Kirchentag

Kirchentag wirbt für Vertrauen in die Zukunft




Ökumenischer Gottesdienst in der Nürnberger Lorenzkirche
epd-bild/Friedrich Stark
Ist die Erderwärmung zu stoppen? Der evangelische Kirchentag setzt auf Zuversicht. Klimaaktivistin Luisa Neubauer warnte vor Resignation. Auch Künstliche Intelligenz und die Zukunft der Arbeit waren am Donnerstag Themen des Protestantentreffens.

Nürnberg (epd). Auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg haben Politiker und Experten vor übertriebener Zukunftsangst gewarnt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief die Menschen dazu auf, angesichts aller Krisen in der Welt ihre Herzen nicht zu verschließen. Er rief zu mehr Miteinander und Solidarität auf. Bei einer Bibelarbeit auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag ermutigte er dazu, Krisen mit dem Willen zur Veränderung zu begegnen.

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer zeigte Verständnis für Bürgerinnen und Bürger, die angesichts der Klimakrise frustriert sind. Ermutigen könne der Blick darauf, welche Wirkungen soziale Bewegungen in der Vergangenheit bereits entfaltet hätten, sagte die 27-Jährige am Donnerstag unter großem Applaus in der Kirche St. Sebald mit Blick auf Errungenschaften wie das Frauenwahlrecht und Gewerkschaften. An diesem Freitagnachmittag ist eine Menschenkette für mehr Klimaschutz in der Nürnberger Innenstadt geplant. Dazu wird auch Neubauer erwartet.

Soziologin: Erwerbsarbeit reduzieren

Vor einer Angst-Diskussion über Künstliche Intelligenz (KI) warnte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx. Besonders durch das Transformationspotenzial von KI betroffene Branchen müssten sich allerdings schon heute überlegen, was der Kern ihres Berufes sei, sagte Buyx in Nürnberg. Betroffen seien neben der Medien-, Kreativ- und Wissenschaftsbranche vor allem Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter beispielsweise in der Banken- und Versicherungsbranche. Aber Künstliche Intelligenz werde vielen Menschen in vielen Bereichen auch Arbeit abnehmen.

Die Soziologin Jutta Allmendinger warb in Nürnberg dafür, die Erwerbsarbeit für alle Beschäftigten deutlich zu reduzieren. Bei einem Podium „Arbeiten im Neuen Normal“ sagte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) am Donnerstag, auch die heutige Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern passe „nicht mehr zum Leben“. Sie plädierte für eine lebenslange Arbeitszeit von 32 Wochenstunden, die aber nicht zwingend in einer Vier-Tage-Woche zu leisten seien. Individuelle Lösungen seien das Maß aller Dinge.

Zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sagte der Politologe Herfried Münkler, eine Abtretung ukrainischer Gebiete an Russland könnte dramatische Konsequenzen für ganz Europa haben. „Der Wunsch nach schnellem Frieden könnte ein Türöffner sein für viele weitere Kriege“, sagte Münkler am auf dem Hauptpodium des Kirchentags. In der ost- und südosteuropäischen Region gebe es neben Russland viele revisionistische Mächte. Der Politologe nannte die Türkei, Serbien und Ungarn, die Neigungen zeigten, ihre bestehenden Grenzen nicht länger zu akzeptieren.

Open-Air-Veranstaltungen wegen Regens unterbrochen

Wegen eines Gewitters mit starkem Regen mussten auf dem Kirchentag am Donnerstagnachmittag mehrere Open-Air-Veranstaltungen unterbrochen werden. Der Großteil des Programms findet allerdings in den Hallen der Nürnberger Messe statt.

Bis Sonntag wollen Zehntausende Besucher des Christentreffens ihren Glauben feiern und aktuelle Themen der Zeit besprechen. Auf dem Programm stehen mehr als 2.000 Veranstaltungen in Nürnberg und Fürth. Zur Eröffnung am Mittwoch waren laut Veranstaltern rund 130.000 Menschen zu einem „Abend der Begegnung“ zusammengekommen.



Debatten um Krieg und Zusammenhalt




Aufblasbare Plastik am Stand von Rüstungsgegnern auf dem Kirchentag
epd-bild/Thomas Lohnes
Klima, Flucht, Populismus: Es gibt Stammthemen, die auch beim aktuellen Kirchentag wieder auf dem Programm stehen. Es ist aber auch der erste Kirchentag seit Beginn des Kriegs in der Ukraine. Mit Antworten darauf ringt die christliche Laienbewegung.

Nürnberg (epd). Vier Jahre ist es her, dass ein Satz aus der Abschlusspredigt des Kirchentags in Dortmund Schlagzeilen machte und eine Art modernes Glaubensbekenntnis für die Bewegung wurde: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Hilfe für Flüchtlinge, gegen den Krieg und Aufrüstung sein - in der Vergangenheit waren für den evangelischen Kirchentag klare Positionen verhältnismäßig leicht, konsensfähig in großen Teilen der Gesellschaft. Vier Jahre später gibt es einen Angriffskrieg in Europa. Die Ukraine verteidigt sich auch mit Waffen aus Deutschland. Für den Kirchentag werden im Schatten der Ereignisse die Positionen schwieriger, zeigt der erste Tag inhaltlicher Dispute beim aktuellen Christentreffen in Nürnberg.

Dort steht wieder das Thema Flucht auf dem Programm. Eine große Halle auf dem Messegelände hatte der Kirchentag für die Diskussion „Massenphänomen Flucht“ am Donnerstag reserviert. Das Timing stimmt: Parallel ringen die EU-Innenministerinnen und -Innenminister um das angestrebte europäische Asylsystem, um eine solidarische Verteilung Schutzsuchender und die menschenrechtlichen Bedingungen für die geplanten und umstrittenen Grenzverfahren. Beim Kirchentag wird daran Kritik laut. „Faktisch halten wir uns das Leid vom Leibe. Und das dürfen wir nicht“, sagte der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

Ukraine-Krieg allgegenwärtig

Mit ihm diskutieren sollte eigentlich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die wegen der Verhandlungen in Luxemburg ihre Teilnahme an der Diskussion allerdings absagen musste. Vielleicht lag es daran, dass die allermeisten Plätze in Halle 4a leer blieben. Vielleicht trifft das Thema aber auch aktuell nicht den Nerv des Kirchentagspublikums. Allgegenwärtig in Gottesdiensten, Bibelarbeiten und Gesprächen am Rande ist der Krieg in der Ukraine - und damit auch die deutschen Waffenlieferungen.

„Neben all den anderen Anstrengungen, es ist auch Zeit für Waffen“, rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Zehntausenden Kirchentagsteilnehmern bei der Eröffnung zu. Er kennt das Publikum, war einst selbst Teil des Präsidiums der Laienbewegung. Er weiß, dass dort eher Rüstungsgegner sind - einige protestieren auch mit Zwischenrufen. Dennoch bekommt Steinmeier am Ende Applaus.

Provokativ seien die Worte Steinmeiers schon gewesen, sagte der Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bernhard Felmberg, dem epd. „Aber richtig ist es, hier zu sagen: Beschäftigt euch damit“, ergänzte er. Seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine werde in der evangelischen Kirche differenzierter über Krieg und Frieden geredet. „Ich bin gespannt, ob dies auch dem Kirchentag gelingt“, sagte Felmberg.

De Maizière sieht Sehnsucht nach Gemeinschaft

Zeigen wird sich das am Freitag, wenn sich der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, der Diskussion mit dem Friedensbeauftragten der EKD, dem mitteldeutschen Bischof Friedrich Kramer, stellt. Felmberg wird am Freitag bei einem Gottesdienst auf dem Kirchentag zwei Soldaten taufen. Beides ist ein Novum beim Kirchentag, wo Verteidigungsminister früher mindestens kritisiert, meistens ausgebuht, einmal sogar mit Eiern beworfen wurden. Vor der Messe, wo die größten Veranstaltungen des Kirchentags stattfinden, demonstrierten jedenfalls am Donnerstag Vertreter der Friedensbewegung.

Der Kirchentag diskutiert mit prominenten Gästen daneben aber auch über die Stabilität der Demokratie, die Klimakrise und die moderne Arbeitswelt. Kirchentagspräsident Thomas de Maizière beobachtet nach eigenen Worten eine „große Sehnsucht und Debatte über Gemeinschaft, über die Frage, was unser Land zusammenhält“. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass sich längst nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die politischen Diskussionen interessierten. Manche beschäftigten sich einfach nur mit Gottesdienstformaten, „und das ist gut so“, sagte de Maizière.

„Letztlich bestimmt der Kirchentag, was das Hauptthema ist“, sagte Hans Leyendecker, Präsident des Kirchentags 2019 Dortmund, der auch in Nürnberg dabei ist. Die in Dortmund beschlossene Petition, die ein von der evangelischen Kirche betriebenes Schiff zur Seenotrettung im Mittelmeer forderte, war zuvor auch nicht geplant.

Von Corinna Buschow (epd)


Eine Stadt in Gelb und Grün




Kirchentags-Fahnen in Nürnberg
epd-bild/Thomas Lohnes
Nach der Corona-Zeit feiern Deutschlands Protestanten beim Kirchentag in Nürnberg wieder ein großes Glaubensfest. Zehntausende tauchen die Stadt in die Farben Gelb und Grün. Der Ticket-Verkauf lässt jedoch zu wünschen übrig.

Nürnberg (epd). Mit einem warmen Applaus wird er empfangen, als er die Halle betritt. Gut gelaunt winkt er in die Menge. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist einer der Publikumsmagneten beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Am Donnerstag hat er Nürnbergs größte Messehalle bis auf den letzten Platz gefüllt. Rund 5.000 Menschen lauschen seiner Bibelauslegung. „Gemeinsam werden wir diese Demokratie in diesem Lande verteidigen“, ruft er ihnen zu und erntet immer wieder großen Beifall.

Vier Jahre hat es gedauert, bis sich die Protestanten wieder zu einem großen Fest versammeln konnten. Beim bisher letzten Großtreffen, dem Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt/Main, saßen die Kirchentagsfans noch mit der Kaffeetasse zu Hause auf dem Sofa, um Livestreams zu verfolgen. Wegen Corona wurde das Treffen damals weitgehend ins Internet verlegt. Jetzt schwenken die Besucherinnen und Besucher wieder ihre Kirchentagsschals und Posaunen blitzen in der Sonne. Zehntausende haben sich auf den Weg in die fränkische Metropolregion gemacht, um bis zum Sonntag zu feiern, zu beten und zu diskutieren. Mehr als 2.000 Einzelveranstaltungen werden dazu angeboten.

„Der Platz ist voll, die Herzen auch“

„Der Platz ist voll, die Herzen auch“, sagt Kirchentagspräsident Thomas de Maizière (CDU), der frühere Bundesminister, zum Auftakt des Treffens. Bei aller Freude bleibt der Zustrom zum Kirchentag allerdings bislang hinter den Erwartungen zurück: Nur 60.000 Karten waren bis zum Beginn verkauft - deutlich weniger als noch 2019 in Dortmund. Großereignisse haben es offenbar schwer, nach der Pandemie wieder in Fahrt zu kommen. Das war schon beim Katholikentag 2022 in Stuttgart so. Jetzt hoffen die Organisatoren des Protestantentreffens auf viele Tagesgäste.

Aus Bad Salzuflen im Lipper Land ist Hanna Moritz (21) nach Nürnberg gekommen - sie freut sich besonders auf das Kulturprogramm: „Wir haben uns vor allem Poetry Slams vorgenommen. Und die großen Konzerte natürlich.“ Die angehende Pflegefachkraft ist mit einer Jugendgruppe aus dem Lipper Land nach Franken gekommen - übernachtet wird ganz klassisch wird mit Schlafsack und Isomatte in einer Schule.

Viele aus der Gruppe wollten die großen Podien zur Klimakrise verfolgen, erzählt ihre Freundin, die Erzieherin Isabell Biegert (26) aus Bad Meinberg. „Die freuen sich alle schon ganz dolle darauf, den Robert Habeck zu sehen.“ Auch die Veranstaltungen mit Vertretern der „Letzten Generation“ hat sich die Gruppe vorgemerkt: „Sie wollen mal schauen, was das für Leute sind.“ In T-Shirts und kurzen Hosen schlendern die beiden durch die Innenstadt - es ist sonnig und warm in Nürnberg. Auf dem Kopf tragen sie den grün-gelben Kirchentagsschal, gebunden wie ein Haarband. An der Pegnitz kann in diesen Tagen niemand diesen beiden Farben entgehen.

„Wegen des Spirituellen“

„Jetzt ist die Zeit“ ist auf den Schals zu lesen - das Motto des Protestantentreffens. Eine „Zeitendeutung“ wolle der Kirchentag versuchen, sagt de Maizière. Dazu gehört jedoch auch: Nach vielen Austritten repräsentieren die beiden großen Kirchen nicht mehr die Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Die Säkularisierung und der Missbrauchsskandal haben ihre Spuren hinterlassen. Was das für Gegenwart und Zukunft der Kirchen bedeutet, wollen die Besucherinnen und Besucher in mehreren Foren ausgiebig erörtern.

Kirchentagsbesucher Arndt Meier (54) hält es für dringend geboten, dass sich die Kirche ausführlich mit sexualisierter Gewalt beschäftigt. Das Thema liege in der Luft, sagt er und verweist auf die aktuellen Vorwürfe gegen „Rammstein“-Sänger Till Lindemann. Zu Hause in Berlin sei er eher nicht so der Kirchentyp, erzählt Meier, von Beruf Projektleiter bei der Deutschen Bahn. Aber alle zwei Jahre Kirchentag findet er gut: „Wegen des Spirituellen. Und weil ich mich hier mit Freunden treffen kann, um mit ihnen eine gute Zeit zu verbringen.“

Von Michael Grau (epd)


Veranstalter des Kirchentags zufrieden mit Start



Nürnberg (epd). Die Veranstalter des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags haben sich zufrieden mit dem bisherigen Verlauf des Laientreffens gezeigt. Es sei ein „sehr guter Start gewesen“, sagte Kirchentagspräsident Thomas de Maizière am Donnerstag in Nürnberg. Der Kirchentag war am Mittwoch mit Gottesdiensten und dem traditionellen „Abend der Begegnung“ in der Nürnberger Altstadt eröffnet worden. Am Donnerstagmorgen begann das Veranstaltungsprogramm mit Diskussionen und Bibelarbeiten.

Genaue Besucherzahlen lägen noch nicht vor, sagte de Maizière: „Aber wir haben viele volle Hallen gehabt.“ Der öffentliche Personennahverkehr habe teilweise seine Taktung erhöhen müssen.

130.000 Menschen beim Abend der Begegnung

Die Generalsekretärin des Kirchentags, Kristin Jahn, hob die Resonanz auf die Bibelarbeiten hervor. Allein zu der Bibelarbeit mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seien rund 5.000 Interessierte gekommen. Beim „Abend der Begegnung“ seien 130.000 Menschen in der Innenstadt unterwegs gewesen.

Ein bestimmendes Thema des Kirchentags lässt sich nach de Maizières Worten derzeit noch nicht ausmachen. Anders, als es die Öffentlichkeit vielfach wahrnehme, gehe es aber in den Veranstaltungen oft weniger um politische Fragen. Er nehme vielmehr eine „Sehnsucht nach der Debatte, wie wir Gemeinschaft erreichen“, wahr, sagte der Kirchentagspräsident.



De Maizière sieht Kirchentag in "tiefem Reformprozess"



Nürnberg (epd). Kirchentagspräsident Thomas de Maizière hat weitreichende Veränderungen in der evangelischen Laienbewegung angekündigt. „Wir müssen uns ziemlich verändern, damit wir so erfolgreich bleiben wie in den letzten 30 Jahren“, sagte der frühere Bundesminister am Mittwochabend beim Kirchentagsempfang des Evangelischen Arbeitskreises von CDU und CSU in Nürnberg.

Der Kirchentag sei derzeit in einem „tiefen Reformprozess“, sagte de Maizière und kündigte an, wahrscheinlich im Oktober werde das Präsidium eine neue Kirchentagsordnung beschließen, die „neue Kirchentage“ in Hannover und Düsseldorf zur Folge haben würde. In den beiden Städten sind die nächsten Christentreffen in den Jahren 2025 und 2027 geplant.

De Maizière sagte, auch wenn beim Eröffnungsgottesdienst zum Kirchentag am Mittwoch in Nürnberg viele Menschen gekommen seien, an die Teilnehmerzahlen des Kirchentags in Dortmund 2019 werde man in diesem Jahr „wohl nicht herankommen“. 120.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden über alle Tage des Kirchentags in Dortmund gezählt. „Wir werden älter, wir haben sehr viel Stammpublikum“, sagte de Maizière. Milieutreffen brauche eine Gesellschaft, für den Kirchentag sei es aber „zu eng“. „Es fehlen Junge, die Rush Hour des Lebens“, sagte de Maizière.



Kirchentag: Himmlisches Donnerwetter



Nürnberg (epd). Ein gewaltiges Gewitter über dem Nürnberger Messegelände hat bei Besucherinnen und Besuchern des Kirchentages am Donnerstag erst zu Erschrecken und dann zu einem befreienden Gelächter und Applaus geführt. Anlass dafür war ein Impulsreferat des „Club of Rome“-Programmdirektors Till Kellerhoff, der auf die berühmte Studie der Organisation „Grenzen des Wachstums“ zur Zukunft der Weltwirtschaft aus dem Jahr 1972 verwies.

„Millionen Menschen sind dagegen, Millionen dafür. Und ein paar haben das Buch auch gelesen“, sagte Kellerhoff. Und ergänzte: „Ein wenig wie die Bibel.“ Kaum hatte er den Satz beendet, war über der Messehalle 4a ein gewaltiger Donner zu hören, gefolgt von einem heftigen Platzregen. Kellerhoff äußerte sich auf einem Podium unter dem Titel „Freiheit in planetaren Grenzen“. Dabei ging es um die Frage, wie viele Regeln der Klimaschutz braucht.

Wegen des Gewitters mit starkem Regen mussten auf dem Kirchentag am Nachmittag mehrere Open-Air-Veranstaltungen unterbrochen werden. Der Großteil des Programms findet allerdings in den Hallen der Nürnberger Messe statt.




Podien

Bedford-Strohm lehnt Lager an EU-Grenze ab: "Das dürfen wir nicht"




Podium "Massenphänomen Flucht": Parnian Parvanta (Ärzte ohne Grenzen), Bedford-Strohm, Ministerin Tamara Zieschang und Tareq Alaows (Pro Asyl)
epd-bild/Tim Wegner
"Faktisch halten wir uns das Leid vom Leibe. Und das dürfen wir nicht", sagte der bayerische Landesbischof mit Blick auf die Brüsseler Pläne.

Nürnberg (epd). Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat seine Ablehnung der von den EU-Innenministern geplanten Asylverfahren an den EU-Außengrenzen bekräftigt. „Faktisch halten wir uns das Leid vom Leibe. Und das dürfen wir nicht“, sagte Bedford-Strohm am Donnerstag beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Er hält die Pläne der EU zudem nach eigenen Worten nicht für umsetzbar.

Die Innenministerinnen und Innenminister der EU beraten am Donnerstag in Luxemburg über eine Reform des europäischen Asylsystems. Die Pläne sehen unter anderem Asyl-Grenzverfahren vor, bei denen Menschen, die aus Ländern mit einer geringeren Asyl-Anerkennungsquote kommen, in bestimmten Einrichtungen bleiben sollen, bis über ihr Bleiberecht entschieden ist. Deutschland unterstützt dies.

„Ähneln Gefängissen“

Diese Einrichtungen müssten faktisch Gefängnissen ähneln, kritisierte Bedford-Strohm. Zudem sei schon heute das Problem, dass viele Herkunftsstaaten abgelehnte Asylbewerber nicht zurücknähmen. Damit sei der Plan gar nicht umsetzbar, sagte Bedford-Strohm, der als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit dafür sorgte, dass die Kirche ein Schiff zur Rettung von Migranten in Seenot im Mittelmeer unterstützt.



Münkler: Wunsch nach Frieden könnte Tür für viele Kriege öffnen



Nürnberg (epd). Eine Abtretung ukrainischer Gebiete an Russland könnte nach den Worten des Politologen Herfried Münkler dramatische Konsequenzen für ganz Europa haben. „Der Wunsch nach schnellem Frieden könnte ein Türöffner sein für viele weitere Kriege“, sagte Münkler am Donnerstag auf dem Hauptpodium des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg.

In der ost- und südosteuropäischen Region gebe es neben Russland viele revisionistische Mächte, erklärte Münkler. Der Politologe nannte in diesem Zusammenhang die Türkei, Serbien und Ungarn, die Neigungen zeigten, ihre bestehenden Grenzen nicht länger zu akzeptieren. „Wird durch die Einwilligung in eine Grenzverschiebung in der Ukraine eine Tür geöffnet, ist damit zu rechnen, dass viele andere durch diese Tür hindurch wollen“, sagte er

„Erschöpfungskrieg“

Wer Verhandlungen im Ukrainekrieg fordert, übersieht nach den Worten des Politologen oft, dass diese Verhandlungen den Krieg ohnehin nicht sofort stoppen würden. Der Krieg sei ein Erschöpfungskrieg, sagte er: „Im Unterschied zu Niederwerfungskriegen ist es das Wesen von Erschöpfungskriegen, dass sie lange dauern und Verhandlungen nicht das Ende der Kampfhandlungen bedeuten.“

Verhandlungen seien in solchen Kriegen oft nur eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, erläuterte Münkler. Russland spekuliere darauf, dass sein militärisches Potenzial länger reiche als die westliche Unterstützung für die Ukraine.



Historiker: Imperiales Denken auch im Westen



Nürnberg (epd). Imperiales Denken ist nach den Worten des ukrainischen Historikers Mykola Borovyk nicht nur in Russland verbreitet, sondern auch im Westen. Nur so könne die Meinung verstanden werden, dass der Westen Russland provoziert haben könnte, indem er osteuropäische Staaten in die Nato aufgenommen hat, sagte Borovyk am Donnerstag auf dem Hauptpodium des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg.

Vielfach seien im Westen nur Sicherheitsinteressen Russlands im Blick, sagte Borovyk weiter. „Die Sicherheitsinteressen der Ukraine oder Polens spielen in dieser Sichtweise keine Rolle.“ Dies legitimiere implizit den imperialen russischen Anspruch auf eine Sicherheitszone. Und diese Denkweise trügen vielfach ausgerechnet Menschen vor, die sich auf Demonstrationen als Antiimperialisten inszenierten.

Eine Niederlage der Ukraine könnte Borovyks Worten zufolge grundlegende Folgen für die westlichen Gesellschaften haben. Ein Triumph des autoritären Russlands könnte ein großer Antrieb für antidemokratische Kräfte hierzulande sein. „Die Unterstützung der Ukraine ist keine Wohltätigkeit, sondern ein Solidaritätsgebot“, fügte er hinzu.



Luisa Neubauer: Klimabewegte Gesellschaft ist "heiliger Gral"



Nürnberg (epd). Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat energisch dafür plädiert, im Kampf gegen die Erderwärmung alles auf gemeinsames Handeln auszurichten. „Der entscheidende Hebel der Klimawende liegt nicht bei der Technologie, sondern dort, wo wir gemeinsam sozialen Wandel organisieren. Die klimabewegte Zivilgesellschaft ist der heilige Gral“, sagte Neubauer am Donnerstag auf einem Podium des evangelischen Kirchentages in Nürnberg. Darauf deuteten auch neuere sozialwissenschaftliche Erkenntnisse hin.

Das Publikum in der voll besetzten Kirche St. Sebald reagierte auf die Wortbeiträge der 27-Jährigen mehrfach mit jubelndem Beifall. Weitere Redner waren der Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, Martin Herrmann, die Klimapsychologin Janna Kristin Hoppmann und der Direktor des Augsburger Zentrums für Klimaresilienz, Harald Kunstmann.

Neubauer zeigte Verständnis für Bürgerinnen und Bürger, die angesichts der Klimakrise frustriert sind. Gegen das Gefühl der Ohnmacht helfe jedoch „Ermächtigung“: „Unsere Aufgabe ist es nicht, die besten Fakten oder Lösungen zu präsentieren, sondern die Macht hinter den guten Lösungen aufzubauen.“ Hauptgegner seien dabei „diejenigen, die fossile Macht verwalten“.

„Druck der Straße nachgegeben“

Ermutigen könne auch der Blick darauf, welche ungeahnten Wirkungen soziale Bewegungen in der Vergangenheit bereits entfaltet hätten. Neubauer verwies auf die Erfolge der Klimabewegung und soziale Errungenschaften wie das Frauenwahlrecht und Gewerkschaften.

Das jüngste Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen Aktivisten der „Letzten Generation“ kritisierte die Aktivistin scharf. Indem der deutsche Staat auf „Repression“ setze, gebe er dem „großen Druck von der Straße“ nach: „Wenn Klimaaktivisten als Terroristen beleidigt werden, ist das ein Problem von uns allen.“ Im Sinne des für die Klimawende erforderlichen demokratischen Miteinanders müsse die Öffentlichkeit solche Kriminalisierung deutlich kritisieren, forderte Neubauer.



Polizeipräsident kritisiert Umgang mit "Letzter Generation"




Polizeipräsident Weinspach und Klimaaktivistin Aimée van Baalen
epd-bild/Tim Wegner

Nürnberg (epd). Der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach hat bei einem Podiumsgespräch während des evangelischen Kirchentages den Umgang mit den Aktivisten der „Letzten Generation“ kritisiert. Er halte selbst nicht viel von zivilem Ungehorsam, sagte Weinspach am Donnerstag in Nürnberg bei einem Gespräch mit Aktivisten, Wissenschaftlern und Politikern. „Ich halte es aber für genauso verkehrt, diese verzweifelten Aktivisten zu kriminalisieren und zu dämonisieren“, spielte der Polizeipräsident auf eine bundesweite Razzia gegen die Klimaaktivisten vom 24. Mai an.

Für ihn als Juristen und Polizisten sei es „schwer zu ertragen“, wenn Politiker sich bei einem Anfangsverdacht sagten, für sie sei die Gruppe eine extremistische Vereinigung. Das sei Populismus. Weinspach sagte auch, er könne die Motive der Protestierenden der „Letzten Generation“ nachvollziehen, „durch die Bilder der Aktionen werden aber die Gräben vertieft und das Gegenteil erreicht“. Die Klimaaktivisten hätten ihre Anhänger „in der eigenen Blase“, aber viele andere würden von ihren Aktionen verschreckt.

„Es braucht Leute, die das Warnsignal sind“

Er sei keine „Blase“, sondern Wissenschaftler, entgegnete der Physiker Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der berufenes Mitglied des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung ist. „Wir entziehen uns die ökologischen Grundlagen, die Zeit zum Reagieren läuft uns weg“, sagte er. Unter dem enormen Zeitdruck müsse jeder an seinem Ort und mit seinen Möglichkeiten handeln. „Es braucht Leute, die das Warnsignal sind“, sagte Lucht.



Vertreter des globalen Südens kritisieren Entscheidungen für Gas



Nürnberg (epd). Vertreter des globalen Südens haben auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg die Energiepolitik in Europa und speziell in Deutschland scharf kritisiert. „Wir brauchen eine Abkehr von fossilen Brennstoffen“, sagte der Generalsekretär der Pazifischen Konferenz der Kirchen, James Bhagwan, am Donnerstag auf einem Podium zur Klimakrise. Alle Menschen im pazifischen Raum seien mittlerweile von den Folgen der Erderwärmung betroffen, etwa durch die Zunahme extremer Wetterereignisse wie Zyklonen und Dürren. „Und wir können dabei zusehen, wie der Meeresspiegel steigt.“

Vanessa Nakate, Klimaschutzaktivistin aus Uganda, kritisierte unter anderem die langfristigen Verträge, die Deutschland zum Ankauf von LNG-Gas geschlossen hat. Investitionen in fossile Brennstoffe müssten eingestellt werden. „Die Menschen in Deutschland müssen verstehen: Was hier passiert, hat Auswirkungen auf den Rest der Welt. Und die Menschen im globalen Süden, die am wenigsten klimaschädliche Emissionen verursachen, leiden am meisten.“

„Kein Anrecht auf Verzweiflung in Deutschland“

Kira Vinke, Leiterin des Berliner Zentrums für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, forderte mehr Geschwindigkeit und Konsequenz im Kampf gegen die Erderwärmung: „Wir verschmutzen die Luft, die allen gehört. Wir haben kein Anrecht auf Verzweiflung in Deutschland.“ Die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks „Brot für die Welt“, Dagmar Pruin, betonte, die Abkehr von fossilen Energieträgern bedeute auch einen Wohlstandsverlust: „Das muss politisch ausgesprochen werden.“



Wirtschaftsexperte fordert höhere CO2-Bepreisung



Nürnberg (epd). Im Kampf für mehr Klimaschutz fordert der Essener Wirtschaftswissenschaftler Christoph Schmidt eine deutlich höhere Bepreisung für CO2-Emissionen. „Der Preis sollte der Hauptdarsteller sein, spielt aber noch eine gewisse Nebenrolle“, kritisierte der Präsident des RWI-Leibniz-Institutes für Wirtschaftsforschung am Donnerstag bei einem Podium des evangelischen Kirchentages in Nürnberg. Die Märkte seien ein „super Koordinierungsinstrument“ um mehr Klimaschutz auszulösen, „aber beileibe nicht das einzige“.

Das Korsett der Regeln „muss so eng werden, damit die Änderungen erreicht werden, die nötig sind“, führte Schmidt aus, der bis Februar 2020 Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung war. Einen Verzicht auf politisches Eingreifen könne es in diesem Zusammenhang nicht mehr geben: „Das wird erstmal Lebensqualität kosten - als Investition in eine viel bessere Zukunft.“

Klimageld an Bevölkerung zurückgeben

Die Bepreisung müsse sozial ausgewogen organisiert werden, erklärte der Experte für Wirtschaftspolitik. „CO2-Preise verteuern das, was wir nicht wollen.“ Das daraus gewonnene Klimageld müsse an die Bevölkerung zurückgegeben werden, wobei untere Einkommensschichten mehr bekommen müssten.

Sven Giegold (Grüne), Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, warnte davor, durch eine restriktiv kommunizierte Klimapolitik „den Teufel an die Wand zu malen“: „Wir müssen die Transformation mit denen verbinden, die guten Willens sind.“ So könne die Bevölkerung besser mitgenommen werden.



Ethikratsvorsitzende warnt vor polarisierten Debatten



Nürnberg (epd). Der gesellschaftliche Zusammenhalt hat für die Medizinethikerin Alena Buyx ein stückweit nachgelassen. „Aber das ist nicht gleichbedeutend mit einer zersplitterten oder gespaltenen Gesellschaft“, sagte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats am Donnerstag beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. In den USA gebe es hingegen eine Lagerbildung, in der Familien und Freunde nicht mehr untereinander sprechen.

Politikerinnen und Politiker sollten sich vor „polarisierten Kulturkampfdebatten“ hüten, sagte Buyx. Eine solche Diskussion helfe niemanden und heize nur das Gefühl an, ohne sich mit den möglichen Themen dahinter auseinanderzusetzen.

Pollack: Vertrauen stärkt gesellschaftlichen Zusammenhalt

Der Religionssoziologe Detlef Pollack betonte, dass Vertrauen in den Anderen den Zusammenhalt in der Gesellschaft stärke. Wenn Menschen allerdings das Gefühl hätten, nicht wirksam zu sein, wirke das schwächend.

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, hält das Motiv der Gemeinschaft essenziell für ein Gefühl von Halt. Das gelte sowohl für Menschen innerhalb als auch außerhalb der Kirche. „Halt scheint eingebettet zu sein in emotionale Erfahrungen“, betonte sie.



Influencerinnen raten bei Hasskommentaren zur Anzeige



Nürnberg/Fürth (epd). Die Berliner Pfarrerin und Influencerin Theresa Brückner ermutigt alle Menschen, die in den sozialen Medien Hasskommentaren ausgesetzt sind, diese zur Anzeige zu bringen. „Lasst euch das von niemandem ausreden“, sagte sie am Donnerstag beim evangelischen Kirchentag.

Gerade am Anfang ihrer Karriere als @theresaliebt auf Instagram habe sie sich Kommentare wie „Du solltest keine Pfarrerin sein“ oder „Du bist hässlich“ sehr lange zu Herzen genommen. Frauen seien persönlich verletzenden Kommentaren besonders häufig ausgesetzt und müssten sich wehren, sagte sie auf einem Podium in Fürth, wo ein Teil der Veranstaltungen des Nürnberger Kirchentags stattfinden.

„Heute lese ich diesen Mist nicht“

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sagte, sie überlege mittlerweile, bei gewissen Themen die Kommentarfunktion auf ihren Social-Media-Kanälen zu deaktivieren. „Als Politikerin will ich natürlich in den Dialog. Irgendwann geht es aber einfach nicht mehr, für mich und für mein Team“, sagte sie.

Bei strafrechtlichen relevanten Hasskommentaren solle man sich Hilfe holen und sich nicht in Diskussionen verwickeln lassen. „Zeigt das unbedingt an. Die Leute müssen merken, dass wir uns das nicht gefallen lassen.“ Sie selbst versuche, vor dem Schlafengehen keine sozialen Medien zu konsumieren. Manchmal helfe auch zu entscheiden: „Heute lese ich diesen Mist nicht.“



Arbeit der Zukunft: Es geht um mehr als die Vier-Tage-Woche



"Arbeiten im Neuen Normal", so war ein Podium beim evangelischen Kirchentag überschrieben. Doch wie soll, wie wird die Arbeit der Zukunft aussehen? Homeoffice, Vier-Tage-Woche oder mehr Roboter? Expertinnen und Experten sind uneins.

Nürnberg (epd). Die Zukunft der Arbeitswelt wird nicht vom Homeoffice dominiert. Da ist sich Andrea Nahles, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, sicher. Sie legt am Donnerstag beim Podium „Arbeiten im Neuen Normal“ Zahlen vor: 70 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland könnten nicht mobil arbeiten, denn sie sind in der Produktion tätig, in der Pflege, fahren Busse und Bahnen oder schaffen bei der Müllabfuhr. Also rät Nahles, quasi als Nachteilsausgleich, zu mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung. Sonst drohe eine Spaltung des Jobmarktes in „priviligierte“ Beschäftigte im Homeoffice und jene, denen diese Vorzüge versagt blieben.

Von der aktuell wieder neu in die politische Debatte gebrachten Vier-Tage-Woche bei gleichen Bezügen hält Alexander Zumkeller, Arbeitsdirektor der ABB AG und Chef von 10.000 Mitarbeitenden, wenig. Man solle individuelle Lösungen in den Unternehmen suchen: Es gehe nicht allein um die Vereinbarkeit von Job und Familie: „Mehr Privatleben, Vereinsaktivitäten und die Lust am Faulenzen“, all das seien Motive für neue Arbeitszeitmodelle.

„Überregulierungen im Arbeitsmarkt“

Die Wünsche der Beschäftigten seien extrem unterschiedlich, betont der Fachmann. Manche Mitarbeitenden wollten fünf Stunden an sechs Tagen arbeiten, andere nur früh oder überwiegend nur spät, wieder andere bevorzugten lange Mittagspausen oder gar die Arbeit an Feiertagen. Wer als Firma all das ermöglichen wolle, „stößt ganz schnell an Überregulierungen im deutschen Arbeitsmarkt“, so Arbeitsrechtler Zumkeller. Und weil es allerorten an Personal mangelt, müssten Unternehmen sich mit ihren Arbeitszeitmodellen ohnehin schon weit auf die Beschäftigten zubewegen.

Die Soziologin Jutta Allmendinger widerspricht nicht direkt, sagt aber, die Erwerbsarbeit für alle Beschäftigten müsse deutlich reduziert werden. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) meint, die heutige Arbeitsverteilung zwischen den Geschlechtern passe „nicht mehr zum Leben“. Sie plädiert für eine lebenslange Arbeitszeit von 32 Wochenstunden, die aber nicht zwingend in einer Vier-Tage-Woche zu leisten seien. Auch sie betont: Individuelle Lösungen seien das Maß aller Dinge.

Allmendinger wirbt für den Umbau der heutigen Arbeitsstrukturen, vor allem mit dem Blick auf die überwiegend in Vollzeit arbeitenden Männer. Das bestehende Modell des alleinverdienenden Mannes als Ernährer der Familie und der Frau und Mutter, die daheim Kinder versorgt oder Eltern pflegt, habe sich überholt, betont die Berliner Forscherin: „Männer müssen bei der Arbeit runter, Frauen hoch.“

Männer müssten mehr Care-Arbeit leisten

Ziel müsse sein, dass Männer künftig mehr Care-Arbeit leisten. Dann werde auch die Erwerbarbeit der Frauen zunehmen. Damit das möglich werde, müsse „die Erwerbsarbeit viel stärker flexibilisiert werden“, fordert Allmendinger. Zudem müsse Pflegearbeit zur Unterstützung der Angehörigen endlich vergütet werden. Ganz allgemein formuliert sie: Aus der Erwerbstätigkeitsgesellschaft müsse eine Tätigkeitsgesellschaft werden - mit weit mehr ehrenamtlicher Arbeit als heute.

Doch sollte die dann nicht auch angemessen bezahlt werden? Sollten damit auch Rentenpunkte gesammelt werden, auf vergütete freiwillige Arbeiten auch Sozialversicherungsbeiträge erhoben werden? Es bleibt viel Diskussionsbedarf für ein weiteres Podium.

Von Dirk Baas (epd)


Harbarth wirbt für Freude an der Demokratie



Nürnberg (epd). Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, hat mehr Freude an demokratischer Mitwirkung gefordert. Es brauche wieder eine „Kultur der Freude an der Demokratie“, sagte Harbarth am Donnerstag in Nürnberg beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag. In einer Demokratie begegne man Menschen, von denen man lernen könne oder die man mit Argumenten überzeugen könne.

Harbarth sagte, alle müssten wieder erkennen, „dass wir im Gespräch mit anderen Menschen unglaublich viel lernen können“. Für ihn sei Demokratie keine Zumutung. Vielmehr sei es eine größere Zumutung, wenn man von demokratischen Prozessen ausgeschlossen sei.

Krisenfeste Demokratie?

Der Wittenberger Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) betonte, die Demokratie sei krisenfest. Es komme in einer Demokratie aber auch darauf an, dass man sich zu Hause wohlfühle, dass beispielsweise das städtische Schwimmbad geöffnet sei. So etwas sei unerlässlich.

Harbarth und Zugehör diskutierten auf einem Hauptpodium über die Frage „Ist die Demokratie krisenfest?“. Zuvor hatte die Düsseldorfer Rechtswissenschaftlerin Sophie Schönberger gesagt, in einer krisenfesten Demokratie komme es darauf an, die Meinung anderer Menschen anzuerkennen, auch wenn man sie für falsch halte.



FDP-Politikerin Teuteberg: Mobilfunk-Netz nicht China überlassen



Nürnberg (epd). Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg hat davor gewarnt, chinesische Firmen mit dem weiteren Ausbau des Mobilfunknetzes in Deutschland zu betrauen. „Wir sollten nicht China und Huawei das 5G-Netz und ähnliche kritische Infrastruktur einfach überlassen“, sagte Teuteberg am Donnerstag beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Denn dann bestehe die Gefahr, dass Daten und Wissen abgeschöpft werden könnten. In diesem Fall seien deutsche Sicherheitsinteressen berührt, sagte Teuteberg auf einem Podium zur Globalisierung.

„Wir sollten aufpassen, dass wir von Ländern, deren Werte wir nicht teilen, sondern mit denen wir in Systemkonkurrenz stehen, nicht zu abhängig werden“, unterstrich die FDP-Politikerin. Als Beispiele nannte sie autoritär geführte Staaten wie China und Russland. Das sei aber die Ausnahme und nicht die Regel. Grundsätzlich könnten die Menschen vom wirtschaftlichen Austausch über Grenzen hinweg profitieren. In der Vergangenheit seien durch die globale Arbeitsteilung viele Menschen aus der Armut herausgekommen und hätten es zu Wohlstand gebracht.

„Kritische Produkte, Rohstoffe und Infrastrukturen definieren“

In strategisch sensiblen Bereichen müssten sicherheitspolitische Kriterien eingeführt werden, sagte Teuteberg. „Wir müssen ganz wenige kritische Produkte, Rohstoffe und Infrastrukturen definieren, die so wichtig sind, dass es gefährlich wäre, abhängig zu sein.“ Als Faustregel formulierte sie: „So autonom wie nötig, so offen wie möglich.“ Teuteberg ist Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Die Juristin war von 2019 bis 2020 Generalsekretärin ihrer Partei.




Bibelarbeiten

Steinmeier: "Kann jemals nicht Zeit für Nächstenliebe sein?"




Bibelarbeit mit Bundespräsident Steinmeier in der Frankenhalle
epd-bild/Thomas Lohnes
Der Bundespräsident rief zu "trotzigem Mut" auf, den Krisen mit dem Willen zu Veränderung zu begegnen.

Nürnberg (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Menschen dazu aufgerufen, angesichts aller Krisen in der Welt ihre Herzen nicht zu verschließen. „Kann jemals nicht Zeit für Nächstenliebe sein?“, sagte Steinmeier am Donnerstagmorgen bei einer Bibelarbeit beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Er rief zu „trotzigem Mut“ auf, den Krisen mit dem Willen zu Veränderung zu begegnen.

„Wir können das Leid nicht abschaffen, und selten sofort, aber wir können die Zustände verbessern“, erklärte Steinmeier und verwies auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Flüchtlingslager an den EU-Außengrenzen. Das Staatsoberhaupt legte die Geschichte aus dem Johannesevangelium über die Hochzeit zu Kanaa aus, in der erzählt wird, wie Jesus Wasser in Wein verwandelt.

„Gemeinsam die Demokratie verteidigen“

Die Geschichte enthalte die Zusage, angesichts versiegender Ressourcen nicht zu verzweifeln. Es sei eine Geschichte über die Kraft des Wandels und der Transformation. Wie gut tue diese Zusicherung, wo Jesus sei, könnten sich Dinge zum Besseren wandeln, sagte Steinmeier, der nach Angaben des Kirchentags als erster amtierender Bundespräsident eine Bibelarbeit hielt.

Der Bundespräsident forderte zum Einsatz für die Demokratie auf. Der Satz „Was geht uns das an?“ sei in der politischen Debatte sehr vertraut, sagte er. In der biblischen Erzählung sagt Jesus diesen Satz, als der Wein auf der Hochzeitsfeier versiegt, bevor er sein Wunder wirkt. Unter Applaus der voll besetzten Messehalle rief Steinmeier: „Gemeinsam werden wir diese Demokratie in diesem Lande verteidigen.“



Schwesig: Jeder muss an einer besseren Welt arbeiten



Nürnberg (epd). In einer gemeinsamen Bibelarbeit beim evangelischen Kirchentag haben Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Influencerin Lilly Blaudszun (beide SPD) dazu aufgerufen, nicht auf Wunder wie bei der Hochzeit in Kana zu warten. Jeder müsse selbst aktiv „an einer anderen, besseren Welt arbeiten“, sagte Schwesig am Donnerstag in Nürnberg. Mit Blaudszun legte sie die Bibelstelle aus dem Johannesevangelium über die Hochzeit zu Kana aus, bei der Jesus Wasser zu Wein macht (Joh 2,1-12).

Lilly Blaudzun sah in dem Gleichnis Jesus nicht als Zauberkünstler am Werk. Sie entdeckte darin den Hinweis, dass mit dem vom Abbruch bedrohten Fest und seinen nun verfügbaren 600 Litern guten Weins ein Symbol gesetzt worden sei, dass der Mangel der Menschen nun ein Ende habe. Schwesig sprach von einem guten Leben, ja von Überfluss, „ein Begriff der in heutigen Zeiten aber keinen guten Klang hat“.

„Abweichende Meinungen aushalten“

Möglich geworden sei das Wunder, weil alle Beteiligten, auch Maria, Jesus vertraut hätten, dass er schon das Richtige tun werde, fügte Schwesig hinzu. Auf dieses Vertrauen komme es auch in heutigen, oft schwierigen Zeiten an. Doch alleine mit Vertrauen seien die Probleme der Welt - der Ukraine-Krieg, der Klimawandel oder der aufstrebende rechte Populismus - nicht zu überwinden: „Es braucht aktiven Glauben, ein Handeln aller Hand in Hand. Dann lässt sich eine bessere Gesellschaft schaffen.“

Blaudszun betonte, es sei Aufgabe der Politik, ihre Wege aus den Krisen für die Bürgerinnen und Bürger verständlich zu machen, Diskussionen zu fördern und dabei auch abweichende Meinungen auszuhalten: „Es geht um den den anderen Blick und die beständige Hoffnung, dass eine bessere Zukunft möglich ist.“



Deutsche-Bank-Chef Sewing: Wir können Krisen meistern



Nürnberg (epd). Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Christian Sewing, ist eigenen Worten zufolge zuversichtlich, dass Deutschland und Europa die gegenwärtigen Krisen meistern. „Wer hätte vor zwölf Monaten gedacht, dass wir uns aus einer 52-prozentigen Abhängigkeit von russischem Gas befreien können?“, fragte Sewing am Donnerstag in einer gemeinsamen Bibelarbeit mit dem Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, auf dem 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg.

Der demokratische Westen sei nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zusammengewachsen, gegen das Corona-Virus sei schnell ein Impfstoff gefunden worden, sagte Sewing. Nun gelte es, die europäische Einigung voranzutreiben, Überregulierung zu beenden und vor allem die Transformation hin zu einer notwendigen grünen Wende zu finanzieren.

Latzel: Bei sich selbst anfangen

Latzel sagte, jede und jeder könne bei sich selbst anfangen und sich fragen, wie viele der Dinge, die man besitze, wirklich gebraucht würden. „Ich frage mich dann: Nehme ich mir den Mut und die Zeit, das Zeichen zu sein, das ich von anderen erwarte?“, sagte der leitende Geistliche der rheinischen Landeskirche.




Rotes Sofa

Buyx: Keine Angst-Diskussion über KI




Alena Buyx auf dem "Roten Sofa"
epd-bild/Thomas Lohnes
Die Tatsache allein, dass Künstliche Intelligenz Aufgaben von Menschen übernehmen könne, sei kein Argument, dies auch zuzulassen, sagte die Medizinethikerin.

Nürnberg (epd). Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, möchte keine Angst-Diskussion über Künstliche Intelligenz führen. Besonders durch das Transformationspotenzial von KI betroffene Branchen müssten sich allerdings schon heute überlegen, was der Kern ihres Berufes sei, sagte Buyx am Donnerstag beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Betroffen seien neben der Medien-, Kreativ- und Wissenschaftsbranche vor allem Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter beispielsweise in der Banken- und Versicherungsbranche.

Sie wolle keine Angst-Diskussion führen. Künstliche Intelligenz werde vielen Menschen in vielen Bereichen auch Arbeit abnehmen. Doch die Tatsache allein, dass Künstliche Intelligenz Aufgaben von Menschen übernehmen könne, sei kein Argument, dies auch zuzulassen, betonte die Medizinethikerin.

„Kategorialer Unterschied“

Der Ethikrat sage in seiner jüngsten Stellungnahme zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz, dass es einen „kategorialen Unterschied“ zwischen Mensch und Maschine gebe. Eine generelle Intelligenz, die der menschlichen gleichgestellt sein werde, werde es auch in Zukunft nicht geben. Buyx war zu Gast beim „Roten Sofa“ der Kirchenpresse.



Bedford-Strohm spricht gerne mit Atheisten




Bedford-Strohm auf dem "Roten Sofa"
epd-bild/Thomas Lohnes

Nürnberg (epd). Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm ermuntert Christen zum Gespräch mit nicht gläubigen Menschen. „Es lohnt sich, auf die zu hören, die uns von außen den Spiegel vorhalten“, sagte Bedford-Strohm am Donnerstag beim evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Aus Gesprächen mit Atheisten lerne er „wahnsinnig viel“.

Bei dem Interview auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse sagte der Theologe, der im Oktober mit 63 Jahren aus dem Amt scheidet, dass er sich häufig die Frage stelle, ob er dem Vorbild Jesu gerecht werde: „Bin ich als Bischof radikal genug?“ Jesus mache ihn demütig.

Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen

Bedford-Strohm war bis 2021 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und bleibt auch nach seinem Ausscheiden als Landesbischof Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). An die Spitze des Weltkirchenrates war er im vergangenen Jahr gewählt worden.



Generalsekretärin: Kirche im ländlichen Raum stärken




Kristin Jahn (7.6.2023)
epd-bild/Tim Wegner

Nürnberg (epd). Die Generalsekretärin des evangelischen Kirchentages, Kristin Jahn, wirbt dafür, Gemeinden in ländlichen Räumen gezielt zu stärken. Sie halte es für falsch, Umlandgemeinden vermehrt an die Kirchen der angrenzenden Städte anzudocken, sagte die Theologin am Donnerstag bei einem Gespräch auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse auf dem Nürnberger Messegelände. Man müsse helfen, die ländlichen Gemeinden zu erhalten und dürfe als Kirche „nicht nur dahin gehen, wo das Leben rockt“.

Es gebe längst nicht nur ein Stadt-Land-Gefälle in Fragen des öffentlichen Nahverkehrs, sondern auch in den kirchlichen Strukturen. Dennoch gibt es laut Jahn Chancen, die hohe Zahl der Kirchenaustritte auch in strukturschwachen Kirchengemeinden zu meistern. „Wir müssen weg vom Hauptamtsdenken und die vielen schon engagierten Ehrenamtler in die Gemeindearbeit einbinden“, so die Theologin, die von sich selbst sagt: „Ich bin kein Stadtgewächs.“

Ziel gemeinsame Verkündigung

Sie verwies auf ihre eigene Arbeit, bevor sie 2022 Generalsekretärin des Kirchentags wurde. Seit 2017 war Jahn Superintendentin des Kirchenkreises Altenburger Land ganz im Osten Thüringens. Dort gelang die Umstrukturierung hin zu einer Ehrenamtskirche. Das sei ein Beispiel für die Zukunft, so die Literaturwissenschaftlerin: Ziel sei die gemeinsame Verkündigung: „Das kann gelingen, wenn mehr Ehrenamtler gewonnen, gestärkt und ausgebildet werden.“



Militärbischof: Viele Soldaten sind in der Seele verletzt



Nürnberg (epd). Der Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bernhard Felmberg, sorgt sich um das Seelenheil deutscher Soldatinnen und Soldaten, die aus belastenden Auslandseinsätzen zurückgekehrt sind. Von den 165.000 Bundeswehrangehörigen, die in Afghanistan im Einsatz gewesen seien, litten viele an posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, sagte er am Donnerstag auf dem „Roten Sofa“ der Kirchenpresse beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg: „Viele sind verletzt, weil sie furchtbare Dinge gesehen haben.“

Die Militärseelsorge versuche, die Sprache der Soldaten und ihrer Angehörigen zu sprechen, fügte Felmberg hinzu, der seit 2020 das Amt des Militärbischofs bekleidet. Besonders seit Beginn des Kriegs in der Ukraine tausche sich die Militärseelsorge mit den Familien über deren Sorgen aus. Felmberg riet allen Kirchengemeinden, „eine Leidenschaft zu entwickeln, die Sprache der Menschen zu sprechen, ohne ihnen nach dem Mund zu reden“.

Das „Rote Sofa“ der evangelischen Medienhäuser in Deutschland präsentiert während des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentages ein Interview-Programm mit 25 prominenten Persönlichkeiten aus Gesellschaft, Politik, Kultur und Kirche.




Abend der Begegnung

Ein "magischer Moment" in Nürnberg




Kerzen beim Segen im Gottesdienst auf dem Hauptmarkt beim "Abend der Begegnung".
epd-bild/Thomas Lohnes
Mit Gottesdiensten, nachdenklichen Predigtworten und einem großen Straßenfest ist der evangelische Kirchentag in Nürnberg eröffnet worden und hat Schwung geholt. Aber geht das, ausgelassen feiern in Krisenzeiten? Unbedingt, sagen Teilnehmende.

Nürnberg (epd). Lange her, dass die Nürnberger Altstadt so viele Menschen gesehen hat: Nach dem Eröffnungsgottesdienst zum 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag drängen sich am Mittwochabend Zehntausende durch Gassen und über Plätze, um den traditionellen „Abend der Begegnung“ zum Auftakt des großen Protestantentreffens zu feiern. Die Gemeinschaft zu spüren, gerade nach den Pandemiejahren, das sei ganz wichtig, schwärmt Mareike Zibell aus dem niedersächsischen Hoyerhagen.

„A su a Gwerch“ - was für ein Gedränge, ist aus einem Kreis Älterer zu hören, die offensichtlich des Mittelfränkischen mächtig sind. Und tatsächlich muss am späten Nachmittag beim Eröffnungsgottesdienst unter freiem Himmel der Hauptmarkt wegen Überfüllung geschlossen werden. „Wir gehören zusammen - man spürt es in diesem Moment“, ruft ein sichtlich ergriffener bayerischer Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm von der Hauptbühne aus den Menschen auf dem riesigen Platz zu, der bis auf den letzten Quadratmeter gefüllt ist.

Analoges Lagerfeuer

Erstmals seit Ende der Corona-Pandemie treffen sich Zehntausende Christinnen und Christen wieder zu einem Kirchentag. Bis zum Sonntag wollen sie in der mittelfränkischen Metropole und im benachbarten Fürth unter der biblischen Losung „Jetzt ist die Zeit“ über die wichtigsten Themen der Zeit diskutieren, dazu singen, beten, Netzwerke knüpfen. Doch zuerst wird gefeiert, bei sommerlicher Hitze, zum Schwung holen.

„Wir wollen ihre Stadt erobern, Nürnberg soll uns kennenlernen - im besten Sinne“, sagt Kirchentagspräsident Thomas de Maizière kurz vor dem Abend, an dem sich 140 kirchliche Stände aus Bayern und Franken beteiligen. Der Kirchentag sei ein „analoges Lagerfeuer“. Und Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) sieht in dem großen Straßenfest unter dem Motto „Wir. Hier. Jetzt.“ mit zehn Bühnen gar einen „besonderen magischen Moment“. Musikalisch jedenfalls ist es vielfältig wie selten, mit Pop, Rock, Blues, Rap, Hip-Hop, Chorgesang, Blasmusik, Singer-Songwritern.

Rund vier Jahre sind die organisatorischen Vorbereitungen für den Nürnberger Kirchentag gelaufen, jetzt ist es so weit. Mehr als 4.000 Ehrenamtliche des Kirchentages machen die Tage überhaupt erst möglich. Auch am Mittwochabend sind sie überall im Einsatz, immer gut am Halstuch mit der Aufschrift „Ich helfe“ erkennbar.

„Kraft für die eigene Arbeit“

Aber geht das überhaupt, feiern angesichts von Kriegen, Krisen und Katastrophen überall auf der Welt? „Gerade jetzt brauchen wir Orte der Begegnung und der Freude“, ist Mareike Zibell überzeugt, die mit ihrem Mann Klaus und einem befreundeten Ehepaar nach Nürnberg gekommen ist, allesamt ehrenamtlich in der Kirche engagiert. Bei einer kleinen Pause - „ich brauche jetzt unbedingt einen Kaffee im Sitzen“ - freut sie sich über die Gemeinschaft am Abend und in den kommenden Tagen: „Hier zu sehen, dass es ganz viele Menschen gibt, die je auf ihre Weise im Glauben stehen, das gibt Kraft für die eigene Arbeit.“

Und Gelegenheit zur Stärkung gibt es an diesem Abend reichlich, auch kulinarisch. An vielen Ständen brutzeln natürlich Nürnberger Bratwürste. Aber auch andere regionale Spezialitäten wie fränkische Feuerspatzen und Ziebeleskäse werden angeboten. Allerdings bilden sich auch vor einem kirchlichen Stand mit Veggie-Burgern lange Schlangen - ein Zeichen, dass sich an den Essgewohnheiten der Kirchentags-Community längst etwas geändert hat.

Schließlich zieht sich ein Lichtermeer durch die Altstadt und taucht den Abend in ein warmes Licht. Tausende singen dazu im Chor „Der Mond ist aufgegangen“. Ein Segen beschließt die Kirchenparty und entlässt die Feiernden in die Nacht. Aber der Kirchentag, der geht danach mit Bibelarbeiten, Podien, Diskussionen, Gottesdiensten, vielfältiger Kultur und Resolutionen erst richtig los, hart an den Krisen von Gegenwart und Zukunft. Trotzdem verspricht Landesbischof Bedford-Strohm: „Wir werden viel Lebensfreude ausstrahlen.“

Von Dieter Sell (epd)