Kirchen

Präses-Kandidatin Ruck-Schröder: Kirche muss Orientierung geben




Adelheid Ruck-Schröder
epd-bild/Jens Schulze
Die 58-jährige Theologin Adelheid Ruck-Schröder steht am 29. März als einzige Kandidatin zur Wahl als neue Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Bielefeld (epd). Im Fall ihrer Wahl will die bisherige Regionalbischöfin des Sprengels Hildesheim-Göttingen der hannoverschen Landeskirche die nötigen Reformen in der westfälischen Kirche mit voranbringen, die insbesondere ihren Haushalt sanieren muss. In der Gesellschaft sieht es Ruck-Schröder als Aufgabe der Kirche an, Orientierung für das Zusammenleben zu geben und sich für Nächstenliebe und den Schutz von Schwachen einzusetzen.

epd: Sie wollen leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen werden. Was reizt Sie am Präses-Amt und welche Themen wollen Sie angehen, wenn Sie gewählt werden?

Adelheid Ruck-Schröder: Die westfälische Kirche hat starke Ressourcen, aber sie ist in schweres Fahrwasser geraten - finanziell und auch im Blick auf die lange Vakanz des Präses-Amtes. In dieser Situation geht sie mit großer Zuversicht und Entschlossenheit nötige Reformen an. Es reizt mich, diesen Prozess zu begleiten. Alle Kirchen müssen sich der Tatsache stellen, dass sie zahlenmäßig kleiner werden. Die Herausforderung ist, als Kirche trotzdem präsent und anschlussfähig zu bleiben und die Kommunikation des Evangeliums in neuen, zeitgemäßen Formen zu gestalten. Die Gestalt der Kirche wird sich stark verändern. Eine flächendeckende Versorgung mit genauso viel Personal wie heute wird es nicht mehr geben.

epd: Wie stellen Sie sich die westfälische Kirche in zehn Jahren vor?

Ruck-Schröder: Ich glaube, es wird mehr Inseln des Gelingens geben, exemplarische Orte kirchlichen Lebens. Wir werden damit leben müssen, dass wir nicht überall gleich ausgestattet sind: Neben Gemeinden und Orten mit viel Energie und Ausstrahlung kann es Orte geben, an denen sich nur wenige Menschen treffen. Viele Gemeinden werden sich profilieren: Manche sind stärker diakonisch geprägt, andere eher kirchenmusikalisch.

epd: Wo sehen Sie neben der Haushaltskonsolidierung die größten Herausforderungen?

Ruck-Schröder: Eine zentrale Herausforderung wird sein, weiterhin Menschen zu gewinnen und zu motivieren, die hauptberuflich oder ehrenamtlich in der Kirche arbeiten. Für was beauftragen wir Menschen? Wie sind wir attraktiv für Leute, die als Pfarrer, Religionslehrerin, Sozialarbeiter oder Kirchenmusikerin bei uns arbeiten sollen und das Gefühl haben sollen, dass ihre Arbeit sich lohnt?

epd: Einige Landeskirchen wollen Pfarrpersonen künftig nicht mehr verbeamten. Wie stehen Sie dazu?

Ruck-Schröder: Die Frage öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse ist eigentlich ein Thema der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das sollten wir als Landeskirchen gemeinsam entscheiden, auch wenn jetzt manche vorpreschen. Zunächst wäre zu fragen, welches Problem wir lösen wollen. Wenn es um die Kosten geht, würde man mit der Abschaffung der Beihilfe für die Gesundheitskosten im Ruhestand schon sehr viel sparen. Wenn es darum geht, als Kirche nicht mehr staatsanalog organisiert zu sein, geht es um flexible Formen der Beschäftigung ohne Beamtenstatus, die attraktiv für den theologischen Nachwuchs und zugleich finanzierbar sind.

epd: Ein Argument für einen Ausstieg aus der Verbeamtung sind die Rechtsverpflichtungen in Millionenhöhe, die man für künftige Generationen eingeht.

Ruck-Schröder: Ziel sollte deshalb sein, ein attraktives Berufsbild zu bieten, aber keine Verpflichtungen einzugehen, die wir nicht erfüllen können. Am Beamtenstatus hängt nicht die Seligkeit, dieses Modell ist weltweit einzigartig und letztlich zweitrangig. Über alternative Formen denken wir übrigens auch im Blick auf den Körperschaftsstatus der Kirchengemeinden nach. Ein Rechtsrahmen, der lange Zeit gut war, überfordert heute möglicherweise viele Gemeinden.

epd: Sie haben mal gesagt, es solle künftig weniger Pastorenkirche und mehr Beteiligungskirche geben. Was meinen Sie damit?

Ruck-Schröder: Der Pfarrberuf wird gebraucht, weil er durch das Theologiestudium Zugang zu Quellen schafft, die wir für die heutige Zeit übersetzen müssen. Über Jahrzehnte gab es aber eine starke Fixierung aufs Pfarramt, dem andere Berufe untergeordnet wurden. Heute müssen wir stärker interprofessionell denken. Zur Beteiligung gehört zudem das Ehrenamt. Letztlich geht es darum, wie sich möglichst viele Menschen an der Kommunikation des Evangeliums beteiligen und selbstständig denken, selbstständig glauben und miteinander Christsein gestalten können.

epd: Zum Thema Reformen: Was ist nötig für die Kirche der Zukunft?

Ruck-Schröder: Vor allem müssen wir unser Mindset grundlegend ändern. Weniger als 50 Prozent der Menschen gehören einer der beiden großen Kirchen an, wir sind keine Volkskirche mehr. Deshalb sind Sparmaßnahmen und effizientere Strukturen nötig. Das ist auch ein geistiger und ein geistlicher Prozess: Auch als kleinere Kirche können wir als signifikante Größe eine klare Stimme in der Gesellschaft sein. Wir bleiben Kirche auf gutem Grund und mit gleich großem Auftrag. Es gilt zu fragen: Was heißt heute Christsein gestalten und Evangelium in der Gesellschaft leben?

epd: Was ist Ihnen am Glauben persönlich wichtig?

Ruck-Schröder: Mir gibt der Glaube Vertrauen, Zuversicht und Lebensmut. Mir wird zugetraut, in der Welt etwas beizutragen. Kirche sollte ein Ort sein, an dem Menschen gute Erfahrungen machen und sich verändern können.

epd: Viele Menschen haben Vertrauen in die Kirche verloren, weil ihnen durch sexualisierte Gewalt Mut und Zuversicht geraubt wurden. Wie kann dieses Vertrauen zurückgewonnen werden?

Ruck-Schröder: Zunächst müssen wir hören, wahrnehmen und aushalten, dass in der evangelischen Kirche Missbrauch stattgefunden hat und vermutlich auch gegenwärtig stattfindet. Vertrauen können wir nicht paternalistisch zurückgewinnen wollen. Wir können aber gemeinsam mit Betroffenen Standards für Aufarbeitung, Prävention und Anerkennungsleistungen erarbeiten. Es ist gut, dass es Beteiligungsforen gibt.

epd: Bei welchen Themen sollte sich die Kirche in der Gesellschaft einmischen?

Ruck-Schröder: Manche Themen werden uns vor die Füße gelegt, zum Beispiel das Thema Migration im Bundestagswahlkampf. Es ist eine Pflicht der christlichen Kirche, zu sagen, dass Migration nicht die Mutter aller Übel ist. Hier geht es um unsere christlich-jüdischen Überzeugungen. In der Bibel geht es ständig um Migration, um Nächstenliebe, Zusammenhalt und Respekt vor dem anderen. Jesus selbst war ein Flüchtlingskind. Der Schutz von Witwen, Waisen und Fremden ist eine biblische Grundforderung. Auch für die Wahrheit sollen wir unsere Stimme erheben - zum Beispiel bei Fake News oder wenn im Ukrainekrieg Täter und Opfer verkehrt werden.

  • epd: Nach der US-Wahl und angesichts von Konflikten, Krisen und wachsendem Extremismus gibt es in der Gesellschaft viel Angst und Verunsicherung. Was kann hier die Rolle von Kirche sein?*

Ruck-Schröder: Wir können dazu beitragen, Lügen zu dechiffrieren, und Orientierung für das Zusammenleben geben. Wenn US-Präsident Donald Trump Entwicklungshilfe streicht und sagt, wir seien eine Ellbogengesellschaft und es gehe nur um einen Deal, dann sagen wir als Kirche: Nein, es geht auch um Zusammenhalt und den Schutz von Schwachen. Es ist eine Christenpflicht und eine Grundidee des christlichen Glaubens, Schwächeren zu helfen.

epd: Mit Blick auf den Ukrainekrieg und die künftige Sicherheit Europas ist in Deutschland ein Sondervermögen in dreistelliger Milliardenhöhe geplant, die Auftragsbücher von Rüstungskonzernen sind voll. Was lässt sich dazu vor dem Hintergrund einer evangelischen Friedensethik sagen?

Ruck-Schröder: Aus biblischer Sicht gehören Frieden und Gerechtigkeit zusammen. Deshalb bin ich der Meinung, dass sich ein Land wehren darf, das überfallen wird. Als Kirche nehmen wir Szenarien eines möglichen Friedens in den Blick: Wir fragen, wie in dieser Region Frieden ermöglicht werden kann. Das geht letztlich nur über Verhandlungen, bei denen die Konfliktparteien am Tisch sitzen und Kompromisse aushandeln. Zum Szenario eines gerechten Friedens gehört aber nach meinem Verständnis auch militärische Hilfe für das angegriffene Land.

epd: Sie beschäftigten sich schon seit Ihrem Studium intensiv mit dem Judentum und christlich-jüdischer Zusammenarbeit. Wie blicken Sie auf den israelisch-palästinensischen Konflikt?

Ruck-Schröder: Mit ganz viel Sorge. Die Gewalt ist eine Katastrophe, sie hat viel Hass und Feindschaft in den Herzen der Menschen ausgelöst. Das Leid auf beiden Seiten ist für uns eine Zerreißprobe, und ein Weg zur Versöhnung scheint unermesslich lang und schwer. In der Debatte dürfen wir aber nicht vergessen, dass es der Überfall der Hamas auf Israel war, der die Gewalt ausgelöst und Israel retraumatisiert hat. Unsere Aufgabe als Kirche ist, hier in Deutschland den Dialog und positive Begegnung zu ermöglichen, zum Beispiel in runden Tischen der Religionen. Und wir müssen dem gewachsenen Antisemitismus und einer strukturellen Israelfeindschaft entgegentreten.

epd-Gespräch: Ingo Lehnick


Evangelische Kirche: Durchbruch bei Zahlungen für Missbrauchsopfer




Themenfoto Missbrauch in der Kirche
epd-bild/Heike Lyding
Betroffene mussten sich gedulden, aber nun ist die evangelische Kirche bei den Anerkennungsleistungen einen Schritt weiter: Ab dem nächsten Jahr soll in allen Landeskirchen und in der Diakonie ein neues, einheitliches Verfahren gelten.

Hannover (epd). Menschen, die sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie erlitten haben, sollen künftig einheitliche Anerkennungsleistungen erhalten. Eine dafür notwendige Richtlinie hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 21. März einstimmig beschlossen, wie die EKD in Hannover mitteilte. Vertreter der Betroffenen bezeichneten die Einigung als „Durchbruch“. Bis zum 1. Januar 2026 soll die Richtlinie in allen 20 Landeskirchen und 17 diakonischen Landesverbänden umgesetzt werden.

Kernstück der Reform ist ein einheitliches Modell für die finanziellen Leistungen. Demnach setzt sich die Anerkennungsleistung aus einer pauschalen Summe in Höhe von 15.000 Euro, wenn es sich um eine nach heutigen Maßstäben strafrechtlich relevante Tat handelt, und einer individuellen Leistung zusammen. Damit wolle die Kirche individuelles Leid und Spätfolgen anerkennen. Es soll keine Obergrenze für die Zahlungen geben.

Unabhängige Anerkennungskommissionen

Unabhängige Anerkennungskommissionen, in denen mindestens ein Richter oder eine Richterin sowie eine Person mit traumatherapeutischer Qualifikation sitzen sollen, sollen anhand eines Kriterienkatalogs über die Leistungshöhe entscheiden. Betroffene können zudem entscheiden, ob sie sich die Leistung als Einmalzahlung oder in mehreren Teilzahlungen beziehen. Einen Rechtsanspruch gibt es nicht. Betroffene erhalten zudem das Recht auf ein Gespräch vor der Kommission.

Bisher gebe es in Deutschland keine so weitgehende Anerkennung des erlittenen Leids und der Traumaspätfolgen durch sexualisierte Gewalt, betonte der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt in EKD und Diakonie, Detlev Zander. Die neue Richtlinie sei das Ergebnis „intensiver Verhandlungen“. Seit gut zwei Jahren hatten das Beteiligungsforum, in dem alle Fragen zum Thema sexualisierter Gewalt beraten werden, die Landeskirchen und die Diakonie über einheitliche Standards bei den Anerkennungsleistungen verhandelt.

„Nicht hinnehmbaren Zustand beenden“

Die Ratsvorsitzende der EKD, Kirsten Fehrs, sagte, mit der neuen Richtlinie lege man die Grundlage, um endlich den „nicht hinnehmbaren Zustand zu beenden“, dass Anerkennungsverfahren für ähnliche Taten in verschiedenen Landeskirchen zu verschiedenen Ergebnissen führen. Der Präsident der Diakonie Deutschland, Rüdiger Schuch, sagte, es komme nun darauf an, die in der Richtlinie vereinbarten Standards bis Januar überall umzusetzen.

Erst sollte die Richtlinie bereits Ende vergangenen Jahres fertig sein, doch dann wurde sie noch in ein sogenanntes Stellungnahmeverfahren bei den Landeskirchen und Diakonie-Landesverbänden gegeben. Bislang sind die Anerkennungsleistungen EKD-weit unterschiedlich geregelt. Seit 2012 sind nach Angaben der EKD vom Januar rund 14,5 Millionen Euro (Stand: 31. Dezember 2023) von den Landeskirchen an materiellen Leistungen für Missbrauchsbetroffene aus dem kirchlichen Kontext gezahlt worden.

Die Landeskirchen und Diakonie-Landesverbände müssen die Richtlinie nun noch selbst beschließen und umsetzen. Zeit braucht auch die Bildung der unabhängigen Anerkennungskommissionen.



Neue Regeln für Anerkennungsleistungen für Missbrauchsbetroffene



Hannover (epd). Betroffene sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie mussten lange Geduld haben: Doch nun hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Freitag eine Reform der Anerkennungsleistungen für erlittenes Leid und dessen Folgen beschlossen. Das sind die inhaltlichen Schwerpunkte:

LEISTUNGEN: Das neue Verfahren soll in allen 20 Landeskirchen der EKD und den 17 Diakonie-Landesverbänden einheitlich angewendet werden. Es sollen also dieselben Regeln für alle Betroffenen aus dem evangelischen Kontext gelten, egal in welchem Verantwortungsbereich einer Landeskirche oder eines Diakonie-Landesverbands die Taten stattgefunden haben. Es handelt sich um ein eigenständiges Verfahren, das nichts mit juristischen Verfahren vor staatlichen Gerichten zu tun hat. Kirche und Diakonie erkennen laut der Richtlinie mit den Leistungen das Leid an, das den Betroffenen in ihrem Bereich widerfahren ist, und berücksichtigen die daraus resultierenden individuellen Folgen.

GELD: Künftig soll es ein kombiniertes Modell geben aus einer pauschalen Leistung in Höhe von 15.000 Euro, wenn die Tat nach heutigen Maßstäben strafrechtlich relevant war, und einer individuellen Zahlung. Eine Obergrenze für die Zahlungen gibt es nicht. Auch immaterielle Leistungen sind zusätzlich möglich. Betroffene können außerdem entscheiden, ob sie sich das Geld auf einmal auszahlen lassen oder in mehreren Teilzahlungen. Die Zahlungen würden nicht auf staatliche Transferleistungen wie Bürgergeld angerechnet, sagte der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum von EKD und Diakonie, Detlev Zander, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

ANTRAG: Betroffene können über ein Formblatt, das ihnen zur Verfügung gestellt wird, Anerkennungsleistungen beantragen. Zuständig sind unabhängige Anerkennungskommissionen. Sie erhalten ein Recht auf ein Gespräch mit der Kommission. Sie müssen auch keine Beweise für die Tat vorlegen. Die Kommission prüft lediglich die Angaben auf Plausibilität. Auch Menschen, die schon einmal eine Zahlung erhalten haben, können erneut einen Antrag einreichen. Das neue System könnte zu einer Erhöhung der Zahlungen führen.

KOMMISSIONEN: Die unabhängigen Anerkennungskommissionen leiten die Verfahren. Die Kommissionen sollen aus mindestens drei Mitgliedern bestehen und müssen immer eine ungerade Zahl an Mitgliedern haben. Beschäftigte von Kirche und Diakonie dürfen nicht Mitglieder werden. Zudem soll wenigstens eine Person über die Befähigung zum Richteramt, mindestens eine weitere über eine traumatherapeutische Qualifikation verfügen, wie es in der Richtlinie heißt.

UMSETZUNG: Die Richtlinie soll ab Januar 2026 überall angewendet werden. Zander betonte, dass es nun auf die flächendeckende Umsetzung ankomme. Denn die Landeskirchen und Diakonie-Landesverbände müssen die Richtlinie noch übernehmen. Dazu heißt es in der Richtlinie: Den Gliedkirchen und der Diakonie wird empfohlen, entsprechende Regelungen auf Grundlage dieser Richtlinie zu treffen. Das müsse zügig gehen, forderte der Betroffenensprecher. „Wir dürfen den Betroffenen nicht noch mehr Leid auferlegen.“

Von Franziska Hein (epd)


Theologe Pistorius: Missbrauchs-Aufarbeitung braucht Ressourcen




Christoph Pistorius bei der rheinischen Landesynode 2024
epd-West/ Hans-Jürgen Bauer

Düsseldorf (epd). Der langjährige rheinische Vizepräses Christoph Pistorius hat dazu aufgerufen, die Finanzierung der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt auch in Zeiten von Sparzwängen zu gewährleisten. Für die Aufarbeitung seien Ressourcen nötig, sagte der Anfang März in den Ruhestand getretene Oberkirchenrat dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Düsseldorf. „Und die müssen wir für dieses wichtige Thema aufwenden - auch in einer Zeit, in der es finanziell eher bergab geht.“ Die Evangelische Kirche im Rheinland muss bis 2030 mindestens 33 Millionen Euro einsparen.

Dass alle Gliedkirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sich darauf festgelegt haben, die Ergebnisse aus dem Beteiligungsforum umzusetzen, sei eine wichtige Entscheidung gewesen, sagte Pistorius. In dem Gremium beraten Vertreterinnen und Vertreter von Betroffenen und Kirche über den Umgang mit sexualisierter Gewalt. „Damit haben wir viele Diskussionen abgekürzt, die sich aus meiner Sicht einfach verbieten“, betonte er.

Eine Zeit lang hätten die einzelnen Landeskirchen bei der Aufarbeitung eigenständig arbeiten wollen. „Wenn man dann von draußen draufschaut, wirkt das durchaus willkürlich“, räumte der Theologe ein. Diskussionen über das Vorgehen hätten Zeit gekostet, Kräfte gebunden „und natürlich auch den Eindruck erweckt, als hätte es was zu tun mit der Motivation oder der Bereitschaft zur Aufarbeitung“.

Regionale Aufarbeitungskommissionen nehmen Arbeit auf

In den kommenden Wochen nehmen die Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen ihre Arbeit auf. Um dies zu erleichtern, hätten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte die Fälle der rheinischen Landeskirche noch mal gesichtet, beschrieben und fachlich eingeordnet, erklärte Pistorius. Mit dem Kirchenkreis Wuppertal erprobe die rheinische Kirche zudem die Aufarbeitung von Akten aus Kirchenkreisen und Kirchengemeinden. Das sei deutlich komplexer als die eigenen Akten im Landeskirchenamt aufzubereiten, sagte der Theologe.

Insgesamt sei die rheinische Kirche bei dem Thema mittlerweile gut aufgestellt und er könne die Aufgabe loslassen, sagte Pistorius. Beim Kontakt mit betroffenen Menschen falle ihm das schwerer. „Es erfüllt mich mit Dankbarkeit und Demut, dass Menschen, die in Kirche oder Diakonie sexualisierte Gewalt erfahren haben, überhaupt noch mit einem Repräsentanten von Kirche in ein offenes Gespräch gehen und auch bereit sind, sich einzubringen.“ Doch nun gehe es darum, dass nicht er als Person, sondern „die Institution sich weiter darum kümmert und das wird auch gewährleistet sein“, betonte der Theologe.

Als Oberkirchenrat leitete der heute 63-jährige Pistorius ab 2013 die Personalabteilung im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2014 war er zudem theologischer Vizepräses und damit Vertreter des Präses. Antje Menn, zuvor Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Lennep, übernimmt seine Position.

epd-Gespräch: Nora Frerichmann


Bätzing: Kirche muss systemische Ursachen des Missbrauchs beseitigen




Georg Bätzing (Archivbild)
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Frankfurt a.M./Bon n (epd). Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat die Notwendigkeit einer Reform der katholischen Kirche bekräftigt. „Der sexuelle Missbrauch und seine Vertuschung ist der größte Skandal, der die Kirche in ihrer Glaubwürdigkeit infragestellt“, sagte der Limburger Bischof am 21. März auf dem FAZ-Kongress „Zukunft gestalten“ in Frankfurt am Main. „Wir müssen die systemischen Ursachen beseitigen, sonst gibt es kein Ende“, betonte er. Hier sei Vertrauen in die Kirche kaputtgegangen, das nicht zurückgewonnen, sondern nur neu aufgebaut werden könne.

Angesprochen auf das Votum der katholischen Kirche 2024, die AfD sei für Christen nicht wählbar, sagte Bätzing, dass er immer zwischen Wählern und Ideologen unterscheide. Die hessen-nassauische Kirchenpräsidentin Christiane Tietz erklärte, die Kirche könne sich nicht nur zu privaten Dingen äußern. Die Bibel bezeichne den Menschen als Bild Gottes, aus dem sich seine Würde und damit politische Konsequenzen ableiteten. Allerdings solle die Kirche sich nicht parteipolitisch äußern.

Tietz: Zwischen Person und Position unterscheiden

Zum Umgang mit Menschen, die extreme politische Ansichten äußern, erinnerte die evangelische Theologin Tietz an die Rechtfertigungslehre. Martin Luther habe auf die Unterscheidung zwischen „Person und Werken“ Wert gelegt. „Ich möchte zwischen der Person und ihrer Position unterscheiden“, so Tietz. Der andere sei ein Mensch, „und so behandele ich ihn auch“. Sie frage das Gegenüber: „Was ist deine Angst und Sorge, die dich zu dieser Position bringt?“ So könne ein Gespräch entstehen.

Die Ökumene ist nach den Aussagen der Kirchenpräsidentin auch trotz der zentralen theologischen Differenz der Konfessionen, der Abendmahlsfrage, am Wachsen. Ein gemeinsames Abendmahl sei möglich in der Vorstellung, dass der einladende Geistliche nicht im Namen seiner Kirche, sondern im Namen Jesu Christi einlade, sagte Tietz. Bätzing räumte ein, dass nach katholischer Vorstellung die Eucharistiegemeinschaft eine Kirchengemeinschaft voraussetze. Aber „wir brauchen Zwischenschritte“, sagte Bätzing.



Kirchentag schließt AfD-Wähler nicht aus




Kristin Jahn (Archivbild)
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Frankfurt a.M. (epd). Der evangelische Kirchentag in Hannover steht nach Angaben der Veranstalter auch AfD-Wählern als Besucher offen. „Unzufriedene Bürger aus Ostthüringen oder Westsachsen werden wir mit unserer Einladung nur schwer erreichen. Da mache ich mir nichts vor“, sagte Kirchentags-Generalsekretärin Kristin Jahn dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir sind aber offen für alle.“ Niemand werde von der Teilnahme ausgeschlossen.

Zugleich betont Jahn, dass das Protestantentreffen vom 30. April bis 4. Mai der AfD und anderen extremistischen Parteien keine Bühne geben werde. „Wir haben lange gerungen, wie wir die Triggerthemen, bei denen viele Politiker nur populistisch mit den Gefühlen von Menschen spielen, ins Programm kriegen, ohne diese ausgrenzende und vergiftende Sprache durch jene Vertreter aufs Podium zu holen“, erklärte die Generalsekretärin. Diese Themen müssten besprochen werden, aber eben lösungsorientiert.

Mit Sympathisanten extremistischer Parteien im Gespräch bleiben

Spezielle Gesprächsangebote für Sympathisanten extremistischer Parteien werde es beim kommenden Kirchentag nicht geben, erklärte Jahn: „Das ist eine Lücke, die wir in Hannover noch nicht füllen können.“ Allerdings werde für den Kirchentag 2027 in Düsseldorf erwogen, ein Programm für „Aussteiger“ anzubieten, also eine Anlaufstelle für Menschen, die ihre extremistische Meinung überdenken wollen.

Jahn warb dafür, dass die Kirche mit Sympathisanten populistischer Positionen im Gespräch bleibt. „Meine Erfahrung ist: Wenn ich den anderen erstmal als Mensch wahrgenommen habe, kann ich ihm besser sagen, warum ich bestimmte Parteien nicht wähle“, erklärte sie. Das gelinge aber gerade im Osten immer weniger, denn dort seien weder die Kirche noch Bildungsinstitutionen oder soziale Organisationen flächendeckend.

Beim Kirchentag in Hannover wird es Jahn zufolge unter anderem zwei Podien zum Umgang mit Rechtsextremismus und -populismus geben. So solle unter dem Titel „Nach dem Rechten sehen“ über rechtes Gedankengut in Kirchen und Verbänden diskutiert werden. „Und wir beschäftigen uns mit dem Thema christlicher Nationalismus, der vor allem in den USA Einfluss gewonnen hat.“

epd-Gespräch: Franziska Hein und Stefan Fuhr


Theologin: "Man kann dem anderen nicht verbieten, dass er sich wehrt"



Frankfurt a.M. (epd). Die Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags, Kristin Jahn, hat einen realistischeren Blick der evangelischen Friedensbewegung auf den Krieg in der Ukraine gefordert. „Wir können uns nicht bequem zurücklehnen und das Thema Sicherheit auslagern, in der Hoffnung, dass uns schon irgendwer schützen wird. Das kann nicht unsere, nicht die Haltung der Kirche sein“, sagte Jahn dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir müssen in der Realität anderer, totalitärer Weltbilder aufwachen. Darauf muss der Pazifismus eine eigene Antwort geben“, forderte sie.

Bei der derzeitigen Sicherheitsdebatte infolge des Regierungswechsels in den USA sehe sie die evangelische Friedensethik nicht sehr sprachfähig. „Es gibt da viele verschiedene Stimmen. Darunter sind manche, die die Lage noch immer so beurteilen, als lebten wir in den 80er Jahren“, sagte die Theologin. Beispielsweise sei sie skeptisch, wenn man die eigenen Erfahrungen aus der friedlichen Revolution in der DDR auf die Lage in der Ukraine übertrage und nur seinen eigenen Pazifismus bekräftige.

„Alte Denkmuster aus den 80er Jahren“

„Man kann dem anderen nicht verbieten, dass er sich wehrt. Die Debatten darüber werden wir auf dem Kirchentag führen“, sagte Jahn. „Bei der Weltlage, in der wir heute nicht wissen, was übermorgen aus Amerika noch alles kommt, werden wir möglicherweise feststellen, dass auch unsere alten Denkmuster aus den 80er Jahren nicht mehr taugen.“ Der Kirchentag findet dieses Jahr vom 30. April bis 4. Mai in Hannover statt. In den 1980er Jahren war die Kirchentagsbewegung eine der Impulsgeber für die Friedensbewegung, die sich gegen die Aufrüstung im Kalten Krieg richtete.

epd-Gespräch: Stefan Fuhr und Franziska Hein


Washingtoner Bischöfin kritisiert "Rückzug ins Private"




US-Grenze in Mexiko (Archivbild)
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Hamburg (epd). Die US-amerikanische Bischöfin Mariann Edgar Budde (65) hat angesichts der politischen Zäsur durch die zweite Präsidentschaft von Donald Trump einen „Rückzug ins Private“ beklagt. Es mangele zwar nicht an Menschen, die etwas sagen wollten, aber die Zeiten hätten sich geändert, die öffentliche Meinung sei gespalten, sagte Budde der „Zeit“ (20. März). Sehr viele Amerikaner stünden hinter Präsident Trump und hinter seinen Entscheidungen. Der Rückzug ins Private mache ihr Angst, sagte Budde.

Weltweit bekannt wurde die Bischöfin durch ihre Predigt am Tag nach der Amtseinführung, in der sie den anwesenden Trump dazu aufrief, Erbarmen und Mitgefühl mit den Schwächsten zu zeigen. Budde ist seit 2011 Bischöfin der episkopalen Diözese von Washington, D.C..

„Meine Worte waren nicht willkommen“

Budde sagte zu ihrer Predigt: „Meine Worte waren nicht willkommen.“ Die Bischöfin hat ein Buch über das „Mutig sein“ geschrieben, das nun auf Deutsch erschienen ist. Budde mahnte jedoch, angesichts der politischen Situation reiche Mut nicht aus. „Es geht auch um Verantwortung“, sagte sie und erinnerte an den deutschen Theologen und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906 - 1945), der wegen seiner Ablehnung des NS-Regimes von den Nationalsozialisten ermordet wurde.



Christliche Arbeitsgemeinschaft wählt neuen Vorstand




Christopher Easthill
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Augsburg/Köln (epd). Der anglikanische Priester Christopher Easthill ist neuer Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK). Damit sei erstmals ein Delegierter der Anglikanischen Kirche Vorsitzender der ACK, wie die Arbeitsgemeinschaft am 19. März in Augsburg mitteilte. Easthill wird Nachfolger von Erzpriester Radu Constantin Miron.

Easthill wurde den Angaben zufolge 1960 in Singapur geboren, war zuletzt ein weltweit operierender Manager eines internationalen Versicherungsunternehmens, ehe er 2011 das Studium der Theologie in den USA aufnahm. Nach seiner Weihe zum Diakon absolvierte er sein Vikariat in München und wurde dort zum Priester geweiht, ehe er 2014 Pfarrer der Church of St. Augustine of Canterbury in Wiesbaden wurde, wo er seitdem arbeitet. Seit 2016 gehört Easthill dem fünfköpfigen Vorstand der ACK an.

Gohl neuer Stellvertreter

Die Mitgliederversammlung der ACK wählte auch einen neuen Vorstand, dem auch der Freiburger Weihbischof Peter Birkhofer für die katholische Deutsche Bischofskonferenz sowie der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) angehören. Gohl wurde zudem zum Stellvertreter Easthills gewählt.

Satzungsgemäß legte der orthodoxe Erzpriester Radu Constantin Miron nach zwei Legislaturperioden sein Amt als Vorsitzender nieder. Die Amtszeit beträgt drei Jahre. Der Vorsitz der ACK ist ein Ehrenamt.

Miron ist Pfarrer in Köln und Bischöflicher Vikar für die Griechisch-Orthodoxe Metropolie in Nordrhein-Westfalen. Er war von 2019 bis 2025 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland. In seine Amtszeit fiel etwa der Dritte Ökumenische Kirchentag 2021 in Frankfurt, die Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2022 in Karlsruhe und das 75-jährige Bestehen der ACK in Deutschland 2023. Er gehörte dem Vorstand der ACK seit 2007 an.

19 Kirchen sind Mitglieder

Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland wurde 1948 von fünf Kirchen gegründet. Inzwischen gehören ihr 19 Kirchen unterschiedlicher Traditionen an, weitere sieben Kirchen sind Gastmitglieder und fünf ökumenische Organisationen haben Beobachterstatus. Die Geschäftsstelle der ACK in Deutschland, die „Ökumenische Centrale“, hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Mitglieder, Gastmitglieder und Beobachter entsenden Delegierte in die Mitgliederversammlung, die zweimal im Jahr zusammenkommt.

Schwerpunkte der Arbeit der ACK sind die theologische Reflexion, das Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung sowie der Kontakt zu anderen ökumenischen Organisationen. Die ACK gestaltet dazu unter anderem den jährlichen zentralen Gottesdienst zur Gebetswoche für die Einheit der Christen. Sie richtet auch den Ökumenischen Tag der Schöpfung aus.



Neuapostolische Kirche ist Vollmitglied der ACK-NRW



Neues Vollmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Nordrhein-Westfalen (ACK-NRW) ist die Neuapostolische Kirche (NAK). Im Mittelpunkt der Frühjahrstagung der ACK-NRW stand das gesamtkirchliche Konzil von Nizäa vor 1.700 Jahren.

Aachen, Dortmund (epd). Die Neuapostolische Kirche (NAK) ist in einem ökumenischen Gottesdienst im Aachener Dom als Vollmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Nordrhein-Westfalen (ACK-NRW) aufgenommen worden. Die ACK-Vorsitzende und evangelische Theologin Schwahn würdigte, dass mit der NAK „eine weitere Kirche gemeinsame Anliegen teilt und gemeinsam den christlichen Glauben weitergeben will“, wie die ACK-NRW am 23. März in Dortmund mitteilte. Schwahn, die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Krefeld-Viersen ist, nahm den Akt der Aufnahme der Kirche in die ACK-NRW im Beisein von Vertretern der katholischen Kirche, der Freikirchen sowie der Orthodoxie vor.

Der NAK-Delegierte und frühere Bezirksälteste, Ulrich Hedtfeld (Dortmund), äußerte sich erfreut, dass die Kirche nun auch formal zur Familie der Christen dazugehört. Das Jahresmotto der NAK laute „Es ist Zeit Gutes zu tun!“ Seine Kirche wolle dazu ihren Beitrag auch in die ACK einbringen.

Lippischer Landessuperintendent würdigt Glaubensbekenntnis von Nizäa

Die feierliche Aufnahme fand in einem ökumenischen Gottesdienst im Aachener Dom statt. Der Lippische Landessuperintendent Dietmar Arends würdigte in seiner Predigt das Konzil von Nizäa vor 1.700 Jahren als gemeinsames Fundament der großen Kirchen. Das damals vereinbarte Glaubensbekenntnis habe es wie kein anderes geschafft, „uns Christinnen und Christen aus den verschiedenen Konfessionsfamilien ökumenisch zu verbinden“, sagte der Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, der als Vertreter für die drei evangelischen Landeskirchen in NRW an der ACK-Tagung teilnahm. Das erste ökumenische Konzil der Welt von 325 gilt als wegweisend für die heutige Ökumene.

An dem ökumenischen Gottesdienst am 21. März im Aachener Dom nahmen unter anderem der katholische Aachener Bischof Helmut Dieser und der Bischof der Koptisch-Orthodoxen Kirche, Anba Damian, teil.

In Deutschland ist die Neuapostolische Kirche mit mehr als 300.000 Mitgliedern neben den beiden großen Kirchen sowie den Orthodoxen Kirchen die viertgrößte christliche Kirche. Zur Neuapostolischen Kirche Westdeutschland zählen 100.000 neuapostolische Christen in rund 400 Gemeinden.



Papst Franziskus zeigt sich öffentlich




Agostino Gemelli-Klinik in
epd-bild/Paolo Galosi

Rom (epd). Papst Franziskus hat sich erstmals seit über einem Monat wieder öffentlich gezeigt. Auf Video-Liveaufnahmen, die am 23. März von Radio Vatikan veröffentlicht wurden, war der 88-Jährige auf einem Balkon der Gemelli-Klinik in einem Rollstuhl sitzend zu sehen. Er winkte den Menschen zu, die sich vor der Klinik in Rom versammelt hatten, und sagte mit schwacher Stimme: „Ich danke Euch allen.“ Das Kirchenoberhaupt wurde seit Mitte Februar in der Klinik behandelt.

Im traditionellen Angelus-Gebet, das am 23. März vom Vatikan veröffentlicht wurde, erklärte Franziskus: „In der langen Zeit meines Krankenhausaufenthalts habe ich die Geduld des Herrn erfahren dürfen, die sich auch in der unermüdlichen Fürsorge der Ärzte und des Pflegepersonals sowie in der Aufmerksamkeit und Hoffnung der Angehörigen der Kranken widerspiegelt.“

Wunsch nach Frieden

Der Papst äußerte zugleich den Wunsch nach Frieden „vor allem in der gemarterten Ukraine, in Palästina, Israel, Libanon, Myanmar, Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo“. Er ging auch auf die Lage in Nahost ein und zeigte sich „bestürzt über die erneuten schweren israelischen Bombardierungen im Gazastreifen, die viele Tote und Verletzte gefordert haben“.

„Ich fordere, dass die Waffen sofort schweigen und der Mut zum Dialog wiedergefunden wird, damit alle Geiseln freigelassen werden und ein endgültiger Waffenstillstand erreicht wird. Im Gazastreifen ist die humanitäre Lage erneut sehr ernst und macht das dringende Handeln der Kriegsparteien und der internationalen Gemeinschaft erforderlich“, hieß es weiter.

Weitere Behandlungen nötig

Am Vortag hatten die Ärzte des Papstes laut „Vaticannews“ bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz angekündigt, dass Franziskus nach fünf Wochen aus dem Krankenhaus entlassen werde. Eine längere Genesungsphase mit weiteren Behandlungen sei nötig. Diese sollen in seiner Residenz Casa Santa Marta im Vatikan erfolgen.

Papst Franziskus war seit dem 14. Februar im Gemelli-Krankenhaus in Rom. Dort war zunächst eine polymikrobielle Infektion festgestellt worden, eine Erkrankung, die durch unterschiedliche Bakterien, Viren und Pilze verursacht wird. Kurz darauf wurde bei Franziskus außerdem eine beidseitige Lungenentzündung diagnostiziert. Über einen längeren Zeitraum schwebte der Papst in Lebensgefahr.



Sex mit dem Teufel



Ganz im Süden erging 1775 das letzte Todesurteil auf deutschem Boden gegen eine angebliche Hexe. Vollstreckt wurde es an Anna Maria Schwägelin zwar nicht. Ein gutes Ende nahm der Prozess dennoch für sie nicht.

Kempten (epd). Als die Magd Anna Maria Schwägelin auf dem Feld arbeitet, kommt aus dem Wald ein Fremder auf sie zu. Sie solle sich zu ihm setzen, mit ihm „kurzweilen“, lädt er sie ein. Schwägelin lehnt ab. Der Fremde sagt, er sei der Teufel, und sie würden schon noch zusammenkommen. Dann verabschiedet er sich.

So erzählt es Schwägelin dem Landrichter Franz Wilhelm Treuchtlinger des Stifts Kempten im Allgäu. Der kommt zu dem Schluss, dass Schwägelin mit dem Teufel im Bunde und folglich eine Hexe sei. Sein Urteil, ausgestellt vor 250 Jahren am 30. März 1775, lautet, „dass die Inquisitin durch das Schwerdt vom Leben zum Todt hinzurichten, der Cadaver hingegen nach guter Gewohnheit zu verbrennen seye“. Anfang April bestätigt der Fürstabt Honorius Roth von Schreckenstein das Verdikt.

Ventilfunktion

Schwägelin, in manchen Quellen auch Schwegelin genannt, ist die letzte zum Tod verurteilte „Hexe“ im Heiligen Römischen Reich. Über ihren Fall war lange nur wenig bekannt, weil die Originalakten verschollen waren. Aber 1998 tauchten diese Akten im Besitz eines Privatmanns aus Kempten auf. Ein Landrichter hatte nämlich Anfang des 19. Jahrhunderts, als das Kloster Kempten säkularisiert worden war, Akten mit nach Hause genommen. Dort hatten sie die Zeit überdauert.

Hexenverfolgungen sind vor allem ein Krisenphänomen. Während der Frühen Neuzeit kühlt das Klima ab, was für wiederkehrende Missernten sorgt. Reformation und Gegenreformation erschüttern das Weltbild der Zeitgenossen, der Dreißigjährige Krieg bringt unendliche Not. Die Forschung sieht in den Verfolgungswellen vor allem eine Ventilfunktion. Mit der Suche nach Sündenböcken reagiert die Gesellschaft ihre Aggressionen ab.

„Hexenverfolgung auch ein Medienphänomen“

Der Direktor des Museums Schloss Wilhelmsburg im thüringischen Schmalkalden, Kai Lehmann, betont einen weiteren Aspekt: „Hexenverfolgung ist auch ein Medienphänomen.“ Die Berichterstattung über Hexenprozesse durch Flugblätter, möglich geworden durch den Buchdruck, trug dazu bei, dass Menschen überall Hexen und Zauberer sahen.

Ende des 18. Jahrhunderts aber sind Hexenprozesse ungewöhnlich geworden. Denn immerhin ist das die Zeit der Aufklärung. Der Kemptener Historiker Wolfgang Petz hat den Fall der Magd Anna Maria Schwägelin aus den Prozessakten erforscht und dazu veröffentlicht. Für ihn hat er viel mit der Person des Richters Treuchtlinger zu tun. Der sei „ein konservatives Relikt“ gewesen, erläutert Petz: „Wenn es ein jüngerer, der Aufklärung zugewandter Richter gewesen wäre, wäre es vielleicht nicht zu diesem Prozess gekommen.“

Wobei er den Treuchtlinger nicht als zwanghaften Hexenverfolger abqualifizieren wolle, sagt Petz. Der Richter habe nicht aktiv nach vermeintlichen Hexen gesucht: „Aber dieser Fall ist ihm vor die Füße gefallen.“

Gewissensqualen

Schwägelin wurde 1729 in bitterarmen Verhältnissen in der Nähe von Memmingen geboren. Früh verwaist, schlug sie sich als Magd durch. Ab 1769 lebte sie in Armenhäusern, weil sie zu krank zum Arbeiten war.

Ein Ausweg aus prekären Verhältnissen war damals in der Regel nur durch Heirat möglich. Auch für Schwägelin schien dieser Weg offen, als ihr 1751 ein Kutscher die Ehe versprach - wenn sie zum lutherischen Glauben konvertiere. Das tat sie auch, der Kutscher ließ sie dann aber für eine andere sitzen.

Kurz nach ihrem Übertritt zum Protestantismus, so berichtet sie später, habe der Teufel sie auf dem Feld angesprochen. Mehrfach habe er sie danach aufgesucht, dabei hätten sie Sex gehabt, was ihr „alleweil eine Freud und eine Wohllust“ gewesen sei. Die sogenannte Teufelsbuhlschaft ist einer der zentralen Anklagepunkte in Hexenprozessen.

Ob Schwägelin tatsächlich konvertiert ist, geht aus den Akten nicht hervor. Aber sie scheint davon überzeugt zu sein, und offenbar peinigt das ihr Gewissen. Historiker Petz hat bei diesen Gewissensqualen den geschichtlichen Kontext im Blick. Das Thema sei damals „von einer Tragweite gewesen, die wir uns heute kaum noch vorstellen können“, erklärt er. „Ein Abfall vom Glauben wird da schnell als Abfall von Gott interpretiert.“ Zum vermeintlichen Teufelspakt sei es da nicht weit.

„Fürstenhof kein Hort der Finsternis“

Mehrfach erzählt Schwägelin anderen von ihrem Kontakt zum Teufel, aber jahrelang geschieht nichts. Offenbar findet niemand das alles besonders strafwürdig. Erst als eine Mitbewohnerin des Armenhauses Schwägelin beim Stiftsgericht anzeigt, kommt es zum Prozess.

Heute könnte man den Glauben, mit dem Teufel zu verkehren, als Symptom einer psychischen Krankheit werten. Historiker Petz aber erklärt: „Die Bewertung als krank oder gesund ist eine Frage gesellschaftlicher Maßstäbe, und die ändern sich.“ Im 18. Jahrhundert sei ein erheblicher Teil der Menschen von der leibhaftigen Existenz des Teufels überzeugt gewesen.

Lange glaubte man, dass Schwägelin die letzte hingerichtete vermeintliche Hexe auf deutschem Boden sei. In einem Kemptener Kirchenbuch aber fand Petz den Hinweis, dass sie erst sechs Jahre nach dem Prozess im Gefängnis gestorben sei, und dass sie zuvor gar die Sterbesakramente erhalten habe.

Der Fürstabt sei der Aufklärung nicht abgeneigt gewesen, beschreibt Petz: „Der Fürstenhof in Kempten war kein Hort der Finsternis.“ Obwohl der Abt das Urteil zunächst unterzeichnet hatte, ließ er es nicht vollstrecken. Ins Armenhaus habe Schwägelin aber nicht zurückkönnen, weil der Abt schon zuvor geplant hatte, es aufzulösen. Wahrscheinlich sei es die einfachste Lösung gewesen, Schwägelin stillschweigend im Gefängnis zu belassen.

Von Nils Sandrisser (epd)


Neue Militärpfarrerin am Bundeswehr-Standort Münster eingeführt




Gesang- und Gebetbuch für Soldaten (Archivbild)
epd-bild/Meike Böschemeyer

Münster/Höxter (epd). Im evangelischen Militärdekanat West haben zwei neue Militärpfarrerinnen ihren Dienst angetreten. Militärbischof Bernhard Felmberg führte am 21. März in einem Gottesdienst in der Lützow-Kaserne Daniela Fricke in Münster feierlich in ihr Amt ein. Die 57-jährige Theologin ist für rund 3.500 Soldatinnen und Soldaten an neun Bundeswehr-Standorten in der Region zuständig. Dazu gehören Kasernen in Münster, wo das deutsch-niederländische Corps seinen Sitz hat, und die Sportschule der Bundeswehr in Warendorf. Bereits am 20. März war in Höxter die evangelische Militärpfarrerin Claudia Glebe in ihr Amt eingeführt worden, die als Seelsorgerin an den Bundeswehr-Standorten in Höxter, Holzminden und Auenhausen im Einsatz ist.

„Hoffnungsagentur“

Felmberg betonte am 21. März in seiner Predigt die Bedeutung der Militärseelsorge für die Soldatinnen und Soldaten angesichts geopolitischer Verwerfungen. Sie sei Anlaufpunkt für Fragen des Lebens wie des Glaubens, sagte der Militärbischof laut Predigttext. In gemeinsamen Gesprächen könnten die Angehörigen der Streitkräfte die eigenen Sorgen und Gedanken teilen. Zugleich sei die Militärseelsorge eine „Hoffnungsagentur“, unterstrich er. So sei der „visionäre Mut zur Zukunft“ in den biblischen Überlieferungen tief verankert. „Gott hat gute Gedanken für uns, Gedanken des Friedens und der Hoffnung.“

Die Evangelischen Militärpfarrämter Münster und Höxter-Holzminden gehören zum Militärdekanat West. Fricke und Glebe hatten bereits im vergangenen September ihre Tätigkeit aufgenommen und nach drei Monaten Probedienst gegenüber Dekan Michael Rohde das Gelöbnis auf das Grundgesetz abgelegt. Als Militärpfarrerin werden sie die Streitkräfte auch auf Auslandseinsätzen in Krisengebiete begleiten.

Claudia Glebe war zuvor Krankenhausseelsorgerin am evangelischen Krankenhaus in Holzminden. Daniela Fricke ist vom Bielefelder Landeskirchenamt nach Münster gewechselt, wo sie seit 2019 als Beauftragte für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung tätig war. Zu ihren Aufgaben gehörten unter anderem, Betroffene von Missbrauch und Gewalt in der Kirche zu beraten, Hilfen zu vermitteln, die Aufklärung zu befördern und für die Ansprüche der Opfer einzutreten. Auch wurde in ihrer Zeit die Prävention ausgebaut.



Mahnwache gegen Rechtsextremismus in Dortmund




St. Reinoldi in Dortmund (Archivbild)
epd-bild/Friedrich Stark

Dortmund (epd). Zum mittlerweile fünften Mal haben Christinnen und Christen mit einer Mahnwache vor der Dortmunder Reinoldikirche gegen Rechtsextremismus protestiert und an die Dortmunder „Bekenntnissynode“ von 1934 erinnert. Damals verhinderte die Provinzialsynode die Einführung des Führerprinzips in die westfälische Kirche und widerstand den Deutschen Christen, wie der Kirchenkreis mitteilte. Zugleich rief der Arbeitskreis „Christ/innen gegen Rechtsextremismus“ bei der Veranstaltung dazu auf, sich einem wachsenden völkischen Nationalismus zu widersetzen.

Rund 80 Menschen nahmen nach Angaben der Veranstalter an der Mahnwache teil. Als Gastredner schilderte der neue Sonderbeauftragte für Vielfalt und Toleranz des Oberbürgermeisters, Friedhelm Evermann, die Arbeit an einem neuen kommunalen Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus. Außerdem hob er die Bedeutung der Begleitung von Jugendlichen im Sinne der Demokratie hervor.

Pfarrer Friedrich Stiller, Sprecher des Arbeitskreises, berichtete von vermehrten Angriffen der AfD gegen die Kirche. Superintendentin Heike Proske beschloss die Versammlung mit einem zum Thema passenden Gebet und dem Segen.



Kirchenkreis Hamm setzt auf mehr Kooperation bei Gottesdienst



Hamm (epd). Kooperation und stärkere Profilierung bei Gottesdienst, Seelsorge und Kasualien: Die Kreissynode des Evangelischen Kirchenkreises Hamm hat erste Maßnahmen zur Transformation beschlossen. Gottesdienst, Seelsorge und die sogenannten Kasualien sollen künftig gemeinsam verantwortet werden, wie der Kirchenkreis mitteilte. Die Seelsorge solle als verbindende Querschnittaufgabe aller Arbeitsbereiche weiterentwickelt und durch weitere Stellenanteile gesichert werden. Eine zentrale Servicestelle für Kasualien werde die bedarfsgerechte Verteilung der Anfragen vorwiegend für Taufen, Trauungen und Beerdigungen unterstützen.

Über die bestehenden Gemeindegrenzen hinaus solle zudem ein vielfältiges Gottesdienstangebot erprobt werden, hieß es weiter. Dies solle regionale Schwerpunkte setzen und noch mehr Raum für innovative Gottesdienstformen schaffen. Durch den Rückgang von Finanzen und Personal würden schon in fünf Jahren pro Wochenende nur noch sechs bis maximal zehn Personen im pastoralen Dienst zur Verfügung stehen, die einen Gottesdienst durchführen können.

Transformationsprozess „Wegen Umbau geöffnet“

„Die Lebensumstände und Bedürfnisse der Kirchenmitglieder haben sich verändert“, erklärte Superintendentin Kerstin Goldbeck. Zugleich werde mit einem deutlichen Rückgang von Finanzen und Personal gerechnet. „Darum möchten wir das kirchliche Leben über die Gemeindegrenzen hinaus in gemeinsamer Verantwortung für den gesamten Kirchenkreis auftragsgemäß, lebensweltorientiert und ressourcenbewusst neu organisieren.“

Auch der Gebäudebestand solle in gemeinsamer Verantwortung auf den Prüfstand, erklärte der Kirchenkreis. Die Gebäude sollen an den Rückgang der Mitgliederzahl angepasst und auch unter dem Aspekt der Klimaneutralität zukunftsfähig gemacht werden, wie es weiter hieß. Bis Ende des Jahres sind alle zwölf Kirchengemeinden aufgefordert, ein Gebäudekonzept unter Berücksichtigung der in der Nachbarschaft vorhandenen Gebäude zu erstellen. Mittelfristig gehe die Synode davon aus, dass rund die Hälfte der bestehenden 160 Gebäude aufgegeben werden müsse. Das betreffe vor allem Pfarrhäuser, Gemeindehäuser und Kirchen.

Der Transformationsprozess „Wegen Umbau geöffnet“ habe nach zwei Jahren intensiver Diskussionen unter großer Beteiligung von Hauptamtlichen, Ehrenamtlichen und Interessierten innerhalb und auch außerhalb der Kirche begonnen, erklärte der Kirchenkreis. Der Prozess war im März 2023 einstimmig von der Synode auf den Weg gebracht worden.



Jugendliche gestalten queeren Gottesdienst zum "Akzente"-Thema




Der Gottesdienst am 29. März richtet sich an die queere Community.
epd-bild /Thomas Lohnes

Duisburg (epd). Das Thema der diesjährigen Duisburger Akzente „Sein und Schein“ haben die Pfarrerinnen Sarah Süselbeck und Sara Randow, Jugendreferentin Christina Schubert vom Duisburger Kirchenkreis sowie junge Ehrenamtliche aus Duisburger Gemeinden aufgenommen und dazu einen Gottesdienst vorbereitet. Er richte sich an die queere Community, aber auch an alle, „die das Spannungsfeld zwischen innerem Fühlen und äußerem Darstellen kennen“ und sich von dem Thema angesprochen fühlten, heißt es in der Ankündigung des Kirchenkreises. Das Dilemma zwischen „Sein und Schein“ werde in Text-Impulsen und Liedern wie „Blau“ von Luna und Pop-Musik von einer Liveband um Daniel Drückes aufgegriffen.

Der Gottesdienst am 29. März in der Kirche Obermeiderich, Emilstraße 27-29, beginnt um 17 Uhr. Anschließend sind alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Essen und Getränken, Gesprächen und Begegnungen eingeladen. Eine Anmeldung ist nicht notwendig.



Thierse spricht in der Uni Bonn zu "Christlicher Existenz in der DDR"




Wolfgang Thierse (Archivbild)
epd-bild / Hans Scherhaufer

Bonn (epd). Der SPD-Politiker und ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse wird am 6. Mai in der Uni Bonn einen Vortrag zum Thema „Christliche Existenz in der DDR: Historische Erfahrungen - von aktueller Bedeutung?“ halten. Die sogenannte Fritz-Tillmann-Lecture der Katholisch-Theologischen Fakultät beginnt um 18.15 Uhr im Festsaal des Universitätshauptgebäudes, wie die Hochschule mitteilte. Mit dem Vortrag und der anschließenden Diskussion wolle die Fakultät ihre Forschungsschwerpunkte „Ambiguitäten - Identitäten - Sinnentwürfe“ stärken.

Der Vortrag soll unter anderem der Frage nachgehen, ob es spezifisch christliche DDR-Erfahrungen oder ostdeutsche Kirchen- und Glaubenserfahrungen gibt, die die Menschen bis heute prägen, und inwiefern sich diese aus der doppelten Diktatur-Erfahrung und den teils traumatischen Erfahrungen der Jahre nach 1989 erklären lassen.

Wolfgang Thierse wurde 1943 im damaligen Breslau (heute Wroclaw) geboren. Nach der Flucht kam seine Familie in die sowjetische Besatzungszone und spätere DDR. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Schriftsetzer und dann ein Germanistik-Studium.

1989 wechselte Thierse von der Akademie der Wissenschaften in die Politik. Als Abgeordneter der SPD gehörte er von 1990 bis 2013 dem Bundestag an, dem er seit 1998 als Präsident und seit 2005 als Vizepräsident vorstand. Zudem war er viele Jahre Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Für seinen persönlichen Einsatz wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz und der Ehrendoktorwürde der Universität Münster.




Gesellschaft

"Das Gedenken gehört dauerhaft zur Geschichte der Stadt"




Gedenkstätte für Opfer des Germanwings-Absturzes in Haltern am See
epd-bild/Friedrich Stark
150 Menschen aus 17 Nationen kamen am 24. März 2015 beim Germanwings-Absturz ums Leben. Unter ihnen eine ganze Schulklasse aus Haltern am See. Die Stadt hält die Erinnerung weiter wach.

Haltern am See (epd). Ihre Tochter liebte es, „Sprachen zu lernen, Menschen zu begegnen und sich zu verständigen“, sagen Annette und Martin Bleß. Deshalb war die 15-jährige Elena Bleß aus Haltern am See zu einem Schüleraustausch nach Barcelona gereist. Doch sie kehrte nie zurück. Sie starb am 24. März 2015 bei der Flugkatastrophe der damaligen Lufthansa-Tochter Germanwings in den französischen Alpen. 150 Menschen aus 17 Nationen kamen ums Leben, darunter eine Klasse des Joseph-König-Gymnasiums - 14 Schülerinnen, zwei Schüler und zwei Lehrerinnen.

Zehn Jahre später ist die Erinnerung an die Katastrophe in dem kleinen Ort im nördlichen Ruhrgebiet noch immer wach. „Das Gedenken gehört dauerhaft zur Geschichte unserer Stadt“, sagt der heutige Bürgermeister Andreas Stegemann (CDU). Auf dem Schulhof des Gymnasiums erinnert eine rostfarbene Gedenktafel an die Namen der Opfer, daneben finden sich eine Stele mit einer Kerze und 18 Kirschbäume, damals gepflanzt, heute hochgewachsen. Auf dem Waldfriedhof Sundern ist eine Gedenkstätte symbolisch einem Klassenzimmer nachempfunden - die Namen sind auf einem schweren Granitstein eingraviert, auch dort sind 18 Bäume gepflanzt.

„Lebendiges Denkmal“

Annette und Martin Bleß haben für ihre Tochter kein „Denkmal aus Stahl oder Stein“ gewählt. Sie unterstützen junge Menschen dabei, das zu erleben, was ihre Tochter geliebt hat. Die Elena-Bleß-Stiftung ermöglicht mit Stipendien Berufspraktika und Austauschprogramme in 16 europäischen Ländern. Mehr als 250 Schülerinnen und Schüler konnten bislang für zwei oder drei Wochen nach Frankreich, Irland oder Spanien fahren, um dort zum Beispiel in Hotels, Museen oder Reisebüros zu arbeiten. „Die Liebe zwischen uns und unserer Tochter hat uns die Kraft gegeben, ihr dieses lebendige Denkmal zu setzen“, sagen Annette und Martin Bleß: „Elena lebt in unserer Stiftung weiter.“

Durch die Flugkatastrophe wurde die Stadt mit ihren rund 40.000 Einwohnern auf tragische Weise weltweit bekannt. Der damalige Leiter des Gymnasiums, Ulrich Wessel, musste den Eltern, die in die Schule kamen, die Nachricht überbringen, dass das Flugzeug abgestürzt und alle Insassen tot waren. Das sei „der schlimmste Moment in meinem bisherigen Leben gewesen“, erinnert sich Wessel. Nur zwei Tage später ergaben die Ermittlungen, dass der Co-Pilot, der psychisch erkrankt war, die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht hatte.

Menschen in „Schockstarre“

Am Unglückstag kamen Medienvertreter aus aller Welt nach Haltern, die Schule musste mit Flatterband geschützt werden. Die Bevölkerung war von einer Art „Schockstarre“ erfasst, erinnert sich der damalige Bürgermeister und heutige Landrat von Recklinghausen, Bodo Klimpel (CDU). Unrasiert, mit offenem Hemd und sichtlich erschüttert, erklärte er bei einer Pressekonferenz im Rathaus, für die Stadt sei das „so ziemlich das Schlimmste, was man sich vorstellen kann“.

Drei Tage später hielt der evangelische Pfarrer Karl Henschel die Predigt in einem ökumenischen Gottesdienst in der katholischen Sixtus-Kirche. Daran wirkten der katholische Bischof Felix Genn und die damalige Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, mit. Außerdem reisten die damalige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und Bundespräsident Joachim Gauck an, der als gelernter Pfarrer mit Angehörigen im Altarraum betete. Als im Juni die sterblichen Überreste der jungen Unglücksopfer mit weißen Limousinen nach Haltern gebracht wurden, säumten Tausende von Menschen die Straßen, weinten, beteten. Einige warfen Blumen auf die Autos.

Am Jahrestag zum Unglücksort

Zum zehnten Jahrestag des Unglücks sind Annette und Martin Bleß mit einer Gruppe von Eltern der Betroffenen und dem damaligen Schulleiter Ulrich Wessel in das französische Dorf Le Vernet in der Nähe der Unglücksstelle gereist. Dort versammeln sich zahlreiche Angehörige der Opfer aus Deutschland, Spanien und anderen Ländern, aus denen die Passagiere stammten, um gemeinsam ihrer Toten zu gedenken.

Von Michael Ruffert (epd)


Pfarrer zu Germanwings-Absturz: Zeit alleine heilt keine Wunden




Auf dem Schulhof des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern am See erinnert eine rostfarbene Gedenktafel an die Namen der Opfer vom Flugzeugabsturz 2015.
epd-bild/Friedrich Stark

Haltern am See (epd). Der Germanwings-Absturz in den französischen Alpen vor zehn Jahren hat in Haltern am See Narben hinterlassen. Der 27 Jahre alte Co-Pilot hatte den Airbus am 24. März 2015 absichtlich zum Absturz gebracht und insgesamt 149 Menschen mit in den Tod gerissen, 18 von ihnen kamen aus Haltern. Henschel begleitete damals Menschen in seiner Stadt im nördlichen Ruhrgebiet und beerdigte zwei der gestorbenen Schülerinnen. Die Katastrophe bleibe in der Stadt präsent, sagte der 2022 in den Ruhestand getretene evangelische Pfarrer dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Herr Henschel, die Flugkatastrophe, bei der 14 Schülerinnen, zwei Schüler und zwei Lehrerinnen aus Haltern am See starben, liegt inzwischen zehn Jahre zurück. Kann die Zeit Wunden heilen?

Karl Henschel: Die Zeit alleine nicht. Viel hängt vom Trauerprozess ab. Die Wunde kann mitunter lange schmerzen, dann bildet sich vielleicht, bildlich gesprochen, eine neue Haut. Für einige Tage, Wochen oder Monate schmerzt die Wunde nicht mehr so stark. Aber die Haut kann reißen, und Schmerz und Trauer kehren heftig zurück. Manchmal helfen Menschen, Begegnungen, neue Projekte oder Aufgaben, um Schmerz zu überwinden und Hoffnung zu geben. Aber eine Narbe bleibt immer.

epd: Was bedeutet die Flugkatastrophe heute noch, zehn Jahre später, für die Stadt?

Henschel: Es wächst natürlich auch eine neue Generation heran, das gilt sicher besonders für das Gymnasium. Die Katastrophe rückt für die Jugendlichen ein Stück in den Hintergrund. Aber für diejenigen, die hier leben, bleibt sie immer weiter präsent. Uns bringt eine Frau einmal die Woche Eier und Kartoffeln vom Bauernhof ins Haus: Es ist eine Mutter, die ihre Tochter verloren hat. Und wenn ich um den Halterner See jogge, begegnet mir oft ein Vater, dessen Tochter bei dem Unglück ums Leben kam. Es lässt uns also nicht los.

epd: Die Katastrophe habe die Stadt auch so sehr getroffen, weil hier „jeder jeden kennt“, hieß es damals. Ist das in einer Stadt mit fast 40.000 Einwohnern nicht übertrieben?

Henschel: Natürlich ist es übertrieben, aber in gewisser Hinsicht stimmt es. Als ich damals von der Flugkatastrophe erfuhr und mich auf den Weg ins Gymnasium machte, dachte ich erst nur: Hoffentlich kennst du keines der Opfer - und als ich die Liste sah, habe ich sofort mehrere Namen erkannt. Haltern ist eine Stadt, aber in vielfacher Hinsicht auch ein Dorf mit einer sehr ländlichen Struktur.

epd-Gespräch: Michael Ruffert


Germanwings-Absturz: Fehrs will weiter Raum für Seelennöte geben




Kirsten Fehrs (Archivbild)
epd-bild/Heike Lyding

Haltern am See/Hannover (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, sichert den Hinterbliebenen der Germanwings-Flugkatastrophe von vor zehn Jahren weiter Unterstützung zu. „Dort, wo Ängste und Nöte der Seele ungehört bleiben, wollen wir ihnen damals wie heute Raum geben“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir verbinden uns mit ihnen im Gebet, dass Frieden in die Herzen aller Trauenden einziehen möge.“

150 Menschen aus 17 Nationen waren bei dem Unglück der Lufthansa-Tochter Germanwings am 24. März 2015 in den französischen Alpen ums Leben gekommen. Darunter eine Schulklasse aus Haltern am See mit 14 Schülerinnen, zwei Schülern und zwei Lehrerinnen. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass der psychisch erkrankte Co-Pilot die Maschine absichtlich zum Absturz gebracht hatte.

Fragen nach dem Warum

„Zehn Jahre später blicken wir immer noch fassungslos auf das Unglück zurück, das so viel hoffnungsvolles Leben vernichtet und so viele Menschen in Verzweiflung gestürzt hat“, sagte die EKD-Ratsvorsitzende. „Einige Hinterbliebene haben einen Weg mit und durch ihren Schmerz gefunden. Andere sind weiter fest von Trauer umschlossen.“ Die Hinterbliebenen stünden weiterhin vor der Frage des „Warum“.

Zum 10. Jahrestag der Flugkatastrophe wird in Haltern am See mehrere Gedenkfeiern geben. Zum Zeitpunkt des Unglücks um 10.41 Uhr läuten der Stadt zufolge die Glocken der Kirche. Auf dem Schulhof des Joseph-König-Gymnasiums werde es ein stilles Gedenken der Schulgemeinschaft mit kurzen Ansprachen der Schulleitung sowie Gebeten der katholischen und evangelischen Kirche geben. Am Abend soll in der katholischen Sixtus-Kirche in der Innenstadt um 19 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst für die Halterner Trauergemeinde stattfinden.

Reise an Absturzort

Der damalige Schulleiter des Gymnasiums, Ulrich Wessel, ist zum Jahrestag mit einer Gruppe der Eltern der Opfer in das französische Dorf Le Vernet in der Nähe der Unglücksstelle gereist, um dort der Verstorbenen zu gedenken. Dort werden sich zahlreiche Angehörige der Opfer aus Deutschland, Spanien und anderen Ländern, aus denen die Passagiere stammten, versammeln, um gemeinsam ihrer Toten zu gedenken.



Studie: Deutschland profitiert von ausländischen Studenten




Die Staatsbibliothek Unter den Linden ist die zentrale Bibliothek für geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung in Berlin.
epd-bild/Jürgen Blume
Internationale Studenten leisten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Wie groß die Bedeutung des akademischen Nachwuchses aus dem Ausland ist, macht eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft deutlich.

Bonn, Köln (epd). Ausländische Studentinnen und Studenten leisten auch einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Jeder Jahrgang internationaler Studenten trägt langfristig rund acht Mal mehr zu den Einnahmen der öffentlichen Haushalte bei, als der Staat für ihn per Saldo investiert, wie aus einer am 18. März vorgelegten Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hervorgeht. Der scheidende Bundesforschungsminister Cem Özdemir (Grüne) sprach sich dafür aus, den Studierenden langfristig eine attraktive Perspektive zu bieten.

Allein die rund 80.000 Studenten aus dem Ausland, die ihr Studium mit Abschlussabsicht 2022 begonnen haben, zahlen im Laufe ihres Lebens den Angaben zufolge knapp 15,5 Milliarden Euro mehr an Steuern und Abgaben, als sie Leistungen vom deutschen Staat erhalten. Bei stabiler Bleibequote wiederholt sich dieser Effekt mit jedem Anfängerjahrgang, wie es in der Studie des arbeitgebernahen Instituts hieß.

DAAD: Investitionen rentieren sich schon nach wenigen Jahren

Laut der im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) erstellten Studie rentieren sich Investitionen in internationale Studenten bereits nach wenigen Jahren. Bleiben 40 Prozent eines Jahrgangs nach dem Studium in Deutschland, decken ihre Steuern und Abgaben bereits drei Jahre nach Studienende die hochschulischen Ausbildungskosten.

Bei stabiler Bleibequote bringt jeder Jahrgang internationaler Studenten von Neuem 15,5 Milliarden Euro mehr an Steuern und Abgaben für die öffentlichen Haushalte ein, als der Staat an Ausgaben aufwenden muss. Selbst bei einer Bleibequote von nur 30 Prozent würden die Einnahmen langfristig die Ausgaben um 7,4 Milliarden Euro übersteigen.

Die neue IW-Studie belege die volkswirtschaftliche Bedeutung internationaler Studierender für Deutschland, sagte DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee. Studenten und Studentinnen aus dem Ausland seien „in vielfacher Hinsicht ein Gewinn für unser Land, natürlich wissenschaftlich, aber auch wirtschaftlich“. IW-Direktor Michael Hüther verwies darauf, dass internationale Studenten dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen und das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu unterstützen.

Deutschland als Studienstandort beliebt

Deutschland zählt laut DAAD zu den wichtigsten Zielländern weltweit und ist das beliebteste nicht-englischsprachige Studienland. Nach DAAD-Hochrechnungen gibt es derzeit rund 405.000 internationale Studentinnen und Studenten in Deutschland. Rund 65 Prozent der Studierenden mit Abschlussabsicht planen laut einer aktuellen DAAD-Umfrage, im Land zu bleiben. Derzeit hat Deutschland laut einer OECD-Studie zusammen mit Kanada die höchste Bleibequote internationaler Studenten weltweit: Zehn Jahre nach Studienbeginn sind noch 45 Prozent der Studierenden im Land.

Die IW-Studie betrachtet den Angaben zufolge erstmals den wirtschaftlichen Beitrag internationaler Studenten von Studienbeginn bis zum Renteneintritt. Das Institut empfiehlt vor dem Hintergrund rückläufiger Studienanfängerzahlen in Deutschland, freie Kapazitäten an den Hochschulen gezielt für internationale Studenten zu nutzen. Notwendig seien eine gezielte Gewinnung von Studierenden aus dem Ausland, eine bessere Unterstützung während des Studiums und eine erleichterte Integration in den Arbeitsmarkt.

Die Studie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. BundesforschungsministerÖzdemir erklärte dazu: „Internationale Studierende sind ein Gewinn, sowohl für den deutschen Hochschul- und Wissenschaftsstandort als auch für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft. Auch die öffentlichen Haushalte profitieren durch den Beitrag zu Steuern und Sozialabgaben.“

Ziel müsse es sein, den jungen Leuten - auch über das Studium hinaus - „langfristig eine attraktive Perspektive zu bieten“, betonte Özdemir. Dazu fördere das BMBF unter anderem die Campus-Initiative „Internationale Fachkräfte des DAAD“ bis 2028 mit insgesamt rund 120 Millionen Euro.



Experten: Landeszentrale für politische Bildung an Landtag angliedern




Düsseldorfer Landtag (Archivbild)
epd/Hans-Jürgen Bauer

Düsseldorf (epd). Ein Expertengremium hat Vorschläge für eine neue Organisation der nordrhein-westfälischen Landeszentrale für politische Bildung vorgelegt. In einem Abschlussbericht schlagen die fünf Fachleute vor, die Zentrale organisatorisch an den Landtag anzugliedern, wie das NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft am 18. März in Düsseldorf erklärte. So könne die Unabhängigkeit der politischen Bildung am besten gewährleistet werden. Das würden auch Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen.

Die Expertinnen und Experten aus Bildungsarbeit und Forschung sprechen sich konkret für ein Beauftragtenmodell mit einer Leiterin oder einem Leiter aus, der oder die vom Landtag idealerweise für einen Zeitraum von acht Jahren gewählt werden soll. Zudem schlagen sie vor, ein plural besetztes Kuratorium, einen Beirat oder ein ähnliches Gremium zur Beratung und Aufsicht der Landeszentrale einzusetzen. Aktuell gehört die Landeszentrale zum Ministerium für Kultur und Wissenschaft. Ohne Unterstützung durch ein Kuratorium oder einen Beirat sowie ohne Außenstellen sei dies „im Ländervergleich die Variante mit der geringsten Eigenständigkeit“, hieß es in dem Abschlussbericht.

Vorbild Schleswig-Holstein

Die schwarz-grüne Landesregierung hatte im Koalitionsvertrag 2022 vereinbart, die Zentrale neu aufzustellen. Über die genaue Umsetzung gab es bisher keine Einigung. Der Vorsitzende des Expertengremiums, Winfried Kluth, erklärte, der Vorschlag orientiere sich an Schleswig-Holstein. Hier werde das Beauftragtenmodell bereits seit einigen Jahren praktiziert. „Jetzt ist es Aufgabe des Landtags, darüber zu beraten und zu entscheiden.“ Die Staatssekretärin Gonca Türkeli-Dehnert betonte, der Bericht eröffne „kluge Optionen, wie die Neuorganisation gelingen kann“. Dies solle nun im Dialog mit den Fraktionen angegangen werden. Über den Bericht des Expertengremiums soll am 28. März im Hauptausschuss des Landtags beraten werden.

Zu dem Expertengremium gehören neben dem Juristen Kluth auch der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, der Konfliktforscher Andreas Zick, die Geschäftsführerin des Vereins Transfer für Bildung, Helle Becker, und Lukas Gundling von der Forschungsstelle Öffentliches Recht der Länder. Die Landeszentrale wurde 1946 gegründet und war seitdem immer Teil eines Ministeriums.



Sprunghafter Anstieg bei rechtsextremen Straftaten in NRW




Neonazi-Aufmarsch in Dortmund (Arvchivbild)
epd-bild/Friedrich Stark
Das Lagebild Rechtsextremismus in NRW gibt Anlass zur Sorge: 59 Prozent mehr rechtsextreme Straftaten als im Vorjahr. Die Szene wird jünger und moderner. Rechte Propaganda findet sich jetzt auch auf TikTok, Instagram und Youtube.

Düsseldorf (epd). Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten ist im Jahr 2024 in Nordrhein-Westfalen stark gestiegen. Im vergangenen Jahr wurden 5.641 solcher Straftaten von der Polizei erfasst und damit 59 Prozent mehr als 2023, wie das NRW-Innenministerium am 19. März in Düsseldorf bei der Veröffentlichung des Lagebilds Rechtsextremismus erklärte. 2023 seien noch 3.549 Fälle verzeichnet worden. „Der Rechtsextremismus bleibt die größte Bedrohung für unsere Demokratie“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU).

Dem stimmten auch SPD und Grüne zu. Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, Christina Kampmann, nannte die Entwicklung „alarmierend“ und „eine erhebliche Bedrohung für unsere Gesellschaft“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Verena Schäffer bezeichnete Rechtsextremismus als „eine wachsende Gefahr für unsere Demokratie“.

Mit einem Anteil von 78 Prozent machten Propagandadelikte (3.511) und Volksverhetzung (839) den Großteil der 2024 erfassten rechtsextremistischen Straftaten aus, hieß es. Die Zahl der Gewaltdelikte sei um ein Drittel auf 154 Straftaten angestiegen. Die meisten Fälle (94 Prozent) seien Körperverletzungen gewesen. Im Bereich Hasskriminalität zeige sich ein Plus von 43 Prozent. Hier weist das Lagebild 2.049 Straftaten aus. Auch der Anteil der Tatverdächtigen in der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen habe sich stark erhöht und liege nun bei 287 Jugendlichen. 2023 waren es noch 100 minderjährige Tatverdächtige.

Szene ist jünger und moderner geworden

Die rechtsextremistische Szene sei jünger und moderner geworden, heißt es in dem Lagebild. „Weniger Glatze und Springerstiefel, dafür mehr Kurzvideos, Gaming und Active Clubs. Davon dürfen wir uns aber nicht täuschen lassen“, mahnte Reul. Um rechtsextreme Ideologie zu verbreiten, werde auf Entgrenzung gesetzt und viele Menschen würden über die sozialen Medien mobilisiert. Dabei werde auch mit KI experimentiert. Auf Social-Media-Plattformen würden hohe Reichweiten für rechtsextreme Propaganda erzielt. Kurzvideos bei TikTok, Instagram und Youtube spielten dabei eine zunehmend größere Rolle. Auch rechtsextremistische Radikalisierung findet immer öfter online statt.

In dem Bericht werden unterschiedliche Strömungen und Gruppierungen des Rechtsextremismus beleuchtet - auch im Zusammenhang mit der AfD. Trotz aller Unterschiede sei es weitgehender Konsens in der rechtsextremen Szene, Flüchtlinge und Muslime als „Sündenbock“ vieler relevanter Probleme und als Feindbild darzustellen. Aber auch Vertreter des demokratischen Systems würden von Rechtsextremisten vermehrt als „Volksverräter“ angefeindet.

Reul: „Rechtsextremisten halten sich durch Hass und Hetze am Leben“

Die Grünen-Politikerin Schäffer zeigte sich besorgt über den gleichzeitigen Anstieg von antisemitischen, islamfeindlichen und queerfeindlichen Straftaten, die alle überwiegend auf das Konto von rechtsextremistischen Tätern gingen. „Rechtsextreme fühlen sich offensichtlich bestärkt durch die Wahlergebnisse der verfassungsfeindlichen, rassistischen AfD und greifen gezielt Minderheiten an.“ Neben einer konsequenten Strafverfolgung mahnte sie „die Entschlossenheit der gesamten Gesellschaft“ an, gegen rechtsextreme und menschenverachtende Hetze vorzugehen.

„Rechtsextremisten halten sich durch Hass und Hetze am Leben. Dem dürfen wir keinen Raum geben“, sagte auch Minister Reul. Der Verfassungsschutz habe die Entwicklungen im Blick. Wichtig sei aber auch, dass Bürgerinnen und Bürger „für ihre Demokratie eintreten und rechte Hetze in die Schranken weisen“. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Elisabeth Müller-Witt forderte, vor allem präventive Maßnahmen weiter zu verstärken.„ Dazu gehört, mehr in die politische Bildung zu investieren, die Landeszentrale zu stärken und zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, die die sozialen Medien bedienen.“



Ergibt sich was Besseres, ist man einfach weg




Themenfoto Ghosting
epd-bild/Heike Lyding
Schon immer gab es Menschen, die völlig aus dem Leben anderer verschwanden. Heute heißt das Ghosting. An Dimension hat das Phänomen zugenommen, nicht nur in Beziehungen. Auch in der Arbeitswelt, im Gesundheitswesen und an Schulen greift es um sich.

München (epd). Geht es darum, jemanden kennenzulernen, ist das echte Leben inzwischen fast zum Nebenschauplatz geworden: Wer Kontakt knüpfen möchte, begibt sich ins Internet. Das tat auch Sandra (Name geändert), Patientin der Münchner Paartherapeutin Sharon Brehm. Die 25-Jährige wurde auch rasch fündig: „Nach nur wenigen Malen des Kontakts hatte sie ihre neue Onlinebeziehung schon als tief und intensiv empfunden“, berichtet Brehm. Dann sei von jetzt auf nachher keine Antwort mehr gekommen: „Das erlebte sie wie einen Aufprall von Wolke sieben auf die Erde.“

Völlig unerwartet verschwindet ein anderer Mensch. Zum Teil gibt es überhaupt keine Möglichkeit mehr, ihn zu erreichen. Die Handynummer wurde nie weitergegeben. Das Profil im Netz wird gelöscht. Wie ein Geist löst sich der andere auf. Daher heißt dieses Phänomen „Ghosting“. In privaten Beziehungen ist es schon länger bekannt.

Personalmangel befördert das Phänomen

Auch in der Arbeitswelt scheint Ghosting zuzunehmen. Davon erzählt die Psychologin Ulrike Witt. Gefördert werde Ghosting in der Arbeitswelt durch den Mangel an Personal, erklärt sie. In bestimmten Branchen, etwa im Einzelhandel oder in der Gastronomie, haben Interessenten eine große Auswahl an Arbeitgebern. Sie bewürben sich darum meist auf mehrere Stellen. Sagen vielleicht mehrfach zum Bewerbungsgespräch zu. Kommen dann aber nicht, und zwar ohne sich abzumelden. In diesem Ausmaß, sagt Witt, habe es das früher nicht gegeben: „Da sagte man ab.“

Witt ging in einer im Januar veröffentlichten Einzelhandelsstudie auf Ghosting ein. Weil die Problematik wächst, fand sie heraus, haben immer mehr Arbeitgeber so genannte Preboarding-Konzepte. Das bedeutet: Sobald jemand den Arbeitsvertrag unterschrieben hat, wird er ins Unternehmen eingebunden. Teilweise deutlich vor dem ersten Arbeitstag. Die neuen Mitarbeiter lernen schon mal das Unternehmen und ihre künftigen Kollegen kennen. Viel wird getan, damit sie tatsächlich zum ersten Arbeitstag erscheinen.

„Häufig reine Gedankenlosigkeit“

Man könne den Ghostern nicht böse Absicht unterstellen, so die Forscherin. Häufig scheint es reine Gedankenlosigkeit zu sein: Ergibt sich etwas Besseres, ist man einfach weg. Dennoch: Dass schlichte Höflichkeitsformen verschwinden, die früher gang und gäbe waren, sei keine gute Entwicklung.

Auch im Gesundheitswesen tritt Ghosting auf. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung und Professor für Neurologie an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Nürnberg, erlebt das mitunter in seiner Spezialsprechstunde. „Diejenigen, die am meisten Tamtam um einen Termin machen, die sofort kommen wollen, sind die, die dann einfach nicht auftauchen“, berichtet er. Weil Ghosting zunehme, ließen sich immer mehr Ärzte bei der Terminvergabe die Adresse des Patienten geben. Tauche jemand nicht auf, werde eine Rechnung geschickt.

Schulvermeidung

Harald Ebert, Leiter der Don-Bosco-Förderberufsschule in Würzburg, erlebt ebenfalls Ghosting, und zwar eng verknüpft mit der Problematik der Schulvermeidung. Schülerinnen und Schüler, so Eberts Überzeugung, möchten, dass ihre Abwesenheit wahrgenommen wird. „Werden junge Menschen an Schultagen vermisst, versuchen wir deshalb, telefonisch Kontakt aufzunehmen oder fragen im Freundeskreis oder in der Klasse vorsichtig nach“, erklärt er.

Durch die Sozialarbeiter der Schule, die den ghostenden Schüler kontaktieren, werde das plötzliche Verschwinden meist erklärbar, sagt der Pädagoge: „Wir hören von psychischen Belastungen, Beziehungskrisen, Mobbing, Schwangerschaften oder sexuellem Missbrauch.“ Für Ebert kann Ghosting zum Teil als selbstverletzendes Verhalten interpretiert werden: „Die kleine Schwester des Abbrechens von Beziehungen heißt Einsamkeit.“

Von Pat Christ (epd)


Befragung: Schulleitungen im Saarland haben hohe Arbeitsbelastung




Klassenzimmer (Archivbild)
epd-bild / Norbert Michalke

Saarbrücken (epd). Schulleitungen im Saarland stehen laut einer Befragung der Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften unter hohen Arbeitsbelastungen. „Sie weisen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen in unserer Datenbank unter anderem deutlich erhöhte quantitative und emotionale Anforderungen auf, aber zu wenige kompensierende günstige Faktoren“, sagte Studienleiter Matthias Nübling am 20. März in Saarbrücken.

Im Auftrag des saarländischen Landesverbandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte die Forschungsstelle im Herbst 2024 die Leitungskräfte der 311 Schulen zur Teilnahme an der Befragung eingeladen. Insgesamt 178 Schulleitungsmitglieder im Saarland machten den Angaben zufolge mit - darunter 56 Prozent Frauen und 43 Prozent Männer. Die meisten Teilnehmenden sind in leitender Funktion an Grundschulen tätig (42 Prozent), gefolgt von Gemeinschaftsschulen (25 Prozent) und Gymnasien (17 Prozent).

Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmt

Fast alle Befragten arbeiten demnach an Wochenenden oder Feiertagen (97 Prozent) sowie in den Abend- oder Nachtstunden (90 Prozent). 67 Prozent hielten selten oder nie ihre Pausenzeiten ein. Nur für etwa sechs Prozent der Befragten treffe es sehr oder ziemlich zu, dass die Leitungsaufgaben Freiraum für gründliche Vor- und Nachbereitung des Unterrichts geben. „Darüber hinaus sind Burnout-Symptome weit verbreitet, und die Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmt zunehmend“, erklärte die GEW Saarland. Die Untersuchung zeige aber auch, dass Schulleitungen die Sinnhaftigkeit und Bedeutung ihrer Aufgaben sowie die direkte Wirkung ihrer Arbeit auf andere betonten.

Die GEW Saarland fordert unter anderem die zügige Ausschreibung und Nachbesetzung von offenen Funktionsstellen. Die Leitungskräfte bräuchten außerdem Coaching- und Mediationsangebote sowie zusätzliche Entlastungsstunden. „Daneben müssen Klassenräume schallisoliert werden und Rückzugsorte für Pausen müssen an allen Schulen geschaffen werden“, erklärte die GEW.



Bündnis fordert von neuer Regierung restriktive Rüstungskontrolle



Bonn (epd). Union und SPD sollten nach Ansicht eines Bündnisses von Friedens- und Menschenrechtsorganisationen bei den laufenden Koalitionsgesprächen eine restriktive Rüstungsexportkontrolle vereinbaren. Rüstungsgüter seien keine normalen Waren und sollten beim Export besonders kontrolliert werden, erklärte die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) am 20. März in Bonn. Die Koalitionspartner sollten eine entsprechende Regelung im künftigen Koalitionsvertrag verankern.

In einem Offenen Brief zeigen sich die Organisationen besorgt, dass die Diskussion über Rüstungsexporte zunehmend im Kontext strategischer Interessen geführt werde und nicht unter dem Vorrang menschenrechtlicher und völkerrechtlicher Verpflichtungen. Rüstungsexporte dürften „nicht zur geopolitischen Verfügungsmasse verkommen“, mahnten sie. In ihrem Appell an die Verhandelnden von CDU/CSU und SPD forderten sie, deutsche Rüstungsexporte an Staaten auszuschließen, bei denen das Risiko besteht, dass sie zu Verletzungen der Menschenrechte oder des humanitären Völkerrechts beitragen.

Auch auf europäischer Ebene müsse die Bundesregierung „als Vorreiter für die dringend benötigte Durchsetzung und Verschärfung bestehender EU-Kriterien eintreten“. Die Organisationen kritisieren zudem Überlegungen, Rüstungsunternehmen künftig bei nachhaltigen Geldanlagen nicht mehr negativ zu bewerten oder auszuschließen.



Köln plant Pop-up-Intensivstation für Kriegsfall und Katastrophen



Köln (epd). Die Stadt Köln soll eine unterirdische Intensivstation für den Katastrophenfall bekommen. Man wolle beispielsweise auf Kriege, eine mögliche Flut wie an der Ahr, einen Reaktorunfall oder eine weitere Pandemie räumlich besser vorbereitet sein, erklärte die Geschäftsführung der städtischen Kliniken dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (21. März). Es sei vorgesehen, ein Krisenzentrum nach israelischem Vorbild zu etablieren. Geplant sei ein Tiefgaragenbereich, der bei einem Massenanfall von Verletzten als Pop-up-Intensivstation genutzt werden kann.

Die planerischen Zeichnungen für ein solches Krisenzentrum unter der Erde seien abgeschlossen, sagten die Geschäftsführer der Kliniken der Stadt Köln, Axel Goßmann und Daniel Dellmann, im Gespräch mit der Zeitung. „Aber logischerweise kostet das Geld. Deswegen sind wir noch hoch engagiert dabei, unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten zu prüfen.“

Optimal wäre eine zusätzliche Förderung, da diese Strukturen nichts mit der täglichen Krankenversorgung zu tun hätten, sondern ein Vorhalt im Sinne des Katastrophenschutzes wären, unterstrich Großmann. „Mit Köln-Wahn haben wir einen der größten Nato-Umschlagstützpunkte vor der Tür, bei einem Nato-Bündnisfall wäre dort ein militärischer Dreh- und Angelpunkt.“ Derart umfassende Strukturen wären für Deutschland einzigartig. „Eine Vorhaltemedizin, wie sie vor zehn Jahren geplant wurde, sah ganz anders aus als das, was wir nach heutigem Stand brauchen“, sagte Goßmann mit Blick auf den Ukraine-Krieg und den Ausbruch der Corona-Pandemie vor fünf Jahren.




Umwelt

UN: Folgen des Klimawandels für Tausende Jahre unumkehrbar




Eis im Wilhelm-Archipel im Norden der Antarktischen Halbinsel
epd-bild/Manu Lindner
"Unser Planet sendet immer mehr Notsignale aus", mahnt UN-Generalsekretär António Guterres.

Genf (epd). Der vom Menschen verursachte Klimawandel hat sich im vergangenen Jahr laut UN deutlich beschleunigt. Bestimmte Folgen der Erderwärmung würden über Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren unumkehrbar sein, heißt es in einem neuen Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), der am 19. März in Genf erschien. Der Report über den Zustand des Weltklimas bestätigt, dass 2024 wahrscheinlich das erste Kalenderjahr war, in dem die durchschnittliche Temperatur um mehr als die kritischen 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau lag.

„Unser Planet sendet immer mehr Notsignale aus“, sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Der Bericht zeigt laut WMO, dass eine Begrenzung des langfristigen globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius immer noch möglich ist, wenn sich die Staaten dafür starkmachen. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 setzt das Ziel, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen.

Höchste CO2-Konzentration seit 800.000 Jahren

Die globale mittlere Oberflächentemperatur sei 2024 um 1,55 Grad Celsius höher als der Durchschnitt der Jahre von 1850 bis 1900 gewesen, hieß es in dem Bericht weiter. Damit sei 2024 die wärmste Zwölfmonatsperiode in der 175-jährigen Beobachtungsgeschichte gewesen. Auch seien die zehn vergangenen Jahre die zehn wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen.

Zudem zeigt der Bericht, dass die atmosphärische Kohlendioxidkonzentration auf den höchsten Stand der letzten 800.000 Jahre gestiegen ist. In jedem der vergangenen acht Jahre sei zudem ein neuer bedenklicher Rekord für den Wärmeinhalt der Ozeane aufgestellt worden.

Weiter seien die 18 niedrigsten Meereisausdehnungen in der Arktis in den vergangenen 18 Jahren verzeichnet worden. Die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs habe sich seit Beginn der Satellitenmessungen verdoppelt.



UN warnen vor Folgen der Gletscherschmelze in Gebirgen




Sexegertenferner im Pitztal, Österreich (2024)
epd-bild/Thomas Lohnes

Bonn, Genf (epd). Die Vereinten Nationen warnen vor den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels in Gebirgsregionen. Der Klimawandel lasse Gletscher sowie Schneedecken schmelzen, Permafrost auftauen und Wasserabflüsse immer unregelmäßiger werden, heißt es in dem am 21. März veröffentlichten Weltwasserbericht der Bildungsorganisation Unesco.

Die Erderwärmung löse außerdem Überschwemmungen und Erdrutsche aus, erklärte die Unesco anlässlich des Weltwassertages (22. März). Die Kombination aus steigenden Temperaturen, veränderten Niederschlagsmustern und schrumpfenden Eismassen bedrohe langfristig die Wasserversorgung von Millionen Menschen weltweit.

„Politisch zu wenig beachtet“

Auch in Deutschland würden Flüsse durch das absehbare Verschwinden der Alpengletscher in Zukunft deutlich weniger Wasser führen, hieß es. Gebirge seien die „Wassertürme der Welt“. In den Bergregionen der Erde entspringen demnach unzählige Flüsse, die Milliarden Menschen mit Süßwasser versorgen. Sie spielten auch für die Nahrungs- und Energiesicherheit eine entscheidende Rolle.

„Gebirge bedecken knapp ein Viertel der Landoberfläche unseres Planeten, werden politisch aber zu wenig beachtet“, erklärte Ulla Burchardt, Vorstandsmitglied der Deutschen Unesco-Kommission mit Sitz in Bonn. „Während viele Gewässer im Flachland heute schon nachhaltig bewirtschaftet werden, gilt das für Gebirge kaum.“

Ein Viertel der Weltbevölkerung habe mit extremer Wasserknappheit zu kämpfen. Rund die Hälfte aller Menschen leide zumindest zeitweise unter schwerem Wassermangel. Dennoch steige der Verbrauch Jahr für Jahr an. Größter Verbraucher sei die Landwirtschaft.

Internationales Jahr des Gletscherschutzes

Die Fachleute empfehlen in dem Bericht, die Systeme zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in Bergregionen besonders robust anzulegen, eine nachhaltige Bewirtschaftung der Gewässer und einen Ausbau der Beobachtungsinfrastruktur in Hochgebirgsregionen.

Der Weltwassertag wird seit mehr als 30 Jahren am 22. März begangen. Die Vereinten Nationen haben 2025 zum Internationalen Jahr des Gletscherschutzes erklärt. Damit wollen die UN das Bewusstsein für die Bedeutung der lebenswichtigen Eismassen stärken. Die Unesco mit Sitz Paris fördert seit ihrer Gründung 1945 die internationale Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation.



"Klima-Klage": Oberlandesgericht kündigt Entscheidung im April an



Ob der Essener Energiekonzern RWE für Folgen des Klimawandels haftbar gemacht werden kann, blieb am zweiten Verhandlungstag vor dem Oberlandesgericht Hamm offen. Eine Entscheidung zur "Klima-Klage" will das Gericht im April verkünden.

Hamm (epd). Das Oberlandesgericht Hamm hat im Rechtsstreit zwischen dem peruanischen Kleinbauern Saúl Luciano Lliuya und dem Essener Energiekonzern RWE am 19. März die Beweisaufnahme abgeschlossen. Lliuya äußerte die Hoffnung, dass das Gericht bei der Verkündung am 14. April eine Verantwortung für Energieunternehmen feststelle. RWE kritisierte, Klimaziele gehörten auf die politische Agenda und nicht in einen Gerichtssaal. (AZ: 5 U 15/17)

In der mündlichen Verhandlung hatten zuvor Experten die durch den Klimawandel verursachten Risiken unterschiedlich bewertet. Im Mittelpunkt standen mögliche Gefahren für das Haus des Klägers durch eine Flutwelle oder Schlammlawine. Der Bauer will erreichen, dass RWE sich an den Kosten für Schutzmaßnahmen vor der Erderwärmung in seiner Heimat beteiligt.

Gutachter schätzten Gefahr für peruanisches Dorf als gering ein

Die zwei vom Gericht bestellten Gutachter schätzten die Gefahr einer Gesteinslawine oder Überschwemmung für das peruanische Dorf als gering ein. In den letzten Jahren seit 2016 sei lediglich eine Bewegung des Gesteins von rund 20 Zentimetern feststellbar gewesen, hieß es. Die Wahrscheinlichkeit eines Vorfalls, der in den nächsten 30 Jahren das Grundstück des Klägers beeinträchtigen könnte, liege bei nur wenigen Prozent.

Hingegen warnte ein von der Klägerseite geladener Experte einer internationalen Permafrost-Vereinigung, dass die festgestellte Bewegung der Felsmassen um 20 Zentimeter ein Anzeichen dafür sei, dass das Gebirge in Bewegung sei.

Der Kläger macht das Energie-Unternehmen mit Sitz in Essen wegen des Betriebs von Kohlekraftwerken für den Klimawandel mitverantwortlich. Die Klimakrise sei eine Realität, „mit der wir tagtäglich konfrontiert sind“, sagte Lliuya nach Angaben von Germanwatch. Er hoffe, dass das Gericht den nächsten Schritt gehe, um die Verantwortung von RWE abschließend zu klären.

Klage stützt sich auf Paragraf 1004 Bürgerliches Gesetzbuch

Die Klage stützt sich laut dem Unterstützungsnetzwerk, dem unter anderem die deutsche Umweltorganisation Germanwatch angehört, auf Paragraf 1004 Bürgerliches Gesetzbuch. Darin heißt es: „Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen.“

Die Anwältin des Klägers, Roda Verheyen, bekräftigte, dass die Gefahr für das Haus des peruanischen Bauern real sei. Wie auch immer das Gericht entscheiden sollte, es sei erfreulich, dass das Gericht „so klar die Haftung von großen Emittenten wie RWE für Klimaschäden und -risiken bekräftigt“ habe.

Germanwatch wertet Verfahren als Erfolg, RWE sieht sie unbegründet

Der Vorstand Politik von Germanwatch, Christoph Bals, erklärte: „Für die größten Emittenten unter den Unternehmen bedeutet die Einschätzung des Gerichts, dass ihr Emissionsausstoß von nun an mit einem handfesten finanziellen Risiko behaftet ist.“ Die Politik müsse die großen Emittenten „verbindlich und geordnet für die angerichteten Schäden und den Schutz vor Risiken zur Kasse bitten“.

Das Unternehmen RWE erklärte hingegen, die Verhandlung habe klargemacht, „dass die Klage nicht begründet ist“. Der gerichtliche Sachverständige habe dargelegt, dass in absehbarer Zeit keine Flutgefahr bestehet, die das Eigentum des Klägers bedrohe. RWE habe sich „an alle geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften“ gehalten. Zudem gehörten „Klimaziele auf die politische Agenda und nicht in einen Gerichtssaal“.

Bei dem Zivilrechtsstreit geht es konkret um die Frage, inwieweit der Kläger und seine Familie von einer möglichen Flutwelle aufgrund des stark angewachsenen Gletschersees Palcacocha bedroht sind.

Im Jahr 2017 hatte das Oberlandesgericht entschieden, dass es einen zivilrechtlichen Anspruch zum Schutz von durch die Klimakrise Betroffenen gegen einen großen Emittenten wie den Energiekonzern RWE grundsätzlich für schlüssig hält. In Deutschland ist das Verfahren der erste maßgebliche Fall dieser Art.



Tagebau Garzweiler: Masterplan für künftigen See verabschiedet




Ab 2030 soll aus dem Braunkohletagebau Garzweiler ein großes Naherholungsgebiet mit See werden.
epd-bild / Guido Schiefer

Erkelenz (epd). Für die Entstehung und Nutzung eines Sees im Tagebau Garzweiler liegt nun ein Konzept vor. Ein entsprechender „Masterplan“ für den künftigen See zwischen Mönchengladbach, Jüchen, Erkelenz, Grevenbroich und Bedburg ist auf der Versammlung des Zweckverbands Landfolge Garzweiler nach einer rund einjährigen Beratung verabschiedet worden, wie der Verband am 19. März in Erkelenz mitteilte. Damit sei der Rahmen für kommende Jahrzehnte geschaffen.

Der Verbandsvorsteher, Jülichs Bürgermeister Harald Zillikens (CDU), würdigte die Verabschiedung des Konzepts als einen Erfolg für die Zeit nach Beendigung des Braunkohletagebaus Garzweiler im Jahr 2030. „Unser Ziel war es, einen gemeinsamen See für die gesamte Region zu gestalten - über Grenzen von Städten, Gemeinden und Kreisen hinweg. Das ist gelungen.“

Zweitgrößtes künstliches Gewässer in Deutschland entsteht

Rund 450.000 Menschen leben den Angaben nach im Umfeld des künftigen Sees in Mönchengladbach, Erkelenz, Grevenbroich, Jüchen, Titz und Bedburg. Nach etwa 30 Jahren soll der See seinen Zielwasserspiegel erreichen und dann eine Fläche von rund 2.200 Hektar und eine Tiefe von rund 165 Metern haben. Damit werde er zu den größten Seen in Deutschland zählen und nach dem künftigen Tagebausee Hambach das zweitgrößte künstliche Gewässer Deutschlands sein, erklärte der Verband.

An dem Masterplan arbeitete seit Anfang 2024 der Zweckverband zusammen mit Fachbüros und Experten aus den Kommunen und Landesbehörden. Beteiligt waren den Angaben nach auch die RWE Power AG und die lokale und regionale Wirtschaft. Vorschläge der Bürgerschaft seien auf Veranstaltungen und mithilfe einer Online-Befragung einbezogen worden, hieß es.

Grundsatzentscheidungen wie die Lage von Zugängen zum See, von naturbelassenen Zonen, Hafenbecken oder künftigen Freizeit- und Strandanlagen sind in dem Masterplan beschrieben. Aufgrund des langen Entwicklungszeitraums soll der Masterplan als „informelles, zwischen den Kommunen abgestimmtes Planungsinstrument“ nach etwa zehn Jahren fortgeschrieben werden.

Naturschutzflächen, Tourismus und landwirtschaftliche Nutzung

Insgesamt ist etwa die Hälfte der rund 20 Kilometer langen Uferbereiche als Naturschutzflächen oder für eine naturbelassene Gestaltung vorgesehen, 16 Prozent für Freizeit, Tourismus oder Infrastruktur. Ein weiteres Drittel sind Freiflächen, etwa für eine landwirtschaftliche Nutzung.

Geplant sind auch Sportboothäfen. Als technischer Hafen mit Werft und Werkstätten soll Jackerath entwickelt werden. Lokale Strände als Zugang zum See sind etwa bei Erkelenz-Keyenberg oder Jackerath, bei Wanlo, südlich von Jüchen-Hochneukirch sowie nördlich von Bedburg vorgesehen. Ein geschlossener Rundweg soll für Radfahrer und Spaziergänger entstehen. Weitere Impulse soll die Internationale Gartenausstellung 2037 liefern.

Der 2017 gegründete Zweckverband wird von den Städten Mönchengladbach, Erkelenz, Jüchen, Grevenbroich sowie der Landgemeinde Titz getragen. Das Unternehmen RWE Power AG und die Region Köln-Bonn sind beratende Mitglieder.



Erhöhte Waldbrandgefahr in Wäldern zum Frühjahrsanfang




Abgestorbene Fichten in einem Waldstück
epd-bild/Heike Lyding

Düsseldorf (epd). Auch wenn das Frühjahr gerade erst begonnen hat - in den nordrhein-westfälischen Wäldern gilt bereits jetzt eine erhöhte Waldbrandgefahr der Stufe drei. Aktuell seien die Böden im Wald oft trocken, weil es in den vergangenen Wochen wenig geregnet habe, teilte das NRW-Landwirtschaftsministerium am 20. März in Düsseldorf mit. Da die Bäume und Sträucher erst langsam begännen, ihre Blätter zu bilden, könne die Sonne an vielen Stellen ungehindert bis auf den Waldboden scheinen.

Besucher sollten deshalb im Wald besonders achtsam sein, teilte das Ministerium anlässlich des Internationalen Tag des Waldes (21. März) mit. Grillen im Wald, Rauchen und offenes Feuer seien verboten. Bei Flammen oder Rauch im Wald sollte umgehend die Feuerwehr unter 112 angerufen werden.

NRW verfügt über 950.000 Hektar Wald

Laut dem Ministerium gibt es in NRW auf einer Fläche von 950.000 Hektar Wald - das sind 28 Prozent der Landesfläche. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl in Nordrhein-Westfalen ergibt das pro Kopf rein rechnerisch 500 Quadratmeter.

„Saubere Luft und Trinkwasser, natürlicher Boden- und Hochwasserschutz, Erholung, Naturerlebnis und wichtiger Holzlieferant - all das leistet der Wald als Multitalent für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. Wir alle können einen Beitrag leisten, um unseren Wald zu schützen, damit er auch nachfolgenden Generationen erhalten bleibt“, sagte Ministerin Silke Gorißen (CDU). Dazu zähle auch der umsichtige und respektvolle Umgang mit Tieren und Pflanzen.

In den vergangenen Jahren hat sich der Wald deutlich verändert. Es gebe mehr Laubbäume und Mischwälder, eine größere Strukturvielfalt und mehr Totholz, erklärte das Ministerium. Zugleich leide der Wald weiter unter Emissionen der Industriegesellschaft und den Auswirkungen des Klimawandels. Die 2024 erstmals durchgeführte Stichprobeninventur zeigt, dass die Wiederbewaldung der Schadflächen Fortschritte macht. Allerdings bleibe auch in den kommenden Jahren die Wiederbewaldung und die Entwicklung klimaanpassungsfähiger Mischwälder eine wichtige Aufgabe.



Studie: Nachhaltige Transformation der Unternehmen stockt




Das Umweltzertifikat "Grüner Hahn" erhalten Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen für ihr umfassendes Umweltmanagement, das vor allem für die Senkung des CO2-Ausstosses sorgen soll.
epd-bild/Hanno Gutmann

Gütersloh (epd). Politische Unsicherheit bremst laut einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung in vielen Unternehmen das Engagement für mehr Nachhaltigkeit aus. 71,4 Prozent der befragten Verantwortlichen in der Realwirtschaft erklärten, dass Unsicherheit im Blick auf politische Vorgaben und Regeln ein zumindest teilweise relevantes Hemmnis bei der Transformation sei, wie die Stiftung am 19. März in Gütersloh mitteilte. In der Finanzwirtschaft sagten dies sogar fast 80 Prozent der Befragten.

Auf der anderen Seite sähen viele in der Wirtschaft Verantwortliche die Politik auch als Treiber der Transformation - bei den Banken rund 70 Prozent, in der Realwirtschaft 62 Prozent, hieß es. Wichtigster Ansporn für wachsende Nachhaltigkeit sind demnach die künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - sie wurden von fast 74 Prozent der Firmen genannt; rund 61 Prozent bezeichneten allgemein die Jugend als Treiber.

Es gibt auch „Lichtblicke“

Unter Realwirtschaft versteht man den Wirtschaftssektor, der sich mit Produktion, Vertrieb und Konsum von Gütern und Dienstleistungen befasst. Hier stagniere die Transformation in vielen Bereichen, ergab die Befragung. Nur 13 Prozent der Firmen, die im Vorjahr angaben, konkrete Klimaziele aufstellen zu wollen, hätten diese Pläne auch umgesetzt. 77 Prozent taten dies nicht, und ein Zehntel habe ihre Nachhaltigkeitsziele sogar ganz aufgegeben.

Als „Lichtblick“ nannte die Studie, dass immer mehr Unternehmen eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung besitzen. In der Realwirtschaft sei deren Anteil um 15 Prozentpunkte auf 51 Prozent gestiegen. Fortschritte gebe es auch bei der Erhebung von CO2-Emissionen. Fast 60 Prozent der befragten Firmen erfassen demnach ihren Kohlendioxidausstoß entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

An der Online-Befragung für den diesjährigen Sustainable Transformation Monitor beteiligten sich nach Angaben der Bertelsmann Stiftung zwischen September und November 592 Unternehmen, davon 422 aus der Realwirtschaft. Die zum dritten Mal durchgeführte Studie entstand in Kooperation mit der Mercator Stiftung, der Universität Hamburg und der Peer School for Sustainable Development.



Abfall-Experte fordert mehr Einsatz für Kreislaufwirtschaft




Plastikflaschen im Discounter (Archivbild)
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Köln, Wuppertal (epd). Der Ökonom Henning Wilts fordert mehr Einsatz für Müllreduktion und Kreislaufwirtschaft. „Wir verbrennen etwa die Hälfte der Plastikverpackungen in Deutschland“, sagte der Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut am 18. März dem Radiosender WDR 5 zum Welt-Recycling-Tag (18. März). „Da kann man natürlich viel besser werden.“ Das Abfallaufkommen herunterzuschrauben, sei der Kern von Nachhaltigkeit. Dafür müsse aber das Design der meisten Verpackung geändert werden.

In den vergangenen Jahrzehnten sei der Trend in die falsche Richtung gegangen. „Wenn wir mal 30 Jahre zurückgucken, da hatten wir pro Kopf nur die Hälfte an Verpackungsabfallaufkommen aus Plastik“, sagte der Ökonom. Nun müsse die Verpackungsindustrie sich überlegen, wie man mit weniger verschiedenen Plastiksorten auskommen kann, damit Verpackungen besser recycelt werden können, forderte Wilts.

Als Beispiel nannte er eine handelsübliche Käseverpackung aus dem Kühlregal im Supermarkt. „Das ist ein technisches Meisterwerk, aber überhaupt nicht dafür gedacht, sinnvoll im Kreis geführt zu werden.“ Doch es gebe wiederverwendbare Möglichkeiten, die 15- bis 20-mal verwendet werden könnten. „Das würde wahnsinnig viel Abfall und CO2 sparen“, betonte Wilts. Durch die im Dezember beschlossene Kreislaufwirtschaftsstrategie der Bundesregierung liege der Ball nun im Feld der Verpackungshersteller.

Mit Blick auf die weltweite Situation seien Abkommen wichtig, sagte der Abfall-Experte. Anfang August soll in der Schweiz über eine internationale Vereinbarung zum Plastikabfall verhandelt werden. Dabei gehe es darum, die Plastikmenge zumindest zu stabilisieren und das Problem des Plastikmülls in Flüssen und Meeren zu reduzieren, erklärte Wilts. Der vorangegangene Versuch sei an den finanziellen Interessen der mit Erdöl handelnden Staaten gescheitert. „Und da wird es in zehn Tagen Verhandlungsmarathon darauf ankommen, da wirklich alle Länder an Bord holen“, sagte der Abteilungsleiter des Wuppertal Instituts.



Analyse: Nahverkehr in NRW besser als im Bundesdurchschnitt




S-Bahn-Haltestelle Dortmund-Universität (Archivbild)
epd-bild / Friedrich Stark

Berlin, Düsseldorf (epd). Das Bus- und Bahnangebot ist in Nordrhein-Westfalen laut einer Greenpeace-Analyse besser verfügbar als in anderen Flächenbundesländern. Nur 18 Prozent der Menschen in NRW hätten an ihrem Wohnort einen sehr schlechten Zugang zum öffentlichen Nahverkehr, bundesweit ginge es rund 26 Prozent der Deutschen so, erklärte die Umweltorganisation am 21. März in Berlin. Schlusslicht der Analyse ist Niedersachsen, wo den Angaben zufolge rund 42 Prozent der Menschen einen schlechten Zugang zum ÖPNV haben.

Danach folgen Bayern (38,5 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (38,4 Prozent). Im Saarland betrifft ein schlechter Zugang der Analyse zufolge 30 Prozent der Menschen. In den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg liege der Anteil jeweils im einstelligen Bereich.

Stadt-Land-Gefälle

Neben den Unterschieden zwischen den Bundesländern gebe es auch ein großes Stadt-Land-Gefälle, hieß es. Während rund 78 Prozent der Menschen in kreisfreien Großstädten von gutem oder sehr gutem ÖPNV profitierten, seien es in dünn besiedelten ländlichen Kreisen lediglich 11 Prozent. Die Hälfte der Menschen sei dort vom öffentlichen Nahverkehr abgehängt. Zu den zehn am besten angebundenen Städten zählen aus NRW Bonn (vierter Platz), Herne (sechster Platz) und Düsseldorf (siebter Platz). Am besten hat demnach Mainz abgeschnitten.

Für die Analyse wurden nach Angaben von Greenpeace aktuelle Fahrplandaten analysiert. Damit wurde für die rund 11.000 deutschen Gemeinden sowie Landkreise und Bundesländer ermittelt, wie gut Menschen den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erreichen können. Für die Bewertung des ÖPNV-Zugangs wurden unter anderem die Häufigkeit der Abfahrten sowie die Entfernung des Wohnorts zur Haltestelle berücksichtigt. Die Analyse wurde nach Angaben von Greenpeace von den Münchner Datenanalysten Plan4Better umgesetzt.



Mahnwache vor der Staatskanzlei gegen Castor-Transporte in NRW



Ahaus/Düsseldorf (epd). Atomkraftgegner aus NRW haben am 18. März vor der Staatskanzlei mit einer Mahnwache gegen geplante Castor-Transporte in NRW protestiert. Der Staatskanzlei seien zudem 4.000 Unterschriften gegen die Transporte übergeben worden, sagte Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu habe es auch ein Gespräch in der Staatskanzlei gegeben.

4.000 Unterschriften übergeben

Anlass für die Mahnwache war eine nicht öffentliche Sitzung zu diesem Thema am 19. März im Wirtschaftsausschuss des NRW-Landtags, erklärte Eickhoff. Die Anti-Atomkraft-Initiativen aus dem Münsterland und Jülich kritisierten, dass die in Düsseldorf angesetzte Beratung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinde. Laut Eickhoff hatten sich rund 30 Menschen zu der Mahnwachen versammelt.

Die Landesregierung hatte die Kritik zuvor zurückgewiesen. Das Wirtschaftsministerium habe in den vergangenen Monaten die Öffentlichkeit immer wieder über den aktuellen Sachstand zum Thema Transport und Lagerung von Castor-THTR/AVR-Behältern informiert, hatte eine Ministeriumssprecherin am 14. März dem epd gesagt. Der Entwurf der Transportgenehmigung und ihre Inhalte seien als Verschlusssache eingestuft worden. Aus Gründen des staatlichen Geheimschutzes könnten der Öffentlichkeit daher dazu leider keine Auskünfte erteilt werden.

Hintergrund sind die mehrfach verschobenen, aber weiterhin geplanten Straßentransporte mit sogenannten Kugelbrennelementen vom Forschungszentrum Jülich aus einem stillgelegten Versuchsreaktor zum Brennelemente-Zwischenlager in Ahaus. Probefahrten mit Leer-Castoren fanden im November 2023 statt. Das Innenministerium und das Wirtschaftsministerium in Nordrhein-Westfalen hatten danach Pannen bei der Testfahrt einräumen müssen. Demnach war der Schwertransport mit den leeren Castor-Behältern auf der A3 am Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg „streckenbedingt auseinandergezogen“ worden und hatte so den Sichtkontakt zu den vorweg fahrenden, begleitenden Polizeifahrzeugen verloren.



Nabu NRW ruft zu Rücksicht auf wandernde Amphibien auf




Die alljährliche Krötenwanderung hat begonnen.
epd-bild / Rolf Müller

Düsseldorf (epd). Angesichts der steigenden Temperaturen und feuchten Nächten wendet sich der Naturschutzbund (Nabu) an Autofahrerinnen und -fahrer in Nordrhein-Westfalen, auf wandernde Kröten, Frösche und Molchen Acht zu geben. In den kommenden Tagen würden Tausende Amphibien unterwegs sein und beim Überqueren von Straßen oft in Lebensgefahr geraten, teilte der Nabu-Landesverband am 21. März in Düsseldorf mit. Zum Schutz der Wirbeltiere seien an rund 100 Standorten in NRW Zäune errichtet worden, insbesondere in der Nähe von Straßen, Baustellen oder anderen gefährlichen Bereichen.

„Sobald die Temperaturen steigen und die Nächte feucht sind, machen sich unzählige Kröten, Frösche und Molche auf den Weg zu ihren Laichgewässern“, sagte Michael Thissen, Sprecher des Nabu NRW für Amphibien- und Reptilienschutz. Damit sie nicht auf den Straßen überfahren werden, seien derzeit ehrenamtliche Helfer an den über 100 Standorten im Einsatz. Die ehrenamtlichen Amphibienschützer betreuen demnach die Zäune, kontrollieren die Eimer, zählen die Tiere und tragen sie über die Straße.

In manchen Regionen wurden demnach bereits über 2.000 Amphibien gezählt, während es an anderen Orten kaum 400 sind. Besonders aktiv seien die Nabu-Gruppen unter anderem in Mönchengladbach, Velbert (Kreis Mettmann) und Kalletal (Kreis Lippe).



LWL-Freilichtmuseum Detmold rückt Nachhaltigkeit in den Fokus



Detmold (epd). Das LWL-Freilichtmuseum Detmold stellt in der zum 1. April startenden neuen Saison das Thema Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt. Unter dem Motto „Was heißt HIER Nachhaltigkeit - ganz konkret?“ soll gezeigt werden, wie nachhaltige Praktiken in der Region umgesetzt werden können, wie das Museum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) erklärte. Zur Feier des Saisonauftakts ist der Eintritt am 5. April für alle Besucher kostenfrei.

Besucher könnten sich anhand von 17 Beispielen im Museumsgelände mit zu bewältigenden Herausforderungen befassen, hieß es. Dabei geht es nach Museumsangaben um Themen wie Armut, hochwertige Bildung, Geschlechtergleichheit oder Maßnahmen zum Klimaschutz. Auch nachhaltiger Konsum und nachhaltige Produktion sollen thematisiert werden.

„Wir zeigen in diesem Jahr unseren Gästen die nachhaltigen Lösungen, die das LWL-Freilichtmuseum Detmold bereits gefunden hat“, sagte LWL-Direktor Georg Lunemann. Ziel sei es, die Besucherinnen und Besucher zu inspirieren, eigene Ideen zu entwickeln und aktiv zu werden.

Neue Sonderschau

Am 3. April eröffnet im historischen Haus Schwenger im Paderborner Dorf die Ausstellung „Aufgedeckt - Textile Sammlungsforschung zwischen Seidenpapier und Datenbank“. Die Schau ermögliche Einblicke in die „objektbasierte Textilforschung“, hieß es. Bei den Handwerkertagen am 5. und 6. Juli stehe die Restaurierung einer Schule aus Thöningsen im Mittelpunkt. Zudem gebe es Vorführungen und Programme aus den Bereichen Tischlerei, Schieferarbeiten und des Maurerbetriebs. Zum Ende des Jahres öffnet das Museum für den Museumsadvent am ersten Adventswochenende vom 5. bis 7. Dezember die Tore.




Soziales

"Wir wollen Leben retten"




Schwester Annette Biecker (l.) und Marion Meister mit einer Puppe an der Babyklappe am St. Vinzenz-Krankenhaus in Hanau
epd-bild/Heike Lyding
Eine Klappe, hinter der ein geheiztes Kinderbett steht. Seit 25 Jahren können Mütter in vielen Städten dort ihre Babys anonym ablegen. Seriöse Zahlen dazu, wie oft das passiert, gibt es nicht. Aber: Der von Kritikern befürchtete Andrang blieb aus.

Hanau/Berlin (epd). Eine Eisentreppe an der Rückseite des St. Vinzenz-Krankenhauses in Hanau führt einige Stufen nach oben. Dort, in einer kaum einsehbaren Nische, steht in roten Buchstaben das Wort „Babyklappe“. Sie öffnet sich, wenn jemand den Knopf links daneben drückt. Hinter der Klappe steht ein Wärmebett, die Decke hat einen Bärchenaufdruck. „Meist werden die Kinder in ein Tuch gewickelt auf der Decke abgelegt“, sagt Schwester Annette Biecker vom Seelsorgeteam des Krankenhauses dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zehn Minuten nachdem die Klappe geschlossen wurde, ertönt in der Ambulanz ein Signal. Das Baby wird geholt und untersucht, die Suche nach Adoptiveltern beginnt.

Vor 25 Jahren, am 8. April 2000, hat der Verein „SterniPark“ in Hamburg die erste Babyklappe in Deutschland eröffnet, und zwar an einer Kita. Anlass war damals der Fund einer Babyleiche in einer Hamburger Recyclinganlage. Die Idee fand viele Nachahmer, rund 100 gibt es Schätzungen zufolge mittlerweile in Deutschland, genaue Zahlen fehlen. Seit Eröffnung der Babyklappe „haben wir 56 Leben gerettet“, teilt „SterniPark“ auf seiner Internetseite mit.

Initiative von Berliner Pastorin

Die erste Babyklappe in einem Krankenhaus geht auf die Initiative von Gabriele Stangl zurück. Die Pastorin und Seelsorgerin am Berliner Krankenhaus Waldfriede hatte mit einer alten Frau gesprochen, die ihr berichtete, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ihr Baby im Wald abgelegt zu haben. Sie war vergewaltigt worden, hatte zwei Kinder und ihr Mann war in Gefangenschaft. „Sie konnte sich niemals verzeihen, was sie getan hat“, erinnert sich Stangl.

Wenig später habe ein Diakon mit einer schwangeren Prostituierten vor ihr gestanden. „Sie war verzweifelt, weil sie Angst hatte, dass ihr Zuhälter das Kind verkauft“, sagt Stangl. Die Pastorin wollte helfen, eventuell mit der Vermittlung einer anonymen Geburt. „Das ist illegal“, habe ihr ein Arzt gesagt und Hilfe abgelehnt. Stangl hatte die Schicksale der alten Frau und der Prostituierten im Hinterkopf, als sie von der Babyklappe in Hamburg hörte. „Ich wollte nie wieder so verzweifelte Menschen wegschicken“, sagt sie. Das verbiete ihr auch ihr Glaube.

Ein Drittel der Mütter nimmt das Kind an

Nach Überzeugungsarbeit der Seelsorgerin eröffnete die Babyklappe im Haus Waldfriede im September 2000. Entgegen der Annahme von Kritikern, dass man es den Müttern zu leicht mache und die Frauen bald „Bauch an Bauch stehen“ würden, um ihre Kinder abzugeben, waren es bis zu ihrem Abschied im Jahr 2017 insgesamt 26 Kinder, sagt Stangl.

Schlimm war, als 2002 ein ermordetes Baby in der Klappe lag. Gabriele Stangl ist noch heute überzeugt, dass nicht die Mutter die Täterin war. Die Presseberichte über das „Daniel Simson“ genannte Kind gingen um die Welt.

Mit großer Freude hingegen erinnert sich Stangl an einen Jungen, der im selben Jahr abgegeben worden war. Drei Tage später stand ein junges Paar vor ihr, sie 17 Jahre alt, er 18. Sie beteuerten weinend, die Eltern zu sein. Nachdem die Mutterschaft festgestellt worden war, nahmen sie das Kind mit. Das Jugendamt wurde zur Unterstützung eingeschaltet und die Großeltern packten mit an.

Sie habe oft erlebt, dass Mütter sich das Leben mit dem Kind zutrauen, wenn sie in ihrer Not gehört werden und Hilfe bekommen, sagt Stangl. Sie habe auch viele Frauen betreut, die später zu anonymen Geburten ins Krankenhaus gekommen seien. Ein Drittel von ihnen habe das Kind am Ende behalten, die anderen haben es zur Adoption freigegeben. „Aber die Geburt war sicher und das Kind wurde betreut“, betont Stangl.

Noch Kontakt zu einigen Kindern

Die Pastorin im Ruhestand hat noch heute Kontakt zu einigen Kindern. „Sie sollen wissen, was passiert ist“, sagt sie und unterscheidet zwischen der „Bauch-Mama“ und der „Herz-Mama“: „Das Kind ist bei beiden gewachsen, das kann man erklären.“

„Es ist Teil ihrer Identität“, sagt auch Florian Hillenbrand von der Adoptionsvermittlung des Sozialdienstes katholischer Frauen in Fulda, der die Kinder aus der Babyklappe in Hanau vermittelt. Die Babyklappe sei Teil der Herkunftsgeschichte eines Kindes. „Wissen ist für die Kinder besser einzuordnen als eine Ahnung oder gar die Fantasie.“ Manche Menschen könnten damit in ihrem weiteren Leben sehr gut umgehen, für andere sei es eine große Verletzung.

Der Sozialdienst katholischer Frauen betreibt auch zwei Babyklappen in Fulda und Kassel. Dort sowie in Hanau seien seit 2001 insgesamt 49 Kinder abgegeben worden. 42 wurden später adoptiert, 7 Kinder kamen zurück zu den leiblichen Müttern.

Recht auf Kenntnis der Abstammung

Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist ein Grundrecht, darauf verweisen Kritiker der Babyklappen. Denn für die Kinder aus einer Babyklappe ist das in den allermeisten Fällen nicht einzulösen. Anders ist es bei einer gesetzlich geregelten vertraulichen Geburt, bei der Frauen seit 2014 medizinisch sicher und zunächst anonym entbinden können: Die Daten der Mutter werden hinterlegt und das Kind kann ab dem Alter von 16 Jahren eine Auskunft verlangen.

Wie groß die Belastung sein kann, nichts über die eigene Herkunft zu wissen, gar keinen Bezug dazu haben, weiß auch Marion Meister vom Sozialdienst katholischer Frauen, die an der Einrichtung der Babyklappe in Hanau mitgewirkt hat. Im Wärmebett im St. Vinzenz-Krankenhaus liegt deshalb ein Brief an die Mutter in mehreren Sprachen. Darin stehen Hinweise, wo sie Hilfe für sich finden kann, und die Bitte, dem Kind etwas mitzugeben: einen Gruß, eine Nachricht, ein Schmusetier. „Wir wollen Leben retten“, betont Meister. Gleichzeitig freuten sich alle, wenn das Kind etwas von der leiblichen Mutter bekomme.

Von Renate Haller (epd)


Verbände sehen keine Entwarnung bei der Pflegeausbildung




Pflegerin mit Heimbewohnerin (Archiv)
epd-bild/Tim Wegner
Die Zahl der Neuverträge in der Pflegeausbildung ist im vergangenen Jahr um neun Prozent gestiegen. Doch die Zunahme reicht laut Verbänden nicht aus, um die Fachkräftelücke zu schließen. Reformen seien nötig.

Wiesbaden/Dortmund (epd). Patientenschützer und Krankenhäuser sehen in steigenden Ausbildungszahlen in der Pflege noch keinen Grund zur Entwarnung. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden vom 18. März wurden im vergangenen Jahr neun Prozent mehr neue Ausbildungsverträge zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann abgeschlossen als im Jahr davor. Laut der Deutschen Stiftung Patientenschutz kommt es allerdings darauf an, den Nachwuchs langfristig im Beruf zu halten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft verwies darauf, dass der Anstieg bislang nicht ausreiche, die Fachkräftelücke zu füllen.

Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nannte die Zahlen „trügerisch“. Höhere Gehälter reichten nicht, um Pflegekräfte im Job zu halten. „Neben planbaren Arbeitszeiten und einer guten Work-Life-Balance muss der Pflege mehr Verantwortung übertragen werden“, sagte Brysch.

Unattraktive Arbeitsbedingungen

Auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, verwies auf aktuell unattraktive Arbeitsbedingungen in der Pflege. Täglich müsse eine Pflegekraft drei Stunden Schreibarbeit aufwenden, sagte Gaß. Nur eine Stunde weniger Bürokratie täglich würde die Arbeitskraft von 47.000 Fachkräften freisetzen: „Damit wäre der Fachkräftemangel in der Pflege mit einem Schlag gelöst, der Beruf hätte an Attraktivität gewonnen und der Druck auf die Beschäftigten wäre weitaus geringer.“ Zudem reiche das leichte Plus bei den Ausbildungsverträgen nicht aus, da in den kommenden zehn Jahren rund 300.000 Klinikbeschäftigte in den Ruhestand träten.

Laut dem Statistischen Bundesamt gab es im vergangenen Jahr 59.500 Neuverträge in der Pflege, ein Plus von 5.100 im Vergleich zu 2023. Zum Jahresende 2024 befanden sich nach vorläufigen Ergebnissen insgesamt 147.100 Personen in einer Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann. Damit hat sich die Zahl der Auszubildenden in der Pflege insgesamt gegenüber dem Jahresende 2023 (146.900 Auszubildende) kaum verändert.

Drei Viertel der Auszubildenden weiblich

Während die Zahl der weiblichen Auszubildenden 2024 leicht um ein Prozent oder 1.200 auf 108.700 abnahm, stieg die Zahl der männlichen Auszubildenden gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent oder 1.400 auf 38.400. Somit waren immer noch 74 Prozent der Pflegeauszubildenden Frauen. Im Jahr 2020, dem Einführungsjahr der generalistischen Pflegeausbildung, hatte der Frauenanteil bei 76 Prozent gelegen. Damit blieb die Geschlechterverteilung seit der Einführung der neuen Pflegeausbildung weitgehend konstant.



Pflegekammer NRW warnt vor wachsender Bürokratie in der Pflege



Düsseldorf (epd). Die Pflegekammer NRW warnt vor wachsender Bürokratie und der zusätzlichen Belastung der Mitarbeiter durch die Erhebung der „Pflegepersonalregel 2.0“ (PPR 2.0). Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (Inek) sollte das Verfahren „kritisch“ überprüfen, da es Pflegefachpersonen mit Aufgaben belaste, „die nicht im Sinne einer optimalen Pflege sind“, mahnte die Kammer am 18. März in Düsseldorf.

Die PPR 2.0 soll zur Berechnung einer optimalen Personaldecke in der Pflege dienen, wie es hieß. Dabei werden nach Ansicht der Pflegekammer aber auch Daten erhoben, die von dem Institut nicht genutzt werden. „Das bindet unnötig Ressourcen bei den Kolleg/innen, sorgt für Frust und schafft keinen Mehrwert“, kritisierte die Präsidentin der Pflegekammer NRW, Sandra Postel.

Deshalb fordert die Kammer von dem Institut, dass die Daten künftig entweder eine sinnvolle Verwendung finden oder die Dokumentation reduziert wird. Ziel müsse es sein, die Pflegefachpersonen von unnötiger Bürokratie zu befreien.

Überfrachtetes PPR 2.0-Punktesystem

„Wir sind uns darin einig, dass wir eine präzise Berechnung des Personalschlüssels brauchen, die sich am tatsächlichen Bedarf auf einer Station während einer Schicht orientiert“, betonte Postel. Dafür sollten möglichst schichtgenaue Daten erhoben werden. Wenn diese Daten aber nicht im Interesse des Pflegefachpersonals ausgewertet würden, ergebe das Verfahren „keinen Sinn“, mahnte die Kammer-Präsidentin.

Die PPR 2.0 ist ein Punktesystem, mit dem festgelegt werden soll, welche Patienten wie intensiv gepflegt werden müssen. Aus diesem System ergibt sich dann der konkrete Pflegebedarf und der Schlüssel an Pflegefachperson pro Patient. Bei der praktischen Umsetzung der PPR 2.0 ergeben sich allerdings viele Herausforderungen.

Die Pflegekammer NRW nennt ein Beispiel aus der Kinderkrankenpflege: Hier sei festgestellt worden, dass die digitalen Tools der PPR 2.0 die Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern nicht ausreichend berücksichtigen. Dies könne zu fehlerhaften oder ungenauen Einstufungen und damit falschen oder unzureichenden Behandlungen der Patienten führen. Zudem zeige sich, dass die auszufüllenden Unterlagen für die Kinderkrankenpflege an vielen Stellen unterschiedlich interpretiert werden können. Dies führe dazu, dass Krankenhäuser die Dokumentation unterschiedlich handhabten und damit eine bundesweite Vergleichbarkeit der Daten einschränkt werde.

„Wir möchten sicherstellen, dass Pflegefachpersonen ihre Zeit dort einsetzen können, wo sie am meisten gebraucht wird - bei der direkten Versorgung der Patient/innen“, erklärte Postel. Die Bürokratie müsse so gestaltet werden, „dass sie die Pflege nicht unnötig belastet und die Qualität der Versorgung nicht beeinträchtigt“.



Bethel-Chef Pohl: Vorgeburtliche Bluttests setzen Eltern unter Druck




Ulrich Pohl (Archivbild)
epd-bild/v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel/Matthias Cremer

Bielefeld (epd). Der Vorstandsvorsitzende der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, Pastor Ulrich Pohl, kritisiert kostenlose Bluttests als Kassenleistung. Sie spiegelten ein gesellschaftliches Klima wider, in dem nur willkommen sei, wer gesundheitliche Standards erfülle, erklärte Pohl am 20. März in Bielefeld anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages (21. März). „Menschen mit Down-Syndrom werden als vermeidbar wahrgenommen, und das setzt Eltern unter Druck, sich für eine Abtreibung zu entscheiden.“

Seit Juli 2022 bezahlen die Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen einen vorgeburtlichen Bluttest auf Trisomien wie das Down-Syndrom (Trisomie 21). Pohl nannte die sogenannten nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) eine „selektive Fahndung nach unerwünschten Abweichungen“. So entschieden sich in rund 90 Prozent der Fälle die Schwangeren für einen Abbruch, wenn sie erfahren, dass ihr Kind Trisomie 21 hat, sagte er.

Der Bethel-Chef erinnerte an die 2006 verabschiedete UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland als einer der ersten Mitgliedsstaaten unterzeichnet hatte und die hierzulande seit 16 Jahren geltendes Recht ist. Die Konvention betrachte Vielfalt als Bereicherung und fordere ein selbstverständliches Zusammenleben aller Menschen ein, betonte Pohl. „Wir wollen eine Gesellschaft, in der auch Menschen mit Behinderungen gut leben können.“

Der Welt-Down-Syndrom-Tag wurde 2006 ins Leben gerufen. Die Aktion symbolisiert mit seinem Datum 21.3. das dreifache Vorhandensein des 21. Chromosoms als das charakteristische Merkmal des Down-Syndroms.



Behindertenbeauftragte zum Welt-Down-Syndrom-Tag: Barrieren abbauen




Der Welt-Down-Syndrom-Tag wirbt jährlich für Inklusion.
epd-bild/Christian Ditsch

Düsseldorf (epd). Die Behindertenbeauftragte der nordrhein-westfälischen Landesregierung, Claudia Middendorf, hat anlässlich des Welt-Down-Syndrom-Tages (21. März) dazu aufgerufen, Vielfalt wertzuschätzen und Barrieren abzubauen. „Menschen mit Down-Syndrom haben ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen“, erklärte sie in Düsseldorf. Sie setze sich dafür ein, „dass sie die nötige Unterstützung erhalten, um ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben zu führen“.

Der Welt-Down-Syndrom-Tag soll das Bewusstsein für die Rechte, Stärken und Bedürfnisse von Menschen mit Trisomie 21 schärfen. Das Datum 21.3. verweist auf das dreifache Vorhandensein des 21. Chromosoms bei Menschen mit Down-Syndrom. In diesem Jahr steht der Aktionstag unter dem Motto #ImproveOurSupportSystems (Stärkt unsere Unterstützungssysteme).



Im dritten Jahr in Folge weniger Elterngeldbezieher



Wiesbaden (epd). Rund 1,67 Millionen Frauen und Männer haben im vergangenen Jahr in Deutschland Elterngeld bekommen. Das waren rund 95.000 (5,4 Prozent) weniger als im Jahr 2023. Damit sank die Zahl der Elterngeldbezieher im dritten Jahr in Folge und war 10,6 Prozent niedriger als 2021, wie das Statistische Bundesamt am 24. März in Wiesbaden mitteilte.

Im Vorjahresvergleich ging die Zahl der Elterngeld beziehenden Männer 2024 um 31.000 oder 6,6 Prozent auf 432.000 zurück. Die Zahl der leistungsbeziehenden Frauen sank um 65.000 oder 5 Prozent auf 1,24 Millionen.

Die durchschnittliche Dauer des geplanten Elterngeldbezugs lag bei den Frauen unverändert bei 14,8 Monaten. Die von Männern angestrebte Bezugsdauer war mit durchschnittlich 3,8 Monaten dagegen deutlich kürzer und im Vergleich der vergangenen Jahre nahezu konstant.



VdK-Chefin Bentele warnt Union und SPD vor Sozialkürzungen




Verena Bentele (Archivbild)
epd-bild/Christian Ditsch

Berlin/Köln (epd). Die VdK-Präsidentin Verena Bentele hat Union und SPD vor Kürzungen im Sozialbereich, etwa beim Bürgergeld und bei der Förderung des Heizungstauschs, gewarnt. „Mit der Schaffung des Sondervermögens hat Friedrich Merz wirklich alle Karten in der Hand, die deutsche Gesellschaft zusammenzuführen“, sagte die Chefin des Sozialverbands dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (23. März). „Diese Chance sollte er sich nicht mit kurzfristig gedachten Kürzungen im Sozialhaushalt verspielen“, sagte Bentele.

Bei Kürzungen des Bürgergelds befürchtet Bentele negative Folgen für die Berufsqualifizierung der Empfänger. „Die Spielräume beim Bürgergeld sind kleiner, als viele suggerieren: an einem gesetzlich vorgeschriebenen Existenzminimum und bescheidenen Regelsätzen kann nicht mehr gekürzt werden“, sagte die VdK-Chefin. Zudem sollte es die neue Bundesregierung in Zeiten eines Arbeitskräftemangels vermeiden, an Qualifikationen und Weiterbildungen zu sparen.

Einsparungen beim sogenannten Heizungsgesetz seien weder nötig noch klug, fügte Bentele hinzu. „Durch die zusätzlichen Mittel aus dem Sondervermögen muss immer genug Geld für sozial gerechte Förderungen da sein“, sagte die Verbandschefin.



Klageverfahren bei NRW-Sozialgerichten leicht rückläufig




Gerichtssaal (Archivbvild)
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Essen (epd). Die Zahl der Klageverfahren an den acht Sozialgerichten in Nordrhein-Westfalen ist erneut leicht gesunken. Im Jahr 2024 seien an den Sozialgerichten insgesamt knapp 65.560 Verfahren wie Klagen und Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz neu eingegangen, erklärte das Landessozialgericht in Essen am 20. März bei der Vorlage des Jahresberichts 2023. Das waren etwa 550 Verfahren weniger als im Vorjahr (minus 0,8 Prozent).

Mit 25,6 Prozent war die Grundsicherung für Arbeitsuchende das häufigste Themengebiet der neuen Verfahren bei den NRW-Sozialgerichten in Aachen, Detmold, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Gelsenkirchen, Köln und Münster. Je etwa 17,4 Prozent der Eingänge bezogen sich auf das Schwerbehindertenrecht im Sozialgesetzbuch IX und die Krankenversicherung, gefolgt von der Rentenversicherung mit 15,3 Prozent.

Die Zahl der abgeschlossenen Verfahren sank 2024 um zwei Prozent auf 70.925. Im Vorjahr waren dem Bericht zufolge 72.390 Verfahren beendet worden. Ende 2024 seien bei den Sozialgerichten 81.778 unerledigte Verfahren anhängig gewesen. Das seien rund sechs Prozent weniger als im Vorjahr.

Zahl der Berufungen sank

Bei dem Landessozialgericht NRW sank 2024 im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Eingänge, vor allem Berufungen, um 418 auf insgesamt 5.414. Die Zahl der Erledigungen sank ebenfalls leicht um 195 auf 5.645 Verfahren. Der Bestand am Jahresende verringerte sich um 214 auf 6.254 Verfahren.

Thematisch stand auch beim Landessozialgericht mit einem Anteil von rund 28 Prozent der Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende an erster Stelle, gefolgt von Verfahren im Zusammenhang mit der Rentenversicherung (21,6 Prozent), Krankenversicherung (knapp 15 Prozent) und Unfallversicherung (zehn Prozent). Die Bereiche Asylbewerberleistungsgesetz und Schwerbehindertenrecht (jeweils knapp sieben Prozent) und Pflegeversicherung (drei Prozent) verzeichneten etwas weniger Eingänge.

„Der Sozialstaat steht vor großen Herausforderungen“, sagte Gerichtspräsident Jens Blüggel. Neben den Auswirkungen des demografischen Wandels und der volkswirtschaftlichen Entwicklung werde auch die Sicherung des äußeren Friedens die zur Verfügung stehenden Steuer- und Beitragsmittel beeinflussen. Die Sozialgerichtsbarkeit werde weiterhin darüber wachen, dass der Sozialstaat aber in seinem Kern erhalten bleibe.



97-Jährige hilft Wohnungslosen: "Noch bin ich ja vorhanden"




Annemarie Streit vor dem Kontaktladen Mecki in Hannover
epd-bild/Jens Schulze
Annemarie Streit unterstützt seit mehr als 40 Jahren wohnungslose Menschen. Immer sucht die 97-Jährige dabei auch die persönliche Begegnung. Regelmäßig kommt sie in den Kontaktladen "Mecki" für Wohnungslose in Hannover und hat Spenden mit dabei.

Hannover (epd). Annemarie Streit steigt aus dem Auto und geht auf den Rollator gestützt die letzten Schritte zum Kontaktladen „Mecki“ in Hannover. Der Treffpunkt für Wohnungslose ist am Morgen schon gut frequentiert, als die 97-Jährige eintritt. Gemeinsam mit ihren Unterstützern Ute und Bernd Winkler, die sie abgeholt haben, pflegt sie so etwas wie ein Ritual. Die alte Dame ist elegant gekleidet an diesem Tag, die Haare sind frisch gestylt. „Alle drei Wochen geht es zum Friseur, zum 'Mecki' und zum Wocheneinkauf bei Aldi“, sagt sie.

Im November ist Annemarie Streit mit dem „Niedersachsenpreis für Bürgerengagement“ ausgezeichnet worden. Nur wenige dürften in ihrem Ehrenamt einen so langen Atem haben wie sie. Seit mehr als 40 Jahren setzt sich die Hannoveranerin für wohnungslose Menschen ein. „Das ist hervorragend“, sagt Sozialarbeiterin Veronika Horn, die selbst schon mehr als 30 Jahre in dem diakonischen Treffpunkt „Mecki“ arbeitet. „Ohne Menschen wie sie wäre unser Angebot so nicht möglich“, fügt sie an. Dann legt sie Schokoriegel, Äpfel und gekochte Eier, auf den Tresen, einen Teil der Lebensmittel, die Annemarie Streit und die Winklers mitgebracht haben und die das Angebot für die Gäste an diesem Tag bereichern.

Selbstgestricktes

Immer haben die drei Besucher auch Hygieneartikel wie Papiertaschentücher und Seife dabei. Mit einer Tasche für seine Gitarre, die sich ein Gast im „Mecki“ wünscht, können sie aber diesmal nicht dienen. „Die kann ich schlecht stricken“, sagt Ute Winkler und lacht. Sie unterstützt Annemarie Streit auch bei der Handarbeit. Denn die 97-Jährige strickt ebenfalls noch regelmäßig die Handschuhe und Mützen, die sie vor allem im Winter immer mitbringen. „Selbstgestricktes hält länger und ist wärmer“, ist Streit überzeugt.

An diesem Tag hat sie kaum Platz genommen, da kommt ein alter Bekannter auf sie zu. Der ältere Mann mit Bart umfasst ihre Hände. „Schön, Sie hier zu sehen!“ Beide kommen ins Philosophieren, darüber, wie viel schneller die Zeit im Alter verfliegt und sie sagt: „Noch bin ich ja vorhanden.“ Annemarie Streit ist es wichtig, die Spenden persönlich vorbeizubringen, obwohl sie immer weniger der Besucher im „Mecki“ kennt. „Vieles hat sich verändert“, sagt sie. „Es kommen immer mehr, die kein Deutsch sprechen.“

In jüngeren Jahren ist sie gemeinsam mit ihrem mittlerweile verstorbenen Bruder Gerhard viele Jahre lang regelmäßig in den Straßen Hannovers unterwegs gewesen. „Ich habe mich immer zu den Leuten auf die Bank gesetzt und mit ihnen geredet“, sagt sie. „Das ist die Hauptsache.“ So erfuhren sie, was die Menschen wirklich benötigten - von der Hundeleine über die Unterhose bis zum Vogelkäfig. „Ich organisiere sehr gerne“, sagt Streit. „Das habe ich von meiner Mutter.“

„Wohnungslose haben oft keine Lobby“

Warum sie all dies tut, kann Annemarie Streit selbst nicht erklären. Seit mehr als 90 Jahren lebt sie in dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist und das voll von Erinnerungen an die Eltern und Geschwister ist. „Ich habe alles, was ich brauche.“ Doch auch Entbehrungen habe sie kennengelernt - als sie und die Geschwister mit der Mutter vor den Weltkriegsbomben aus Hannover fliehen mussten. Weil der Vater nach dem Krieg noch viereinhalb Jahre in Gefangenschaft war, ging sie arbeiten statt zu studieren: als Schwesternschülerin, als Zahnarzt-Helferin, schließlich die meiste Zeit bei einer Versicherung.

Sie kann viele Geschichten von ihren Begegnungen mit Wohnungslosen erzählen. Bei drei Hochzeiten, bei denen sich Verkäuferinnen und Verkäufer des Straßenmagazins „Asphalt“ das Ja-Wort gaben, war sie Trauzeugin. Bis heute widerspricht die 97-Jährige laut, wenn jemand sich abfällig über wohnungslose Menschen äußert. „Die haben ja sonst oft keine Lobby.“

In Hannover engagieren sich rund 100 Menschen freiwillig in der Wohnungslosenhilfe der Diakonie. Noch mehr sind es, wenn man andere Träger hinzurechnet wie den hauptsächlich aus Ehrenamtlichen bestehenden Verein „Obdachlosenhilfe Hannover“ oder die Caritas. „Teile unseres Angebots können in dem Umfang ohne ehrenamtliches Engagement nicht geleistet werden“, sagt Anne Wolters vom Diakonischen Werk. Doch wichtiger noch sei eine andere Dimension: „Die Betroffenen erfahren durch das ehrenamtliche Engagement häufig mehr Akzeptanz und Wertschätzung.“

Annemarie Streit duzt die Menschen nicht, die sie in ihrem Engagement kennengelernt hat. Doch sie nennt manche beim Vornamen, immer wieder fallen welche, wenn sie erzählt. Bei ihrem Besuch im „Mecki“ verabschiedet sich ihr alter Bekannter, in dem er ihr „Gottes Segen“ wünscht. Annemarie Streit will mit ihrem Engagement noch längst nicht aufhören: „Bis ich tot umfalle, wird es wohl so weitergehen.“

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Von Karen Miether (epd)


Moraltheologe Sautermeister in Deutschen Ethikrat berufen



Bonn (epd). Der Moraltheologe Jochen Sautermeister ist in den Deutschen Ethikrat berufen worden. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas habe den Bonner Professor mit Wirkung zum 1. März als Nachfolger für den Physiker und Philosophen Armin Grunwald benannt, wie der Ethikrat und die Universität Bonn am 17. März mitteilten.

Der 49-jährige Sautermeister sagte, er freue sich, seine Expertise „zusammen mit Expertinnen und Experten aus anderen Wissenschaften und Handlungsfeldern in das Gremium einzubringen und so gesellschaftliche Verantwortung übernehmen zu können“. Der Professor für Moraltheologie lehrt an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Bio- und Medizinethik. Er promovierte in den Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie in der Katholischen Theologie.

Sautermeister ist auch Mitglied der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, stellvertretendes Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung am Robert Koch-Institut und Mitglied des Sachverständigenrats zum Schutz vor sexuellem Missbrauch und Gewalterfahrungen bei der Deutschen Bischofskonferenz.

Der Deutsche Ethikrat setzt sich aus 26 Mitgliedern verschiedener Disziplinen zusammen. Er berät Parlament und Regierung bei gesellschaftlichen, vor allem medizin- und bioethischen, Fragen.



Zahl der Verurteilungen wegen Gewalt an Kindern zurückgegangen



Düsseldorf (epd). Vernachlässigung, Misshandlung, Freiheitsberaubung oder Missbrauch: 2023 sind in NRW 442 Männer und 25 Frauen wegen einer Straftat zum Nachteil von Kindern unter 14 Jahren rechtskräftig verurteilt worden. Von den Straftaten waren insgesamt 614 Kinder betroffen, wie das Statistische Landesamt in Düsseldorf am 20. März anlässlich des Tages der Kriminalitätsopfer am 22. März mitteilte. Gegenüber dem Vorjahr gingen die Zahlen demnach zurück: 2022 gab es 503 verurteilte Straftäter und 737 betroffene Kinder.



NRW will Einsatz von K.O.-Tropfen härter bestrafen



Düsseldorf (epd). Das Land NRW will die heimliche Verabreichung von sogenannten K.O.-Tropfen zur Begehung von Raub- und Sexualdelikten künftig härter bestrafen lassen. Dazu wird das Land einen Gesetzesantrag im Bundesrat einbringen, wie das Justizministerium am 18. März in Düsseldorf mitteilte. Die Mindeststrafe für einen Raub oder eine Vergewaltigung soll demnach im Strafgesetzbuch von drei auf fünf Jahre angehoben werden, wenn die Tat unter Verwendung von K.O.-Tropfen oder anderen gesundheitsschädigenden Stoffen begangen wird.

„Die Verwendung von K.O.-Tropfen ist eine besonders perfide Methode, die nicht nur in die körperliche Unversehrtheit und das seelische Wohlbefinden der Opfer eingreift, sondern ihr Urteilsvermögen und ihre Verteidigungsfähigkeit ausschaltet, um heimtückisch eine schwere Straftat begehen zu können“, sagte NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Diesen Umstand berücksichtige das Strafrecht bislang nicht ausreichend. „Wer K.O.-Tropfen einsetzt, spielt in jedem Einzelfall mit dem Leben des Opfers.“

K.O.-Tropfen sind weitgehend geschmacksneutral. Das Opfer wird benommen und gerät in einen Zustand der Willenlosigkeit, wie es hieß. Täter nutzten diesen Moment, um mit den Betroffenen in Kontakt zu kommen, ihre Hilfe anzubieten oder um mit ihnen an einen anderen Ort zu gehen. Dort kann es dann zu Sexual- oder Raubdelikten kommen.

„Betroffene können lebenslange Traumatisierungen erleiden“

Menschen, die einem Sexualdelikt oder einem Raub zum Opfer fallen, fühlten sich gedemütigt und ängstlich, erklärte die Opferbeauftragte des Landes NRW, Barbara Havliza. „Wissen sie aber zudem nicht einmal, was genau ihnen passiert ist, weil sie durch bewusstseinstrübende Substanzen außer Gefecht gesetzt wurden, sind sie noch einmal mehr zutiefst verunsichert“, erklärte sie. Betroffene könnten lebenslange Traumatisierungen erleiden. Schon deshalb sei es „mehr als angebracht, diese perfide Vorgehensweise auch mit hohen Strafen zu belegen“.

Die Straftatbestände, die in den Paragrafen 177 und 250 des Strafgesetzbuches geregelt sind, sollen durch den Gesetzesantrag nun um einen zusätzlichen Modus der Tatbegehung erweitert werden. Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren soll bestraft werden, wer einen Raub oder eine Vergewaltigung „durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen“ begeht.



Meldestellen für Rassismus und Queerfeindlichkeit in NRW gestartet



Köln (epd). Betroffene von Rassismus und Queerfeindlichkeit können sich seit dem 17. März an neue Meldestellen wenden. Auch Zeuginnen und Zeugen können Vorfälle bei den vier neuen Meldestellen für Queerfeindlichkeit, antimuslimischen Rassismus, Antiziganismus sowie anti-Schwarzen, antiasiatischen und weitere Formen von Rassismus melden, wie das Queere Netzwerk NRW mitteilte. Die Vorfälle können anonym online gemeldet werden. So solle „eine einfache und sichere Möglichkeit“ geboten werden, Diskriminierung sichtbar zu machen, hieß es.

„Rassismus und Queerfeindlichkeit sind Alltag von Millionen von Menschen in NRW“, sagte Benjamin Kinkel, Geschäftsführer im Queeren Netzwerk NRW. Mit den Meldestellen solle das statistische Dunkelfeld von Diskriminierung und Gewalt erhellt und eine bessere Unterstützung von Betroffenen geschaffen werden. Die Meldestellen MIQ, MEDAR, DINA und MIRa arbeiten den Angaben zufolge eng zusammen, um Rassismus und Queerfeindlichkeit wissenschaftlich zu analysieren. Die anonymisierten Daten würden ausgewertet, um gesellschaftliche Muster von Diskriminierung und Gewalt zu erkennen. Sie sollen in jährlichen Berichten veröffentlicht werden.

Die Meldestellen werden durch verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen getragen und durch das NRW-Gleichstellungsministerium gefördert. Zwei weitere Stellen erfassen bereits antisemitische Vorfälle (RIAS NRW) und diskriminierende Vorfälle im Fußball (MeDiF-NRW).



Operngala in Düsseldorf erzielt fast 100.000 Euro für Aids-Stiftung



Düsseldorf (epd). Bei der 15. Operngala für die Deutsche Aids-Stiftung im Opernhaus Düsseldorf sind am 22. März fast 100.000 Euro zusammengekommen. Insgesamt hätten rund 1.200 Gäste an der Veranstaltung mit Opernstars und den Düsseldorfer Symphonikern teilgenommen, teilte die Stiftung am 23. März mit. Die geschäftsführende Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Anne von Fallois, unterstrich die Bedeutung der Gala für die alltägliche Arbeit: „HIV gibt es noch und den Erlös brauchen wir dringend, um über HIV zu informieren, für Projekte in Düsseldorf sowie für Familien und Kinder mit HIV in der Ukraine.“

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, der den Abend zusammen mit dem Schirmherrn und Düsseldorfer Oberbürgermeister Stephan Keller (beide CDU) eröffnet hatte, dankte den Künstlerinnen und Künstlern für ihren unentgeltlichen Auftritt. „Die Operngala der Deutschen Aids-Stiftung in Düsseldorf steht seit 15 Jahren für Solidarität und Engagement im Kampf gegen Aids“, betonte er. „Viele Menschen bringen sich tagtäglich mit viel Herz und Leidenschaft in die Stiftungsarbeit ein.“ Sie setzten damit ein wichtiges, gesellschaftliches Zeichen. Die nächste Operngala für die Deutsche Aids-Stiftung soll den Planungen zufolge am 7. März 2026 im Opernhaus Düsseldorf stattfinden.




Medien & Kultur

Liebesdrama im Künstlermilieu




Doppelbildnis "Oskar Kokoschka und Alma Mahler" (1912)
epd-bild/Udo Gottschalk
Die Liebe des Malers Oskar Kokoschka zu Alma Mahler währte nur drei Jahre. Künstlerisch hinterließ sie bei dem Expressionisten tiefe Spuren. Das Museum Folkwang in Essen zeigt dies unter dem Gemäldetitel "Frau in Blau".

Essen (epd). Der expressionistische Maler Oskar Kokoschka wollte die verborgene Aura eines Menschen sichtbar machen, ihr Innerstes erkunden - und hat dabei schonungslos auch sein eigenes Seelenleben entblößt. Davon erzählen die Werke Kokoschkas (1886-1980) aus der Zeit seiner obsessiven und letztlich unerfüllten Liebe zu der Wiener Komponistin und Gastgeberin künstlerischer Salons, Alma Mahler (1879-1964). Das Essener Museum Folkwang stellt die künstlerischen Folgen von Kokoschkas Liebe ins Zentrum einer Ausstellung, die bis zum 22. Juni zu sehen ist.

Angefangen vom ersten Porträt in Wien im April 1912, wo er die Witwe des Dirigenten und Komponisten Gustav Mahler, kennenlernte und sich sofort verliebte, bis hin zu Bildnissen mit einer lebensgroß nachgebildeten Puppe der Angebeteten, die ihm nach drei Jahren den Laufpass gegeben hatte. Die „Frau in Blau“, eine Inszenierung der Puppe alias Alma, ist das berühmteste dieser Bilder.

Handbemalte Fächer als Weihnachtsgeschenk

Insgesamt 35 Exponate dieses Liebesdramas im Künstlermilieu von 1912 bis 1922 zeigt das Folkwang Museum in Essen. Unter dem Titel „Frau in Blau. Oskar Kokoschka und Alma Mahler“ zeichnet die thematisch eng begrenzte kleine Werkschau die Geschichte der beiden prominenten Figuren der Wiener Moderne nach. Erstmals seit mehr als 30 Jahren und vermutlich zum letzten Mal, wie Folkwang-Direktor Peter Gorschlüter betont: „Viele der Werke sind fragil und werden nicht mehr ausgeliehen.“ Ein gut vier Meter langes Wandbild etwa, das über dem Kamin der Villa Mahler hing, 1988 erst wiederentdeckt wurde und heute in Privatbesitz in Österreich ist. Sehenswert auch sechs handbemalte Fächer, die Kokoschka seiner Geliebten jeweils zum Geburtstag und zu Weihnachten schenkte.

Ein Schlüsselwerk steuert die Sammlung Folkwang selbst zur Ausstellung bei, das sogenannte „Verlobungsbild“ von Mahler und Kokoschka aus den Anfängen ihrer Beziehung. Das Gros der Exponate jedoch sind Leihgaben aus Museen in New York, Tokio, Wien, Berlin, Stuttgart und Hamburg - große Kunst in zwei kleinen Räumen auf knapp 200 Quadratmetern. Sie sind unterteilt in zwei Werk- und Lebensphasen, die gemeinsame Zeit des Paares in Wien und die kreative Selbstinszenierung Kokoschkas mit der selbst entworfenen Alma-Puppe in Dresden nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg.

Mahler, Gropius, Werfel

Alma Mahler sei „eine der faszinierendsten und widersprüchlichsten Persönlichkeiten der Wiener Kunstszene“ gewesen, beschreibt Kuratorin Anna Brohm die Witwe des berühmten, 1911 gestorbenen Komponisten Gustav Mahler. Sie sei nicht nur Muse, sondern selbst auch Künstlerin gewesen. 1915 heiratete sie den Bauhaus-Architekten Walter Gropius, später dann den Dichter Franz Werfel. Passend dazu die Geschichte ihres Porträts, das Oskar Kokoschka anfertigte. Nach der Trennung von Kokoschka schenkte sie es dem Museum Folkwang, erbat es aber nach der Scheidung von Gropius vom Museum zurück und nahm es 1940 mit ins US-amerikanische Exil. „Jetzt ist es nach mehr als 100 Jahren erstmals wieder hier“, berichtet Gorschlüter. Eine Leihgabe aus Tokio.

Während der erste Raum der Ausstellung bis 1915 Kokoschka und Mahler vielfach als Liebespaar zeigt, oder zumindest Kokoschkas Träume davon, weichen die eher pastelligen Farben im zweiten Raum dunkleren, oft dick aufgetragenen Farbtönen. Kokoschka, ein Pionier des Expressionismus, bestellte bei der Münchner Kunsthandwerkerin Hermine Moos eine lebensgroße Puppe nach Almas Abbild. Auch Skizzen und Vorlagen dazu zeigt die Folkwang-Schau, ebenso wie Darstellungen mit der lebensgroßen Puppe - mal sorgfältig gekleidet, mal nackt und zerbrechlich im Arm eines besitzergreifenden Mannes.

Obsession

Ob diese „stille Frau“ eine Sexpuppe, geschickte künstlerische Inszenierung oder ein Fetisch war? Museumsleiter Gorschlüter hält die Pseudo-Alma ebenso wie andere Kunstexperten eher für einen wohl kalkulierten künstlerischen Mythos: „Heute würde man sagen: gutes Marketing.“ 1922 schließlich habe Kokoschka die Puppe bei einem Künstlerfest im Garten zerstört. Auf seinem farbenfrohen Selbstbildnis mit Staffelei von 1922 jedenfalls hat er seine Obsession offenbar überwunden, die Puppe ist nur noch eine Randerscheinung. Inspiration liefert sie jedoch immer noch. Ausgehend von Kokoschkas Skizzen hat der Schweizer Künstler Denis Savary 2007 mehrere Puppen nachgebildet, zwei von ihnen sind jetzt auch in der Folkwang-Schau zu sehen.

Begleitend zur dreimonatigen Dauer der Ausstellung „Frau in Blau“ findet in Essen zeitgleich ein Festival statt, das Alma Mahler-Werfel gewidmet ist: „Doppelbildnisse. Alma Mahler-Werfel im Spiegel der Wiener Moderne“. Darin beleuchten sechs Essener Kulturinstitutionen in einem breit gefächerten Programm mit Musikveranstaltungen und Symposien das Leben und Wirken der österreichischen Künstlerin.

Von Bettina von Clausewitz (epd)


Rosen und Ranunkeln neben Rubens und Cragg




Zur Mariendarstellung das Blumenarrangement "Weiche Klarheit" von Victoria Bernds
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Das Düsseldorfer Museum Kunstpalast greift das Thema "Blumen und Kunst" auf ungewohnte Weise auf. Hier prangen Rosen, Ranunkeln und Rittersporn nicht auf den Gemälden, sondern als eigenständige Kunstwerke zwischen Bildern und Skulpturen.

Düsseldorf (epd). Zum Frühlingsanfang grünt und blüht es am Düsseldorfer Kunstpalast nicht nur vor der Tür. Mit der Ausstellung „Palastblühen“ entfalten sich derzeit ungewöhnliche Blumenkreationen auch in den Museumsräumen. Bis zum 30. März sind insgesamt 28 florale Kunstwerke zu sehen, die Düsseldorfer Floristinnen und Floristen passend zu den Sammlungsräumen oder zu einzelnen Werken geschaffen haben. Mit „Leidenschaft, Hingabe und kreativer Könnerschaft“ hätten sie ihre Ideen umgesetzt und dabei witzige und intelligente Bezüge zu den Kunstobjekten hergestellt, lobte Generaldirektor Felix Krämer.

Beteiligt an der Ausstellung sind 13 Floristinnen und Floristen von acht Düsseldorfer Blumenhäusern. Sie entwickelten völlig unterschiedliche Arbeiten, die entlang des Rundgangs durch die Sammlungspräsentation zu entdecken sind. Jule Schnaugst vom Blumenhaus am Hofgarten lässt eine „Wolke“ aus Schleierkraut unter der Decke schweben. Alla Mandic von Nymph Blumen stellt eine Kollektion von blumigem Kopfschmuck aus Hortensien, Rosen und Gräsern vor. Nina Gehrke vom October First Studio präsentiert eine Ikebana-Komposition mit Frühlingszweigen und Orchideen vor einem Boro Kimono.

Dornenkranz aus Rosen- und Brombeerranken

Einige Kompositionen beziehen sich in Form und Farbe auf ein einzelnes Gemälde. So greift Victoria Bernds von der Blumenbinderei Lehmann in vier opulenten Gestecken mit Calla, Rittersporn, Tulpen, Lilien, Ranunkeln, Anthurien und vergoldeten Zweigen die Farben der roten, blauen, weißen und orangen Gewänder der Madonna und der Heiligen auf Giovanni Bellinis „Priuli Altarbild“ auf. Astrid Franke von der Tannendiele spiegelt die Farbe des prächtigen dunkelroten Kleides auf dem Gemälde „Sibylla Agrippina“ von Jan van den Hoecke in einem üppigen Arrangement mit Rosen, Gerbera und Anthurien, die von einem Dornenkranz aus Rosen- und Brombeerranken umgeben sind.

Andere florale Arbeiten dominieren den ganzen Raum, wie Manfred Hoffmanns sieben Meter langer aus Naturmaterialien wie Stroh, Moos, Blättern oder Wolle gewebter, genähter und gehäkelter sowie mit weißen Blüten verzierter Teppich, in den viele Überlegungen und Gedanken des Blumenkünstlers eingeflossen sind. Seine Arbeit verbinde verschiedenste Handwerkstechniken und Materialien, erinnere ebenso an einen Hochzeits- wie auch an einen Gebetsteppich und beziehe so auch verschiedene religiöse Traditionen ein, erläuterte Hoffmann, Chef im A la Casa del Fiore und Creative Cirector des Fachverbandes Deutscher Floristen.

Konzept aus den USA

Victor Breuer verbindet im Bronner-Saal die meterhohen Arbeiten von Peter Paul Rubens und El Anatsui mit einer eigenen Installation „Es bitten zu Tisch: Rubens, El Anatsui und Breuer“. Auf mehreren Tischen, umgeben von Stühlen und Bänken, präsentiert er unzählige Gefäße mit Anthurien, Mohn, Lilien, Anemonen und blühenden Zweigen, die die Farben und Kleinteiligkeit des aus zahllosen Kronkorken gefertigten „Earth Cloth“ von El Anatsui und von Rubens' „Mariä Himmelfahrt“ aufgreifen.

Michael Frings von der Tannendiele präsentiert hohe, mit Wasser gefüllte Glaszylinder mit Orchideen neben dem aus Plastikfundstücken bestehenden Wandmosaik „Der General“ von Tony Cragg und stellt so einen Verweis auf die Bedrohung der Schönheit der Natur durch Plastikmüll im Meer her. Unter der Videoinstallation „Fish flies on Sky“ von Nam June Paik hat Tino Hoogterp eine regelrechte Installation aus Aquarien und Blumen aufgebaut, deren Blüten unter Schwarzlicht leuchten, und mit dem Titel „Galchi Jorim“ versehen, der ein koreanisches Fischgericht bezeichnet.

Vergleichbare Ausstellungen fänden in den USA jährlich in mehreren Museen statt, darunter etwa im Saint Louis Art Museum oder im Museum of Fine Arts in Boston, hieß es. In Deutschland sei der Kunstpalast das erste Museum, das im vergangenen Jahr erstmals das Konzept verwirklichte, „Blumen und Kunst zusammen zu denken und zu bringen“, sagte Krämer. Zur ersten Auflage des neuntägigen „Palastblühens“ 2024 kamen nach seinen Worten 26.000 Besucherinnen und Besucher. Die Ausstellungsreihe soll in den kommenden Jahren fortgesetzt werden.

Von Esther Soth (epd)


Wie die Kunst nach neuen Heldenmythologien sucht




Still aus der Videoinstallation "Lepidodinium Chlorophorum" von Anne Horel
epd-West/Max Ernst Museum
Die Ausstellung "Hypercreatures" im Max Ernst Museum geht der Frage nach, wie Kunst in Zeiten von Krisen und gesellschaftlicher Polarisierung Gegenentwürfe liefern kann. Internationale zeitgenössische Künstler entwickeln neue Heldenmythologien.

Brühl (epd). Hereinspaziert in den modernen „Garten der Lüste“: Wie in einem surrealistischen Spektakel fliegen nackte Körper in den Himmel, marschieren fantastische Science-Fiction-Figuren und brennen Wolkenkratzer. Der italienisch-kanadische Videokünstler Marco Brambilla hat für die wandfüllende Video-Collage „Creation“ zahlreiche Szenen aus bekannten Hollywood-Filmen zu einer Schöpfungsgeschichte zusammengeschnitten. Entstanden ist ein überlebensgroßer Film-Kosmos, der den Betrachtenden den Eindruck vermittelt, in ein modernes Gemälde des spätgotischen Malers Hieronymus Bosch einzutauchen.

Die Filme, die Brambilla verarbeitete, sind nach dem üblichen Hollywood-Schema gestrickt: Helden kämpfen gegen das Böse, zwei Mächte bekriegen sich, und am Ende gibt es einen Sieger. Brambilla, der seinen Job als Hollywood-Regisseur gegen die Video-Kunst eintauschte, dekonstruiert die großen Heldensagen der Filmindustrie mit seinem Werk. Aus den vielen Heldengeschichten entsteht ein organisches Ganzes.

Ausstellung „Hypercreatures“ mit Werken aus 16 Ländern

Das ist ganz im Sinne der Idee der Ausstellung „Hypercreatures - Mythologien der Zukunft“, die im Max Ernst Museum in Brühl zu sehen ist. Im Mittelpunkt der Schau stehe die Frage, wie angesichts globaler Krisen konstruktive Zukunftsperspektiven entworfen werden könnten, erklärt Museumsdirektorin Madeleine Frey. In Zeiten der Globalisierung werde deutlich, dass alles auf der Erde miteinander verbunden sei. Ereignisse am anderen Ende der Welt wirkten sich auch hierzulande aus. „Denken, das abgrenzt, geht nicht mehr. Wir haben uns also gefragt, wie sich Verbundenheit darstellen lässt.“

Herausgekommen ist dabei eine Ausstellung mit Werken von 26 zeitgenössischen Künstlerinnen, Künstlern und Kollektiven aus insgesamt 16 Ländern, die bis zum 5. Oktober gezeigt wird. Gemeinsam ist den Arbeiten, dass sie hybride Lebewesen und Lebenswelten zeigen, in denen sich Mensch, Tier, Maschine oder Pflanze verbinden. Sie treten in Dialog mit ausgewählten Arbeiten des Hauspatrons Max Ernst. Mit ihren Ideen knüpfen die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler unmittelbar an die Arbeit des Surrealisten an, der ab 1920 für seine Collagen Abbildungen menschlicher und nicht-menschlicher Körper aus Broschüren, Katalogen oder Büchern zerschnitt und zu neuen Mischwesen zusammenfügte.

In Brühl lässt sich beobachten, wie zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler diese Idee in neue Dimensionen übertragen. Zu sehen sind zahlreiche multimediale Installationen, die zum Teil auch zur Interaktion und zum Spielen einladen. Hinzu kommen Videoarbeiten, Collagen sowie Textil- und Keramikarbeiten.

Auflösung von Gegensätzen: Himmel und Hölle tanzen zusammen

Eine Idee, die sich als roter Faden durch die Ausstellung zieht, ist die Auflösung von Gegensätzen und Polarität. „Wir möchten Geschichten vom Miteinander statt vom Gegeneinander erzählen“, erklärt Kurator Patrick Blümel. Dafür steht zum Beispiel die Installation des französischen Künstlers Kévin Bray mit dem Titel „BullBear Dynamics“. Er hat eine weiße Plastik aus Kunststoff an die Wand gehängt, die durch Video-Projektion zwei Gesichter erhält: Ein Bulle und ein Bär. Am Aktienmarkt verkörpert der Bulle steigende Kurse, während der Bär für sinkende Kurse steht. In dem Kunstwerk verschmelzen die beiden Figuren, die ständig eine Leiter auf- und abklettern, miteinander. Brey hinterfragt so den Antagonismus von Gewinn und Verlust sowie das System von stetigem Wachstum.

In der wandfüllenden Videoarbeit der chinesischen Künstlerin Lu Yang treffen Fantasy-Figuren im Stil des Video-Spiels „Street Fighter“ aufeinander. Sie verkörpern Himmel und Hölle. Doch anders als in der Welt der Videogames kämpfen sie nicht gegeneinander, sondern tanzen zusammen. Am Ende verschmelzen sie zu einer neuen Figur.

Interaktiv

Mitspielen können Besucherinnen und Besucher unter anderem in der Videowelt der Künstlerin Mary-Audrey Ramirez. Auch die in Berlin lebende Luxemburgerin bricht mit den üblichen Erzählstrukturen von Videogames. Bei „Forced Amnesia“ schlüpfen Spielerinnen und Spieler in die Rolle eines schwachen und verletzlichen Wesens. Um zum Erfolg zu gelangen, ist Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung gefragt.

Die Installation des südkoreanischen Duos Hyeseon Jeong und Seongmin Yuk entwirft eine Vision, in der Technologie Mensch und Tier miteinander verbindet. Ausgehend von Forschungen, bei denen Vögel mit Hilfe von GPS-Sendern beobachtet werden, entwirft das Künstler-Paar eine Vorstellung davon, wie Mensch und Tier miteinander kommunizieren könnten. Viele Tiere spüren Naturkatastrophen früher als Menschen. Über eine digitale Verbindung könnten Tiere den Menschen möglicherweise in Zukunft sogar warnen.

Von Claudia Rometsch (epd)


documenta 16: Naomi Beckwith betont Respekt und Haltung des Teilens




Naomi Beckwith
epd-bild/Andreas Fischer

Kassel (epd). Die documenta 16 soll nach Darstellung der künstlerischen Leiterin Naomi Beckwith ein Ort der Begegnung und des gegenseitigen Respekts sein. Sie sei offen für Debatten und Diskussionen, vertrete aber einen Null-Toleranz-Standpunkt, wenn es um Rassismus, Antisemitismus und jegliche Form von Diskriminierung gehe, sagte Beckwith am 18. März in der Kasseler documenta-Halle. Die documenta 15 war von einem Skandal um antisemitische Bildmotive überschattet worden. Die nächste Weltkunstschau findet vom 12. Juni bis zum 19. September 2027 statt.

Vor rund 700 Gästen gab die US-Amerikanerin Beckwirth einen ersten Einblick in ihr kuratorisches Konzept für die Weltkunstausstellung. Zu ihrem persönlichen Verständnis von Menschenwürde führte sie aus, dass ihre Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern von einem tiefen gegenseitigen Respekt und einer Haltung des Teilens geprägt sein werde. „Unsere unterschiedlichen Identitäten betrachten wir als eine Stärke und nicht als Grund für Spaltung.“

„Aufregende Herausforderung“

Die documenta zu leiten, sei „eine der aufregendsten Herausforderungen, die ich mir vorstellen kann“, sagte die 49-Jährige. Im Sommer wird sie nach Kassel ziehen. „Ich freue mich schon sehr darauf, hier zu wohnen“, sagte sie. Sie spüre, wie sehr die documenta den Menschen dort am Herzen liege. Beckwith ist stellvertretende Direktorin und Chefkuratorin des Guggenheim Museums in New York.

Naomi Beckwith war im Dezember als künstlerische Leitung der documenta 16 vorgestellt worden. Die Vorstellung ihres kuratorischen Konzepts und eine Erklärung dazu, wie sie die Achtung der Menschenwürde unter Wahrung der Kunstfreiheit schützen will, sind Teil der Veränderungen bei der documenta nach dem Antisemitismus-Skandal der vergangenen documenta.



Lehmbruck-Museum würdigt Schweizer Künstlerpaar Aeppli und Tinguely




Das Künstlerpaar im Jahr 1962
epd-bild/Shunk-Kender
Mechanik und textile Figuren: Das Lehmbruck-Museum vereint in einer Retrospektive die Arbeiten des Schweizer Künstlerpaares Aeppli und Tinguely. Bis August bietet die Schau einen Einblick in die Welt aus "lebendigen" Rotationen und düsteren Puppen.

Duisburg (epd). Der Schweizer Künstler Jean Tinguely (1925-1991) veranschaulichte mit seinen beweglichen Figuren ewige Veränderung über den Tod hinaus. „Es gibt keinen Tod! Der Tod existiert nur für jene, die sich weigern, Entwicklung zu akzeptieren. Alles verändert sich. Der Tod ist der Übergang von einer Bewegung in die andere“, sagte er über seine kinetischen Schöpfungen. Bis zum 24. August widmet sich das Lehmbruck-Museum in Duisburg seinem Werk und bringt es unter der Überschrift „Mechanik und Menschlichkeit“ erstmals mit den textilen Skulpturen und Puppen seiner künstlerischen Partnerin und ersten Ehefrau Eva Aeppli (1925-2015) zusammen. Beide Künstler wären in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden.

Die Ausstellung mit über 90 Skulpturen, Installationen, Bildern, Skizzen und Wandarbeiten machen nach Angaben der Ausstellungsmacher die „tiefe Menschlichkeit und poetische Kraft“ des Zusammenspiels der beiden Künstlerpersönlichkeiten erlebbar. Die Retrospektive zeige die meist „lebendigen“ Skulpturen von Tinguely und die an die „Hoffnungslosigkeit des menschlichen Daseins“ erinnernden Figuren von Aeppli. Das gemeinsame Zurschaustellen zeige auch, wie beide Künstler „auf fantasievolle, spielerische und zugleich kritische Weise das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine geprägt haben“, sagte die Direktorin des Lehmbruck-Museums, Söke Dinkla, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die „Gruppe der 48“ erinnert an Opfer des Zweiten Weltkrieges

Ein Höhepunkt der Schau ist das Gemeinschaftswerk des Künstlerpaares in den 1990er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt waren sie schon etwa 30 Jahre getrennt. Tinguely überredete Aeppli dazu, gemeinsam Kunstwerke zu schaffen. So etwa das Werk „Erste Hexe“, das eine weiß gekleidete Frauenfigur schwebend auf einem landwirtschaftlichen Gerät zeigt, oder ein Gespenst mit einer Maske. Aeppli wie Tinguely verwendeten für ihre Skulpturen alltägliche Materialien, wie Museumsdirektorin Dinkla erläutert. Beide wandten sich gegen Schönheitsideale und wollten verborgene Schichten im Alltäglichen aufdecken.

Frühe Arbeiten von Aeppli sind drei Handpuppen, von denen eine den Titel „Bandit“ trägt und Tinguely darstellen soll. Ganz anders dagegen die gewaltige Arbeit „Gruppe der 48“, die 48 lebensgroße und schlanke Figuren zeigt, die vom Hals an bis zum Boden in schwarzen Samtroben stecken. Ihre großen Köpfe sind aus weißer Seide, die Figuren scheinen mit aufgerissenen Mündern zu schreien, die Gesichter tragen genähte Narben. „Aeppli erinnert auch mit dieser Figurengruppe an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und lässt die Figuren dagegen protestieren und anschreien“, sagt die Museumschefin. Einige der lebensgroßen Figuren erinnern mit ihren ausgemergelten Körpern und Gesichtern an Überlebende aus Konzentrationslagern.

Abendmahl mit dem Tod

Aepplis Installation „La Table“ bringt 13 lebensgroße Stofffiguren an einen langen Holztisch und lässt an die Abendmahlsdarstellung von Leonardo da Vinci denken. Allerdings sitzt bei Aeppli nicht Jesus in der Mitte, sondern der Tod. „Die Figuren sind nicht als Männer oder Frauen unterscheidbar, vielmehr haben alle etwas Androgynes in ihrer jeweiligen Kopfhaltung oder der Form ihrer Münder und Augen“, beschreibt Dinkla die Szene. Einfach nur schön und bunt wirkt dagegen eine Arbeit der Schweizerin, die eine schicke Puppen-Dame neben Tinguely auf einem rot bezogenen Samtsessel sitzend zeigt. Ende der 1980er Jahre porträtierte Aeppli ihren Ex-Partner mit der Künstlerkollegin Niki de Saint Phalle.

Humorvoll und als Kritik am Maschinenwahn der damaligen Zeit gedacht ist die Zeichenmaschine Tinguelys „Do it yourself“ von 1959. Die Maschine malt eigenständig Bilder und braucht dazu keinen Künstler mehr. Nötig sind nur Farben, ein Blatt Papier und die Eingabe einer Geschwindigkeit. Auch eine Destruktionsmaschine ist in Duisburg zu sehen. Sie steht im Foyer des Museums und ist gewaltig. Sie zieht Getränkeflaschen aus einem Behältnis und befördert diese an einem Band hängend über mehrere Meter bis zu einem Hammer, der die Flaschen zertrümmert.

Mensch und Maschine, Körper und Geist, Gut und Böse

Eine andere Maschine von Tinguely macht monströse Geräusche und trägt den Titel „Altar“. Die Materialien für dieses Kunstwerk holte sich der Künstler nach Angaben der Ausstellungsmacher von einem ausgebrannten Bauerngehöft. Verarbeitet wurden ein menschlicher Schädel, Tierschädel, die ihre Mäuler auf und zu machen, blinkende Glühbirnen, ein um sich selbst drehendes Kreuz aus Holzstücken und eine Nonnenstatue mit Rosenkranz in den Händen.

„Mensch und Maschine, Körper und Geist, Gut und Böse sind die großen Themen, die Jean Tinguely und Eva Aeppli bewegen“, sagt Museumschefin Dinkla. Beide Künstler hätten mit ihren Werken auch stets „gegen den Tod rebelliert“, sagt Kuratorin Anne Groh. Beide hätten jedoch vor allem „ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Menschsein“ geschaffen.

Von Andreas Rehnolt (epd)


Klassik-Stiftung präsentiert den "Faust" in allen Facetten




Denkmal von Johann Wolfgang von Goethe in Weimar (Archivbild)
epd-bild / Maik Schuck
Die Stiftung Weimarer Klassik widmet dem Hauptwerk Goethes ein ganzes Themenjahr. 250 Jahre nach der Ankunft des Dichters in Weimar sollen Ausstellungen und Bildungsangebote dem Publikum den "Faust" in all seinen Facetten nahebringen.

Weimar (epd). Mit der Präsentation des Themenjahrs „Faust“ ist die Klassik Stiftung Weimar am 20. März in die neue Saison gestartet. Die beiden Teile von Johann Wolfgang von Goethes (1749-1832) Zentralwerk seien in ihrer Gesamtheit eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur, sagte Stiftungspräsidentin Ulrike Lorenz. Es sei das passende Thema für die Erinnerung an die Ankunft des Universalgelehrten in Weimar vor 250 Jahren im November 1775.

Im Zentrum des Themenjahrs steht laut Kuratorin Petra Lutz die Eröffnung einer „Faust“-Ausstellung am 30. April. Der Fokus der Schau liege auf der Rezeptions- und Entstehungsgeschichte des Werkes. Erstmals ist auch das Original-Manuskript des „Faust II“ an ausgewählten Tagen öffentlich zu sehen. Umrahmt wird der Start in das Themenjahr in der Nacht zum 1. Mai mit einer Feier in die Walpurgisnacht vor dem Stadtschloss. Neben den Ausstellungen bietet die Stiftung für Schüler und junges Publikum verschiedene Seminare zu einzelnen Aspekten des Werkes an.

Bühnenbild von Oskar Schlemmer

Goethe begann die Arbeit am „Faust“ zwischen 1772 und 1775. Er fertigte zunächst verschiedene Fassungen, die 1806 in der Veröffentlichung des ersten Teils mündeten. Den zweiten Teil stellte er 1830 fertig.

Das Themenjahr begann am 21. März mit der Eröffnung der Kabinettsausstellung „Nietzsche, Goethe, Faust“ im Nietzsche-Archiv. Gezeigt werden unter anderem Feldpostkarten von „Faust“ und „Also sprach Zarathustra“. Am 22. März lenkte die Stiftung den Blick auf eine fast vergessene Auftragsarbeit Oskar Schlemmers (1888-1943). Der Bauhauskünstler entwarf 1922 das Bühnenbild für das Stück „Don Juan und der Faust“ aus dem Jahr 1828 des Dramatikers Christian Dietrich Grabbe (1801-1836).

Abseits des Themenjahrs investiert die Stiftung 2025 erneut Millionensummen in den Gebäudebestand. So wird nach Angaben der Bauabteilung im Ostfügel des Stadtschlosses die 2018 begonnene Sanierung vermutlich Anfang 2026 abgeschlossen werden. Inzwischen sei der Schwammbefall in diesem Bereich beseitigt. Derzeit laufen in allen Etagen des Ostflügels der Innenausbau. Anschließend komme ab 2027 der Rest der Vierflügelanlage in die Kur.

Goethehaus am Frauenplan soll saniert werden

Für die im kommenden Jahr anstehende Sanierung des Goethehauses am Weimarer Frauenplan hofft die Stiftung nun auf Mittel aus dem vom Bundestag beschlossenen Sondervermögen „Infrastruktur“. Stiftungspräsidentin Lorenz befindet sich eigenen Angaben zufolge darüber aktuell in Gesprächen mit der Thüringer Landesregierung. Eine Entscheidung müsse in diesem Jahr fallen, sagte Lorenz. Anderenfalls werde die Zeit knapp, um zu den ursprünglichen Bauplanungen zurückzukehren.

Die Stiftung kalkulierte bis Mitte 2024 mit einer Bausumme von 35 Millionen Euro für die Sanierung des Goethehauses. Dann zog der Bund seine Finanzierungszusage überraschend zurück, sodass aktuell nur noch 18 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Diese Summe reiche aus, um die notwendigsten Arbeiten an dem Denkmal auszuführen, sagte Lorenz. Vorgesehene Verbesserungen in Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit seien mit den reduzierten Mitteln jedoch nicht umsetzbar.



Deutscher Hörbuchpreis geht an sieben Produktionen und Stimmen



Vorlesen in seiner schönsten Form: Der Deutsche Hörbuchpreis ehrt wieder die besten deutschsprachigen Produktionen und Leseleistungen. Die Jury zeichnete auch einen Podcast über Rechtsextremismus in Ostdeutschland aus.

Köln (epd). Die Schauspielerin Maria Wördemann und der Schauspieler Julian Horeyseck haben den Deutschen Hörbuchpreis 2025 erhalten. Auf einem Festakt am 18. März beim WDR in Köln erhielten sie zwei der insgesamt sieben Preise. Wördemann bekam die Auszeichnung als „Beste Interpretin“ für das Hörbuch zu „Xerox“ von der niederländischen Autorin Fien Veldman. Horeyseck wurde als „Bester Interpret“ für die Lesung des Romans „Leuchtfeuer“ von Dani Shapiro ausgezeichnet.

Wördemann treffe „immer den richtigen Ton“, lobte die Jury. Mit einer variantenreichen Stimme und rhythmischen Wechseln mache sie die Entwicklung und Gefühlswelt der Protagonistin von „Xerox“ erfahrbar. Horeyseck fessele und berühre die Zuhörenden mit seiner außergewöhnlichen Stimme und interpretiere den wendungsreichen Roman über Verlust und Veränderung „in Perfektion“.

Bestsellerautor mit Thrillerdebüt

In der Kategorie „Bestes Hörspiel“ wurde der Regisseur Florian Fischer für die Adaption von Fatma Aydemirs Roman „Dschinns“ geehrt. Die Jury würdigte die „subtile und kluge Inszenierung“ der Geschichte über eine deutsch-kurdische Familie. Der Preis für die „Beste Unterhaltung“ ging an den Bestsellerautor Marc-Uwe Kling für seine Lesung seines Thrillerdebüts „Views“. Er bringe das Entsetzen über gesellschaftlich destruktive Kräfte mit seiner eigenen Stimme überzeugend zum Ausdruck.

Die Auszeichnung für das „Beste Kinderhörbuch“ bekam der Schauspieler Nico-Alexander Wilhelm für seine Lesung des Fantasytitels „Royal Institute of Magic. Die Hüter der verborgenen Königreiche“ von Victor Kloss. Mit seiner „geheimnisvollen und mysteriösen Stimme“ ziehe Wilhelm in die Geschichte hinein, hieß es.

Zum „Besten Podcast“ wurde die zweite Staffel von „Springerstiefel“ gekürt. Hendrik Bolz und Don Pablo Mulemba gehen darin der Frage nach, wie es zum Wiederaufleben rechter Gewalt in ihrer ostdeutschen Heimat kam. Es gelinge ihnen, ein Gesprächsklima der Offenheit und des Vertrauens zu schaffen. Der Podcast mache Hoffnung, indem er „Narrative aufbreche, vielleicht sogar verändere“, lobte die Jury. Die Preise sind mit je 3.333 Euro dotiert

Mozarts Geniestreich noch heute „bestes Entertainement“

Der undotierte Preis für das „Besondere Hörbuch“ ging an „Opera re:told: Die Hochzeit des Figaro“ des Verlags Buchfink. Das „vergnügliche“ Hörbuch zeige, dass Mozarts Geniestreich aus dem 18. Jahrhundert noch heute „bestes Entertainment“ sei.

21 Produktionen waren für den Deutschen Hörbuchpreis 2025 nominiert. Die Auszeichnungen werden in diesem Jahr zum 23. Mal vom Verein Deutscher Hörbuchpreis verliehen. Die Preisverleihung ist Teil des Kölner Literaturfests lit.Cologne.



Debütpreis der lit.Cologne für Autor Kurt Prödel



Köln (epd). Der Autor Kurt Prödel hat am 21. März in Köln den mit 2.222 Euro dotierten Debütpreis des Literaturfestivals lit.Cologne für seinen Roman „Klapper“ erhalten. Der 1991 geborene Musiker und Künstler beweise in seinem literarischen Debüt „ein großes humoristisches Talent und ein feines Gespür für Rhythmus und Tempo“, erklärte die Jury. Neben Prödel waren auch die Autorinnen Martina Behm und Carolin Würfel nominiert. Per Publikumsabstimmung wurde der Sieger entschieden.

In „Klapper“ gehe es um den gleichnamigen Protagonisten und sein Erwachsenwerden in den digitalen und analogen Welten der 2010er Jahre, hieß es. Leserinnen und Leser erlebten Freundschaft und Verbindung, aber auch Einsamkeit und Verlust. „Es ist eine Geschichte über Erinnerungen, die prägen, von der unmöglichen Suche nach sich selbst und dem Entdecken der Welt“, erläuterte die Jury.

Die RheinEnergie AG stiftet die Auszeichnung den Angaben zufolge seit 2010. Neben der Gewinnsumme besteht sie aus einer „Silberschwein“-Trophäe. Zu den bisherigen Preisträgerinnen und Preisträgern gehören unter anderem Kaleb Erdmann („wir sind pioniere“), Esther Schüttpelz („Ohne mich“) und Yade Yasemin Önder („Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“). Die 25. Ausgabe des Literaturfestivals lit.Cologne endet am 30. März.



Journalisten sind besonders häufig mit Slapp-Klagen konfrontiert



Berlin (epd). Journalistinnen und Journalisten sehen sich laut einer Studie besonders häufig mit Einschüchterungsversuchen wie sogenannten Slapp-Klagen konfrontiert. Grundsätzlich verwenden mächtige Akteure vielfältige Strategien, um Einzelpersonen oder Kollektive von einer öffentlichen Beteiligung abzuhalten, heißt es in der Studie „Einschüchterung ist das Ziel - Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung (SLAPPs) in Deutschland“, die von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung herausgegeben und am 19. März in Berlin vorgestellt wurde.

„Slapp“ steht für das englische „Strategic Lawsuit against Public Participation“. Zugleich ist „Slap“ das englische Wort für „Ohrfeige, Schlag ins Gesicht“. Im Kern der Studie stand eine Online-Befragung, an der im September 2024 227 Personen teilnahmen. 116 Personen gaben an, eigene Erfahrungen mit Einschüchterungsversuchen gegen öffentliche Beteiligung zu haben, davon stammten 60 Prozent aus dem Journalismus. Neben der Berufsgruppe der Journalisten waren vor allem Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen betroffen.

„Problem für die Demokratie“

Gut 40 Prozent der Menschen, die Einschüchterungsversuche erfahren hatten, wurden selbst beklagt. Jedoch zeigt die Befragung, dass Slapps inhaltlich sehr heterogen sind und sich nicht nur auf eine Klageerhebung oder Klageandrohung vor Zivilgerichten beschränken. Sie umfassen auch einfache Kontaktaufnahmen, Forderungen von strafbewehrten Unterlassungserklärungen und die Einschaltung von Ermittlungsbehörden.

Slapps seien ein Problem für die Demokratie, heißt es in der Studie. Denn eine Demokratie sei auf zuverlässige Informationen, einen sachlichen Diskurs, kritische Beiträge und breite Partizipation angewiesen. Nach aktueller Rechtslage können die Gerichte in diesem Zusammenhang einer Instrumentalisierung wenig entgegensetzen. „Sie müssen grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Persönlichkeit, die Herkunft und die Leistungen der Prozessparteien über eine Klage entscheiden, es sei denn, diese Merkmale sind von rechtlicher Relevanz für die eingeklagten Ansprüche.“ Hier setze die Anti-Slapp-Richtlinie der Europäischen Union (EU) an.

Die Anti-Slapp-Richtlinie sieht vor, dass Betroffene von strategischen Klagen finanzielle Unterstützung, Rechtsbeistand und psychologische Hilfe bekommen. Ist eine Klage offensichtlich unbegründet, sollen Richter diese im frühestmöglichen Stadium des Verfahrens abweisen. Gerichte können bei Einschüchterungsklagen auch Strafen gegen die Kläger verhängen. Im März 2024 gaben die EU-Mitgliedsstaaten der Richtlinie grünes Licht; die Regierungen haben nun noch ein Jahr Zeit, sie in nationale Gesetze zu übertragen.



Umfrage: 87 Prozent befürchten Spaltung durch Desinformation




Apps auf einem Smartphone
epd-bild / Norbert Neetz
Ein Großteil der Internetnutzer in Deutschland befürchtet gravierende Folgen politischer Desinformation für die Gesellschaft. 87 Prozent fürchten eine Spaltung der Gesellschaft, wie eine am 20. März von der Landesanstalt für Medien NRW in Düsseldorf veröffentlichte Umfrage zum Informationsverhalten bei Wahlen ergab.

Düsseldorf (epd). 83 Prozent machten sich Sorgen, dass Desinformation zu mehr Radikalisierung führe, hieß es. 78 Prozent fürchteten zudem, dass Desinformation Wahlergebnisse beeinflussen könnte. 88 Prozent gingen davon aus, dass der technologische Fortschritt die Gefahren von Desinformation weiter verschärft, etwa durch künstlich generierte Inhalte.

Die Zahlen basieren auf einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom 15. bis 20. Januar, also im Vorfeld der vorgezogenen Bundestagswahl. Dafür wurden den Angaben zufolge 1.005 deutschsprachige Internetnutzer ab 14 Jahren per Online-Fragebogen befragt.

Misstrauen in Plattformbetreiber gestiegen

Zudem sei das Misstrauen in Plattformbetreiber bei der Bekämpfung von Desinformation gestiegen, hieß es. Nur noch 41 Prozent der Befragten hielten es für eine wirksame Strategie, Desinformation bei den Plattformen zu melden. Das seien acht Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Vor allem bei den unter 25-Jährigen sei das Vertrauen in Plattformen um 26 Prozentpunkte gesunken und liege nun bei 43 Prozent.

„Dass inzwischen fast 60 Prozent kein Vertrauen mehr in das Handeln der Plattformen haben, kann angesichts der fortgeschrittenen Verantwortungsatrophie bei den Herren Zuckerberg und Musk kaum verwundern“, sagte der Direktor der Medienanstalt, Tobias Schmid. Gesetzgeber und Regulierung müssten an die Stelle des Versagens der Plattformen treten.

Einfluss von außen

Als Akteure, die Desinformation verbreiten, werden den Ergebnissen zufolge vor allem ausländische Regierungen und Politiker wahrgenommen (64 Prozent), aber auch Protestgruppen und Aktivisten, Blogger sowie Influencer (je 60 Prozent). Deutsche Politiker und Parteien außerhalb der Bundesregierung folgten mit 48 Prozent. 38 Prozent der Befragten gingen davon aus, dass ausländische Publikationen und Medienschaffende Falschinformationen verbreiten, 28 Prozent werfen dies auch deutschen Medien und Journalisten vor.

Social-Media-Plattformen hätten ihre Beliebtheit als Informationsquelle vor der Bundestagswahl im Vergleich zur Europawahl 2024 ausgebaut, hieß es. 24 Prozent aller Befragten hätten diese Plattformen genutzt, um sich vor der Wahl zu informieren. 2024 seien es noch 18 Prozent gewesen. Bei den unter 25-Jährigen sei der Anteil sogar von 48 Prozent im Vorjahr auf 59 Prozent angestiegen.

Insgesamt waren das Fernsehen (63 Prozent) und Internet (62 Prozent) laut Umfrage die meistgenutzten Informationsquellen zur Bundestagswahl. Der Wahl-O-Mat habe bei 52 Prozent gelegen, vor Radio (42 Prozent) und gedruckten Tageszeitungen (38 Prozent). Persönliche Gespräche spielten mit 38 Prozent ebenfalls eine große Rolle.



Stabiler Umsatz und sinkender Gewinn bei RTL Group




Hauptsitz von RTL in Köln
epd-bild/Guido Schiefer
Die RTL Group meldet mit einem Umsatz von 6,25 Milliarden Euro für 2024 einen Wert auf Vorjahresniveau, die Ergebnisse sanken allerdings. Das Streaming-Geschäft soll nach Konzernangaben bis 2026 profitabel werden und so für bessere Zahlen sorgen.

Köln/Luxemburg (epd). Im Geschäftsjahr 2024 hat die RTL Group einen Umsatz von 6,25 Milliarden Euro verzeichnet. Dieser Wert lag minimal über dem Vorjahresergebnis, wie der europäische Medienkonzern am 20. März in Luxemburg und Köln mitteilte. Das bereinigte Vorsteuerergebnis (adjusted Ebitda) sank dagegen um 7,8 Prozent auf 721 Millionen Euro und das Konzernergebnis um 11,4 Prozent auf 428 Millionen Euro. Für das Jahr 2025 wird durch höhere Streaming-Erlöse eine Umsatzsteigerung auf rund 6,45 Milliarden Euro erwartet.

Die Ergebnisse beziehen sich auf die fortgeführten Geschäfte, enthalten also nicht die Zahlen von RTL Nederland. Diese Tochterfirma wird an das belgische Unternehmen DPG Media verkauft. Die Transaktion sollte ursprünglich bis Mitte 2024 abgeschlossen sein, allerdings stehen weiter regulatorische Genehmigungen dafür aus. Den Abschluss erwartet die RTL Group nun im Laufe des zweiten Quartals 2025. Das gesamte Konzernergebnis lag 2024 bei 555 Millionen Euro.

CEO Thomas Rabe sagte, die RTL Group habe 2024 „erneut ihre Widerstandsfähigkeit bewiesen“. Trotz herausfordernder Marktbedingungen in der zweiten Jahreshälfte habe der Konzern seine Jahresprognose erreicht. Insbesondere im vierten Quartal 2024 verzeichnete RTL schwache TV-Werbeumsätze.

Streaming-Geschäft soll ab 2026 profitabel arbeiten

Den Rückgang beim Vorsteuerergebnis erklärte die RTL Group mit geringeren Umsätzen bei der französischen Tochter Groupe M6. Höhere Ergebnisbeiträge der britischen Produktionstochter Fremantle und stark reduzierte Anfangsverluste beim Ende 2021 neu gestarteten Streaming-Geschäft von RTL Deutschland hätten dies nur teilweise ausgleichen können. Beim Vorsteuerergebnis erwartet die RTL Group 2025 einen Anstieg auf rund 780 Millionen Euro.

Die durch Investitionen in das Geschäftsfeld Streaming entstandenen Anlaufverluste sind den Angaben zufolge in einer Höhe von 137 Millionen Euro in das Vorsteuerergebnis eingeflossen (Vorjahr: 176 Millionen Euro). Das Streaming-Geschäft, das die Gruppe in Deutschland, Ungarn und Frankreich betreibt, soll im Jahr 2026 profitabel werden.

Der gesamte Streaming-Umsatz stieg 2024 um 42,4 Prozent auf 403 Millionen Euro. RTL führte dies auf eine deutlich höhere Zahl kostenpflichtiger Abos, höhere Abopreise und schnell wachsende Werbeumsätze bei RTL+ in Deutschland und M6+ in Frankreich zurück. Zum 31. Dezember 2024 verzeichnete die RTL Group 6,76 Millionen zahlende Streaming-Abonnenten, davon 6,1 Millionen in Deutschland.

Beteiligungen an 60 Fernsehsendern und 37 Radiostationen

RTL Deutschland, die größte Geschäftseinheit der europäischen RTL Group, zeigte sich beim Umsatz ebenso stabil wie der Gesamtkonzern: Die Erlöse lagen hier mit 2,66 Milliarden Euro um ein Prozent über dem Vorjahreswert. Das bereinigte Vorsteuerergebnis betrug 327 Millionen Euro, das waren zwei Prozent mehr als 2023.

Die RTL Group hält Beteiligungen an 60 Fernsehsendern, 7 Streaming-Diensten und 37 Radiostationen. In Deutschland gehören neben dem Stammsender RTL unter anderem Super RTL, VOX und der Nachrichtensender NTV zur Gruppe. Der deutsche Medienkonzern Bertelsmann ist Mehrheitsaktionär der börsennotierten RTL Group.



Funke übernimmt Zeitschriften "Brigitte", "Gala" und "Eltern" von RTL




Logos am Sitz der Funke Mediengruppe in Hamburg (Archivbild)
epd-bild/Paul-Philipp Braun

Essen, Hamburg (epd). Die Funke Mediengruppe kauft die Zeitschriften „Brigitte“, „Gala“ und „Eltern“ von RTL Deutschland. Die Titel würden „samt der rund 300 Mitarbeitenden in den Redaktionen und Verlagsbereichen“ übernommen, erklärte Funke am 24. März in Essen. Die zuständigen Kartellbehörden müssen dem Kauf noch zustimmen.

Die Frauenzeitschrift „Brigitte“, das People- und Lifestyle-Magazin „Gala“ und das Magazin „Eltern“ sitzen in Hamburg. Sie sollen mit den bereits in Hamburg beheimateten Funke-Marken an einem gemeinsamen Standort zusammenziehen, hieß es. Die drei Titel gehörten zuvor zum Verlag Gruner + Jahr. Der Verlag war 2022 vollständig von RTL Deutschland übernommen worden.

Jesper Doub, in der Funke-Geschäftsführung für die Zeitschriften-Sparte verantwortlich, betonte, die drei Titel verfügten „über eine enorme publizistische Strahlkraft“ in Print und funktionierten auch ausgezeichnet im Digitalen. RTL erklärte, man halte es für sinnvoll, die Geschäfte jeweils dort zu bündeln, wo sie mit vollem Fokus in die Zukunft geführt werden könnten. Die Funke Mediengruppe habe eine „hervorragende verlegerische Kompetenz“ im Print- und Publishing-Segment. RTL wolle sich noch fokussierter auf die eigenen Bewegtbildinhalte und das Angebot „Stern+“ konzentrieren.

Die Funke Mediengruppe gibt 18 Regionalzeitungen, über 40 Zeitschriften und viele Anzeigenblätter heraus, unter anderem die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“, das „Hamburger Abendblatt“, die „Thüringer Allgemeine“ und die „Berliner Morgenpost“. Zum Zeitschriftenportfolio gehören etwa die „Hörzu“, „Gong“ und „Bild der Frau“.



Laiensänger für Chormusical "7 Worte vom Kreuz" in Lemgo gesucht



Lemgo, Detmold (epd). Musikbegeisterte Menschen aus Ostwestfalen-Lippe können sich ab jetzt für das Chormusical „7 Worte vom Kreuz“ in Lemgo anmelden. Gesucht werden Laiensänger, die gemeinsam mit bis zu 1.000 anderen Stimmen am 28. März 2026 auf der großen Bühne der Phoenix Contact Arena in Lemgo auftreten möchten, wie die Lippische Landeskirche am 24. März in Detmold mitteilte. Für den großen Projektchor werden Sängerinnen und Sänger aus der Region gesucht. Die Teilnehmenden würden unter Anleitung von Bühnenprofis auf die Aufführung vorbereitet. Vorkenntnisse oder Vorsingen seien nicht erforderlich.

Das Chormusical biete eine moderne Inszenierung der letzten sieben Worte, die Jesus am Kreuz sprach, und verbinde diese mit Fragen des Alltags, erklärte die Landeskirche. Die Handlung folge den Protagonisten Ben und Marie, die durch ihre Begegnung beim Chormusical inspiriert werden, sich mit essenziellen Lebensfragen auseinanderzusetzen.

Die Proben sollen in den kommenden Monaten beginnen. Die Teilnehmenden haben die Möglichkeit, sich mit Noten und Audio-Tracks vorzubereiten. Eingeladen seien Menschen jeden Alters, hieß es. Partner des Musical-Projekts der Stiftung Creative Kirche (Witten) für Lemgo sind die Lippische Landeskirche, der Pastoralverbund Lippe-Detmold und das Erzbistum Paderborn.

Anmeldung und weitere Informationen: www.chormusicals.de



Musikfestspiele Saar suchen Türmerin oder Türmer



Saarbrücken (epd). Wer Trompete spielt, studierter Musiker oder versierter Laie ist, kann sich ab sofort für eine Türmerstelle der Musikfestspiele Saar bewerben. Schon vor Beginn des Festivals am 7. und 8. Mai solle die von einer Jury ausgewählte Person Lust auf die kommenden Wochen machen, teilten die Musikfestspiele am 18. März in Saarbrücken mit. Hierzu solle an fünf Terminen zwischen 19 und 22 Uhr ein „Signal“ von den Türmen der Kirchen schallen, die in dieser Saison bespielt würden. Bewerbungen sind bis zum 7. April mit Biografie und Motivationsschreiben an info@musikfestspiele-saar.de möglich.

„Türmer hatten allgemein vor allem im Mittelalter die Aufgabe, vom höchsten Turm die Stadt vor Gefahren zu warnen“, erklärte das Festival. Dazu hätten sie etwa ein Wächterhorn, eine Glocke, Signalflaggen oder auch Lampen genutzt. Im Zuge der Reformation sei das Choralblasen vom Turm aufgekommen, welches eine Art Predigt dargestellt habe. „Auch heute gibt es in einigen Städten noch Türmer, die vor allem abends stündlich einen Choral in alle vier Himmelsrichtungen spielen“, erläuterten die Festivalmacher. „Wir laden alle ein zu einem kleinen Happening rund um die Kirchtürme, es gibt Programme, nette Begegnungen, schöne Gespräche.“

Die bis zum 29. Juni geplante Festivalausgabe sieht mehr als 20 Programmpunkte und rund 60 Einzelveranstaltungen vor. Zu den bespielten Kirchen gehören dieses Mal unter anderem die Ludwigskirche, die Stiftskirche St. Arnual und die Johanneskirche in Saarbrücken. Die diesjährige Ausgabe steht unter dem Titel „Einheit Freiheit Freifalt Vielfalt Vielheit“.




Entwicklung

Tuberkulose-Expertin: Kriege und Konflikte treiben Ausbreitung an




Röntgenbilder von Tuberkulose-Kranken im Tuberkulose Museum Heidelberg (Archivbild)
epd-bild/Heike Lyding
Der zuletzt beunruhigende Anstieg von Tuberkulose-Fällen dürfte nach Einschätzung der Gesundheitsexpertin Brit Häcker durch die Kriege und Konflikte in vielen Regionen der Welt weiter angetrieben werden.

Frankfurt a.M. (epd). Schon nach den jüngsten Daten seien 10,8 Millionen Neuerkrankte und 1,25 Millionen Tote für das Jahr 2023 gemeldet worden, sagte die ärztliche Mitarbeiterin beim Deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) dem Evangelischen Pressedienst (epd) zum Welt-Tuberkulose-Tag (24. März). Ein Zusammenbruch von Gesundheitssystemen und katastrophale Bedingungen für die Bevölkerung inmitten von Kämpfen und Flucht ließen eine weitere Ausbreitung der Tuberkulose erwarten.

„Man braucht gute Diagnostik und gute Therapie, um die Krankheit zu erkennen und zu behandeln“, erklärte die Lungenfachärztin. „Das heißt, man braucht eine stabile Gesundheitsversorgung, aber Konflikte zerstören dieses Gefüge.“ Zudem übertrage sich der Tuberkulose-Erreger unter beengten und schlechten hygienischen Bedingungen leichter. „Und Menschen in einem schlechten Gesundheitszustand, wie oft in Konfliktregionen oder auf der Flucht, sind noch einmal anfälliger.“

Anstieg in der Ukraine

Der Zusammenhang zwischen Krieg und Tuberkulose sei am besten für die beiden Weltkriege dokumentiert. Doch auch in der Ukraine, die vor dem russischen Angriffskrieg ein sehr effektives Tuberkulose-Programm gehabt habe, sei schon ein Anstieg der Fälle zu beobachten.

Die Auswirkungen zeigten sich allerdings mit Verzögerung, erklärte die Expertin. Die zuletzt zunehmenden weltweiten Zahlen würden auf die Corona-Einschnitte zurückgeführt, die vor fünf Jahren begannen: Im Kampf gegen die Pandemie seien andere Gesundheitsprobleme in den Hintergrund gerückt, sagte Häcker. „Dabei ist auch Tuberkulose vernachlässigt worden und man sieht jetzt sozusagen einen Anstieg der Fallzahlen.“ Erkrankungen seien nicht oder zu spät gefunden, Behandlungen unterbrochen worden.

Monatelange Therapie

Doch eine wirksame Therapie braucht Zeit: Zur Behandlung der Tuberkulose muss eine Kombination aus Antibiotika zuverlässig für mindestens sechs Monate eingenommen werden, manchmal auch länger. Geschätzt ein Viertel der Weltbevölkerung trägt den Erreger in sich, bei etwa fünf Prozent der Menschen bricht die Krankheit aus. Meist sei dies ein bis zwei Jahre nach der Ansteckung, manchmal aber auch später, erklärte Häcker - „insbesondere wenn es eine Schwächung des Immunsystems gibt, die durch Versorgungsdefizite oder extremen Stress, wie sie in kriegerischen Auseinandersetzungen auftreten, verstärkt wird.“

epd-Gespräch: Silvia Vogt


Experten warnen vor neuer Aids-Epidemie nach US-Rückzug




Aids-Medikamente (Archiv)
epd-bild/Friedrich Stark

Berlin, Wien (epd). Deutsche und österreichische Gesundheitsorganisationen warnen vor einer neuen Aids-Epidemie nach dem weitgehenden Rückzug der USA aus internationalen HIV-/Aids-Programmen. „Es ist ein gravierender Verstoß gegen die Menschenrechte und ethisch wie epidemiologisch unverantwortlich, Menschen die lebensrettende Therapie vorzuenthalte“, kritisierte der Vorsitzende der Deutschen Aids-Gesellschaft, Stefan Esser, am 19. März vor einem Deutsch-Österreichischen Aids-Kongresses in Wien.

Die USA seien bislang der größte Geldgeber im globalen Kampf gegen HIV und Aids, heißt es in der gemeinsamen Mitteilung von deutscher und österreichischer Gesellschaft sowie anderen Organisationen weiter. Mit dem Auslaufen des US-Hilfsprogramms und dem angekündigten Rückzug der USA unter Präsident Donald Trump aus dem Aids-Programm der Vereinten Nationen, Unaids, stehe die Versorgung von Millionen Menschen auf dem Spiel. Zwar gibt es laut den Organisationen eine Ausnahmeregelung für lebensnotwendige Therapien, diese wirke aber nur bedingt. Viele Einrichtungen in stark von HIV betroffenen Ländern seien bereits geschlossen und Personal gekündigt worden.

Millionen Neu-Infektionen erwartet

Unaids rechne bis Ende 2029 mit rund neun Millionen neuen HIV-Infektionen, mehr als sechs Millionen Aids-Toten und etwa dreieinhalb Millionen Aids-Waisen, sollten die US-Mittel dauerhaft ausbleiben. Besonders gefährdet sind den Experten zufolge Menschen in stark betroffenen Regionen wie dem südlichen Afrika sowie gesellschaftliche Gruppen mit erschwertem Zugang zu medizinischer Versorgung. Dazu zählten junge Frauen, Männer, die Sex mit Männern haben, Transpersonen, Drogenkonsumierende oder Menschen in Haft.

Neben der deutschen und der österreichischen Aids-Gesellschaft beteiligten sich an dem Appell auch die Deutsche Aidshilfe, die Aids Hilfe Wien und das Aktionsbündnis gegen Aids. Sie fordern, dass wirtschaftlich starke Nationen wie Deutschland und Österreich führende Rollen im Kampf gegen die Immunschwäche-Krankheit übernehmen.



Action Medeor will Unterstützung mit Medikamenten ausbauen




Lager des Hilfswerks Action Medeor in Tönisvorst
epd-West/ Hans-Jürgen Bauer

Tönisvorst (epd). Nach den massiven Kürzungen bei der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde USAID stockt das deutsche Medikamentenhilfswerk Action Medeor seine Hilfe auf. „Wir werden unsere Anstrengungen, möglichst vielen Menschen den Zugang zu Gesundheit zu verschaffen, in den nächsten Monaten verstärken“, sagte Vorstandssprecher Sid Peruvemba am 18. März im niederrheinischen Tönisvorst. In welchem Maße das gelinge, hänge auch davon ab, wie sehr man jetzt von Spenden unterstützt werde. „Wir rufen daher derzeit aktiv zu Spenden für die weltweite Medikamentenhilfe auf“, betonte Peruvemba.

Action Medeor versorgt nach eigenen Angaben Gesundheitsstationen in etwa 100 Ländern in Afrika, Lateinamerika und Asien mit medizinischer Hilfe. Im Not- und Katastrophenfall ist das Medikamentenhilfswerk in der Lage, Arzneimittel, medizinisches Material und Instrumente in wenigen Stunden ins Katastrophengebiet zu schicken.

Zentrale Lager in Tansania und Malawi

In Deutschland, Tansania und Malawi unterhält die Organisation Medikamentenlager, von denen aus Versorgungsketten gesteuert werden. Natürlich könne das Hilfswerk nicht alle Versorgungslücken schließen, die durch das Einfrieren der US-Entwicklungshilfe weltweit entstanden sind. „Aber wir glauben an das, was wir tun - und wir tun jetzt unseren Teil als Zivilgesellschaft, um den Menschen zu helfen, die ohne medizinische Behandlung leiden oder sogar sterben würden“, unterstrich der Vorstandssprecher.

Das Medikamentenhilfswerk sei durch den Stopp der USAID-Finanzierung nicht direkt betroffen, merke aber, dass bei Partnerorganisationen die Mittel für die Beschaffung von Medikamenten fehlten. „Wir versuchen jetzt, die Finanzierungslücken für solche Lieferungen durch eigene Spendengelder auszugleichen“, kündigte Peruvemba an.

In der Summe habe die Aussetzung der USAID-Finanzmittel für Entwicklungszusammenarbeit und Humanitäre Hilfe gravierende Auswirkungen auf die direkte Versorgung von mindestens 120 Millionen Menschen in mehr als 100 Ländern. „Wenn die Entscheidung bestehen bleibt, hat das Auswirkungen auf das globale humanitäre System“, mahnte Peruvemba.



Oxfam: Klimakrise zerstört Lebensgrundlagen in Ost- und Südafrika




Ein Esel transportiert Wasserkanister in Kitui in Kenia (Archivbild).
epd-bild/Birte Mensing

Berlin (epd). Die Hilfsorganisation Oxfam warnt anlässlich des Weltwassertages vor den Folgen von Wasserknappheit und Klimawandel in Ost- und Südafrika. Die Klimakrise zerstöre die Lebensgrundlage von Millionen Menschen, für die Regenwasser überlebensnotwendig sei, erklärte Oxfam-Referent Ludwig Gloger am 20. März in Berlin.

Die internationale Hilfsorganisation veröffentlichte einen Bericht zu den Folgen des Klimawandels für die Wasserversorgung und Ernährungsknappheit in acht Ländern in der Region, darunter Äthiopien, Kenia, Mosambik und Simbabwe. In Kenia etwa seien zwischen 1980 und 2020 mehr als 136.000 Quadratkilometer Land trockener geworden. In den untersuchten Ländern sind laut Angaben von Oxfam 91 Prozent der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern fast ausschließlich auf Regenwasser angewiesen.

Schutz von Gletschern

Zu den in dem Bericht erwähnten Ländern zählen auch Malawi, Somalia, der Südsudan und Sambia. Insgesamt fehle in den acht Ländern 116 Millionen Menschen der Zugang zu sauberem Trinkwasser, hieß es. Zugleich seien dort 55 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Die Klima-, Wasser- und Ernährungskrise seien untrennbar miteinander verknüpft, sagte Oxfam-Referent Gloger und rief dazu auf, afrikanische Länder stärker bei der Bewältigung des Klimawandels zu unterstützen.

Der Weltwassertag wird seit mehr als 30 Jahren am 22. März begangen. Thematisch ist er in diesem Jahr dem Schutz von Gletschern gewidmet.



VEM bekommt neuen Leiter für Division Afrika



Wuppertal (epd). Der Pfarrer Emmanuel Muhozi aus Ruanda wird neuer Leiter der Division Afrika der Vereinten Evangelischen Mission (VEM). Der Internationale Aufsichtsrat habe den Theologen in den fünfköpfigen Vorstand berufen, erklärte die VEM am 18. März in Wuppertal und Gaborone. Der bisherige Amtsinhaber, Pfarrer John Wesley Kabango, gehe in den Ruhestand.

Muhozi ist promovierter Theologe und wird auch zum Vorstand der VEM gehören. Er tritt sein Amt den Angaben zufolge am 1. November im Missionshaus in Wuppertal an. Aktuell ist er stellvertretender Vizekanzler für Verwaltung und Finanzen an der Protestant University of Rwanda (PUR).

Zur neuen stellvertretenden Generalsekretärin wurde zudem Pfarrerin Dyah Ayu Krismawati ernannt. Sie soll das Amt ebenfalls ab November übernehmen. Mit der indonesischen Theologin und Leiterin der Asien-Division werde erstmals eine Frau aus dem Globalen Süden stellvertretende Generalsekretärin der VEM, hieß es.

Erklärung zur Lage im Ostkongo verabschiedet

Der Rat verabschiedete zudem eine Erklärung zur Lage im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Darin wird dazu aufgerufen, für die unter dem Krieg leidende Bevölkerung im Osten des Landes zu beten. Dort kämpfen Rebellen, Milizen und die Armee um Macht und die Kontrolle über Bodenschätze. Der Rat appellierte zudem an die politischen Entscheidungsträger und die internationale Gemeinschaft, sich für ein Ende des Krieges und der Konflikte in der Region einzusetzen und Frieden, Mediation und Versöhnung zu fördern.



Konflikt in Tigray: Die Angst vor einem neuen Krieg in Äthiopien




Zerstörtes Dorf in der Nähe der Stadt Samre in Tigray (2023)
epd-bild/Ximena Borrazas
In der äthiopischen Tigray-Region arbeiten mehrere Konfliktparteien auf einen neuen Krieg hin - und setzen damit das erst Ende 2022 geschlossene Friedensabkommen aufs Spiel. Fachleute warnen sogar vor einem regionalen Krieg.

Nairobi, Addis Abeba (epd). Die Angst vor einem neuen Krieg in Tigray ist groß. Seit Monaten schwelt in der nordäthiopischen Region eine politische Krise. Nun ist sie eskaliert: Teile der paramilitärischen Verteidigungskräfte von Tigray (TDF) haben mehrere größere Städte in der Region eingenommen, die bisher unter Kontrolle der Übergangsregierung standen.

Auch den wichtigsten Radiosender in der Regionalhauptstadt Mekelle haben sie laut lokalen Medien unter ihre Kontrolle gebracht. Unter den Bewohnern Tigrays, wo die Infrastruktur nach einem verheerenden Krieg zwischen 2020 und 2022 zu großen Teilen noch zerstört ist, schlägt die Kriegsangst laut einem Bericht des Magazins „The Africa Report“ mit Sitz in Paris in blanke Panik um.

In dem Konflikt stehen sich die zwei Fraktionen der zerstrittenen - derzeit offiziell nicht als Partei anerkannten - Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) sowie der ebenfalls gespaltenen paramilitärischen Verteidigungskräfte von Tigray (TDF) gegenüber. Aber auch die äthiopische Regierung unter Ministerpräsident Abiy Ahmed sowie der Nachbarstaat Eritrea mischen mit.

Immer noch eine Million Vertriebene

Hintergrund für die aktuelle Krise sind die Folgen des verheerenden Bürgerkriegs in Tigray, durch den zwischen 2020 und 2022 nach Schätzungen bis zu 600.000 Menschen starben. Damals kämpften TPLF und TDF gegen die äthiopische Armee, die unter anderem von Truppen aus Eritrea unterstützt wurde. Der Krieg wurde zwar im November 2022 im südafrikanischen Pretoria durch ein Abkommen beendet, dessen schleppende Umsetzung aber zugleich ein entscheidender Grund für die jüngste Eskalation ist.

Weiter ungeklärt ist etwa der Status von fruchtbaren und landwirtschaftlich wertvollen Gebieten im Westen Tigrays, die während des Krieges von regionalen Truppen des benachbarten Bundesstaates Amhara erobert wurden. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) leben mehr als zwei Jahre nach Kriegsende immer noch rund eine Million Vertriebene unter ärmlichen Verhältnissen und in Ungewissheit über ihre Zukunft.

Kaum Fortschritte bei Demobilisierung

Auch bei der Demobilisierung und Wiedereingliederung von Kämpfern der TPLF in die Gesellschaft, was auch einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen soll, gibt es kaum Fortschritte. Ein großes Problem ist zudem, dass wichtige Gewaltakteure bei den Verhandlungen in Pretoria gefehlt haben. Nicht vertreten waren Repräsentanten des Nachbarlandes Eritrea und der Fano-Miliz, die mehrheitlich aus Mitgliedern der Volksgruppe Amhara besteht. Eritreas Präsident Isaias Afewerki soll damals mit dem Ende des Krieges nicht einverstanden gewesen sein: Er hätte die TPLF - einen alten Feind aus früheren Konflikten - gerne ein für alle Mal vernichtet.

Konkret stehen sich in Tigray nun die Parteiführung der TPLF um Debretsion Gebremichael und die von der Zentralregierung eingesetzte regionale Übergangsverwaltung TIRA gegenüber. Die Debretsion-Fraktion wirft der Übergangsverwaltung vor, eine Marionette der Zentralregierung zu sein. Das Lager rund um Debretsion will eine Abspaltung von Äthiopien, zur Not mit Gewalt.

Sorge vor Konfrontation zwischen Äthiopien und Eritrea

Bitter für die Bevölkerung ist, dass sich offenbar beide Seiten an Akteure von außen gewandt haben. Die TIRA-Führungsriege brachte mit öffentlichen Äußerungen eine mögliche Intervention der Zentralregierung in Addis Abeba ins Gespräch - den Feind aus dem jüngsten Krieg. Seinem Kontrahenten Debretsion wirft sie vor, sich an Eritrea gewandt zu haben, also ebenfalls einen früheren Kriegsfeind, dem noch dazu von Menschenrechtsorganisationen in dem Konflikt besonders schwere Verbrechen vorgeworfen werden.

Debretsion weist das zurück. Bemerkenswert ist jedoch, dass Eritrea nach Berichten lokaler Medien im Februar die Generalmobilmachung ausrief. In einer Analyse der US-amerikanischen Zeitschrift „Foreign Policy“ warnen einige Fachleute nun sogar davor, dass Tigray der Ausgangspunkt für eine viel größere Konfrontation zwischen Äthiopien und Eritrea werden könnte, die die gesamte Region erschüttern würde.

Von Bettina Rühl (epd)


Kreuzfahrtschiffe und eine Straße durch den Regenwald



Zehntausende Menschen werden im November zur 30. Weltklimakonferenz in Belém erwartet - doch in der brasilianischen Amazonas-Metropole mangelt es an Unterkünften. Ausgerechnet klimaschädliche Kreuzfahrtschiffe sollen nun Abhilfe schaffen.

Berlin/Belém (epd). Bevor es um den weltweiten Klimaschutz geht, kommen die Bagger. Eine Schneise wird in den brasilianischen Regenwald geschlagen und der Lehmboden planiert. Die 13 Kilometer lange „Avenida Liberdade“ soll bis zur 30. UN-Klimakonferenz (COP 30) in der Amazonas-Metropole Belém fertig sein.

Die Straße soll die Teilnehmer im November schnell von einem zum anderen Ende der Stadt bringen. Jedoch verläuft ein Teil der vierspurigen Straße durch den geschützten Regenwald. Auch das Kongresszentrum für die zweiwöchige Zusammenkunft ist noch nicht fertig. Doch am meisten Kopfzerbrechen bereiten die fehlenden Unterkünfte. Zwar werden noch Hotels errichtet, doch ist unklar, wie die etwa 50.000 erwarteten Gäste untergebracht werden können.

Belém, die Hauptstadt des Amazonas-Bundesstaates Pará, ist rund acht Monate vor dem UN-Klimagipfel eine riesige Baustelle. Politiker versprechen eine „urbane Revolution“ und die Modernisierung der ganzen Stadt. Doch Anwohner und Umweltschützer sind skeptisch.

Bis zu 10.000 Euro für eine Wohnung - täglich

Die Millionenstadt verfügt über 24.000 Betten aller Standards. Es gibt aber nur drei Luxushotels, wo Staatsgäste untergebracht werden können. Die Vermietung von Zimmern und Wohnungen über eine Online-Plattform soll weitere rund 11.000 Betten bringen. Dort gibt es allerdings Ärger wegen der horrenden Preise. Umgerechnet bis zu 10.000 Euro pro Tag verlangen private Anbieter für eine Wohnung.

Außerdem will die Stadt während des Gipfels 17 Schulen in Hostels für rund 5.000 Delegierte umwandeln. Auch das Militär will Unterkünfte bereitstellen. Auf zentralen Plätzen sollen zudem klimatisierte Zelte aufgestellt werden. Die Regierung plant sogar, Kreuzfahrtschiffe in Outero, etwa 20 Kilometer von Belém entfernt, anlegen zu lassen - was bei Umweltschützern aufgrund der hohen Treibhausgasemissionen für Empörung sorgt.

Als Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva jüngst auf die fehlenden Unterkünfte angesprochen wurde, sagte er vor Journalisten, dass die Menschen im schlimmsten Fall „unter freiem Himmel unter den Sternen“ nächtigen müssten. Auf jeden Fall werde es der beste Umweltgipfel aller Zeiten. Erstmals werde nicht nur über den Amazonas gesprochen, sondern der Gipfel finde in dem Gebiet statt.

Lula versprach, dass alle Investitionen für den Gipfel nachhaltig und keine „Scheinlösungen“ seien. Rund 30 Bauprojekte mit einem Volumen von umgerechnet rund 210 Millionen Euro sollen bis November fertiggestellt werden.

Eine der ärmsten Großstädte Brasiliens

Dazu gehören auch Bauten für ein Abwassersystem. Denn Belém gehört zu den ärmsten Großstädten in Brasilien. Rund die Hälfte der rund 1,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner lebt in Armenvierteln. Etwa 80 Prozent der Häuser sind an kein Abwassersystem angeschlossen. Stattdessen gibt es offene, stinkende Kanäle mit dreckigem Wasser und Müllberge. Während der Regenzeit kommt es regelmäßig zu Überschwemmungen.

Trotzdem wollte Lula den Gipfel in Belém. Bei Amtsantritt vor rund zwei Jahren versprach er, die illegale Abholzung des Amazonas-Regenwalds, der für das Klimasystem eine entscheidende Rolle spielt, bis 2030 komplett zu stoppen. Unter seinem rechtsextremen Vorgänger Jair Bolsonaro (2019 bis 2023) war die Vernichtung des Regenwalds um etwa 70 Prozent gestiegen. Tatsächlich kann die Regierung unter Lula auf erste Erfolge verweisen. Im vergangenen Jahr ging die illegale Abholzung laut staatlichem Weltrauminstitut Inpe um etwa 30 Prozent zurück.

Fossile Projekte in der Amazonas-Region

Doch zugleich treibt Lula wie in seiner ersten Amtszeit (2003 - 2010) Megaprojekte in der Amazonas-Region voran. Er will die Erdöl- und Erdgasförderung ausweiten, auch im Mündungsbecken des Amazonas-Flusses. Von mehreren Milliarden Barrel ist die Rede. Zunächst verweigerte die brasilianische Umweltbehörde Ibama die Zustimmung aus Sorge, dass bei einem Leck die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt vernichtet werden könnte. Doch auf Druck der Regierung gab die Behörde nach und erteilte eine Lizenz für die Bohrungen.

Einen Widerspruch zwischen der Förderung von fossilen Brennstoffen und den Klimazielen des Landes sieht Lula nicht. Bei seinem Besuch in Belém im Februar protestierten zahlreiche Umweltschützer gegen das Erdöl-Vorhaben. Sie passen nicht ins Bild des klimafreundlichen Gipfels, das Brasiliens Regierung gern ins Ausland sendet.

Von Susann Kreutzmann (epd)


Bündnis startet Kampagne zum Schuldenerlass für den Globalen Süden



Düsseldorf, Berlin (epd). Ein Bündnis aus Hilfsorganisationen, kirchlichen Gruppen und Institutionen hat die Kampagne „Erlassjahr 2025“ gestartet, die sich für einen Schuldenerlass von einkommensschwachen Ländern im Globalen Süden einsetzt. Der Erlass der Schulden sei notwendig, um die Lebensbedingungen von Millionen Menschen zu verbessern, teilte das Bündnis am 20. März in Düsseldorf zum Auftakt der Kampagne in Deutschland mit. 35 Organisationen aus der Zivilgesellschaft sind in dem Bündnis vertreten, darunter Erlassjahr.de und Misereor.

Anlässlich des „Heiligen Jahres“ der katholischen Kirche sollen weltweit Unterschriften gesammelt werden. Viel zu lange sei zugesehen worden, wie sich die weltweite Schuldenkrise immer weiter zuspitzt, hieß es. Das „ungerechte Finanzsystem“ und die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie des Krieges gegen die Ukraine hätten dazu geführt, dass verschuldete Staaten im vergangenen Jahr so viel wie noch nie an ihre ausländischen Gläubiger zurückzahlen mussten.

„Eine fortschreitende Überschuldung von Staaten verstärkt Armut und Ungleichheit“, mahnte Klaus Schilder, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor. Staatliche Sozialleistungen, Investitionen in die Infrastruktur oder Gelder zur Armutsbekämpfung würden massiv gekürzt, um den Schuldendienst zu bedienen. Faire Schuldenerlasse könnten da Abhilfe schaffen und hoch verschuldeten Staaten wie etwa Sri Lanka Spielraum geben, Investitionen in soziale Grunddienste und soziale Gerechtigkeit zu tätigen.

Mit der Kampagne „appellieren wir an die internationale Gemeinschaft und speziell an die deutsche Bundesregierung, das Schuldenproblem endlich an der Wurzel zu packen und Ursachen zu bekämpfen“, betonte die Politische Koordinatorin bei Erlassjahr.de, Kristina Rehbein. „Die Länder des Globalen Südens brauchen endlich mehr Mitspracherecht, wenn es um die Bewältigung ihrer Schuldenlast geht.“ Entscheidungen über Schuldenstreichungen müssten im Rahmen der Vereinten Nationen verhandelt werden und nicht „in den Gläubiger-Clubs des Globalen Nordens“.



Unicef: Bildungsverbot für Mädchen in Afghanistan "katastrophal"




In Afghanistan hat das neue Schuljahr begonnen. Doch für ältere Mädchen bleiben die Klassen das vierte Jahr in Folge geschlossen.
epd-bild / Stefan Trappe

Köln, New York (epd). Das UN-Kinderhilfswerk Unicef hat das andauernde Verbot der Sekundarschulbildung für afghanische Mädchen als „katastrophal“ bezeichnet. „Das Verbot hat negative Folgen für das Gesundheitssystem, die Wirtschaft und die Zukunft des Landes“, sagte Unicef-Exekutivdirektorin Catherine Russell am 22. März. „Mit dem Beginn des neuen Schuljahres in Afghanistan sind es drei Jahre, seit das Verbot der Sekundarschulbildung für Mädchen in Kraft getreten ist.“ Bleibe es bis 2030 bestehen, würden über vier Millionen Mädchen ihres Rechts auf eine weiterführende Schulbildung nach der Grundschule beraubt worden sein.

„Je weniger Mädchen eine Ausbildung erhalten, desto höher ist ihr Risiko einer Kinderheirat, mit negativen Auswirkungen für ihr Wohlergehen und ihre Gesundheit“, betonte Russell. „Zusätzlich wird das Land einen Mangel qualifizierter weiblicher Gesundheitsmitarbeiterinnen erfahren.“ Das gefährde wiederum Menschenleben, denn mit weniger Ärztinnen und Hebammen erhielten Mädchen sowie Frauen nicht die benötigte medizinische Behandlung und Unterstützung. „Wir schätzen, dass die Müttersterblichkeit um weitere 1.600 Fälle und die Säuglingssterblichkeit um über 3.500 Fälle steigen werden“, betonte die Unicef-Exekutivdirektorin.

„Trotz des Verbots haben wir 445.000 Kindern durch gemeindebasiertes Lernen Zugang zu Bildung ermöglicht - 64 Prozent davon sind Mädchen“, sagte Russell. „Wir stärken zudem weibliche Lehrkräfte, um sicherzustellen, dass Mädchen positive Vorbilder haben.“ Die „De-facto-Behörden“ müssten das Verbot aufheben, denn Bildung sei nicht nur ein grundlegendes Recht, sondern auch der Weg zu einer gesünderen, stabileren und wohlhabenden Gesellschaft. „Wenn diesen begabten, intelligenten jungen Mädchen weiterhin Bildung verweigert wird, dann werden die Konsequenzen über Generationen zu spüren sein“, betonte sie.