestimmt über seine Fortpflanzung bestimmen können. Das Embryonenschutzgesetz, welches die Befruchtung einer Eizelle mit dem Samen eines Verstorbenen verbietet, müsse daher einschränkend ausgelegt werden.
Mit der Herausgabe des kryokonservierten Samens ermöglichten die Klinikmitarbeiter die „verfassungsrechtlich besonders geschützte Selbstbestimmung“. Sie hätten daher auch keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten. Grundrechte des noch nicht gezeugten Kinds oder eine spätere Kindswohlgefährdung seien nicht ersichtlich. Die beabsichtigte künstliche Befruchtung mit dem Samen eines Verstorbenen sei in Spanien zudem erlaubt
Az.: 2-04 O 29/25
Siegburg (epd). Ein gekündigter Jugendamtsmitarbeiter muss in seinem Arbeitszeugnis den Hinweis über ein gegen ihn laufendes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornos hinnehmen. Zwar dürften regelmäßig noch nicht abgeschlossene Ermittlungsverfahren wegen der geltenden Unschuldsvermutung nicht in ein Arbeitszeugnis aufgenommen werden, stellte das Arbeitsgericht Siegburg in einem am 6. Februar bekanntgegebenen Urteil klar. In strengen Ausnahmefällen - wie etwa beim Schutz von Kindern - sei der Arbeitgeber aber verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren im Zeugnis zu erwähnen.
Der Kläger war seit mehr als vier Jahren als Sozialarbeiter in einem Jugendamt beschäftigt. Dabei war er unter anderem für Kinderschutzmaßnahmen zuständig. Doch dann ermittelte die Polizei gegen den Mann wegen des Verdachts auf Besitz von Kinderpornos. Auf seinem beschlagnahmten Diensthandy fand sich kinderpornografisches Material. Im Polizeibericht wurde empfohlen, dem Kläger jeglichen Zugriff auf Kinder und Jugendliche zu verweigern.
Die für das Jugendamt zuständige Stadt kündigte noch während des laufenden Ermittlungsverfahrens das Arbeitsverhältnis. Im Arbeitszeugnis erwähnte sie ausdrücklich den Vorwurf der Kriminalpolizei. Der Sozialarbeiter klagte auf Streichung des Zeugniseintrags, da er sonst nur schwer einen neuen Job finde. Das Ermittlungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Für ihn müsse die Unschuldsvermutung gelten.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Arbeitszeugnisse müssten zwar wohlwollend formuliert sein. Der Schutz von Kindern gehe vor, zumal der Kläger im Prozess den Besitz kinderpornografischer Fotos auf dem Diensthandy nicht bestritten habe. Das Zeugnis entspreche daher dem „Gebot der Zeugniswahrheit“. Gegen das Urteil kann Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt werden.
Az.: 5 Ca 1465/24
Wetter (epd). Hans Adolf Burbach, vereidigter Buchprüfer und Steuerberater aus Hagen, ist neuer Vorsitzender des Stiftungsrats der Evangelischen Stiftung Volmarstein. Er übernimmt das Amt von Hans-Peter Rapp-Frick, der satzungsgemäß altersbedingt ausscheidet.
Bereits seit 2003 begleitet Burbach die Geschicke der Stiftung. Im Jahr 2006 wurde er in den Stiftungsrat gewählt, 2012 übernahm er das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums. Das Rad müsse „nicht neu erfunden werden“, sagte der neue Vorsitzende, „es muss sich weiterdrehen“. Die Stiftung verfüge mit den Mitarbeitenden und dem breiten Leistungsangebot über eine gute Basis, um „mit Zuversicht die anstehenden Aufgaben anzugehen und zu lösen“.
Der Stiftungsrat und Vorstand Markus Bachmann dankten Rapp-Frick für dessen langjähriges Engagement. Rapp-Frick habe die Entwicklung über viele Jahre mit „seinem enormen Fachwissen und seiner Erfahrung“ gelenkt, sagte Bachmann. Seit 1999 war der ehemalige Hauptgeschäftsführer der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer Mitglied des Stiftungsrats, ab 2012 der Vorsitzende des Gremiums.
Die 1904 gegründete Evangelische Stiftung Volmarstein in Wetter an der Ruhr ist eine Einrichtung der diakonischen Behinderten-, Kranken- und Seniorenhilfe. Mehr als 4.400 Menschen arbeiten unter dem Dach der Stiftung.
Lisa Maria Niemeyer ist zur neuen Direktorin der Maßregelvollzugsklinik Schloss Haldem des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe gewählt worden. Am 1. Juni folgt sie auf Ingbert Ringlake, der aus Altersgründen seine Aufgaben abgibt. Ringlake ist bislang in Personalunion auch Ärztlicher Direktor des Therapiezentrums für Forensische Psychiatrie Münsterland. Seine Nachfolge auf dieser Position ist bislang noch nicht geregelt. Niemeyer ist seit 2022 als stellvertretende Therapeutische Direktorin in Schloss Haldem tätig. Die 34-Jährige ist zusätzlich Fachpsychologin für Rechtspsychologie. Ihr Ziel sei es, sagte sie, „eine hochwertige forensisch-suchttherapeutische Behandlung nach aktuellen Standards in einem Setting anzubieten, in dem sich die untergebrachten Personen bestmöglich entwickeln und in dem Kolleginnen und Kollegen gerne arbeiten“.
Artur Müller-Wewel wird neuer Vizepräsident im Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV) in Rheinland-Pfalz. Er ist dort dann auch Zentralabteilungsleiter. Der promovierte Jurist und frühere Richter war zuletzt im Landesgesundheitsministerium tätig und folgt auf Michael Scharping, der aus Altersgründen zum Ende des vergangenen Jahres ausschied. Das LSJV ist die größte Sozialbehörde des Landes und an vier Standorten vertreten. Es nimmt vielfältige Aufgaben im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, der Inklusion von Menschen mit Behinderungen, der gesundheitlichen Versorgung, der sozialen Hilfe und Entschädigung sowie der Pflege älterer Menschen wahr.
Eva-Maria Kopte ist neue Pädagogische Vorständin der Schulstiftung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO). Die 44-Jährige übernimmt das Amt von Frank Olie, der sich in den Ruhestand verabschiedet. Bislang leitete die Pädagogin den Bildungsbereich Ost der Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Kopte wird zusammen mit der Kaufmännischen Vorständin Christina Lier die Spitze der Stiftung bilden.
Andreas Barthold ist nach 36 Jahren im Dienst der Alexianer in den Ruhestand verabschiedet worden. 18 Jahre lang war er Mitglied der Geschäftsführung. Christian von Klitzing, der als Sprecher der Hauptgeschäftsführung die Nachfolge von Barthold angetreten hat, würdigte ihn als „Alexianer mit Sinn für Humor, der stets nah an den Menschen war und das Unternehmen mit seiner Weitsicht nachhaltig geprägt hat“. Der Diplom-Kaufmann und Diplom-Gesundheitswissenschaftler ist seit 1989 bei den Alexianern in verschiedenen leitenden Funktionen innerhalb der Gruppe tätig gewesen. Seit 2000 war er Teil der Geschäftsführung der Trägergesellschaft des Alexianer-Verbunds. Barthold verantwortete die Bereiche Finanzen und Betriebswirtschaft sowie in der Hauptgeschäftsführung die Bereiche christliche Ethik, Leitbild und Spiritualität.
Rainer Norden ist von den v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel den Ruhestand verabschiedet worden. Der heute 68-Jährige habe die Entwicklung Bethels geprägt, erklärte Bethel in Bielefeld. Norden war unter anderem Finanzvorstand und Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der v. Bodelschwinghschen Stiftungen sowie Aufsichtsratsvorsitzender des heutigen Evangelischen Klinikums Bethel. Der Ökonom begann 1996 als Leiter der Stabsstelle Controlling in Bethel. Seit 2010 war er Mitglied im Gesamtvorstand Bethels, seit 2017 war er zudem Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden Ulrich Pohl. 2012 wurde Norden Geschäftsführer des heutigen Evangelischen Klinikums Bethels. 2019 wurde er dort Aufsichtsratsvorsitzender. Nachfolger Nordens als Finanzvorstand ist der Wirtschaftswissenschaftler Christoph Nolting. Norden appellierte zu seinem Abschied an die Politik, dem immer nur behaupteten Bürokratieabbau endlich Taten folgen zu lassen.
März
10.-12.3.:
Online-Seminar „Beratungsresistent - Lösungsorientiert handeln unter schwierigen Bedingungen“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1706
11.3.:
Online-Seminar „Gewaltprävention und Selbstwirksamkeit“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/27582-8227
11.3.:
Online-Seminar „Wichtige Sozialleistungen - Kurzüberblick und Kombinationsfähigkeiten“
der Paritätischen Akademie Süd
Tel.: 01577/7692794
12.3.:
Online-Seminar „Sozialdatenschutz in der Kinder- und Jugendhilfe“
der Paritätischen Akademie Berlin
Tel.: 030/27582-8227
14.-15.3. Erfurt:
Seminar „Zivilgesellschaftliche Netzwerke partizipativ und erfolgreich starten“
Tel.: 0228/60424-17
18.-20.3. Berlin:
Fortbildung „Beteiligungsorientierte und diskriminierungssensible Arbeit im Quartier“
der Akademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 0172/2883106
19.3. Köln:
Seminar „Vergütungssatzverhandlungen in der Eingliederungshilfe - Vorbereitung, Strategie und Verhandlungsführung“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-519
19.-20.3.:
Online-Schulung „Dienstplangestaltung nach den AVR“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/36825-15
20.3.:
Online-Fortbildung „Das EU-Beihilfenrecht und die sozialen Dienstleistungen“
des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge
Tel.: 030/62980-424
April
1.-3.4. Freiburg:
Fortbildung „Betriebswirtschaft in der Caritas: BWL Grundlagen für Verantwortliche ohne kaufmännische Ausbildung“
der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes
Tel.: 0761/200-1700
2.-3.4. Fulda:
Workshop „Verbale Deeskalation“
der Akademie für Kirche und Diakonie
Tel.: 03361/710-943
3.4. Köln:
Seminar „Controlling in der stationären Altenhilfe - Planung, Reporting und Analyse“
der Unternehmensberatung Solidaris
Tel.: 02203/8997-519