Altenahr (epd). Bis zum 14. Juli 2021 lebten Gabi Gasper und ihr Mann in einem gepflegten, braun verklinkerten Einfamilienhaus im Altenahrer Ortsteil Altenburg. In der Flutnacht stieg das Wasser in kürzester Zeit bis in den ersten Stock. Das Haus musste abgerissen werden. Immer noch klafft an der Stelle eine Lücke. Der Wiederaufbau lässt auch zwei Jahre nach der Katastrophe auf sich warten. „Alles zieht sich von Woche zu Woche und von Monat zu Monat“, klagt die 58-Jährige. „Für mich ist das Warten seelische Folter.“
Die Pläne für den Neubau mit Hochwasserschutz sind schon lange fertig. Doch es dauerte, bis die Anträge auf Wiederaufbauhilfe bewilligt und die Baugenehmigung erteilt war. Jetzt hofft Gabi Gasper auf einen Baubeginn Ende des Jahres. Nach über einem Jahr in einer Mietwohnung ist das Ehepaar nun in Gabi Gaspers Elternhaus untergekommen. Das war zwar auch beschädigt, kann aber renoviert werden. Hier leben sie praktisch auf einer Dauerbaustelle, weil Handwerker nur schwer zu bekommen sind. „Teilweise gehen die gar nicht mehr ans Telefon. Es ist wahnsinnig anstrengend“, sagt sie.
„Bei den Familien, wo der Wiederaufbau nicht vorangeht, sehen wir eine große Erschöpfung“, bestätigt Anne Ernst, Bereichsleiterin Krisenmanagement und Nothilfe bei der Johanniter-Unfall-Hilfe. Die Johanniter und andere Hilfsorganisationen sind nach wie vor mit zahlreichen Projekten in den Flutgebieten aktiv. Psychosoziale Angebote wie Gesprächskreise oder Treffpunkte seien auch zwei Jahre nach der Flut sehr gefragt, sagt Ernst. Stefan Bergner von der Hochwasserseelsorge der Diakonie Katastrophenhilfe im Ahrtal und im Kreis Euskirchen kann das bestätigen. Sein Seelsorge-Team verzeichnet derzeit sogar eine steigende Nachfrage nach Seelsorge-Gesprächen und Psychotherapie.
Viele Betroffene seien belastet durch langwierige Antragsverfahren für die staatliche Wiederaufbauhilfe, weiß Ernst. Bergner beobachtet auch, dass Auseinandersetzungen mit Versicherungen viele Flutopfer zermürben. „Es ist ein Lotterie-Spiel“, berichtet etwa Gabi Gasper. Denn sie müsse für die Renovierung ihres Elternhauses einerseits Arbeiten beauftragen, die sich in den vergangenen zwei Jahren enorm verteuert hätten. Andererseits habe sie keine verlässliche Zusage, dass die Versicherung das am Ende auch übernehme.
Trotz der Geldsorgen vieler Betroffener blieben die Spendenmittel derzeit liegen, klagen Hilfsorganisationen. „Ich würde mir wünschen, dass mehr Betroffene in die Beratungsstellen kämen, um die Mittel zu beantragen“, sagt Manuela Roßbach, Geschäftsführende Vorständin der Aktion Deutschland Hilft. In dem Bündnis sind in den Flutgebieten tätige Hilfsorganisationen zusammengeschlossen, darunter Johanniter, Malteser oder die Arbeiterwohlfahrt (AWO).
Von den 283 Millionen Euro Spenden, die die Aktion Deutschland Hilft für die Flut-Opfer eingesammelt hat, sind in den vergangenen 22 Monaten bislang 184 Millionen Euro in Hilfsmaßnahmen geflossen. Das Geld ging nicht nur in Soforthilfen, sondern etwa auch an Vereine und in zahlreiche Projekte, mit denen die Bündnisorganisationen bis heute vor Ort Beratung und Unterstützung leisten. Von Anfang an sei geplant gewesen, einen Teil der Spendengelder für die kostenintensive Wiederaufbauhilfe zurückzuhalten, sagt Roßbach. Doch nun stockt die Ausschüttung.
„Die Erschöpfung hält sicher den ein oder anderen davon ab, Anträge bei den Hilfsorganisationen zu stellen“, vermutet Ernst. „Viele wissen auch immer noch nicht, dass sie Anspruch auf Spendengelder haben“, sagt Christian Görg, Regionalvorstand der Johanniter am Mittelrhein, der seit der Flut im Ahrtal unterwegs ist. Mit Zeitungsanzeigen oder Infoständen werben die Hilfsorganisationen darum, dass Betroffene in die Fluthilfebüros kommen, um sich beim Antrag auf Spendengelder unterstützen zu lassen. Bis Ende September ist auch eine Hotline für Ratsuchende geschaltet.
Das Problem sei das langwierige Verfahren, das der Auszahlung von Spendengeldern vorausgehe, weiß Görg. Die Betroffenen müssen zuvor Anträge bei Versicherungen oder auf Hilfen vom Staat stellen. Dazu muss in einem Gutachten der gesamte Schaden festgestellt und die Summe für die Wiederaufbauhilfe von maximal 80 Prozent berechnet werden. Für die verbleibenden 20 Prozent Eigenanteil können die Betroffenen Spendengelder beantragen. Doch es mangelt nach wie vor an Gutachtern. Und was tun, wenn sich wie im Fall von Gabi Gaspers Elternhaus das Schadensgutachten der Versicherung als unvollständig entpuppt?
„Ich habe jegliches Vertrauen verloren“, sagt die Altenburgerin. Dennoch bleibt ihr die Hoffnung, eines Tages wieder in einem intakten Ort leben zu können. „Es ist schön zu sehen, wenn in dem ein oder anderen Haus schon wieder Licht brennt und man weiß: Da haben es Nachbarn schon geschafft.“