Nürnberg (epd). Vier Jahre ist es her, dass ein Satz aus der Abschlusspredigt des Kirchentags in Dortmund Schlagzeilen machte und eine Art modernes Glaubensbekenntnis für die Bewegung wurde: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Hilfe für Flüchtlinge, gegen den Krieg und Aufrüstung sein - in der Vergangenheit waren für den evangelischen Kirchentag klare Positionen verhältnismäßig leicht, konsensfähig in großen Teilen der Gesellschaft. Vier Jahre später gibt es einen Angriffskrieg in Europa. Die Ukraine verteidigt sich auch mit Waffen aus Deutschland. Für den Kirchentag werden im Schatten der Ereignisse die Positionen schwieriger, zeigt der erste Tag inhaltlicher Dispute beim aktuellen Christentreffen in Nürnberg.

Dort steht wieder das Thema Flucht auf dem Programm. Eine große Halle auf dem Messegelände hatte der Kirchentag für die Diskussion „Massenphänomen Flucht“ am Donnerstag reserviert. Das Timing stimmt: Parallel ringen die EU-Innenministerinnen und -Innenminister um das angestrebte europäische Asylsystem, um eine solidarische Verteilung Schutzsuchender und die menschenrechtlichen Bedingungen für die geplanten und umstrittenen Grenzverfahren. Beim Kirchentag wird daran Kritik laut. „Faktisch halten wir uns das Leid vom Leibe. Und das dürfen wir nicht“, sagte der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

Ukraine-Krieg allgegenwärtig

Mit ihm diskutieren sollte eigentlich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die wegen der Verhandlungen in Luxemburg ihre Teilnahme an der Diskussion allerdings absagen musste. Vielleicht lag es daran, dass die allermeisten Plätze in Halle 4a leer blieben. Vielleicht trifft das Thema aber auch aktuell nicht den Nerv des Kirchentagspublikums. Allgegenwärtig in Gottesdiensten, Bibelarbeiten und Gesprächen am Rande ist der Krieg in der Ukraine - und damit auch die deutschen Waffenlieferungen.

„Neben all den anderen Anstrengungen, es ist auch Zeit für Waffen“, rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Zehntausenden Kirchentagsteilnehmern bei der Eröffnung zu. Er kennt das Publikum, war einst selbst Teil des Präsidiums der Laienbewegung. Er weiß, dass dort eher Rüstungsgegner sind - einige protestieren auch mit Zwischenrufen. Dennoch bekommt Steinmeier am Ende Applaus.

Provokativ seien die Worte Steinmeiers schon gewesen, sagte der Militärbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bernhard Felmberg, dem epd. „Aber richtig ist es, hier zu sagen: Beschäftigt euch damit“, ergänzte er. Seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine werde in der evangelischen Kirche differenzierter über Krieg und Frieden geredet. „Ich bin gespannt, ob dies auch dem Kirchentag gelingt“, sagte Felmberg.

De Maizière sieht Sehnsucht nach Gemeinschaft

Zeigen wird sich das am Freitag, wenn sich der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, der Diskussion mit dem Friedensbeauftragten der EKD, dem mitteldeutschen Bischof Friedrich Kramer, stellt. Felmberg wird am Freitag bei einem Gottesdienst auf dem Kirchentag zwei Soldaten taufen. Beides ist ein Novum beim Kirchentag, wo Verteidigungsminister früher mindestens kritisiert, meistens ausgebuht, einmal sogar mit Eiern beworfen wurden. Vor der Messe, wo die größten Veranstaltungen des Kirchentags stattfinden, demonstrierten jedenfalls am Donnerstag Vertreter der Friedensbewegung.

Der Kirchentag diskutiert mit prominenten Gästen daneben aber auch über die Stabilität der Demokratie, die Klimakrise und die moderne Arbeitswelt. Kirchentagspräsident Thomas de Maizière beobachtet nach eigenen Worten eine „große Sehnsucht und Debatte über Gemeinschaft, über die Frage, was unser Land zusammenhält“. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass sich längst nicht alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die politischen Diskussionen interessierten. Manche beschäftigten sich einfach nur mit Gottesdienstformaten, „und das ist gut so“, sagte de Maizière.

„Letztlich bestimmt der Kirchentag, was das Hauptthema ist“, sagte Hans Leyendecker, Präsident des Kirchentags 2019 Dortmund, der auch in Nürnberg dabei ist. Die in Dortmund beschlossene Petition, die ein von der evangelischen Kirche betriebenes Schiff zur Seenotrettung im Mittelmeer forderte, war zuvor auch nicht geplant.