Berlin (epd). Er liebt den spitzen Winkel, harte Kanten, Verschachtelungen von Baukörpern. Der Architekt Daniel Libeskind schafft es immer wieder, mit seinen Entwürfen Brüche deutlich zu machen, Visionen in Beton zu gießen und Geschichten zu erzählen. Viele seiner Bauten irritieren den Gleichgewichtssinn und sind dabei Wegmarken geworden in der Erinnerungskultur.

Er schuf das Jüdische Museum in Berlin in Gestalt eines zerbrochenen Davidsterns und erstellte den Masterplan für die Bebauung von Ground Zero in New York, dem Ort der Terroranschläge vom 11. September 2001. Dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden pflanzte er einen hoch aufragenden Stahlkeil ein, als Symbol für die Bombardierung der Stadt. Für Libeskind ist Architektur eine Sprache, auf das Unsagbare zu reagieren und ihm eine Form zu geben. Am 12. Mai wird er 75 Jahre alt.

Geboren wurde der Architekt 1946 als polnischer Jude in Lodz in einem Flüchtlingslager. Er wuchs in einem kriegszerstörten Land auf. 1957 emigrierte die Familie nach Israel, 1960 nach New York. Als Jugendlicher galt Daniel Libeskind als Wunderkind auf dem Akkordeon, mit 13 Jahren trat er bereits in der Carnegie Hall auf. 1965 nahm er zunächst ein Musikstudium auf und arbeitete nebenbei als professioneller Musiker. Später erst wechselte er zur Architektur, machte 1970 sein Diplom in den USA und 1972 den Master in Architekturgeschichte und -theorie in Großbritannien.

Bauen als Kunstform

Bevor er seinen ersten Bau realisierte, wurde er als ein Architekturtheoretiker bekannt, der auch Philosophie, Kunst und Literatur mit einbezieht. Architektur ist für ihn mehr als das Stapeln von Geschossen oder Entwerfen von Ausstellungsflächen - Bauen versteht er als Kunstform, Architektur sieht er als kulturellen Diskurs, der von anderen Künsten beeinflusst wird. Seine Auffassung gab er in dem 1986 von ihm in Mailand gegründeten Architekturinstitut „Intermundium“ weiter, das er bis 1989 leitete.

Zum Architekten wurde Libeskind in Berlin: Kurz vor dem Fall der Mauer gründete er hier sein Architekturbüro, 1989 gewann er den Wettbewerb für ein Jüdisches Museum in Berlin-Kreuzberg im damaligen West-Berlin, 2001 wurde es eröffnet.

Er selbst hält das Jüdische Museum in Berlin bis heute für seinen wichtigsten Bau. „Es war mein erstes Gebäude. Es berührte mein Herz und meine Seele“, sagte Libeskind dem Evangelischen Pressedienst epd, „damit begann meine Karriere als Architekt.“

Das mit glänzendem Titanzink verkleidete Gebäude in Gestalt eines zerbrochenen Davidsterns erinnert an einen Blitz, mit dem sich das Museum zeichenhaft im Stadtraum positioniert. Die Dynamik der äußeren Gestalt, die das Gefühl von Desorientierung provoziert, wiederholt sich im Inneren mit labyrinthisch verwinkelten Räumen, unregelmäßigen Fensterschlitzen und den schrägen langen Gängen, die die Entwicklungslinien jüdischen Lebens in Deutschland symbolisieren.

Der unsagbaren Erfahrung der Schoah gibt die Architektur räumliche Gestalt in den sogenannten „Voids“, leeren Betonschluchten, die den Bau vertikal zerteilen. Der beklemmendste Ort ist der hohe, nur durch einen schmalen Schlitz belichtete Holocaust-Turm.

Streit am Ground Zero in New York

Hetty Berg, seit 2018 Direktorin des Hauses, ist seit ihrem ersten Besuch 2003 von der emotionalen Wirkung des Baus beeindruckt. Die Architektur stellt jedoch für Kuratoren und Gestalter eine Herausforderung dar. Mit der im Sommer 2018 eröffneten neuen Dauerausstellung, sagt Hetty Berg, sei jedoch der Beweis erbracht, dass der Dialog gelingen könne: „Die Gestalter haben für die Inhalte der Ausstellung Formen gefunden, die mit dem Libeskind-Bau interagieren und seine Besonderheiten hervorheben.“

Zu Libeskinds weiteren Museumsbauten gehören das bereits 1998 fertiggestellte Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück, das Imperial War Museum in Manchester und das Contemporary Jewish Museum in San Francisco/USA.

2003 gewann er die Ausschreibung für die Bebauung von Ground Zero in New York, dem Ort der Terroranschläge vom 11. September 2001. Im Zuge der Umsetzung gab es Änderungen, Streit, Debatten. Der zentrale Turm des „One World Trade Centers“ wurde auf Betreiben des Investors vom Architekten David Childs realisiert. Libeskind blieb jedoch verantwortlicher Master-Planer.

Der Architekt, der seit 2003 wieder in New York lebt, hat in den vergangenen 20 Jahren zahlreiche unterschiedliche Bauten realisiert, darunter auch Einkaufszentren und Wohnhäuser. In Deutschland entwarf er das 2017 vollendete Zentralgebäude mit Audimax der Leuphana Universität in Lüneburg, in Frankfurt am Main entstehen derzeit Stadtvillen nach seinen Plänen.

Zuletzt, im Sommer 2020, brachte der Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) ihn als Vermittler in der verfahrenen Debatte über den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche ins Gespräch. Mehr als ein Ideenaustausch kam bisher aber nicht zustande.