sozial-Branche

Corona

Gastbeitrag

Öffnung der Altenheime: Suche nach dem richtigen Weg




Anne Eckert und Natalie Albert (re.)
epd-bild/Caritas Münster
Die Leitungen von Altenheimen sind nicht zu beneiden. Sie tragen die Verantwortung für die Besuchsregelungen in den Einrichtungen - und auch, wenn das Virus sich dort verbreiten sollte. Wie die Träger Besuche wieder ermöglichen und wo dabei die Fallstricke liegen, beschreiben Anne Eckert und Natalie Albert von der Caritas in Münster in ihrem Gastbeitrag.

Es ist ein gefühlter Tanz auf der Rasierklinge: Die Entscheidung darüber, wie eine Einrichtung der Altenhilfe mit Besuchen im Rahmen der jeweiligen Coronaschutzverordnung des Landes umgeht.

Mit ständig neuen und wieder veränderten und teils in der Praxis nicht umsetzbaren Verordnungen, Erlassen und Regelungen wurden die Einrichtungen der stationären Altenhilfe seit Anfang März konfrontiert. Vor gut sechs Wochen wurde in Nordrhein-Westfalen mit einer kurzfristigen "Verordnung zur Änderung von Rechtsverordnungen zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2" die Öffnung der Altenhilfeeinrichtungen für Besucher angekündigt.

Festgelegt wurde:

1. Maximal ein Besuch pro Tag

2. Kurzscreening für Besucher

3. Information über und Befolgung der Hygieneregeln

4. Händehygiene vor und nach dem Besuchskontakt

5. Abstand von mindestens 1,5 Metern

6. Besuche finden nur in besonderen Besucherbereichen außerhalb oder separiert innerhalb des Gebäudes statt

7. Ein Besuchsregister wird geführt

8. Besuche unterbleiben, wenn in der Einrichtung bei Bewohnern oder Beschäftigten eine COVID-19-Infektion festgestellt wurde

Auch wenn die 205 Altenhilfeeinrichtungen im Bistum Münster jetzt einen individuellen Weg gefunden haben: ausgestanden ist dieser innere und "äußere" Kampf damit nicht.

Eigene Besuchkonzepte gab es schon

Schon vor der ministeriell angeordneten Öffnung haben die Heime eigene Besuchskonzepte implementiert. Je nach den örtlichen Gegebenheiten und den bislang mit Corona gemachten Erfahrungen fallen und fielen diese recht unterschiedlich aus. Die Besucherkonzepte wurden jeweils mit den örtlichen Heimaufsichten abgestimmt.

Neben den Landesverordnungen zu den Besucherregelungen stehen die Einrichtungen vor verschiedenen Herausforderungen, um die Besuche unter Beachtung der RKI-Empfehlungen vorzubereiten und zu begleiten:

• Wünsche der Bewohner und der Angehörigen: hier gilt es, klar und transparent zu kommunizieren und eine angemessene Länge und Taktung der Besuchszeiten anzubieten.

• Personelle Möglichkeiten: Leitung, Pflege und Betreuung können nicht ohne Pause im Dienst sein.

• Materielle Ressourcen wie Mund-Nase-Masken sind von Angehörigen selbst mitzubringen, Trennwände müssen installiert werden.

• Umsetzung des Kurzscreenings inklusive bestätigender Unterschrift der Angehörigen: hierzu gehört auch die Aufklärung und Unterstützung bei der Umsetzung der Händehygiene, des Abstands und gegebenenfalls weiterer individueller Aspekte.

Sollen bettlägerige Bewohner besucht werden, nutzen einige Einrichtungen bei Erdgeschosslage auch mal den direkten Weg ins Bewohnerzimmer – über ein ebenerdiges Fenster. So können unnötige Wege durch die Einrichtung und somit Infektionsrisiken vermieden werden.

Höfe und Gärten werden genutzt

In größeren Innenhöfen mit guter Übersicht können dabei beispielsweise bis zu acht Besuchertische zentral durch einen Mitarbeiter betreut werden, der die Gäste bei der Einhaltung der Hygieneregeln unterstützt. Kleinteiligere Außenanlagen oder verwinkelt angelegte Gebäudeteile sind entsprechend schwieriger im Auge zu behalten. Hier bieten sich dafür jedoch oft noch Möglichkeiten, Sitzgelegenheiten beiderseits des Gartenzauns zu stellen.

Vermutlich gibt so viele Konzepte, wie es Einrichtungen gibt. Alle nutzen die allgemeingültigen Kriterien, setzen diese aber mit viel Individualität und Engagement um.

Einige Einrichtungsleitungen möchten nach wie vor keine Besucher ins Haus lassen und nutzen weiterhin die Besucherfenster und Videochats, um Kontakte zu ermöglichen.

Ein Restrisiko bleibt immer

Weil die Coronaschutzverordnung auch Spaziergänge mit Angehörigen erlaubt, bleibt immer ein Restrisiko. Diese Ambivalenz gilt es auszuhalten: Einerseits müssen Angehörige bei Besuchen Kurzscreenings ausfüllen, Desinfektionsmaßnahmen durchführen, Abstand halten und auf Umarmungen verzichten, andererseits ist bei nicht compliance-fähigen Bewohnern und Angehörigen das Risiko durch einen Spaziergang und etwa einem Besuch in der nahen Eisdiele hoch – und die ersteren Maßnahmen werden eventuell ad absurdum geführt.

In 33 der 205 Einrichtungen im Bistum Münster gab es Covid-19-Infektionen. In acht Einrichtungen starb mindestens ein Bewohner, in einer Einrichtung starben zehn Bewohner. Es ist bei gleichen Schutzmaßnahmen nach wie vor nicht klar, wie sich Infektionen in den jeweiligen Einrichtungen ausbreiten konnten. Wenn ein Corona-positiver Test vorliegt, ist ein aufwendiges Krisenmanagement mit Isolation, Schleusen und Kommunikation notwendig. Und immer steht in der Coronaschutzverordnung: die Einrichtungsleitung hat die Verantwortung.

Durch die insgesamt zurückgehende Infektionszahl in Deutschland schwinden auch das Verständnis und die Geduld von Angehörigen für begrenzte Besuche. Hier gilt es um Verständnis zu werben und vernünftige Vereinbarungen zu treffen. Nicht einfach, wenn es in der Coronaschutzverordnung heißt: Verantwortung trägt die Einrichtungsleitung – eben auch wenn ein Infektionsgeschehen eintritt. Wer stellt sich dann vor die Einrichtungsleitung?

Es wird keine 100prozentige Sicherheit geben. Auch zielgerichtete Besuchsregelungen für Menschen in Pflegeeinrichtungen, die die Krankheit schon durchlaufen haben, sind derzeit kaum umzusetzen. Hintergrund ist die nach wie vor nicht 100-prozentige Sensitivität bisheriger Antikörpertests. Auch bleibt die Frage offen, ob bereits Erkrankte tatsächlich immun sind und wie lange und ob sie auch nach Symptomfreiheit noch ansteckend sind. Daher lassen sich noch keine belastbaren Schlussfolgerungen für Besucherregelungen ableiten.

Fest steht: Eine Abschottung in Einrichtungen der Altenhilfe ist nicht möglich und auch nicht wünschenswert. Vielleicht ist eine komplette Öffnung möglich, wenn irgendwann ein Impfstoff vorhanden ist. Bis dahin ist es entscheidend, Symptomkontrollen bei den Bewohner durchzuführen und sie gut zu beobachten. Bei auftretender Symptomatik gilt es dann, schnellstmöglich zu testen und Infizierte zu isolieren.

Weiterhin ist es wichtig, gut und klar mit den Angehörigen zu kommunizieren, auf Risiken und Verantwortlichkeiten hinzuweisen und um verantwortliche Mitarbeit zu bitten.

Bei aller Kreativität und Energie, die die Einrichtungen jetzt aufbringen, um Besuche zu ermöglichen, muss klar sein, dass zum Schutz der Bewohner und Mitarbeitenden flächendeckende Tests in Altenheimen erforderlich sind. Nur so kann unmittelbar reagiert und einzelne Bewohner quarantänisiert werden, um eine potenzielle Ausbreitung im gesamten Haus zu verhindern. Hierfür ist erforderlich, dass endlich zügig, klar und einheitlich die Finanzierung der Tests geregelt werden.

Anne Eckert und Natalie Albert arbeiten im Referat Altenhilfe Caritasverband für die Diözese Münster, Facharbeit und Sozialpolitik stationäre Pflege.