Hamburg, Frankfurt a.M. (epd). Im November stellt sich die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs zur Wahl für den Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erzählt sie, wie die Kirche den Schutz der Menschenrechte stärken kann und wie die EKD bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt vorankommt.
epd: Unsere Nachrichten sind aktuell von Gewalt, Hass und auch von der Klimakrise geprägt. Leben wir in einer gottlosen Welt?
Fehrs: Das sicher nicht. Aber wir leben in einer Welt, in der Menschen manchmal die Demut zum Leben fehlt. Das sehe ich jedoch als Ansporn für uns als evangelische Kirche und als Christenmenschen, nicht nachzulassen, den Schutz des Lebens und die Würde jedes Einzelnen zu betonen.
epd: Wenn man auf die Migrationsdebatte schaut, scheint der Schutz des Lebens nicht an erster Stelle zu stehen. Wie sehen Sie das?
Fehrs: Ich betrachte die aktuelle Debatte um Flucht und Migration mit Sorge. Es scheint, dass der Ruf nach Abschottung gewinnt und der Schutz der Grenzen wichtiger ist als der der Menschenwürde. In dieser Debatte erheben wir als Kirche unsere Stimme und sagen ganz klar: Wir stehen für Menschenrechte und einen fairen Umgang mit Geflüchteten ein. Mitgefühl, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind zentrale Werte des Christentums, und wir werden diese weiterhin in die politische Debatte einbringen.
epd: Das Kirchenasyl ist im vergangenen Jahr zunehmend unter Druck geraten. Haben Sie Sorge, dass diese Institution künftig an politischer Akzeptanz verlieren könnte?
Fehrs: Ja, das macht mir Sorgen. In den letzten Monaten wurden bundesweit mehrere Kirchenasyle von den Behörden beendet. Kirchenasyl bleibt oft die letzte Hoffnung für Geflüchtete. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um besondere Härtefälle, in denen beispielsweise schwerkranke Menschen in Länder abgeschoben werden sollen, in denen sie keine angemessene medizinische Versorgung erhalten. Es geht nicht darum, Gesetze zu umgehen, sondern darum, dass Behördenentscheidungen nach genauer Abwägung und Prüfung kritisch hinterfragt werden können. Das ist legitim - und es macht eine Gesellschaft menschlicher.
epd: Die katholische Kirche hat sich klar gegen völkischen Nationalismus positioniert und dies in kirchliches Arbeitsrecht übertragen. Plant die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Ähnliches?
Fehrs: Die EKD-Synode hat sich bereits im November 2023 klar positioniert: Völkisch-nationales Gedankengut in Parteien ist mit christlichen Überzeugungen unvereinbar. Dass es in Landeskirchen auch zu Freistellungen von Mitarbeitenden gekommen ist, die sich für Ämter in der AfD zur Verfügung gestellt haben, ist bekannt.
Wenn in einem Arbeitsverhältnis menschenverachtende und gar volksverhetzende Haltungen gezeigt werden, können wir arbeitsrechtlich einschreiten - völlig unabhängig davon, ob jemand sich in der AfD engagiert oder nicht. Dafür braucht es zwar keine weitere rechtliche Regelung. Aber ich halte es für möglich, dass die Synode im November das Thema erneut aufgreift.
epd: Im Januar haben Sie bei der Vorstellung der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der EKD und Diakonie angekündigt, dass Sie Verantwortung übernehmen. Was ist bisher passiert?
Fehrs: Die Studie hat viele Punkte bestätigt, an denen bereits unter permanenter Mitwirkung von Betroffenen aus Kirche und Diakonie gearbeitet wurde, wie etwa an der Anpassung der Anerkennungsleistungen, Änderungen im Disziplinarrecht oder dem Aufbau eines Netzwerks für Betroffene, das just online gegangen ist. Alle Landeskirchen haben die Ergebnisse der Studie zum Beispiel auf ihren Landessynoden aufgenommen und bearbeitet. Im Beteiligungsforum, dem Ort, an dem Betroffene sowie Kirchenvertreterinnen und -vertreter gemeinsam beraten, wurde ein Maßnahmenplan entwickelt, der die 46 Empfehlungen der ForuM-Studie aufnimmt und der im November bei der Synode vorgestellt wird.
epd: In der Ahrensburger Studie von 2014 hieß es bereits, dass Betroffene sexualisierter Gewalt, die Vorwürfe gegen die Kirche erheben, oft als Querulanten oder Nestbeschmutzer abgewertet werden. Zehn Jahre später kommt die ForuM-Studie zu einem ähnlichen Ergebnis. Warum hat die ForuM-Studie dennoch bei einigen Abwehrreaktionen ausgelöst?
Fehrs: Ich habe keine abwehrenden Reflexe nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie bemerkt, gerade dort nicht, wo man sich schon intensiv mit dem Thema befasst hat. Im Gegenteil. So hat die Ahrensburger Studie ja nachhaltig etwas verändert. In der Nordkirche hat uns das Gutachten 2014 zur Entwicklung des ersten Präventionsgesetzes geführt. Das mag formal klingen, bedeutet aber, dass jede Gemeinde sich etwa in ihren Schutzkonzepten mit gefährdenden Faktoren im direkten Umfeld auseinandersetzen muss.
epd: Ist das Thema wirklich in jeder Gemeinde angekommen?
Fehrs: Ich behaupte schon, dass seit Längerem ein Bewusstseinswandel stattfindet und es eine höhere Sensibilisierung gibt. Auch wenn das noch nicht überall gleich stark ausgeprägt ist. Wir können nie ausschließen, dass sexualisierte Gewalt noch geschieht, aber insgesamt ist die Kulturveränderung in Gang gebracht. Es braucht einfach seine Zeit, bis alle Pastorinnen und Pastoren und Ehren- wie Hauptamtliche geschult sind und Schutzkonzepte flächendeckend greifen.
epd: Ein weiterer Befund der ForuM-Studie war, dass Fälle sexualisierter Gewalt oft historisiert werden, also der Eindruck erweckt wird, die Fälle lägen alle in der Vergangenheit. Wie stehen Sie dazu?
Fehrs: Eine Historisierung, die zur Relativierung des Leids führt, darf keinesfalls sein. Das ist ganz klar. Zugleich bleibt zu fragen, ob der Zeitpunkt der Taten gar keine Rolle spielt. Von den 511 beschuldigten Pfarrern und Kirchenbeamten in der Studie wurden 500 vor dem Jahr 2000 ordiniert. Solch eine historische Einordnung kann auch ein Hinweis darauf sein, dass sich in einer Institution etwas verändert hat. Dazu könnte möglicherweise der steigende Frauenanteil im Pfarramt beigetragen haben.
epd: Die Richtlinie, die EKD-weit Anerkennungsleistungen für Betroffene vereinheitlichen soll, wird nun anders als angekündigt nicht zur Synode fertig. Die 20 Landeskirchen sollen bis Ende November jetzt noch einmal Stellung nehmen, obwohl sowohl der EKD-Rat als auch die Kirchenkonferenz die Richtlinie bereits gebilligt haben - warum?
Fehrs: Zunächst: Die Anerkennungsrichtlinie muss nicht von der Synode verabschiedet werden. Das Stellungnahmeverfahren ist das übliche Verfahren, das sicherstellen soll, dass die Richtlinie unter bewusster und ausdrücklicher Zustimmung in den Landeskirchen und der Diakonie mit einheitlichen Standards umgesetzt wird. Darauf wird es am Ende ankommen. Denn wir leisten hier als evangelische Kirche mit einem solchen Standard eine Pionierarbeit.
epd: Haben die Landeskirchen ein Vetorecht?
Fehrs: Es geht hier nicht um ein Veto. Die Landeskirchen können Vorschläge machen, um einzelne Aspekte nachzubessern. Aber das grundsätzliche Einvernehmen besteht ja. Es wird bei einer individuellen Leistung bleiben, zu der eine pauschale Leistung kommt, wenn es sich nach heutiger Rechtslage um strafrechtlich relevante Taten handelt. Dabei wird es sich um eine fest definierte Summe handeln, die im Beteiligungsforum zwischen allen Beteiligten lange verhandelt wurde.
epd: Wie hoch wird diese Summe sein?
Fehrs: Das wird Gegenstand des Berichts aus dem Beteiligungsforum auf der Synode sein. Dem möchte ich nicht vorgreifen.
epd: Aber die Landeskirchen können durch das Stellungnahmeverfahren die Summe nicht noch ändern?
Fehrs: Das sehe ich nicht. Die Summe orientiert sich unter anderem an der aktuellen Rechtsprechung. Sie ist nicht einfach aus der Luft gegriffen.
epd: Wann tritt die Richtlinie in Kraft?
Fehrs: Die Rückmeldungen, die aus Diakonie und den Landeskirchen im Stellungnahmeverfahren kommen, werden anschließend im Beteiligungsforum beraten, bis dort Einvernehmen besteht. Danach wird der Rat der EKD die Richtlinie möglichst schon im Frühjahr in Kraft setzen.
Berlin (epd). Die Familie des NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) kritisiert eine missbräuchliche Vereinnahmung des Theologen durch rechtsextreme Anhänger des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. „Mit Entsetzen verfolgen wir, wie das Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer zunehmend von rechtsextremen Antidemokraten, Fremdenfeinden und religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht wird“, heißt es in einem offenen Brief, aus dem die Zeitungen der Funke Mediengruppe (18. Oktober) zitieren. Der Appell ist laut Bericht von 86 der 100 erwachsenen Nachkommen von Bonhoeffers Geschwistern unterzeichnet.
„Als direkte Nachfahren der sieben Geschwister des Theologen und von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers können wir aufgrund der Familienüberlieferung bezeugen: Er war ein friedliebender, freiheitlich gesinnter Menschenfreund“, heißt es laut den Funke-Zeitungen in dem Brief. Niemals hätte er sich in der Nähe rechtsextremer, gewalttätiger Bewegungen gesehen, die heute versuchten, ihn zu vereinnahmen. „Im Gegenteil, er hätte genau diese Haltungen kritisiert.“
Deutsche und amerikanische Theologen hatten bereits Mitte der Woche ebenfalls in einem offenen Brief gegen die Vereinnahmung des NS-Widerstandskämpfers protestiert. Christliche Nationalisten beriefen sich in der aufgeheizten Stimmung in den USA immer häufiger auf Bonhoeffer, heißt es in dem Theologen-Schreiben, das die „Zeit“ veröffentlichte. Sein Leben und Werk würden in diesem Milieu zunehmend dazu benutzt, politische Gewalt zu legitimieren.
Dietrich Bonhoeffer war ein deutscher evangelischer Theologe und Mitglied des militärischen und zivilen Widerstands gegen das NS-Regime. Als früher Gegner des Nationalsozialismus setzte er sich gegen die Verfolgung von Juden ein und war an den Attentatsplänen des 20. Juli 1944 gegen Adolf Hitler beteiligt. Bonhoeffer wurde schon 1943 verhaftet und 1945 wenige Tage vor Kriegsende im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet. Sein theologisches Werk umfasst akademische Schriften wie seine „Ethik“, aber auch Briefe und Gedichte über seine Haftzeit. Viele Menschen kennen sein Gedicht „Von guten Mächten“.
Hildesheim (epd). Trotz massiver Tatvorwürfe im Hinblick auf sexualisierte Gewalt bleiben die sterblichen Überreste des früheren katholischen Bischofs von Hildesheim, Heinrich Maria Janssen (1907-1988), in der Bischofsgruft des Hildesheimer Doms. Die Gruft werde verschlossen und künftig nicht mehr öffentlich zugänglich sein, teilte das Bistum am 17. Oktober mit. Sie werde in Zukunft auch nicht mehr als Begräbnisstätte für Hildesheimer Bischöfe dienen. Neben Janssen sind in der Gruft die Bischöfe Joseph Godehard Machens und Josef Homeyer beigesetzt.
Nachdem vor drei Jahren die Tatvorwürfe gegen Janssen posthum bekannt geworden waren, hatten zahlreiche Stimmen aus dem Umfeld des Bistums vehement eine Umbettung des früheren Bischofs gefordert. Andere sprachen sich strikt dagegen aus. Eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung hatte 2021 eklatante Missstände im Umgang mit sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch im Bistum während der Amtszeit von Bischof Janssens zwischen 1957 und 1982 dokumentiert. Darüber hinaus hatten fünf Personen angegeben, Janssen habe sexualisierte Gewalt an ihnen verübt.
Mit der Schließung der Gruft beschlossen der amtierende Bischof Heiner Wilmer und die acht Mitglieder des Domkapitels nun einen Kompromiss. „Wir belassen die drei in der Bischofsgruft bestatteten Bischöfe an ihrem Ort, um ihre Totenruhe nicht zu stören“, sagte Wilmer. „Das gebietet unsere grundsätzliche Achtung vor den Verstorbenen, unabhängig davon, wie viel Schuld sie zu Lebzeiten auf sich geladen haben.“ Ein Schild vor der Gruft soll künftig darüber informieren, dass es gegen Janssen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gibt.
Osnabrück (epd). Mit gut leserlicher Handschrift hat Irmgard Kühn alle Deutschen Evangelischen Kirchentage mitsamt dem jeweiligen Leitwort aufgelistet. Anderthalb DIN A 4-Seiten, eng beschrieben, beginnend mit „1949 - Hannover - Kirche in Bewegung“ liegen vor ihr auf dem Esstisch in ihrem Haus in Osnabrück. Unterstrichen hat die 89-Jährige diejenigen Christentreffen, an denen sie und ihr Mann Siegfried (90) über fast sieben Jahrzehnte teilgenommen haben. 14 waren es insgesamt.
Zu Kirchentagen fanden sich zeitweise mehr als 100.000 Christinnen und Christen in immer anderen Städten zusammen, zunächst jährlich, ab 1957 alle zwei Jahre. Das 39. Treffen wird vom 30. April bis 4. Mai 2025 in Hannover ausgetragen.
Die Gemeinschaft mit Zehntausenden Gleichgesinnten hat die Kühns jedes Mal aufs Neue begeistert. „Dieses Flair“, schwärmt Irmgard Kühn. Nicht nur die riesigen Open-Air-Gottesdienste, Abende der Begegnung, Konzerte und hochkarätig besetzten Polit-Diskussionen hätten sie in ihren Bann gezogen. „Ein Singen und Summen und Musizieren lag in der ganzen Stadt.“ Straßen und Busse und Bahnen seien voller Menschen gewesen, „mit farbigen Schals um den Hals und Instrumenten auf dem Rücken“.
„Die Fröhlichkeit und die Lebendigkeit waren überall zu spüren“, ergänzt ihr Mann. Auch auf Menschen, die der Kirche eher ferngestanden hätten, sei der Funke übergesprungen. „Wir haben die Kirche nach außen getragen“, blickt er mit Stolz zurück.
Zwölfmal sind die eingefleischten Kirchentags-Fans mit ihrem selbst gebauten Wohnanhänger zu den Christentreffen gereist. Gemeinsam mit anderen Campern haben sie jeweils auf Wiesen am Stadtrand ihr Quartier aufgeschlagen. „Abends haben wir dann immer unsere Erlebnisse und Eindrücke vom Tage ausgetauscht“, sagt Siegfried Kühn schwärmerisch und streicht über das hölzerne Modell des Wohnwagens, den sie längst verschenkt haben.
Fast zu jedem Kirchentag können die Kühns eine Geschichte erzählen. Irmgard Kühn nimmt ein stramm gefülltes Säckchen aus halb vergilbtem weißem Baumwollstoff in die Hand. Die Körner im Innern reiben hörbar aneinander. „Ihr seid das Salz der Erde“ - in roten Buchstaben ist das Leitwort des Kirchentags in Stuttgart 1999 aufgedruckt. „Das war uns damals sehr eindrücklich. Wir haben stundenlang darüber diskutiert, was uns der Glaube bedeutet.“ Deshalb hängt das Säckchen mit Salz noch heute in der Küche an der Wand - unter den Topflappen hat es seinen Platz.
In Leipzig 1997 haben sie einmal nicht im Wohnwagen, sondern bei einer Familie aus der Partnergemeinde gewohnt. Daraus ist eine langjährige Freundschaft entstanden. Umgekehrt haben auch sie vielen Menschen ihr Haus geöffnet, zum Beispiel beim Deutschen Katholikentag in Osnabrück 2008.
Beim ersten Kirchentag nach dem Krieg in Hannover waren die Kühns noch Teilnehmer einer Jugendgruppe: „Da waren wir gerade konfirmiert und haben tatsächlich unter freiem Himmel geschlafen“, erzählt der Ehemann. Er erinnert sich noch, wie mitten in der Nacht ein dicker Ast von einem Baum herunterkrachte: „Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt.“
Sie reden mit Bedacht, lassen einander ausreden. Der Überschwang ist ihre Sache nicht. „Mit dem Glauben sind wir aufgewachsen. Das ist ein wichtiger Teil unseres Lebens“, sagt Irmgard Kühn. Mit ihrem kurz geschnittenen weißgrauen Haar wirkt sie fast jugendlich.
In der Jugendgruppe der Matthäusgemeinde in Osnabrück habe es begonnen - die Liebe zur Kirche und die Liebe zueinander, berichtet das Paar. Seit 63 Jahren sind die beiden verheiratet. Bis heute gehören sie zur Gemeinde, der Gottesdienst dort gehört für sie zum Sonntag. Jeden Abend vor dem Schlafengehen beten sie gemeinsam: „Für unsere Kinder und Enkel, Freunde und alle, die uns nahestehen, aber auch für die Menschen in den Brandherden dieser Welt“, erklärt Siegfried Kühn.
Auf dem Regal gegenüber dem Esstisch reihen sich exklusive Souvenirs ihrer zahlreichen sonstigen Reisen aneinander: ein eisernes Vorhängeschloss aus Indien, Stoffpüppchen aus Guatemala, ein Schiff aus dem Oman. Kaum ein Land der Welt, das sie nicht besucht haben.
Nur die Mongolei hatten sie sich noch aufgehoben. Aber mittlerweile ist ihnen das Reisen doch zu beschwerlich geworden. 2017 in Berlin und Wittenberg war ihr letzter Kirchentag. „Wir sind dankbar und leben von den vielen schönen Erinnerungen“, sagt Irmgard Kühn.
Karlsruhe/Berlin (epd). Die Bundesanwaltschaft hat einen Libyer festnehmen lassen, der einen Anschlag mit Schusswaffen auf die israelische Botschaft in Berlin geplant haben soll. Der Zugriff erfolgte am Samstagabend in Bernau bei Berlin, wie die oberste deutsche Anklagebehörde am 20. Oktober in Karlsruhe mitteilte. Omar A. sei Anhänger der Ideologie der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS).
„Spätestens seit Oktober 2024 beabsichtigte er, einen öffentlichkeitswirksamen Anschlag mit Schusswaffen auf die israelische Botschaft in Berlin zu verüben“, erklärte die Bundesanwaltschaft weiter. Zur Planung des Vorhabens habe sich der Mann in einem Messenger-Chat mit einem Mitglied des IS ausgetauscht.
A. sollte einem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorgeführt werden, der über die Untersuchungshaft entscheidet. Der Mann sei der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtig, erklärte die Bundesanwaltschaft.
Laut „Tagesschau“ wurde der 28-jährige Libyer von der Antiterroreinheit GSG9 festgenommen, nachdem die deutschen Sicherheitsbehörden einen Tag zuvor den Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes bekommen hatten. Ein Sprecher des Generalbundesanwalts wollte das zunächst nicht bestätigen.
Die „Bild“-Zeitung (online) schrieb, bei dem Festgenommenen handele es sich um einen abgelehnten Asylbewerber. Die Polizei durchsuchte die Wohnung des Beschuldigten in Bernau. Zudem sei die Wohnung eines nicht Tatverdächtigen im Rhein-Sieg-Kreis in Nordrhein-Westfalen durchsucht worden, teilte die Bundesanwaltschaft mit.
Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) erklärte, der Zugriff der Sicherheitsbehörden zeige, dass der Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen in Deutschland lebenswichtig und sei und höchste Bedeutung habe. „Wir handeln mit höchster Wachsamkeit und Aufmerksamkeit angesichts der hohen Bedrohungslage durch islamistische, antisemitische und israelfeindliche Gewalt“, betonte die Ministerin.
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) erinnerte daran, dass erst im September das israelische Generalkonsulat in München Ziel eines islamistischen Anschlags gewesen sei. „Unsere Sicherheitskräfte werden weiterhin alles daran setzen, dass die gefährlichen Pläne der Israelhasser und Antisemiten nicht aufgehen“, schrieb Buschmann auf X.
Der israelische Botschafter Ron Prosor bedankte sich bei den deutschen Sicherheitsbehörden. Auf X erklärte er: „Der muslimische Antisemitismus beschränkt sich nicht auf hasserfüllte Rhetorik, sondern fördert den weltweiten Terrorismus. Die Mitarbeiter der israelischen Botschaft sind besonders gefährdet, weil sie an vorderster Front der Diplomatie stehen.“
Der stellvertretende Grünen-Fraktionvorsitzende Konstantin von Notz lobte die Sicherheitsbehörden für die Vereitelung des Anschlags. Dennoch müssten diese dringend gestärkt werden: „Angesichts der aktuellen Herausforderungen müssen wir darüber reden, unsere Nachrichtendienste massiv finanziell, personell und technisch zu stärken“, sagte von Notz der „Welt“.
Auch der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Alexander Throm, sagte demnach: „Unsere Dienste brauchen mehr Befugnisse im digitalen Bereich, um den aktuellen Herausforderungen in einer Zeit von Kriegen und Terrordrohungen gerecht zu werden.“
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, sprach von einem „Weckruf“. „Wir müssen den staatsgefährdenden islamistischen Antizionismus endlich ernst nehmen“, forderte er.
Berlin (epd). Abgeordnete mehrerer Fraktionen haben ihren Antrag zur Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens durch den Bundestag veröffentlicht. In einer am 17. Oktober verschickten gemeinsamen Mitteilung werben einzelne Parlamentarier und Parlamentarierinnen von SPD, CDU, Grünen, Linken sowie Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband (SSW) um Unterstützung für die Initiative. Die Verantwortung der demokratischen Abgeordneten gebiete es, eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen, heißt es in dem Antrag.
„In Deutschland wurde bereits einmal mit demokratischen Mitteln die Demokratie abgeschafft und unser Kontinent ins Verderben gestürzt“, erklärte die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge. Deswegen müsse man alles dafür tun, dass das nie wieder passieren könne. Der CDU-Politiker Marco Wanderwitz sagte: „Es gilt zu verhindern, dass nach der furchtbaren Herrschaft der Nationalsozialisten eine in großen Teilen rechtsextreme und völkische Partei in Deutschland wieder mächtig wird.“
Die fraktionsübergreifende Initiative wirft der AfD vor, sich gegen zentrale Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu stellen und damit gegen das Grundgesetz zu verstoßen. So stelle die Partei die Menschenwürde und das Diskriminierungsverbot unverhohlen infrage, indem sie unter anderem die Rechte von Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderungen zugunsten einer „völkisch-nationalen Stärkung eines vermeintlichen Deutschtums“ einschränken oder abschaffen wolle.
Auch seien „immer wieder Bagatellisierungen der monströsen nationalsozialistischen Verbrechen“ durch die AfD zu verzeichnen, heißt es in dem Antrag. Vielfach nutzten AfD-Abgeordnete Begrifflichkeiten und Parolen, die auf den Nationalsozialismus Bezug nehmen. Ein Beispiel sei der thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, der jüngst zweimal für die Nutzung einer SA-Parole verurteilt wurde.
Die Initiative verweist auch darauf, dass die AfD bereits durch den Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall, einzelne Landesverbände sogar als gesichert rechtsextrem eingestuft sind. Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, forderte zwar gegenwärtig ein Verbotsverfahren gegen den AfD-Landesverband, hält ein solches Vorgehen auf Bundesebene jedoch erst nach einer extremistischen Einstufung der Partei durch den Verfassungsschutz für sinnvoll.
Aus Kreisen der Initiatoren heißt es, dass der Antrag im Laufe des Novembers in den Bundestag eingebracht werden soll. Die Zeit davor wollen die Initiatoren demnach nutzen, um weitere Unterschriften zu sammeln. Bislang unterstützen mindestens 37 Abgeordnete den Antrag.
Unterstützung erhält die parlamentarische Initiative von der zivilgesellschaftlichen Kampagne „AfD-Verbot Jetzt!“. Diese organisierte am Donnerstag eine Kundgebung vor dem Haus der Bundespressekonferenz, zu der rund 30 Menschen kamen.
Ein Parteiverbotsverfahren kann von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung initiiert werden. Damit ein Verfahren vonseiten des Parlaments eingeleitet wird, muss die Initiative die Mehrheit der Mitglieder des Bundestags überzeugen. Die schlussendliche Prüfung, ob eine Partei verfassungswidrig ist, liegt allein beim Bundesverfassungsgericht.
Dresden (epd). Lautstark haben am 20. Oktober in Dresden hunderte Menschen gegen die vorerst letzte „Pegida“-Demonstration protestiert. Auf dem Neumarkt vor der Frauenkirche versammelten sich laut Veranstalterangaben rund 1.000 Gegendemonstrantinnen und -demonstranten. Organisiert wurde der Protest unter anderem von der Initiative „Herz statt Hetze“.
Nach zehn Jahren hatte die islam- und asylfeindliche „Pegida“-Bewegung nach eigenen Angaben ihre vorerst letzte Versammlung angemeldet. Zum vorläufigen Schlusspunkt kamen laut Beobachtern etwa 1.000 Menschen. Darunter mischten sich unter anderem auch Anhängerinnen und Anhänger der rechtsextremen Partei „Freie Sachsen“.
Die Polizei schirmte beide Veranstaltungen auf dem Neumarkt strikt voneinander ab. Immer wieder riefen Gegendemonstranten in Richtung „Pegida“-Versammlung Parolen wie „Haut ab“. Redner und Rednerinnen kündigten an, weiter für den Erhalt der Demokratie kämpfen zu wollen. Auch wenn ein Akteur wie „Pegida“ von der Bildfläche verschwinde, gebe es noch immer Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Der „rechte Spuk“ sei noch nicht zu Ende.
Eine Sprecherin von „Studies gegen Rechts“, sagte: „Pegida“ habe die Gesellschaft mit Rassismus vergiftet. Die Bewegung habe dafür gesorgt, dass rechtsextreme Narrative weiterverbreitet werden. Es brauche nach wie vor ein Engagement gegen Rechtsextremismus. Andrea Hübler von der Opferberatung RAA Sachsen sagte, dass sich das gesellschaftliche Klima seit „Pegida“ gefährlich zugespitzt habe. Sie erinnerte an Angriffe der rechtsterroristischen Gruppen wie „Revolution Chemnitz“ und „Gruppe Freital“, deren Mitglieder verurteilt wurden.
Rednerinnen und Redner der Gegendemonstration kritisierten zudem die Dresdner Versammlungsbehörde. Sie habe „Pegida“ immer wieder den Boden für Demonstrationen bereitet, hieß es.
Erstmals waren die sogenannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida)“ am 20. Oktober 2014 auf die Straße gegangen. Der anfangs diffuse Protest fokussierte sich später vor allem auf die Asylpolitik der Bundesregierung. Dies führte zu einer weiteren Radikalisierung der Bewegung.
„Pegida“-Mitbegründer Lutz Bachmann hatte vor wenigen Tagen in den sozialen Medien mitgeteilt, dass nach zehn Jahren die 250. und zugleich letzte Demonstration in Dresden veranstaltet werde. Gründe für das Aus seien unter anderem logistische und finanzielle Probleme. „Pegida“ wird vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuft.
Die Bewegung kündigte an, mit „neuen Projekten“ weiter aktiv zu sein. Welche dies sind, blieb zunächst offen. Bachmann stand mehrfach vor Gericht und wurde unter anderem wegen Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt.
Auf den „Montagsspaziergängen“ von „Pegida“ waren Ressentiments angeheizt worden. Wegen ihrer Flüchtlingspolitik wurde unter anderem die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einem der Hassobjekte. Angriffe gab es auch gegen Journalistinnen und Journalisten, die als „Lügenpresse“ diffamiert wurden.
Frankfurt a.M. (epd). Das Jugendwort des Jahres 2024 heißt „Aura“. Der Begriff werde in der Jugendsprache häufig scherzhaft verwendet, wenn es um die Ausstrahlung einer Person geht, teilte der Langenscheidt-Verlag am Samstag auf der Buchmesse in Frankfurt am Main mit. „Aura“ kann positiv und negativ verwendet werden. „Ich dachte, es gibt keine Stufe mehr und bin gestolpert - minus 50 Aura“, nannte Langenscheidt als Beispiel.
„Tagesschau“-Sprecherin Susanne Daubner, deren Jugendwort-Verkündungen in den sozialen Medien Kultstatus erreichten, erläuterte es auf Instagram so: „Aura beschreibt die persönliche Ausstrahlung. Beispiel: Ich wurde einfach von einer KI ersetzt - minus 5.000 Aura.“
Die 63-Jährige hatte angekündigt, das Jugendwort nicht mehr in den Social-Media-Kanälen der „Tagesschau“ zu verkünden. Doch ihre Fans stimmten sie um: „Liebe Community, eure Kommentare haben mich so geflasht und berührt. Ihr habt mich überzeugt“, sagte Daubner in dem Video auf dem Instagram-Kanal der „Tagesschau“.
Laut Langenscheidt wurde „Aura“ zu einem geflügelten Wort im Sport, nachdem die „New York Times“ 2020 über einen Fußballer und in Anlehnung an einen Werbeslogan geschrieben habe: „Solutions Are Expensive. An Aura Is Priceless.“ (Lösungen sind teuer. Eine Aura ist unbezahlbar.)
Der Begriff habe „einen hauchdünnen Vorsprung“ vor „Talahon“ auf Platz zwei und „Schere“ auf Platz drei gehabt, teilte der Verlag mit. Talahon ist aus dem Arabischen abgeleitet und bedeutet ursprünglich „Komm her“. Genutzt werde es für junge Männer mit stereotypen Merkmalen oder Verhaltensweisen, erklärte der Verlag. „Schere“ oder „die Schere heben“ stamme aus der Gaming-Welt und drücke ein Schuldeingeständnis oder ein Bekenntnis aus.
Der Langenscheidt-Verlag wählt das Jugendwort des Jahres seit 2008, seit 2020 entscheiden den Angaben zufolge Jugendliche zwischen 11 und 20 Jahren in einer Online-Abstimmung. „Goofy“ war das Jugendwort des Jahres 2023, es steht für einen tollpatschigen oder albernen Menschen. „Smash“ (2022) bedeutet „mit jemanden etwas anfangen“.
Berlin (epd). Jugendliche in Deutschland blicken trotz Ängsten vor einem möglichen Krieg und Sorgen vor einer Wirtschaftskrise überwiegend optimistisch in die Zukunft. Das ist die zentrale Aussage der aktuellen Shell-Jugendstudie, die am 15. Oktober in Berlin vorgestellt wurde. Die junge Generation ist demnach mit den politischen Parteien unzufrieden, hat aber Vertrauen in staatliche Institutionen.
Mehr als 80 Prozent der Befragten haben Angst vor einem Krieg in Europa. Ein ebenfalls großer Teil sorgt sich um die wirtschaftliche Lage und eine möglicherweise steigende Armut. Die Angst vor Arbeitslosigkeit oder davor, keinen Ausbildungsplatz zu finden, wird dagegen immer geringer. Nur noch etwa ein Drittel teilt diese Sorgen. Das sei ein historischer Tiefstand, hieß es.
Rund drei Viertel der Jugendlichen gaben an, dass sie mit der Demokratie zufrieden sind. Der entsprechende Wert liegt in den ostdeutschen Bundesländern bei 60 Prozent, in den westdeutschen bei 77 Prozent. Zwischen dem Erscheinen der vorangehenden Studie 2019 und der diesjährigen stieg der Anteil der jungen Menschen, die sich für Politik interessieren, von 41 auf 51 Prozent. Jeder vierte junge Mann bezeichnete sich als eher rechts oder rechts. 2019 war es noch jeder Fünfte.
Rund zwölf Prozent der Jugendlichen sind der Studie zufolge verdrossen. Daneben gebe es einen erheblichen Anteil kritischer und unzufriedener Jugendlicher. Diese seien offen für Populismus und sind kritisch gegenüber Staat und Gesellschaft. Sie sehen sich laut Studienleiter Mathias Albert als „benachteiligte Modernisierungsverlierer“.
Albert betonte bei der Vorstellung der Untersuchung, junge Menschen seien „sehr besorgt, aber pragmatisch und optimistisch“. So seien die Befragten unter anderem davon überzeugt, dass sie ihren Wunschberuf ausüben werden.
Die Themen Klimawandel und Umweltverschmutzung machen weiterhin einer Mehrheit von zwei Dritteln der Jugendlichen Angst. Insgesamt fühlen sich Jugendliche aus den östlichen Bundesländern auch 35 Jahre nach dem Mauerfall verwundbarer und schlechter gestellt als Gleichaltrige im Westen.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) wies auf die wachsende Zustimmung zu antidemokratischen Positionen hin. Es sei ein Auftrag an die Politik, „Jugendlichen Gehör zu verschaffen und sie zu beteiligen“. Demokratie müsse auch in Kindertagesstätten und Schulen erlernt werden, sagte sie unter Hinweis auf das Gefälle beim Demokratievertrauen in ost- und westdeutschen Bundesländern.
Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks, Thomas Krüger, forderte vor dem Hintergrund der Studienergebnisse, die oft prekären Strukturen bei der Demokratieförderung durch den Bund stärker abzusichern. Das gelte insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene sowie in strukturschwachen Bundesländern.
Die von dem Energie-Unternehmen finanzierte Shell-Jugendstudie erschien in diesem Jahr zum 19. Mal und widmet sich den Lebenswelten von 12- bis 25-Jährigen. Befragt wurden 2.509 junge Menschen der Jahrgänge 1998 bis 2012. Geschlechter, Jahrgänge, Migrationshintergründe, soziale Herkunft, Bildungsstand und weiteres wurden repräsentativ berücksichtigt.
Berlin/Hamburg (epd). Weiße Flügel, mehr braucht es manchmal nicht, um ein Produkt anzupreisen - sei es einen Brotaufstrich oder eine Schachtel Zigaretten. Menschen im Engelskostüm werben so für das, was in den Supermarktregalen steht. „Es geht in der Werbung immer darum, Aufmerksamkeit der Lesenden oder der Zuschauenden zu gewinnen“, sagt Jörg Herrmann, Privatdozent am Institut für Praktische Theologie in Hamburg und Direktor der Evangelischen Akademie der Nordkirche. „Und das funktioniert am besten durch Verfremdung, durch Kontraste, Irritation - bis hin zum Tabubruch.“
Für einen Tabu-Bruch sorgte im Frühjahr das Münchner Finanzunternehmen Scalable Capital. „Deine Villa geschehe, auch ohne Vater im Himmel“, prangte in großen Lettern auf schwarzen Plakaten in Deutschlands Großstädten. „Da wird mit einer Zeile des Vaterunsers gespielt. 'Nicht Dein Wille geschehe', sondern 'Deine Villa geschehe'. Und nicht 'Wie im Himmel, so auf Erden', sondern 'auch ohne Vater im Himmel'.“ Es würden Formulierungen des Vaterunsers verfremdet und für einen Werbespruch instrumentalisiert - „eine Provokation“, sagt Herrmann.
Ob Mönche, Engel oder das Vaterunser - religiöse Bilder und Texte seien tief verwurzelt im kollektiven Gedächtnis, sagte der Theologe. „Wenn man so etwas verwendet, dann erzeugt das bei den Rezipienten eben auch ein Gefühl von Vertrautheit, Bekanntheit. Es gibt eine Anknüpfung, eine Art Andocken an ein gemeinsames Symbol.“ Immer wieder werben besonders Finanzunternehmen oder Versicherungen mit religiösen Anspielungen. „Hier geht es ja auch Absicherung, um eine existenzielle Sicherheit“, sagt Herrmann. Und: „Um Themen und Fragen nach Schutz und Bewahrung, die auch in den Religionen eine zentrale Rolle spielen.“
Religiöse Themen können Menschen erreichen, aber auch ihre Gefühle verletzten. Das reicht bis zur Blasphemie, der Gotteslästerung. Die Werbebranche hat seit mehr als 50 Jahren ein Gremium, um sich selbst zu regulieren: Den Deutschen Werberat. Dieser überprüft alle Beschwerden und bittet, falls er Handlungsbedarf sieht, die jeweiligen Unternehmen um Stellungnahme. Häufig werden Anzeigen daraufhin zurückgezogen. Der Rat hat eine Durchsetzungsquote von 94 Prozent. Nur in Ausnahmefällen wird eine öffentliche Rüge ausgesprochen.
Hinsichtlich der Verletzung religiöser Gefühle war dies zuletzt 2003, teilte der Werberat mit Sitz in Berlin mit. Damals hatte eine Destillerie „Dr. Gerald Rauch GmbH“ auf Postkarten mit einem umgedichteten Vaterunser auf sich aufmerksam gemacht: „mein Rausch komme/dein Wille geschehe/wie zuhause als auch in der Kneipe“. Im selben Jahr gab es insgesamt 16 Beschwerdefälle aufgrund der Verletzung religiöser Gefühle. 20 Jahre später waren es fünf. „Es werden vergleichsweise wenige Beschwerden an den Werberat gerichtet“, in denen es sich um religiöse Aspekte handelt", sagt Unternehmenssprecher Sebastian Lambeck.
Scalable Capitel musste für seine an das Vaterunser angelehnte Kampagne vor dem Werberat Stellungnahme beziehen. „Im Zuge dieses Dialogs sicherte der Werbetreibende zu, dass das von den Beschwerdeführern als religiös verletzend angesehene Motiv nicht mehr verwendet wird“, so die Selbstkontrolleinrichtung.
Nicht nur mit dem Vaterunser, auch mit einer biblischen Erzählung, in der es um die Versuchung geht, spielt die Werbung häufig mit der Schöpfungsgeschichte. Adam und Eva werden spärlich bekleidet in einem Supermarkt gezeigt oder sie essen, dank einer Schlange Schokolade. „Dann ist gewissermaßen die Werbung in der Rolle der Schlange, die sagt: Wenn ihr von diesem Apfel esst, dann werdet ihr klug werden, dann werdet ihr sein wie Gott“, sagt Akademie-Direktor Herrmann.
Dass Werbung mit ihrer verlockenden Produktwelt eine Ersatzreligion ist, sieht Herrmann jedoch nicht. „Werbung ist letzten Endes nichts Ernstes. Und Religion hat eben diesen Anspruch, dass es um den Ernst des Lebens geht.“ Da gehe es um Fragen von Herkunft, von Zukunft, von Endlichkeit, von Schuld, von Gut und Böse. Herrmann: „Und das kann einfach Werbung nicht ersetzen.“
Hamburg (epd). Mit ihrem leuchtenden Rot könnten sie aus dem Märchen stammen. „Das sind richtig schöne Schneewittchenäpfel“, findet Gina Pfeiffer und lächelt. Zeit zum Reinbeißen nimmt sich die Mitarbeiterin der gemeinnützigen Hamburger Initiative „Das Geld hängt an den Bäumen“ trotzdem nicht, stattdessen kippt sie ihren vollen Eimer in eine große Box. Es gibt viel zu tun auf dem Gut Uhlenhorst im schleswig-holsteinischen Dänischenhagen: Rund 300 alte Apfelbäume stehen hier zwischen akkurat gemähten Grasflächen. Auf diesem Golfplatz sind sie nur Dekoration, jahrelang verfaulte das Obst ungenutzt.
Genau um solche vergessenen Bäume kümmert sich die Initiative „Das Geld hängt an den Bäumen“ seit über zehn Jahren. Was anfing mit ein paar Bäumen in der Nachbarschaft, umfasst heute Streuobstwiesen in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Geerntet wird dort, wo sich Besitzer nicht selbst um die Obstbäume kümmern. Vergessene Ressourcen wertschätzen ist das Motto der Initiative - bei Obst und Menschen. Beschäftigt werden nämlich „vergessene“ Menschen, die sonst auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben.
„Wir sind Deutschlands sozialster Saftladen“, sagt Constantin Ohmann. Er koordiniert die „Social Days“, bei denen Gruppen dem Team bei der Arbeit helfen. Die 17 Mitarbeitenden des Teams gehören fast alle zu gesellschaftlichen Randgruppen, haben körperliche oder psychische Behinderungen, waren vorher langzeitarbeitslos oder obdachlos. „Alle Menschen haben besonderen Qualitäten“, ist Ohmann überzeugt und denkt an die gehörlose Kollegin im Büro und den gewissenhaften, autistischen Kollegen im Lager.
Pfeiffer ist seit vier Jahren dabei. Besonders Spaß macht ihr am Job, „dass man mit ganz verschiedenen Leuten zusammen arbeitet. Jeder hat seine Schwäche, es ist einfach ein bunter Laden.“ Stolz ist sie auf ihr eigenes Label: Ihr Name und Foto sind auf dem Etikett der Apfel-Ingwer-Schorle. „Unsere erste Frauen-Schorle heißt Gina“, sagt sie. Andere Schorlen gibt es mit Samuel, Olaf und Simon. Die Flaschen der Initiative gehen mittlerweile bundesweit vor allem an Gastronomie, Unternehmen und auch an den regionalen Handel. „Die Nachfrage ist so groß, dass wir Obst zukaufen müssen“, erklärt Ohmann.
Nach der Corona-Krise startet die sozial-ökologische Initiative wieder durch. Allein in diesem Jahr wurden vier neue Mitarbeitende eingestellt. Das Thema Nachhaltigkeit hat für Betriebsleiterin Dominique Agbobly mehrere Seiten: „Es geht um einen inklusiven Umgang mit Menschen, aber auch mit der Natur.“ Mit der Pflege alter Obstsorten auf Streuobstwiesen werden diese für die Zukunft erhalten, es werden neue Bäume gepflanzt, Blühwiesen angelegt und als Unterschlupf für Tiere Hecken aus Totholz gebaut.
Weitere Standbeine sind zwei Teams, die allgemeine Gartenpflege anbieten und die „Social Days“ mit Unternehmen. Hier helfen Mitarbeitende bei der Apfelernte oder Baumpflanz-Aktionen mit. „Ganz nebenbei bauen wir Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen ab“, beobachtet Ohmann, der rund 40 „Social Days“ im Jahr organisiert. In Zukunft würde er solche Projekttage auch gerne mit Schulkindern machen, um schon bei Kindern das Verständnis für Inklusion zu fördern. Ohmann: „Beim Äpfel aufsammeln verfliegt die Scheu sehr schnell.“
Auf dem Golfplatz in Dänischenhagen helfen rund 40 Beschäftigte einer großen Bank bei der Apfelernte mit. „Wir würden die Menge sonst gar nicht schaffen“, sagt Ohmann. Er hat seinen Schreibtischjob für die Initiative aufgegeben, weil er lieber „mit guten Menschen etwas Gutes tut“. Über sieben Tonnen Äpfel werden mit Stangen vom Baum gerüttelt, prasseln ins Gras, wo sie in Eimer oder Schubkarren gesammelt und in große Boxen für die Mosterei gekippt werden. Ohmann freut sich über die neue Ernte, nicht nur wegen der Säfte. Er grinst: „So ein Stück Böhmischer Apfelkuchen mit Sahne geht doch immer.“
Berlin (epd). Bundestagsabgeordnete der FDP wollen die Todesdefinition als Voraussetzung für eine Organspende ausweiten, um die Zahl der Spenden zu erhöhen. „Der Tod nach einem anhaltenden Kreislaufstillstand ist medizinisch mit dem Hirntod gleichzusetzen“, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann, am 15. Oktober in Berlin. Es gebe „keinen Goldstandard bei der Erklärung des Todes“.
Bislang musste der sogenannte Hirntod nachgewiesen werden, bevor Organe entnommen werden. Wie „Welt“ berichtet, soll für eine Organentnahme nach dem Herztod eine explizite Zustimmung nötig sein. Potenzielle Spenderinnen und Spender sollen ihre Entscheidung dazu über ein dafür vorgesehenes zusätzliches Feld im Organspende-Register oder auf Organspendeausweisen festhalten können.
„Damit nutzen wir bestehende Potenziale zur weiteren Erhöhung der Spenderanzahlen und tragen zeitgleich dem individuellen Selbstbestimmungsrecht auch im Zusammenhang mit dem eigenen Tod Rechnung“, sagte die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr „Welt“.
Ende vergangenen Jahres warteten nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation knapp 8.400 Patientinnen und Patienten in Deutschland auf ein Spenderorgan. Dem standen rund 2.900 Organspenden im Jahr 2023 gegenüber. Die Zahlen stagnieren seit Jahren, obwohl die Wartelisten für eine Transplantation lang sind.
Der Mediziner Ullmann erläuterte, der Aufwand zur Feststellung des Hirntods sei immens hoch und schränke dadurch die Zahl der potenziellen Spenderinnen und Spender von vornherein ein. Das sei die wissenschaftliche und praktische Grundlage, auf der zu debattieren sei. „Ich halte das auch nicht unbedingt für eine ethische Frage“, sagte der FDP-Politiker und fügte hinzu: „Wir können und müssen das politisch entscheiden“, die wissenschaftliche Grundlage sei unzweifelhaft.
In anderen Ländern wie Großbritannien, Spanien und den USA sind Organspenden dem „Welt“-Bericht zufolge nach Herz-Kreislauf-Stillstand bereits erlaubt. Auch Ullmann verwies auf Daten aus dem europäischen Ausland.
Genf (epd). Die Präsidentin der Schweizer Sterbehilfeorganisation Exit, Marion Schafroth, lehnt schärfere gesetzliche Regeln für die Freitodbegleitung in ihrem Land ab. Der aufsehenerregende Freitod einer erkrankten US-Amerikanerin in der sogenannten Suizidkapsel „Sarco“ im Kanton Schaffhausen könnte dazu führen, dass die Schweizer Politik detaillierte gesetzliche Regeln für den assistierten Suizid erlassen wolle. „Dies würde zu Einschränkungen unserer jetzt geltenden und befriedigenden liberalen Situation führen“, sagte Schafroth dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Genf.
Die Organisation Exit, die im vergangenen Jahr 1.252 Menschen beim Freitod assistierte, setze sich seit Langem für die Eigenverantwortung bis ans Lebensende ein. Exit werde seine Methode bei der Suizidbegleitung nicht ändern und weiter ausschließlich das todbringende Medikament Natrium-Pentobarbital verwenden. „Dieses Medikament ist vielfach erprobt und bewährt“, sagte die Chefin der Organisation, die 180.000 Mitglieder zählt.
Die promovierte Medizinerin sagte, dass die meisten Personen mit Sterbewunsch schwer krank und geschwächt seien. Sie seien deshalb froh, daheim oder in einem gewohnten Umfeld aus dem Leben zu scheiden. „Die Vorstellung, stattdessen an einen schönen See oder in einen rauschenden Wald zu fahren, um dort in eine Kapsel zu steigen, mag PR-mässig gut klingen, ist jedoch schlecht praktikabel und entspricht keinem wahren Bedürfnis“, betonte sie.
Heute machten assistierte Suizide rund zwei Prozent aller Todesfälle in der Schweiz aus. „Wir erwarten auch in den kommenden Jahren steigende Zahlen und gehen von einer weiteren Zunahme bis gegen fünf Prozent aller Todesfälle aus“, prognostizierte sie. Die Hilfe für Sterbewillige werde aber nicht zur Routine verkommen. Jede Freitodbegleitung und der sehr intime Moment des Abschiednehmens und Sterbens seien absolut einmalige Situationen.
In der Schweiz ist ein assistierter Suizid laut Strafgesetzbuch erlaubt, solange eine Person nicht „aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet“. Zudem müssen weitere Voraussetzungen wie Urteilsfähigkeit bei dem Sterbewilligen vorhanden sein. Wer die Hilfe von Exit in Anspruch nehmen will, muss dem Verein beitreten, volljährig sein, Bürger der Schweiz oder dort wohnhaft sein.
Schafroth betätigte, dass Exit auch Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen beim Freitod helfe. „Aber nur dann, wenn nachweislich eine langjährige Erkrankung besteht, die trotz erfolgter Therapiebemühungen die Lebensqualität andauernd und unerträglich einschränkt“, erläuterte sie. Zwei Psychiater müssten die Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen bestätigen.
Seit dem Freitod mit „Sarco“, den die Sterbehilfeorganisation „The Last Resort“ im September organisierte, fordern Politiker in der Schweiz ein Suizidhilfegesetz mit klaren Vorgaben. Auch Freitodorganisationen wie Exit sollen überprüft werden.
Berlin (epd). Die Behindertenbeauftragten der Länder und des Bundes mischen sich in die Debatte um vorgeburtliche Bluttests auf die Behinderung eines Kindes ein. Sie forderten am 16. Oktober in Berlin, die Auswirkungen der nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) müssten sorgfältig analysiert werden. Daran müssten Menschen mit Behinderungen beteiligt werden, erklärte der Bundesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel.
Die Beauftragten von Bund und Ländern unterstützen damit einen Beschluss des Bundesrats sowie eine fraktionsübergreifende Initiative von Bundestagsabgeordneten, über die das Parlament derzeit berät. Ein Expertengremium soll die Anwendung und die Folgen der Pränatal-Tests überprüfen.
Die werden seit Juli 2022 von den Krankenkassen bezahlt, wenn schwangere Frauen dies in Absprache mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt für notwendig halten. Mit den Tests können Chromosomenabweichungen festgestellt werden, etwa das Down-Syndrom. Die Bluttests werden seit Jahren angeboten, mussten aber bis 2022 selbst bezahlt werden. Sie sind eine Alternative zu den sogenannten invasiven Testungen, etwa durch eine Fruchtwasseruntersuchung.
Nach dem Willen des Bundesrats und der Bundestagsabgeordneten soll überprüft werden, ob die Kassenzulassung dazu führt, dass die Tests häufiger gemacht werden. Es gebe bereits Anhaltspunkte, dass sie zu einer Reihenuntersuchung würden. Auch die Frage, ob es mehr Abtreibungen gibt, steht im Raum. Die Behindertenbeauftragten erklärten, wenn Behinderung als medizinisches Problem angesehen werde, würden Menschen mit Behinderungen an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Das dürfe nicht geschehen. Vielmehr stehe ihnen das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe zu.
Berlin (epd). Eine Kirchenmitgliedschaft ist künftig seltener als früher Voraussetzung für ein Arbeitsverhältnis in der Diakonie. Die Konferenz für Diakonie und Entwicklung als höchstes Beschlussorgan des evangelischen Wohlfahrtsverbandes beschloss am 17. Oktober in Berlin, die vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) geänderte Mitarbeitsrichtlinie zu übernehmen. Dafür stimmte die weit überwiegende Mehrheit der mehr als 100 Konferenzmitglieder. Es gab eine Gegenstimme.
Die Richtlinie regelt, dass nur noch für Tätigkeiten in der Verkündigung, der Seelsorge, der evangelischen Bildung oder „in besonderer Verantwortlichkeit für das evangelische Profil“ die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche vorausgesetzt wird. Auch der Austritt aus der Kirche ist danach nicht mehr automatisch Kündigungsgrund, sondern je nach Umständen zu betrachten. Der Personalvorstand im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung, Jörg Kruttschnitt, sagte, die Richtlinie werde im Bundesverband bereits in die Praxis umgesetzt. Der Beschluss der Konferenz vollzieht dies nun formell nach.
Die Regelungen zur Kirchenmitgliedschaft im eigenen Arbeitsrecht der Kirchen sorgten in der Vergangenheit zunehmend für Diskussionen. 2018 hatte die Berlinerin Vera Egenberger vor dem Bundesarbeitsgericht eine Entschädigung erstritten, nachdem sie sich erfolglos beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung um eine Referentenstelle beworben hatte. Sie unterstellte eine Diskriminierung aus religiösen Gründen, weil sie konfessionslos war.
Berlin (epd). Die Diakonie hat sich Grundsatzregeln zum Umgang mit Missbrauchsfällen gegeben. Auch in Einrichtungen der Diakonie „kam und kommt es zu Verletzungen des Abstinenzgebots und zu Grenzverletzungen und Übergriffen in Form sexualisierter Gewalt“, heißt es in der am 17. Oktober von der Konferenz Diakonie und Entwicklung in Berlin ohne Gegenstimmen verabschiedeten Rahmenbestimmung. Es gab eine Enthaltung bei mehr als 100 Konferenzmitgliedern. Die Konferenz ist das höchste Organ der Diakonie und beschließt über Grundsatzfragen.
Missbrauchstaten würden durch unzureichende Schutzstrukturen und den Missbrauch von institutionell begründeten Machtbefugnissen begünstigt, heißt es in dem zehnseitigen Papier. Es enthält Grundregeln zur Prävention sexueller Übergriffe, zur Aufklärung von Taten sowie zu Ansprech- und Meldestellen für Beschäftigte und Betroffene. Diakonie-Sozialvorständin Maria Loheide sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Rahmenbestimmung verpflichte alle Mitglieder des Verbands, tätig zu werden, etwa Schutzkonzepte zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass Beschäftigte geschult werden. Sie sei auch Ausdruck dafür, an einer „Veränderung der Kultur“ zu arbeiten.
Bestimmt wird etwa, dass hauptamtlich Beschäftigte bei beruflich bedingtem Kontakt zu Minderjährigen sowie Volljährigen in Abhängigkeitsverhältnissen immer, ehrenamtlich Beschäftigte abhängig von der konkreten Tätigkeit regelmäßig ein Führungszeugnis vorlegen müssen. Festgelegt wird beim Thema Aufarbeitung beispielsweise, dass Betroffene einen Anspruch auf Einsicht der Fall- und Verfahrensakten haben und ihnen auf Wunsch mitzuteilen ist, welche personellen Konsequenzen aus ihrem Fall gezogen wurden.
Beim Thema Entschädigung, den sogenannten Anerkennungsleistungen, bleibt die Rahmenbestimmung vor dem Hintergrund der noch andauernden Beratungen innerhalb der evangelischen Kirche und im Gremium mit den Betroffenen allgemein. Die Leistungen dienten dazu, das erlittene Unrecht anzuerkennen und dazu beizutragen, es abzumildern, heißt es. Regelungen zur Finanzierung träfen die landeskirchlichen Diakonischen Werke in Abstimmung mit den Landeskirchen. Dabei seien „rechtliche sowie wirtschaftliche Aspekte“ zu beachten.
Die evangelische Kirche ist bestrebt, die bislang in den 20 Landeskirchen unterschiedlich gestalteten Anerkennungsverfahren und -leistungen zu vereinheitlichen und hat sich dazu mit Betroffenen auf Grundzüge bereits verständigt. Ein formeller Beschluss wird aber erst für das nächste Frühjahr erwartet.
Detlev Zander, Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), begrüßte die Rahmenbestimmung. Sie sei „ein Schritt in die Zukunft“, sagte Zander, der an der Tagung in Berlin teilnahm. Er betonte, der „Flickenteppich“ bei den Anerkennungsverfahren müsse aufgehoben werden.
Die Rahmenbestimmung soll für alle diakonischen Träger und Fachverbände gelten und tut das mit dem Beschluss bereits für den Bundesverband. Die Landesverbände müssen die Bestimmung noch formell übernehmen.
Dortmund (epd). Die Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank) kritisiert die Erwägungen der EU-Kommission, Anlagen in Rüstung und Waffengüter als nachhaltig einzustufen. „Es ist für uns nicht nachvollziehbar und nicht tragbar, dass Waffen und Rüstungsgüter nachhaltig sein sollen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Bank, Ekkehard Thiesler, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Rüstungsgüter dienten nicht ausschließlich dem Zweck der Verteidigung und Abschreckung. Sie verletzten und töteten Menschen und verursachten großes Leid. „Wir investieren nicht in Rüstungskonzerne“, unterstrich Thiesler.
Waffen und Rüstungsgüter erfüllten keines der EU-Kriterien für ökologische Nachhaltigkeit, erklärte der Vorstandsvorsitzende der KD-Bank. Weder leisteten sie einen positiven Beitrag gemäß den Umweltzielen der UN, noch erfüllten sie das Kriterium, keinen Schaden in einem der Nachhaltigkeitsbereiche zu verursachen.
Die EU erwägt mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, Rüstungsgüter und Waffen als nachhaltig einzustufen. Damit könnten „grüne“ Fonds mit nachhaltigen Geldanlagen auch Aktien von Rüstungskonzernen aufnehmen. Für die „grünen“ Fonds, sogenannte ESG-Fonds, gelten die drei zentralen Nachhaltigkeitskriterien: Umwelt (Environment), Soziales (Social) und gute Unternehmensführung (Governance).
Die Bank für Kirche und Diakonie orientiere sich an den christlich geprägten Werten „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“, erläuterte Thiesler. Waffen und Rüstungsgüter stünden dazu im Widerspruch: „Sie schüren Hass und Feindschaft und vernichten Lebensgrundlagen.“ Als christlich-nachhaltige Bank wolle man zudem nicht von Dividenden und spekulativen Kursgewinnen der Rüstungsbranche profitieren.
Die KD-Bank berücksichtige bei der Auswahl von Geldanlagenprodukten die Nachhaltigkeitskriterien der Vereinten Nationen sowie die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, erläuterte Thiesler. Als Beispiele nannte er den gemeinsam mit der Hilfsorganisation Kindernothilfe angestoßenen „KinderZukunftsFonds“ und den in Kooperation mit dem evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“ eingerichteten „FairWorldFonds“.
Die Bank für Kirche und Diakonie (KD-Bank) mit ihrem Hauptsitz Dortmund zählt nach eigenen Angaben mit rund 4.000 Mitgliedern zu den 30 größten Genossenschaftsbanken Deutschlands. Seit ihrer Gründung durch die evangelische Kirche im Jahr 1925 vergibt sie Darlehen an kirchliche und diakonische Einrichtungen. Die KD-Bank gehört Kirche und Diakonie, deren Repräsentanten im Aufsichtsrat und Beirat mitwirken.
Rendsburg, Braunschweig (epd). Könnte Corina Linke-Voigt die Zeit zurückdrehen, würde sie sich nicht noch einmal dazu entscheiden, Mutter zu werden. Und das, obwohl sie ihr Kind nach eigener Aussage liebt. „Ich habe ein sehr gutes und inniges Verhältnis zu meiner Tochter“, sagt die 46-Jährige. Wir tauschen unsere Gedanken aus, sie fragt mich oft um Rat."
Dennoch bereue sie es, Mutter geworden zu sein. „Es ist unglaublich anstrengend, gerade als Trennungsmutter“, berichtet die Steuerfachangestellte aus Schleswig-Holstein. „Ich bin mittlerweile an einem Punkt angekommen, an dem ich denke, ohne Kind würde es mir psychisch besser gehen, da ich mich dann mehr auf mich selbst konzentrieren könnte.“
Sie betont jedoch, dass ihr Kind keine Schuld daran trage: „Immer wenn der Gedanke in mir hochkommt, dass ich meine Mutterschaft bereue, denke ich auch immer daran, dass ich ihr das auf keinen Fall zeigen oder sie spüren lassen darf.“ Aufgetreten seien die Reuegedanken vor mehr als fünf Jahren, während der Trennung vom Vater ihrer Tochter. „Aufgrund des Stresses und der Streitigkeiten, die durch die Trennung entstanden sind, wurde mir bewusst, wie wahnsinnig angreifbar man ist, wenn man ein Kind hat“, sagt Linke-Voigt.
Seit der Trennung lebe ihre elfjährige Tochter beim Vater. Ihr Kind sei jedes zweite Wochenende bei ihr.
Die Braunschweiger Soziologin und Autorin Christina Mundlos beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Regretting Motherhood. Sie sieht verschiedene Gründe als Auslöser. „Das Muttersein wird immer noch sehr verklärt, auch wenn die damit einhergehenden Belastungen und Einschränkungen oder auch Gefahren hier und da mal thematisiert werden“, sagt sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Letztendlich bleibe es bei der Thematisierung der negativen Seiten bei einem Kratzen an der Oberfläche, ohne dass nachhaltige Lösungen angeboten werden. „So nach dem Motto: Muttersein kann auch anstrengend sein, aber ein bisschen Me-Time mit einem Tee und etwas Yoga gleichen das aus.“ Das sei aber ein Irrtum, sagt die Soziologin.
Auch strukturelle Probleme seien dafür ausschlaggebend, dass manche Frauen ihre Mutterschaft bereuen. „Solange jede dritte Frau häusliche Gewalt erlebt, bei gemeinsamen Kindern die Gefahr besteht, bei einer Trennung die Kinder an den Täter zu verlieren, und 75 Prozent der Alleinerziehenden keinen oder zu wenig Unterhalt zur Versorgung der Kinder erhalten, lassen sich die Belastungen und Risiken der Mutterrolle nicht wegatmen“, stellt Mundlos klar.
Die Debatte zu Regretting Motherhood werde seit etwa zehn Jahren geführt. Dabei seien die Bedingungen für Mütter laut Einschätzung der Expertin vorher schon schlecht gewesen. Die Problemlagen hätten sich lediglich verschoben. „Während es früher Frauen zum Beispiel nicht erlaubt war, ohne Einverständnis des Ehemanns erwerbstätig zu sein und es insbesondere in Westdeutschland auch fast keine Möglichkeiten der Kinderbetreuung gab, können Mütter heutzutage zwar erwerbstätig sein, zahlen dafür aber einen hohen Preis, da die Mehrfachbelastung größtenteils an ihnen hängen bleibt.“
Außerdem seien finanzielle und strukturelle Benachteiligungen damals wie heute ein großes Problem für Mütter. Über Regretting Motherhood zu sprechen, sei ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Linke-Voigt wollte über ihre Situation sprechen und suchte sich Hilfe bei Anlaufstellen wie dem Jugendamt und der Familienberatung, doch dort habe sie keine guten Erfahrungen gemacht. „Ich habe nicht die Unterstützung erhalten, die ich mir erhofft hatte“, berichtet sie. „Ich wünsche mir, dass man nicht nur als Mutter gesehen wird, sondern auch als der Mensch, der man vorher war und dass man sich nicht ständig dafür rechtfertigen muss, auch eigene Bedürfnisse zu haben.“
Über die Social-Media-Plattform Instagram hat sie sich mit anderen Frauen vernetzt, denen es ähnlich geht, und tauscht dort Erfahrungen aus. „Ich habe das Gefühl, dass man als Trennungsmama etwas andere Voraussetzungen hat als als Mutter, die noch mit dem Vater des Kindes zusammen ist.“ Sie habe die Hoffnung, dass ihre Reuegedanken eines Tages verschwinden.
Marburg (epd). Schwester Christine Muhr ist seit 50 Jahren Diakonisse. Ruhig und entschieden tritt sie auf, die Tracht trägt sie mit Selbstverständlichkeit. Im Mutterhaus Hebron in Marburg kümmert sie sich unter anderem um den Garten und die Imkerei. Und sie ist in den Umbau des Hauses eingebunden. Im Zuge einer Dachsanierung entstehen Appartements und eine Wohngemeinschaft. „Über die Gästearbeit haben wir festgestellt, dass viele Menschen sich im Umfeld einer geistlichen Gemeinschaft ansiedeln wollen“, sagt Muhr. „Aber wir hatten nie die durchschlagende Idee.“
Die gibt es jetzt. Der Deutsche Gemeinschafts-Diakonieverband (DGD), ein Verbund diakonisch-missionarischer Einrichtungen, wandelt seine Diakonissen-Häuser im niedersächsischen Lemförde, Elbingerode im Harz, Marburg, Velbert im Ruhrgebiet, Lachen (Neustadt an der Weinstraße) und im fränkischen Gunzenhausen in sogenannte „Lebensparks“ um. Zur Gemeinschaft der Diakonissen ziehen Paare, Alleinstehende oder Familien. Um die Lebensparks aufzubauen, gehörten am Anfang vor allem aktive Senioren zwischen 60 und 70 Jahren zur Zielgruppe, die „aus unserem Umfeld“ stammen, erklärt der Vorstandsvorsitzende des DGD, Frieder Trommer.
Die Idee dahinter: In den Mutterhäusern bestehen lebendige christliche Glaubensgemeinschaften, die aber überaltert sind. Wohnraum steht leer. Gleichzeitig, so sieht es der DGD, möchten viele aus der Generation der Babyboomer, die jetzt in Rente gehen, nochmal etwas Neues wagen. Sie suchen Gemeinschaft und eine sinnstiftende Tätigkeit.
Die Diakonissen-Bewegung nahm in Deutschland im 19. Jahrhundert ihren Anfang. In vielen Städten bildeten sich Diakonissenhäuser. Vier junge Frauen begründeten die Geschichte des DGD. In einem Pfarrhaus im ostpreußischen Borken begannen sie 1899 mit ihrer diakonischen Arbeit. Der Dienst am Menschen und für Gott erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Boom, als sich allein im DGD mehr als 3.000 Diakonissen um Kranke und Kinder kümmerten, Gäste versorgten, in der Gemeinde wirkten oder als Missionarinnen ins Ausland gingen.
Die traditionellen Diakonissen sind ehelos, ihre Ehelosigkeit sehen sie als Ausdruck der Liebe zu Gott. Doch das Lebensmodell kommt heute für Frauen kaum noch infrage. Seit Jahrzehnten fehlt Nachwuchs. Von den derzeit 450 Schwestern in den Mutterhäusern des DGD sind nur noch 50 unter 65 Jahre alt. In Marburg fiel 2012 der Entschluss, keine neuen Schwestern mehr aufzunehmen, weil die Altersspanne zu sehr auseinanderdriftete.
Muhr sagt, dass sie die Öffnung des Mutterhauses als „guten Prozess“ erlebe, „der die Schwesternschaft aus einem Stillstand herausholt“. „Ich habe den Eindruck: Wir sind wieder gefragt. Das bewegt mich schon.“
„Wir bauen gerade überall“, berichtet Trommer. In einer ersten Bauphase werden die bestehenden Häuser umgebaut, was rund acht Millionen Euro kostet. Sie sind dabei unterschiedlich weit. In Elbingerode im Harz etwa - das Haus entstand 1934 im Bauhausstil - zogen schon sieben neue Mieter ein.
In einer zweiten Phase stehen Neubauten an, die über ein Genossenschaftsmodell finanziert werden. Mit dem Unternehmen „Fingerhaus“ habe man ein Typenhaus mit 10 bis 15 Wohnungen entwickelt, erklärt Trommer. Es liefen bereits Bauvoranfragen.
Es gehe jetzt darum, auszuloten: „Was wollen die Leute, und was wollen wir?“, sagt Muhr. Denn die neuen Bewohner ziehen in eine Gemeinschaft mit einer besonderen Zusammengehörigkeit ein. Viele Schwestern beschäftige, wie das bewahrt werden könne.
Die künftigen Mitbewohner sind eingeladen, sich einzubringen. An einigen Standorten befinden sich Krankenhäuser oder Pflegeheime, Schulen, überall gibt es Gästehäuser. Die neuen Mieter könnten ehrenamtlich in den Tagesstätten mithelfen, im Garten, an der Rezeption, bei Fahrdiensten für die Schwestern zu Ärzten oder im Besuchsdienst. Mission und Diakonie sollen in den Häusern weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. „Es hängt von den Bewohnern ab“, betont Trommer. Wer ein schönes Hobby hat, Reisen, Musik oder Backen, kann es für die anderen öffnen.
Frankfurt a.M. (epd). Die Friedenspreisträgerin Anne Applebaum hat Deutschland zu einer Führungsrolle bei der Verteidigung der westlichen Demokratie gegen die russische Aggression aufgerufen. Deutschland solle im Kreis der freiheitlichen Gesellschaften Europas „den Kampf mit anführen“ und müsse dabei auch Risiken eingehen, sagte die US-amerikanisch-polnische Historikerin und Publizistin am 20. Oktober bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche.
Ein waffenloser Pazifismus fordere Kriege heraus und verhindere sie nicht, sagte Applebaum in ihrer Dankesrede. Ziel müsse es sein, der angegriffenen Ukraine zum Sieg zu verhelfen und den „schrecklichen Gewaltkult“ in Russland zu beenden. Die Europäer verabscheuten den Krieg, doch manchmal sei dieser das kleinere Übel, um eine Unterdrückung der Freiheit zu verhindern.
Ein Pazifismus, der es zulasse, dass Menschen und Gebiete an Diktatoren gingen, habe nichts aus der leidvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt. „Das 'Nie wieder' hat uns blind gemacht“, sagte die Friedenspreisträgerin. Möglicherweise wäre der russische Angriffskrieg durch rechtzeitige Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine verhindert worden.
Die russische Menschenrechtlerin Irina Scherbakowa sagte in ihrer Laudatio, Applebaum habe als eine der ersten Beobachterinnen im Westen die autoritäre Entwicklung Russlands unter Putin erkannt. Die Historikerin habe den westlichen Ländern vor Augen geführt, dass sie sich gegenüber der Aggressivität Russlands „im wahrsten Sinne des Wortes“ verteidigen müssten, sagte Scherbakowa.
Die Kulturwissenschaftlerin ist Mitbegründerin der seit 2022 in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial, der im selben Jahr der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde. Scherbakowa, die ihr Heimatland 2022 verließ, warnte davor, die Gefahr zu unterschätzen, die von der Bedrohung durch das Putin-Regime ausgehe. Für Osteuropa habe das russische System mit seiner Mischung aus Terror und Gewalt nach dem Zweiten Weltkrieg eine andere Form von Diktatur gebracht.
In der Begründung zur Verleihung des Friedenspreises lobte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Applebaum als eine der wichtigsten Analytikerinnen autokratischer Herrschaftssysteme. Sie helfe der Welt zu verstehen, wie sie ist: gespalten, mit einer sinkenden Zahl an Demokratien und einer wachsenden Zahl von Autokratien, sagte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs.
Applebaum wurde 1964 in Washington D.C. als Kind jüdischer Eltern geboren. Sie studierte Russische Geschichte und Literatur an der Yale University sowie Internationale Beziehungen in London und Oxford. 1988 wurde Applebaum Auslandskorrespondentin in Polen für das britische Nachrichtenmagazin „The Economist“, dann arbeitete sie für britische Zeitungen. Bis 2019 schrieb sie als Kolumnistin für die „Washington Post“, seither vornehmlich für die US-amerikanische Zeitschrift „The Atlantic“.
2017 übernahm sie eine dauerhafte Professur an der London School of Economics and Political Science. Ihr Programm „Arena“ über Desinformation und Propaganda verlegte sie 2019 an das Agora-Institut der Johns Hopkins University in Baltimore. Applebaum lebt seit 30 Jahren mit Unterbrechungen in Polen, verheiratet ist sie mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski. Für ihre Bücher „Der Gulag“ (2003), „Der Eiserne Vorhang“ (2012), „Roter Hunger“ (2019) und die „Die Verlockung des Autoritären“ (2021) wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem erhielt sie 2004 den Pulitzer-Preis und den Carl-von-Ossietzky-Preis 2024.
Der mit 25.000 Euro dotierte Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 vergeben. Die Auszeichnung wird traditionell am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche verliehen. Im vergangenen Jahr wurde der Schriftsteller Salman Rushdie geehrt.
Frankfurt a.M. (epd). Der beste deutschsprachige Roman des Jahres ist „Hey, guten Morgen, wie geht es dir?“ von Martina Hefter. Er wurde am 14. Oktober in Frankfurt am Main mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Die Vergabe der mit 25.000 Euro dotierten Auszeichnung bildete den Auftakt der Frankfurter Buchmessen-Woche. In der Finalrunde fiel die Entscheidung zwischen sechs Werken.
Der Sieger-Roman „Hey, guten Morgen, wie geht es dir?“ handelt von der Performancekünstlerin Juno, die ihrem schwerkranken Mann Jupiter hilft, seinen Alltag zu meistern. Nachts, wenn Juno nicht schlafen kann, chattet sie mit Liebesschwindlern im Internet, fällt aber nicht auf die Lügen der Betrüger rein, sondern verwickelt diese in Spielchen. Die Buchpreis-Jury urteilte, es stelle sich die Frage, wer hier wen ausbeute. Auf faszinierende Weise navigiere das bei Klett-Cotta erschienene Buch zwischen Melancholie und Euphorie und reflektiere über Vertrauen und Täuschung.
In ihrer Dankesrede warnte die Leipzigerin Martina Hefter vor der Ausgrenzung von Menschen, wie sie von der AfD betrieben werde. Ohne die Partei beim Namen zu nennen, rief sie dazu auf, wachsam und laut zu sein.
Mit dem Deutschen Buchpreis zeichnet die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels seit 2005 jährlich den besten deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Erst am Abend der Preisverleihung im Frankfurter Rathaus erfahren die sechs Autorinnen und Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht.
Die sieben Jurymitglieder hatten in diesem Jahr für den 20. Deutschen Buchpreis 197 Titel gesichtet, die von Verlagen eingereicht wurden und zwischen Oktober 2023 und dem 17. September 2024 erschienen sind. Im vergangenen Jahr hatte der Roman „Echtzeitalter“ des Österreichers Tonio Schachinger das Rennen gemacht. Die weiteren Finalisten in diesem Jahr waren Maren Kames mit „Hasenprosa“, Clemens Meyer mit „Die Projektoren“, Ronya Othmann mit „Vierundsiebzig“, Markus Thielemann mit „Von Norden rollt ein Donner“ und Iris Wolff mit „Lichtungen“. Sie erhielten jeweils 2.500 Euro.
Frankfurt a.M. (epd). Der evangelische Medienbischof Volker Jung hat sich für eine Kennzeichnung von Texten ausgesprochen, die von Künstlicher Intelligenz (KI) geschrieben wurden. „KI-generierte Inhalte müssen gekennzeichnet sein“, sagte der Theologe am 17. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse. Die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, appellierte an die Politik, die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Schutz von Urheberrechten im Internet und eine faire Vergütung für Autorinnen und Autoren zu schaffen.
Schmidt-Friderichs sagte, die Inhaber generativer KI sollten Verträge mit der VG Wort schließen, die in Deutschland die Urheberrechte von Autoren und Verlagen verwertet. Zum Auftakt der Buchmesse hatte sie es als „größten Datenklau der Geschichte“ bezeichnet, dass Texte auch ohne das Einverständnis der Autorinnen und Autoren im großen Maßstab als Trainingsmaterial für KI-Systeme eingesetzt würden.
Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Jung betonte bei seinem Rundgang auf der Literaturschau: „Wenn Bücher eingescannt und so genutzt werden, dann muss das auch vergütet werden. Es muss klar sein, dass das nicht einfach geklaut wird.“
Lob fand Jung, der im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Medienthemen zuständig ist, für das Buch-Genre New Adult, das nach Angaben des Börsenvereins derzeit „das Wachstumssegment der Branche“ ist. „Ich finde es wichtig, dass gelesen wird und dass die jungen Leute entdecken: Du kannst mit einem Buch in eine andere Welt eintauchen. Diese Erfahrung ist grundlegend“, sagte der Theologe. Er hoffe, dass die Leserinnen und Leser von New Adult - das sind häufig romantische Liebesromane - sich dann auch für andere Literatur interessierten.
Es war für Jung der letzte Messerundgang auf Einladung des Evangelischen Medienverbandes in Deutschland (EMVD). Der Kirchenpräsident zieht sich Ende Januar 2025 nach dann 16 Jahren an der Spitze der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in den Ruhestand zurück. Seine Nachfolgerin wird die Theologin Christiane Tietz. Auch den Vorsitz im Aufsichtsrat des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) wird Jung niederlegen.
Der EMVD ist ein Zusammenschluss von Verlagen, Medien- und Presseverbänden, Buchhandlungen, Büchereien und kirchlichen Trägern publizistischer Organe. Die EMVD-Geschäftsführung liegt im GEP in Frankfurt am Main. Das zentrale Medienunternehmen der EKD, ihrer Gliedkirchen, Werke und Einrichtungen trägt unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), das Monatsmagazin „chrismon“ und das Internetportal „evangelisch.de“.
Die stellvertretende EMVD-Vorsitzende Reinhilde Ruprecht dankte Jung für seine Arbeit als Medienbischof. Bei seinen Besuchen der Frankfurter Buchmesse sei das Thema Meinungsfreiheit ein roter Faden gewesen.
Frankfurt a.M. (epd). Wechsel an der Spitze des Aufsichtsrates für das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP): Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst ist zur Nachfolgerin des hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Volker Jung gewählt worden, wie das GEP am 17. Oktober in Frankfurt am Main mitteilte. Jung war seit Ende 2015 Aufsichtsratsvorsitzender des GEP. Er wird im Januar nächsten Jahres 65 Jahre alt und geht als Kirchenpräsident in den Ruhestand.
Die 59 Jahre alte Wüst gehört dem 15 Mitglieder zählenden GEP-Aufsichtsrat seit Anfang vergangenen Jahres an, seit 2021 ist sie Kirchenpräsidentin in der Pfalz. Ihre Wahl zur Aufsichtsratsvorsitzenden wird zum 1. Januar 2025 wirksam. Die GEP-Geschäftsführung bilden seit diesem Jahr als kaufmännische Direktorin Ariadne Klingbeil und als theologische Direktorin Stefanie Schardien, die auch Medienbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.
Das vor 51 Jahren gegründete GEP mit Hauptsitz in Frankfurt ist das bundesweite Medien-Dienstleistungsunternehmen der EKD, ihrer Gliedkirchen, Werke und Einrichtungen. Zum GEP gehören unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), das evangelische Monatsmagazin „chrismon“, die digitalen Marken „evangelisch.de“ und „yeet“ sowie die Rundfunkarbeit mit „Wort zum Sonntag“ und „ZDF-Fernsehgottesdienst“. 94-prozentige Anteilseignerin an der gemeinnützigen GmbH ist die EKD, das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung hält 6 Prozent.
Im vergangenen Jahr hat das GEP 51 Prozent der Anteile am Medienhaus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) übernommen. Daraus ist in diesem Jahr ein gemeinschaftliches Medienunternehmen im GEP-Gebäude am gemeinsamen Standort im Frankfurter Mertonviertel mit insgesamt rund 180 Beschäftigten entstanden. Die neue Einrichtung ist in den Sparten Print, Evangelischer Pressedienst (epd), Radio, TV, Internet und Social Media sowie im Bereich Dienstleistungen für kirchliche und diakonische Einrichtungen tätig.
Mainz (epd). In der ZDF-Mediathek ist ab sofort das neue kirchliche Gesprächsformat „die letzte Bank - Fragen an das Leben“ zu sehen. In zunächst vier Folgen sprechen abwechselnd die katholische Ordensfrau und Philosophin Melanie Wolfers und der evangelische Pastor Julian Sengelmann mit Frauen, die „mit existentiellen Herausforderungen umgehen müssen oder mussten“, teilte das ZDF am 14. Oktober in Mainz mit. Das Kirchenformat solle den Blick nach vorn und auf die Frage lenken, wie „Rückschläge im Leben erfahren und Chancen ergriffen werden können“.
In einer Episode spricht Wolfers beispielsweise mit einer Frau, die seit einem Fahrradunfall an starken chronischen Schmerzen leidet. Schmerzmittel hätten sie gleichgültig gegen ihren Mann und ihre Kinder werden lassen, hieß es. Inzwischen habe sie gelernt, mit ihren Schmerzen umzugehen. Sengelmann wiederum treffe eine Frau, die bei der Geburt ihres ersten Kindes aufgrund von seelischer und körperlicher Gewalt ein Trauma erlebte, es aber vor der zweiten Geburt verarbeiten konnte.
„die letzte Bank“ wird den Angaben zufolge redaktionell von den Kirchen verantwortet. Ziel des Formats sei es, den Zuschauern „ein Lebenshilfeformat mit seelsorgerischen Impulsen anzubieten“. Vier weitere Folgen sollen Ende des Jahres abrufbar sein.
Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum 75-jährigen Bestehen der Bundespressekonferenz für Qualitätsjournalismus und seriöse Berichterstattung geworben. Heute stünden Entscheidungen gestandener Chefredaktionen im Wettbewerb mit dem Shitstorm im Netz, sagte Steinmeier am 18. Oktober in Berlin bei einem Festakt.
Die Demokratie sei angewiesen auf freie, unabhängige und wahrheitsgetreue Information: „Sie ist angewiesen auf Journalistinnen und Journalisten, die ihr Handwerk verstehen“, sagte Steinmeier vor Vertretern der Hauptstadtpresse. Unter den Gästen waren neben Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig (SPD), der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, auch Mitglieder der Bundesregierung sowie Abgeordnete des Bundestages.
Steinmeier bestärkte die Medien darin, „den Versuchungen einer Berichterstattung mit dem Ziel der Maximierung von Sensation und Empörung zu widerstehen“. „Profilieren Sie sich weiter mit Qualitätsjournalismus konsequent als Alternative zur Erregungsbewirtschaftung in sozialen Medien“, sagte Steinmeier.
Die Bundespressekonferenz ist ein Verein mit gut 900 Mitgliedern, die über Bundespolitik berichten. Mit der Wahl eines geschäftsführenden Vorstands am 11. Oktober 1949 hatte sich der Verein in Bonn gegründet. Seitdem ist die Bundespressekonferenz Gastgeberin für Pressekonferenzen mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die erste Pressekonferenz im Saal mit der bekannten blauen Wand fand am 18. Oktober 1949 mit dem damals frisch gewählten Bundeskanzler Konrad Adenauer und seinem Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (beide CDU) statt. Seit 1999 ist ihr Sitz wie der von Parlament und Regierung Berlin.
Steinmeier nannte die Bundespressekonferenz einen „Schatz unserer Demokratie“: „Unsere Demokratie wäre ärmer ohne die Bundespressekonferenz, sie ist nicht denkbar ohne die unermüdliche Arbeit der Hauptstadtpresse, ohne das Bemühen um sachliche Aufklärung und bestmögliche Einordnung.“ Ihre Gründung vor 75 Jahren sei ein „Akt der Demokratisierung unseres Landes“ gewesen, sagte Steinmeier, der sich selbst als „News-Junkie“ bezeichnete.
Das Besondere am Verein der Bundespressekonferenz ist, dass die Journalisten die Regeln in den Pressekonferenzen vorgeben. Sie entscheiden, wer eingeladen wird. Stellungnahmen von Politikern sind zeitlich begrenzt, um Raum für Fragen zu haben. Die Leitung der Pressekonferenzen obliegt einem Vorstandsmitglied des Vereins.
Steinmeier erklärte, die Bundespressekonferenz sei deswegen weltweit einmalig. Wäre der Verein der Bundespressekonferenz eine Person, „dann würde ich Ihnen spätestens heute das Bundesverdienstkreuz überreichen“, sagte er: „Sie sind ein Urgestein der Demokratie.“
Köln, Erfurt (epd). Thüringens amtierender Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hält eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags für ausgeschlossen. Der neue Thüringer Landtag werde dem nicht zustimmen, sagte Ramelow am 17. Oktober in Erfurt. Dort traf er auf Vertreter der Kampagnenorganisation Campact, die derzeit mit einer „entführten“ Maus-Figur durch Deutschland reisen, um die Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor den Beratungen der Länder kommende Woche anzufachen. WDR-Intendant Tom Buhrow verwies unterdessen auf das Recht der Gesellschaft, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk umzugestalten. Allerdings müsse sie dabei auch mit Kritik und Protesten umgehen.
Ramelow kritisierte, es seien keine 27 gleichgearteten Politmagazine mit immer denselben Themen und Talkgästen bei den unterschiedlichen öffentlich-rechtlichen Sendern nötig. Auch müsse nicht jede ARD-Anstalt ein eigenes Schlagerradio unterhalten. Das sei dem Beitragszahler nicht mehr vermittelbar. Die Intendanten sollten stattdessen Ideen entwickeln, wie Doppelstrukturen und Überflüssiges im Programm abgebaut werden können.
Campact-Sprecher Jassin Braun sagte bei dem Treffen in Erfurt, eine Ablehnung der von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) angeregten Erhöhung um 58 Cent auf 18,94 pro Monat wäre in Zeiten eines politischen Rechtsrucks ein Fehler. Der öffentliche-rechtliche Rundfunk müsse jünger, digitaler und vielfältiger werden.
Buhrow betonte im Gespräch mit dem WDR-Radio, die Gesellschaft dürfe den Öffentlich-Rechtlichen sagen, „was sie will und was sie vielleicht nicht mehr in diesem Umfang will“. Dass es dabei Konflikte geben könne, werde nun deutlich. Er nannte als Beispiel den Kultursender 3sat, der möglicherweise mit Arte zusammengelegt werden soll. Aktuell merke die Politik, „was dann losgetreten wird, wenn man irgendwo sagt, auf dieses oder jenes könnte man verzichten, oder man kann es zusammenlegen“.
Die Kampagnenorganisation Campact hatte die Maus - ein Abbild der Figur aus der beliebten „Sendung mit der Maus“ - am Dienstag in der Kölner Innenstadt abgebaut, um damit die von den Ländern geplante Rundfunkreform und darin geplante Kürzungen sowie Programmeinschnitte zu kritisieren. Campact bemängelt, dass die von den Ländern geplante Rundfunkreform „wertvolle Bildungs- und Informationsangebote“ bedrohe. Noch bis Freitag soll die Figur der Organisation zufolge an verschiedenen Orten in Deutschland aufgestellt werden.
Laut den Vorschlägen der Bundesländer für einen Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk soll die Zahl der Angebote sinken. 16 Hörfunkkanäle und fünf der zehn TV-Spartensender von ARD und ZDF könnten wegfallen, darunter etwa 3sat, ARD-alpha und ZDFneo. Kommende Woche wollen die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder auf ihrer Jahreskonferenz über Struktur und Finanzierung der Öffentlich-rechtlichen beraten.
WDR-Intendant Buhrow rief Campact dazu auf, die Maus-Statue unbeschädigt wieder nach Köln zu bringen. Die etwa 1,80 Meter große Figur müsse auf jeden Fall zurück, „egal ob einem die Reformen jetzt passen oder nicht“, sagte der Intendant. Es gebe keinen guten oder schlechten Anlass, die Maus zu entfernen. Die orangefarbene Figur aus der „Sendung mit der Maus“ sei die „Lovebrand“ des WDR. Die Statue steht seit dem 50. Sendejubiläum der „Lach- und Sachgeschichten“ für Kinder im März 2021 am Vierscheibenhaus des WDR in der Kölner Innenstadt. Dort lassen sich besonders Kinder gern mit ihr fotografieren.
The Room Next Door
Autorin Ingrid (Julianne Moore) erfährt zufällig vom Krebsleiden einer alten Freundin, Martha (Tilda Swinton). Die beiden nehmen ihre versandete Freundschaft wieder auf, sie sprechen über Leben und Sterben, Liebe und Kunst. Als Martha ihre wiedergewonnene Freundin schließlich um ihre Begleitung zu einem idyllischen Rückzugsort bittet, ahnt diese, dass Martha ihr Ende dort womöglich selbst bestimmen möchte. Pedro Almodóvar knüpft mit dem Melodram nach einer Romanvorlage von Sigrid Nunez an seine Beschäftigung mit Alter und Tod in jüngeren Filmen an. In „The Room Next Door“ setzt er dies, trotz einer nicht ganz perfekten Darbietung von Tilda Swinton, gelungen um. Sein Film ist ein intimes Zwei-Frauen-Kammerspiel, das unsentimental von Alter und Sterben erzählt.
The Room Next Door (Spanien/USA 2024). Regie und Buch: Pedro Almodóvar. Vorlage: Sigrid Nunez. Mit: Julianne Moore, Tilda Swinton, John Turturro, Alex Høgh Andersen, Alessandro Nivola, Esther McGregor, Melina Matthews. Länge: 110 Min. FBW: besonders wertvoll.
Dahomey
Im Dezember 2020 beschloss das französische Parlament die Rückgabe von 26 während der Kolonialzeit geraubten Kulturschätzen an Benin. Mati Diop veranschaulicht den Schmerz, den der Verlust verursacht hat, indem sie in ihrem Dokumentarfilm auch mit fantastischen Elementen und poetischen Zwischeneinlagen arbeitet. Darüber hinaus zeigt sie die Vorbereitungen für den Transport der Güter, beleuchtet durch eine Debatte unter Studierenden verschiedene Positionen zur Restitution, und endet mit Eindrücken von der Ausstellung der Objekte in Benin. Ein unkonventioneller und herausfordernder Film, der die kulturelle Identität Benins veranschaulicht und Anfang des Jahres auf der Berlinale den Goldenen Bären gewann.
Dahomey (Frankreich/Senegal/Benin 2024). Regie und Buch: Mati Diop. Mit: Gildas Adannou, Habib Ahandessi, Joséa Guedje. Länge: 68 Min.
Haltlos
Lilith Stangenberg spielt Martha als Frau, deren Leben einem Drahtseilakt gleicht. Nun ist sie schwanger, Resultat einer Affäre mit einem verheirateten Mann (Samuel Schneider). Weder von ihm, noch von ihrem Umfeld erhält sie Unterstützung, und so beschließt sie, das Kind zur Adoption freizugeben. Ihren widerstreitenden Gefühlen spüren Hauptdarstellerin Lilith Stangenberg und Regisseur Kida Khodr Ramadan (bekannt aus „4 Blocks“) einfühlsam nach. Entstanden ist ein intensiver Film, der den gesellschaftlichen Diskurs um Weiblichkeit und Mutterschaft als Tour de Force verarbeitet und dabei sehr nah an seiner Protagonistin bleibt.
Haltlos (Deutschland 2024). Regie: Kida Khodr Ramadan. Buch: Antje Schall. Mit: Lilith Stangenberg, Samuel Schneider, Jeanette Hain, Susana Abdul Majid, Zsá Zsá Inci Bürkle, Uwe Preuss, Sönke Möhring, Jasmin Tabatabai. Länge: 93 Min.
Tandem - In welcher Sprache träumst du?
Ein deutsch-französischer Schüleraustausch entwickelt sich zu einem sensiblen Coming-of-Age-Drama. Fanny (Lilith Grasmug) stammt aus Straßburg, ist eher schüchtern und leidet unter dem Mobbing, das sie in der Schule erfährt. Lena (Josefa Heinsius) gibt sich dagegen selbstbewusst, sie ist politisch engagiert und fühlt sich in der Alternativszene Leipzigs zuhause. Trotz ihrer oberflächlichen Unterschiede nähern sich die beiden an. Der Film überzeugt durch sein vielschichtiges Drehbuch, das auch als Milieustudie funktioniert und von den vielschichtigen Ängsten und Hoffnungen der Protagonistinnen erzählt. Sensibel geschildert wird zudem die Erfahrung von Unterschieden und Ähnlichkeiten in der transnationalen Freundschaft.
Tandem - In welcher Sprache träumst du? (Frankreich/Deutschland/Belgien 2024). Regie und Buch: Claire Burger. Mit: Josefa Heinsius, Lilith Grasmug, Chiara Mastroianni, Nina Hoss, Jalal Altawil. Länge: 105 Min.
Berlin (epd). Zum Welternährungstag hat Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) die Stärkung von Frauen, von sozialen Sicherungssystemen und des Eigenanbaus von Lebensmitteln angemahnt. Es gebe genug Lebensmittel und Geld auf der Welt, um den Hunger zu besiegen, erklärte sie am Mittwoch in Berlin. „Das Problem ist die zutiefst ungerechte Verteilung“, ergänzte die SPD-Politikerin. Die Hilfsorganisation Oxfam machte auf die hohe Zahl akut hungernder Menschen in Kriegs- und Konfliktgebieten aufmerksam.
Schulze sagte, rund ein Drittel der Weltbevölkerung könne sich keine gesunde Ernährung leisten. Häufig hätten Frauen keinen gesicherten Zugang zu Land, „obwohl sie in vielen Ländern einen Großteil der Feldarbeit erledigen“. Eine erfolgreiche Politik gegen den Hunger sei deswegen „immer auch eine Politik für mehr Gerechtigkeit“, unterstrich die Ministerin.
Die SPD-Politikerin verwies beispielhaft auf sogenannte Sahel-Resilienz-Partnerschaft, die auch mit Unterstützung Deutschlands in den Ländern Tschad, Mali, Mauretanien, Burkina Faso und Niger dafür gesorgt habe, Böden wieder für den landwirtschaftlichen Anbau nutzbar zu machen. Dieses Engagement wirke, sagte Schulze: „Vier von fünf Gemeinschaften, die diese Selbsthilfekräfte entwickelt haben, waren bei der letzten Hungerkrise nicht mehr auf fremde Unterstützung angewiesen.“
Seit 1979 wird am 16. Oktober mit dem Welternährungstag öffentlich auf den weltweiten Hunger aufmerksam gemacht. Das Datum geht zurück auf den Gründungstag der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Weltweit sind laut dem UN-Welternährungsbericht 733 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Die internationale Gemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, den globalen Hunger bis 2030 zu beenden.
Die Entwicklungsorganisation Oxfam kritisierte anlässlich des Welternährungstages den zunehmenden Einsatz von Hunger als Kriegswaffe in Konflikten. Der Hunger sei zu einer „tödlichen Waffe geworden“, die von Kriegsparteien entgegen internationaler Gesetze eingesetzt werde, erklärte die Oxfam-Leiterin für die Bereiche Ernährung und wirtschaftliche Sicherheit, Emily Farr.
Die Organisation verwies auf einen von ihr veröffentlichten Bericht. Dieser zeige, dass Kriegsparteien gezielt Nahrungsmittel-, Wasser- und Energieinfrastruktur angreifen und die Nahrungsmittelzufuhr blockieren. Fast alle der fast 282 Millionen an akutem Hunger leidenden Menschen lebten in einem von einem Krieg oder Konflikt betroffenen Land, hieß es.
Berlin (epd). Der Großteil der am stärksten von der Klimakrise betroffenen Länder erhält laut „Brot für die Welt“ deutlich zu wenig Hilfe bei der Anpassung an die Erderwärmung. Besonders unterfinanziert seien Länder in Zentral- und Ostafrika sowie Südasien, erklärte das kirchliche Hilfswerk am 15. Oktober in Berlin zur Veröffentlichung des Klima-Anpassungsindex 2024. „Brot für die Welt“-Klimaexpertin Sabine Minninger forderte mit Blick auf die in wenigen Wochen beginnende UN-Klimakonferenz mehr Geld für die Anpassung insgesamt sowie eine gerechtere Verteilung der vorhandenen Mittel.
Mit dem Index analysiert das evangelische Hilfswerk, wie gerecht die von den Industrieländern bereitgestellten Hilfsgelder für die Anpassung an den Klimawandel verteilt werden. Dafür wurden EU-Daten zum Klimarisiko in den Ländern mit Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kombiniert.
Von 129 in dem Index erfassten Ländern haben den Angaben zufolge 90 Prozent weniger Finanzmittel erhalten, als ihnen bei einer gerechten Verteilung zustehen würde. 37 Länder gelten als „extrem unterfinanziert“ und erhalten damit weniger als die Hälfte der für sie angemessenen Gelder. Die drei am stärksten unterfinanzierten Länder sind laut „Brot für die Welt“ Afghanistan, der Tschad und Südsudan. Zur Gruppe der extrem unterfinanzierten Länder zählen viele Staaten mit Krisen und Konflikten, etwa Myanmar, Burkina Faso und Haiti.
Als „gut finanziert“ gilt die Anpassung laut Index, der den Zeitraum 2015 bis 2021 umfasst, lediglich in den drei pazifischen Inselstaaten Palau, Nauru und Tuvalu. Damit erhielten diese Länder einen Anteil an den internationalen Hilfsgeldern, der über ihrem Klimarisiko liegt.
Minninger rief mit Blick auf die Weltklimakonferenz im November dazu auf, die Verteilungsgerechtigkeit stärker zu berücksichtigen. Vulnerable Staaten dürften „nicht auch noch diskriminiert werden“. Die „Brot für die Welt“-Expertin mahnte zudem insgesamt mehr Geld für die Anpassung an, worunter etwa der Bau von Dämmen gegen Überflutungen oder Investitionen in Frühwarnsysteme fällt. Nötig seien ab 2026 jährlich etwa 400 Milliarden US-Dollar. 2022 seien 32,4 Milliarden Dollar in Anpassungsprojekte geflossen.
Die 29. UN-Klimakonferenz wird vom 11. bis 22. November von Aserbaidschan ausgerichtet. Bei den zweiwöchigen Verhandlungen müssen sich die Staaten auf ein neues Klimafinanzierungsziel einigen. Die Industriestaaten hatten zugesagt, von 2020 bis 2025 jährlich 100 Milliarden US-Dollar an Klimahilfen für Länder des globalen Südens zu mobilisieren. Das Geld wird für den Klimaschutz, im Fachjargon Mitigation, sowie die Anpassung verwendet. Eine Summe für die Zeit nach 2025 steht noch nicht fest. Fachleute rechnen mit schwierigen Verhandlungen.
Nairobi/Kigali (epd). In Ruanda wird laut „Human Rights Watch“ (HRW) in mehreren Gefängnissen regelmäßig gefoltert. In einem am 15. Oktober veröffentlichten Report der Menschenrechtsorganisation berichten ehemalige Gefangene von Schlägen, vorgetäuschtem Ertrinken, Aushungern und anderen Formen der Misshandlung. Diese Praktiken werden laut HRW sowohl in offiziellen Gefängnissen als auch in inoffiziellen Haftanstalten angewendet.
Gegenüber den Tätern herrsche mehr oder weniger Straflosigkeit, kritisierte die Organisation. Zugleich verwiesen die Menschenrechtler auf ein Urteil von Anfang April, bei dem unter anderem ein Gefängnisdirektor wegen der Ermordung eines Gefangenen zu 15 Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt wurde. Dies zeige, dass es möglich sei, die tief verwurzelte Praxis der Folter zu durchbrechen, hieß es.
Nach eigenen Angaben liegen HRW Aussagen vor, die Fälle von Folter seit 2011 dokumentieren. Insgesamt wurden demnach seit 2019 Interviews mit 28 Zeugen geführt und Äußerungen ehemaliger Gefangener aus drei Haftanstalten ausgewertet. Besonders brutal soll das Vorgehen in der inoffiziellen Haftanstalt „Kwa Gacinya“ in der Hauptstadt Kigali sein, wo Personen festgehalten werden, bevor sie in ein reguläres Gefängnis kommen.
HRW kritisierte, dass weder die Ruandische Menschenrechtskommission sich des Themas annehme, noch internationale Untersuchungen möglich seien. Einem HRW-Mitarbeiter wurde demnach im Mai die Einreise verweigert. Ruanda wird seit 2000 von Präsident Paul Kagame zunehmend autoritär regiert. Politische Gegner werden in dem ostafrikanischen Land laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen systematisch verfolgt und zum Teil mit Folter zu falschen Geständnissen gezwungen. Andere verschwinden oder sterben bei vermeintlichen „Unfällen“.
Santiago de Chile/La Paz (epd). In La Paz hat am 17. Oktober der Prozess gegen ehemalige Führungspersonen der bolivianischen Opposition begonnen, die nach der umstrittenen Wahl von 2019 für ein Jahr die Regierungsgeschäfte übernommen hatte. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Luis Camacho und Marco Pumari unter anderem Terrorismus, Verschwörung gegen die Staatsgewalt und Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Die ebenfalls angeklagte Übergangspräsidentin Jeanine Áñez war laut Anklageschrift deren Komplizin, um den Präsidenten Evo Morales zu stürzen.
Nach dem ersten Prozesstag schloss das Gericht in La Paz die ehemalige Präsidentin Áñez aus dem Verfahren aus, weil sie bereits 2022 wegen einer ähnlichen Anklage zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war. Áñez behauptete beim Verlassen des Gerichts, die Wahlen von 2019 seien durch den damaligen Präsidenten Morales gefälscht worden, weshalb sie als Vizepräsidentin des Senats die Regierungsgeschäfte übernommen habe, um Neuwahlen zu organisieren. Bei dem Prozess handele es sich um eine politische Verfolgung.
Vor dem Gericht kam es zu einzelnen verbalen Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern der rechtsgerichteten Übergangsregierung von 2019. Die weitere Verhandlung wurde um eine Woche verschoben.
Áñez hatte im November 2019 mit Unterstützung der Opposition im Senat, der Polizei und des Militärs die Regierung übernommen. Zuvor hatte Carlos Mesa, der Oppositionskandidat der Wahlen vom 20. Oktober 2019, behauptet, die siegreiche Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS) habe das Wahlergebnis gefälscht. Die dritte Wiederwahl von Morales war bereits zuvor umstritten gewesen, da die bolivianische Verfassung eigentlich nur zwei aufeinander folgende Amtszeiten zulässt.
Nach mehreren Wochen der Proteste vonseiten der Opposition drängte das Militär den Präsidenten Evo Morales am 10. November zum Rücktritt. Um die darauffolgenden Proteste von Anhängern des ehemaligen Präsidenten Morales zu unterdrücken, erließ Áñez am 16. November ein Dekret, das die Streitkräfte von jeglicher strafrechtlichen Verantwortung befreite. Infolge der Gewalt starben mindestens 22 Protestierende.
28.10. Evangelische Akademien
Online Wie enden Kriege? Mehr Diplomatie wagen! Friedensverhandlungen jetzt! - Solche oder ähnliche Forderungen kann man in Zeitungen, auf Demo-Plakaten, aber auch in Talkshows hören und sehen. Nicht zuletzt radikale Parteien der Rechten und der Linken inszenieren sich als Friedensparteien und fordern ein Ende der Sanktionen gegen Russland und/oder das Ende militärischer Unterstützung der Ukraine. So wird ein vermeintlicher Gegensatz zwischen (mangelnder) Diplomatie und Waffenlieferungen konstruiert. Aber stimmt das? Muss man das eine lassen, um das andere zu befördern? Welche Art Frieden ist für die Ukraine denkbar? Wie kann man einem gerechten Frieden den Weg bereiten?
15.-16.11. Evangelische Akademie Bad Boll
Der Green Deal auf dem Prüfstand - Mit der EU-Taxonomie in eine grüne Zukunft? Der Green Deal ist Europas Antwort auf die Herausforderungen und Bedrohungen durch die Klimakrise. Zentraler Bestandteil ist dabei eine Taxonomie, die wirtschaftliche Aktivitäten nach deren ökologische Nachhaltigkeit klassifiziert und Unternehmen umfangreiche Berichtspflichten auferlegt. Damit sollen Anreize geschaffen werden, nachhaltig zu wirtschaften und nachhaltig zu investieren. Wie effektiv ist diese Taxonomie? Und ist ein solcher Eingriff in das Design von Märkten und die Freiheit von Unternehmen überhaupt zulässig?
15.-17.11. Evangelische Akademie Tutzing
Information und Desinformation (Herbsttagung des Politischen Clubs) Was wirkt gegen Desinformation und wie kann die Öffentlichkeit in der nötigen Breite und Tiefe verlässlich informiert werden? Braucht es neben der Abwehr von Fake News und „alternativer Fakten“ auch eine Förderung des Journalismus durch die öffentliche Hand wie etwa in Nordeuropa? Dieser Teil der Landkarte nimmt sowohl im Ranking der Pressefreiheit als auch bei der Medienförderung Spitzenplätze ein.