sozial-Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser,




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

Quarantäne gilt als einziger Weg, erkannte Virusinfektionen lokal schnell einzudämmen. Doch wie erleben Betroffene diesen harten Einschnitt in ihre Bewegungsfreiheit? In Göttingen durften mindestens 700 Bewohner ihr Hochhaus nicht verlassen - und haben teils gewaltsam dagegen protestiert. Wie gehen die Menschen mit der erzwungenen Isolation um? Für den epd ist Cristina Marina nach Göttingen gefahren und hat mit den Bewohnern gesprochen.

Die Corona-Pandemie bietet Forschern ein interessantes Versuchsfeld. Die Frage, welche psychologischen Folgen die Krise für die Bevölkerung hat, ist zu klären. Erste Ergebnisse gibt es. Einer Studie aus dem April zufolge zeigen die Bürger bei den Kontaktbeschränkungen eine beachtliche psychische Widerstandskraft. Doch ob das auch im Falle der befürchteten zweiten Corona-Welle so bleibt, ist keineswegs sicher.

Die deutschen Reha-Kliniken befinden sich im Krisenmodus. Corona hat auf diesem wichtigen Feld der Gesundheitsvorsorge tiefe Spuren hinterlassen. Wegen verschobener Operationen fielen auch die Anschluss-Rehas weg. Kuren oder Rehas wurden oft nicht angetreten. Die Zukunft der Branche ist ungewiss - und längst warten neue Herausforderungen.

Die meisten Werkstätten für behinderte Menschen sind mit einem blauen Auge durch die Corona-Krise gekommen. Vor allem, weil die Leistungsträger trotz Betretungsverboten und damit verbundenen Arbeitsausfällen weiter bezahlt haben. Doch die mittelfristigen Folgen für die Einrichtungen sind noch nicht absehbar, sagt Verbandsvorsitzender Martin Berg im epd-Interview. Die Krise habe einigen Reformbedarf offengelegt, vor allem bei der Frage, wie die Menschen mit Handicap künftig bei Krisen finanziell abgesichert werden.

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Dirk Baas




sozial-Politik

Corona

"Uns werfen die Leute alle in einen Topf"




Plakataktion vor dem Wohnkomplex an der Groner Landstrasse in Göttingen
epd-bild/Swen Pfoertner
Mehrere Tage stand ein ganzes Hochhaus mit mindestens 700 Menschen unter Quarantäne. Jetzt gibt es Lockerungen. Doch für die Bewohner bleibt die Lage in dem Haus mit beengten Verhältnissen belastend.

Marius fällt in einem lilafarbenen T-Shirt und einer Trainingshose mit BVB-Logo äußerlich auf. Sein Verhalten aber ist wie in sich gekehrt, während er hinter dem Zaun des Göttinger Hochhauses in der Groner Landstraße 9 einfach wartet. Marius gehört zu den rund 350 Bewohnern, die bis zum 23. Juni zweimal negativ auf das Coronavirus getestet worden sind. Für sie hat die Stadt Göttingen seit dem Abend des 22. Juni die Quarantäne gelockert. Maximal zu dritt und nur mit Mundschutz dürfen sie nun das Gelände verlassen. Marius geht aber noch nicht raus. "Meine 18 Monate alte Tochter schläft noch", sagt er.

Nach einem Corona-Ausbruch hatte zuvor fünf Tage lang niemand die Wohnungsanlage verlassen dürfen, in der etwa 700 gemeldete Menschen und vermutlich noch mehr in beengten Verhältnissen leben. Marius teilt sich mit seiner Frau und dem Baby ein 19 Quadratmeter großes Zimmer. "Es gibt aber auch Familien mit sieben oder acht Kindern", sagt er. Bis zu 37 Quadratmeter groß sind die Ein- und Zweizimmer-Appartements des Komplexes. Dort leben nach Angaben der Stadt Göttingen viele Menschen mit rumänischen Wurzeln.

Auch Marius ist 2011 aus der Nähe von Hermannstadt im Westen Rumäniens nach Deutschland gekommen. Seit 2016 ist er bei einer Reinigungsfirma fest angestellt. Eigentlich hat er Urlaub, erzählt er. Er wollte seine Mutter in Rumänien besuchen, nachdem das wieder möglich ist. Die Quarantäne hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. "Aber so ist das nun einmal."

"Fühlen uns wie im Knast"

Viele in der Groner Landstraße waren und sind in ihrem Alltag eingeschränkt. "Wir fühlen uns wie im Knast", sagt eine Frau. Hinter dem Zaun haben sich zehn bis 15 Frauen, Männer und Kinder in einem Innenhof versammelt. Sie alle wollen - so scheint es - auf einmal erzählen, wie es ihnen geht. Dabei überschlagen sich die Stimmen in ihrer Muttersprache Rumänisch beinahe, als müssten sie jetzt dringend gehört werden.

Zuerst wollen sie den Vorfall erklären, der zu den Ausschreitungen am vergangenen Wochenende geführt haben soll. Die Polizei habe Pfefferspray eingesetzt, berichten mehrere aufbracht. "Aber es waren auch Kinder da, weil wir so zeigen wollten, dass wir friedlich protestieren", sagt der 47-jährige Claudiu. Bei den Ausschreitungen am Samstag wurden acht Polizeibeamte verletzt, drei davon sind nicht mehr dienstfähig. Wie viele Strafverfahren aufgrund der Eskalation eingeleitet werden, wird laut Polizei noch ausgewertet. Claudiu sagt, er habe auch mit dem Bürgermeister gesprochen und am Ende sogar zwischen beiden Lagern vermittelt.

Mit der Quarantäne brach die Arbeit weg

Schlimm sei, dass mit der Quarantäne die Arbeit weggebrochen sei, sagt die 47-jährige Liliana. "Jeden Tag hat die Chefin angerufen und gefragt, wann ich wiederkomme", berichtet die Reinigungskraft in einer Schule. "Wir müssen wieder arbeiten gehen dürfen." Claudiu hat einen Meisterabschluss, wie er erzählt. Seit vielen Jahren arbeite er auf dem Bau und habe mittlerweile eine eigene Firma. "Uns werfen die Leute alle in einen Topf", sagt er. "Aber so wie alle Finger einer Hand verschieden sind, so unterscheiden wir uns auch voneinander."

Der Superintendent des evangelischen Kirchenkreises Göttingen, Friedrich Selter, sagt: "So ein Haus ist eigentlich wie ein Dorf." Die 700 Menschen, die dort wohnten, seien alle unterschiedlich. Die Diakonie ist eine der Einrichtungen, die die Bewohnerinnen und Bewohner im Hochhaus besucht. Einige von ihnen sind drogenabhängig - während der Quarantäne durften sie nicht mehr zur Betreuung gehen. Deshalb kommen Mitarbeiter der Suchtberatungsstelle ebenso vorbei wie Sozialarbeiter des Migrationszentrums.

Die Enge in dem Gebäude wird auch an Wäscheständern deutlich, die aus den Fenstern hängen. Auch über dem Bauzaun, der das Haus jetzt abriegelt, hängt eine bunt gestreifte Decke zum Trocknen. An den Wohnverhältnissen mehrt sich Kritik. Vor dem Gebäude hat etwa die "Basisdemokratische Linke Göttingen" ein Zelt aufgebaut. Darauf steht: "Shut down den Mietenwahnsinn."

Vielfach größere Ansteckungsgefahr

Jurastudentin Zoe (22) findet, dass aufgrund der Wohnbedingungen die Menschen im Hochhaus Hygiene-Regeln gar nicht einhalten konnten: "Die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken, ist einfach viel größer, wenn so viele Menschen auf engem Raum leben und auch denselben Fahrstuhl oder dieselben Flure nutzen, die keine Fenster zum Lüften haben."

Auch Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) hat bemängelt, man zahle in dem Hochhaus genauso viel Miete wie in hochpreisigen Wohnungen. "Unter welchen Umständen die Menschen hausen müssen, scheint den Verantwortlichen oft egal, solange das Geld für die Miete fließt." Auf privat abgeschlossene Mietverträge habe die Stadt aber keinen Einfluss.

Marius erzählt, das Leben mit Kleinkind sei während der Quarantäne nicht einfach gewesen. Aber sie hatten Glück, sagt er leise. Über die im Gebäude tätigen Hilfseinrichtungen wie das Deutsche Rote Kreuz, aber auch über private Spenden, habe die junge Familie Windeln, Taschentücher oder Lebensmittel wie Zucker und Öl bekommen. Er sei damals nach Deutschland gekommen, um ein besseres Leben zu suchen. "Meine Tochter wurde in diesem Land geboren." Vor allem für sie wünscht sich Marius eine bessere Zukunft.

Cristina Marina


Corona

Psychologin: "Manche fühlen sich sogar besser"




Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in München
epd-bild/Theo Klein
Die Bevölkerung hat in der Corona-Krise bislang gut durchgehalten, meinen Psychologen. Neue Angststörungen hat es eher nicht gegeben. Bei einer zweiten Welle könnte das allerdings anders aussehen.

Für Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen ist die Corona-Pandemie ein hochinteressanter Versuchsfall. Besonders relevant ist die Frage, welche psychologischen Folgen die Krise für die Bevölkerung hat. Eine der ersten Studien dazu ist eine im April durchgeführte Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) unter 3.600 Bundesbürgern. Das Ergebnis: Die Bevölkerung zeigt eine beachtliche psychische Widerstandskraft. Die Lebenszufriedenheit und das Wohlbefinden haben sich kaum verändert, lautet das Resümee.

Allerdings: Das Gefühl der Einsamkeit ist gestiegen. "Hier haben wir eine sehr substanzielle Verschiebung festgestellt", sagt einer der beiden Autoren der Studie, der Soziologe Hannes Kröger. Auf einer Skala von 0 bis 12 stieg der Wert von 3,0 aus der Vor-Corona-Zeit auf 5,4 an. "Dabei haben wir über alle Bevölkerungsgruppen hinweg einen starken Anstieg festgestellt, aber innerhalb dieses Anstiegs war er bei jungen Leuten und bei Frauen am stärksten ausgeprägt." An den Studienergebnissen könne man leider nicht ablesen, warum dies so sei.

"Aber in Bezug auf junge Leute lässt sich vermuten, dass sie die Bevölkerungsgruppe darstellen, die durch die Corona-Maßnahmen am meisten in der Ausgestaltung ihres Alltags eingeschränkt wurden. Gruppenveranstaltungen werden vor allem von jungen Leuten besucht, die alle nicht mehr möglich waren."

Frauen leiden mehr unter Einsamkeit

Warum auch besonders Frauen während der Corona-Pandemie von zunehmender Einsamkeit betroffen sind, liegt für die Dortmunder Psychotherapeutin Cornelia Wien auf der Hand: "Vor allem Mütter mit Kindern leiden unter Corona. Sie sind einer enormen Doppelbelastung ausgesetzt: dem Homeoffice auf der einen Seite und dem Homeschooling der Kinder auf der anderen." In der Regel sei es auch immer noch so, dass eher die Frau zurückstecke und sich um die Kinder kümmere: "Der Job des Mannes erscheint oft als der systemrelevantere."

Wien hat die Erfahrung gemacht, dass keineswegs alle ihre Klienten unter Corona leiden, im Gegenteil, manchen gehe es sogar besser: "Wer vorher sozial nicht integriert war, fühlt sich in seiner Selbstwahrnehmung jetzt besser." Denn durch das vorgegebene Kontaktverbot sei auf einmal jeder sozial eingeschränkt. Unterschiede verschwämmen und soziale Einschränkung werde zur neuen Normalität. "Für die sozial Integrierten hat der Lockdown allerdings etwas Bedrohliches, und auf der Straße nur noch Maskierten entgegenzukommen, trägt sicherlich nicht zum psychischen Wohlbefinden bei."

Der Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen hat eine bundesweite Corona-Hotline geschaltet. "Die Hotline ist sehr stark frequentiert", sagt die Notfallpsychologin Andrea Heine, die die Gespräche zusammen mit Kollegen entgegennimmt. Die Anrufer haben ganz unterschiedliche Anliegen: "Es gibt Leute, die sich aufgrund ihrer Angst vor Ansteckung gar nicht mehr aus dem Haus trauen. Andere leiden sehr unter der Kontaktsperre. Und es gibt viele, die ihre Therapien unterbrechen mussten, weil auch die Arbeit von Therapeuten zu Beginn des Lockdowns zum Teil sehr eingeschränkt war, und denen es jetzt schlecht geht", sagt sie.

Corona bedeutet Stress für alle

Es sei im Moment sehr schwierig, eine Grenze zu ziehen, was "normal" sei und wann Menschen professionelle Hilfe suchen müssten: "Corona ist für uns alle eine enorme Belastung, die Stress hervorruft." Die Aufgabe der Hotline sei es, die Anrufer zunächst einmal zu stabilisieren und ihnen konkrete Tipps zu geben, wie sie den Alltag mit Corona überstehen: "Etwa, indem sie nicht den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen und nur Nachrichten gucken, sondern sich selbst etwas Gutes tun."

Hilfe bei niedergelassenen Psychologen und Psychotherapeuten zu finden, ist schwierig. "Wir hatten schon vor Corona Wartelisten von drei bis fünf Monaten, das ist durch Corona natürlich nicht besser geworden", sagt Gerd Höhner, der Präsident der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen. "Die durch den Lockdown bedingten Einschränkungen rufen selbst keine psychischen Störungen hervor." Aber: Bereits Vorhandenes werde ausgeprägter. Unruhe, Unzufriedenheit und Ängste würden nun verstärkt.

"Jemand, der etwa zu paranoiden Fantasien neigt, bekommt jetzt natürlich viel Futter, allerdings brauchen Paranoiker in der Regel kein Corona für ihre Fantasien." Höhner glaubt nicht, dass es durch Corona bislang zu mehr Angststörungen gekommen ist. Das könnte sich allerdings mit einer zweiten Infektionswelle ändern: "Alle Menschen reagieren auf eine so enorme Ausnahmesituation wie diese, auch psychisch gesunde Menschen." Langfristig könne es zu "Konditionsproblemen" kommen. "Wir spüren selbst den Wunsch nach Normalität, sehen überall den zunehmend nachlässigen Umgang mit Vorsichtsmaßnahmen. Die großen Herausforderungen kommen erst mit der zweiten Welle, wenn wir sehen, dass nicht alles einfach vorbei ist."

Barbara Driessen


Corona

Stressmediziner: Alte Gewohnheiten wurden massiv unterbrochen



Nach Auffassung des Psychiaters Jan Kalbitzer ist die Corona-Zeit eine Chance für einen Neuanfang. Welche Folgen die Krise schon hatte und wie man alte Gewohnheiten durchbricht, erläutert der Experte und Buchautor im Interview mit dem epd.

Jan Kalbitzer ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und hat sich auf Stressmedizin spezialisiert. Sein kürzlich erschienenes Buch "Krise als Neustart" ist eine Anleitung dafür, wie man neue Gewohnheiten bildet. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert der Psychiater, wie die Corona-Pandemie sich bereits auf unsere Gesellschaft ausgewirkt hat und wie die alte Normalität überwunden werden kann. Die Fragen stelle Cristina Marina.

epd sozial: Mit Blick auf die Corona-Krise haben Sie neulich gesagt, dass es die Normalität aus den Zeiten vor der Corona-Krise nie mehr geben werde. Wie meinen Sie das?

Jan Kalbitzer: Wir lernen bereits, mit einer großen Ungewissheit zu leben. Denn wir wissen nicht, wie lange dieser Zustand tatsächlich dauern wird. Es gilt keinesfalls als sicher, dass es bereits im Frühjahr nächsten Jahres einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben wird. Der Umgang mit einer solchen Unsicherheit wird uns auch nach der Krise prägen. Und ich glaube, diese Prägung lässt sich kaum mehr rückgängig machen, ebenso wenig wie die Prägung der Nachkriegszeit für die davon betroffenen Generationen einfach zu tilgen ist.

epd: Wie wird sich das zeigen?

Kalbitzer: Ich beobachte, dass Menschen sich im öffentlichen Raum mehr zurückhalten, sich nicht mehr so unbefangen verhalten wie zuvor im Umgang miteinander. Dabei fürchten die einen die Infektionsgefahr, die anderen vielleicht mehr die Ermahnung zur Einhaltung der Abstandsregeln - aber am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus: Der öffentliche Raum verändert sich gerade grundsätzlich.

epd: Haben sich auch die Menschen in der Corona-Zeit bereits verändert?

Kalbitzer: Auf jeden Fall. Zu meiner Überraschung haben zahlreiche meiner Patienten berichtet, dass es ihnen gerade wegen der Corona-Einschränkungen besserging. Sie fühlten sich erleichtert, weil damit auch soziale Verpflichtungen wegfielen und die Hektik und der Stress in ihrem Alltag sanken. Gerade diese Menschen werden etwas davon auch in die Zukunft retten wollen, zum Beispiel mehr im Homeoffice zu arbeiten. Oder mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen. Gleichzeitig wirkt sich die Corona-Pandemie bereits auf unser ganzes gesellschaftliches Leben aus. Nur ein Beispiel: Ohne Tanzclubs, Musikkonzerte oder ähnliches sind wir zu einer neuen Freizeitgestaltung gezwungen. Die Corona-Zeit hat unsere alten Gewohnheiten also massiv unterbrochen. Aber wir können neue Gewohnheiten bilden, die besser sind als die alten. Die Krise wird so zur Chance für einen Neustart.

epd: Was wäre dafür nötig?

Kalbitzer: Es ist unabdingbar, dass wir neue Instrumente entwickeln, mit deren Hilfe wir gemeinsam neu aushandeln, wie wir in Zukunft leben wollen. Dabei müssen wir aber akzeptieren, dass der analoge und der digitale Teil unseres Lebens nicht mehr getrennt verlaufen können, sondern sich immer mehr überlagern werden. Die Corona-Warn-App ist da ein guter Anfang. Sie könnte als Beispiel dafür dienen, wie Menschen unter gemeinsamer Anstrengung eine Pandemie eindämmen. Aber wir brauchen mehr solcher Instrumente - allen voran eine soziale Plattform als "digitale Agora", wo wir alle miteinander reden. Die Plattformen, die wir bisher haben, erfüllen diesen Zweck nicht gut genug: Zum Teil favorisieren sie extreme Meinungen. Zudem bieten sie Platz für Hassrede, die nicht immer geahndet werden kann. Ein besserer öffentlicher Raum wäre aber gerade jetzt von großer Bedeutsamkeit.

epd: Was haben wir aus der Corona-Krise bislang gelernt?

Kalbitzer: Positiv ist, dass einige "Neustarts" bereits passieren. Durch den Lockdown sind die Kohlenstoffdioxid-Emissionen zurückgegangen, die Luft ist an vielen Orten sauberer geworden. Dadurch konnten wir sehen, dass bestimmte Veränderungen möglich sind - und was dafür getan werden muss. Mit der verstärkten Arbeit im Homeoffice sank auch der Stromverbrauch. Hier in Berlin wurden neue Radwege geschaffen, die aller Wahrscheinlichkeit nach auch nach dem Ende der Pandemie bleiben werden. Diesen Wandel müssen wir aktiv mitgestalten, wenn wir nicht wollen, dass wir irgendwann vor eine neue Ordnung gestellt werden, die wir nicht mehr beeinflussen können.

epd: Was ist über mögliche Nachteile zu sagen?

Kalbitzer: Negativ ist, dass die Corona-Krise die soziale Kluft verschärft. Selbst die Corona-App ist nicht auf älteren Smartphone-Modellen installierbar. Menschen müssen also wohlhabend genug sein, um sich - aber eben auch die anderen - schützen zu können. Auch die Medien tendieren dazu, sich selbst zu spiegeln. Am Anfang der Corona-Pandemie wurde viel über die Infizierten berichtet, die oft Urlaubsrückkehrer oder Geschäftsreisende waren und eher zu den Bessersituierten zählten. Zur Zeit infizieren sich zum Beispiel Arbeiter aus der fleischverarbeitenden Industrie, die aus osteuropäischen Ländern stammen und hier unter schlechten Bedingungen leben. Von diesen Einzelschicksalen hören wir nicht viel. Dadurch werden sie für uns unsichtbar. Das ist ein großes Problem. Denn wenn wir nur unter Akademikern darüber sprechen, was wir alles aus der Corona-Krise gelernt haben, und denjenigen, denen es vorher schon schlechtging, nach der Krise genauso schlechtgeht, ist das kein echter Neustart für uns als Gesellschaft - sondern nur für einen kleinen Teil davon.

epd: Ihr Vater ist während der Corona-Pandemie gestorben. Das kommt nun als weitere persönliche Krise hinzu. Wie haben Sie diese Zeit für sich bewältigt?

Kalbitzer: Ich habe zwar viele Menschen bei ihrer Trauer begleitet, aber für mich war es der erste Trauerfall, den ich so nah erlebt habe. Ich wusste natürlich, dass Gesten der Anteilnahme in so einer Situation wichtig sind. Aber wie stark diese Wirkung sein kann, dass hat mich dann doch noch mal überrascht. Eine Nachbarsfamilie hat zum Beispiel selbst gebackene Zimtschnecken vor die Tür gestellt. Das hat mich unglaublich berührt und getröstet. Ich würde sagen: sowohl durch die Corona-Krise als auch durch diesen Verlust ist mir bewusster geworden, wie wichtig zwischenmenschliche Gesten und Rituale für mich sind.



Corona

Von "Covid-Idioten" und Amateur-Virologen




Das Gutenberg-Museum in Mainz hat wieder geöffnet - und bietet Mundschutztücher an.
epd-bild/Kristina Schäfer
Bundesweit gibt es nach monatelangen Einschränkungen immer mehr Lockerungen. Die Konsequenzen können dabei für die Menschen ganz unterschiedlich aussehen. Dem Soziologen Professor Berthold Vogel zufolge entstehen dabei erhebliche gesellschaftliche Konflikte.

Menschen stehen bei Großdemonstrationen dicht an dicht, in den Einkaufsmeilen der Städte drängen sich die Menschen aneinander vorbei. Bundesweit treten immer mehr Corona-Lockerungen in Kraft. Dem Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow zufolge bedeuten diese Entwicklungen für die Menschen im Alltag mehr Eigenverantwortung. "Für manche war die Zeit des Lockdowns mit den klaren Verboten sicher viel einfacher nachzuvollziehen", sagt der Forscher. Der Großteil der Bevölkerung kommt seiner Meinung nach aber gut mit den gelockerten Umständen zurecht.

"Bis auf einige sogenannte 'Covid-Idioten', die überhaupt nichts kapieren, sind die meisten zu Amateur-Virologen geworden und wissen, was man macht und was nicht", ist Bandelow überzeugt. Ein Großteil der Bevölkerung reagiere nach wie vor diszipliniert und geordnet auf die Krise.

Risiko zunächst überschätzt

Am Anfang hätten hingegen viele das Risiko zu erkranken deutlich überschätzt. "Das ist immer so, wenn eine neue Gefahr kommt und diese unrealistische Einschätzung sich erst einpendelt", meint der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen.

Auch der Soziologe Berthold Vogel sieht, dass ein Großteil der Bevölkerung die derzeitigen Regeln mitträgt. Allerdings hätten die Lockerungen vor allem erhebliche gesellschaftliche Konflikte zur Folge, warnt der Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts in Göttingen. Privilegien und Bedürfnisse einzelner Menschen, aber auch sozialer Gruppen würden unterschiedlich anerkannt. Hätten zunächst vor allem gesundheitliche Sorgen und die Situation besonders schutzbedürftiger Menschen im Mittelpunkt gestanden, rückten mit jedem Lockerungsschritt immer mehr wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund: "Daraus resultiert vielfältiger Abwägungsbedarf: Wer darf oder muss im Home-Office bleiben? Wen zwingt die Systemrelevanz an den Arbeitsplatz? Ist der Einzelhändler schutzbedürftiger als der Reiseveranstalter?".

Derartige Fragen, die nach einem kontinuierlichen Ausbalancieren unterschiedlicher teils widerstreitender Interessen verlangten, "werden uns noch länger als nur bis zum Herbst dieses Jahres beschäftigen", ist Vogel überzeugt.

Soziologisch betrachtet stehe Deutschland somit erst am Anfang der Krise, betont Vogel. Dabei sei fraglich, ob das Virus letztendlich hartnäckiger sei als die beschlossenen staatlichen finanziellen Hilfspakete. "Es wird wahrscheinlich ein Marathonlauf und kein Sprint."

Menschen sind psychisch gut gewappnet

Zumindest psychisch sind die Menschen für diese neue Phase der Corona-Pandemie laut Angstforscher Bandelow gut gewappnet. Niemals seien die Menschen nach vorangegangenen Krisen wie den Anschlägen auf das World-Trade-Center oder anderen Virenerkrankungen wie der Vogelgrippe in die psychiatrischen Praxen gestürmt und hätten sich wegen Angsterkrankungen behandeln lassen.

Allerdings gingen die Menschen verschiedener Altersgruppen unterschiedlich mit dem Risiko und der Angst vor einer Ansteckung um, ist der Ehrenvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Angstforschung überzeugt. Gerade die Menschen ab etwa 50 Jahren seien sorgloser als die 30- bis 40-Jährigen. "Das liegt daran, dass Angst im Gehirn über Rezeptoren läuft, die sich, wie alles im Alter, abnutzen. Alles wird schlechter: das Sehen, das Gedächtnis, das Hören, der Sex, die Körperfunktionen werden schwächer."

Hamsterkäufe durch Jüngere

So hätten beispielsweise vorwiegend jüngere Menschen, die 30- bis 40-Jährigen, zu Beginn des Lockdowns die meisten Hamsterkäufe getätigt, sagt Bandelow. Überrascht habe ihn das Ausmaß dieses Verhaltens, das sich in einem "unintelligenten Teil des Gehirns" abspiele. Der Ursprung liege darin, dass Menschen schon vor Zehntausenden von Jahren aus Überlebensangst für den Winter Vorräte angelegt hätten. "Die Bedenkenträger haben somit überlebt und Kinder gekriegt."

Der Angstmechanismus, der sich zu Anfang der Krise durchgesetzt habe, sei zwar erblich bedingt, aber nicht unüberwindlich: "Nach ein paar Wochen hört das auf und dann kommen wieder die Vernünftigen Überlegungen durch", meint Bandelow.

Auch Soziologe Vogel zeigt sich optimistisch, dass in dieser konfliktbelasteten Situation auch Chancen liegen. Eine wichtige Rolle komme dabei den öffentlichen Einrichtungen zu. Das seien beispielsweise Schulen, Gesundheitsämter, Arbeitsagenturen, den Gewerkschaften, der öffentliche Nahverkehr und die Pflege- und Rettungsdienste. "Auf diese Institutionen können wir uns auch in der Krise verlassen." Umso wichtiger sei es, den Beschäftigten durch höhere Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen auch zukünftig mehr Wertschätzung entgegenzubringen.

Vogel zufolge lerne die Gesellschaft aus der Corona-Krise auch, dass digitale Werkzeuge zwar zukünftig immer wichtiger werden. "Allerdings zeigt uns diese Zeit auch, wie sehr wir nicht-digitale und soziale Wesen sind, die die persönliche Begegnung brauchen."

Charlotte Morgenthal


Corona

Armutsforscher warnt vor härteren Verteilungskämpfen




Christoph Butterwegge
epd-bild/Jürgen Blume

Angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise befürchtet der Armutsforscher Christoph Butterwegge eine Verschärfung gesellschaftlicher Verteilungskämpfe. "Früher oder später wird die Frage beantwortet werden müssen, wer die 1,5 Billionen Euro bezahlen soll, die jetzt für Hilfsmaßnahmen und zur Konjunkturstützung ausgegeben werden", sagte der Politikwissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die gigantischen Summen, die derzeit bewegt würden, lieferten sowohl Befürwortern als auch Gegnern des Sozialstaates Argumente.

"Erstere weisen zu Recht darauf hin, dass Deutschland gerade jetzt, in der Ausnahmesituation einer Pandemie, seine Handlungsfähigkeit bewiesen und daher in Zukunft allen Grund hat, auf die öffentliche Daseinsvorsorge in einem gut ausgebauten Sozial- und Gesundheitswesen zu setzen", erklärte Butterwegge. Letztere behaupteten hingegen, dass die hohen Kosten der Krise dazu zwingen, den Gürtel künftig enger zu schnallen, "auch und gerade bei den Sozialausgaben". Welche dieser Argumente im politischen Raum mehr Gehör fänden, sei auch "vom Einfluss mächtiger Lobbygruppen" abhängig, betonte er.

Angst vor Sozialdarwinismus

Deshalb sei er pessimistisch, dass Empathie und Solidarität mit den Schwächsten zu dauerhaften Lehren aus der Corona-Krise würden. "Wenn wir tatsächlich eine zweite Welle der Pandemie erleben, kann das schnell in eine sozialdarwinistische Richtung umschlagen", sagte der Ungleichheitsforscher, der bis zu seiner Emeritierung 2016 an der Universität Köln lehrte. Dann würden die Armen womöglich noch weiter ins Abseits gedrängt.

Mit Blick auf knapp 13 Millionen Menschen, die in Deutschland laut Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung an oder unterhalb der Armutsgrenze leben, sprach sich Butterwegge für Sofortmaßnahmen aus, um coronabedingte Härten abzumildern. Er nannte etwa "einen monatlichen Ernährungszuschlag von 100 Euro für alle Menschen in der Grundsicherung, sei es Hartz IV oder die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung".

Mindestlohn deutlich anheben

Darüber hinaus müsse der Mindestlohn von derzeit 9,35 Euro spürbar angehoben werden, "damit die Menschen in Würde von ihrer Arbeit leben können", sagte er. Seit der Einführung 2015 sei der Mindestlohn gerade einmal um zehn Prozent gestiegen und damit deutlich weniger als die Lebenshaltungskosten.

Zudem forderte Butterwegge, die für den 1. Januar 2021 beschlossene weitgehende Abschaffung des Solidaritätszuschlags zurückzunehmen. Eine Streichung bedeute für den Staat Ausfälle von rund 19 Milliarden Euro: "Geld, das wir dringend als einen 'Corona-Soli' zur Armutsbekämpfung gebrauchen können", sagte er.

Daniel Behrendt


Frauen

Genitalverstümmelung: "Es gibt kein Wort für diesen Schmerz"




Franziska Giffey
epd-bild/Christian Ditsch
Die traditionelle Beschneidung oder deutlicher: Verstümmelung weiblicher Genitalien gehört zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen und wird weltweit bekämpft, auch in Deutschland. Ministerin Giffey stellte neue Zahlen vor - und eine Kämpferin.

Die gebürtige Somalierin Fadumo Korn weiß um die Wirkung ihrer Worte, wenn sie ihre eigene Beschneidung schildert. Korn ist Vorsitzende des Vereins "Nala - Bildung statt Beschneidung" und überreichte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am 25. Juni in Berlin eine Petition mit 125.000 Unterschriften zur Bekämpfung der genitalen Verstümmelung. Das Problem ist nicht klein, Giffey präsentierte die Zahlen.

Die Zahl der Frauen in Deutschland, deren Genitalien verstümmelt wurden, ist in den vergangenen drei Jahren auf knapp 68.000 gestiegen. Giffey begründete den starken Anstieg um 44 Prozent damit, dass mehr Frauen aus Ländern zuwandern, in denen die genitale Verstümmelung weiter praktiziert wird. Dazu zählen Eritrea, Somalia, Indonesien, Nigeria und Ägypten. Es werde aber auch genauer hingeschaut, sagte die Ministerin. Im Jahr 2017 ging man noch von 44.000 verstümmelten Frauen aus.

Beschneidung mit sieben Jahren erlebt

Fadumo Korn, die seit 40 Jahren in Deutschland lebt, ist eine von ihnen. In der Steppe Somalias, festgehalten von zwei Frauen und ohne Betäubung wurde sie, als sie sieben Jahre alt war, ihrer Weiblichkeit beraubt, sagt sie. Ohne medizinische Versorgung, zeitweilig im Koma und gegen alle Wahrscheinlichkeit habe sie überlebt: "Es gibt kein Wort, das diesen Schmerz beschreiben kann. Eine Frau nimmt die Klitoris in die Hand, nimmt eine Rasierklinge und schabt sie bis zu den Knochen herunter."

Die traditionelle Beschneidung, die als "Reinigung" von der gefährlichen Klitoris oder Ritual an der Schwelle zum Frausein praktiziert wird, zählt zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen. Mädchen und jungen Frauen wird die Klitoris weggeschnitten, oft auch die kleinen Schamlippen. Weltweit sind der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge rund 200 Millionen Frauen auf diese Weise verstümmelt. Jedes Jahr werden weitere zwei bis drei Millionen Mädchen Opfer dieser Gewalt. Die Frauen tragen lebenslange, häufig sehr schwere Behinderungen davon.

Verhaltensänderungen bewirken

Fadumo Korn sagt, ihre eigene Behinderung habe sie vor die Wahl gestellt: zu leiden oder zu kämpfen. Frauen wie sie, die die Traditionen kennen und den direkten Zugang zu Einwanderern haben, die ihre Töchter beschneiden lassen wollen, könnten tatsächlich Verhaltensänderungen bewirken, sagt sie. Korns Verein fordert auf seiner Website aber auch alle anderen auf, Anzeichen für eine bevorstehende Beschneidung der Polizei und dem Jugendamt zu melden und "sich nicht von Gedanken an 'Tradition', 'Kultur', 'Religion' oder aus Angst davor, als 'rassistisch' zu gelten, abhalten zu lassen".

In Deutschland ist Giffey zufolge die Bedrohungslage nur schwer zu einzuschätzen, weshalb die Spanne zwischen 2.800 und fast 15.000 gefährdeten Mädchen liegt. Die geringere Zahl ergibt sich, wenn in der zweiten Einwanderergeneration keine genitalen Verstümmelungen mehr vorkämen, die höhere, wenn hier geborene Mädchen weiter als bedroht angesehen werden müssen.

Kaum Verurteilungen

Genitalverstümmelung ist eine Straftat, die aus Deutschland auch dann verfolgt wird, wenn sie im Ausland geschieht. Zu Verurteilungen kommt es aber kaum. Die Zahlen bewegten sich Giffey zufolge in den Jahren von 2016 bis 2018 jeweils im einstelligen Bereich.

Giffey sagte, zur Abwendung weiterer Fälle sei es ihr besonders wichtig, mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, da diese es schafften, "Aufklärung und präventive Maßnahmen in die jeweiligen Communities hineinzubringen". Sie stellte in Aussicht, dass Organisationen wie "Nala", die sich bisher allein aus Spenden finanzieren, besser unterstützt werden. Die in Deutschland arbeitenden Vereine haben sich im "Netzwerk zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung 'Integra'" zusammengeschlossen.

Bettina Markmeyer


Statistik

Medizinische Gutachter weisen 3.700 Behandlungsfehler nach



Jedes Jahr stellen die Prüfer der Krankenkassen eine Statistik über Behandlungsfehler in Krankenhäusern und Arztpraxen vor und beziffern die nachgewiesenen Fehler. Um ein vollständiges Bild zu erhalten, fehlen in Deutschland aber die Datengrundlagen.

Bei der Vorstellung der Statistik über ärztliche Kunstfehler wurde auch in diesem Jahr die Unzufriedenheit über die mangelhafte Datenlage deutlich. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit kritisierte am 25. Juni in Berlin, sogar zu den vermeidbaren Behandlungsfehlern mit schweren Folgen für die Patienten, den sogenannten Never Events, gebe es in Deutschland keine Zahlen. Dazu zählen etwa Seitenverwechslungen bei Operationen.

In dem Bündnis haben sich zahlreiche Akteure des Gesundheitswesens, darunter Patientenorganisationen, Kliniken, Fachgesellschaften und Krankenkassen zusammengeschlossen. Es setzt sich unter anderem dafür ein, dass Fehler transparent gemacht werden, um aus ihnen zu lernen und entwickelt dafür Handlungsempfehlungen. Die Vorsitzende Ruth Hecker saß mit am Tisch, als der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) und des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) ihre aktuelle Behandlungsfehler-Statistik für das Jahr 2019 vorstellten.

Knapp 3.700 Fehler bestätigt

Danach haben die Prüfer vom MDK rund 14.500 ärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt. In jedem vierten Fall (3.688) wurde ein Fehler bestätigt. In jedem fünften Fall stellten sie fest, dass sich der Schaden beim Patienten tatsächlich auch auf den Behandlungsfehler zurückführen ließ (2.953). Die Anzahl der Gutachten sei im Vergleich zu 2018 leicht gestiegen, teilte der MDK mit.

Die Vorwürfe, es liege ein Behandlungsfehler vor, verteilen sich den Angaben nach zu etwa einem Drittel auf die ambulante Versorgung und zu zwei Dritteln auf das Krankenhaus. In beiden Bereichen werden aber etwa gleich viele Fehler festgestellt. Offensichtlich sehen Patienten im Krankenhaus genauer hin als in der Arztpraxis.

Orthopädie und Chirurgie im Fokus

Wie in den Vorjahren bezogen sich die meisten Vorwürfe auf Behandlungen in der Orthopädie, der Unfallchirurgie und der Allgemeinchirurgie. Man könne daraus aber nicht schließen, dass in diesen Abteilungen die meisten Fehler passierten, erklärte der stellvertretende MDS-Geschäftsführer, Stefan Gronemeyer. Sie fielen den Patienten hier nur am ehesten auf.

Er wies zudem darauf hin, dass die Statistiken des Medizinischen Dienstes immer nur einen Teil des Geschehens erfassten, ob in den Klinken oder den Arztpraxen. Aus Studien sei bekannt, dass dass die tatsächliche Anzahl vermeidbarer Schäden durch Behandlungsfehler wesentlich höher liegt, als es unsere Zahlen vermuten lassen", sagte er.

Stiftung: Regierung tut zu wenig

Die Stiftung Patientenschutz warf der Bundesregierung vor, seit Jahren nichts zu unternehmen, um falsch behandelte Patienten zu unterstützen. Vorstand Eugen Brysch, kritisierte: "Bei den Behandlungsfehlern läuft es weiterhin schief". Daten würden nicht zentral gesammelt. Gerichte, Ärzte und Medizinischer Dienst arbeiteten nebeneinander her. Auch gebe es immer noch keinen Härtefallfonds: "Die Versprechungen im Koalitionsvertrag werden von der SPD und der Union nicht erfüllt", bemängelte Brysch.

Die Grünen forderten eine zentrale Erfassung der "Never Events". Außerdem müsse endlich ein Härtefallfonds eingerichtet werden. Gerade in schweren Fällen sei schnelle und unbürokratische Hilfe nötig, erklärte die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Maria Klein-Schmeinck.



Armut

Grüne wollen eine höhere Grundsicherung ohne Sanktionen




Hartz-IV-Antrag
epd-bild/Norbert Neetz
Die Grünen wollen die Hartz-IV-Regelsätze deutlich erhöhen und erhalten dafür Beifall von Sozialverbänden und Gewerkschaften. Ein neues Berechnungsmodell und die Abschaffung der Sanktionen sollen für eine Grundsicherung sorgen, die den Namen verdient. Von den Sozialverbänden kommt Zustimmung.

Die Grünen nennen erstmals Zahlen, wie hoch Hartz-IV-Regelsätze sein müssten, wenn sie vor Armut und Ausgrenzung schützen sollen. Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt forderte die Bundesregierung am 23. Juni in Berlin auf, im Herbst ein neues Gesetz zur Ermittlung der Regelsätze vorzulegen, "das Schluss macht mit der Kleinrechnerei". Jeder Bürger und jede Bürgerin habe einen Anspruch darauf, dass die Grundsicherung halte, was sie verspreche, sagte Göring Eckardt.

In der Partei gibt es seit mehr als einem Jahr Überlegungen zu einer weitgehenden Abkehr vom Hartz-IV-System, das die Grünen Anfang der 2000er Jahre gemeinsam mit der SPD eingeführt hatten. Sozialverbände lobten den Vorstoß. Sie versprechen sich Rückenwind für die Debatte um ein menschenwürdiges Existenzminimum und die Abschaffung der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger. Das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Anja Piel, erklärte, der Vorschlag "würde für einen Durchbruch bei der Armutsbekämpfung sorgen".

170 Euro mehr pro Erwachsenem

Nach den Berechnungen im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion müsste ein allein lebender Erwachsener monatlich 603 statt 432 Euro bekommen. Die Leistungen für Kinder müssten je nach Alter um 56 Euro (bis sechs Jahre) bis zu 116 Euro (ab 14 Jahre) im Monat angehoben werden. Unterkunft und Heizung für Grundsicherungsempfänger werden vom Amt bezahlt.

Die Grünen stellen ein neues Berechnungsmodell vor, das die Regelsätze ins Verhältnis setzt zu den Lebenshaltungskosten von Mittelschichtshaushalten und orientieren sich damit stärker am allgemeinen deutschen Wohlstandsniveau. Sie berufen sich auf ein Gutachten, wonach zur Sicherung des Existenzminimums einem Grundsicherungsempfänger gut die Hälfte davon zur Verfügung stehen muss, damit nicht nur das Lebensnotwendigste sondern auch ein gewisses Maß an Teilhabe gesichert ist. Dazu zählt die gelegentliche Kinokarte ebenso wie ein Weihnachtsbaum.

Kritik an unberechtigten Abzügen

Bisher werden die Regelsätze anhand der Ausgaben der ärmsten Bevölkerungsschichten berechnet. Für Protest von Sozialverbänden sorgt regelmäßig, dass davon auch noch Posten abgezogen werden. Dadurch klafft die größte Lücke zu den Lebensbedingungen der gesellschaftlichen Mitte bei der Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Mindestmittel zur gesellschaftlichen Beteiligung gehören aber laut höchstrichterlichen Urteilen genauso zum Existenzminimum wie Essen, Kleidung und Wohnen.

Der Fraktionsbeschluss, in dem die Grünen auch ihre Forderung nach einer Abschaffung der Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger wiederholen, fiel bereits im Mai. Er wurde aber wegen der Einschränkungen und des Zeitdrucks durch die Corona-Krise jetzt erst der Öffentlichkeit vorgestellt. Für die Krisenzeit brauche es einen kurzfristigen Aufschlag von 100 Euro für Erwachsene und 60 Euro im Monat für Kinder, fordern die Grünen und unterstützen damit Sozialverbände und Gewerkschaften. Grundsicherungsempfänger können von den Corona-Hilfen kaum profitieren, haben durch eingeschränkte Hilfsangebote aber höhere Ausgaben.

Diakonie hofft auf neue Dynamik

Die Diakonie Deutschland hofft, dass mit dem Beschluss der Grünen "eine Dynamik für die Überwindung von Armut in Deutschland in Gang" kommt. Vorstandsmitglied Maria Loheide lobte, der Vorschlag erfülle die Anforderungen an "eine sach- und realitätsgerechte Ermittlung des Existenzminimums". Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, erklärte, mit höheren Regelsätzen und dem Verzicht auf Sanktionen werde der Weg zur Überwindung von Hartz IV zu einer echten Grundsicherung beschritten.

Wolfgang Stadler, Vorstandsvorsitzender des AWO Bundesverbandes, sagte in Berlin, das Positionspapier sei ein wichtiger Beitrag zur politischen Debatte. "Denn es zeigt, dass nicht eine scheinbar objektive Statistik, sondern konkrete politische Setzungen über das letztendliche Leistungsniveau entscheiden." Innerhalb eines verfassungsrechtlichen Rahmens habe der Gesetzgeber einen politischen Handlungsspielraum. "Wir werden uns in der anstehenden Regelsatzneuberechnung dafür einsetzen, dass dieser Handlungsspielraum zu Gunsten der Betroffenen ausgeschöpft wird und damit die materiellen Lebensbedingungen für die Menschen verbessert werden."

Bettina Markmeyer


Asyl

Neuer Anlauf in der EU-Flüchtlingspolitik




Gedenkfeier für ertrunkene Füchtlinge auf Malta im Jahr 2018
epd-bild/Heiko Kantar/EKiR
Die Zahl der entdeckten "illegalen Grenzübertritte auf Europas Hauptmigrationsrouten" lag laut EU-Agentur Frontex im Mai bei fast 4.300. Das ist der Hintergrund, vor dem die EU-Kommission ihre neue Asylstrategie vorstellen will. Der epd erläutert die bestehenden Probleme.

Die EU-Kommission will einen neuen Anlauf wagen, um Europas Regeln für Asyl und Migration zu reformieren. Das Thema entzweit die Mitgliedsstaaten seit Jahren.

Was steht an?

Auch wenn die Corona-Krise sie aus den Schlagzeilen verdrängt hat: Weiter suchen Flüchtlinge und Migranten Aufnahme in Europa. Und weiter ist die EU uneins, wie mit den Menschen umzugehen ist. Die EU-Kommission will deshalb einen frischen Start. In ihren im Sommer 2019 präsentierten politischen Leitlinien kündigte die neue Chefin Ursula von der Leyen "einen neuen Migrations- und Asylpakt" an. Die Vorschläge sind laut Arbeitsprogramm der Behörde bis Ende Juni fällig. Die Corona-Krise hat aber schon den Zeitplan anderer Dossiers durcheinandergebracht. Ein Sprecher erklärte diese Woche, die Asyl-Pläne stünden "bald" an.

Was geschah in den vergangenen Jahren?

Die EU hadert und ringt spätestens seit der Flüchtlingskrise von 2015 mit ihren Regeln für Asyl und Migration. Im Mai und Juli 2016 präsentierte die Kommission unter Jean-Claude Juncker ein Reformpaket. Herzstück war eine Neufassung der Dublin-Verordnung. Der Verordnung gemäß hat sich in der Regel der Staat der ersten Einreise um Asylbewerber zu kümmern. Die Neufassung wollte die Verantwortung gleichmäßiger verteilen. Bei einer übergroßen Zahl an Asylbewerbern in einem EU-Land wären Bewerber auf die anderen Länder umverteilt worden.

Warum ist die Reform steckengeblieben?

Das Europarlament bearbeitete die Kommissions-Vorschläge und strich dabei das Ersteinreise-Kriterium komplett. Es wollte also ebenfalls eine Umverteilung von Flüchtlingen. Allerdings ist das Parlament nur einer der beiden Gesetzgeber der EU neben dem Rat. Im Rat versammeln sich die europäischen Regierungen. Die konnten sich aber schon untereinander auf keine gemeinsame Position und daher auch nicht mit dem Parlament einigen. Hauptstreitpunkt war die Umverteilung - einige Regierungen wie die ungarische unter Viktor Orban sperrten sich nachdrücklich dagegen.

Was wird heute diskutiert?

Inzwischen hat sich die Diskussion verlagert. Wichtige Akteure wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) richten ihr Augenmerk stärker auf die EU-Außengrenzen. Die Idee: Die Menschen werden schon dort einem Asylverfahren beziehungsweise einer sogenannten Vorprüfung unterzogen, die Anträge würden in beschleunigter Weise bearbeitet. Abgelehnte Bewerber würden direkt abgeschoben. Mit Blick auf die Aufnahme der übrigen Menschen, also der Schutzberechtigten, sind zudem schon lang Alternativen im Gespräch, etwa dass aufnahmeunwillige Staaten wie Ungarn Geld bezahlen. Entwicklungsländer wiederum könnten auf EU-Zahlungen hoffen, damit sie ihre Bürger schneller wieder zurücknehmen und deren Perspektiven verbessern.

Was spricht gegen diesen Ansatz?

Die EU hat auch im Pakt mit der Türkei versucht, Asylbewerber beschleunigt zurückzuschicken, in dem Fall aus Griechenland. Das gelang nur teilweise. Die Verfahren dauerten länger als geplant und Schutzsuchende, darunter Kranke und Kinder, müssen seit Jahren in überfüllten Lagern hausen. Nichtregierungsorganisationen wie Pro Asyl und andere Akteure wie das Brüsseler Büro der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) befürchten, dass das neue System den Zugang zu regulären Asylverfahren versperren und zu neuen Menschenrechtsverletzungen und der Ausweitung von Haft in menschenunwürdigen Lagern führen könnte. Auch ob nach ablehnenden Entscheidungen an der Grenze ausreichend Rechtsschutz gewährt würde, ist nach ihrer Ansicht mehr als zweifelhaft.

Wie geht es weiter?

Sobald die Kommission ihre Pläne vorgelegt hat, werden Europaparlament und Rat sie besprechen. Dabei kommt Deutschland im Rat eine besondere Rolle zu, weil es am 1. Juli für ein halbes Jahr den rotierenden Vorsitz übernimmt. Der Vorsitzende soll als "ehrlicher Makler" agieren. Deutschlands eigene Interessen dürften aber ebenfalls Gewicht haben, schon weil es das größte Mitgliedsland ist.

Phillipp Saure


Weiterbildung

Neues Berufsbild Schulgesundheitsfachkräfte



Die Evangelische Hochschule Darmstadt (EHD) und der Bezirksverband Potsdam der Arbeiterwohlfahrt (AWO) wollen in diesem Jahr die bundesweit erste Weiterbildung von examinierten Gesundheits- und Kinderkrankenpflegekräften zu Schulgesundheitsfachkräften starten. Dazu haben die Hochschule und der Sozialverband eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, teilte die EHD am 23. Juni in Darmstadt in einer gemeinsamen Erklärung mit. Ein erster Kurs solle noch 2020 beginnen.

"Die Effekte des Einsatzes von Schulgesundheitsfachkräften an Schulen sind offenkundig,", sagte die Vorstandsvorsitzende des AWO-Bezirksverbandes Potsdam, Angela Schweers. Dies zeigten die Evaluationen eines Modellprojekts in den Bundesländern Brandenburg und Hessen sowie die Erfahrungen in vielen europäischen Ländern.

Themen reichen von Bewegung bis zu Ernährung

Schulgesundheitsfachkräfte sind vor allem bei Verletzungen oder Erkrankungen schnell zur Stelle, beraten in Gesundheitsfragen von der richtigen Ernährung bis zu ausreichender Bewegung, heißt es in der Mitteilung weiter. Sie unterstützen die Gesundheitsämter bei der Früherkennung von Krankheiten und betreuen chronisch kranke Kinder an den Schulen. Die berufsbegleitende Weiterbildung dauert zehn Monate.




sozial-Branche

Corona

Reha unter anderen Umständen




Physiotherapie in der Evangelischen Elisabeth Klinik in Berlin
epd-bild/Werner Krüper
Verschobene Behandlungen, besorgte Patienten, Kliniken im Krisenmodus: Die Corona-Krise hat das Gesundheitswesen in Deutschland durcheinandergebracht. Auswirkungen gibt es auch bei der Reha - und in Zukunft könnten neue Herausforderungen hinzukommen.

Eine kranke, körperlich oder geistig behinderte oder von Behinderung bedrohte Person in das berufliche und gesellschaftliche Leben wiedereinzugliedern: Das erklärte Ziel der Rehabilitation wird in Zeiten der Corona-Pandemie von verschiedenen Seiten beschränkt. Ob in den Einrichtungen selbst oder aufseiten der Patienten - ideal läuft es nicht.

Als sich die Pandemie in Deutschland immer weiter ausbreitete, mussten sich Reha-Kliniken zunehmend auf die Übernahme von Patienten aus ausgelasteten Akut-Kliniken vorbereiten. Gleichzeitig wurden nicht akute Operationen verschoben, womit auch Anschluss-Rehas wegfielen. Das Covid-19-Entlastungsgesetz sieht zudem für Reha-Einrichtungen nur 60 Prozent des durchschnittlichen Vergütungssatzes vor. In einzelnen Fällen meldeten Reha-Kliniken aufgrund der finanziellen Einschnitte Kurzarbeit an.

"Erhebliche Herausforderungen"

Thomas Urbach, Sprecher des BDH Bundesverbandes Rehabilitation, spricht von "erheblichen organisatorischen und personellen Herausforderungen" in Reha-Einrichtungen. Die Beatmungskapazitäten der Krankenhäuser seien erweitert worden, die Belegungen hätten sich entsprechend in Richtung Frührehabilitation verschoben. Die weiterführende Rehabilitation habe hingegen abgenommen.

In welchem Umfang Reha-Maßnahmen verschoben wurden, ist nicht ganz klar. Die konkrete Zahl der Rehabilitationsleistungen, die aufgrund der Corona-Pandemie verlegt werden mussten, wird laut einem Sprecher der Deutschen Rentenversicherung nicht statistisch erfasst. Bei Patienten aus der Risikogruppe müsse aber "die Reha-Indikation gegen die möglichen Risiken abgewogen werden", sagt Urbach. Anschlussrehabilitationen, die bei bestimmten Diagnosen wie Schlaganfällen angeboten werden, seien jedoch von den Kliniken aufgrund möglicher schwerwiegender Folgen nicht abgesagt oder verzögert worden. Eine Umfrage der AOK Hessen ergab derweil, dass fünf Prozent der befragten Mitglieder ihre Kur oder Reha in den vergangenen drei Monaten nicht antreten konnten.

Absagen und Verzögerungen gab es allerdings auch vonseiten der Patienten: Laut Urbach verschoben sie teilweise Rehas mit Hinweis auf die Corona-Krise. Es komme zudem häufiger vor, dass Menschen aus Angst vor dem Virus abwarten und hoffen, dass Symptome von allein verschwinden.

Fast jeder Fünfte mied den Arzt

Die AOK-Umfrage ergab zusätzlich, dass in den vergangenen drei Monaten fast jeder Fünfte in Hessen aus Angst vor einer Ansteckung nicht zum Arzt ging. Vor allem Menschen unter 45 hätten Arztbesuche zunächst vermieden, obwohl aus ihrer Sicht ein wichtiger medizinischer Grund für eine Untersuchung vorlag. Erkenntnisse wie diese legen nahe, dass Patienten auch andere medizinische Behandlungen wie Rehas oder Anschlussbehandlungen wie Besuche bei Physiotherapeuten verschieben.

Langfristig können solche Verschiebungen gravierende Folgen haben. Laut Ursula Cüppers-Böhle, Geschäftsführerin des Deutschen Verbandes für Physiotherapie, hat eine Reha eine höhere Chance auf Erfolg und darauf, einen Beitrag zur Genesung zu leisten, je früher sie beginnt.

Mittlerweile gibt es einige Lockerungen der Corona-Maßnahmen im medizinischen Bereich. Trotzdem sind noch immer einzelne Therapien aufgrund von Hygienevorschriften in Reha-Einrichtungen nicht möglich. Verschiedene Auflagen schränken zudem die Auslastung der Kliniken ein.

Norbert Hemken, Vorstandsvorsitzender des Verbundes Norddeutscher Rehakliniken, sieht darüber hinaus in Zukunft weitere Herausforderungen auf die Einrichtungen zukommen. "In den kommenden Wochen wird es sicherlich eine erhöhte Anfrage geben, die dann nicht zu 100 Prozent bedient werden kann", sagte er. Welche Patienten dann zuerst aufgenommen werden, sei unter anderen von Verträgen, Fristen und Kostenträgern abhängig.

Jana-Sophie Brüntjen


Corona

Interview

Verband: Werkstätten beklagen massive Auftragsverluste




Martin Berg
epd-bild/Ulrich Schepp
Die meisten Werkstätten für behinderte Menschen sind glimpflich durch die Corona-Krise gekommen. Doch die mittelfristigen Folgen für die Einrichtungen sind noch nicht absehbar, sagt Verbandsvorsitzender Martin Berg. Die Krise habe einigen Reformbedarf offengelegt.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) fordert als Konsequenz aus dem Corona-Lockdown, die Beschäftigten künftig in Krisenzeiten finanziell besser abzusichern. In der Pandemie seien "Regelungslücken und rechtliche Unklarheiten offenbar geworden, die eine soziale Sicherung der Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten zusätzlich erschweren", sagte Verbandschef Martin Berg im Interview. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Die Corona-Krise dauert an, auch wenn der Lockdown voranschreitet. Wie ist die aktuelle Lage in den Werkstätten und welche Probleme sind noch zu bewältigen?

Martin Berg: Die Werkstätten sind unterschiedlich von der Coronavirus-Krise betroffen. Wegen genereller Betretungsverbote konnte die Werkstattleistungen nur vereinzelt oder teilweise erbracht werden. Die behördlichen Anordnungen lassen nun seit Mitte Mai in fast allen Bundesländern wieder Teilöffnungen zu. Stand heute ist es in allen Ländern unter gewissen Maßgaben möglich, dass Beschäftigte wieder tätig sind. Wir befinden uns bereits mitten in der Wiederöffnungsphase. Wobei man sagen muss, dass derzeit nicht alle Beschäftigten durch die Hygiene- und Infektionsschutzauflagen in die Werkstatt zurückkommen können beziehungsweise dürfen.

epd: Viele sagen, Corona habe auch zu vielen schmerzlichen Erkenntnissen geführt. Was ist aus der Sicht der Werkstätten anzumerken?

Berg: Die Krise führt deutlich vor Augen, dass Werkstätten sowohl vielfältige Unterstützungs- und Teilhabeleistungen erbringen als auch "Arbeitgeber" sind, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen am Markt bestehen müssen. Beides sind integrale Bestandteile der Werkstattleistung, die auch und gerade in Krisenzeiten verlässlich gesichert werden müssen.

epd: Waren die Betretungs- und Kontaktverbote in den Einrichtungen wirklich ohne Alternative?

Berg: In den ersten Wochen waren die generellen Betretungsverbote richtig. Das Risiko war für alle Beteiligten schwer einzuschätzen, und auf den ersten Blick gehört ein Großteil der Beschäftigten zum vulnerablen Personenkreis. Daraus folgt das erhöhte Infektions- und Erkrankungsrisiko, mit dem die Entscheidungen begründet waren.

epd: Also volles Verständnis?

Berg: Nein. Man hätte schon früher Alternativen diskutieren müssen. Denn die Betretungsverbote wurden für alle Beschäftigten ausgesprochen und blieben über mehr als zwei Monate bestehen - ohne weitere Auseinandersetzung mit dem Personenkreis und den konkreten Gefährdungspotenzialen, einzig und allein aufgrund der Tatsache, dass Werkstattbeschäftigte eine Behinderung haben. Auch die unterschiedliche Vorgehensweise in den einzelnen Ländern war nicht immer hilfreich.

epd: Kann man den wirtschaftlichen Schaden von Corona schon bemessen?

Berg: Seriöse Zahlen über die durch die Coronavirus-Krise entstandenen Schäden gibt es noch nicht. Wir stellen jedoch mit Sorge fest, dass in einigen Werkstätten Aufträge zurückgehen. Eine erste Umfrage von Ende April unter unseren Mitgliedern zeigt: Über 80 Prozent der Werkstätten beklagen einen Rückgang der Aufträge um im Schnitt 60 Prozent.

epd: Werkstätten bilden ja gemeinhin keine großen finanziellen Rücklagen. Hat es Konkurse gegeben, weil die Vergütungen nicht oder nicht in voller Höhe geflossen sind?

Berg: Nein. Das wurde dank der Träger der Eingliederungshilfe, der Agentur für Arbeit, der Rentenverssicherung und vielen anderen verhindert. Sie haben die Zahlungen auch während der Krise weiter geleistet und dafür gesorgt, dass bei den Trägern keine finanziellen Schieflagen entstand. Für den Lohn der Mitarbeiter haben Werkstätten Rücklagen für Ertragsschwankungen gebildet. Diese wurden oftmals eingesetzt, um in der Krise die Werkstattentgelte weiterzuzahlen. Sorge machen uns die mittelfristigen wirtschaftlichen Folgen und damit die "echten" Ertragsschwankungen. Diese können kaum mit den größtenteils aufgezehrten Rücklagen aufgefangen werden.

epd: Die Politik nimmt viel Geld in die Hand, um die Wirtschaft zu stützen oder um Kurzarbeit zu finanzieren. Spielen die Werkstätten und ihre speziellen Probleme nur eine untergeordnete Rolle?

Berg: Das ist zum Teil richtig. Werkstätten brauchen finanzielle Sicherheit. Die Leistungsbeziehungen dürfen auch in Krisenzeiten nicht beendet werden. Vereinbarte Vergütungen müssen in voller Höhe fließen, denn Werkstätten erbringen vielfältige Leistungen für die Menschen mit Behinderungen, was auch geschehen ist. Mit dem neuen Konjunkturpaket sollen nun aber auch endlich gemeinnützige Organisationen und damit auch ausdrücklich Werkstätten unterstützt werden. Die kürzlich vom Bundeskabinett beschlossene Sicherung der Werkstattentgelte zeigt, dass die Politik erkannt hat, dass sich die finanzielle Situation vieler Menschen mit Behinderungen in Werkstätten durch die Krise verschlechtert hat.

epd: Die Pandemie hat gezeigt: Für Werkstattbeschäftigte gibt es keine Lohnersatz- oder Entschädigungsleistungen. Warum sind diese Zahlungen so wichtig?

Berg: Weil Werkstattbeschäftigte in besonderer Weise betroffen sind. Es wurden Regelungslücken und rechtliche Unklarheiten offenbar, die eine soziale Sicherung der Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten zusätzlich erschweren. Sie dürfen hinsichtlich der Werkstattentgelte nicht durchs Raster fallen. Auch für sie müssen Lohnersatz- oder Entschädigungsleistungen geschaffen werden. Den zuständigen Behörden muss klar sein, dass für Betroffene das Verbot ihrer beruflichen Tätigkeit empfindliche Einkommenseinbußen bedeuten. Gerade viele Empfänger von Erwerbsminderungsrenten, für die das Werkstattentgelt anrechnungsfrei ist, sind auf diesen Einkommensbestandteil angewiesen.

epd: Das hat die Politik ja jetzt erkannt.

Berg: Ja. Wir begrüßen es, dass das Bundeskabinett am 17. Juni eine Änderung der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) beschlossen hat. In der Verordnung ist eine Regelung zur Sicherung der Werkstattentgelte enthalten. Mit der Änderung der Verordnung verzichtet der Bund auf die Hälfte seiner Einnahmen des Jahres 2020 aus der Ausgleichsabgabe.

epd: Wie sieht diese Unterstützung aus?

Berg: Das Geld, etwa 70 Millionen Euro, verbleibt in den Ländern und wird dort an die zuständigen Integrationsämter weitergeleitet. Diese sollen es an Werkstätten und andere Leistungsanbieter verteilen, die nicht (mehr) in der Lage sind, die Entgelte der Beschäftigten zu zahlen. Wir sind in der jüngeren Vergangenheit vermehrt an die Politik herangetreten und haben den dringenden Handlungsbedarf beim Thema Werkstattentgelte verdeutlicht. Die aktuellen Entwicklungen begrüßen wir daher ausdrücklich.

epd: Werkstattbeschäftigte sind keine Arbeitnehmer mit deren Rechten. Welche Reformen sollte die Politik in der Absicherung von Menschen mit Behinderung für künftige Krisen angehen, Stichwort soziale Absicherung?

Berg: Das arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis sollte nicht an den Punkten ausgehöhlt werden, an denen Politik Geld in die Hand nehmen muss. Jetzt in der Krise ist deutlich geworden, dass für einige Personenkreise die bereits bestehenden Ansprüche für Einkommenseinbußen erweitert werden müssen - Werkstattbeschäftigte hingegen wurden auf die Grundsicherung verwiesen.

epd: Warum ist das problematisch?

Berg: Der Verweis auf die Grundsicherung stellt für viele Menschen mit Behinderungen eine nicht hinzunehmende Geringschätzung ihrer Anstrengungen dar, die sich über die Teilhabe am Arbeitsleben ein Stück Selbstbestimmung und Selbstwertgefühl erkämpft haben. An dieser Stelle hoffen wir noch auf eine zufriedenstellende Lösung.

epd: Überall wird die Forderung laut, die Digitalisierung voranzutreiben, um auch dezentral arbeitsfähig zu sein. Sehen Sie diese Notwendigkeit auch für die Werkstätten?

Berg: Menschen mit Behinderungen dürfen bei Fragen nach einer digitalisierten Arbeitswelt, die durch die Coronavirus-Krise stark in den Fokus rücken, nicht vergessen werden. Dafür muss in Zukunft ein Schwerpunkt nicht nur auf die Befähigung der Menschen mit Behinderungen gelegt werden. Zugleich braucht es auch geeignete technische Ausstattungen, damit die neuen Methoden und Instrumente auf Akzeptanz stoßen und auch genutzt werden können.



Corona

Gastbeitrag

Öffnung der Altenheime: Suche nach dem richtigen Weg




Anne Eckert und Natalie Albert (re.)
epd-bild/Caritas Münster
Die Leitungen von Altenheimen sind nicht zu beneiden. Sie tragen die Verantwortung für die Besuchsregelungen in den Einrichtungen - und auch, wenn das Virus sich dort verbreiten sollte. Wie die Träger Besuche wieder ermöglichen und wo dabei die Fallstricke liegen, beschreiben Anne Eckert und Natalie Albert von der Caritas in Münster in ihrem Gastbeitrag.

Es ist ein gefühlter Tanz auf der Rasierklinge: Die Entscheidung darüber, wie eine Einrichtung der Altenhilfe mit Besuchen im Rahmen der jeweiligen Coronaschutzverordnung des Landes umgeht.

Mit ständig neuen und wieder veränderten und teils in der Praxis nicht umsetzbaren Verordnungen, Erlassen und Regelungen wurden die Einrichtungen der stationären Altenhilfe seit Anfang März konfrontiert. Vor gut sechs Wochen wurde in Nordrhein-Westfalen mit einer kurzfristigen "Verordnung zur Änderung von Rechtsverordnungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2" die Öffnung der Altenhilfeeinrichtungen für Besucher angekündigt.

Festgelegt wurde:

1. Maximal ein Besuch pro Tag

2. Kurzscreening für Besucher

3. Information über und Befolgung der Hygieneregeln

4. Händehygiene vor und nach dem Besuchskontakt

5. Abstand von mindestens 1,5 Metern

6. Besuche finden nur in besonderen Besucherbereichen außerhalb oder separiert innerhalb des Gebäudes statt

7. Ein Besuchsregister wird geführt

8. Besuche unterbleiben, wenn in der Einrichtung bei Bewohnern oder Beschäftigten eine COVID-19-Infektion festgestellt wurde

Auch wenn die 205 Altenhilfeeinrichtungen im Bistum Münster jetzt einen individuellen Weg gefunden haben: ausgestanden ist dieser innere und "äußere" Kampf damit nicht.

Eigene Besuchkonzepte gab es schon

Schon vor der ministeriell angeordneten Öffnung haben die Heime eigene Besuchskonzepte implementiert. Je nach den örtlichen Gegebenheiten und den bislang mit Corona gemachten Erfahrungen fallen und fielen diese recht unterschiedlich aus. Die Besucherkonzepte wurden jeweils mit den örtlichen Heimaufsichten abgestimmt.

Neben den Landesverordnungen zu den Besucherregelungen stehen die Einrichtungen vor verschiedenen Herausforderungen, um die Besuche unter Beachtung der RKI-Empfehlungen vorzubereiten und zu begleiten:

• Wünsche der Bewohner und der Angehörigen: hier gilt es, klar und transparent zu kommunizieren und eine angemessene Länge und Taktung der Besuchszeiten anzubieten.

• Personelle Möglichkeiten: Leitung, Pflege und Betreuung können nicht ohne Pause im Dienst sein.

• Materielle Ressourcen wie Mund-Nase-Masken sind von Angehörigen selbst mitzubringen, Trennwände müssen installiert werden.

• Umsetzung des Kurzscreenings inklusive bestätigender Unterschrift der Angehörigen: hierzu gehört auch die Aufklärung und Unterstützung bei der Umsetzung der Händehygiene, des Abstands und gegebenenfalls weiterer individueller Aspekte.

Sollen bettlägerige Bewohner besucht werden, nutzen einige Einrichtungen bei Erdgeschosslage auch mal den direkten Weg ins Bewohnerzimmer – über ein ebenerdiges Fenster. So können unnötige Wege durch die Einrichtung und somit Infektionsrisiken vermieden werden.

Höfe und Gärten werden genutzt

In größeren Innenhöfen mit guter Übersicht können dabei beispielsweise bis zu acht Besuchertische zentral durch einen Mitarbeiter betreut werden, der die Gäste bei der Einhaltung der Hygieneregeln unterstützt. Kleinteiligere Außenanlagen oder verwinkelt angelegte Gebäudeteile sind entsprechend schwieriger im Auge zu behalten. Hier bieten sich dafür jedoch oft noch Möglichkeiten, Sitzgelegenheiten beiderseits des Gartenzauns zu stellen.

Vermutlich gibt so viele Konzepte, wie es Einrichtungen gibt. Alle nutzen die allgemeingültigen Kriterien, setzen diese aber mit viel Individualität und Engagement um.

Einige Einrichtungsleitungen möchten nach wie vor keine Besucher ins Haus lassen und nutzen weiterhin die Besucherfenster und Videochats, um Kontakte zu ermöglichen.

Ein Restrisiko bleibt immer

Weil die Coronaschutzverordnung auch Spaziergänge mit Angehörigen erlaubt, bleibt immer ein Restrisiko. Diese Ambivalenz gilt es auszuhalten: Einerseits müssen Angehörige bei Besuchen Kurzscreenings ausfüllen, Desinfektionsmaßnahmen durchführen, Abstand halten und auf Umarmungen verzichten, andererseits ist bei nicht compliance-fähigen Bewohnern und Angehörigen das Risiko durch einen Spaziergang und etwa einem Besuch in der nahen Eisdiele hoch – und die ersteren Maßnahmen werden eventuell ad absurdum geführt.

In 33 der 205 Einrichtungen im Bistum Münster gab es Covid-19-Infektionen. In acht Einrichtungen starb mindestens ein Bewohner, in einer Einrichtung starben zehn Bewohner. Es ist bei gleichen Schutzmaßnahmen nach wie vor nicht klar, wie sich Infektionen in den jeweiligen Einrichtungen ausbreiten konnten. Wenn ein Corona-positiver Test vorliegt, ist ein aufwendiges Krisenmanagement mit Isolation, Schleusen und Kommunikation notwendig. Und immer steht in der Coronaschutzverordnung: die Einrichtungsleitung hat die Verantwortung.

Durch die insgesamt zurückgehende Infektionszahl in Deutschland schwinden auch das Verständnis und die Geduld von Angehörigen für begrenzte Besuche. Hier gilt es um Verständnis zu werben und vernünftige Vereinbarungen zu treffen. Nicht einfach, wenn es in der Coronaschutzverordnung heißt: Verantwortung trägt die Einrichtungsleitung – eben auch wenn ein Infektionsgeschehen eintritt. Wer stellt sich dann vor die Einrichtungsleitung?

Es wird keine 100prozentige Sicherheit geben. Auch zielgerichtete Besuchsregelungen für Menschen in Pflegeeinrichtungen, die die Krankheit schon durchlaufen haben, sind derzeit kaum umzusetzen. Hintergrund ist die nach wie vor nicht 100-prozentige Sensitivität bisheriger Antikörpertests. Auch bleibt die Frage offen, ob bereits Erkrankte tatsächlich immun sind und wie lange und ob sie auch nach Symptomfreiheit noch ansteckend sind. Daher lassen sich noch keine belastbaren Schlussfolgerungen für Besucherregelungen ableiten.

Fest steht: Eine Abschottung in Einrichtungen der Altenhilfe ist nicht möglich und auch nicht wünschenswert. Vielleicht ist eine komplette Öffnung möglich, wenn irgendwann ein Impfstoff vorhanden ist. Bis dahin ist es entscheidend, Symptomkontrollen bei den Bewohner durchzuführen und sie gut zu beobachten. Bei auftretender Symptomatik gilt es dann, schnellstmöglich zu testen und Infizierte zu isolieren.

Weiterhin ist es wichtig, gut und klar mit den Angehörigen zu kommunizieren, auf Risiken und Verantwortlichkeiten hinzuweisen und um verantwortliche Mitarbeit zu bitten.

Bei aller Kreativität und Energie, die die Einrichtungen jetzt aufbringen, um Besuche zu ermöglichen, muss klar sein, dass zum Schutz der Bewohner und Mitarbeitenden flächendeckende Tests in Altenheimen erforderlich sind. Nur so kann unmittelbar reagiert und einzelne Bewohner quarantänisiert werden, um eine potenzielle Ausbreitung im gesamten Haus zu verhindern. Hierfür ist erforderlich, dass endlich zügig, klar und einheitlich die Finanzierung der Tests geregelt werden.

Anne Eckert und Natalie Albert arbeiten im Referat Altenhilfe Caritasverband für die Diözese Münster, Facharbeit und Sozialpolitik stationäre Pflege.


Corona

Sozialpfarrerin fordert EU-weite Regeln für die Fleischindustrie



Im Kampf gegen Missstände in der Fleischindustrie kann das geplante Arbeitsschutzprogramm nach Worten der westfälischen Sozialpfarrerin Heike Hilgendiek nur ein erster Schritt sein. "Darüber hinaus müssen alle Regelungslücken geschlossen werden und mindestens EU-weite Regelwerke geschaffen werden, die menschenwürdige und gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen herstellen", sagte Hilgendiek in Schwerte dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit Blick auf den massiven Corona-Ausbruch bei der Großschlachterei Tönnies mit rund 1.300 Infektionen.

Über die bisher angekündigten Maßnahmen hinaus sei die grundsätzliche Diskussion der Produktionsbedingungen überfällig, betonte sie: "Hintergründe und grundsätzliche gesellschaftliche Orientierungen, die zu dieser Form moderner Sklavenarbeit führen, müssen hinterfragt werden." Der Markt dürfe nicht allein darüber entscheiden, welche Produkte verkauft werden, erklärte die Landespfarrerin des westfälischen Kirche für Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Er müsse durch rechtliche Rahmenbedingungen gezügelt werden, die prekäre Arbeit, Ausbeutung von Mensch und Tier und die weitere Gefährdung des Planeten verhindern.

Massenzucht steht Tierwohl entgegen

Eine an Masse und damit an Massentierhaltung orientierte Fleischproduktion stehe dem Menschen- wie dem Tierwohl entgegen, kritisierte Hilgendiek. Eine ungebrochen auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft führe offenbar dazu, dass Ungerechtigkeit und Menschenverachtung auch in Deutschland nicht nur hingenommen, sondern geradezu gefördert würden. Die internationale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen in ihrer auf Export ausgerichteten Produktion basiere auf Lohndumping und Ausbeutung.

Die verbindlichen Rechte sozialversicherungspflichtig Beschäftigter würden umgangen, erklärte Hilgendiek. Anstelle einer Konzentration der Fleischindustrie auf wenige Unternehmen seien eine regionale Landwirtschaft und ein regionaler Lebensmittelmarkt nötig, der zudem auf hochwertige und fair produzierte Fleischprodukte setze.

Die hohen Corona-Infektionszahlen bei Mitarbeiten in der Fleischindustrie hätten "die unzureichenden, gefährlichen und gefährdenden, skandalösen Arbeits- und Lebensbedingungen erneut entlarvt", sagte die Sozialpfarrerin weiter. Besonders die Situation der Arbeitnehmer aus Ost- und Südosteuropa sei mehr als prekär. Die aktuelle Gelegenheit für Verbesserungen dürfe nicht ungenutzt bleiben, mahnte sie.

Holger Spierig


Corona

Experten: Alleinerziehende durch Krise zusätzlich belastet



Die ohnehin schwierige Situation von Alleinerziehenden spitzt sich nach Beobachtungen von Experten aus Bremen durch die Corona-Krise weiter zu. "Es ist eine Mehrbelastung, die an einem sehr engen Nervenkostüm zerrt, weil Alleinerziehende tendenziell immer an der Belastungsgrenze sind", sagte die Bremer Familienberaterin Mary Dierssen in einem Podcast der Diakonie.

Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen, ergänzte, betroffen sei keine kleine Randgruppe: "In Bremen und Bremerhaven sind derzeit 14.000 Menschen alleinerziehend."

Problematischer Spagat

Belastend seien in den zurückliegenden Wochen insbesondere der eingeschränkte Kita- und Schulbetrieb gewesen, erläutert Schierenbeck. Der Spagat zwischen der notwendigen Kinderbetreuung einerseits und der Aufgabe, den eigenen Job nicht zu gefährden, sei in der derzeitigen Lage besonders groß.

Außerdem habe sich schnell herausgestellt, dass Arbeit und Kinderbetreuung zusammen nicht funktionierten. "Homeoffice ist kein Ersatz für Kinderbetreuung", bekräftigt Schierenbeck. Deshalb sei die Ausweitung der Kita-Angebote besonders für Alleinerziehende wichtig.

Schierenbeck plädiert überdies dafür, die finanzielle Absicherung zu verbessern, da Alleinerziehende oft auf Minijobs angewiesen seien, die jetzt aber weggebrochen seien: "Minijobber haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld." Driessen fügt hinzu, ausgebaut werden müsse auch das Angebot an Teilzeitausbildungen. Da sei Deutschland im Vergleich etwa mit skandinavischen Ländern "noch in der Diaspora". Gesellschaftlich müsse Alleinerziehenden mehr Wertschätzung entgegengebracht werden. Verglichen mit Zwei-Eltern-Familien seien sie "immer noch die Randgruppe".

Der Podcast wurde gemeinsam von der Diakonie in Bayern und Bremen produziert. Dabei handelt es sich um die elfte Folge aus einer Serie von Beiträgen zu sozialpolitischen Themen. Die Reihe unter dem Titel "Mika" kann im Netz bei Spotify, Deezer und iTunes sowie unter www.diakonie-bremen.de/podcast verfolgt und abonniert werden.



Studie

Junge Flüchtlinge anfällig für psychische Erkrankungen



Junge Flüchtlinge leiden einer Studie zufolge nach ihrer Ankunft in Deutschland sowohl unter traumatischen Fluchterfahrungen als auch unter psychisch belastenden Lebensumständen. Die Folge seien eine verminderte Leistungsfähigkeit und Verhaltensauffälligkeiten, die sich später auch in aggressivem und kriminellem Verhalten äußern können, teilten die Autoren am 19. Juni in Göttingen mit.

Für Ihre Untersuchung hatten Göttinger Forscher vom Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin und von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Interviews mit 133 Geflüchteten geführt.

Im Durchschnitt seien die Teilnehmer 22 Jahre alt gewesen, viele von ihnen seien als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland gekommen. Etwa die Hälfte der Teilnehmer habe traumatische Erlebnisse vor und während der Flucht erlebt, hieß es. Ein Viertel sei körperlich und sexuell missbraucht worden.

Zahl der Risikofaktoren ist entscheidend

Je mehr Risikofaktoren eine Person ausgesetzt war, desto stärker sei ihre Leistungsfähigkeit bereits vermindert und desto stärker zeigten sie psychische Auffälligkeiten, hieß es. Mehr als 95 Prozent der Flüchtlinge seien von weiteren belastenden Lebensereignissen betroffen. Neben den traumatischen Erlebnissen der Flucht begünstige der Konsum von Cannabis und Alkohol und das Leben in Großstädten die psychischen Störungen.

Selbst enge und stabile menschliche Beziehungen könnten die jungen Migranten nicht vor den negativen Auswirkungen schützen, hieß es. So habe die Begleitung von Familie oder Freunden den aktuellen psychischen Zustand nicht beeinflusst. Die Autoren vermuteten daher, dass soziale Unterstützung nur einen schwachen schützenden Effekt habe.

Da jeder weitere Risikofaktor die Wahrscheinlichkeit für späteres aggressives Verhalten, Kriminalität und psychische Störungen erhöhe, dürften nicht noch mehr belastende Faktoren angehäuft werden, warnte Neurologie-Professorin Hannelore Ehrenreich. So sollten Geflüchtete engmaschig medizinisch und psychologisch begleitet werden. Auch müsste ihnen ohne Verzögerung Zugang zu Arbeit und Sprachkursen vermittelt werden. "Dies könnte ihnen dabei helfen, sich aus beengten Wohnverhältnissen zu befreien, wo sie mit Langeweile, Gewalt und Drogen konfrontiert sind."



Sterbehilfe

Christliche Ärzte mahnen Schutz der Schwachen an



Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner warnt in der Debatte um die Suizidbeihilfe vor einem unzureichenden Schutz der Schwachen. In einem Schreiben an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) haben die Ärzte einen Eckpunktekatalog vorgelegt, wie das SMD-Netzwerk von Christen in Schule, Hochschule und Beruf am 23. Juni in Marburg mitteilte.

Man sehe die "große Gefahr, dass insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen, Minderheiten sowie Menschen mit körperlichen und seelischen Einschränkungen und Belastungen nicht ausreichend geschützt werden können", heißt es in der Stellungnahme. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe gekippt.

Grundrecht auf Lebensschutz

Der Arbeitskreis wies darauf hin, dass der Staat die Aufgabe habe, das Grundrecht auf Leben zu schützen. Sofern eine Aufrechterhaltung des vollständigen Verbots der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe nicht möglich sein sollte, forderte der Arbeitskreis mehrere Maßnahmen: Begutachtung und Begleitung eines Wunsches nach Suizidhilfe dürfe nur durch qualifiziertes Fachpersonal erfolgen. Entsprechende Fristen zur Sicherstellung der Dauerhaftigkeit und Festigkeit der Entscheidung seien einzuhalten. Palliativmedizinische, therapeutische und psychosoziale Angebote müssten gestärkt werden, um Suizidwilligen eine autonome Entscheidung zu ermöglichen. Eine Gewinnorientierung der beteiligten Personen und Organisationen müsse gesetzlich ausgeschlossen werden.

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Mediziner (ACM) ist ein überkonfessioneller Zusammenschluss von rund 450 Ärzten und Medizinstudenten. Die ACM gehört zur 1949 als "Studentenmission in Deutschland" gegründeten SMD. Das SMD-Netzwerk ist Mitglied der Diakonie in der Evangelischen Kirche in Deutschland und arbeitet auf der Basis der theologisch konservativen Evangelischen Allianz.



Auszeichnungen

Kultur-Projekte für Geflüchtete erhalten Integrationspreis



Vier Initiativen haben für ihre außergewöhnlichen Projekte zur Integration von Geflüchteten im Bereich Musik, Kunst und Kultur den Niedersächsischen Integrationspreis erhalten. Die mit jeweils 6.000 Euro dotierten Preise gingen nach Angaben vom 23. Juni nach Osnabrück, Göttingen, Hannover und Osterode. Das Bündnis "Niedersachsen packt an", das sich für die Integration von Geflüchteten einsetzt, vergab zudem einen Sonderpreis ebenfalls in Höhe von 6.000 Euro.

Das Osnabrücker Projekt "Sprache und Kunst" des Bildungswerkes der Niedersächsischen Wirtschaft unterstützt geflüchtete Frauen dabei, innerhalb eines halben Jahres Deutsch zu lernen. Die evangelische Jugend des Kirchenkreises Harzer Land in Osterode hat 2018 den internationalen iChor initiiert, bei dem einheimische und geflüchtete Jugendliche durch gemeinsames Singen zusammenfinden.

Freies Theater und verbindende App

Das Göttinger "boat people projekt" setzt sich als freies Theater vor allem mit den Themen Flucht und Migration auseinandersetzt. Der Verein "Internationaler Kultureller Jugend-Austausch" aus Hannover hat eine App entwickelt, die in eine Virtual Reality-Welt führt. Dort soll durch Musik und Tanz der interkulturelle Austausch gefördert werden.

Der Sonderpreis des Bündnisses "Niedersachen packt an" ging an den Verein "teatro regio" aus Northeim. In Moringen inszenieren seit 2016 etwa 30 Bürgerinnen und Bürger in Kooperation mit dem "teatro regio" jährlich ein eigenes Theaterstück, wobei etwa ein Drittel der Beteiligten Geflüchtete sind.



Ehrenamt

Deutsche Stiftung für Engagement gegründet



Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt ist am 23. Juni von den Bundesministerinnen Franziska Giffey (Familie) und Julia Klöckner (Ernährung und Landwirtschaft) sowie dem Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Markus Kerber, im mecklenburgischen Neustrelitz gegründet worden. Mit der Stiftung sollen das vielfältige bürgerschaftliche Engagement und Ehrenamt von rund 30 Millionen Bürgern anerkannt und wertgeschätzt werden.

Zum ersten Mal gibt es damit auch eine bundesweite Anlaufstelle für ehrenamtlich und bürgerschaftlich Engagierte in Deutschland. Ab 2021 sind finanzielle Mittel in Höhe von bis zu jährlich 30 Millionen Euro für die Stiftung vorgesehen. Bereits im Juli sollen die Gründungsvorstände Katarina Peranic und Jan Holze ihre Arbeit in Neustrelitz aufnehmen. Sie erhielten jetzt ihre Ernennungsurkunden.

Die Bundesstiftung soll insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Regionen die ehrenamtliche Arbeit fördern und vernetzen. Sie ist ein zentrales Ergebnis der Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse". Sitz der Stiftung ist die Stadt Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern.



Kirchen

"Woche der Diakonie" geht diesmal online



Die "Woche der Diakonie" startet in Baden-Württemberg am 27. und 28. Juni unter dem Motto "Menschen(s)kind". Die größte Spendensammlung der Diakonie Baden werde trotz Corona stattfinden, teilte das Diakonische Werk Baden am 24. Juni in Karlsruhe mit. Auch das Diakonische Werk Württemberg hält am Aktionszeitraum fest. Die Informationen, die es sonst bei Vor-Ort-Veranstaltungen gibt, werden online gestellt.

Die "Woche der Diakonie" fördere besonders Initiativen, die dringend auf Spenden angewiesen sind und ohne sie nicht umzusetzen wären. Jedes Jahr werde in den evangelischen Kirchengemeinden in Baden rund eine halbe Million Euro dafür gesammelt, erläuterte der badische Diakonie-Pressesprecher Christian Könemann.

Geplante Eröffnung entfällt

Diesmal falle die traditionelle Eröffnung, die in Bad Krozingen geplant war, aus. Den Kirchengemeinden in Baden wurde freigestellt, wann sie für die Aktion Spenden sammeln wollen. Aber: "Es ist wichtig, dass wir an der Spendenaktion gerade auch in diesem Jahr festhalten", sagte Volker Erbacher, bei der Diakonie Baden für die Spendenaktion verantwortlich. "Die Folgen der Corona-Pandemie machen den Alltag für Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, noch schwerer", sagte er.

Der württembergische Diakoniechef Oberkirchenrat Dieter Kaufmann verwies darauf, dass das diesjährige Motto Lob und Entrüstung einschließe: als "Menschenskind, wie Sie das alles hinbekommen!", oder als "Menschenskind, warum ist das Bundesteilhabegesetz so kompliziert?". Das Thema werde er auch aufnehmen in einer im Internet übertragenen Andacht, die statt des eigentlich geplanten Eröffnungsfests in Großbottwar (Landkreis Ludwigsburg) veröffentlicht wird.




sozial-Recht

Landessozialgericht

Geringere Asylleistungen nach Kirchenasyl strittig




Iranische Flüchtlinge in einem Kirchenasyl in Essen (Archivbild)
epd-bild/Stefan Arend
Flieht ein Flüchtling vor Abschiebung in ein Kirchenasyl, muss er mit geringeren Sozialleistungen rechnen. Die Sozialgerichte liegen aber im Streit, ob solch ein Verhalten "rechtsmissbräuchlich" ist - mit der Folge, dass kein voller Sozialhilfesatz beansprucht werden kann.

Die Sozialgerichte sind sich uneins, ob Flüchtlinge wegen eines Kirchasyls nur niedrigere Asylbewerberleistungen erhalten können. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in München bewertet in einem am 19. Juni veröffentlichten Urteil die Flucht vor Abschiebung in ein sogenanntes "offenes Kirchenasyl" als "rechtsmissbräuchlich", so dass keine Asylbewerberleistungen in voller Höhe der Sozialhilfe beansprucht werden dürfen. Das Hessische LSG in Darmstadt sprach in einem am 22. Juni bekanntgegebenen Beschluss dagegen einem Flüchtling Asylbewerberleistungen in Höhe der Sozialhilfe zu. Dessen Kirchasyl sei nicht "rechtsmissbräuchlich" gewesen, weil die Behörden über den Aufenthaltsort des abzuschiebenden Flüchtlings Bescheid wussten.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen erhalten Flüchtlinge zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums zunächst sogenannte Grundleistungen. Diese werden weitgehend als Sachleistungen gewährt und fallen deutlich geringer aus als die Sozialhilfe und hängen auch von der Art der Unterbringung ab. Nach einer Aufenthaltsdauer von mehr als 18 Monaten (bis zum 21. August 2019 waren es 15 Monate) können jedoch sogenannte Analogleistungen beansprucht werden.

Diese entsprechen in etwa dem Sozialhilfesatz in Höhe von derzeit monatlich 432 Euro. Voraussetzung für den Erhalt ist allerdings, dass der Flüchtling seine Aufenthaltsdauer nicht "rechtsmissbräuchlich" beeinflusst hat.

Im Streitfall vor dem LSG München ging es um eine Frau aus Äthiopien, die über Italien nach Deutschland einreiste. Während ihres zweimonatigen Aufenthaltes in Italien hatte sie einen Asylantrag gestellt. Sie lebte dort nach eigenen Angaben auf der Straße und erhielt keinerlei materielle Unterstützung.

Erster Asylantrag in Italien

In Deutschland wurde ihr erneuter Asylantrag abgelehnt, weil sie bereits in Italien Schutz gefunden habe. Noch vor ihrer Abschiebung flüchtete sie in ein offenes Kirchenasyl einer evangelisch-lutherischen Gemeinde. Der Pfarrer teilte den Behörden den Aufenthalt der Frau mit. Diese lehnte eine Rückkehr nach Italien ab und verwies auf ihre zwischenzeitlich festgestellte schwere Diabetes-Erkrankung. Eine Abschiebung würde zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, lautete ihre Begründung.

Als die Rücküberstellungsfrist nach Italien abgelaufen war, war nun Deutschland für ihren Asylantrag zuständig. Die Frau verließ daraufhin ihr Kirchenasyl. Nach einem Aufenthalt im Bundesgebiet von mehr als 15 Monaten beantragte sie Analogleistungen entsprechend der Sozialhilfe.

Das LSG München lehnte das ab. Die Frau habe mit ihrem Kirchenasyl ihren Aufenthalt in Deutschland "rechtsmissbräuchlich" beeinflusst. Sie habe sich mit dem Kirchenasyl der verpflichtenden Rücküberstellung nach Italien entzogen. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) 2008 hohe Anforderungen für rechtsmissbräuchliches Verhalten gestellt. So müsse eine Pflichtverletzung von erheblichem Gewicht und gleichzeitig ein unentschuldbares Verhalten vorliegen (AZ: B 8/9b AY 1/07 R). Nach mehreren Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes reiche es nun aber für einen Rechtsmissbrauch aus, dass der Ausländer seine ausländerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommt, befanden die Richter.

Überstellung aktiv entzogen

Hier habe sich die Klägerin mit dem Kirchenasyl der Überstellung nach Italien entzogen. Dass die Behörden von ihrem Aufenthalt wussten, spiele keine Rolle. Denn letztlich sei das Verhalten der Klägerin maßgeblich und nicht das der Behörden, die das Kirchenasyl beachtet haben. Das Gericht ließ die Revision zum BSG in Kassel zu.

Das LSG Darmstadt sieht in dem Gang in ein offenes Kirchenasyls dagegen keinen Rechtsmissbrauch. Auch hier hatte ein Flüchtling in einer Frankfurter Kirchengemeinde Kirchenasyl erhalten. Die Behörden wurden ebenfalls über den Aufenthaltsort informiert.

Mann gilt nicht als untergetaucht

Trotz des Kirchenasyls stünden dem Flüchtling aber Analogleistungen entsprechend der Sozialhilfe zu, so die Darmstädter Richter. Denn sowohl die Verwaltungsbehörden als auch die Bundesregierung würden das Kirchenasyl respektieren und keine Abschiebung aus den kirchlichen Räumen durchsetzen. Hier sei der Ausländerbehörde das Kirchenasyl des Mannes bekannt gewesen. Als untergetaucht gelte der Flüchtling daher nicht.

Verzichte aber der Staat darauf, die Ausreisepflicht durchzusetzen, könne das nicht dem Ausländer angelastet werden. Es wäre widersprüchlich, das Kirchenasyl bei dem Ausländer zu tolerieren und gleichzeitig ihm Rechtsmissbrauch vorzuwerfen.

Az.: L 19 AY 38/18 (LSG München)

Az.: L 4 AY 5/20 B ER (LSG Darmstadt)

Frank Leth


Bundessozialgericht

Meist kein Unfallschutz bei Gaststättenbesuch während einer Reha



Beschäftigte stehen während einer Reha nicht rund um die Uhr unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Auch wenn Ärzte einer psychisch kranken Frau die Pflege sozialer Kontakte empfohlen haben, deckt damit die Unfallversicherung nicht einen abendlichen Gaststättenbesuch ab, urteilte am 23. Juni das Bundessozialgericht (BSG). Hierfür müsse vielmehr der konkrete Gaststättenbesuch ärztlich angeordnet oder empfohlen werden oder zumindest im Therapieplan enthalten sein, entschieden die Kasseler Richter.

Im Streitfall war die aus Baden-Württemberg stammende Klägerin wegen einer "Anpassungsstörung" für eine Reha-Maßnahme in einer psychosomatischen Klinik. Während der Reha empfahlen ihr die Ärzte, mehr an die frische Luft zu gehen und soziale Kontakte zu pflegen.

Verletzte Hand nach Sturz

Als ein Teilnehmer ihrer Therapiegruppe vorschlug, mit mehreren Personen abends in einer Gaststätte zu gehen, nahm auch die Klägerin daran teil. Auf dem Rückweg stürzte sie und verletzte sich an einer Hand. Den Unfall wollte sie als Arbeitsunfall anerkannt haben und verwies darauf, dass Versicherte während einer stationären oder teilstationären Reha unter Versicherungsschutz stehen. Ihre Ärzte hätten ihr insbesondere die Pflege sozialer Kontakte als Reha-Ziel empfohlen. Sie habe sich daher gedrängt gefühlt, an dem Gaststättenbesuch teilzunehmen.

Doch das BSG urteilte, dass kein Arbeitsunfall vorlag. Zwar bestehe grundsätzlich auch bei einer Reha Unfallschutz. Dies gelte jedoch nicht rund um die Uhr. Allgemeine Empfehlungen der behandelnden Ärzte - hier die Pflege sozialer Kontakte - reichten für einen Versicherungsschutz nicht aus. Vielmehr müsse der Gaststättenbesuch konkret von den Ärzten angeordnet oder empfohlen werden. Hier war der Besuch aber weder im Therapieplan enthalten, noch sollte dieser Gegenstand einer Therapiesitzung sein, erklärte das BSG.

Az.: B 2 U 12/18 R



Landessozialgericht

Kein gemeinsames Wirtschaften bei alleinstehenden Flüchtlingen



Bei der gesetzlichen Absenkung von Asylbewerberleistungen für alleinstehende Flüchtlinge in einer Gemeinschaftsunterkunft bestehen "erhebliche Zweifel gegen die Verfassungsmäßigkeit". Wie das Landessozialgericht (LSG) Mecklenburg-Vorpommern in Neustrelitz in einem am 18. Juni bekanntgegebenen Beschluss klarstellte, gibt es keine Belege dafür, dass die betroffenen Flüchtlinge in der Unterkunft "gemeinsam wirtschaften" und daher mit geringeren Leistungen auskommen können.

Der Gesetzgeber hatte für alleinstehende Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften ab 1. September 2019 eine neue Bedarfsstufe mit abgesenkten Asylbewerberleistungen vorgesehen. Dem liegt die pauschale Annahme zugrunde, dass die Flüchtlinge in der Unterkunft mit anderen Asylbewerbern "gemeinsam wirtschaften" und daher Einspareffekte etwa beim Einkauf von Lebensmitteln erzielen.

Bezüge um zehn Prozent gekürzt

So erhielt der geduldete ägyptische Beschwerdeführer nur 90 Prozent der Bedarfsstufe 1 für Alleinstehende, weil er in einer Gemeinschaftsunterkunft im Landkreis Vorpommern-Greifswald wohnt.

Das LSG gab dem Eilantrag auf höhere Leistungen nun statt. Es gebe "erhebliche Zweifel", dass die neu geregelte Bedarfsstufe verfassungswidrig sei. Sie verstoße gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum und den allgemeinen Gleichheitssatz. Das Bundesverfassungsgericht habe mit Urteilen vom 18. Juli 2012 vorgeschrieben, dass der Gesetzgeber zu einer transparenten und bedarfsgerechten Bemessung der Leistungssätze und deren Fortschreibung verpflichtet ist.

Hier habe der Gesetzgeber jedoch pauschal angenommen, dass alleinstehende Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen ähnlich wie Paare "gemeinsam aus einem Topf wirtschaften". Wegen der Einspareffekte könne daher von einem niedrigeren Bedarfssatz ausgegangen werden.

Caritas: Lebensfremde Sicht

Doch wie bereits eine Stellungnahme des Deutschen Caritasverbandes zeigt, sei ein derartiges Wirtschaften "aus einem Topf" lebensfremd. "Auch dem Senat erscheint nicht nachvollziehbar, warum Fremde, oftmals aus unterschiedlichen Herkunftsregionen und Kulturkreisen, ähnlich wie Paare gemeinsam wirtschaften sollten", heißt es in dem Beschluss. Das sei vom Landkreis auch nicht belegt worden.

Weil es sich um ein Eilverfahren handelte, musste das LSG trotz seiner verfassungsrechtlichen Zweifel das Verfahren nicht dem Bundesverfassungsgericht vorlegen. Das ist dem Hauptverfahren vorbehalten.

Az.: L 9 AY 22/19 B ER



Verwaltungsgericht

Beschränkung des Kindergartenbesuchs unverhältnismäßig



Das Verwaltungsgericht Regensburg hat den Eltern eines Kindergartenkindes Recht gegeben: Die Corona-bedingte Beschränkung des Kindergartenbesuchs bis 30. Juni durch das bayerische Gesundheitsministerium sei unverhältnismäßig, urteilte das Gericht am 17. Juni, wie es am 22. Juni mitteilte. Die Landesregierung will gegen das Urteil Beschwerde einreichen, teilte ein Sprecher des bayerischen Sozialministeriums auf Anfrage mit.

Vierjähriges Kind ausgeschlossen

Antragsteller in dem Verfahren waren die Eltern eines vierjährigen Kindes. Das Kind kann wegen der erlassenen Allgemeinverfügung aufgrund der Corona-Pandemie derzeit nicht in den Kindergarten. In dieser Verfügung seien zwar viele Ausnahmen vorgesehen, durch die etwa vier Fünftel der Kinder in den Kindertageseinrichtungen wieder betreut werden könnten. Beim Kind der Antragsteller liege jedoch keine der Ausnahmen vor.

Nach Auffassung des Gerichts ist die Corona-Pandemie zwar noch keinesfalls überstanden, Schutzmaßnahmen seien weiterhin erforderlich. Die Regelungen erscheinen aber angesichts der langen Dauer der Schließung und des gegenwärtigen Infektionsgeschehens "nicht mehr verhältnismäßig", urteilte das Gericht. Die Rechte des Kindes und seiner Eltern seien bei Erlass der Allgemeinverfügung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Auch weniger einschneidende Maßnahmen seien geeignet und derzeit auch ausreichend, um das Infektionsrisiko einzudämmen, hieß es.

Az.: RO 14 S 20.100




sozial-Köpfe

Diakonie

Christian von der Becke Geschäftsführer der Pfeifferschen Stiftungen




Christian von der Becke
epd-bild/Matthias Piekacz
Christian von der Becke, Diplom-Betriebswirt, führt seit dem 1. Juni die Geschäfte des Gesundheitsbereichs der Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg.

Als neuer Geschäftsführer im Gesundheitsbereich der Pfeifferschen Stiftungen ist Christian von der Becke seit 1. Juni für eine ganze Reihe von Einrichtungen verantwortlich: das Klinikum Pfeiffersche Stiftungen, die Lungenklinik Lostau, ein medizinisches Versorgungszentrum mit sechs Fachbereichen sowie ein medizinisches Zentrum für Erwachsene mit Behinderung.

Aufgewachsen im nordrhein-westfälischen Witten, studierte von der Becke Betriebswirtschaft. Seinen Berufsweg begann er in der Automobilbranche. Mittlerweile hat von der Becke 30 Jahre Erfahrung im Gesundheitswesen.

Zuletzt war er seit 2016 bei der Klinikum Nordfriesland gGmbH tätig, wurde aber im Februar dieses Jahres von seinen Aufgaben als Geschäftsführer freigestellt. Das hat der Aufsichtsrat des Unternehmens in seiner Sitzung am 19. Februar 2020 einstimmig beschlossen. Der Grund waren den Angaben nach unterschiedliche Vorstellungen über die Wahrnehmung seiner Aufgaben als Geschäftsführer.

Von der Becke, der für den Job von Nordfriesland nach Magdeburg zog, sieht sich nicht als der typische Geschäftsführer im Gesundheitsbereich. Er verstehe sich mehr als Dienstleister für alle Bereiche, die in seiner Verantwortung liegen.



Weitere Personalien



Anna Parr wird Ende September neue Generalsekretärin der Caritas Österreich. Sie ist die erste Frau in diesem Amt. Parr folgt auf Bernd Wachter, der nach über zehn Jahren im Amt den Posten auf eigenen Wunsch verlassen will. Parr ist seit 2012 Mitglied der Geschäftsleitung der Vinzenz Gruppe, einer der größten privaten Träger von gemeinnützigen Gesundheitseinrichtungen in Österreich. Davor war die studierte Volkswirtin Verwaltungsdirektorin im Krankenhaus Göttlicher Heiland und Geschäftsführerin der Pflegehäuser der Vinzenz Gruppe.

Jürgen Richter, ehemaliger Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt, ist vor Gericht mit seinem Anliegen gescheitert, seine fristlose Kündigung per Vergleich mit der AWO zu verhindern. Richters Fall, ein Skandal um Verschwendung und persönliche Bereicherung steht, wird nun am 21. Oktober vor dem Frankfurter Arbeitsgericht verhandelt. Ihm war Ende Januar wegen Korruptionsvorwürfen gekündigt worden. Richter hält die Kündigung aus formalen Gründen für unwirksam und fordert vom Sozialverband sein volles Gehalt bis Mitte 2022. Dabei soll es laut Medienberichten um insgesamt 750.000 Euro gehen. Petra Rossbrey, die Vorsitzende des Frankfurter AWO-Präsidiums, kündigte nach Ende der Verhandlung eine Pressekonferenz für Ende Juni an. Dann werde man den angerichteten Schaden für die Wohlfahrtsorganisation beziffern können.

Katja Glybowskaja, stellvertretende Vorsitzende des Regionalverbandes Mitte West, und Andreas Krauße, Geschäftsführer der AWO Saalfeld, sind zur Interimsgeschäftsführung der Thüringer AWO Alten-, Jugend- und Sozialhilfe gGmbH (AJS) bestellt worden. Zugleich berief die Gesellschafterversammlung die alte Geschäftsführung zum 30. Juni ab. Wolfgang Stadler, Vorstandsvorsitzender des AWO Bundesverbandes, begrüßte diesen Schritt und erklärte dazu, damit könne den Kundinnen und Kunden und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der AJS eine Perspektive gegeben werden, die sie auch verdienten. Der AWO Bundesverband werde den nunmehr stattfindenden Neuanfang der AJS beratend begleiten. In der AJS waren überhöhte Gehälter und teure Dienstwagen bekanntgeworden.

Michael Löhr (46), Pflegewissenschaftler und Professor, wird Pflegedirektor im Klinikum Gütersloh des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Er tritt die Nachfolge von von Rita Elpers an, die aus dem aktiven Dienst ausgeschieden ist. Löhr arbeitet im LWL-Klinikum Gütersloh als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung. Er ist zugleich Mitarbeiter der LWL-Abteilung für Krankenhäuser und Gesundheitswesen beim LWL-PsychiatrieVerbund Westfalen in Münster. Der gebürtige Lüdenscheider begann seine berufliche Laufbahn als Krankenpfleger. Nach einem berufsbegleitendem Studiengang für Pflege- und Gesundheitsmanagment und der Promotion im Fachgebiet Pflege- und Gesundheitsmanagement wurde Löhr 2008 Professor für Psychiatrische Pflege an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld.

Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, hat die Schirmherrschaft für die Stiftung Gute-Tat übernommen, die sich seit 20 Jahren für die Vermittlung von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern einsetzt. Er tritt die Nachfolge seines Vorgängers im Bischofsamt, Markus Dröge, an, der bis Ende letzten Jahres Schirmherr der Stiftung war. Die Stiftung führt nach eigenen Angaben immer mehr Menschen an ein Ehrenamt heran. Inzwischen haben sich über 25.000 Freiwillige dem Netzwerk angeschlossen.

Alexander Künzel (64) bleibt für weitere vier Jahre Vorsitzender des Kuratoriums der Herrnhuter Diakonie. Das Aufsichtsorgan der traditionsreichen Stiftung wählte ihn einstimmig. Künzel gehört dem ehrenamtlichen Gremium seit 1998 an und ist seit 2009 dessen Vorsitzender. Im Hauptamt ist er Senior-Vorstand der Bremer Heimstiftung. Die Herrnhuter Diakonie ist eine gemeinnützige Stiftung der Ev. Brüder-Unität - Herrnhuter Brüdergemeine. In den Bereichen Altenhilfe, Behindertenhilfe, Bildung, Kinder- und Jugendhilfe sowie Hospiz- und Palliativarbeit ist sie an fünf Standorten in Sachsen und Sachsen-Anhalt tätig.

Botond Roska (50), ungarischer Mediziner, erhält den mit einer Million Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft 2020. Roska habe sich zum Ziel gesetzt, Erblindeten das Augenlicht zurückzugeben, teilte die Körber-Stiftung am 23. Juni in Hamburg mit. Er habe mit seiner Arbeit die Augenheilkunde revolutioniert und zähle zu den weltweit führenden Experten für die Erforschung des Sehens und der Netzhaut. Roska musste eine geplante Musikerkarriere als Cellist wegen einer Verletzung aufgeben und absolvierte ein Medizin- und Mathematikstudium. Er promovierte als Neurobiologe in Berkeley (USA) und forschte auf den Gebieten der Genetik und der Virologie in Harvard. Von 2005 bis 2017 leitete Roska eine Forschungsgruppe am privaten Friedrich Miescher Institut für biomedizinische Forschung in Basel. Gemeinsam mit Professor Hendrik Scholl wurde er im Dezember 2017 Gründungsdirektor des Instituts für Molekulare und Klinische Ophthalmologie Basel (IOB).

Sandra Stöhr (42) übernimmt am 1. Oktober die Geschäftsführung des diakonischen Epilepsiezentrums Kleinwachau in Radeberg. Die gebürtige Leipzigerin folgt auf Martin Wallmann (65), der in den Ruhestand geht. Stöhr studierte Betriebswirtschaft an der Technischen Universität Dresden. Sie ist seit mehr als zehn Jahren Kaufmännische Leiterin im Epilepsiezentrum, das über 500 Beschäftigte zählt. Neben der Fachklinik für Neurologie, einer Förderschule, einer Kindertagesstätte und einer Werkstatt für behinderte Menschen gehören Wohnangebote sowie ein Medizinisches Versorgungszentrum in Dresden zum Träger.




sozial-Termine

Veranstaltungen bis August



Wir haben Tagungen, Seminare, Workshops und Webinare aufgelistet, die ab Juni geplant sind. Wegen der Corona-Epidemie sagen Veranstalter allerdings Termine auch kurzfristig ab. Wir bitten unsere Leserinnen und Leser, dies zu beachten.

Juli

1.-3.7. Freiburg:

Fortbildung "Lassen Sie uns mal emotional werden …! - Gefühle als Signalgeber für die Arbeit"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001801

9.7. München:

Seminar "Die Herausforderungen des Wandels in den sozialen Märkten"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 0711/25298921

20.-22.7. Freiburg:

Seminar "Case Management im Migrationsdienst der Caritas"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-0

August

11.8. Berlin:

Online-Seminar "Menschenhandel im Kontext von Flucht - Eine Einführung in das Phänomen Menschenhandel und die Auswirkungen für die Beratungspraxis"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-0

14.8. Berlin:

Seminar "Personal-, Personalentwicklungs- und Kritikgespräche erfolgreich führen"

der Paritätischen Akademie Berlin

Tel.: 030/275 82 82-27

17.-18.8. Berlin:

Basisseminar "Führung und Kommunikation"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356.159

17.-21.8. Berlin:

Seminar "Integrierte Schuldnerberatung in Sucht- und Straffälligenhilfe, Sozialberatung und Betreuung"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/48837-388

19.-20.8. Hamburg:

Seminar " Team entwickeln, einschätzen und kopetent begleiten. Wie Sie als Führungskraft gemeinsam mit Ihrem Team Ziele erreichen"

der Paritätischen Akademie Nord

Tel.: 040/415201-66

24.-27.8.: Remagen-Rolandseck:

Seminar "Familiennachzug von Geflüchteten"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-0

27.-30.8. Remagen-Rolandseck:

Seminar "Freiwilliges Engagement in der Suchthilfe - Beratung und Unterstützung von Verantwortlichen in der Selbsthilfe"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-0

31.8.-2.9. Freiburg:

Seminar "Case-Management im Migrationsdienst der Caritas - Grundlagen"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/2001700