sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Markus Jantzer
epd-bild/Heike Lyding

viele Kindertagesstätten können ihren Bildungsauftrag nicht mehr erfüllen. Wegen Personalmangels reduzieren sie die Öffnungszeiten oder machen mit den Kindern keine Ausflüge mehr. „Wenn jemand krank wird, dann muss jemand anderes oft seinen Urlaub verschieben“, schildert Jutta Vongries, die Leiterin des Kinderhauses Matthäus in Frankfurt am Main, die dramatische Personallage in der Kita. Spätestens 2010 sei der jetzige Fachkräftemangel absehbar gewesen, erklärt ver.di-Gewerkschafterin Elke Alsago genervt. Die Politik habe darauf schlicht nicht reagiert.

Der Gesundheitsminister spricht von einer „Revolution“, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft von „Absichtserklärungen und Prüfaufträgen“. Beide meinen die Eckpunkte für eine Krankenhausreform, auf die sich nun Bund und Länder geeinigt haben. Im Kern geht es darum, die Vergütungspauschalen pro Behandlungsfall durch Vorhaltepauschalen für die Krankenhauskosten abzulösen. Noch ist vieles unklar, aber Karl Lauterbach hat ehrgeizige Pläne - und die Klinikvertreter haben große Sorgen.

Die Evangelische Heimstiftung will einen sogenannten sozialen Roboter in ihren Häusern einsetzen. Er ist 72 Zentimeter hoch, hat niedliche blaue Augen und heißt Navel. Seine Aufgabe ist es, die Seniorinnen und Senioren anzusprechen, sie zu fragen, wie es ihnen geht, was sie heute vorhaben oder auch was die Enkel so machen. Navel soll „den Menschen in unseren Heimen Gesellschaft leisten“, erläutert Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider. Das Pilotprojekt mit zwei insgesamt 57.000 Euro teuren Robotern soll noch in diesem Sommer starten.

Das Bundessozialgericht hat den Anspruch auf Kostenübernahme für nicht zugelassene Arzneimittel für die Behandlung tödlicher Erkrankungen begrenzt. Soll das Medikament außerhalb seiner Zulassung eingesetzt werden und war zuvor das angestrengte Zulassungsverfahren vor der Europäischen Arzneimittelagentur erfolglos, müssen die Krankenkassen die Behandlung mit der Arznei nicht bezahlen. Dies gelte auch, wenn es sonst keine Behandlungsmöglichkeit gebe.

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Ihr Markus Jantzer




sozial-Politik

Familie

Weil Erzieherinnen fehlen, müssen Kinder zu Hause bleiben




Jutta Vongries leitet das Kinderhaus Matthäus in Frankfurt am Main.
epd-bild/Heike Lyding
Erwerbstätige Eltern sind auf funktionierende Kitas dringend angewiesen. Der Fachkräftemangel ist aber mittlerweile so dramatisch, dass deren Betrieb immer schwieriger wird. Das Problem war schon lange absehbar, aber die Politik reagierte nicht.

Frankfurt a. M. (epd). Wenn eine Mitarbeiterin kündigt, dann bittet Jutta Vongries sie schon mal, noch bis zu den Sommerferien zu bleiben. Dann habe sie die Möglichkeit, den Betreuungsschlüssel in ihrer Kita stabil zu halten und nach den Ferien, falls sie keinen Ersatz findet, weniger Kinder aufzunehmen.

Vongries ist Leiterin des Kinderhauses Matthäus in Frankfurt am Main, das von der Diakonie getragen wird. Zwei von 21 Vollzeitstellen seien gerade unbesetzt, berichtet sie. Ab August werde ein neuer Betreuungsschlüssel gelten, dann wären es 3,5 Stellen zu wenig. Aktuell könne sie nur 117 von 136 Betreuungsplätzen besetzen. Dabei habe sie noch Glück, weil zwei Kolleginnen, die eigentlich schon in Rente seien, noch so viel Spaß am Job hätten, dass sie weiter im Kinderhaus arbeiteten.

Hohe Fluktuation in Kitas

Probleme, wie Vongries sie beschreibt, haben derzeit viele Kitas. „Weil sich Kolleginnen und Kollegen heute ihren Arbeitsplatz aussuchen können, ist die Fluktuation hoch“, sagt sie. Im Kinderhaus Matthäus besonders. Es liegt im Frankfurter Westend. Beste Lage, viel sanierter Altbau in der Nachbarschaft. Mit einem Erzieherinnengehalt findet hier niemand eine bezahlbare Wohnung. Dementsprechend schwer sei es, Fachkräfte zu finden und zu halten, denn die wollten wohnortnah arbeiten, erklärt die Leiterin.

Abstriche an der Betreuungsqualität wolle sie nicht machen, sagt Vongries. Also müsse sie die Betreuungszeiten kürzen. Morgens telefoniere sie mitunter Eltern ab, ob sie ihre Kinder zu Hause lassen oder früher abholen könnten. Eine ganze Gruppe geschlossen habe sie seit der Corona-Zeit nicht mehr, aber für die Zukunft ausschließen könne sie es nicht.

Und vieles gehe zulasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bedauert Vongries: „Wenn jemand krank wird, dann muss jemand anderes oft auf eine Fortbildung verzichten oder einen Urlaub verschieben.“ Auch sie selbst springe manchmal bei der Betreuung ein, obwohl sie eigentlich als Leiterin komplett freigestellt ist. „Die Verwaltungsarbeit muss dann eben abends gemacht werden“, sagt sie.

Jede zehnte Stelle unbesetzt

Wie dramatisch die Situation in deutschen Kitas ist, zeigt der Fachkräfteradar der Bertelsmann Stiftung. Demzufolge fehlten im vergangenen Jahr rund 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Die Lücke könnte bis 2030 auf 290.000 Fachkräfte steigen.

Laut der Jahresumfrage 2022 des Deutschen Kitaverbands, der Dachorganisation privater Kita-Träger, sind im Schnitt zehn Prozent der Stellen unbesetzt, bei einem Zehntel der Träger sind es sogar 30 Prozent und mehr. Die Kitas reagieren mit einer Einschränkung des Angebots, wie die Umfrage zeigt. Sie machen mit den Kindern weniger Ausflüge, spielen weniger mit ihnen. Mehr als zwei Drittel der Einrichtungen mussten die Öffnungszeiten reduzieren, vier Prozent sogar zeitweise ganz schließen.

„Aktuell werden die Betreuungszeiten überall gekürzt“, erklärt Waltraud Weegmann, Vorsitzende des Verbands. Erwerbstätige Eltern seien auf funktionierende Kitas dringend angewiesen. Beruf und Familie dürften künftig immer schlechter vereinbar sein, befürchtet Weegmann: „Dabei ist Vereinbarkeit kein Luxus, sondern die Basis dafür, familiäre Gleichstellung möglich zu machen und Altersarmut unter Frauen abzubauen.“ Die Kitas seien daher so etwas wie ein Flaschenhals für die gesamte Gesellschaft.

Ausbildungssystem unzureichend

Die Wurzel des Problems liegen laut der Sozialpädagogin Elke Alsago von der Gewerkschaft ver.di schon weit zurück. 1996 habe es erstmals einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gegeben, der seither sukzessive ausgeweitet wurde. „Aber man hat nicht parallel dazu das Ausbildungssystem für Fachkräfte ausgebaut“, sagt sie. Die Politik sei davon ausgegangen, dass ohnehin gar nicht so viele Eltern Betreuungsplätze für ihre Kinder haben wollten.

Spätestens 2010 sei der jetzige akute Fachkräftemangel absehbar gewesen, sagt Alsago. Reaktionen seit damals: keine.

Alsago kritisiert das Ausbildungssystem als unzureichend. Es fehlten nicht nur Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch Lehrkräfte, die sie ausbilden könnten. Die Gewerkschaft ver.di fordert daher einen Ausbau von Fachschulen und Universitäten.

Wenn jetzt gehandelt werde, könnte sich die Lage in 15 Jahren stabilisiert haben, schätzt Alsago. „Ich sehe aktuell aber keine Bemühungen“, bemerkt sie.

Nils Sandrisser


Familie

Für Kleinkinder und Grundschulkinder fehlen Betreuungsplätze



Berlin (epd). Die Nachfrage nach Plätzen zur Kinderbetreuung übersteigt weiterhin das Angebot. Gleichzeitig besuchen in Deutschland so viele Kinder eine Kindertagesstätte wie nie zuvor. Wie das Bundesfamilienministerium am 13. Juli in Berlin mitteilte, gingen im vergangenen Jahr 92 Prozent der Kinder über drei Jahren bis zur Einschulung in eine Kita. Bei den unter Dreijährigen betrug die Betreuungsquote zum Stichtag am 1. März 35,5 Prozent.

Während es für drei- bis sechsjährige Kinder genug Plätze gibt, haben Eltern von Kleinkindern und von Grundschulkindern weiterhin Betreuungsprobleme. Wie aus den Daten hervorgeht, sucht fast jedes zweite Elternpaar eines unter dreijährigen Kindes einen Betreuungsplatz. Aber nur gut ein Drittel der Familien findet auch einen, obwohl es seit zehn Jahren einen Rechtsanspruch auf Betreuung für unter Dreijährige gibt.

Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung

Für Kinder im Grundschulalter bräuchten drei Viertel der Eltern einen Hortplatz, es gibt aber nur für gut jedes zweite Kind eine Betreuungsmöglichkeit. Ab dem Schuljahr 2026/27 haben zunächst alle Erstklässler und Erstklässlerinnen einen Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung, in weiteren Schritten auch die Kinder bis zur vierten Klasse.

Im Jahr 2022 stieg die Zahl der betreuten Kinder über drei Jahre noch einmal um 39.000 auf gut 2,65 Millionen Kinder. Bei den unter Dreijährigen hat sich die Betreuungsquote in den letzten 25 Jahren fast verdreifacht.

Aus dem aktuellen Auswertungsbericht zur Qualitätsförderung in Kindertagesstätten geht laut Familienministerium unter anderem hervor, dass sich im Bundesdurchschnitt der Personal-Kind-Schlüssel leicht verbessert hat. Das Bundeskabinett billigte den Bericht, der Auskunft gibt über die Verwendung von Bundesmitteln zur Verbesserung der Betreuungsqualität.



Gesundheit

Krankenhausreform: Bund und Länder einigen sich auf Eckpunkte




DRK-Krankenhaus in Alzey
epd-bild/Kristina Schäfer
Nach monatelangem Ringen haben sich Bundesgesundheitsminister Lauterbach und seine Länderkollegen auf Eckpunkte für eine zentrale Reform geeinigt: In Krankenhäusern sollen künftig Vorhaltepauschalen die bisherigen Fallpauschalen ablösen.

Berlin (epd). Bund und Länder haben sich auf Eckpunkte für eine Krankenhausreform geeinigt. Zentraler Punkt ist ein Ende der umstrittenen Fallpauschalen. Stattdessen bekommen Kliniken Vorhaltepauschalen. Das gemeinsam am 10. Juli in Berlin beschlossene Eckpunktepapier soll als Grundlage für einen Gesetzentwurf dienen, der noch in diesem Sommer erarbeitet werde. „Wir sind voll im Zeitplan. Mit dieser Einigung ist zu erwarten, dass das Gesetz am 1. Januar in Kraft treten kann“, verkündete Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) nannte die Ergebnisse des Bund-Länder-Treffens enttäuschend. Insgesamt fallen die Reaktionen der Fachverbände gemischt aus.

„Existenzgarantie für kleine Kliniken“

Lauterbach betonte, dass nur Kliniken, die die Qualitätskriterien für bestimmte Leistungen auch erfüllen, die Vorhaltepauschalen erhalten: „Die Patienten können sich darauf verlassen, dass die angebotenen Krankenhausbehandlungen auch immer nötig sind und vom Krankenhaus mit der entsprechenden Qualität ausgeführt werden können.“ Außerdem sei die Vorhaltepauschale von 60 Prozent eine Existenzgarantie für kleine Kliniken. So könne eine flächendeckende medizinische Versorgung vor allem auf dem Land gesichert werden - trotz einbrechender Fallzahlen.

Die Einigung mit den Ländern - nur Bayern stimmte dagegen - sieht vor, das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle grundlegend zu ändern. Das soll Krankenhäuser von dem finanziellen Druck befreien, immer mehr Fälle übernehmen zu müssen und teils auch Eingriffe vorzunehmen, für die sie keine große Expertise haben.

Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sollen noch zu definierende Leistungsgruppen der Kliniken sein - also etwa „Kardiologie“. Die Leistungsgruppen sollen einheitliche Qualitätsvorgaben absichern. Ferner sollen die Kliniken einen großen Anteil der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Personal, Technik, Notaufnahmen und anderen Leistungsangeboten bekommen.

Der Bund werde nach der Sommerpause ein Gesetz zur Transparenz vorlegen, kündigte Lauterbach an. Patienten hätten ein Recht darauf zu wissen, welches Krankenhaus welche Leistungen mit welcher Qualität anbiete.

„Absichtserklärungen und Prüfaufträge“

Der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß äußerte scharfe Kritik. „Aus der großen Krankenhausreform, die vollmundig als Revolution angekündigt wurde, wurde nun ein Eckpunktepapier voller Absichtserklärungen und Prüfaufträge“, kommentierte er am 10. Juli in Berlin das Verhandlungsergebnis. Dennoch sei es „gut und richtig, dass man sich auf Eckpunkte für diese Reform geeinigt hat, denn wir brauchen diese Reform dringend“, erklärte der Klinikvertreter.

Gaß vermisst einen „geordneten Transformationsprozess“. Dafür wäre es „dringend erforderlich gewesen, klarzustellen, welche Mittel für den Umbau der Krankenhauslandschaft bereitgestellt werden. Dort, wo Krankenhausstandorte geschlossen werden sollen, müssen an anderen Stellen Krankenhäuser erweitert oder neu gebaut werden“, sagte der DKG-Chef.

Bernadette Rümmelin, Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbandes Deutschland (KKVD) nannte es einen „richtigen Ansatz“, das Vorhalten notwendiger Strukturen unabhängig von den Fallzahlen zu finanzieren. Doch das Problem der chronischen Unterfinanzierung in den Kliniken lösten die Eckpunkte mit ihrem Vorgehen nicht. „Es reicht nicht aus, die derzeitigen Erlöse der Krankenhäuser einfach umzuverteilen“, sagte Rümmelin.

„Rechnung mit vielen Unbekannten“

Außerdem forderte die Geschäftsführerin des KKVD vom Bund, den Kliniken jetzt schnell mit Finanzhilfen unter die Arme greifen. „Tut er das nicht, sind insbesondere freigemeinnützige Krankenhäuser gefährdet“, warnte sie.

Diakonie-Präsident Ulrich Lilie sieht in der Krankenhausreform eine Chance. Sie sollte genutzt werden für eine sektorenübergreifende Versorgungsplanung in den Regionen sowie eine stärker multiprofessionell ausgerichtete Primärversorgung.

Der GKV-Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) erklärte: "Für die Patientinnen und Patienten ist es ein Erfolg, dass auf Basis von Leistungsgruppen künftig bundeseinheitliche Qualitätsanforderungen gelten werden. Unklar bleibe aber die Finanzwirkung der Eckpunkte, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband.

Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund sieht in der geplanten Krankenhausreform „eine Rechnung mit vielen Unbekannten“. Deshalb sei „die in Aussicht gestellte laufende kritische Überprüfung des Reformprozesses “absolut essenziell", sagte die Bundesvorsitzende Susanne Johna. Sie begrüße daher die Ankündigung von Bund und Ländern, rechtzeitig vor Fertigstellung des Referentenentwurfes eine belastbare Auswirkungsanalyse und Folgenabschätzung vorzulegen.

Die Pflegeverbände kritisieren, dass in den Eckpunkten der Stellenwert der professionellen Pflege ignoriert werde. „Wir fordern Minister Lauterbach auf, sein Versprechen zu halten und den Verantwortungsbereich für Pflegefachpersonen auszuweiten“, erklärte die Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe, Christel Bienstein.

Markus Jantzer


Bundesregierung

Lagebericht: Gewalt in Familien und Partnerschaften nimmt zu




Gewalt gegen Frauen (Themenfoto)
epd-bild/Detlef Heese
Seit Jahren registriert die Polizei eine wachsende Zahl von Gewalttaten in Partnerschaften und Familien. Es steigt aber auch die Aufmerksamkeit für das Leid hinter verschlossenen Türen. Eine große Studie soll mehr Licht in dieses Dunkelfeld bringen.

Berlin (epd). Gewalt im eigenen Zuhause ist Alltag in Deutschland, und die Zahlen steigen weiter. Das geht aus dem Lagebericht Häusliche Gewalt hervor, der am 11. Juli in Berlin von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und dem BKA-Präsidenten Holger Münch vorgestellt wurde. Danach ist die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt in den vergangenen fünf Jahren um 13 Prozent gestiegen.

Neu an dem Lagebericht ist, dass nicht mehr nur Gewalttaten in Partnerschaften erfasst werden, sondern erstmals auch innerfamiliäre Gewalt, also Übergriffe, die sich gegen Kinder oder andere Verwandte richten. Zu sehen sei ein deutlicher Anstieg der Gewalt, sagte Faeser. 240.547 Opfer im Jahr 2022 seien 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr: „Hinter jedem dieser Fälle verbirgt sich das Leid und der Horror, ausgerechnet im eigenen Zuhause oder im engsten Umfeld angegriffen worden zu sein.“

80 Prozent der Täter sind männlich

Den stärksten Anstieg verzeichnet die Polizeistatistik bei der Partnerschaftsgewalt. Im vergangenen Jahr wurden 9,4 Prozent mehr Fälle registriert als 2021. 80 Prozent der Opfer sind Frauen. Knapp 80 Prozent der Täter sind männlich. In fast 40 Prozent der Fälle sind es ehemalige Partner, die gewalttätig werden. In der Mehrzahl der Fälle (60 Prozent) geht es um Körperverletzung, es folgen Bedrohungen, Nötigung und Stalking. Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen haben unter den bei der Polizei registrierten Straftaten einen Anteil von 2,5 Prozent: Gegenüber dem Vorjahr stieg die Zahl der Fälle um rund zehn Prozent.

Der Blick auf die innerfamiliäre Gewalt zeigt, dass in diesem Bereich eine Steigerung von 7,7 Prozent verzeichnet wurde. 54 Prozent der Opfer sind weiblich und 46 Prozent männlich. In Familien leiden vor allem Kinder, im Jahr 2022 waren 37 Prozent der Opfer die Kinder oder Enkelkinder der Täter. Weitere 18 Prozent waren „sonstige Angehörige“, zu denen etwa auch Nichten und Neffen zählen. Die Hälfte der Übergriffe sind Körperverletzungen, zwölf Prozent schwere Körperverletzungen und rund fünf Prozent sexueller Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen.

Der Lagebericht, der auf den Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) beruht, erfasst nur das sogenannte Hellfeld, also die angezeigten oder polizeilich bekannt gewordenen Taten - nicht das Dunkelfeld. Zu den Delikten zählen körperliche Gewalt bis hin zu Mord, psychische Gewalt wie Stalking, zunehmend auch in digitaler Form, sowie alle Formen sexueller Gewalt bis hin zu Zwangsprostitution und Missbrauch. Insgesamt ist rund jedes vierte Gewaltopfer in Deutschland ein Opfer häuslicher Gewalt. Es sei wichtig, dass diese Gewalttaten angezeigt würden, damit sie strafrechtlich verfolgt werden könnten, sagte Innenministerin Faeser.

Große Dunkelfeldstudie geplant

Familienministerin Paus ergänzte, zwei Drittel der weiblichen Opfer gingen auch nach schwerster Gewalt nicht zur Polizei. Paus, Faeser und Münch stellten aber zugleich übereinstimmend fest, dass durch die Me-Too-Bewegung und die Appelle während der Corona-Pandemie insgesamt die Aufmerksamkeit für häusliche Gewalt zunehme und auch die Bereitschaft steige, bei einem Verdacht die Polizei zu informieren. Es sei auch davon auszugehen, dass häufiger Anzeige erstattet werde, sagte Münch.

Gemeinsam kündigten Faeser, Paus und Münch eine großangelegte Dunkelfeldstudie an, für die 22.000 Menschen mit Gewalterfahrungen befragt werden sollen, erstmals auch Männer. Dabei gehe es ausschließlich um Partnerschaftsgewalt, sagte BKA-Chef Münch. 15.000 Menschen würden persönlich befragt, 7.000 weitere per Online-Fragebogen. Es gehe darum, das Wissen zu erweitern und zielgenauer helfen zu können. Münch appellierte an alle Personen, die in den kommenden Wochen einen entsprechenden Brief erhalten, bei der Befragung mitzumachen.

Bettina Markmeyer


Ruhestand

Rentenhöhe steigt um durchschnittlich 5,7 Prozent auf 1.550 Euro




Ein Rentner auf einer Parkbank
epd-bild/Jens Schulze
Ehemalige Berufstätige, die 35 Jahre oder länger in die Rentenversicherung eingezahlt haben, bekamen Ende vergangenen Jahres 1.550 Euro an Altersbezügen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und den Regionen sind nach wie vor deutlich.

Berlin (epd). Die Bezieherinnen und Bezieher von Altersrenten mit mindestens 35 Versicherungsjahren erhalten nach jüngsten verfügbaren Daten im Durchschnitt 1.550 Euro brutto pro Monat. Das geht aus einem Vorauszug des Rentenatlas hervor, den die Deutsche Rentenversicherung am 10. Juli in Berlin veröffentlicht hat. Die durchschnittliche Bruttorente sei im Vergleich zum Vorjahr um 5,7 Prozent gestiegen.

Ausgezahlt wurden demnach Ende 2022 im bundesweiten Durchschnitt 1.384 Euro. Regional und nach Geschlecht differenziert, unterscheidet sich die Höhe der Altersbezüge nach 35 Beitragsjahren deutlich: Im Schnitt erhalten Rentner 1.728 Euro brutto ausgezahlt. Bei den Rentnerinnen sind es mit 1.316 Euro brutto deutlich weniger.

Einkommensunterschiede im Osten geringer

Finanziell am besten stehen Rentner aus Nordrhein-Westfalen mit im Schnitt 1.845 Euro da, am schlechtesten niedersächsische Rentnerinnen mit 1.267 Euro. Männliche Rentenbezieher in NRW und dem Saarland (brutto 1.840 Euro) bilden die Spitzengruppe. „Früher arbeiteten hier viele Männer in gut bezahlten Jobs im Bergbau und erhalten heute daraus vergleichsweise hohe Renten“, hieß es zur Erklärung.

Ebenfalls relativ hohe Bezüge haben Rentner in Ost-Berlin mit 1.699 Euro, die unter anderem aus ehemaligen Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR resultieren. Auch Frauen bekamen im Ostteil Berlins mit 1.501 Euro die höchsten Renten. In allen ostdeutschen Bundesländern wichen die Durchschnittsrenten von Frauen und Männern weniger voneinander ab als im Westen, weil Frauen in Ostdeutschland seltener Teilzeitstellen hatten als Westdeutschland. Deswegen seien die Einkommensunterschiede im Osten geringer als im Westen, hieß es.

Berücksichtigt man keine Geschlechtsunterschiede, landet das Saarland mit einer durchschnittlichen Bruttorente von 1.677 Euro auf Platz eins von insgesamt 17 Rängen, weil Berlin nach Ost und West aufgelistet wird, gefolgt von Nordrhein-Westfalen (1.644 Euro) und Hessen (1.609 Euro). Die letzten fünf Plätze belegen die ostdeutschen Flächenländer Brandenburg (1.486 Euro), Sachsen, (1.445 Euro), Mecklenburg-Vorpommern (1.443 Euro), Sachsen-Anhalt (1.434 Euro) und Thüringen (1.427 Euro).

Hinten liegen Bremen und West-Berlin

Das wirtschaftsstarke Bayern landet mit einer Bruttorente von im Schnitt 1.545 Euro im Mittelfeld, während das ebenfalls als ökonomisch prosperierend geltende Baden-Württemberg mit 1.607 Euro auf Platz fünf kommt. Im Südwesten gehören männliche Rentenbezieher mit durchschnittlich 1.830 Euro zur bundesweiten Spitze, während Rentnerinnen mit im Schnitt 1.293 Euro weniger bekommen als viele Frauen in Ostdeutschland.

Uneinheitlich ist das Bild bei den Stadtstaaten: Hamburg belegt mit einer durchschnittlichen Bruttorente von 1.609 Euro knapp vor Baden-Württemberg Platz drei bundesweit. Hier sind Rentnerinnen mit Bruttobezügen von 1.394 Euro bundesweit auf einem Spitzenplatz. Hintere Plätze bei den durchschnittlichen Bruttorenten von Männern und Frauen belegen im deutschlandweiten Vergleich Bremen (1.542 Euro) und West-Berlin (1.500 Euro).

Susanne Rochholz


Flüchtlinge

Immer mehr Ukrainer wollen länger in Deutschland bleiben




Ukrainische Mutter mit Kindern in einer Unterkunft (Archivbild)
epd-bild/Christoph Böckheler
Die Integration der ukrainischen Flüchtlinge macht Fortschritte, bilanziert die zweite Welle einer groß angelegten Befragung deutscher Forschungsinstitute. Immer mehr von ihnen erwägen, langfristig in Deutschland zu bleiben.

Berlin (epd). Mit zunehmender Dauer des russischen Angriffskriegs wollen immer mehr Flüchtlinge aus der Ukraine längerfristig in Deutschland bleiben. Wie aus den am 12. Juli vorgestellten Ergebnissen der zweiten Welle einer großangelegten Befragung von Geflüchteten aus der Ukraine hervorgeht, hatten zu Beginn dieses Jahres 44 Prozent von ihnen langfristige Bleibeabsichten. Das waren fünf Prozentpunkte mehr als im Spätsommer vergangenen Jahres.

Knapp 7.000 Interviews

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), das Forschungszentrums des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) befragten zwischen Januar und März dieses Jahres erneut Geflüchtete aus der Ukraine zu ihren Lebensumständen in Deutschland. Knapp 7.000 Frauen und Männer, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen waren und im vergangenen Jahr zum ersten Mal befragt wurden, gaben dabei Auskunft zu ihrer Wohn- und Arbeitssituation, zum Besuch von Sprach- und Integrationskurses sowie der Betreuungssituation ihrer Kinder.

Die Teilhabe der Ukrainerinnen und Ukrainer habe innerhalb von knapp einem Jahr leichte Fortschritte gemacht, sagte Andreas Ette vom BiB. Er verwies dabei auf Ergebnisse der aktuellen Befragung, wonach im Vergleich zum Sommer 2022 inzwischen mehr ukrainische Kinder die Schule oder eine Kinderbetreuungseinrichtung besuchen. Erhöht hat sich demnach auch der Anteil von ukrainischen Erwachsenen, die einen Sprachkurs besuchen oder abgeschlossen haben, auf 75 Prozent. Fast zwei Drittel (65 Prozent) besuchten zu Beginn dieses Jahres noch einen solchen Kurs.

Nahezu unveränderte Erwerbsquote

Yuliya Kosyakova, Forscherin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, sieht darin einen Grund, warum die Erwerbsquote ukrainischer Flüchtlinge im Vergleich zum Sommer vergangenen Jahres nicht wesentlich gestiegen ist. Wegen des Besuchs der Kurse stünden die Menschen dem Arbeitsmarkt nur begrenzt zur Verfügung, sagte sie. 18 Prozent der ukrainischen Geflüchteten im erwerbsfähigen Alter hatten der Befragung zufolge zu Beginn dieses Jahres eine Arbeit. Im Sommer 2022 waren es 17 Prozent.

Bei der Berufstätigkeit gibt es nach wie vor Unterschiede zwischen Männern und Frauen. 22 Prozent der Männer im erwerbsfähigen Alter waren Anfang des Jahres erwerbstätig. Bei den Frauen waren es 17 Prozent, bei den Frauen mit kleinen Kindern sogar nur drei Prozent. Die Forscher und Forscherinnen sehen vor allem in fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten einen Grund.

Das durchschnittliche Haushaltseinkommen ukrainischer Flüchtlinge lag mit 850 Euro weniger als halb so hoch wie das Durchschnittseinkommen in Deutschland insgesamt. Kosyakova rechnet aber damit, dass in Zukunft mehr Ukrainerinnen und Ukrainer erwerbstätig sein werden, mahnt dafür aber auch Perspektiven für die Menschen an, die bleiben wollen. Nur mit einer Perspektive würden sie in Bildung, Sprache und Integration investieren, sagte sie.

Durch eine auf EU-Ebene vereinbarte Regelung können Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland bleiben, ohne einen Asylantrag zu stellen. Die Regelung ist befristet bis zum Frühjahr 2024.

Corinna Buschow


Arbeit

Interview

Der ehemalige Leiter des kda warnt vor einem Rückzug aus der Arbeitswelt




Johannes Rehm
epd-bild/kda Bayern
Johannes Rehm hat eine klare Vorstellung von "seiner" Kirche: Wenn sie nahe am Menschen sein will, müsse sie die - teilweise tiefgreifenden - Veränderungen für die Beschäftigten "mitvollziehen", sagt der gerade verabschiedete Leiter des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (kda).

Nürnberg (epd). Pfarrer Johannes Rehm hat 17 Jahre lang den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (kda) in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern geleitet. Zu seinem Abschied betont er, dass er es für unverzichtbar hält, dass sich Kirche da sehen lässt, wo Menschen arbeiten. Mit ihm sprach Jutta Olschewski.

epd sozial: Der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt hat mit einem Querschnitt der Bevölkerung zu tun: mit armen Menschen, mit Menschen, die anständig verdienen, mit Flüchtlingen, Jugendlichen, Menschen, die in Rente gehen. Müsste der kda nicht eine bedeutendere Rolle in der Landeskirche spielen?

Johannes Rehm: Sie deuten an, dass das hier keine langweilige Arbeit ist. Das kann ich bestätigen. Alle gesellschaftlichen Veränderungen schlagen hier auf. Und den Reiz dieser Arbeit hat immer ausgemacht, dass wir Milieu-übergreifend arbeiten. Das ist auch das, was mir ganz wichtig ist, dass man für Arbeitnehmer, die vielleicht nur eine einfache Ausbildung genossen haben, gesprächsbereit bleibt und im Kontakt bleibt mit Menschen, die eine sehr elaborierte Ausbildung haben. Es gelingt nicht jeden Tag gleich gut, aber das ist das Ziel.

epd: Und von Ihrer Aufgabe her sollten Sie mit all denen auch über Gott sprechen …

Rehm: Das ist, was uns unterscheidet von den anderen Verbänden in der Arbeitswelt, dass wir im Auftrag der Kirche unterwegs sind. Und diese Kirche lebt nicht aus sich selbst, sondern empfängt ihren Auftrag von woanders. Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass das unseren Gesprächspartnern sehr bewusst ist. Es gibt die Erwartung, dass wir von einer evangelischen Sozialethik herkommend unsere Fragen stellen und eben auch da, wo es angebracht ist, einen entsprechenden Akzent setzen.

epd: Da meinen Sie jetzt auch die Gesprächspartner auf der anderen Seite, die Arbeitgeber.

Rehm: Da meine ich jetzt alle Seiten. In meiner Zeit haben wir angefangen, uns sehr stark als Kompetenzzentrum Arbeit zu verstehen. Wir wollen im Gespräch sein mit der gewerkschaftlichen Seite, mit der Arbeitnehmerseite, aber auch mit dem Mittelstand, mit dem Handwerk, mit dem Gastgewerbe. Auch Veranstaltungs- und Gesprächsformate mit der Unternehmerseite bieten wir an und führen wir durch.

epd: Der kda formuliert immer wieder Forderungen an Politik und Gesellschaft: Zum Schutz des Sonntags, zum Mindestlohn, jetzt haben Sie sich für die Vier-Tage-Woche ausgesprochen. Wie wäre es denn mit einer Forderung nach einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer? Spielte da die Landeskirche mit?

Rehm: Ich habe das 17 Jahre und einen Monat gemacht und bin noch nie angerufen worden, weil ich irgendeine Äußerung, die ich tun will, nicht tun darf. Und wenn Sie es hören wollen, ich halte die Vermögenssteuer in der jetzigen Situation für kein Tabu. Diejenigen, die sie zahlen würden, können das schultern. Vermögenssteuer gab es zu Zeiten von Helmut Kohl. Also was ist da schlimm dran?

epd: Im Namen Ihrer Dienststelle heißt es: Dienst in der Arbeitswelt. Wie stark sind Sie auch für die Arbeitslosen da?

Rehm: Wenn man über Arbeit redet, muss man immer auch über Arbeitslosigkeit reden. Selbstverständlich wissen wir, dass wir jetzt im Augenblick in einer Phase relativer Vollbeschäftigung leben und eigentlich ein fürchterlicher Arbeitskräftemangel herrscht. Gleichzeitig können nicht alle Menschen im selben Maß davon profitieren. Man kann sagen, die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist niedrig. Aber was heißt hier niedrig? Dem, den es betrifft, nutzt diese Einschätzung nichts. Mit unserer Aktion „1 + 1 - mit Arbeitslosen teilen“ wenden wir uns einem Personenkreis zu, der sehr lange Zeit arbeitslos ist und auf normalem Wege wenig oder keine Chance hat, zu einem Arbeitsplatz zu kommen. Das Problem kann gesundheitlicher oder psychischer Art sein. Aber zum Menschsein gehört eben auch die Verletzlichkeit, die auch mich, die jeden Menschen schnell treffen kann.

epd: Die Themen, die Sie beim kda behandeln mussten, sind nicht wenige. Firmenpleiten oder Fachkräftezuwanderungsgesetz sind nur zwei. Sind Sie in den letzten 17 Jahren in einem Hamsterrad gelaufen?

Rehm: Die Jahre, die ich im Amt war, waren Zeiten von tiefgreifenden Veränderungen in der Arbeitswelt. Es war der Wechsel von der Industriearbeit zur Dienstleistungsgesellschaft spürbar. Dann gab es die Auseinandersetzungen um Quelle, die Schlecker-Krise und so weiter. Es gab Eruptionen und Veränderungen, die auf den Rücken von arbeitenden Menschen ausgetragen worden sind. Es ist tatsächlich so, dass für viele Arbeitnehmende, die zunächst ihre Arbeit verloren haben, auch neue Arbeitsplätze gefunden worden sind. Trotzdem sind dieser Schock und diese nicht selbst gesuchte Veränderung in ihren Auswirkungen auf den Menschen nicht zu unterschätzen. Es ist ein Unterschied, ob ich irgendwo kündige und weggehe, wenn es mein Plan ist, oder wenn es einfach mit mir geschieht.

Jetzt stecken wir in den Umwälzungsprozessen in Richtung einer digitalisierten Arbeitswelt. Und auch da ist es wieder so, dass es Gewinner und Verlierer gibt: diejenigen, die stärker digital affin sind, und die, denen die Digitalität nicht so liegt. Die Entwicklung geht so schnell, dass die kulturelle Seite dieser Veränderungen des Arbeitens gar nicht mitbedacht wird.

epd: Hat der kda bei der Geschwindigkeit der Veränderungen mithalten können?

Rehm: Die Entwicklung, die wir miterlebt haben, war immer so schnell, wir mussten auf aktuelle Veränderungen reagieren. Es war wenig Zeit zum Durchatmen, um mit dem notwendigen Tiefgang zu reflektieren, was passiert. Es war eine Fahrt auf der Achterbahn der Arbeitswelt. Ganz leicht war dieses Amt, das ich jetzt weitergebe und das ich von anderen übernommen habe, in den 70 Jahren seines Bestehens nie. Da ist immer eine Spannung zwischen einer Kirche, die schon zu einer gewissen Bürgerlichkeit neigt, und einer Arbeitswelt, die einfach nach anderen Gesichtspunkten funktioniert. Diese Interessengegensätze, die es in der Wirtschaft oder die es in der Gesellschaft gibt, die gibt es auch in der Kirche - überall, wo Menschen sind.

epd: Haben Sie zum Abschied in Ihrer Predigt Ihrer Kirche noch etwas ins Stammbuch geschrieben?

Rehm: Ich habe gesagt, dass ich den kda nicht für eine beliebige von Kassenlagen abhängige kirchliche Zusatzaufgabe halte, sondern für unverzichtbar im gelingenden gesellschaftlichen Miteinander. Natürlich wird alles schwieriger, und wir leiden unter steigenden Kirchenaustritten. Aber deshalb dürfen wir uns gerade nicht aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Wir brauchen neben den Komm-Strukturen von Kirchengemeinden und ihren Angeboten dringend Dienste, die dahin gehen, wo die Menschen leben und arbeiten. Und wir leben nun mal in der Arbeitsgesellschaft. Die ganzen Sozialversicherungssysteme, das Steuersystem, alles ist um die Arbeit herum gruppiert. Wenn man eine Kirche sein will, die nahe am Menschen ist, muss man im Grunde diese Veränderungen der Arbeitswelt mitvollziehen. Es ist sehr wichtig, dass man da auch Maßstäbe christlicher sozialer Wirtschaftsethik einbringt.

epd: Soll die Kirche also auf eine solche Geh-Struktur setzen?

Rehm: Die Kirchengemeinde kann nicht die einzige Form von Begegnung zwischen Kirche und den Menschen sein. Ich bin der Sohn eines Gemeindepfarrers. Ich war selber gerne Gemeindepfarrer und will niemals die Gemeinden schlecht machen. Aber es gibt einfach Menschen, die aus Gründen, die wir nicht zu bewerten haben, dort nie ankommen werden. Merkwürdigerweise freuen die sich, wenn ein Pfarrer zu ihnen kommt und sich erkundigt, wie es ausschaut. Sie sind auch auf eine tiefere Dimension ansprechbar, trotzdem werden sie den Weg in die Gemeinde in der Regel nicht finden.



Familie

Hickel: Ehegattensplitting abschaffen



Bremen (epd). Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel unterstützt die Forderung von SPD-Chef Lars Klingbeil, das Ehegattensplitting zugunsten der geplanten Kindergrundsicherung abzuschaffen. „Klingbeil hat recht“, sagte Hickel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Ehegattensplitting schütze eine Familie „mit dem Alleinverdiener und der berufslosen Frau, die für die unentgeltliche Hausarbeit zuständig ist“. Das sei ein „antiquiertes Steuermodell“, kritisierte der Ökonom.

„Der Mythos von der Stärkung der Ehe auf der Basis traditioneller Rollenteilung zwischen Mann und Frau in der Familie war schon immer ärgerlich“, machte Hickel deutlich. Er erläuterte, der größte Vorteil beim Ehegattensplitting ergebe sich, wenn nur ein Ehepartner am besten hohe Einkünfte erziele. „Vom Einkommen her lohnt es sich steuerlich für die Frau im Haus nicht, berufstätig zu werden, denn je mehr sie verdient, umso geringer fällt der Splittingvorteil aus.“

Frauen bei Erwerbsbeteiligung ausgebremst

Empirische Untersuchungen zeigten, „dass in Deutschland dieses konservative Steuerrecht eine Vielzahl von Frauen bei der Erwerbsbeteiligung ausgebremst hat“, fügte Hickel hinzu. Wer am Ehegattensplitting festhalte, konserviere „dieses die Frauen diskriminierende Familienmodell und verhindert deren berufliche Entfaltung“.

Diese Kritik betonten auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie die EU-Kommission, sagte Hickel. Der Finanzexperte verwies auch auf die in der öffentlichen Debatte genannte Summe von 20 Milliarden Euro jährlich, die dem Staat durch die berufliche Zurückhaltung von Frauen entgehe.

Die Streichung des Ehegattensplittings würde zwar zu Verlusten beim Nettoeinkommen vor allem in den starken Einkommensschichten führen, räumte Hickel ein. Doch die Steuermehreinnahmen für die Kindergrundsicherung zu verwenden, diene der ökonomischen Unterstützung von Jungen und Mädchen in armen Familien und Lebensgemeinschaften.

Susanne Rochholz, Dieter Sell



sozial-Branche

Senioren

Soziale Roboter werden in Pflegeheimen getestet




Sozialer Roboter für Senioren
epd-bild/Rudolf Stumberger
Kann ein Roboter soziale Beziehungen aufbauen? Zumindest kann er dem menschlichen Gegenüber ein Gefühl der Nähe vermitteln. Ein Münchner Start-Up hat einen sozialen Roboter entwickelt, der demnächst in Altenheimen eingesetzt wird.

München (epd). Ein modernes Gebäude aus Stahl und Glas in der bayerischen Landeshauptstadt, ein Büroraum im vierten Stock. Es beginnt ein nettes Gespräch: „Was gefällt Ihnen an München?“, fragt einer der beiden Gesprächsteilnehmer. „Ich finde die Biergärten in der Stadt ganz schön“, sagt der andere. „Und was gefällt Ihnen weniger gut?“ - „Dass die Mieten hier so teuer sind“, ist die Antwort. „Haben Sie eine Lösung für das Problem?“, hakt der Fragende nach. Auf diese Frage gibt es keine Antwort. Verständnisvoll blickt der Frager mit seinen blauen Augen den Befragten an.

Das Gespräch wäre an sich nichts Besonderes, doch die Fragen stellt ein sozialer Roboter. Er heißt Navel, ist 72 Zentimeter groß und entstammt einem Münchner Start-Up-Unternehmen namens „Navel Robotics“. Was aber ist ein „sozialer Roboter“?

Den Anfang machte in den 1990er Jahren die US-amerikanische Wissenschaftlerin Cynthia Breazeal. Nach ihrer Definition sollen soziale Roboter in der Lage sein, mit Menschen Kontakt aufzunehmen, soziale Beziehungen aufzubauen, sich an ihre Umwelt anzupassen und lebenslang zu lernen.

Roboter, die aktiv eine soziale Beziehung aufbauen

Ein klein wenig von diesen Fähigkeiten konnte vor acht Jahren „Pepper“ aufweisen, ein humanoider Roboter in Gestalt eines Schulkindes, der 2015 bei seiner Vorstellung in Japan für Aufregung sorgte. Pepper stand in Hotels oder Geschäften am Eingang und begrüßte die Kunden. Man konnte mit ihm sprechen und auch über sein an der Brust angebrachtes Display kommunizieren. Er war der erste in Großserie produzierte Partner- und Kommunikationsroboter. Heute werden derartige Roboter von einigen Herstellern angeboten, neben „Navel Robotics“ („Navel“) und „SoftBank Robotics“ („Pepper“) etwa von „Altera Vita“ („Justocat“).

Claude Toussaint, der Gründer des Münchner Start-Up-Unternehmens „Navel Robotics“, sagt, heute müsse ein sozialer Roboter aktiv eine soziale Beziehung aufbauen können. Dies geschehe, indem der Roboter mithilfe einer Kamera die Gesichtszüge seines Gegenübers analysiert und daraus errechnet, welche Gefühle sein Gesprächspartner hat. Mit Künstlicher Intelligenz wird dann ein Gespräch in Gang gebracht.

Der soziale Roboter soll zum Beispiel in Pflegeheimen zum Einsatz kommen. Navel wird durch die Flure des Heims rollen und die Seniorinnen und Senioren ansprechen. Wie es ihnen geht, was sie heute vorhaben, was die Enkel so machen. Navel kann sich Namen merken und sein Gegenüber damit ansprechen. Wichtig ist dabei der Augenkontakt. Dazu gehört, dass Navel über dreidimensionale Augäpfel verfügt, denn „nur so kann man wirklich Blickkontakt herstellen“, erläutert Toussaint.

Pilotprojekt in Pflegeheimen

Eingesetzt wird der soziale Roboter nun in einem Pilotprojekt in zwei Pflegeheimen der Evangelischen Heimstiftung in Baden-Württemberg. „Navel ist kein Pflegeroboter. Das bedeutet, er wurde nicht dafür konzipiert, bei klassischen Pflegetätigkeiten wie Körperpflege, dem Ankleiden oder der Mobilisation zu unterstützen. Seine Stärken liegen in der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Deshalb wollen wir ihn dazu einsetzen, den Menschen in unseren Heimen Gesellschaft zu leisten“, erläutert Hauptgeschäftsführer Bernhard Schneider.

Die Mitarbeitenden in den Einrichtungen werden dabei von Entwicklern von Navel Robotics geschult und technisch vorbereitet. „ChatGPT und Künstliche Intelligenz sind nicht aufzuhalten, sie werden alle Lebensbereiche durchdringen, auch die Pflege. Wir sehen es als werte-orientiertes diakonisches Unternehmen gerade auch als unseren Auftrag an, die damit verbundenen schwierigen ethischen Fragen zu beleuchten und frühzeitig Antworten darauf zu geben“, erklärt der Geschäftsführer.

Die Heimstiftung hat die beiden Roboter für rund 57.000 Euro gekauft. Das Pilotprojekt soll in diesem Sommer beginnen.

Rudolf Stumberger


Gesundheit

Ausgerechnet in den Ferien krank




Entspannt am Strand
epd-bild/Heike Lyding
Pünktlich mit dem Beginn ihres Urlaubs werden viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer krank. Was hinter dem Phänomen steckt, wie man am besten vorbeugt und ob sich Beschäftigte die verlorenen Urlaubstage zurückholen können - zwei Experten geben Tipps.

Wangen im Allgäu/Berlin (epd). Die Urlaubssaison steht vor der Tür. Doch nicht jeder Arbeitnehmer kann seine wohlverdiente Pause genießen, denn viele werden mit ihren freien Tagen krank. Kopfschmerzen, Erkältungen und Rückenschmerzen stehen hierbei ganz oben. Das trifft Beschäftigte der Sozialbranche genauso wie Angestellte der Privatwirtschaft oder des öffentlichen Dienstes. Doch wie hängen Urlaubsbeginn und Krankheiten zusammen?

Roland Raible hat 40 Jahre als Pädagoge, Psychologe und Psychotherapeut gearbeitet. In seiner Praxis in Wangen im Allgäu hat er bei seinen Patienten das Phänomen „Leisure Sickness“ immer wieder beobachten können. „Aus der psychologischen Alltagserfahrung heraus ist bekannt, dass unser Organismus auf Phasen einer ungewollten, mit Stress versehenen Anspannung bei nächster Gelegenheit Entspannung sucht“, erklärt er. Dies erkläre, wieso sich Erkrankungen erst an freien Tagen wie Wochenenden und Ferien zeigen würden.

Eine Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Internationalen Hochschule Bad Honnef - Bonn (IUBH) aus dem Jahr 2017 ergab, dass 22 Prozent der Deutschen bereits unter der Freizeitkrankheit litten. Somit ist mehr als jeder Fünfte davon betroffen.

Ungesunde Anspannung

Raible sieht in aufgestautem Stress und fehlenden Erholungsphasen die Hauptursachen. „Nach abverlangter, ungesunder Anspannung erlaubt der Organismus uns gewissermaßen ein Nachlassen der Kraftanstrengung“, erklärt Raible. Dies könne auch dazu führen, dass die Immunabwehr nicht mehr so gut funktioniert. „Das ist kein bewusster, willentlich steuerbarer Vorgang“, erklärt der Psychotherapeut.

Eine Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) bestätigt: „Bei Leisure Sickness handelt es sich überwiegend um ein Stressphänomen.“ Dieses könne zwar Auswirkungen auf das Immunsystem und andere physiologische Vorgänge haben, sei jedoch hauptsächlich psychosomatisch.

Um Krankheiten in der Freizeit zu vermeiden, raten Experten zu einem gesunden Lebensstil, der eine ausgewogene Ernährung, genügend Bewegung und Schlaf sowie ausreichend Pausen in Arbeitsphasen umfasst. Raible empfiehlt einen Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung durch regelmäßige Erholungspausen.

Urlaubstage nachholen?

Hinzu kommt eine rechtliche Frage. Während der Umgang mit einer Erkrankung während der Arbeitszeit den meisten Angestellten klar ist, sind sich viele unsicher, wie sie sich im Krankheitsfall während der Urlaubszeit verhalten sollen: Können sie sich im Urlaub krankmelden und dann die Urlaubstage nachholen?

Jörg Tepper, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Berliner Kanzlei Chevalier Rechtsanwälte, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Erkranken Arbeitnehmer im Inland und werden dadurch arbeitsunfähig, sind diese dazu verpflichtet, den Arbeitgebern die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen.“ Diese Regelung im Entgeltfortzahlungsgesetz gelte grundsätzlich auch für eine Erkrankung während eines Urlaubs.

Das Bundesurlaubsgesetz schütze Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sagt Tepper. Denn: „Erkranken Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Jahresurlaub angerechnet.“

Damit müssen die nachgewiesenen Kranktage, wenn sie innerhalb des Urlaubs liegen, dem Urlaubskonto wieder gutgeschrieben werden. Die Urlaubstage gehen also nicht verloren.

Stefanie Unbehauen


Katastrophen

Schleppender Wiederaufbau erschöpft Flutgeschädigte an der Ahr




Gabi Gasper in ihrem Haus in Altenahr
epd-bild/Meike Böschemeyer
Zwei Jahre nach der Flutkatastrophe an der Ahr und in Teilen von Nordrhein-Westfalen sind viele Betroffene mit ihren Kräften am Ende. Wegen des schleppenden Wiederaufbaus stockt auch die Auszahlung der Spendengelder.

Altenahr (epd). Bis zum 14. Juli 2021 lebten Gabi Gasper und ihr Mann in einem gepflegten, braun verklinkerten Einfamilienhaus im Altenahrer Ortsteil Altenburg. In der Flutnacht stieg das Wasser in kürzester Zeit bis in den ersten Stock. Das Haus musste abgerissen werden. Immer noch klafft an der Stelle eine Lücke. Der Wiederaufbau lässt auch zwei Jahre nach der Katastrophe auf sich warten. „Alles zieht sich von Woche zu Woche und von Monat zu Monat“, klagt die 58-Jährige. „Für mich ist das Warten seelische Folter.“

Die Pläne für den Neubau mit Hochwasserschutz sind schon lange fertig. Doch es dauerte, bis die Anträge auf Wiederaufbauhilfe bewilligt und die Baugenehmigung erteilt war. Jetzt hofft Gabi Gasper auf einen Baubeginn Ende des Jahres. Nach über einem Jahr in einer Mietwohnung ist das Ehepaar nun in Gabi Gaspers Elternhaus untergekommen. Das war zwar auch beschädigt, kann aber renoviert werden. Hier leben sie praktisch auf einer Dauerbaustelle, weil Handwerker nur schwer zu bekommen sind. „Teilweise gehen die gar nicht mehr ans Telefon. Es ist wahnsinnig anstrengend“, sagt sie.

Psychosoziale Angebote sehr gefragt

„Bei den Familien, wo der Wiederaufbau nicht vorangeht, sehen wir eine große Erschöpfung“, bestätigt Anne Ernst, Bereichsleiterin Krisenmanagement und Nothilfe bei der Johanniter-Unfall-Hilfe. Die Johanniter und andere Hilfsorganisationen sind nach wie vor mit zahlreichen Projekten in den Flutgebieten aktiv. Psychosoziale Angebote wie Gesprächskreise oder Treffpunkte seien auch zwei Jahre nach der Flut sehr gefragt, sagt Ernst. Stefan Bergner von der Hochwasserseelsorge der Diakonie Katastrophenhilfe im Ahrtal und im Kreis Euskirchen kann das bestätigen. Sein Seelsorge-Team verzeichnet derzeit sogar eine steigende Nachfrage nach Seelsorge-Gesprächen und Psychotherapie.

Viele Betroffene seien belastet durch langwierige Antragsverfahren für die staatliche Wiederaufbauhilfe, weiß Ernst. Bergner beobachtet auch, dass Auseinandersetzungen mit Versicherungen viele Flutopfer zermürben. „Es ist ein Lotterie-Spiel“, berichtet etwa Gabi Gasper. Denn sie müsse für die Renovierung ihres Elternhauses einerseits Arbeiten beauftragen, die sich in den vergangenen zwei Jahren enorm verteuert hätten. Andererseits habe sie keine verlässliche Zusage, dass die Versicherung das am Ende auch übernehme.

Trotz der Geldsorgen vieler Betroffener blieben die Spendenmittel derzeit liegen, klagen Hilfsorganisationen. „Ich würde mir wünschen, dass mehr Betroffene in die Beratungsstellen kämen, um die Mittel zu beantragen“, sagt Manuela Roßbach, Geschäftsführende Vorständin der Aktion Deutschland Hilft. In dem Bündnis sind in den Flutgebieten tätige Hilfsorganisationen zusammengeschlossen, darunter Johanniter, Malteser oder die Arbeiterwohlfahrt (AWO).

Ausschüttung der Spendengelder stockt

Von den 283 Millionen Euro Spenden, die die Aktion Deutschland Hilft für die Flut-Opfer eingesammelt hat, sind in den vergangenen 22 Monaten bislang 184 Millionen Euro in Hilfsmaßnahmen geflossen. Das Geld ging nicht nur in Soforthilfen, sondern etwa auch an Vereine und in zahlreiche Projekte, mit denen die Bündnisorganisationen bis heute vor Ort Beratung und Unterstützung leisten. Von Anfang an sei geplant gewesen, einen Teil der Spendengelder für die kostenintensive Wiederaufbauhilfe zurückzuhalten, sagt Roßbach. Doch nun stockt die Ausschüttung.

„Die Erschöpfung hält sicher den ein oder anderen davon ab, Anträge bei den Hilfsorganisationen zu stellen“, vermutet Ernst. „Viele wissen auch immer noch nicht, dass sie Anspruch auf Spendengelder haben“, sagt Christian Görg, Regionalvorstand der Johanniter am Mittelrhein, der seit der Flut im Ahrtal unterwegs ist. Mit Zeitungsanzeigen oder Infoständen werben die Hilfsorganisationen darum, dass Betroffene in die Fluthilfebüros kommen, um sich beim Antrag auf Spendengelder unterstützen zu lassen. Bis Ende September ist auch eine Hotline für Ratsuchende geschaltet.

Das Problem sei das langwierige Verfahren, das der Auszahlung von Spendengeldern vorausgehe, weiß Görg. Die Betroffenen müssen zuvor Anträge bei Versicherungen oder auf Hilfen vom Staat stellen. Dazu muss in einem Gutachten der gesamte Schaden festgestellt und die Summe für die Wiederaufbauhilfe von maximal 80 Prozent berechnet werden. Für die verbleibenden 20 Prozent Eigenanteil können die Betroffenen Spendengelder beantragen. Doch es mangelt nach wie vor an Gutachtern. Und was tun, wenn sich wie im Fall von Gabi Gaspers Elternhaus das Schadensgutachten der Versicherung als unvollständig entpuppt?

„Ich habe jegliches Vertrauen verloren“, sagt die Altenburgerin. Dennoch bleibt ihr die Hoffnung, eines Tages wieder in einem intakten Ort leben zu können. „Es ist schön zu sehen, wenn in dem ein oder anderen Haus schon wieder Licht brennt und man weiß: Da haben es Nachbarn schon geschafft.“

Claudia Rometsch


Krieg in der Ukraine

Warten auf Tee




Helfer packen Carepakete in der ukrainischen Stadt Syurte.
epd-bild/Jens Büttner
Vor fast anderthalb Jahren überfiel Russland die Ukraine. Doch der Krieg begann für die Menschen im Osten des Landes schon viel früher, im Jahre 2014. Hilfsorganisationen wie Vostok SOS versuchen den Menschen seither zu helfen, so gut es geht.

Uschgorod (epd). In Syurte warten sie auf Tee. Der Tee muss in die Hilfspakete, die Sascha (44) mit seinem Team in einer bei Kriegsbeginn verlassenen österreichischen Möbelfabrik zusammenpackt. 32 Kartons passen auf eine Palette, 21 Paletten schaffen sie am Tag. Das sind 672 Hilfspakete, die von der Hilfsorganisation Vostok SOS vom westukrainischen Syurte bei Uschgorod aus auf die Reise zu Hilfsbedürftigen gehen, zumeist in den umkämpften Osten der Ukraine. Finanziell und logistisch unterstützt wird Vostok SOS dabei von der deutschen Diakonie Katastrophenhilfe.

Der Tee kommt wie Mehl, Spülmittel, Konserven, Kaffee, Nudeln, Schokoriegel, Fischbüchsen und Zucker aus den Niederlanden, geliefert von einer auf Hilfspakete für humanitäre Krisen spezialisierten Firma. Momentan ist der Tee aus, der letzte Lastwagen traf vor zwei Wochen ein. Nachschub wird jeden Tag erwartet, sagt Sascha.

Katastrophale Versorgungslage

Ab September sollen die Lebensmittel und Hygieneartikel nicht mehr aus den Niederlanden geliefert werden, sondern auf den einheimischen ukrainischen Märkten gekauft werden, versichert Oksana Kuiantseva von Vostok SOS. Am Anfang des Krieges sei das wegen der katastrophalen Versorgungslage nicht möglich gewesen.

Fast alle Mitarbeitenden bei Vostok SOS stammen wie Oksana aus dem umkämpften Osten der Ukraine und sind selbst vor dem Krieg geflohen. Fast alle haben ihren bisherigen Beruf aufgegeben, so wie Sascha, der und dessen Kollege früher im Atomkraftwerk gearbeitet haben. Jetzt packt Sascha in Syurte Hilfspakete, während Frau und Kinder in der sicheren Schweiz sind. Seine Kollegin Natalia stammt aus Kramatorsk, andere kommen aus Saporischschja, Cherson, Mariupol oder Dnipro. Orte, deren Namen für erbitterte Kämpfe stehen. Die menschlichen Schicksale dahinter schaffen es selten in die Nachrichten.

Jewgenija (36) war früher Direktorin einer Fahrschule. Sie sitzt im Büro von Vostok SOS in Uschgorod und studiert im Internet eine Karte zum Frontverlauf. Zweimal pro Tag wird die Seite aktualisiert. Sie weist Informationen zu besetzten und befreiten Gebieten aus, zu Militärstützpunkten, Truppenstellungen und Flughäfen. Die Informationen kommen teils von staatlichen Stellen, teils von anderen Informanten. Für die Evakuierungsteams von Vostok SOS können sie überlebenswichtig sein.

Jeder Anrufer bekommt Hilfe

Tausende Menschen haben Helfer vor Ort seit Februar 2022 evakuiert und in sichere Teile der Ukraine gebracht. Menschen, die evakuiert werden wollen, machen ihren Standort via Google Maps bekannt, Evakuierungsteams machen sich dann mit kleinen Autos auf den Weg zu den Flüchtenden - oft unter Lebensgefahr. Wie der 23-jährige David aus der Region Luhansk, der nach 24 Stunden Autofahrt und 1.400 Kilometern gerade mit seinem Kleinbus wieder in Uschgorod angekommen ist.

An der täglich von acht bis 18 Uhr besetzten Hotline von Vostok SOS in Uschgorod gehen im Schnitt täglich 150 Anrufe ein, bei „stabiler Frontsituation“, wie Jewgenija sagt. An manchen Tagen, wie etwa nach dem Staudamm-Bruch von Kachowka bei Cherson können es auch schon mal 2.000 Anrufe sein. Jeder Anrufer bekommt Hilfe, versichert Jewgenija: „Es gibt keine Leute, denen wir nicht geholfen haben.“ Bekannt gemacht wird die Hotline von Vostok SOS in sozialen Netzwerken wie Telegram oder Facebook, aber auch über Plakate.

Sind die Menschen evakuiert und im sichereren Westen des Landes angekommen, geht die Arbeit erst los: Unterkünfte müssen gefunden, Kitas und Schulplätze organisiert, Arbeitsmöglichkeiten besorgt werden. In der Gebietsverwaltung von Transkarpatien geht man davon aus, dass etwa eine halbe Million Menschen allein in diese westukrainische Region geflohen ist. Uschgorod, Hauptstadt Transkarpatiens, hatte früher rund 115.000 Einwohner. Heute sind es rund doppelt so viele, heißt es von Mitarbeitenden in der Regionalverwaltung.

Flüchtlingsstrom im eigenen Land

In den Schulen ist man wegen der Vielzahl von Mädchen und Jungen zu einem Wechselmodell übergangen: Der eine Teil der Klasse lernt online, der andere ist in der Schule. Täglich wird gewechselt. Viele Geflüchtete sind bei Freunden oder Bekannten untergekommen, andere haben schnell Arbeit gefunden und konnten selbst eine Wohnung mieten. Aber es gibt auch viele, die zunächst in Schutzunterkünfte müssen. Für die vielen sozialen Aufgaben hat die Regionalverwaltung die Zahl der Mitarbeitenden im Sozialservice deutlich aufgestockt, etwa Studentinnen und Studenten höherer Semester kurzfristig eingestellt.

Vorbereitet auf diesen Flüchtlingsstrom im eigenen Land war niemand, sagt Oleksandra (36), die sich in einer Art Frauenhaus um Opfer häuslicher Gewalt kümmert. Auch deren Zahl habe zugenommen infolge des Krieges. Die drei Schutzräume auf insgesamt weniger als 100 Quadratmetern sind fast immer belegt, zuletzt etwa eines der Zimmer mit einer Mutter mit sechs Kindern. Von eigentlich zehn Plätzen seien in den vergangenen Wochen teilweise 15 belegt gewesen, sagt Oleksandra achselzuckend.

Derweil wartet Sascha weiter auf Tee. Ein Lastwagen mit Hilfsgütern soll von Syurte aus nach Saporischija starten. Dann muss der Tee da sein, sonst muss ein Teil der Hilfspakete unvollständig raus.

Jens Büttner


Krieg in der Ukraine

Nina fährt nach Hause




Binnenflüchtlinge Vlad (23) und Olga (22) in ihrer Notunterkunft
epd-bild/Jens Büttner
Über eine Million Menschen sind vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflohen. Mehr als fünfmal so viele wurden Binnenflüchtlinge in der Ukraine. Etliche von ihnen hält es nicht in den Notunterkünften fernab der Heimat.

Peretschyn (epd). Nina ist nach Hause gefahren. Die 93-jährige Frau hat es am Ende nicht mehr ausgehalten in der Notunterkunft in einer alten Schule, wo sie über ein Jahr gelebt und sich eigentlich - den Umständen entsprechend - wohlgefühlt hatte. Doch mit 93 Jahren fühlte Nina ihr Lebensende nahen, auf fremder Erde wollte sie daher nicht länger bleiben, sagen ihre Betreuer.

Also hat sich Nina von Peretschyn in der Westukraine auf den Weg gemacht zurück in ihr kleines Dorf bei Slowjansk im besetzten Donezker Gebiet, keine 30 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Ihr Haus stehe noch, hatten Nachbarn berichtet, aber Fenster und Türen seien zerstört.

Das Schwerste an der langen und beschwerlichen Reise zurück sei für Nina das Stück von Uschgorod, der Hauptstadt Transkarpatiens, nach Lwiw (Lemberg) gewesen, erzählt Olga. Die 22-Jährige teilte Wochen und Monate das Zimmer mit Nina und hat die 93-Jährige auf dem ersten Stück der Heimreise begleitet.

„Man kann sich an alles gewöhnen“

Jetzt lebt Olga im selben Zimmer im Erdgeschoss des Schulgebäudes mit ihrem ein Jahr älteren Freund Vlad. Die beiden Mitzwanziger haben sich - jeweils fernab der Heimat - in der Notunterkunft in Peretschyn kennengelernt. Sie ist Friseurin, er studiert noch.

Insgesamt 46 Flüchtlinge waren zwischenzeitlich in dem alten Schulgebäude untergekommen, das die ukrainische Hilfsorganisation Vostok SOS mit Unterstützung der deutschen Diakonie Katastrophenhilfe ausgestattet hatte: Betten, Paravents, Küche, Spielzimmer. 46 Flüchtlinge von knapp 4.000, die kurz nach Ausbruch des Krieges in der kleinen Stadt zwischen dem Flussbett der Usch und den Hügeln Transkarpatiens Zuflucht gefunden hatten. 7.000 Menschen lebten vor dem Krieg in Peretschyn.

Viele Flüchtlinge sind inzwischen nach Hause zurückgekehrt, so wie Nina. Auch Olga will zurück: „Ich weiß nicht, wann. Aber wenn es nach meinem Plan geht, in einem Monat“, sagt die 22-Jährige. Ihr Freund Vlad schränkt ein, dass man natürlich nicht wisse, wann es so weit ist. Beide kommen aus besetzten Gebieten in der Region Luhansk.

Sie will auf jeden Fall irgendwann zurück, er ist zurückhaltender. Aber letztlich gehe er dahin, wohin Olga wolle, sagt Vlad. Die 22-Jährige versichert, man könne sich „an alles gewöhnen“. Und fügt hinzu: „Aber hier ist nicht unser Zuhause.“

Die ganze Heimat ist besetzt

Vlad will Ingenieur werden. Seit März 2022 lebt er in der Notunterkunft und studiert online. Die ganze Heimat ist besetzt, erzählt er. Seine Mutter und seine Oma kamen in Litauen unter, er blieb mit seinem Vater in der Westukraine. Dass er dort landen würde, war ihm selbst am Anfang nicht klar: „Als geschossen wurde, bin ich einfach in den erstbesten Bus gestiegen. Ich wusste nicht mal, wohin der fährt.“ Vlad landete in Peretschyn in der Westukraine, lebt seither dort und hat Olga getroffen.

In einem der Nachbarzimmer wohnen zwei ältere Frauen, eine mit ihrer behinderten Tochter. Die ältere, 70-jährige Frau bricht in Tränen aus, als sie nach ihrer Heimat und den Umständen ihrer Flucht gefragt wird. Von ihren beiden Söhnen höre sie kaum noch etwas, erzählt sie später. Einer sei in der Slowakei, der andere an der Front. Dieser sei auch schon verwundet worden, erzählt die 70-Jährige mit tränenerstickter Stimme. Sie selbst hat während des Kriegs einen ganzen Monat im Luftschutzraum gelebt.

Ihre Mitbewohnerin zuckt bei der Frage nach den Lebensumständen in der Notunterkunft mit den Schultern: „Alles ist besser als Krieg.“ Jedoch habe auch die Solidarität der Menschen innerhalb der Ukraine 16 Monate nach Kriegsbeginn inzwischen abgenommen, fügt sie hinzu.

Ob die 93-jährige Nina wohlbehalten in der Heimat angekommen ist, weiß niemand ihrer früheren Mitbewohner. Aber sie habe nicht zum ersten Mal in ihrem Leben Flucht und Vertreibung erlebt. Sie konnte sich noch gut an die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg erinnern. Ihren Lebensmut haben ihr beide Kriege nicht genommen: Besonders stolz war Nina immer auf ihre fünf Enkel, berichten ihre Mitbewohner.

Jens Büttner


Umwelt

Kleiderstiftung befürwortet EU-Vorschläge zu Kreislaufwirtschaft



Helmstedt (epd). Die Deutsche Kleiderstiftung begrüßt Vorschläge der EU-Kommission zur Kreislaufwirtschaft für Textilien. Eine verantwortungsvolle Abfallwirtschaft sei in diesem Bereich dringend notwendig, sagte der geschäftsführende Vorstand Ulrich Müller am 12. Juli in Helmstedt. Aktuell würden laut EU-Kommission nur 22 Prozent der Schuhe und Bekleidung wiederverwendet, der Rest lande auf Deponien oder werde verbrannt.

Die Stiftung sammelt bundesweit Textilien und Schuhe, vorrangig, um humanitäre Hilfsprojekte umzusetzen. Anfang Juli hatte die EU-Kommission Vorschläge vorgelegt, nach denen Produzenten an den Kosten für die Entsorgung der Textilien beteiligt werden sollen. So sollen Anreize geschaffen werden, weniger Abfälle zu produzieren und Textilien so herzustellen, dass diese einfacher recycelt werden können.

Mit den Beiträgen der Hersteller sollen auch Investitionen in Kapazitäten für die getrennte Sammlung, Sortierung, Wiederverwendung und das Recycling finanziert werden. Müller unterstrich: „Gemeinnützige Sammelorganisationen wie die Kleiderstiftung müssen angemessen unterstützt werden, um ihren beiden Rollen, die der Akteurin der Kreislaufwirtschaft und die der sozialen Hilfsorganisation, weiter gerecht werden zu können.“




sozial-Recht

Bundessozialgericht

Zugang zu nicht zugelassenen Arzneien erschwert




Schale mit Medikamenten
epd-bild/Paul-Philipp Braun
Für sterbenskranke Patienten ist es bitter: Ist eine Arznei wegen einer unzureichenden Datenlage nicht zur Behandlung zugelassen worden, muss die Krankenkasse die vielleicht letzte Behandlungschance nicht bezahlen, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Für Menschen mit einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung sind sie oft der letzte Strohhalm: eine Therapie mit nicht zugelassenen oder außerhalb ihrer Zulassung verschriebenen Arzneimitteln. Die Kosten für ein Medikament ohne Zulassung können zwar nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) bei tödlich verlaufenden Krankheiten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, nicht aber für Medikamente, deren Zulassungsverfahren wegen unzureichender Studienlage bislang erfolglos geblieben ist. Wenn ein Zulassungsverfahren erfolglos geblieben sei und keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorlägen, bestehe eine „Sperrwirkung“, sodass die Krankenkasse die Kosten nicht mehr übernehmen müsse, entschied das Bundessozialgericht (BSG) am 29. Juni in Kassel in einem Grundsatzurteil.

Jährliche Kosten von 170.000 Euro

Geklagt hatte ein heute 18-Jähriger aus Rheinland-Pfalz, der aufgrund eines Gendefekts an der seltenen Duchenne-Muskeldystrophie erkrankt ist. Seit 2015 kann er nicht mehr gehen. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit der Muskelschwunderkrankung liegt bei 25 Jahren.

Im Jahr 2019 beantragte er bei der AOK Rheinland-Pfalz die Kostenübernahme für das Arzneimittel Translarna. Die Versorgung mit dem nur im Ausland erhältlichen Medikament würde jährlich rund 170.000 Euro kosten. Es ist von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) für die Behandlung der Duchenne-Muskeldystrophie zugelassen, wegen der eingeschränkten Datenlage allerdings nur für Patienten, die noch gehen können. Die Arznei soll den Krankheitsverlauf verlangsamen.

Der Pharmahersteller hatte zwar eine Zulassung auch für nicht gehfähige Patienten angestrebt. Das Zulassungsverfahren blieb aber vor der EMA wegen fehlender ausreichender Studien erfolglos.

Die AOK verweigerte daher die Kostenübernahme. Der Versicherte sei nicht gehfähig. Die Wirksamkeit von Translarna sei auch wegen des erfolglos gebliebenen Zulassungsverfahrens nicht belegt.

Vor Gericht berief sich der Kläger auf den sogenannten Nikolaus-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005. Damals ging es um eine Krebspatientin, die die medikamentöse Standardtherapie wegen schwerer Nebenwirkungen nicht vertrug und daher verlangte, auf Kosten der Krankenkasse mit einem nicht zugelassenen Medikament aus Kanada behandelt zu werden.

Alternative Behandlungsmethoden

Die Verfassungsrichter gaben der Frau recht. Die Krankenkassen müssten im Notfall auch für alternative Behandlungsmethoden aufkommen, selbst wenn diese nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgeführt seien. Stehe eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung, müsse auch eine von einem Arzt angewandte alternative Behandlungsmethode von der Krankenkasse bezahlt werden. Voraussetzung hierfür sei, dass eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung“ oder zumindest eine „spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ bestehe.

Das erneut mit dem Fall befasste BSG urteilte daraufhin am 4. April 2006, dass eine „auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ vorliege. Wenn die Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolge und über die Behandlung und ihre Risiken umfassend aufgeklärt worden sei, dürfe die Krankenkasse ihre Leistungspflicht nicht verweigern. Dies hat der Gesetzgeber mit Wirkung ab 2012 auch in das Sozialgesetzbuch übernommen.

Unkalkulierbare Risiken

Das BSG hatte in seiner Rechtsprechung hierzu jedoch eine „Sperrwirkung“ angenommen, nach der die Leistungspflicht der Krankenkasse nicht eintritt. Diese Sperrwirkung liege vor, wenn ein Zulassungsverfahren für ein Arzneimittel erfolglos geblieben oder negativ bewertet worden sei.

Da das Zulassungsverfahren für Translarna für gehunfähige Patienten mit einer Duchenne-Muskeldystrophie wegen der unzureichenden Datenlage gescheitert sei, könne auch nicht von der erforderlichen Erfolgsaussicht der Behandlung ausgegangen werden, betonte nun das BSG. Ein Anspruch auf Versorgung bestehe daher aus Gründen der Arzneimittelsicherheit nicht.

„Die Arzneimittelzulassung muss die Patienten gerade auch bei schweren Erkrankungen vor unkalkulierbaren Risiken schützen“, erklärte Rainer Schlegel, BSG-Präsident und Vorsitzender des 12. Senats. Das arzneimittelrechtliche Zulassungsverfahren diene dem Schutz der Patienten vor „zweifelhaften Therapien“.

Das Arzneimittelrecht lasse auch erleichterte Zulassungen und in Härtefällen Ausnahmeentscheidungen zu. Diese lägen hier ebenso wenig vor wie neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Translarna bei nicht gehfähigen Patienten.

B 1 KR 35/21 R (BSG, Translarna)

B 1 KR 7/05 R (BSG, Krebserkrankung)

1 BvR 347/98 (Bundesverfassungsgericht)

Frank Leth


Bundesverfassungsgericht

Cannabiskonsum darf bestraft werden



Karlsruhe (epd). In der privaten Lebensgestaltung gibt es beim Umgang mit Drogen weiterhin kein pauschales „Recht auf Rausch“. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am 11. Juli veröffentlichten Beschluss bekräftigt und mehrere Richtervorlagen zur bisherigen Strafbarkeit des Cannabiskonsums als unzulässig verworfen. Es liege im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, inwieweit er den Konsum von Cannabis unter Strafe stellt, befanden die Karlsruher Richter unter Verweis auf eine frühere Entscheidung vom 9. März 1994.

Nach dem Betäubungsmittelgesetz sind Anbau und Erwerb von Betäubungsmitteln wie Cannabis verboten und können mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Wird die Droge zum Eigenverbrauch in geringer Menge angebaut oder konsumiert, kann von einer Strafverfolgung abgesehen werden.

Kein Recht auf Rausch

Ob damit das gesetzgeberische Ziel des Jugendschutzes erreicht wird, ist jedoch umstritten. Vielmehr würden Konsumenten in die Illegalität getrieben und der Drogenschwarzmarkt gefördert, lautet die Kritik. Das Bundesgesundheitsministerium hat daher einen Entwurf für ein Cannabisgesetz veröffentlicht, das unter anderem die „kontrollierte Abgabe“ regeln und den Eigenkonsum von maximal 25 Gramm erlauben soll.

Im aktuellen Fall sahen die Amtsgerichte Bernau, Münster und Pasewalk in der bisherigen Strafbarkeit des Cannabiskonsums einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Handlungsfreiheit. Die Richtervorlagen seien aber wegen einer unzureichenden Begründung unzulässig, entschied das Bundesverfassungsgericht. Bereits 1994 habe das Gericht entschieden, dass es im Rahmen der privaten Lebensgestaltung kein „Recht auf Rausch“ mit Drogen gebe. Mit der Strafbarkeit des Cannabiskonsums habe der Gesetzgeber insbesondere Jugendliche schützen wollen. Zwar habe sich der Cannabiskonsum als weit weniger gefährlich erwiesen als angenommen. Die völlige Ungefährlichkeit sei aber nach wie vor nicht belegt.

Die Amtsgerichte hätten keine erheblichen Änderungen der „Sach- und Rechtslage“ dargelegt. Zudem gehöre es zu „wichtigen Gemeinschaftsbelangen“, die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren und psychischer Abhängigkeit zu schützen und kriminellen handeltreibenden Organisationen entgegenzutreten. Letztlich sei es Sache des Gesetzgebers, „Strafnormen den gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen“.

Az.: 2 BvL 3/20 und weitere



Bundesgerichtshof

Verjährungsfristen für Auskunft über zu hohe Mieten geklärt



Karlsruhe (epd). Mietern muss bei möglichen Verstößen des Vermieters gegen die Mietpreisbremse ausreichend Zeit für eine Prüfung gelassen werden. Wie der Bundesgerichtshof (BGH) am 12. Juli urteilte, verjährt der gesetzliche Anspruch auf Auskunft nicht bereits drei Jahre nach Abschluss des Mietvertrages. Vielmehr beginne die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist erst ab dem Zeitpunkt, an dem der Mieter die Auskunft über den Grund der zu hohen Miete verlangt, betonten die Karlsruher Richter.

Der Bund hatte den Ländern mit der gesetzlichen Mietpreisbremse das Recht eingeräumt, in angespannten Wohnungsmärkten den Anstieg der Mieten zu begrenzen. Danach dürfen Mieten bei Abschluss eines Mietvertrages die ortsübliche Vergleichsmiete nur um maximal zehn Prozent übersteigen. Ausgenommen sind Erstvermietungen und umfassend sanierte Wohnungen.

Eingriff in Eigentumsgrundrecht

Damit Mieterinnen und Mieter Verstöße gegen die Mietpreisbremse überprüfen und überzahlte Mieten zurückfordern können, haben sie gegenüber dem Vermieter ein Auskunftsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 18. Juli 2019 den mit der Mietpreisbremse verbundenen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht wegen des öffentlichen Interesses ausdrücklich gebilligt

In den vom Bundesgerichtshof entschiedenen vier Verfahren ging es um Mieter aus Berlin, die den Verdacht hatten, dass ihr Vermieter sich bei Abschluss des Mietvertrages nicht an die geltende Mietpreisbremse gehalten hat. Sie verlangten Auskunft darüber, warum die Mieten zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Mit der Auskunft wollten sie sich mögliche Rückforderungsansprüche sichern. Die Vermieter meinten, dass der Auskunftsanspruch verjährt sei.

Die damit befassten Fachgerichte hatten unter anderem angenommen, dass gar keine Verjährung eintritt oder dass diese mit Abschluss des Mietvertrages zu laufen beginnt. Der BGH urteilte, dass für den Auskunftsanspruch der Mieter durchaus die regelmäßige gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren gilt. Allerdings hätten Mieter für ihr Auskunftsverlangen durchaus Zeit. Denn die Verjährungsfrist des Auskunftsanspruchs beginne erst, wenn der Mieter die Auskunft bei seinem Vermieter auch tatsächlich eingefordert hat. Die Verjährungsfrist der Auskunftsansprüche verlaufe abschnittsweise und beziehe sich immer auf den jeweiligen Monat der Mietzahlung. So sei es möglich, dass für Mietzahlungen, die länger als drei Jahre zurückliegen, wegen Verjährung keine Auskunft verlangt werden könne, für Zahlungen jüngeren Datums dagegen schon.

Az.: VIII ZR 375/21 und weitere (BGH) Az.: 1 BvL 1/18 und weitere (Bundesverfassungsgericht)



Landesarbeitsgericht

Krankschreibung bis Job-Ende begründet keine Zweifel an Attest



Hannover (epd). Eine Krankschreibung genau bis zum Ende eines Arbeitsverhältnisses begründen noch keine berechtigten Zweifel an der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Selbst wenn ein Arbeitnehmer nach Ende seines Arbeitsverhältnisses wieder gesund geworden ist und eine neue Arbeitstätigkeit aufgenommen hat, darf der frühere Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nicht verweigern, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen in Hannover in einem am 4. Juli bekanntgegebenen Urteil. Gegen das Urteil wurde inzwischen Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt eingelegt (Az.: 5 AZR 137/23).

Der Kläger hatte seit Mitte März 2021 in einer Zeitarbeitsfirma als Helfer gearbeitet. Als er seit dem 21. April 2022 nicht mehr eingesetzt wurde und er sich am 2. Mai für fünf Tage krankmeldete, erhielt er von seinem Arbeitgeber umgehend eine ordentliche Kündigung zum Monatsende.

Starker seelischer Stress

Der Zeitarbeiter legte mit Ablauf der ersten Krankmeldung weitere ärztliche Atteste vor, die ihm bis Ende des Arbeitsverhältnisses die Arbeitsunfähigkeit bescheinigten. Der behandelnde Arzt hatte ihm eine akute Infektion der oberen Atemwege und zuletzt starken seelischen Stress attestiert. Als das Arbeitsverhältnis beendet war, trat nur einen Tag später der nunmehr gesund gewordene Kläger eine neue Beschäftigung an.

Das Zeitarbeitsunternehmen verweigerte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Da genau bis Ende des Arbeitsverhältnisses die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde und der Kläger einen Tag später einen neuen Job angetreten hat, gebe es erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Atteste.

Beweiswert der AU-Bescheinigung

Doch der Arbeitgeber ist zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet, urteilte das LAG. Zwar könne der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden, wenn sich der Arbeitnehmer nach Erhalt der Kündigung sich „postwendend“ krankmeldet.

Hier habe sich der Kläger aber erst krankgemeldet und dann die Kündigung des Arbeitgebers erhalten. Dass der Kläger wegen der Kündigung seine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht hat und die Krankschreibung fehlerhaft sei, sei damit nicht ausreichend belegt. „Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben ist, am unmittelbar darauffolgenden Tag gesundet und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginnt, erschüttert in der Regel ohne Hinzutreten weiterer Umstände den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht“, urteilte das LAG.

Az.: 8 Sa 859/22



Landessozialgericht

Anspruch auf Übergangsgeld während medizinischer Reha erleichtert



Darmstadt (epd). Versicherte haben auch bei einer etwas längeren Wartezeit zwischen dem Auslaufen des Arbeitslosengeldbezugs und dem Beginn einer stationären Reha Anspruch auf Übergangsgeld von der Rentenversicherung. Ein zeitlicher Abstand von vier Wochen zwischen dem Ende des früheren Arbeitslosengeld-II-Bezugs oder einer anderen Sozialleistung und dem Beginn der Reha-Maßnahme sei „regelmäßig unschädlich“, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt in einem am 5. Juli veröffentlichten Urteil.

Das von der Rentenversicherung gezahlte Übergangsgeld soll während einer medizinischen Rehabilitation die bisherigen Einkünfte ersetzen und so den Lebensunterhalt sichern. Gesetzliche Voraussetzung ist, dass Versicherte „unmittelbar vor Beginn der Leistungen“ ein Arbeitseinkommen erzielt und Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt oder Lohnersatzleistungen wie Krankengeld, Kurzarbeitergeld oder Arbeitslosengeld bezogen haben.

Zeitlicher Abstand von vier Wochen

Im konkreten Fall war die Klägerin arbeitslos. Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld lief Mitte April 2015 aus. Erst neun Tage später bewilligte die Rentenversicherung ihre medizinische Reha. Weitere fünf Wochen dauerte es, bis sie hierfür einen Platz erhielt. Die Rentenversicherung lehnte daraufhin ihren Antrag auf Übergangsgeld ab. Sie habe ja „unmittelbar vor Beginn“ der Reha gar kein Arbeitslosengeld mehr erhalten.

Doch auf den Beginn der Reha-Maßnahme komme es nicht, urteilte das LSG. Maßgeblich sei vielmehr, wann die Rentenversicherung die Maßnahme bewilligt habe. Ein zeitlicher Abstand von vier Wochen zwischen dem Ende des früheren Leistungsbezugs und dem Beginn der Reha-Maßnahme sei „regelmäßig unschädlich“.

„Unmittelbarkeit ist auch dann gegeben, wenn zwischen dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld und der Bewilligung der Reha-Maßnahme neun Tage liegen“, erklärten die Darmstädter Richter. Die Formulierung „unmittelbar vor Beginn“ verlange keinen nahtlosen Anschluss.

Az.: L 2 R 61/21



Verwaltungsgericht

Private Kita nicht zur Aufnahme eines Kindes verpflichtet



Münster (epd). In Münster sind Eltern vor Gericht mit ihrem Anliegen gescheitert, eine private Kita zur Aufnahme ihres unter dreijährigen Kindes zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht Münster lehnte mit Beschluss vom 6. Juli einen entsprechenden Eilantrag ab. Das Jugendamt der Stadt Münster habe als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe keine rechtliche Handhabe, den privaten Träger einer Kindertageseinrichtung zur Aufnahme eines bestimmten Kindes zu zwingen, falls dieser nicht freiwillig hierzu bereit sei, hieß es zur Begründung.

Die Eltern hatten bei der Platzvergabe über den sogenannten Kita-Navigator der Stadt Münster im Februar und März zunächst keinen Platz für das am 1. August beginnende Kindergartenjahr bekommen. Nachdem das Gericht im Juni einem entsprechenden Eilantrag stattgegeben hatte, hatte die Stadt Münster für das Kind einen etwa drei Kilometer von der Wohnung entfernten Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte angeboten.

Geeigneter Betreuungsplatz

Diesen Platz nahmen die Eltern den Angaben zufolge jedoch nicht in Anspruch. Sie wollten ihr Kind lieber in einer für sie günstigeren, von einem privaten Träger betriebenen Einrichtung unterbringen. Die Stadt Münster sei verpflichtet, auf diesen Träger einzuwirken, dass ihr Kind in dieser Kindertagesstätte betreut werde. Um dies durchzusetzen, beantragten sie erneut eine einstweilige Anordnung bei Gericht.

Diesen Antrag lehnt das Gericht ab. Das Jugendamt könne private Träger weder zur Aufnahme eines Kindes zwingen noch diese untersagen. Zudem habe die Stadt den Eltern bereits einen geeigneten und zumutbaren Betreuungsplatz in einer anderen Kindertagesstätte nachgewiesen.

Az.: 6 L 558/23




sozial-Köpfe

Armut

Tafeln wählen Andreas Steppuhn zum neuen Vorsitzenden




Andreas Steppuhn
epd-bild/Navina Neuschl
Bei der Tafel Deutschland gibt es einen Wechsel an der Spitze: Andreas Steppuhn übernimmt das Amt von Jochen Brühl, der auf der Mitgliederversammlung nicht mehr antrat.

Mannheim (epd). Neuer Vorsitzender der Tafel Deutschland ist Andreas Steppuhn. Der 61-Jährige wurde auf der Mitgliederversammlung in Mannheim für vier Jahre gewählt. Er tritt die Nachfolge von Jochen Brühl an, der nach zehnjähriger Amtszeit nicht mehr zur Wahl antrat. Die 969 Tafeln in Deutschland versorgen bedürftige Menschen mit Lebensmitteln.

Steppuhn ist seit 2005 ehrenamtlich bei den Tafeln in verschiedenen Funktionen aktiv und seit acht Jahren Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt. Als Stellvertreter stehen ihm in den kommenden vier Jahren Kai Noack, Maximilian Blaeser und Jonah Lindinger zur Seite.

Der neue Vorsitzende tritt sein Amt in einer schwierigen Zeit an. Die Tafeln arbeiten seit der Pandemie an der Belastungsgrenze. Durch den Ukraine-Konflikt und die Inflation kamen mehr Kunden in die Tafelläden bei gleichzeitigem Rückgang der Lebensmittelspenden. „Ganz oben auf der politischen Agenda muss die ausfinanzierte Kindergrundsicherung stehen“, appellierte Steppuhn an die Verantwortung der Politik.

Jochen Brühl hatte 2013 das Amt des Vorsitzenden der Tafel Deutschland übernommen. 1999 hatte er in Ludwigsburg die örtliche Tafel mitgegründet und war dort 13 Jahre lang ehrenamtlicher Geschäftsführer.

Die erste Tafel wurde 1993 in Berlin eröffnet. Aktuell arbeiten nach Angaben des Bundesverbandes rund 60.000 Helferinnen und Helfer bei den Tafeln, mehrheitlich ehrenamtlich. Sie versorgen nach eigener Darstellung bundesweit rund zwei Millionen Menschen.



Weitere Personalien



Thorsten Stolpe wird ab 1. Januar 2024 neuer Geschäftsführer des ökumenischen Malteser-Diako-Klinikums gGmbH in Flensburg. Der 59-Jährige ist derzeit Geschäftsführer Bau und Projektleiter des Campus Neues Klinikum Lörrach der Kliniken des Landkreises. Die beiden Flensburger Krankenhäuser, das St. Franziskus-Hospital und das Diako Krankenhaus, sollen bis zur voraussichtlichen Fertigstellung des Malteser-Diako-Klinikums nach derzeitigen Plänen im Jahr 2030 fusionieren.

Wieland Kleinheisterkamp wird Vorstand beim Caritasverband Gladbeck. Er tritt sein Amt zum 1. Oktober an und wird damit Nachfolger von Rainer Knubben, der Ende Dezember in den Ruhestand geht. Der 51-jährige Personalmanagement-Ökonom ist seit mehr als 23 Jahren im Gesundheitswesen tätig. Davon verantwortete er 14 Jahre lang den Bereich Leben und Gesundheit der Hellmich Unternehmensgruppe, zuletzt als Geschäftsführer von acht zugehörigen Gesellschaften. Zuvor war er als Controller und Revisor für die Theodor Fliedner Stiftung in Mülheim an der Ruhr beschäftigt. Knubben wird im November dem Caritasverband Gladbeck 40 Jahre angehören.

Andreas Schneider übernimmt zum 1. Oktober die Geschäftsführung im Evangelischen Amalie Sieveking Krankenhaus in Hamburg-Volksdorf. Der 52-jährige Gesundheitsmanager ist bereits seit vielen Jahren in der Immanuel Albertinen Diakonie tätig. Schneider folgt auf Sascha Altendorf, der das Unternehmen zum 30. September verlässt. Schneider ist seit 2004 Geschäftsführer der Residenz am Wiesenkamp sowie der Gesellschaft für Diakonie in Hamburg Volksdorf. Der Diplom-Pflegewirt und ausgebildete Krankenpfleger hat darüber hinaus in den vergangenen Jahren innerhalb der Immanuel Albertinen Diakonie Managementaufgaben im Rahmen des Fusionsprozesses übernommen.

Ulrich Wagner erhält den Deutschen Psychologie-Preis 2023. Mit der Auszeichnung werden die Leistungen des Marburger Sozialpsychologen im Bereich der Migrationsforschung gewürdigt. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre vergeben. Der 1951 geborene Wagner ist emeritierter Professor für Sozialpsychologie an der Philipps-Universität Marburg. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) stellte seine Tätigkeit als Wissenschaftlicher Leiter des Wissenschaft-Praxis-Projekts „Einsicht - Marburg gegen Gewalt“ heraus. Wagner engagiere sich seit vielen Jahren unter anderem in der Migrationsforschung und der Gewaltprävention. In diversen Studien habe er immer wieder die Akzeptanz von Geflüchteten und Migranten innerhalb der Bevölkerung untersucht.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis September



August

15.8. Köln:

Seminar „Vergütungssatzverhandlungen in der Eingliederungshilfe“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-519

16.8.:

Online-Seminar „Wie berichte ich nachhaltig?“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 0761/79186-35

24.8.:

Online-Kurs „Kita-Recht für Leitungskräfte“

der Paritätischen Akademie Hamburg

Tel.: 040/415201-66

28.-31.8. Berlin:

Fortbildung „Bundesrahmenhandbuch Schutzkonzepte vor sexualisierter Gewalt“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

30.8. Berlin:

Seminar „Grundlagen des Arbeitsrechtes in Einrichtungen der Sozialwirtschaft - Gestaltungsspielräume nutzen“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

31.8. Berlin:

Seminar „Einfach empfehlenswert! MitarbeiterInnen als MarkenbotschafterInnen“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel. 030/275828221

31.8. Berlin:

Seminar „Datenschutz in sozialen Einrichtungen“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 0251/48261-173

31.8. Berlin:

Seminar „Betriebsverfassungsrecht aus Arbeitgebersicht“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817159

31.8.:

Webinar „Rechtliche Rahmenbedingungen und Grundlagen der Nachhaltigkeitsberichterstattung“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

September

4.-5.9. Berlin:

Seminar „Recht auf Risiko?! Selbstschädigendes Verhalten von KlientInnen in der Assistenz“

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-495

4.-13.9.:

Online-Kurs „Grundlagen des strategischen Managements für die Sozialwirtschaft“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828227

5.9. Köln:

Seminar „Interne Revision bei gemeinnützigen Trägern“

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997-119

7.9. Köln:

Seminar „Kostenrechnung für ambulante Pflege- und Betreuungsdienste“

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/98817-159

13.-14.9.:

Online-Seminar „Datenschutz und Social Media“

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700

22.9.:

Online-Seminar „Klimaziele identifizieren, validieren & kommunizieren“

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275828211