Marburg (epd). Schwester Christine Muhr ist seit 50 Jahren Diakonisse. Ruhig und entschieden tritt sie auf, die Tracht trägt sie mit Selbstverständlichkeit. Im Mutterhaus Hebron in Marburg kümmert sie sich unter anderem um den Garten und die Imkerei. Und sie ist in den Umbau des Hauses eingebunden. Im Zuge einer Dachsanierung entstehen Appartements und eine Wohngemeinschaft. „Über die Gästearbeit haben wir festgestellt, dass viele Menschen sich im Umfeld einer geistlichen Gemeinschaft ansiedeln wollen“, sagt Muhr. „Aber wir hatten nie die durchschlagende Idee.“
Die gibt es jetzt. Der Deutsche Gemeinschafts-Diakonieverband (DGD), ein Verbund diakonisch-missionarischer Einrichtungen, wandelt seine Diakonissen-Häuser im niedersächsischen Lemförde, Elbingerode im Harz, Marburg, Velbert im Ruhrgebiet, Lachen (Neustadt an der Weinstraße) und im fränkischen Gunzenhausen in sogenannte „Lebensparks“ um. Zur Gemeinschaft der Diakonissen ziehen Paare, Alleinstehende oder Familien. Um die Lebensparks aufzubauen, gehörten am Anfang vor allem aktive Senioren zwischen 60 und 70 Jahren zur Zielgruppe, die „aus unserem Umfeld“ stammen, erklärt der Vorstandsvorsitzende des DGD, Frieder Trommer.
Die Idee dahinter: In den Mutterhäusern bestehen lebendige christliche Glaubensgemeinschaften, die aber überaltert sind. Wohnraum steht leer. Gleichzeitig, so sieht es der DGD, möchten viele aus der Generation der Babyboomer, die jetzt in Rente gehen, nochmal etwas Neues wagen. Sie suchen Gemeinschaft und eine sinnstiftende Tätigkeit.
„Wir sind wieder gefragt“
Die Diakonissen-Bewegung nahm in Deutschland im 19. Jahrhundert ihren Anfang. In vielen Städten bildeten sich Diakonissenhäuser. Vier junge Frauen begründeten die Geschichte des DGD. In einem Pfarrhaus im ostpreußischen Borken begannen sie 1899 mit ihrer diakonischen Arbeit. Der Dienst am Menschen und für Gott erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Boom, als sich allein im DGD mehr als 3.000 Diakonissen um Kranke und Kinder kümmerten, Gäste versorgten, in der Gemeinde wirkten oder als Missionarinnen ins Ausland gingen.
Die traditionellen Diakonissen sind ehelos, ihre Ehelosigkeit sehen sie als Ausdruck der Liebe zu Gott. Doch das Lebensmodell kommt heute für Frauen kaum noch infrage. Seit Jahrzehnten fehlt Nachwuchs. Von den derzeit 450 Schwestern in den Mutterhäusern des DGD sind nur noch 50 unter 65 Jahre alt. In Marburg fiel 2012 der Entschluss, keine neuen Schwestern mehr aufzunehmen, weil die Altersspanne zu sehr auseinanderdriftete.
Muhr sagt, dass sie die Öffnung des Mutterhauses als „guten Prozess“ erlebe, „der die Schwesternschaft aus einem Stillstand herausholt“. „Ich habe den Eindruck: Wir sind wieder gefragt. Das bewegt mich schon.“
„Wir bauen gerade überall“, berichtet Trommer. In einer ersten Bauphase werden die bestehenden Häuser umgebaut, was rund acht Millionen Euro kostet. Sie sind dabei unterschiedlich weit. In Elbingerode im Harz etwa - das Haus entstand 1934 im Bauhausstil - zogen schon sieben neue Mieter ein.
„Was wollen die Leute, und was wollen wir?“
In einer zweiten Phase stehen Neubauten an, die über ein Genossenschaftsmodell finanziert werden. Mit dem Unternehmen „Fingerhaus“ habe man ein Typenhaus mit 10 bis 15 Wohnungen entwickelt, erklärt Trommer. Es liefen bereits Bauvoranfragen.
Es gehe jetzt darum, auszuloten: „Was wollen die Leute, und was wollen wir?“, sagt Muhr. Denn die neuen Bewohner ziehen in eine Gemeinschaft mit einer besonderen Zusammengehörigkeit ein. Viele Schwestern beschäftige, wie das bewahrt werden könne.
Die künftigen Mitbewohner sind eingeladen, sich einzubringen. An einigen Standorten befinden sich Krankenhäuser oder Pflegeheime, Schulen, überall gibt es Gästehäuser. Die neuen Mieter könnten ehrenamtlich in den Tagesstätten mithelfen, im Garten, an der Rezeption, bei Fahrdiensten für die Schwestern zu Ärzten oder im Besuchsdienst. Mission und Diakonie sollen in den Häusern weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. „Es hängt von den Bewohnern ab“, betont Trommer. Wer ein schönes Hobby hat, Reisen, Musik oder Backen, kann es für die anderen öffnen.