Kirchen

25-Jährige in Spitzenamt der evangelischen Kirche gewählt




Anna-Nicole Heinrich
epd-bild/Tino Lex
Die evangelische Kirche wird künftig durch ein junges Gesicht repräsentiert: Die Philosophie-Studentin Anna-Nicole Heinrich ist neue Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und wird den Zukunftskurs der Kirche mitbestimmen.

Hannover (epd). Jung, weiblich, unkonventionell - die 25-jährige Philosophie-Studentin Anna-Nicole Heinrich aus Regensburg ist am Wochenende zu einer der höchsten Repräsentantinnen der evangelischen Kirche gewählt worden. Auf der ersten Sitzung der neuen Amtsperiode wählte das Kirchenparlament die junge Frau per Online-Wahlverfahren zur Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Heinrich erhielt schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen, und setzte sich damit gegen die Marburger Grünen-Politikerin und Richterin Nadine Bernshausen (41) durch.

Mit Heinrichs überraschendem Wahlerfolg wurde eine Aufbruchsstimmung in der evangelischen Kirche deutlich, die angesichts sinkender Mitgliederzahlen und schwindender finanzieller Ressourcen in den kommenden Jahren den Gürtel enger schnallen muss. Heinrich folgt auf die ehemalige FDP-Bundesministerin Irmgard Schwaetzer (79).

"Optimistische Perspektive hinaus in die Weite

Anna-Nicole Heinrich warb in ihrer Vorstellungsrede vor den Synodalen für eine „optimistische Perspektive hinaus in die Weite“, wenngleich sie begleitet sein werde „von Sparmaßnahmen, Rückbau und Umbau“. Nach ihrer Wahl sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd), sie wolle „eine offene, missionale Kirche repräsentieren, die sich hoffentlich nicht zu stark leiten lässt von politischen Positionierungen, jedoch immer wieder Bezug auf gesellschaftliche Themen nimmt“. Als Präses gehört Heinrich außerdem auch dem 15-köpfigen Rat der EKD an, der im November neu gewählt wird.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm forderte von den 128 Delegierten der auf sechs Jahre gewählten Synode einen Perspektivwechsel. Die Zahl der Mitglieder sinke, aber die Gefahr sei groß, einem großen Verfallsnarrativ auf den Leim zu gehen, sagte er in seinem Ratsbericht. „Wir sollten aber nicht alten Zeiten nachtrauern, sondern uns auf den Weg machen zu einer frischen, agilen, zuversichtlichen Kirche.“ Bedford-Strohm ging auch auf die Herausforderungen durch die Corona-Pandemie, den Klimaschutz und die aktuelle Debatte über den assistierten Suizid ein.

„Aufarbeitung ohne Beteiligung von Betroffenen wird nicht funktionieren“

Vor dem Hintergrund von Berichten über ein mögliches Aus für den Betroffenenbeirat der EKD, der die Aufklärungsbemühungen der evangelischen Kirche unterstützen soll, sagte Bedford-Strohm eine Einigung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, über eine unabhängige Aufarbeitung in diesem Jahr zu. Die EKD verhandelt derzeit mit Rörig über eine Vereinbarung ähnlich der, die die katholische Kirche im vergangenen Jahr bereits unterzeichnet hatte.

Am Abend des 10. Mai sollte die Sitzung des Betroffenenbeirats stattfinden, in der über die Aussetzung der Arbeit beraten und beschlossen werden soll. Bedford-Strohm sprach sich am 8. Mai vor Journalisten für die Mitwirkung von Betroffenen an der kirchlichen Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch aus. Auch Heinrich will sich für Betroffene einsetzen. „Eine Aufarbeitung ohne die Beteiligung von Betroffenen wird nicht funktionieren“, sagte sie dem epd. Im November sollen Betroffene wieder wie erstmals im November 2019 zur Synode eingeladen werden.

Von Franziska Hein (epd)


"Meine Kirche hat Mut gezeigt"




Anna-Nicole Heinrich
epd-bild/Jens Schulze
Sie sei von ihrer Wahl selbst überrascht worden, sagt die neue Synodenpräses dem epd. Auf ihr Alter will Anna-Nicole Heinrich aber nicht reduziert werden und die laufenden Reformprozesse angesichts des Mitgliederschwunds in der Kirche aufgreifen und mitgestalten.

Neue EKD-Synodenpräses äußert Respekt vor den kommenden Aufgaben

epd: Frau Heinrich, Ihre Wahl zur Synodenpräses hat viele überrascht. Sie auch?

Anna-Nicole Heinrich: Natürlich. Mein Name kam erst vor drei Tagen ins Spiel, und da musste ich schon überlegen: Kann ich das ausfüllen, sowohl persönlich wie auch inhaltlich? Beide Kandidatinnen standen für einen Generationswechsel. Und es ehrt und freut mich sehr, jetzt gewählt worden zu sein.

epd: Ist es pure Freude?

Heinrich: Ich blicke auch ein bisschen ehrfürchtig auf die nächsten Tage, Wochen und sechs Jahre an der Spitze der Synode. Es ist eine große Aufgabe. Meine Kirche hat Mut gezeigt, mich in dieses Amt zu wählen.

epd: Sie folgen an der Spitze des Kirchenparlaments als 25-Jährige auf die 79 Jahre alte ehemalige Spitzenpolitikerin Irmgard Schwaetzer. Sehen Sie das selbst als Zeichen der Verjüngung der Kirche?

Heinrich: Nein. Ich habe zwar weniger als ein Drittel der Lebenserfahrung von Irmgard Schwaetzer. Ich hoffe aber, dass ich nicht auf das Jungsein reduziert werde. Meine Aufgabe ist es, die synodalen Anliegen in unsere Kirche einzubringen. Aber natürlich unterscheide ich mich in Sprache und Auftreten maßgeblich von meiner Vorgängerin. Wir sind zwei Kinder unterschiedlicher Generationen, und trotzdem verstehen wir uns gut.

epd: Über viele Jahre hinweg spielte ein Parteienproporz bei der Vergabe von Spitzenämtern in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Rolle. Bei ihrer Wahl haben Sie sich gegen die Grünen-Politikerin Nadine Bernshausen durchgesetzt. Wo stehen Sie politisch?

Heinrich: Ich gehöre keiner Partei an und bin auch nicht parteipolitisch engagiert.

epd: Und für welche Kirche stehen Sie?

Heinrich: Ich möchte eine offene, missionale Kirche repräsentieren, die sich hoffentlich nicht zu stark leiten lässt von politischen Positionierungen, jedoch immer wieder Bezug auf gesellschaftliche Themen nimmt.

epd: Wie ist ihre persönliche Glaubenspraxis?

Heinrich: Theologisch würde ich mich als liberal bezeichnen, aber in meiner Glaubensausübung doch auch charismatisch.

epd: Was sind für Sie die wichtigsten Themen der neuen Synodenperiode?

Heinrich: Ein wichtiges Thema sind die Zukunftsprozesse. Wir müssen das Paket, das die letzte Synode gepackt hat, jetzt aufnehmen und uns Ziele setzen. Wir müssen diese Prozesse mit den Erfahrungen der letzten Monate verbinden. Wir müssen die Pandemie-Zeit reflektieren, Gutes bewahren und die geistlichen und theologischen Herausforderungen in den Blick nehmen.

epd: Ihre Vorgängerin Irmgard Schwaetzer hat dafür plädiert, zur nächsten Synode wieder Betroffene von Missbrauch einzuladen. Wollen Sie das auch?

Heinrich: Eine umfassende Aufarbeitung sexualisierter Gewalt ist selbstverständlich nur unter Beteiligung der Betroffenen möglich. Wir wissen um die Fälle von Missbrauch in unserer Kirche und haben in den Diskussionen der letzten Tage gesehen, dass das ein bewegendes, sensibles und zugleich ein schwieriges Thema ist. Eine Aufarbeitung ohne die Beteiligung von Betroffenen wird nicht funktionieren. Und wenn es im Moment so wirken kann, als ob die bisherige Form der Beteiligung über den Betroffenenbeirat in einer Sackgasse stecke, ist es wichtig, dass Betroffene beteiligt sind an den Entscheidungen, und dass wir uns eingestehen, dass wir auch Fehler machen als Kirche. Ein wichtiges Zeichen ist, dass wir als Synode, als kirchenleitendes Gremium nicht auf die Stimme der Betroffenen verzichten und ihre Interessen in den Mittelpunkt stellen. Anders wären wir nicht glaubwürdig.

epd: In einer Woche findet der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt am Main statt, wegen der Pandemie weitgehend digital. Werden Sie teilnehmen?

Heinrich: Ich habe für mich privat geplant, einige Veranstaltungen zu besuchen. Das sind aber keine offiziellen Termine als neue Präses.

epd: Wie blicken Sie auf die Ökumene und die katholisch-evangelischen Beziehungen?

Heinrich: In der Ökumene müssen wir uns trauen, den Blick zu weiten. Auch die Zusammenarbeit mit den katholischen Geschwistern ist mir wichtig. Eine der ersten Gratulationsmails kam vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Ich hoffe auf ein gutes Miteinander, um gemeinsam zu zeigen, dass Kirche auf dem Weg und christlicher Glaube auch heute relevant ist.

epd: Würden Sie nach Frankfurt kommen und könnten Sie an einem konfessionellen Gottesdienst beim Kirchentag teilnehmen, welchen würden Sie sich denn aussuchen - den katholischen, den evangelischen, den freien evangelischen oder den orthodoxen?

Heinrich: Ich würde den orthodoxen Gottesdienst besuchen, weil ich da am neugierigsten bin und bislang die wenigsten Berührungspunkte hatte.

epd-Gespräch: Franziska Hein und Karsten Frerichs


"Raus aus der Bubble"




Die EKD-Synode tagte digital
epd-bild/Jens Schulze
Die evangelische Kirche hat eine 25-Jährige in ein Spitzenamt gewählt. Als Synodenpräses soll Anna-Nicole Heinrich in einer Zeit des Mitgliederschwunds die beschlossene Zukunftsstrategie vorantreiben. "Raus aus der Bubble" ist ihr Motto

Hannover (epd). „Mein Handy explodiert gleich.“ Mit diesen Worten bedankte sich Anna-Nicole Heinrich bei Twitter für die Gratulationen zu ihrer Wahl zur Synodenpräses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) - und bei der Marburger Richterin und Kommunalpolitikerin Nadine Bernshausen, die ihr unterlag.

Überraschend wählte das Kirchenparlament die 25-jährige Studentin Heinrich an die Spitze. Sie ist die jüngste Präses in der Geschichte und hat damit einen festen Platz im Rat der EKD. Wie ihre prominenten Vorgängerinnen, die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt und die ehemalige FDP-Bundesministerin Irmgard Schwaetzer, sitzt sie damit auf Augenhöhe mit dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm und weiteren Geistlichen und Laien in dem Leitungsgremium der evangelischen Kirche.

Im Grundschulalter getauft

Heinrich studiert im Master Philosophie und verdient ihren Lebensunterhalt nach eigenen Worten mit einer Stelle bei der stellvertretenden Frauenbeauftragten der Universität Regensburg. Zum Glauben kam Heinrich „eher durch Zufall als durch Verstand und Sozialisation“, erzählt sie. Ihre Eltern gehörten keiner Kirche an. Über den Religionsunterricht kam sie in Kontakt zu einer evangelischen Gemeinde. Im Grundschulalter wurde sie getauft.

Als stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend und als Jugenddelegierte in der vorhergehenden Synode sammelte sie bereits Erfahrung mit evangelischen Gremien. Die charismatische junge Frau mit Kurzhaarschnitt vertrat selbstbewusst die Anliegen der Jüngeren, forderte Offenheit für neue Formen von Gottesdienst - auch digital. Und sie war Mitglied im Zukunftsteam der Synode, das unter anderem die Ideen für die Zukunft der Kirche formuliert hat.

Team „Heinrich und Heinrich“

Anna-Nicole Heinrich rief die Synodalen am 8. Mai in ihrer Vorstellungsrede auf, sich „raus aus der Bubble“ zu bewegen - eine Anspielung auf das in der Kirche oft beklagte Schmoren im eigenen Saft. In den im November verabschiedeten Leitsätzen spricht sich die evangelische Kirche dafür aus, sich mehr zu öffnen in die Gesellschaft mit Formaten, die auch kirchlich nicht gebundene Menschen ansprechen, und für Allianzen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Heinrichs Wahl ist ein Zeichen für den Willen der Kirchenparlamentarier zum Aufbruch.

„Historisch“ nannte der Ratsvorsitzende die Entscheidung und sicherte Heinrich eine „Welle der Unterstützung“ zu. Das Team „Heinrich und Heinrich“, wie Bedford-Strohm mit einem Augenzwinkern sagte, wird allerdings nur noch ein halbes Jahr bestehen.

Denn Bedford-Strohm will im November bei der Herbsttagung der Synode nicht wieder als Ratsvorsitzender antreten. Dann stehen turnusmäßig Ratswahlen an. Das 15-köpfige Gremium wird neu besetzt. Bislang steht nur Heinrich als neu gewählte Präses fest. Bedford-Strohm, der noch zwei Jahre im Amt als bayerischer Landesbischof hat, will nicht mehr antreten. Wer ihm nachfolgt, ist noch unklar. Mit Bedford-Strohms bisheriger Stellvertreterin und westfälischer Präses Annette Kurschus (58) könnte nach Margot Käßmann zum zweiten Mal eine Frau an die Spitze des Rats gewählt werden.

Umsetzung der Finanzstrategie

Neben den Ratswahlen stehen im November auch Beratungen über den Haushalt auf der Tagesordnung. Auch dafür hat die letzte Synode Hausaufgaben hinterlassen. Denn laut der im November beschlossenen Finanzstrategie müssen bis zum Jahr 2030 rund 17 Millionen Euro eingespart werden. Wo der Rotstift angesetzt werden soll, hat die Synode noch nicht final entschieden.

Heinrichs bekennt sich zu den geplanten Reformen. Die Zukunftsprozesse gehörten zu den wichtigsten Themen der neuen Amtsperiode, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir müssen das Paket, das uns die letzte Synode gepackt hat, jetzt aufnehmen und uns Ziele setzen.“

Von Corinna Buschow und Franziska Hein (epd)


Christentreffen in unsicheren Zeiten




ÖKT-Fahnen auf dem Frankfurter Römer
epd-bild/Tim Wegner
Der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt hätte das erste Großevent in der Pandemie werden können, das Schutzkonzept sollte als Vorbild für andere Veranstaltungen gelten. Nun findet das Christentreffen vom 13. bis 16. Mai hybrid statt. Die Ökumene soll dennoch wachsen.

Frankfurt a.M. (epd). Man sei mehrfach kurz davor gewesen, den Ökumenischen Kirchentag (ÖKT) ganz abzusagen, verriet die evangelische Präsidentin des ÖKT, Bettina Limperg, kürzlich. Die Corona-Pandemie macht Planungen unmöglich - das erleben nicht nur Millionen Menschen in Deutschland, sondern auch das Team der Organisatoren des größten christlichen Laientreffens in Deutschland. Mehrfach musste das Ereignis umgeplant werden, gut fünf Monate vor dem Event entschieden die Organisatoren schließlich: Der Kirchentag findet statt, doch ohne Besucher vor Ort und mit überwiegend digitalen Formaten.

Die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, Julia Helmke, spricht von einem „Experimentierlabor“. Der Ökumenische Kirchentag wird gemeinsam vom Deutschen Evangelischen Kirchentag und vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken organisiert. Noch im September war geplant, die Teilnehmerzahl auf 30.000 zu begrenzen und nach einem strengen Hygienekonzept zu verfahren. Am ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 hatten mehr als 200.000 Menschen teilgenommen, beim zweiten in München 2010 waren es mehr als 130.000.

Keine Papphocker in Messehallen

Singende Menschen in städtischen U-Bahnen, Papphocker in Messehallen und Politprominenz auf den Podien - so wird es 2021 nicht. Aus den ursprünglich geplanten über 2000 Veranstaltungen unter dem Leitwort „schaut hin“ wurden 80, die sich auf drei Themenblöcke konzentrieren: „Alles eine Frage des Glaubens und des Vertrauens?“, „Zusammenhalt in Gefahr?“ und „Eine Welt - globale Verantwortung?“.

Es wird live-Veranstaltungen geben, die aus einem Studio vor Ort in Frankfurt übertragen werden, und ein on-demand-Programm. Darunter fallen etwa die traditionellen Bibelarbeiten mit Promis aus Theologie und Gesellschaft. Und auch auf Politprominenz müssen Teilnehmer nicht ganz verzichten: Sowohl Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben ihre Teilnahme zugesagt.

Doch auch vor Ort soll es Angebote geben: einen zentralen Eröffnungsgottesdienst an Christi Himmelfahrt, konfessionelle Gottesdienste am Samstagabend und einen Schlussgottesdienst am Sonntag. Alle Gottesdienste sollen bundesweit übertragen und in den Heimatgemeinden mitgefeiert werden können. „Da die Menschen nicht nach Frankfurt kommen können, kommt der 3. Ökumenische Kirchentag zu ihnen nach Hause“, sagte Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und katholischer Präsident des ÖKT.

Das hybride Christentreffen soll nicht nur Fühlung aufnehmen mit den globalen und gesellschaftlichen Großthemen Klimawandel und die Folgen der Corona-Krise, er soll auch ökumenisches Wachstum bescheren. Die Abendmahlsfeiern am Samstagabend sind dabei besonders im Blick. Erstmals soll das Konzept der eucharistischen Gastfreundschaft gelebt werden. Viele Christinnen und Christen wünschen sich, dass sie mit ihren Glaubensgeschwistern der jeweils anderen Konfession Abendmahl feiern können.

Streit mit Vatikan riskiert

Bei den Gottesdiensten mit Abendmahl oder Eucharistie am letzten Abend des Kirchentags sollen Christinnen und Christen gleich welcher Konfession an allen Mahlfeiern teilnehmen können, wenn sie dies mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Bislang ist geplant, dass die konfessionellen Abendmahlsfeiern unter den Hygieneauflagen möglich sein werden.

Damit riskierten vor allem die katholischen Organisatoren, neben dem Zentralkomitee auch das Bistum Limburg mit Bischof Georg Bätzing, einen Streit mit dem Vatikan. Bätzing ist zugleich Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz.

Die Organisatoren berufen sich auf die vor zwei Jahren veröffentlichte Studie „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen. Diese kam zum Schluss, dass es keine theologischen Gründe gebe, die jeweils andere Konfession vom Abendmahl auszuschließen. Die Theologinnen und Theologen sprachen sich daher für eine wechselseitige Teilnahme am Abendmahl der jeweils anderen Konfession aus. Doch der Vatikan lehnt das ab.

Auch wenn der ÖKT nicht so wird, wie ursprünglich gewünscht, stehen die nächsten Daten schon fest: Im Jahr 2022 soll der Katholikentag in Stuttgart stattfinden. Für 2023 lädt der Deutsche Evangelische Kirchentag nach Nürnberg ein. Diese sollen nun noch ökumenischer gestaltet werden.

Von Franziska Hein (epd)


Von Pandemie bis Klimawandel: Kirchentag soll Zeichen setzen




Volker Jung (l.) und Georg Bätzing
epd-bild/Thomas Rohnke
Als Großveranstaltung ist der 3. Ökumenische Kirchentag wegen der Corona-Pandemie unmöglich geworden. Digital und dezentral soll er nach dem Wunsch der Gastgeber-Kirchen dennoch wichtige Impulse geben - innerkirchlich und für die Gesellschaft.

Frankfurt a.M. (epd). Trotz massiver Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie blicken die Gastgeber zuversichtlich auf den 3. Ökumenischen Kirchentag vom 13. bis 16. Mai in Frankfurt am Main. Den Kirchentag ganz abzusagen, „wäre in mehrfacher Hinsicht eine Kapitulation vor großen Herausforderungen“, sagte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der katholische Limburger Bischof Georg Bätzing sagte, obwohl der Kirchentag fast ausschließlich im Netz stattfinden könne, solle von ihm die Botschaft ausgehen, „dass wir als Christinnen und Christen gemeinsam die Welt gestalten und zusammenstehen“.

Katholiken und Protestanten wollten auf dem Kirchentag deutlich machen, dass sie sich um den Zusammenhalt der Gesellschaft, um soziale Gerechtigkeit und weltweite Solidarität kümmern, erläuterte Bätzing, der auch Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz ist. Und sie wollten das Signal aussenden, dass „sie für ein Gottes- und Menschenbild einstehen, das wichtig für die aktuellen Debatten ist“.

Nur 80 statt 2.000 Veranstaltungen

Ursprünglich hatte der Kirchentag vom 12. bis 16. Mai Zehntausende Menschen in Frankfurt zusammenbringen sollen zu Vorträgen, Diskussionsrunden, Workshops, Gottesdiensten und Konzerten. Wegen der Corona-Pandemie wurde das Programm deutlich verkleinert, die Angebote sind weitgehend digital.

Statt der ursprünglich geplanten mehr als 2.000 Veranstaltungen wird es nun etwa 80 geben, beginnend an Christi Himmelfahrt bis zum darauffolgenden Sonntag. Das digitale Programm wird auf einer Internetseite ausgestrahlt, alle Videostreams können ohne vorherige Anmeldung kostenlos abgerufen werden. Menschen aus der Region können an einzelnen Gottesdiensten teilnehmen, soweit es die Corona-Auflagen erlauben.

Nach 2003 in Berlin und 2010 in München findet in diesem Jahr zum dritten Mal ein Ökumenischer Kirchentag statt. Kirchenpräsident Jung sagte, gerade jetzt brauche es Gelegenheiten, um hochrelevante Themen zu diskutieren, und nannte etwa die Auswirkungen der Pandemie, den Klimawandel und die Veränderungsprozesse in den Kirchen. Außerdem gebe es bei vielen den Wunsch nach seelischer Stärkung und geistlicher Orientierung. Trotzdem sehe er der Veranstaltung mit gemischten Gefühlen entgegen, etwa was die digitale Beteiligung angehe.

„Ökumenisch sensibel“ vorbereitet

Er freue sich besonders auf die vier Gottesdienste mit den Mahlfeiern am Samstagabend. Vom Ökumenischen Kirchentag gehe die Botschaft aus, dass die wechselseitige Teilnahme an den Mahlfeiern möglich sei, betonte der Kirchenpräsident.

Bätzing sagte dem epd, die Mahlfeiern seien „ökumenisch sensibel“ vorbereitet worden. Er ermutige die Katholikinnen und Katholiken im Bistum, die konfessionelle Vielfalt in diesen Feiern zu erleben, sagte der Limburger Bischof.

Die wechselseitige Teilnahme am Abendmahl ist seit vielen Jahren ein wesentlicher theologisch begründeter Dissens im Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten. Bei den Gottesdiensten mit Abendmahl oder Eucharistie am letzten Abend des Kirchentags sollen Christinnen und Christen gleich welcher Konfession an allen Mahlfeiern teilnehmen können, wenn sie dies mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Damit riskieren vor allem die katholischen Organisatoren, neben dem Zentralkomitee auch das Bistum Limburg mit Bischof Bätzing an der Spitze, einen Konflikt mit dem Vatikan.



Catholica-Experte Bräuer: Ökumene-Mahlfeiern sind starkes Symbol




Martin Bräuer
epd-bild/KI Bensheim

Frankfurt a.M./Bensheim (epd). Die geplante Tolerierung anderer Konfessionen bei Mahlfeiern auf dem Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt am Main ist nach Ansicht des Ökumene-Experten Martin Bräuer ein starkes Symbol. Man dürfe allerdings nicht zu viel hineininterpretieren, sagte der Catholica-Referent des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes im südhessischen Bensheim dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Es sei kein „gemeinsames Abendmahl“ und damit keine ökumenische Sensation, so Bräuer. Es liege keine Einladung der katholischen Seite vor. Wenn Protestanten an der katholischen Eucharistiefeier oder Katholiken am evangelischen Abendmahl teilnehmen wollen, liege das ganz allein im Ermessen des oder der Einzelnen. Weiter könne man zurzeit nicht gehen.

Für Katholiken „bedeutsamer Schritt“

Neu sei, „dass man das zum ersten Mal so macht“, fügte Bräuer hinzu. Für die Protestanten sei es keine große Sache, für die katholische Seite allerdings ein „bedeutsamer Schritt“, betonte der evangelische Theologe und Pfarrer. In der evangelischen Kirche seien ohnehin alle Getauften zum Abendmahl eingeladen.

Die Veranstalter des weitgehend digitalen 3. Ökumenischen Kirchentags vom 13. bis 16. Mai laden Gemeinden in Frankfurt aber auch ganz Deutschland dazu ein, für Samstagabend (15. Mai) Gottesdienste „ökumenisch sensibel“ zu gestalten, um Begegnungen zwischen den Konfessionen zu ermöglichen. Die Gewissensentscheidung der einzelnen Gottesdienstbesucher, ob sie an der Mahlfeier der jeweils anderen Konfession teilnehmen, soll respektiert werden.

Live übertragen werden ein evangelischer, ein römisch-katholischer, ein evangelisch-freikirchlicher Gottesdienst sowie eine orthodoxe Vesper aus Frankfurt. Weiterhin bleibt unklar, wie die Mahlfeiern während der Corona-Pandemie überhaupt stattfinden können.

Vatikan wies Handreichung der Bischofskonferenz zurück

Bräuer erinnerte an die Handreichung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz von Anfang 2018, die vom Vatikan zurückgewiesen wurde. Der als Orientierungshilfe erschienene Text soll evangelischen Gläubigen mit katholischen Ehepartnern einen Weg pastoraler Begleitung öffnen, bei dem im Einzelfall der Empfang der katholischen Kommunion möglich werden kann.

In Frankfurt gehe man nun einen Schritt weiter, so Bräuer. Die Teilnahme werde nicht auf konfessionsverbindende Ehen begrenzt, sondern auf alle Getauften, die eine Teilnahme mit ihrem Gewissen vereinbaren können: „Das ist der entscheidende Punkt.“ Die katholische Seite mache deutlich, dass sie zwar nicht einlädt, aber die Gewissensentscheidung des anderen respektiert. Wer kommen wolle, werde nicht abgewiesen. In den meisten Gemeinden sei dies ohnehin langjährige Praxis, das „weiß jeder, auch die Bischöfe und der Papst“.

epd-Gespräch: Stephan Cezanne


Staatsleistungen an Kirchen werden zunächst nicht abgelöst



Erneut ist eine Initiative der Opposition zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen gescheitert. Union und SPD stimmten im Bundestag dagegen, zeigten sich aber offener als früher für das Vorhaben.

Berlin (epd). Der Bundestag hat eine Initiative der Opposition zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen abgelehnt. In namentlicher Abstimmung votierte am 6. Mai eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten gegen einen Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken. Sie wollten mit einem sogenannten Grundsätzegesetz die Bundesländer in die Pflicht nehmen, ein Ende der Zahlungen zu verhandeln. Union und SPD äußerten zwar grundsätzlich Anerkennung für den vorgelegten Vorschlag, lehnten ihn aber trotzdem ab und signalisierten Zustimmung zu einer modifizierten Regelung in der nächsten Wahlperiode.

Staatsleistungen erhalten die Kirchen als Entschädigung für die Enteignung kirchlicher Güter und Grundstücke im Zuge der Säkularisierung vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts. Der Auftrag, diese regelmäßigen Zahlungen abzulösen, wurde von der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommen. Weitgehend Einigkeit besteht darin, dass die Ablösung durch eine einmalige Zahlung erfolgen muss. Ein Vorschlag der AfD, die Zahlungen ab 2027 ersatzlos zu streichen, wurde von allen anderen Fraktionen deswegen als voraussichtlich nicht rechtmäßig abgelehnt. Gegen den Entwurf von FDP, Grünen und Linken stimmten am Ende 444 Abgeordnete. 179 stimmten dafür, 3 enthielten sich.

550 Millionen Euro jährlich

Die drei Oppositionsfraktionen hatten vorgeschlagen, sich bei der Ablösung am Bewertungsgesetz zu orientieren, was eine Höhe der Ablösesumme um das 18,6-Fache der jährlichen Zahlungen bedeuten würde. Konkret mit den evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümern verhandeln und zahlen müssten aber die Bundesländer, die entsprechende Staatsverträge mit den Kirchen geschlossen haben.

Die Staatsleistungen an katholische und evangelische Kirche summieren sich aktuell auf rund 548 Millionen Euro pro Jahr. Sie sind zu unterscheiden von den Einnahmen durch die Kirchensteuer und Zuwendungen, die die Kirchen für Leistungen beispielsweise im Bereich der Bildung, Gesundheit und Wohlfahrt erbringen.

Schon in den vergangenen Wahlperioden waren Initiativen zur Ablösung der Staatsleistungen im Parlament gescheitert, die allerdings eine wesentlich geringere Ablösesumme vorgesehen hatten. Bei CDU/CSU und SPD stieß das grundsätzlich auf Ablehnung. Zum Vorschlag von FDP, Linken und Grünen gab es aus den aktuellen Regierungsfraktionen nun aber auch Lob.

Neuer Anlauf nach Bundestagswahl

Philipp Amthor (CDU) sagte in Berlin, den Verfassungsauftrag zur Ablösung nehme er ernst. Man werde das aber erst in der nächsten Legislaturperiode lösen können. Der Kirchenbeauftragte der SPD-Fraktion, Lars Castellucci, sagte, diese Frage müsse zu einer Lösung gebracht werden. „Das ist unser Wille, und das sage ich Ihnen für die nächste Legislaturperiode auch zu“, sagte er in Richtung der drei Oppositionsfraktionen.

Die Redner von Union und SPD machten deutlich, dass sie bei Teilen des Gesetzes und beim Vorgehen Änderungswünsche haben. Amthor sagte, nicht der Bund, sondern die Länder seien „Zahlmeister“. Sie müssten daher bei den Beratungen beteiligt werden. Derzeit hätten sie angesichts der Haushaltslage kein Interesse an der Ablösung. Zudem ließen beide Redner der Koalition erkennen, dass sie über die Höhe des Ablösefaktors noch reden wollen. Die Summe müsse die Kirchen in die Lage versetzen, von den Erträgen ihre Aufgaben weiter erfüllen zu können, sagte Castellucci.



Kirchen: Kritik an Corona-Maßnahmen nicht vorschnell abtun



Brüssel, Wien (epd). Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) wendet sich dagegen, Kritik an Corona-Maßnahmen vorschnell als unsolidarisch abzutun. Die Kirchen erhöben „Einspruch gegen die falsche binäre Logik, wonach das Hinterfragen von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen und die Einforderung von Diskurs über Alternativen als unsolidarisch diskreditiert werden“, heißt es in der vom GEKE-Ethikbeirat entworfenen Schrift „Gemeinsam Kirche sein in einer Pandemie - Reflexionen aus evangelischer Perspektive“, die am 4. Mai von der GEKE in Wien und dem Brüsseler Büro der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) online vorgestellt wurde.

Die Kirchen riefen nicht zu zivilem Ungehorsam gegen staatliche Anti-Corona-Maßnahmen auf, verlangten aber einen „demokratischen Diskurs über angemessene alternative Maßnahmen“, heißt es in dem Papier. Die GEKE wertet zugleich die Einschränkung der gemeinschaftlichen Religionsausübung im Rahmen der Pandemiebekämpfung nicht als religiöse Diskriminierung. Man erkenne vielmehr „ein berechtigtes Abwägen zum Schutz der Verletzlichsten in der Gesellschaft“. Allerdings stelle man die Frage, ob die staatlichen Beschränkungen für Gottesdienste stets verhältnismäßig waren.

Als Handreichung gedacht

Das Papier ist nicht als Positionierung gegenüber der Politik, sondern als Handreichung an Kirchenverantwortliche gedacht, wie GEKE-Generalsekretär Mario Fischer bei der Vorstellung klarmachte. Es helfe, wenn Erfahrungen zum Umgang mit Krisen aus anderen Kontexten weitergegeben würden. Etwa aus Ländern wie der Schweiz, wo viele Pfarrerinnen und Pfarrer Erfahrungen mit dem Militär oder dem Katastrophenschutz hätten. Der GEKE gehören rund 100 lutherische, methodistische, reformierte und unierte Kirchen aus mehr als 30 Ländern in Europa und Südamerika an.



Evangelische Friedensarbeit: "Cyberpeace" statt "Cyberwar"



Bonn (epd). Die Evangelische Friedensarbeit hat sich kritisch zum Ausbau der sogenannten Cyber-Abwehr gegen digitale Angriffe geäußert. Dabei dürfe nicht eine „militärische Sicherheitslogik zum Paradigma werden“, erklärte der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, in seinem Vorwort des am 5. Mai in Bonn erschienenen Dossiers „Cyberwar verstehen - Cyberpeace mitgestalten“ der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für KDV und Frieden (EAK). Stattdessen müsse eine Verteidigung im Cyberraum menschliche Sicherheit im Sinne eines Zivilschutzes in den Fokus rücken.

Die digitale Vernetzung im Alltag biete viele Vorteile, sie mache die Gesellschaft aber auch angreifbar, gerade, wenn solche Angriffe aus dem Cyberraum vitale Infrastrukturen wie Strom- und Wasserversorgung betreffen, hieß es weiter. Nach Ansicht der Evangelischen Friedensarbeit werden hier grundlegende friedensethische Fragen und Fragen der Friedensbildung berührt. Das Dossier „Cyberwar verstehen - Cyberpeace mitgestalten“ der EAK-Friedensreferentin Maike Rolf lege nun eine Materialsammlung mit Unterrichtsentwurf und Elementen in leichter Sprache zu dieser Thematik vor.

„Schwerpunkt auf Prävention und zivile Strukturen legen“

Die Materialsammlung zeige eindrücklich, wie sich die Bearbeitung von friedensethischen Herausforderungen mit friedenspädagogischen Anregungen verbinden lasse, so der EKD-Friedensbeauftragte Brahms. Die Friedens- und Konfliktforscherin Rolf verweist darauf, dass es angesichts der Aktualität von Cyberwaffen, Cyberangriffen und Cyberabwehr wichtig sei, dass sich die Friedensarbeit gut damit auskenne, um so sprech- und handlungsfähig zu sein.

Das von der EAK vorgelegte Dossier versteht sich den Angaben zufolge als Fortsetzung der Debatte auf der Dresdner EKD-Synode vor zwei Jahren, bei der die Frage nach dem Umgang mit Cyberwar und dem Cyberraum als einer der künftigen Themenschwerpunkte friedensethischer Arbeit eingestuft wurde. „Dabei ist es wichtig, den eindeutigen Schwerpunkt auf die Prävention und auf zivile Strukturen zu legen und der Vermeidung wie auch der Regelung von Konflikten auf der Grundlage eines auf ethischen Kriterien entwickeltem völkerrechtlich verbindlichen Cyberrecht Vorrang einzuräumen“, so Brahms.



Gottesdienstpreis 2021 an Gemeinden in Flensburg und Karlsruhe



Kassel (epd). Der Gottesdienstpreis 2021 geht an Kirchengemeinden in Flensburg und Karlsruhe. Das teilte die Stiftung zur Förderung des Gottesdienstes am 5. Mai in Kassel mit. Sie zeichnet mit dem Preis die besten digitalen Ostergottesdienste des Jahres 2020 aus.

Über 60 digitale Ostergottesdienste seien eingereicht worden, heißt es in der Mitteilung. Die Kirchengemeinden hätten „mutige und kreative Antworten“ auf die Frage gefunden, wie in Zeiten der Pandemie, in der Zusammenkünfte verboten sind, die Auferstehung Jesu Christi gefeiert werden könne.

Ausgezeichnet wurden die „Freudensprünge“ aus Flensburg und die „Bewegten (W)orte“ aus Karlsruhe. Die Flensburger St. Petri-Kirchengemeinde ließ den BMX-Fahrer Vincent Unrath die Osterfreude mit spektakulären Sprüngen zwischen Orgelempore und Altar zum Ausdruck bringen.

Segen auf der Landstraße

Der Stadtkirchenbezirk Karlsruhe überzeugte mit einer viereinhalb Minuten langen Andacht aus der Kirchengemeinde Palmbach, die eine konzentrierte Liturgie mit Gebet in der Waldenserkirche, Gedanken zu Tod und Auferstehung auf dem Palmbacher Friedhof und einem Segen bereithielt, den Pfarrerin Anne Helene Kratzert unterwegs auf einer Landstraße sprach.

Die Jurymitglieder lobten, wie die Preisträger das Prinzip „Form folgt Funktion“ umgesetzt hätten und wie mit dem digitalen Medium gearbeitet worden sei. „Beide Videos sind kurzweilig und unterhaltsam. Sie berühren auf sehr unterschiedliche Weise mit ihren Botschaften.“ Gleichzeitig seien die Gottesdienste technisch sehr gut gemacht.

Die Stiftung zur Förderung des Gottesdienstes verleiht den mit 3.000 Euro dotierten Gottesdienstpreis seit 2009. Bisher wurden mehr als 15 Einrichtungen und Initiativen für ihre innovative und qualitative Gottesdienstarbeit ausgezeichnet.




Gesellschaft

Für Geimpfte entfallen Kontaktbeschränkungen




Neue alte Freiheiten für Geimpfte
epd-bild/Steffen Schellhorn
Keine Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren mehr: Für Geimpfte und Covid-19-Genesene entfällt per Verordnung ein Teil der Pandemiebeschränkungen. Nun stimmte der Bundesrat zu. Damit kann sie in Kraft treten.

Berlin (epd). Für vollständig Geimpfte und Genesene fällt ein großer Teil der Corona-Beschränkungen weg. Der Bundesrat stimmte am 7. Mai in Berlin einer Verordnung zu, mit der unter anderem Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen für Immunisierte aufgehoben werden. Geimpfte können sich damit wieder in unbegrenzter Personenzahl treffen. Zudem entfallen für diese Gruppen die Quarantänepflicht nach Kontakt zu Infizierten und die Testpflicht als Zugangsvoraussetzung beispielsweise beim Friseur. Die Regelung trat bereits am Wochenende in Kraft.

Die Beschränkungen werden aufgehoben, weil von Geimpften und Genesenen laut Robert Koch-Institut kaum noch eine Gefahr ausgeht, das Coronavirus zu übertragen. Als vollständig geimpft gelten Menschen 15 Tage nach ihrer zweiten Impfung, als genesen, wenn die Infektion nicht länger als ein halbes Jahr zurückliegt.

Parlamentarisches Schnellverfahren

Die Verordnung wurde im Schnellverfahren verabschiedet. Erst am 4. Mai brachte die Bundesregierung die Regelung auf den Weg. Am 6. Mai stimmte der Bundestag der Verordnung zu. Bis einschließlich 5. Mai hatten in Deutschland laut Robert Koch-Institut (RKI) 30,6 Prozent der Bevölkerung (rund 25,5 Millionen Menschen) eine erste Corona-Schutzimpfung erhalten. 8,6 Prozent der Bevölkerung (rund 7,1 Millionen Menschen) sind bereits vollständig, also bereits zweimal geimpft. Die Zahl der Covid-19-Genesenen liegt laut RKI bei 3,1 Millionen Menschen seit Beginn der Pandemie vor mehr als einem Jahr.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte im Bundesrat, Ziel sei es, Grundrechtseingriffe für alle zurückzunehmen. Es sei kein Modell für die Zukunft, Menschen unterschiedlich bei den Grundrechten zu behandeln. Der CDU-Kanzlerkandidat appellierte, an die Jüngeren zu denken, die erst später mit den Impfungen dran sind und für sie deswegen noch keine Ausnahmen von den Grundrechtseinschränkungen gelten. „Deshalb ist diese Phase eine hochsensible für den Zusammenhalt der Gesellschaft“, sagte Laschet.



Ethikrat warnt vor sozialer Spaltung durch Lockerungen für Geimpfte




Alena Buyx
epd-bild/Christian Ditsch

Berlin (epd). Der Deutsche Ethikrat warnt angesichts der Aufhebung von Corona-Auflagen für Geimpfte und Genesene vor einer sozialen Spaltung. Kinder, Jugendliche, Auszubildende und Studenten hätten „einen doppelten Nachteil“, denn sie seien nicht geschützt und dürften weniger, sagte die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx den Zeitungen der Funke Mediengruppe (10. Mai). Geimpfte dagegen hätten den doppelten Vorteil: Sie seien geschützt und dürften mehr. „Wir haben also ein echtes Solidaritäts- und Gerechtigkeitsproblem in unserer Gesellschaft und wir erleben eine soziale Spannung“, warnte Buyx. Man müsse aufpassen, dass „die Spannung nicht zur Spaltung wird“.

Die Ethikratsvorsitzende erklärte, sie erwarte von der Politik, „dass sie diese temporär ungerechte Situation ernst nimmt, anspricht und gestaltet“. Es brauche Angebote für diejenigen, „die ungeimpft weniger Freiheiten haben“. Buyx schlug vor, Familien und jungen Menschen freiwerdende Testkapazitäten anzubieten. Eine Erhöhung des Impftempos könne „zu einer gesellschaftlichen Entspannung beitragen“. Buyx mahnte zudem „mehr sichtbare Wertschätzung den Jüngeren gegenüber“ an. Die jüngere Generation habe sich in den zurückliegenden Monaten der Pandemie „für die Alten und Schwachen hintenangestellt“.

„Bildungsverluste und Lernrückstände“

Die Belastung der jüngeren Generation wird nach Worten von Buyx zunehmend deutlich. „Die ökonomische und mentale Belastung steigt, die psychischen Folgen sind erheblich.“ So gebe es Bildungsverluste und Lernrückstände, viel Leben sei verpasst worden, sagte die Medizinethikerin. Auch in Familien werde es zu Problemen kommen: Eltern seien künftig mitunter schon geimpft, die Kinder aber noch nicht. Das führe etwa dazu, dass Kinder im Urlaub in Quarantäne müssten, Eltern aber nicht.



Höchststand extremistischer Straftaten




Proteste in Berlin gegen Corona-Beschränkungen im April 2021
epd-bild/Rolf Zöllner
Die Zahl politisch motivierter Straftaten war 2020 so hoch wie noch nie seit ihrer Erfassung. Ein Grund ist die Polarisierung durch die Proteste gegen die Corona-Politik. Innenminister Seehofer spricht von "klaren Verrohungstendenzen" im Land.

Seehofer sieht "klare Verrohungstendenzen"

Berlin (epd). Die Zahl politisch motivierter Straftaten hat während der Corona-Pandemie einen Höchststand erreicht. Nach der am 4. Mai in Berlin vorgestellten Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) gab es 2020 insgesamt 44.692 extremistische Straftaten. Das waren gut 3.000 mehr als im bisherigen Negativrekordjahr 2016 mit damals heftigen Auseinandersetzungen in der Flüchtlingspolitik. Mehr als die Hälfte der Straftaten war auch 2020 rechtsextrem motiviert. Der Rechtsextremismus sei die größte Bedrohung für die innere Sicherheit, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Er habe über Jahre hinweg „die hässlichste Blutspur“ durch das Land gezogen, sagte Seehofer und verwies auf die Terrorzelle NSU, die Anschläge von Halle und Hanau und den Mord an Walter Lübcke. Laut BKA-Statistik gab es 2020 elf Opfer von Tötungsdelikten sowie 13 versuchte Tötungen im Zusammenhang mit extremistisch motivierter Gewalt. Den Anstieg der Fallzahlen erklären Seehofer und BKA auch mit der polarisierten Stimmung im Land durch die Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. „Es gibt klare Verrohungstendenzen in unserem Land“, sagte Seehofer.

Sorge vor Radikalisierung der „Querdenker“

Bei den Corona-Protesten nähmen Menschen ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahr, sagte Seehofer. Für die Sicherheitsbehörden problematisch sei aber, „dass sich neue Koalitionen zwischen einfachen, normalen Demonstranten und Anhängern von Verschwörungsideologien, Impfgegnern, Esoterikern, ,Reichsbürgern', ,Selbstverwaltern' und sonstigen Extremisten bilden“, sagte er.

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Teile der „Querdenken“-Bewegung beobachtet. Die Amadeu-Antonio-Stiftung warnte vor einer Radikalisierung der Szene: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich aus den Reihen der Corona-Leugner Terrorzellen bilden oder einzelne Täter schwere Gewaltverbrechen verüben“, erklärte Geschäftsführer Timo Reinfrank.

Die Zahl antisemitischer Straftaten stieg laut BKA-Statistik 2020 um mehr als 300 auf 2.351. Davon waren 57 Gewalttaten. Stark gestiegen sind 2020 auch Angriffe auf Repräsentanten von Religionsgemeinschaften. Sie haben sich von 559 im Jahr 2019 auf 2.217 im vergangenen Jahr fast vervierfacht. 70 Prozent dieser Angriffe richteten den sich den Angaben zufolge gegen Vertreter jüdischer Gemeinschaften, rund ein Viertel gegen Repräsentanten muslimischer Religionsgemeinschaften. Der Zentralrat der Juden nannte die Zahlen insgesamt und speziell die antisemitisch motivierter Übergriffe „absolut alarmierend“.

„Beschämende Zahlen“

Auch die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt stellten am Dienstag ihre Statistik vor. Sie zählten in den in acht Bundesländern vertretenen Anlaufstellen im vergangenen Jahr 1.322 rechte und rassistische Angriffe. Mindestens drei bis vier Menschen würden täglich Opfer rechter Gewalt, sagte die Geschäftsführerin der Brandenburger Opferperspektive, Judith Porath, in Berlin. Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke, betonte, hinter den beschämenden Zahlen stünden Schicksale. Jede Gewalttat verursache Leid, Angst und Verunsicherung.

Der Zentralrat der Juden mahnte, die noch offenen, im Kabinettsausschuss Rechtsextremismus beschlossenen Maßnahmen zügig umzusetzen. Seehofer kündigte an, dass das Bundeskabinett Eckpunkte für ein Gesetz zur verlässlichen Finanzierung zivilgesellschaftlicher Initiativen - das sogenannte Wehrhafte-Demokratie-Gesetz - sowie einen Vorschlag zum Ersatz des Begriffs „Rasse“ im Grundgesetz beschließen wolle. Damit könnten beide Vorhaben noch vor Ablauf der Wahlperiode vom Bundestag verabschiedet werden.



Ermittler gehen bei "NSU 2.0"-Drohungen von Alleintäter aus



Der mutmaßliche Verfasser der "NSU 2.0"-Drohmails ist gefasst. Die Ermittlungen sind aber noch lange nicht beendet, und auch die Opfer haben noch Fragen.

Wiesbaden (epd). Nach erster Durchsicht der beschlagnahmten Computerdaten hat sich der Verdacht gegen den als mutmaßlichen Verfasser der mit „NSU 2.0“ gezeichneten Drohschreiben festgenommenen Mann erhärtet. Das teilten die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und das Hessische Landeskriminalamt am 5. Mai auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit. Sonderermittler Hanspeter Mener sagte, nach derzeitigen Stand der Erkenntnisse gehe er bei den rechtsextremistischen Drohmails von einem Alleintäter aus. Der leitende Oberstaatsanwalt Albrecht Schreiber betonte aber, die Ermittlungen seien noch längst nicht abgeschlossen, eine Reihe von Fragen müsse noch geklärt werden.

Dabei geht es vor allem darum, wie der 53-jährige erwerbslose Berliner an die gesperrten persönlichen Informationen über einige der bedrohten Frauen des öffentlichen Lebens gekommen ist. Diese Daten über die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz und die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler waren vor Versendung der Drohschreiben aus Polizeicomputern In Frankfurt und Wiesbaden abgerufen worden. Es gebe aber keinerlei Hinweise darauf, dass hessische Polizeibeamte mit dem Täter zusammengearbeitet hätten. Sonderermittler Mener hält es nach eigenen Angaben für möglich, dass sie der inzwischen in Untersuchungshaft sitzende Verdächtige unter Vorspiegelung falscher Tatsachen telefonisch auf den Polizeirevieren erhalten hat.

Verurteilung wegen Amtsanmaßung

In einem Schriftwechsel mit dem Berliner Landesamt für Ordnungs- und Bürgerangelegenheiten habe der Mann vor Jahren selbst beschrieben, wie man missbräuchlich bei Behörden persönliche Daten erhalten könne und eingeräumt, das er auch schon entsprechend vorgegangen sei. Außerdem sei der Beschuldigte rechtskräftig wegen Amtsanmaßung verurteilt worden, weil er sich 1992 als Kriminalbeamter ausgegeben habe. Polizei und Justiz erklärten aber auf der Pressekonferenz in Frankfurt, es lägen keine Erkenntnisse vor, dass einer der nach der Datenabfrage vernommenen Polizeibeamten etwas von einem derartigen Anruf gesagt habe.

Dem Verdächtigen, der seit Jahren arbeitslos war, kamen die Ermittler auf die Spur, weil er sich in rechten Internetforen in einer Weise geäußert hatte, die auffallend dem Stil der Drohschreiben glich. Polizei und Justiz sprachen von viel kriminalistischer Kleinarbeit bis zu der Festnahme am 3. Mai.

Sechs von den Drohschreiben Betroffene forderten derweil die Aufklärung „drängender Fragen“ in dem Fall. „Es gibt keinen Grund für Entwarnung“, heißt es in der Erklärung, die auf Initiative Wisslers zustande kam, die inzwischen auch Bundesvorsitzende der Linken ist. Die Bedrohten äußerten sich „irritiert“ darüber, dass der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) die Polizei von einer Verwicklung in die Schreiben freigesprochen habe, obwohl die Herkunft der vertraulichen Daten noch nicht geklärt sei.



Studie: Verschwörungsmythen befeuern Geschichtsrevisionismus



Der Erinnerungsmonitor 2021 zeigt große Wissenslücken in Deutschland beim Thema Zwangsarbeit. Zudem kommt die Studie zu dem Schluss, dass Anhänger von Verschwörungsmythen zu Geschichtsrevisionismus neigen.

Berlin (epd). Anhänger von Verschwörungsmythen sind laut einer Untersuchung historisch oft weniger gut informiert und neigen stärker zu revisionistischen Perspektiven auf die Zeit des Nationalsozialismus. Zu diesem Ergebnis kommt der am 5. Mai in Berlin vorgestellte „Multidimensionale Erinnerungsmonitor MEMO 2021“ der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Der Konfliktforscher und einer der Studienautoren, Andreas Zick, von der Universität Bielefeld betonte, „dass Menschen, die Verschwörungserzählungen glauben, eher die Bevölkerung während der NS-Zeit von Verantwortung entlasten, das Leiden der NS-Opfer mit dem der Täter gleichsetzen und an der Verfolgung der Jüdinnen und Juden zweifeln“.

Angesichts der Corona-Pandemie und der damit im Zusammenhang kursierenden Verschwörungserzählungen seien Corona-Leugner und andere Gruppen „eine neue Herausforderung für die Erinnerungs- und Gedenkkultur“, sagte Zick. So lehnen laut der Studie in Deutschland zwar drei Viertel (75,2 Prozent) der Befragten die Aussage ab, dass es berechtigt sei, das Leiden der deutschen Bevölkerung während der Corona-Pandemie mit dem Leid von Menschen während der NS-Zeit zu vergleichen. Allerdings stimmten 3,9 Prozent der Befragten dieser Aussage zu. Weitere 6,1 Prozent lehnten sie zumindest nicht ausdrücklich ab.

Zudem stimmten 29,2 Prozent der Aussage „eher“ oder „stark“ zu, dass es „geheime Organisationen“ gebe, die einen „großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben, wie es weiter hieß. Und 22,2 Prozent seien der Meinung gewesen, dass Politiker und Führungspersonen “nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte" seien.

„Zwangsarbeit war nahezu allgegenwärtig“

Auf einer Skala von 1 („lehne stark ab“) bis 5 („stimme stark zu“) hätten Verschwörungsanhänger mit einem Wert von 2,93 stärker als Ablehner von Verschwörungsmythen (1,90) der Aussage zugestimmt: „Die deutsche Bevölkerung hat während der NS-Zeit genauso sehr gelitten wie die Gruppen, die durch das NS-Regime verfolgt wurden.“ Bei der Aussage „Ich bezweifle, dass alles stimmt, was über das Ausmaß der Judenverfolgung berichtet wird“ lagen die Zustimmungswerte demnach bei 2,73 gegenüber 1,73.

Der Erinnerungsmonitor 2021 offenbarte aber auch große Wissenslücken in der Gesamtbevölkerung beim Thema NS-Zwangsarbeit. So hätten die Befragten die Zahl der NS-Zwangsarbeiter auf durchschnittlich vier Millionen Menschen geschätzt. Historiker gehen dagegen von 13 Millionen NS-Zwangsarbeitern aus. Mehr als 80 Prozent der Befragten verneinten zudem, dass eigene Vorfahren Zwangsarbeiter in ihren Unternehmen und Haushalten oder auf ihren Höfen arbeiten ließen.

Die EVZ-Vorstandsvorsitzende Andrea Despot betonte: „Zwangsarbeit war nahezu allgegenwärtig und überall. Die Ausbeutung und Vernichtung durch Arbeit hatte Methode - in Fabrikhallen ebenso wie auf Bauernhöfen oder in Privathaushalten.“

Der Erinnerungsmonitor MEMO untersucht seit 2017 anhand jährlicher repräsentativer Umfragen den Zustand der Erinnerungskultur in Deutschland. Für den Erinnerungsmonitor 2021 wurden zwischen Dezember 2020 und Januar 2021 insgesamt 1.000 Menschen zwischen 16 und 87 Jahren befragt.



Studie: Hören von Gangsta-Rap erhöht Akzeptanz von Antisemitismus



Düsseldorf/Bielefeld (epd). Laut einer Studie der Universität Bielefeld gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Gangsta-Rap und der Neigung, antisemitische und frauenfeindliche Aussagen zu teilen. „Die oftmals antisemitischen Textpassagen im Gangsta-Rap haben Einfluss auf die Wert- und Demokratiehaltungen bei den Jugendlichen“, sagte der Wissenschaftler und Studienleiter Marc Grimm am 4. Mai bei der Vorstellung der Studie in Düsseldorf. Die Musik beeinflusse nicht nur das Denken, sondern auch das Handeln der Jugendlichen. Die Studie wurde von der Antisemitismus-Beauftragten der NRW-Landesregierung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in Auftrag gegeben.

Die Forscher gingen in Interviews mit Jugendlichen unter anderen der Frage nach, welche antisemitischen Motive und diskriminierenden Äußerungen von Jugendlichen aufgenommen werden und was Spuren in den Einstellungen der Hörerinnen und Hörer hinterlässt. „Wir dürfen nicht zusehen, wie Musiker Antisemitismus propagieren,“ sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Notwendig sei vielmehr zielgruppen- und altersgerechte Präventionsangebote. Grimm bedauerte, dass es unter anderem in den Schulen trotz der Thematisierung des Nationalsozialismus im Unterreicht noch nicht zur Beschäftigung mit den teils antisemitischen Texten im deutschsprachigen Gangsta-Rap gekommen sei. Insbesondere antisemitische Codes, also die Verwendung von Symbolen und Andeutungen, in Texten oder Bildern in Videos, würden oft nicht als solche erkannt und verstanden.

Befragt wurden 500 Jugendliche zwischen 12 und 24 Jahren. Ergebnisse der Studie sollen im Juni bei einer digitalen Fachtagung diskutiert, und es sollen Möglichkeiten der Prävention erörtert werden. Im Vorfeld der Tagung appellierte Leutheusser-Schnarrenberger am Dienstag an die Musikbranche. „Auch die hat eine Verantwortung“, mahnte die Antisemitismusbeauftragte.



Neues Gesetz zum Erscheinungsbild von Beamten sorgt für Kritik



Weitgehend unbeachtet hat der Bundestag ein Gesetz mit Vorschriften für das Äußere von Beamten verabschiedet. Es geht um Tattoos, aber auch um religiöse Kleidungsstücke. Protest regte sich zu spät. Inzwischen hat auch der Bundesrat zugestimmt.

Berlin (epd). Der Bundesrat hat am 7. Mai ein Gesetz mit Vorschriften zur äußeren Erscheinung von Beamten passieren lassen. Es enthält Regelungen darüber, inwieweit Tattoos, Piercings, Bärte oder anderer Körperschmuck für Beamte zulässig ist. Bei Islam-Verbänden stieß das Gesetz auf Widerstand, weil sie ein Kopftuchverbot durch die Hintertür befürchten. Politiker der Linken kritisierten ebenfalls die Regelung, die im April weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit vom Bundestag verabschiedet wurde. Das Bundesinnenministerium stellte klar, dass es Verbote für religiöse Kleidung nur in Ausnahmefällen geben kann.

Im Gesetz heißt es, dass das Tragen religiöser Merkmale dann eingeschränkt oder untersagt werden kann, „wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beinträchtigen“. In der Begründung wird auf die Neutralitätspflicht des Staates verwiesen. Als Beispiele werden das muslimische Kopftuch, die jüdische Kippa und das christliche Kreuz genannt.

„Falsches Signal“

Das Gesetz wurde am 22. April ohne Debatte mit den Stimmen der Regierungsfraktionen und der AfD im Bundestag verabschiedet. „Das ist das falsche Signal an die vielen Musliminnen und Muslime in unserem Land“, kritisierte der Koordinationsrat der Muslime in dieser Woche. Zudem forderten Online-Petitionen einen Stopp des Gesetzes.

Der Thüringer Minister für Bundesangelegenheiten, Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), äußerte im Bundesrat Bedenken in eine ähnliche Richtung. Auch Beamte müssten die Möglichkeit haben, ihre religiösen Bedürfnisse auszudrücken, sagte Hoff. Das sei „Teil unserer Diversitätsbemühungen im öffentlichen Dienst“. Es passe nicht zusammen, wenn man einerseits sage, Juden müssten in Deutschland ohne Angst eine Kippa tragen können und das andererseits Beamten verbiete, sagte Hoff, der auch Antisemitismusbeauftragter der Thüringer Landesregierung ist.

Die religionspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Christine Buchholz, deren Partei gegen das Gesetz stimmte, sagte, Union und SPD könnten nicht erklären, „warum ein Gesetz, das Nazi-Tattoos und verfassungswidrige Symbole verbieten soll, gleichzeitig die Möglichkeit enthält, ein Verbot von Kopftuch, Kippa oder Kreuz für Beamtinnen und Beamte durchzusetzen“. In der Realität träfe dies vor allem muslimische Frauen und leiste Rassismus und Diskriminierung Vorschub.

Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums betonte indes, „selbstverständlich“ könnten Beamte weiterhin religiöse Symbole und Kleidungsstücke tragen. Dies könne nur „in einigen Ausnahmefällen“ untersagt werden, „nämlich dann, wenn der Staat klassisch hoheitlich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern auftritt“, sagte sie, ohne konkrete Beispiele zu nennen.



Bundesregierung will Klimaziele deutlich erhöhen




Kohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig
epd-bild/Matthias Rietschel
Das Verfassungsgericht hat die Regierung in die Pflicht genommen: Die Hauptlast im Kampf gegen die Erderwärmung dürften nicht die nachkommenden Generationen tragen. Nun soll alles ganz schnell gehen: Neue Ziele werden angekündigt.

Berlin (epd). Die Bundesregierung will ihre Klimaziele deutlich erhöhen. Bis 2030 soll der Treibhausgasausstoß im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent statt wie bisher geplant um 55 Prozent sinken, wie Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) nach einer Kabinettssitzung am 5. Mai in Berlin sagte. Damit zieht die Regierung Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das in der vergangenen Woche Änderungen am Klimaschutzgesetz gefordert hatte.

Laut Finanzminister Scholz soll für 2040 ein neues Zwischenziel von minus 88 Prozent Treibhausgasen festgesetzt werden. Die bislang für 2050 angepeilte Klimaneutralität solle bereits 2045 erreicht sein. Dafür müsse auch der Ausbau Erneuerbarer Energien beschleunigt werden.

„Gesetzentwurf folgt der Wissenschaft“

Der Sprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Steffen Seibert, bestätigte das Vorhaben. Der Entwurf zu den präzisierten Klimazielen soll nach Willen der Regierung möglichst in der kommenden Woche im Kabinett beraten werden.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) erklärte, es herrsche bei den neuen Zielmarken Einigkeit in der Regierung. Sie betonte: „Der Entwurf folgt der Wissenschaft und berücksichtigt die Interessen kommender Generationen, da keine Lasten in die Zukunft verschoben werden.“ Details darüber, in welchen konkreten Sektoren dafür in den kommenden Jahren mehr eingespart werden muss, nannte sie nicht. Umweltorganisationen fordern insbesondere einen schnelleren Kohleausstieg.

Das Bundesverfassungsgericht hatte Teile des deutschen Klimapakets als verfassungswidrig beurteilt, weil es die Hauptlast zur Begrenzung der Erderwärmung vor allem der jüngeren Generation aufbürde. Die Richter bemängelten, dass das Klimaschutzgesetz konkrete Regeln zur Verringerung der Treibhausgasemissionen nur bis zum Jahr 2030 und nicht auch für Zeiträume danach getroffen hat. Das Gericht erteilte dem Gesetzgeber die Aufgabe, bis Ende 2022 nachzubessern.



UNHCR und kirchliche Verbände fordern mehr Aufnahmen von Flüchtlingen



Berlin (epd). Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas haben Deutschland und die EU zu einer Ausweitung ihrer Aufnahmeprograme für Flüchtlinge aufgefordert. Programme wie das sogenannte Resettlement seien wichtige Instrumente, um besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen eine Perspektive zu geben, erklärten die Organisationen anlässlich einer Tagung zum Thema am 5. Mai in Berlin. Diakonie-Vorständin Maria Loheide sagte, bei aller Sorge um die Pandemie und ihre Folgen im Innern müssten auch Menschen auf der Flucht im Fokus der Politik bleiben.

Über Resettlement-Programme werden Flüchtlinge, meist besonders schutzbedürftige Gruppen wie Kranke und Familien mit kleinen Kindern, gezielt aus Camps etwa im Libanon, Jordanien oder Kenia in sichere Länder gebracht. Nach Angaben des UNHCR liegt der weltweite Bedarf bei mehr als 1,4 Millionen Plätzen. Die EU hatte für das vergangene Jahr 30.000 Aufnahmen zugesagt, davon Deutschland 5.500. Nach Deutschland eingereist seien pandemiebedingt aber nur etwa 1.400 Menschen.

Resettlement-Programme seien eine Ergänzung des individuellen Asylrechts, erklärten die drei Organisationen. „Angesichts des Ausmaßes von Flucht und Vertreibung weltweit sind die Prinzipien und Instrumente des internationalen Flüchtlingsschutzes so relevant wie nie“, sagte die UNHCR-Vertreterin in Deutschland, Katharina Lumpp. Weltweit sind nach Angaben der UN mehr als 80 Millionen Menschen auf der Flucht. „Deutschland und andere Länder der EU können und müssen hier deutlich mehr tun und mehr Menschen durch solche Programme aufnehmen“, erklärte Caritas-Präsident Peter Neher.




Soziales

Ärzte streichen Verbot der Suizidassistenz aus Berufsordnung




Suizidassistenz muss neu gesetzlich geregelt werden.
epd-bild/Jürgen Blume
Nach dem Karlsruher Grundsatzurteil zur Sterbehilfe streicht die Ärzteschaft das Verbot der Suizidbeihilfe aus ihrer Berufsordnung. Der Ärztetag stimmte für die Streichung, betonte aber gleichzeitig, Ärzte blieben primär dem Leben verpflichtet.

Berlin (epd). Die deutsche Ärzteschaft zieht Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe. Mit deutlicher Mehrheit der Delegierten entschied der Deutsche Ärztetag am 5. Mai, das bisherige Verbot der Suizidassistenz aus der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer zu streichen.

Führende Ärztevertreter betonten gleichzeitig, dass die Hilfe bei der Selbsttötung grundsätzlich nicht ärztliche Aufgabe sei und das Verbot der Tötung auf Verlangen bestehen bleiben müsse. Der Abstimmung war eine dreistündige Debatte vorausgegangen, in der das Ringen der Ärzteschaft mit dem Umgang und der eigenen Rolle bei dieser Form der Sterbehilfe deutlich wurde. Am Ende fiel das Ergebnis eindeutig aus: 200 Ärztevertreter stimmten für die Aufhebung des Suizidhilfe-Verbots, acht dagegen, weitere acht enthielten sich.

Neuregelung bis Herbst fraglich

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im vergangenen Jahr das Verbot der organisierten - sogenannten geschäftsmäßigen - Suizidassistenz gekippt hatte, hatte erneut eine Diskussion über das ärztliche Standesrecht ausgelöst. Schon bei der Debatte im Jahr 2015 über das letztlich in Karlsruhe gekippte Verbot hatten sich einige Vertreter der Ärzteschaft für eine Liberalisierung der Berufsordnung ausgesprochen, eine Mehrheit war aber dagegen. Einige Landesärztekammern hatten zugleich bereits weniger restriktive Regelungen.

Bei der Suizidassistenz werden einem Sterbewilligen tödlich wirkende Mittel überlassen. Diese Form der Sterbehilfe ist zu unterscheiden von der weiterhin auch im Strafrecht verbotenen Tötung auf Verlangen, bei der ein Mittel verabreicht wird. Im Bundestag wird derzeit über eine mögliche gesetzliche Neuregelung der Suizidassistenz beraten. Es ist allerdings fraglich, ob sie noch in dieser Wahlperiode verabschiedet wird. Zwei vorliegende Gesetzentwürfe sehen eine zentrale Rolle bei Beratung und Verschreibung von Medikamenten bei Ärzten.

In der Ärzteschaft wird das kontrovers debattiert. Ärztepräsident Klaus Reinhardt unterstrich am Mittwoch seine persönliche Haltung, wonach Hilfe beim Suizid keine ärztliche Aufgabe sein sollte. Constantin Janzen aus Hildesheim sagte dagegen, er wäre grundsätzlich dazu bereit, „unter klar definierten und sicheren Voraussetzungen den assistierten Suizid zu begleiten“ und wolle dafür nicht verurteilt werden. „Wir verschieben hier eine Grenze“, mahnte Lydia Berendes von der Ärztekammer Nordrhein.

Der auf dem digitalen Ärztetag verabschiedete Antrag zur Streichung des Verbots der Suizidhilfe betont in der Begründung: „Die Streichung ändert nichts daran, dass ärztliches Handeln von einer lebens- und gesundheitsorientierten Zielrichtung geprägt ist.“ Es zähle nicht zum Aufgabenspektrum der Ärzteschaft, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Niemand dürfe verpflichtet werden Suizidassistenz zu leisten, und ebenso gebe es keinen Anspruch auf Hilfe bei der Selbsttötung. Ärztepräsident Reinhardt sagte, die Wahrnehmung des Arztes, der primär dem Leben, der Überwindung von Krankheiten und dem Lindern von Leiden verpflichtet sei, dürfe nicht in eine Schieflage geraten.



Sozialarbeiter beobachten bei Migranten "eine gewisse Impfskepsis"




Impfspritzen gegen Corona
epd-bild/Matthias Rietschel
Migranten und Geflüchtete sind oft unsicher, ob sie sich impfen lassen sollen. Um sich für oder gegen die Impfung zu entscheiden, fehlen ihnen Informationen. An der prinzipiellen Impfbereitschaft hingegen mangele es nicht, schildern Sozialarbeiter.

Migranten und Geflüchteten fehlen Informationen zu Corona-Impfungen

Frankfurt a.M. (epd). Unter dem Druck der Corona-Pandemie wurden die Impfstoffe innerhalb weniger Monate entwickelt. Fast genauso schnell kursierten Gerüchte, die Impfungen machten unfruchtbar oder veränderten das Erbgut. Auch unter Migranten und Geflüchteten sind solche Falschinformationen verbreitet, sagt Katharina Küsgen, die beide Gruppen als Sozialarbeiterin für das Diakoniewerk Gelsenkirchen und Wattenscheid betreut. „Wie in der Allgemeinbevölkerung sind auch da die wildesten Gerüchte im Umlauf.“ Nur sei es für Migranten und Geflüchtete, die nicht gut Deutsch sprechen, schwieriger, an seriöse Informationen zu gelangen.

Dieser Informationsmangel führt dazu, dass ein Großteil von ihnen verunsichert ist. „Wir nehmen eine gewisse Impfskepsis wahr, die aber bei uns allen zu irgendeinem Zeitpunkt da war, weil die Entwicklung der Impfstoffe für unser Verständnis ja auch sehr schnell ging“, sagt Küsgen. Eine fehlende Impfbereitschaft sieht sie bei der Mehrheit der Migranten und Geflüchteten nicht. Wenn sie mit ihnen über die Impfungen spreche und dabei auch erzähle, dass sie selbst schon geimpft ist, könne sie die meisten Sorgen ausräumen.

Sprachbarrieren

Auch Peggy Patzig, die ein Migrationsberatungszentrum der Caritas in Berlin leitet, zeigt sich optimistisch. Sie geht davon aus, dass sich der Großteil der Migranten impfen lassen wird, sobald sie dazu die Möglichkeit bekommen. Wann immer ihre Mitarbeitenden die Männer und Frauen auf die Impfungen angesprochen haben, hätten sich diese impfbereit gezeigt. Erst kürzlich seien Migranten in die Beratungsstelle in Marzahn-Hellersdorf gekommen, um zu fragen, wo sie sich schon jetzt impfen lassen könnten. In den Medien ihrer Herkunftsländer hätten sie gehört, dass sich in Deutschland jeder impfen lassen kann, schildert Patzig.

Der Zugang zu Informationen zum Thema Corona und Impfungen sei für Menschen mit Sprachbarrieren problematisch. Migranten und Geflüchtete informieren sich laut Patzig größtenteils über soziale Medien und Nachrichtenkanäle aus ihren Herkunftsländern. Zum Teil gebe es dort aber noch keine Impfangebote und keine Informationen zur Aufklärung, sagt Timmo Scherenberg vom hessischen Flüchtlingsrat. Experten forderten unlängst, sich in speziellen Impfkampagnen gezielt an Menschen mit Einwanderergeschichte und Fluchterfahrung zu richten. Doch wie müssen die aussehen?

Die Bundesregierung setzt unter anderem auf soziale Medien und fremdsprachige Radiosender. Wie Integrationsstaatsministerin Annette Widmann-Mauz (CDU) mitteilte, sollen die Impf-Regelungen zielgruppengerecht in 23 Sprachen verbreitet werden.

Kampf gegen Gerüchte

In Bremen schickt der Senat seit März Fachkräfte in Stadtviertel, in denen der Anteil von Migranten und Geflüchteten überdurchschnittlich hoch ist. Von den elf Fachkräften haben acht selbst Einwanderergeschichte. Sie informieren die Anwohner über Impfungen, Quarantänemaßnahmen und Testungen auf Bulgarisch, Englisch, Russisch, Türkisch und dem in Ghana gesprochenen Twi. In Bremerhaven weisen Imame in Predigten auf das Impfangebot hin, wie die Stadt mitteilte.

Auch die Sozialeinrichtungen, in denen Küsgen und Patzig arbeiten, sind gute Möglichkeiten, niederschwellig über die Impfungen zu informieren. Beide Frauen redeten ohnehin in den Beratungsgesprächen immer auch über Corona und dabei auch gegen Gerüchte an. „Uns kommt eine Brücken- oder Vermittlerfunktion zu“, sagt Küsgen. Sie wünscht sich, dass auch prominente Fußballspieler mit Migrationshintergrund wie Leroy Sané oder Ilkay Gündogan fürs Impfen werben. „Denen glaubt man, denen vertraut man und dann macht man das.“

Von Patricia Averesch (epd)



Medien & Kultur

Die ganze Welt ein Kunstwerk




Beuys-Installation Konzertflügeljom von 1969
epd-bild/Kay Michalak
Joseph Beuys gilt weltweit als einer der prägendsten Künstler der Nachkriegszeit. Bekannt wurde er vor allem durch seine Arbeiten aus Fett und Filz. Am 12. Mai wäre er 100 Jahre alt geworden.

Vor 100 Jahren wurde Joseph Beuys geboren

Düsseldorf (epd). Ein dunkler Novemberabend in der Düsseldorfer Altstadt: Vor dem Schaufenster der Galerie Schmela recken Leute die Hälse, um einen Blick in den hell erleuchteten Innenraum zu erhaschen. Dort spricht Joseph Beuys (1921-1986) liebevoll mit einem toten Hasen in seinem Arm. Er scheint dem Tier in aller Ruhe die Kunstwerke zu erklären, während die zur Ausstellungseröffnung geladenen Besucher über eine Stunde vor der Tür warten müssen.

Beuys' erste Galerie-Ausstellung am 26. November 1965 wirkt bis heute nach. Mit seiner Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ demonstriert der Aktionskünstler und Bildhauer seinen erweiterten Kunstbegriff. Seine Kunst soll Denkanstoß sein und in die Gesellschaft wirken, nicht elitäre Werke auf einem Sockel präsentieren.

Ob tote Hasen, Fettecken und Filz, kahle Nadelbaumstämme oder bekritzelte Schiefertafeln: Beuys' Werke stoßen bei vielen Betrachtern nach wie vor auf Unverständnis. „Ist das Kunst, oder kann das weg?“, fragt so mancher Museumsbesucher, wenn er vor Beuys‘ alten Badewannen oder Fettblöcken steht.

Filzhut und Angelweste

Zugleich gilt der Mann mit Filzhut und Anglerweste als einer der wichtigsten Künstler der Nachkriegszeit. Mit seinem erweiterten Kunstbegriff prägte er nachfolgende Generationen. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, lautet sein meist zitierter, aber vielfach missverstandener Satz. Denn - so stellte er selbst klar - damit sei nicht gemeint, dass alle Menschen etwa Maler, Musiker oder Schriftsteller werden sollten. Vielmehr könne jeder auf ganz eigene Art und Weise kreativ sein und daran mitwirken, die Welt zu einem Kunstwerk zu machen.

Vor 100 Jahren, am 12. Mai 1921, wurde Joseph Beuys in Krefeld geboren. In Kleve, wo er aufwuchs, war er Mitglied der Hitler-Jugend. 1941 meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe und wurde Bordfunker. Aus seinem Absturz über der Krim 1944 machte Beuys später eine Legende, die erst Jahre nach seinem Tod endgültig widerlegt wurde. Der Künstler behauptete, er sei von nomadisierenden Tartaren geborgen worden. Sie hätten ihn in Filz gewickelt und seine Wunden mit Fett gesund gepflegt. Die Geschichte diente lange als Erklärung für Beuys' Vorliebe für Fett und Filz.

Nach dem Krieg studierte er ab 1946 Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. 1961 wurde er dort selbst Professor für monumentale Bildhauerei. Zu seinen Studenten zählen viele bekannte Künstler wie Jörg Immendorff, Katharina Sieverding oder Blinky Palermo.

Studentenproteste nach Rausschmiss

Sein erweiterter Kunstbegriff hatte auch für seine Lehrtätigkeit Folgen. Er wollte allen Interessierten die Möglichkeit geben, Kunst zu studieren und weigerte sich, Bewerber abzulehnen. Nach längeren Querelen entließ der damalige nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD) ihn deshalb 1972.

Der Rauswurf löste Studentenproteste aus. Beuys antwortete mit einer Kunstaktion, indem er im Oktober 1973 öffentlichkeitswirksam mit einem von seinem Schüler Anatol Herzfeld gebauten Einbaum-Floß den Rhein in Richtung Kunstakademie überquerte.

Beuys' Künstlerkarriere schadete der Rausschmiss nicht. 1974 erregte er in den USA durch die spektakuläre Aktion „I like America and America likes me“ Aufsehen. In Filz gehüllt und als Hirte verkleidet verbrachte Beuys drei Tage alleine mit einem Kojoten im Raum einer New Yorker Galerie. Der Kojote gilt bei den nordamerikanischen Ureinwohnern als heiliges Tier, wurde aber von den europäischen Einwanderern gejagt. Beuys verwies ähnlich wie bei seiner Düsseldorfer Aktion in der Galerie Schmela auf die Verbindung zwischen Mensch und Tier. Als „Schamane“ wird er oft bezeichnet.

Einsatz für die Umwelt

Mit seinem Einsatz für einen bewussteren Umgang mit der Natur habe sich Beuys schon zu einer Zeit für den Umweltschutz eingesetzt, als dieser Begriff noch gar nicht geboren gewesen sei, erklärt Barbara Strieder. Sie ist kommissarische Künstlerische Direktorin des Museums Schloss Moyland in Bedburg-Hau, das über die weltweit größte Beuys-Sammlung verfügt.

1982 startet Beuys auf der documenta 7 mit seiner Aktion „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ die Pflanzung von 7.000 Eichen in Kassel - ein Beispiel für die von ihm entwickelte Idee der „Sozialen Plastik“. „Beuys hatte die Idee, dass sich der Mensch durch die Kunst bessere Verhältnisse schaffen könnte“, sagt Eugen Blume, Künstlerischer Leiter des Projektbüros Beuys 2021. Er habe sich bereits in den 70er Jahren mit heute aktuellen Fragen wie Klimawandel und Naturzerstörung beschäftigt. Als Mitgründer der Partei „Die Grünen“ engagierte er sich auch politisch für den Umweltschutz.

Beuys starb am 23. Januar 1986 in seinem Düsseldorfer Atelier nach einer Entzündung des Lungengewebes an Herzversagen. Er wurde 64 Jahre alt. Sein 100. Geburtstag wird bundesweit mit mehreren Dutzend Ausstellungen sowie zahlreichen Veranstaltungen gefeiert, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen.

Von Claudia Rometsch (epd)


Visionen und Brüche, in Architektur gegossen




Daniel Libeskind
epd-bild/Uwe Lewandowski
Das Jüdische Museum in Berlin war sein erster Bau. Und es hat seine Seele getroffen, sagt Libeskind. Für ihn ist Architektur eine Sprache, die auf das Unsagbare reagiert. Schon früh galt er als Wunderkind - wenn auch in einer ganz anderen Kunst.

Zum 75. Geburtstag des Architekten Daniel Libeskind

Berlin (epd). Er liebt den spitzen Winkel, harte Kanten, Verschachtelungen von Baukörpern. Der Architekt Daniel Libeskind schafft es immer wieder, mit seinen Entwürfen Brüche deutlich zu machen, Visionen in Beton zu gießen und Geschichten zu erzählen. Viele seiner Bauten irritieren den Gleichgewichtssinn und sind dabei Wegmarken geworden in der Erinnerungskultur.

Er schuf das Jüdische Museum in Berlin in Gestalt eines zerbrochenen Davidsterns und erstellte den Masterplan für die Bebauung von Ground Zero in New York, dem Ort der Terroranschläge vom 11. September 2001. Dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden pflanzte er einen hoch aufragenden Stahlkeil ein, als Symbol für die Bombardierung der Stadt. Für Libeskind ist Architektur eine Sprache, auf das Unsagbare zu reagieren und ihm eine Form zu geben. Am 12. Mai wird er 75 Jahre alt.

Geboren wurde der Architekt 1946 als polnischer Jude in Lodz in einem Flüchtlingslager. Er wuchs in einem kriegszerstörten Land auf. 1957 emigrierte die Familie nach Israel, 1960 nach New York. Als Jugendlicher galt Daniel Libeskind als Wunderkind auf dem Akkordeon, mit 13 Jahren trat er bereits in der Carnegie Hall auf. 1965 nahm er zunächst ein Musikstudium auf und arbeitete nebenbei als professioneller Musiker. Später erst wechselte er zur Architektur, machte 1970 sein Diplom in den USA und 1972 den Master in Architekturgeschichte und -theorie in Großbritannien.

Bauen als Kunstform

Bevor er seinen ersten Bau realisierte, wurde er als ein Architekturtheoretiker bekannt, der auch Philosophie, Kunst und Literatur mit einbezieht. Architektur ist für ihn mehr als das Stapeln von Geschossen oder Entwerfen von Ausstellungsflächen - Bauen versteht er als Kunstform, Architektur sieht er als kulturellen Diskurs, der von anderen Künsten beeinflusst wird. Seine Auffassung gab er in dem 1986 von ihm in Mailand gegründeten Architekturinstitut „Intermundium“ weiter, das er bis 1989 leitete.

Zum Architekten wurde Libeskind in Berlin: Kurz vor dem Fall der Mauer gründete er hier sein Architekturbüro, 1989 gewann er den Wettbewerb für ein Jüdisches Museum in Berlin-Kreuzberg im damaligen West-Berlin, 2001 wurde es eröffnet.

Er selbst hält das Jüdische Museum in Berlin bis heute für seinen wichtigsten Bau. „Es war mein erstes Gebäude. Es berührte mein Herz und meine Seele“, sagte Libeskind dem Evangelischen Pressedienst epd, „damit begann meine Karriere als Architekt.“

Das mit glänzendem Titanzink verkleidete Gebäude in Gestalt eines zerbrochenen Davidsterns erinnert an einen Blitz, mit dem sich das Museum zeichenhaft im Stadtraum positioniert. Die Dynamik der äußeren Gestalt, die das Gefühl von Desorientierung provoziert, wiederholt sich im Inneren mit labyrinthisch verwinkelten Räumen, unregelmäßigen Fensterschlitzen und den schrägen langen Gängen, die die Entwicklungslinien jüdischen Lebens in Deutschland symbolisieren.

Der unsagbaren Erfahrung der Schoah gibt die Architektur räumliche Gestalt in den sogenannten „Voids“, leeren Betonschluchten, die den Bau vertikal zerteilen. Der beklemmendste Ort ist der hohe, nur durch einen schmalen Schlitz belichtete Holocaust-Turm.

Streit am Ground Zero in New York

Hetty Berg, seit 2018 Direktorin des Hauses, ist seit ihrem ersten Besuch 2003 von der emotionalen Wirkung des Baus beeindruckt. Die Architektur stellt jedoch für Kuratoren und Gestalter eine Herausforderung dar. Mit der im Sommer 2018 eröffneten neuen Dauerausstellung, sagt Hetty Berg, sei jedoch der Beweis erbracht, dass der Dialog gelingen könne: „Die Gestalter haben für die Inhalte der Ausstellung Formen gefunden, die mit dem Libeskind-Bau interagieren und seine Besonderheiten hervorheben.“

Zu Libeskinds weiteren Museumsbauten gehören das bereits 1998 fertiggestellte Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück, das Imperial War Museum in Manchester und das Contemporary Jewish Museum in San Francisco/USA.

2003 gewann er die Ausschreibung für die Bebauung von Ground Zero in New York, dem Ort der Terroranschläge vom 11. September 2001. Im Zuge der Umsetzung gab es Änderungen, Streit, Debatten. Der zentrale Turm des „One World Trade Centers“ wurde auf Betreiben des Investors vom Architekten David Childs realisiert. Libeskind blieb jedoch verantwortlicher Master-Planer.

Der Architekt, der seit 2003 wieder in New York lebt, hat in den vergangenen 20 Jahren zahlreiche unterschiedliche Bauten realisiert, darunter auch Einkaufszentren und Wohnhäuser. In Deutschland entwarf er das 2017 vollendete Zentralgebäude mit Audimax der Leuphana Universität in Lüneburg, in Frankfurt am Main entstehen derzeit Stadtvillen nach seinen Plänen.

Zuletzt, im Sommer 2020, brachte der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) ihn als Vermittler in der verfahrenen Debatte über den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche ins Gespräch. Mehr als ein Ideenaustausch kam bisher aber nicht zustande.

Von Sigrid Hoff (epd)


"Spielzeug ist nicht unschuldig"



Spielzeug gehört zu Nürnberg wie die Lebkuchen. Räderpferdchen, Bauklötze und Püppchen sind was rundum Schönes und Fröhliches - könnte man meinen. Aber auch Spielzeug kann eine Schattenseite haben.

Im Nürnberger Spielzeugmuseum stellt man sich dem Thema Rassismus

Nürnberg (epd). In einem Spielzeugmuseum freuen sich Besucherinnen und Besucher über Teddybären, Puppenküchen und Modellbahnen. Kann man ihnen zwischen nostalgischen Spieluhren und Barbiepuppen mit Themen wie weißer männlicher Dominanz, Kolonialgeschichte und Sklaverei kommen? Die Leiterin des Nürnberger Spielzeugmuseums Karin Falkenberg und ihr Team finden, dass man das muss. Stellvertretend für die anderen Museen der Stadt will sie das Thema Rassismus anpacken. „Wir erklären, was warum rassistisch ist“, kündigt sie an.

Der Impuls kam vor gut drei Jahren mit dem Besuch einer schwarzen amerikanischen Touristin, die sich aufgewühlt an der Kasse beschwerte: „Sie stellen rassistisches Spielzeug aus. Dieses Objekt verletzt mich und alle Menschen mit afro-amerikanischen Wurzeln“. „Coon Jigger“, ein Blechspielzeug zum Aufziehen, hatte ihren Ärger erregt. Den schlaksigen schwarzen Mann aus Alabama kann man mittels eines Federantriebs zum Tanzen bringen. Ein Produkt der Nürnberger Firma Paul Lehmann Patentwerke.

Relikt aus Sklaverei-Geschichte

Falkenberg stimmt der Frau aus Amerika zu. „Coon“ ist in den USA eine heute nicht mehr sehr geläufige Beleidigung für einen Menschen schwarzer Hautfarbe. Das Blech-Ding, ein Spielzeug für weiße Kinder, ist ein Relikt aus der Sklaverei-Geschichte. Aber die traumatischen Erlebnisse der Kolonialgeschichte und der Sklaverei, die die empörte Reaktion der amerikanischen Besucherin auslöste, könnten weiße Menschen nicht nachvollziehen, sagt Falkenberg. „Was wir als eine nicht böse gemeinte Bemerkung verstehen, wirkt beim Gegenüber schnell verletzend.“

Das Antirassismus-Vorhaben hat also damit begonnen, beim Museumsteam selbst Bewusstsein zu schaffen. Ein Workshop für alle stand zuerst auf dem Programm, um dem „Rassismus in uns“ auf die Spur zu kommen. Dann ein Gang zusammen mit Menschen anderer Hautfarben durch die Sammlung des Nürnberger Spielzeugmuseums, der verdeutlichte, es gibt einige Objekte, „bei denen die Trigger-Warnung angehen muss,“ so Falkenberg. Schwarze Puppengestalten, denen man die Stereotype ganz schnell ansieht, oder Sparbüchsen, die auf das Klischee vom gierigen ehemaligen Sklaven anspielen.

Das Spielzeugmuseum wird in den kommenden Jahren komplett umgebaut, will sich zu einem „emotionalem Weltmuseum“ entwickeln. Dabei solle unter dem Motto „Eine Ecke weiterdenken“ die bisherige europazentrierte Sichtweise hinterfragt werden, erklärt Falkenberg. Problematische Objekte sollten nicht mehr unkommentiert zu sehen sein. Schon in diesem Sommer wird es eine erste Sonderausstellung geben, die für Rassismus bei Spielzeug sensibilisieren soll. „Kontext“ ist hier das Schlüsselwort. Klischeehafte, stereotype beleidigende Sammlungsgegenstände werden nicht entfernt, sondern aus ihrer Zeit heraus erklärt. Damit ist Museums-Volontärin Mascha Eckert befasst.

„Sachen auf den Kopf stellen“

Sie will darüber aufklären, wo Stereotype ihren Ursprung haben oder welche Bedeutung der Kolonialismus für die deutsche Gesellschaft hat. In den Lehrplänen der Schulen werde der nur am Rande behandelt, stellt Eckert fest. Es halte sich die Meinung, Deutschland habe nicht viele Kolonien gehabt und die auch nur sehr kurz. Dabei seien schon früh die Fugger und die Welser am Sklavenhandel beteiligt gewesen. „Da möchte ich ein paar Fakten auf den Tisch hauen, die bei den Leuten nicht so präsent sind“, sagt Eckert.

Solches Vorwissen zu den Objekten soll verhindern, „dass nicht ganz schnell wieder die Problematik entsteht, dass im Grunde Stereotype reproduziert werden“. Sie plane noch, wie sie mit den gezeigten Gegenstände umgehe, und habe das Gefühl, sich davon befreien zu müssen, wie traditionell Museum gemacht werde. „Man muss die Sachen auf den Kopf stellen - manchmal vielleicht wortwörtlich“, denkt die Volontärin nach.

Eckert ist sich darüber im Klaren, dass ein Anti-Rassismus-Projekt gerade im Spielzeugmuseum nicht überall auf Begeisterung stößt. „Ich kann es nicht mehr hören“, schreiben Kommentatoren im Netz. Die Museumsleute werden als „Moralapostel“ betitelt. Aber, gibt Eckert zu denken, „auch Spielzeug ist nicht unschuldig“ - gerade wenn es schwarze Menschen mit schmerzvollen Erfahrungen konfrontiere.

Natürlich könne man auch weiterhin durch das Spielzeugmuseum gehen „und sich nette Sachen anschauen und in Erinnerungen schwelgen“, stellt die Kuratorin fest. Aber die Ausstellung habe auch das Potenzial, Menschen die Augen zu öffnen, die sich auf das Projekt einlassen.

Von Jutta Olschewski (epd)


Bundespressekonferenz stellt Strafanzeige wegen Nutzerkommentaren



Berlin (epd) Der Vorstand der Bundespressekonferenz hat wegen Nutzerkommentaren auf den Webseiten „Reitschuster.de“ und „de.rt.com“ (ehemals „RTdeutsch“) Strafanzeige gestellt. Es gehe um Kommentare, die dort seit dem 3. Mai im Zusammenhang mit Berichterstattung über die Bundespressekonferenz (BPK) erschienen sind, wie der Vorstand am 6. Mai in Berlin mitteilte. In zahlreichen dieser Nutzerkommentare seien aus seiner Sicht strafrechtlich relevante Hassäußerungen, Beleidigungen sowie Aufrufe zu Gewalt gegen BPK-Mitglieder zu erkennen.

Die Bundespressekonferenz hat die Betreiber der Webseiten nach eigenen Angaben auf ihre presserechtliche Verantwortung für die von ihnen überwiegend anonym veröffentlichten Nutzerkommentare aufmerksam gemacht. Boris Reitschuster, selbst BPK-Mitglied, entschuldigte sich demnach beim Vorstand und veranlasste umgehend die Löschung von Kommentaren. Man begrüße dies und erwarte eine entsprechende Reaktion auch von der russischen Plattform RT, erklärten für den BPK-Vorstand der BPK-Vorsitzende und ZDF-Journalist Mathis Feldhoff, und dessen Stellvertreterin Corinna Buschow, Chefkorrespondentin des Evangelischen Pressedienstes (epd).

Kritik an Instrumentalisierung der BPK

60 BPK-Mitglieder hatten am 3. Mai eine Instrumentalisierung der Vereinigung beklagt sowie eine angespannte Atmosphäre bei Veranstaltungen. In ihrem offenen Brief nannten sie weder Namen noch konkrete Vorfälle. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte im Februar berichtet, dass manche Journalisten die BPK für Propaganda und Verschwörungsmythen missbrauchten und dabei den Blogger Boris Reitschuster sowie den Online-Chef von „RTdeutsch“, Florian Warweg erwähnt. „RTdeutsch“ ist ein Ableger des Moskauer Senders, der als Russia Today bekannt geworden ist und dem vom Verfassungsschutz Desinformation und Propaganda für Russland vorgeworfen werden.

Journalisten seien alle auch Gegenstand einer (selbst-)kritischen Beobachtung durch Medien und die breite Öffentlichkeit, heißt es in dem Schreiben des BPK-Vorstands an die Mitglieder. Das gelte selbstverständlich auch für die Bundespressekonferenz als Institution. Sie schaffe seit mehr als 70 Jahren den Raum für einen sachlichen, kritischen und von gegenseitigem Respekt getragenen Diskurs. „Der Vorstand wird mit den Mitteln der Sitzungsleitung und wenn nötig auch darüber hinaus dafür Sorge tragen, dass dieser Charakter unserer Institution auch in spannungsreichen Zeiten erhalten bleibt“, erklärten Feldhoff und Buschow,



Instagram-Projekt zu Sophie Scholl mit über 400.000 Followern



Stuttgart/München (epd). Südwestrundfunk (SWR) und Bayerischer Rundfunk (BR) haben gemeinsam die Instagram-Serie „@ichbinsophiescholl“ gestartet. Seit dem 4. Mai verfolgen mittlerweile rund 600.000 Follower die Geschehnisse der letzten zehn Lebensmonate von Sophie Scholl (1921-1943), die Mitglied der studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gegen die Naziherrschaft war. Ziel sei es, Sophie Scholl in die Gegenwart zu holen, sagte Annette Gilcher vom Südwestrundfunk am Donnerstag vor Medienvertretern. Das Projektteam sei „überglücklich“ über den starken Start.

Im Rahmen des Projekts ist die 21-jährige Schauspielerin Luna Wedler in die Rolle der gleichaltrigen Sophie Scholl geschlüpft. Sie nimmt die Follower in „nachempfundener Echtzeit“ mit in die Jahre 1942 und 1943 bis zum Tag der Verhaftung der ersten drei Weiße-Rose-Mitglieder. Ihre Instagram-Posts werden am 18. Februar 2022 enden.

Die Posts sind Texte, Spielszenen und Bilder. Quellen sind vor allem Tagebuch- und andere Aufzeichnungen von Sophie Scholl. Die szenischen Teile für @ichbinsophiescholl wurden in Berlin und München gedreht.

Positive Resonanz der Follower

Wedler sagt, es sei für sie „die größte Ehre, Sophie Scholl spielen zu dürfen“. Sie hat sich durch deren Tagebuchaufzeichnungen gelesen, ihre Bilder angesehen und Dokumente wie die Briefe an ihren Verlobten Fritz Hartnagel gelesen. „Sie haben mir ermöglicht, dass ich in ihren Kopf gucken konnte. Sie war nicht nur im Widerstand, sondern auch eine junge Frau mit vielen Facetten und Widersprüchen - dieses Kämpfen ist sehr berührend, besonders wenn man weiß, wie es ausgeht“, sagt Wedler.

Lydia Leipert, die für den BR im Redaktionsteam des Projekts ist, zeigt sich überwältigt, „wie Sophie geliebt wird in den Kommentaren“. Die positive Resonanz im Dialog mit den Followern bei Instagram mache sie „total glücklich“, sagt Leipert.

Ulrich Herrmann vom SWR, der Dritte im Redaktionsteam des Projekts, berichtet, dass sich alle Beteiligten anfangs fragten: „Darf man das?“ - nämlich die Geschichte einer realen Person in dieser Form nachträglich aufbereiten. Jetzt zeige sich, dass aufgrund der vielen Quellen, großenteils von Sophie Scholl selbst hinterlassen, gelungen sei, „einen Charakter zu erzählen“. Dies komme im Instagram-Format offensichtlich an und „scheint einen Kern zu treffen in diesen Zeiten“.

Neben Wedler standen dabei Max Hubacher als Hans Scholl, Maria Dragus als Inge Scholl, David Hugo Schmitz als Alexander Schmorell, Thomas Prenn als Christoph Probst, Caroline Hartig als Traute Lafrenz und Leonard Scheicher als Fritz Hartnagel vor der Kamera.




Entwicklung

Merkel sieht Aufhebung von Impfstoff-Patenten skeptisch




Vakzin von BionTech/Pfizer
epd-bild/Klaus Honigschnabel
Der Vorstoß der USA, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe auszusetzen, findet ein geteiltes Echo. In der Bundesregierung und bei Pharmafirmen gibt es massive Bedenken. Hilfswerke erhoffen sich dadurch aber eine rasche Versorgung armer Länder.

Berlin (epd). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht eine Freigabe der Patente für Corona-Impfstoffe skeptisch. „Der US-Vorschlag für eine Aufhebung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe hat erhebliche Implikationen für die Impfstoffproduktion insgesamt“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am 7. Mai in Berlin. Auch ein Branchenverband der Pharma-Unternehmen wandte sich gegen eine vorübergehende Lockerung. Dagegen hoffen Hilfswerke wie „Ärzte ohne Grenzen“, dass ein Aussetzen des Patentschutzes eine Produktion von Impfstoffen in armen Ländern ermöglicht.

Regierungssprecherin Demmer sagte, limitierende Faktoren bei Corona-Impfstoffen seien die Produktionskapazitäten und die hohen Qualitätsstandards, „nicht die Patente“. Die Bundesregierung arbeite daran, in Deutschland, der EU und weltweit Produktionskapazitäten zu verbessern. „Der Schutz von geistigen Eigentum ist Quelle von Innovation und sollte es auch in Zukunft bleiben“, sagte Demmer.

Vorstoß der USA

Am 5. Mai hatten die USA Unterstützung für die Forderung armer Länder nach einer Aussetzung des internationalen Patentschutzes auf Impfstoffe und Medikamente im Kampf gegen Covid-19 signalisiert. Die Welt müsse mit außergewöhnlichen Maßnahmen auf die globale Gesundheitskrise reagieren, erklärte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai in Washington. Die US-Regierung werde sich aktiv an den Gesprächen in der Welthandelsorganisation (WTO) beteiligen, um die Patentrechte auf Vakzine, Heilmittel und medizinische Ausrüstung vorübergehend aufzuheben.

Die EU zeigte sich offen für Gespräche. In der Bundesregierung haben sich Minister der Union, unter anderem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), ablehnend zum Vorstoß der USA geäußert. Außenminister Heiko Maas (SPD) signalisierte dagegen Offenheit für Gespräche über ein Aussetzen des Patentschutzes. „Wenn das ein Weg ist, der dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffen versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen müssen“, sagte er am Donnerstag.

Nach Angaben von „Ärzte ohne Grenzen“ wären „mehr als sieben Produzenten“ in Afrika in der Lage, eine mRNA-Impfstoffproduktion zu beginnen, wenn der Patentschutz ausgesetzt würde. Es gehe darum, die Produktion von Impfstoffen weltweit hochzufahren, betonte Referentin Lara Dovifat im WDR. Das sei auch deshalb nötig, weil sich immer wieder Varianten des Coronavirus bildeten und möglicherweise „weitere Impfrunden“ nötig seien.

Pharmabranche: Produktion reicht für ganze Weltbevölkerung

Die deutsche Pharmabranche reagierte mit Ablehnung. „Die Produktion, die jetzt aufgebaut worden ist und weiter aufgebaut wird, wird ausreichen, um die ganze Weltbevölkerung impfen zu können“, sagte der Präsident des Verbandes der forschender Pharma-Unternehmen, Han Steutel, im Deutschlandfunk. Mit Blick auf den Patentschutz fügte er hinzu, die Unternehmen müssten bei einer möglichen neuen Pandemie die Gewissheit haben, dass ihre Forschung auch bezahlt werde.

Die Industrie habe in der Corona-Pandemie Außerordentliches geleistet, sagte Steutel. „Aber wir wissen alle, dass es nicht auf Knopfdruck geht.“ Das wichtigste sei nun, Exportverbote abzuschaffen. Die Staaten müssten gemeinsam überlegen, wie die Impfstoffe verteilt werden sollten. Steutel kritisierte die Exportverbote der USA für Corona-Impfstoffe, aber auch für Bioreaktoren und Materialien, was die Produktion in Deutschland beeinträchtigt habe.



Papst plädiert für Aussetzung von Impfstoff-Patenten



Rom (epd). In der Debatte über die Freigabe von Patenten für Corona-Impfstoffe hat Papst Franziskus mehr internationale Solidarität gefordert. Das Oberhaupt der katholischen Kirche plädierte in einer am 8. Mai vom Vatikan veröffentlichten Video-Botschaft dafür, die „Gesetze des Marktes oder des geistigen Eigentums“ nicht über die „Gesetze der Liebe und der Gesundheit der Menschheit“ zu stellen. Der 84-Jährige äußerte sich anlässlich des virtuellen US-Benefizkonzerts „Vax Live“.

Nötig sei „Heilung an der Wurzel, Heilung der Ursache des Übels und nicht nur der Symptome“, sagte Franziskus. „In diesen kranken Wurzeln finden wir den Virus des Individualismus, der uns nicht freier oder gleicher oder brüderlicher oder schwesterlicher macht, sondern gleichgültig gegenüber dem Leid anderer“, mahnte der Papst. Eine Variante dieses Virus sei der geschlossene Nationalismus, der einen „Internationalismus der Impfstoffe“ verhindere.



WHO-Berater: Die Welt kann bei Corona auch von Afrika lernen




Sayavé Gnoumou
epd-bild/Martina Zimmermann

Paris (epd). In der Corona-Krise kann die Welt nach Ansicht des Gesundheitsexperten Sayavé Gnoumou von Afrika lernen. Dort gelte: „Die befürchtete große Katastrophe hat nicht stattgefunden“, sagte der Experte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Referent der Afrikanischen Union dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Gnoumou rät Wissenschaftlern in aller Welt, genauer nach Afrika zu sehen. Die Ergebnisse der dortigen Forschung würden international kaum veröffentlicht, beklagte der ehemalige Chirurg am renommierten amerikanischen Krankenhaus von Neuilly bei Paris und Mitbegründer der Telemedizin in Frankreich. Mit rund 4,5 Millionen bestätigten Corona-Infektionen und gut 120.000 Covid-19-Toten zählt der gesamte afrikanische Kontinent etwa so viele Todesfälle wie allein Italien.

Auf die Frage, ob die Zahlen und Statistiken aus Afrika verlässlich seien, gebe es „keine klare Antwort“, räumte Gnoumou ein. Er verwies aber auf umfangreiche Hochrechnungen in Ländern mit wenigen Testungen wie etwa im Senegal.

„Menschen leben mehr draußen als drinnen“

Bei der Behandlung von Covid-Kranken, teils auch schon Infizierten ab dem positiven Testergebnis, sei viel ausprobiert worden mit existierenden Arzneien - von Antibiotika über Antimalaria-Medikamenten bis hin zu pflanzlichen und traditionellen Mitteln, betonte der aus Burkina Faso stammende Mediziner. Erhöhte Widerstandskraft in der Bevölkerung möge ein weiterer Faktor sein. Das oft angeführte Argument der Hitze lässt Gnoumou hingegen nicht gelten: „Hitze gibt es auch woanders, aber in Lateinamerika gibt es trotzdem mehr Fälle.“

Die hohen Infektionszahlen in Nord- und Südafrika erklärt der Arzt mit Lebensumständen, der teils eher den europäischen Ländern entsprechen. Dort arbeiten auch Industriearbeiter in Fabriken, während etwa in Senegal oder Mali über die Hälfte der Bevölkerung in der Landwirtschaft oder im Fischfang tätig seien. Allgemein gelte: „Die Menschen leben in Afrika viel mehr draußen als drinnen.“ Freilich spiele auch das jüngere Alter der Bevölkerung eine Rolle.

Bei Corona befinde sich die die Welt in einer „Kalebasse“, sagte Gnoumou. „Wenn heute eine Variante in Brasilien auftritt, kann man nicht ausschließen, dass sie morgen in Senegal ist.“ Deshalb ist für den Experten Austausch in alle Richtungen so wichtig: „Wenn die Wissenschaft im Rest der Welt die Augen verschließt vor der Arbeit afrikanischer Forscher, könnte sie einiges verpassen.“

epd-Gespräch: Martina Zimmermann


Hilfsorganisationen wollen Einsatz in Afghanistan fortführen



Helferinnen und Helfer wollen in Afghanistan auch während des Abzugs der internationalen Truppen arbeiten. Dafür brauchen sie Zugang zu den Bedürftigen - und Schutz vor Gewalt.

Bereits jetzt Folgen von Mittelkürzungen spürbar

Berlin (epd). Deutsche Hilfsorganisationen wollen der afghanischen Bevölkerung auch inmitten des Abzugs internationaler Truppen weiter zur Seite stehen - und pochen auf Sicherheitsgarantien. Der begonnene Abzug verändere die militärpolitische Lage in Afghanistan grundlegend, die Not der Bevölkerung bleibe indes weiterhin groß, betonte ein Bündnis aus sieben Organisationen am 6. Mai in einer gemeinsamen Erklärung. Derzeit sei jeder dritte Einwohner Afghanistans auf humanitäre Hilfe angewiesen.

„Um die Hilfe vor Ort zu gewährleisten, bleiben die deutschen Hilfsorganisationen deshalb im Land“, erklärten Johanniter, CARE, Diakonie Katastrophenhilfe, Help - Hilfe zur Selbsthilfe, Islamic Relief, die Welthungerhilfe und World Vision. In den vergangenen Jahren seien viele Erfolge erzielt und viel humanitäre Hilfe geleistet worden. „Diesen Weg wollen die Organisationen in den kommenden Jahren weitergehen“, heißt es in der gemeinsamen Standortbestimmung. „Deshalb sichern sie zu, solange in Afghanistan zu bleiben, wie ihre Arbeit benötigt wird.“ Dafür unabdingbar sei der ungehinderte Zugang zu den Menschen in den Regionen, der unter Sicherheitsgarantien aller Seiten gewährleistet sein müsse.

Die Organisationen fordern die weitere Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, um die humanitären Krisen in Afghanistan lindern zu helfen. Elf Millionen Menschen litten Hunger, mehr als ein Drittel der Bevölkerung. 30 Prozent der Afghaninnen und Afghanen hätten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, Kinder-, Jugend- und Frauenrechte müssten gestärkt werden ebenso wie Ausbildungs- und Arbeitsperspektiven.

Finanzielle Hilfe seit Jahren rückläufig

Human Rights Watch verwies derweil darauf, dass die finanzielle Hilfe aus dem Ausland bereits in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen sei. Das führe dazu, dass vor allem Frauen und Mädchen immer weniger gut medizinisch versorgt seien, erklärte die Menschenrechtsorganisation in New York. Nach dem Abzug der Truppen werde sich die Lage vermutlich weiter verschlechtern. Denn die internationalen Geber warteten derzeit ab, ob die Taliban ihre Kontrolle im Land ausbauen, sagte Frauenrechtsexpertin Heather Barr. „Aber das ist keine Ausrede, um die Mittel für die Grundversorgung zu kürzen, die Hilfsorganisationen auch in unsicheren und Taliban-kontrollierten Gebieten leisten.“

Ein von Human Rights Watch vorgelegter Bericht mit dem Titel „Ich hätte gerne vier Kinder, wenn wir überleben“ dokumentiert die Schwierigkeiten für Frauen und Mädchen, an medizinische Hilfe zu gelangen und die Verschlechterung des Gesundheitssystems aufgrund rückgängiger Mittel. Schon jetzt seien Kliniken für die Menschen in vielen Regionen nur schwer zu erreichen. „Frauen kommen kaum an die fundamentalsten Informationen über Gesundheit und Familienplanung“, heißt es in dem Bericht. Sie hätten oft mehr Kinder als sie möchten und riskierten gefährliche Schwangerschaften. Die Sterblichkeit von Frauen und Kindern sei sehr hoch. Laut den Vereinten Nationen sterben 638 von 100.000 Frauen bei oder an den Folgen einer Schwangerschaft oder Geburt. Und 60 von 1.000 Kindern sterben vor ihrem fünften Geburtstag.



Fairtrade sieht wachsendes Bewusstsein für fair gehandelte Produkte




Produkte des Fairen Handels
epd-bild/Christine Müller
Trotz der Corona-Pandemie ist im vergangenen Jahr der Umsatz von fair gehandelten Produkten wie Kaffee, Tee und Blumen gestiegen. Deutliche Rückgänge gab es dagegen beim Verkauf fairer Kleidung.

Köln/Nairobi. Trotz eines leichten Umsatzrückgangs von fünf Prozent im Jahr 2020 sehen die Verantwortlichen von Fairtrade Deutschland ein wachsendes Bewusstsein für fair produzierte und gehandelte Produkte. Vorstandsvorsitzender Dieter Overath sagte am 5. Mai bei der jährlichen Bilanzpressekonferenz in Köln: „Wir werden 2021 wieder ein Plus hinbekommen.“

Gerade bei jungen Konsumenten habe in der Pandemie die Nachdenklichkeit zugenommen, aber auch das Vertrauen in Fairtrade-Produkte, die in der Regel ökologisch erzeugt sind. Damit sei auch die Bereitschaft gestiegen, den globalen fairen Handel zu unterstützen.

Beim Kaffee gab es laut Overath 2020 einen Zuwachs von sechs Prozent auf 24.000 Tonnen. Damit liegt der Marktanteil für Fairtrade-Kaffee in Deutschland bei fünf Prozent. Auch bei Tee (plus 21 Prozent), Zucker (plus 31 Prozent) sowie Blumen (plus 7 Prozent) gab es Umsatzsteigerungen. Jede dritte Rose in Deutschland trägt demnach das Fairtrade-Siegel. Deutschland sei weltweit das wichtigste Absatzland für Transfair-Produkte.

Preiskampf bei Bananen

Der Rückgang bei Bananen um 14 Prozent sei vor allem auf den massiven Preiskampf zurückzuführen, hieß es. Um 30 Prozent gesunken sind die Verkaufszahlen von Textilien mit Fairtrade-Baumwolle.

Nyagoy Nyong’o, Chefin von Fairtrade International, schilderte die katastrophalen Folgen der Corona-Krise für die Bauern in Afrika und Indien. Fairtrade sei eine Antwort auf drei globale Krisen, die eng zusammenhängen: Corona, Klimawandel und soziale Gerechtigkeit.

Die Partnerorganisationen von Fairtrade erhalten außer Mindestpreisen und langfristigen Verträgen auch eine Prämie, die sich an den Verkaufszahlen ihrer Produkte bemisst. „Die Prämie darf in der Pandemie als dringend notwendiger Ausgleich für Einkommenseinbrüche ausgezahlt werden“, erklärte Nyong’o. Durch Verkäufe auf dem deutschen Markt seien 38 Millionen Euro an Prämien erwirtschaftet worden. Außerdem stünden 15 Millionen Euro aus einem Corona-Hilfsfonds für Nothilfe zur Verfügung - Geld aus Eigenmitteln des globalen Fairtrade-Netzwerks sowie von weiteren Unterstützern, darunter das Bundesentwicklungsministerium. „Eine halbe Million Menschen in 900 Produzentenorganisationen aus rund 60 Ländern haben bereits davon profitiert - von Atemschutzmasken und Desinfektionsmitteln bis zu Aufklärungskampagnen und Trainings“, sagte Nyong’o.

TransFair e.V. (Fairtrade Deutschland) wurde 1992 mit dem Ziel gegründet, benachteiligte Produzenten in Entwicklungsländern zu unterstützen. Als unabhängige Organisation handelt TransFair nicht selbst mit Waren, sondern fördert den Vertrieb von fair hergestellten und gehandelten Produkten und Rohstoffen.