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Familie

Weil Erzieherinnen fehlen, müssen Kinder zu Hause bleiben




Jutta Vongries leitet das Kinderhaus Matthäus in Frankfurt am Main.
epd-bild/Heike Lyding
Erwerbstätige Eltern sind auf funktionierende Kitas dringend angewiesen. Der Fachkräftemangel ist aber mittlerweile so dramatisch, dass deren Betrieb immer schwieriger wird. Das Problem war schon lange absehbar, aber die Politik reagierte nicht.

Frankfurt a. M. (epd). Wenn eine Mitarbeiterin kündigt, dann bittet Jutta Vongries sie schon mal, noch bis zu den Sommerferien zu bleiben. Dann habe sie die Möglichkeit, den Betreuungsschlüssel in ihrer Kita stabil zu halten und nach den Ferien, falls sie keinen Ersatz findet, weniger Kinder aufzunehmen.

Vongries ist Leiterin des Kinderhauses Matthäus in Frankfurt am Main, das von der Diakonie getragen wird. Zwei von 21 Vollzeitstellen seien gerade unbesetzt, berichtet sie. Ab August werde ein neuer Betreuungsschlüssel gelten, dann wären es 3,5 Stellen zu wenig. Aktuell könne sie nur 117 von 136 Betreuungsplätzen besetzen. Dabei habe sie noch Glück, weil zwei Kolleginnen, die eigentlich schon in Rente seien, noch so viel Spaß am Job hätten, dass sie weiter im Kinderhaus arbeiteten.

Hohe Fluktuation in Kitas

Probleme, wie Vongries sie beschreibt, haben derzeit viele Kitas. „Weil sich Kolleginnen und Kollegen heute ihren Arbeitsplatz aussuchen können, ist die Fluktuation hoch“, sagt sie. Im Kinderhaus Matthäus besonders. Es liegt im Frankfurter Westend. Beste Lage, viel sanierter Altbau in der Nachbarschaft. Mit einem Erzieherinnengehalt findet hier niemand eine bezahlbare Wohnung. Dementsprechend schwer sei es, Fachkräfte zu finden und zu halten, denn die wollten wohnortnah arbeiten, erklärt die Leiterin.

Abstriche an der Betreuungsqualität wolle sie nicht machen, sagt Vongries. Also müsse sie die Betreuungszeiten kürzen. Morgens telefoniere sie mitunter Eltern ab, ob sie ihre Kinder zu Hause lassen oder früher abholen könnten. Eine ganze Gruppe geschlossen habe sie seit der Corona-Zeit nicht mehr, aber für die Zukunft ausschließen könne sie es nicht.

Und vieles gehe zulasten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bedauert Vongries: „Wenn jemand krank wird, dann muss jemand anderes oft auf eine Fortbildung verzichten oder einen Urlaub verschieben.“ Auch sie selbst springe manchmal bei der Betreuung ein, obwohl sie eigentlich als Leiterin komplett freigestellt ist. „Die Verwaltungsarbeit muss dann eben abends gemacht werden“, sagt sie.

Jede zehnte Stelle unbesetzt

Wie dramatisch die Situation in deutschen Kitas ist, zeigt der Fachkräfteradar der Bertelsmann Stiftung. Demzufolge fehlten im vergangenen Jahr rund 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Die Lücke könnte bis 2030 auf 290.000 Fachkräfte steigen.

Laut der Jahresumfrage 2022 des Deutschen Kitaverbands, der Dachorganisation privater Kita-Träger, sind im Schnitt zehn Prozent der Stellen unbesetzt, bei einem Zehntel der Träger sind es sogar 30 Prozent und mehr. Die Kitas reagieren mit einer Einschränkung des Angebots, wie die Umfrage zeigt. Sie machen mit den Kindern weniger Ausflüge, spielen weniger mit ihnen. Mehr als zwei Drittel der Einrichtungen mussten die Öffnungszeiten reduzieren, vier Prozent sogar zeitweise ganz schließen.

„Aktuell werden die Betreuungszeiten überall gekürzt“, erklärt Waltraud Weegmann, Vorsitzende des Verbands. Erwerbstätige Eltern seien auf funktionierende Kitas dringend angewiesen. Beruf und Familie dürften künftig immer schlechter vereinbar sein, befürchtet Weegmann: „Dabei ist Vereinbarkeit kein Luxus, sondern die Basis dafür, familiäre Gleichstellung möglich zu machen und Altersarmut unter Frauen abzubauen.“ Die Kitas seien daher so etwas wie ein Flaschenhals für die gesamte Gesellschaft.

Ausbildungssystem unzureichend

Die Wurzel des Problems liegen laut der Sozialpädagogin Elke Alsago von der Gewerkschaft ver.di schon weit zurück. 1996 habe es erstmals einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gegeben, der seither sukzessive ausgeweitet wurde. „Aber man hat nicht parallel dazu das Ausbildungssystem für Fachkräfte ausgebaut“, sagt sie. Die Politik sei davon ausgegangen, dass ohnehin gar nicht so viele Eltern Betreuungsplätze für ihre Kinder haben wollten.

Spätestens 2010 sei der jetzige akute Fachkräftemangel absehbar gewesen, sagt Alsago. Reaktionen seit damals: keine.

Alsago kritisiert das Ausbildungssystem als unzureichend. Es fehlten nicht nur Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch Lehrkräfte, die sie ausbilden könnten. Die Gewerkschaft ver.di fordert daher einen Ausbau von Fachschulen und Universitäten.

Wenn jetzt gehandelt werde, könnte sich die Lage in 15 Jahren stabilisiert haben, schätzt Alsago. „Ich sehe aktuell aber keine Bemühungen“, bemerkt sie.

Nils Sandrisser


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