Hamburg (epd). Mit ihrem leuchtenden Rot könnten sie aus dem Märchen stammen. „Das sind richtig schöne Schneewittchenäpfel“, findet Gina Pfeiffer und lächelt. Zeit zum Reinbeißen nimmt sich die Mitarbeiterin der gemeinnützigen Hamburger Initiative „Das Geld hängt an den Bäumen“ trotzdem nicht, stattdessen kippt sie ihren vollen Eimer in eine große Box. Es gibt viel zu tun auf dem Gut Uhlenhorst im schleswig-holsteinischen Dänischenhagen: Rund 300 alte Apfelbäume stehen hier zwischen akkurat gemähten Grasflächen. Auf diesem Golfplatz sind sie nur Dekoration, jahrelang verfaulte das Obst ungenutzt.
Genau um solche vergessenen Bäume kümmert sich die Initiative „Das Geld hängt an den Bäumen“ seit über zehn Jahren. Was anfing mit ein paar Bäumen in der Nachbarschaft, umfasst heute Streuobstwiesen in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Geerntet wird dort, wo sich Besitzer nicht selbst um die Obstbäume kümmern. Vergessene Ressourcen wertschätzen ist das Motto der Initiative - bei Obst und Menschen. Beschäftigt werden nämlich „vergessene“ Menschen, die sonst auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben.
„Wir sind Deutschlands sozialster Saftladen“
„Wir sind Deutschlands sozialster Saftladen“, sagt Constantin Ohmann. Er koordiniert die „Social Days“, bei denen Gruppen dem Team bei der Arbeit helfen. Die 17 Mitarbeitenden des Teams gehören fast alle zu gesellschaftlichen Randgruppen, haben körperliche oder psychische Behinderungen, waren vorher langzeitarbeitslos oder obdachlos. „Alle Menschen haben besonderen Qualitäten“, ist Ohmann überzeugt und denkt an die gehörlose Kollegin im Büro und den gewissenhaften, autistischen Kollegen im Lager.
Pfeiffer ist seit vier Jahren dabei. Besonders Spaß macht ihr am Job, „dass man mit ganz verschiedenen Leuten zusammen arbeitet. Jeder hat seine Schwäche, es ist einfach ein bunter Laden.“ Stolz ist sie auf ihr eigenes Label: Ihr Name und Foto sind auf dem Etikett der Apfel-Ingwer-Schorle. „Unsere erste Frauen-Schorle heißt Gina“, sagt sie. Andere Schorlen gibt es mit Samuel, Olaf und Simon. Die Flaschen der Initiative gehen mittlerweile bundesweit vor allem an Gastronomie, Unternehmen und auch an den regionalen Handel. „Die Nachfrage ist so groß, dass wir Obst zukaufen müssen“, erklärt Ohmann.
Es geht um Mensch und Natur
Nach der Corona-Krise startet die sozial-ökologische Initiative wieder durch. Allein in diesem Jahr wurden vier neue Mitarbeitende eingestellt. Das Thema Nachhaltigkeit hat für Betriebsleiterin Dominique Agbobly mehrere Seiten: „Es geht um einen inklusiven Umgang mit Menschen, aber auch mit der Natur.“ Mit der Pflege alter Obstsorten auf Streuobstwiesen werden diese für die Zukunft erhalten, es werden neue Bäume gepflanzt, Blühwiesen angelegt und als Unterschlupf für Tiere Hecken aus Totholz gebaut.
Weitere Standbeine sind zwei Teams, die allgemeine Gartenpflege anbieten und die „Social Days“ mit Unternehmen. Hier helfen Mitarbeitende bei der Apfelernte oder Baumpflanz-Aktionen mit. „Ganz nebenbei bauen wir Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen ab“, beobachtet Ohmann, der rund 40 „Social Days“ im Jahr organisiert. In Zukunft würde er solche Projekttage auch gerne mit Schulkindern machen, um schon bei Kindern das Verständnis für Inklusion zu fördern. Ohmann: „Beim Äpfel aufsammeln verfliegt die Scheu sehr schnell.“
Auf dem Golfplatz in Dänischenhagen helfen rund 40 Beschäftigte einer großen Bank bei der Apfelernte mit. „Wir würden die Menge sonst gar nicht schaffen“, sagt Ohmann. Er hat seinen Schreibtischjob für die Initiative aufgegeben, weil er lieber „mit guten Menschen etwas Gutes tut“. Über sieben Tonnen Äpfel werden mit Stangen vom Baum gerüttelt, prasseln ins Gras, wo sie in Eimer oder Schubkarren gesammelt und in große Boxen für die Mosterei gekippt werden. Ohmann freut sich über die neue Ernte, nicht nur wegen der Säfte. Er grinst: „So ein Stück Böhmischer Apfelkuchen mit Sahne geht doch immer.“