Die Zulassung neuer Medizinprodukte wird in der EU nicht staatlich, sondern durch private Prüfstellen wie TÜV, Dekra oder Eurofins geregelt. Sie werden von den Herstellern für die Zertifizierung bezahlt. Lehnt eine der rund 50 europäischen Stellen die Erteilung der benötigten CE-Kennzeichnung ab, können Unternehmen sich an ein anderes Institut wenden.

Recherchen des Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten (ICIJ) in verschiedenen europäischen Ländern haben gezeigt, dass auch mangelhafte oder sogar gesundheitsschädliche Produkte eine Zertifizierung erhalten können. So ließen drei Prüfstellen ein von dem Rechercheteam eingereichtes Mandarinennetz als Hilfsmittel gegen Beckenboden-Beschwerden zu. Auch einer fiktiven Hüftprothese, die Merkmale defekter und deshalb bereits vom Markt genommener Implantate aufwies, wurde eine Zulassung zugesagt.

Schriftliche Begründung reicht

Nach den geltenden Regelungen der EU müssen einwandfreie Funktionsweise und Haltbarkeit nicht durch klinische Studien nachgewiesen werden, wenn vergleichbare Produkte bereits auf dem Markt sind. Es reicht eine schriftliche Begründung des Herstellers. Laut Recherchen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR liegen bei rund 90 Prozent der Hochrisiko-Geräte keine klinischen Daten vor. Zu diesen Geräten gehören etwa Herzschrittmacher und Hüftprothesen. Bei Arzneimitteln verläuft die Handhabung deutlich strenger. Hier erfolgt die Zertifizierung durch staatliche Stellen. Die Wirksamkeit muss durch umfangreiche Studien bestätigt werden.

Den Investigativ-Recherchen zufolge bleibt fast die Hälfte der von Hochrisiko-Produkten verursachten Probleme ohne Reaktion des Herstellers und damit ohne Folgen. Denn nach geltender Rechtslage liegt es bei den Unternehmen, auf Probleme, die von Ärzten bei ihnen gemeldet werden, zu reagieren und eventuell mangelhafte Produkte zurückzurufen, zu überarbeiten oder eine Warnung auszusprechen.

Kein Verbot möglich

Bleibt der Hersteller tatenlos, kann sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einschalten. Das Institut kann allerdings keine Verbote oder Anordnungen aussprechen, sondern verantwortlichen Unternehmen eine Reaktion empfehlen oder die zuständigen Landesbehörden einschalten.

Die EU hat zwar im Mai 2017 eine neue, in einigen Punkten strenger gefasste Medizinprodukteverordnung in Kraft gesetzt. In weiten Teilen gilt sie allerdings erst ab 2020. Diese sieht beispielsweise vor, dass jedes einzelne Produkt genau identifizierbar gemacht wird. Für die Zulassung von Hochrisiko-Produkten soll zudem eine Expertengruppe Ratschläge erteilen und Hersteller sollen mindestens alle fünf Jahre kontrolliert werden.

Die Zulassung der Produkte wird allerdings noch immer hauptsächlich von Privatunternehmen geregelt. Wenn ein Produkt von einer Prüfstelle abgelehnt wird, kann sich der Hersteller auch weiterhin an eine beliebige andere Stelle bemühen - bis es klappt. Die Ratschläge des Expertengremiums zu den Hochrisiko-Produkten sind nicht verbindlich.

Mit der Datenbank Eudamed soll bis Mai 2020 mehr Transparenz hergestellt werden. Dort werden Informationen zu klinischen Studien und Problemen mit den Produkten gesammelt. Zu welchen Daten auch Bürger und Patienten Zugang bekommen, ist noch nicht klar.