Düsseldorf (epd). Ein dunkler Novemberabend in der Düsseldorfer Altstadt: Vor dem Schaufenster der Galerie Schmela recken Leute die Hälse, um einen Blick in den hell erleuchteten Innenraum zu erhaschen. Dort spricht Joseph Beuys (1921-1986) liebevoll mit einem toten Hasen in seinem Arm. Er scheint dem Tier in aller Ruhe die Kunstwerke zu erklären, während die zur Ausstellungseröffnung geladenen Besucher über eine Stunde vor der Tür warten müssen.

Beuys' erste Galerie-Ausstellung am 26. November 1965 wirkt bis heute nach. Mit seiner Aktion „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ demonstriert der Aktionskünstler und Bildhauer seinen erweiterten Kunstbegriff. Seine Kunst soll Denkanstoß sein und in die Gesellschaft wirken, nicht elitäre Werke auf einem Sockel präsentieren.

Ob tote Hasen, Fettecken und Filz, kahle Nadelbaumstämme oder bekritzelte Schiefertafeln: Beuys' Werke stoßen bei vielen Betrachtern nach wie vor auf Unverständnis. „Ist das Kunst, oder kann das weg?“, fragt so mancher Museumsbesucher, wenn er vor Beuys‘ alten Badewannen oder Fettblöcken steht.

Filzhut und Angelweste

Zugleich gilt der Mann mit Filzhut und Anglerweste als einer der wichtigsten Künstler der Nachkriegszeit. Mit seinem erweiterten Kunstbegriff prägte er nachfolgende Generationen. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, lautet sein meist zitierter, aber vielfach missverstandener Satz. Denn - so stellte er selbst klar - damit sei nicht gemeint, dass alle Menschen etwa Maler, Musiker oder Schriftsteller werden sollten. Vielmehr könne jeder auf ganz eigene Art und Weise kreativ sein und daran mitwirken, die Welt zu einem Kunstwerk zu machen.

Vor 100 Jahren, am 12. Mai 1921, wurde Joseph Beuys in Krefeld geboren. In Kleve, wo er aufwuchs, war er Mitglied der Hitler-Jugend. 1941 meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe und wurde Bordfunker. Aus seinem Absturz über der Krim 1944 machte Beuys später eine Legende, die erst Jahre nach seinem Tod endgültig widerlegt wurde. Der Künstler behauptete, er sei von nomadisierenden Tartaren geborgen worden. Sie hätten ihn in Filz gewickelt und seine Wunden mit Fett gesund gepflegt. Die Geschichte diente lange als Erklärung für Beuys' Vorliebe für Fett und Filz.

Nach dem Krieg studierte er ab 1946 Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf. 1961 wurde er dort selbst Professor für monumentale Bildhauerei. Zu seinen Studenten zählen viele bekannte Künstler wie Jörg Immendorff, Katharina Sieverding oder Blinky Palermo.

Studentenproteste nach Rausschmiss

Sein erweiterter Kunstbegriff hatte auch für seine Lehrtätigkeit Folgen. Er wollte allen Interessierten die Möglichkeit geben, Kunst zu studieren und weigerte sich, Bewerber abzulehnen. Nach längeren Querelen entließ der damalige nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD) ihn deshalb 1972.

Der Rauswurf löste Studentenproteste aus. Beuys antwortete mit einer Kunstaktion, indem er im Oktober 1973 öffentlichkeitswirksam mit einem von seinem Schüler Anatol Herzfeld gebauten Einbaum-Floß den Rhein in Richtung Kunstakademie überquerte.

Beuys' Künstlerkarriere schadete der Rausschmiss nicht. 1974 erregte er in den USA durch die spektakuläre Aktion „I like America and America likes me“ Aufsehen. In Filz gehüllt und als Hirte verkleidet verbrachte Beuys drei Tage alleine mit einem Kojoten im Raum einer New Yorker Galerie. Der Kojote gilt bei den nordamerikanischen Ureinwohnern als heiliges Tier, wurde aber von den europäischen Einwanderern gejagt. Beuys verwies ähnlich wie bei seiner Düsseldorfer Aktion in der Galerie Schmela auf die Verbindung zwischen Mensch und Tier. Als „Schamane“ wird er oft bezeichnet.

Einsatz für die Umwelt

Mit seinem Einsatz für einen bewussteren Umgang mit der Natur habe sich Beuys schon zu einer Zeit für den Umweltschutz eingesetzt, als dieser Begriff noch gar nicht geboren gewesen sei, erklärt Barbara Strieder. Sie ist kommissarische Künstlerische Direktorin des Museums Schloss Moyland in Bedburg-Hau, das über die weltweit größte Beuys-Sammlung verfügt.

1982 startet Beuys auf der documenta 7 mit seiner Aktion „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ die Pflanzung von 7.000 Eichen in Kassel - ein Beispiel für die von ihm entwickelte Idee der „Sozialen Plastik“. „Beuys hatte die Idee, dass sich der Mensch durch die Kunst bessere Verhältnisse schaffen könnte“, sagt Eugen Blume, Künstlerischer Leiter des Projektbüros Beuys 2021. Er habe sich bereits in den 70er Jahren mit heute aktuellen Fragen wie Klimawandel und Naturzerstörung beschäftigt. Als Mitgründer der Partei „Die Grünen“ engagierte er sich auch politisch für den Umweltschutz.

Beuys starb am 23. Januar 1986 in seinem Düsseldorfer Atelier nach einer Entzündung des Lungengewebes an Herzversagen. Er wurde 64 Jahre alt. Sein 100. Geburtstag wird bundesweit mit mehreren Dutzend Ausstellungen sowie zahlreichen Veranstaltungen gefeiert, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen.