Berlin (epd). Gewalt im eigenen Zuhause ist Alltag in Deutschland, und die Zahlen steigen weiter. Das geht aus dem Lagebericht Häusliche Gewalt hervor, der am 11. Juli in Berlin von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und dem BKA-Präsidenten Holger Münch vorgestellt wurde. Danach ist die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt in den vergangenen fünf Jahren um 13 Prozent gestiegen.
Neu an dem Lagebericht ist, dass nicht mehr nur Gewalttaten in Partnerschaften erfasst werden, sondern erstmals auch innerfamiliäre Gewalt, also Übergriffe, die sich gegen Kinder oder andere Verwandte richten. Zu sehen sei ein deutlicher Anstieg der Gewalt, sagte Faeser. 240.547 Opfer im Jahr 2022 seien 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr: „Hinter jedem dieser Fälle verbirgt sich das Leid und der Horror, ausgerechnet im eigenen Zuhause oder im engsten Umfeld angegriffen worden zu sein.“
Den stärksten Anstieg verzeichnet die Polizeistatistik bei der Partnerschaftsgewalt. Im vergangenen Jahr wurden 9,4 Prozent mehr Fälle registriert als 2021. 80 Prozent der Opfer sind Frauen. Knapp 80 Prozent der Täter sind männlich. In fast 40 Prozent der Fälle sind es ehemalige Partner, die gewalttätig werden. In der Mehrzahl der Fälle (60 Prozent) geht es um Körperverletzung, es folgen Bedrohungen, Nötigung und Stalking. Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen haben unter den bei der Polizei registrierten Straftaten einen Anteil von 2,5 Prozent: Gegenüber dem Vorjahr stieg die Zahl der Fälle um rund zehn Prozent.
Der Blick auf die innerfamiliäre Gewalt zeigt, dass in diesem Bereich eine Steigerung von 7,7 Prozent verzeichnet wurde. 54 Prozent der Opfer sind weiblich und 46 Prozent männlich. In Familien leiden vor allem Kinder, im Jahr 2022 waren 37 Prozent der Opfer die Kinder oder Enkelkinder der Täter. Weitere 18 Prozent waren „sonstige Angehörige“, zu denen etwa auch Nichten und Neffen zählen. Die Hälfte der Übergriffe sind Körperverletzungen, zwölf Prozent schwere Körperverletzungen und rund fünf Prozent sexueller Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen.
Der Lagebericht, der auf den Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) beruht, erfasst nur das sogenannte Hellfeld, also die angezeigten oder polizeilich bekannt gewordenen Taten - nicht das Dunkelfeld. Zu den Delikten zählen körperliche Gewalt bis hin zu Mord, psychische Gewalt wie Stalking, zunehmend auch in digitaler Form, sowie alle Formen sexueller Gewalt bis hin zu Zwangsprostitution und Missbrauch. Insgesamt ist rund jedes vierte Gewaltopfer in Deutschland ein Opfer häuslicher Gewalt. Es sei wichtig, dass diese Gewalttaten angezeigt würden, damit sie strafrechtlich verfolgt werden könnten, sagte Innenministerin Faeser.
Familienministerin Paus ergänzte, zwei Drittel der weiblichen Opfer gingen auch nach schwerster Gewalt nicht zur Polizei. Paus, Faeser und Münch stellten aber zugleich übereinstimmend fest, dass durch die Me-Too-Bewegung und die Appelle während der Corona-Pandemie insgesamt die Aufmerksamkeit für häusliche Gewalt zunehme und auch die Bereitschaft steige, bei einem Verdacht die Polizei zu informieren. Es sei auch davon auszugehen, dass häufiger Anzeige erstattet werde, sagte Münch.
Gemeinsam kündigten Faeser, Paus und Münch eine großangelegte Dunkelfeldstudie an, für die 22.000 Menschen mit Gewalterfahrungen befragt werden sollen, erstmals auch Männer. Dabei gehe es ausschließlich um Partnerschaftsgewalt, sagte BKA-Chef Münch. 15.000 Menschen würden persönlich befragt, 7.000 weitere per Online-Fragebogen. Es gehe darum, das Wissen zu erweitern und zielgenauer helfen zu können. Münch appellierte an alle Personen, die in den kommenden Wochen einen entsprechenden Brief erhalten, bei der Befragung mitzumachen.