Berlin (epd). Der Bundestag hat sich in einer sachlichen und ernsthaften Debatte mit der Zukunft der Organspenden in Deutschland beschäftigt. Dabei zeichneten sich am 28. November drei Positionen ab. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzte sich für die Einführung einer Widerspruchslösung ein, nach der jeder Menschen Organspender ist, der selbst oder dessen Angehörige in seinem Namen nicht widersprechen.
Andere Abgeordnete wie die früheren Gesundheitsminister Ulla Schmidt (SPD) und Hermann Gröhe (CDU) lehnten die Widerspruchslösung ab und wollen an der geltenden Zustimmungslösung festhalten. Die Parteivorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock, und der Linken, Katja Kipping, engagierten sich für eine verpflichtende Entscheidung. Die Debatte wurde zweieinhalb Stunden lang ohne Fraktionszwang geführt. Als Nächstes werden Gruppenanträge erarbeitet.
Spahn sagte, er sei durch den Tiefstand bei den Organspenden dazu gekommen, sich für die Widerspruchslösung starkzumachen. Eigentlich läge auch ihm "eine Einladung zu einer Entscheidung" näher. Unterstützung erhielt Spahn unter anderen vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und der stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion, Petra Sitte.
"Warten im Angesicht des Todes"
Gegenwärtig warten 10.000 bis 12.000 Menschen auf ein Organ. Im vergangenen Jahr gab es aber nur 797 Spenderorgane. Lauterbach sagte, diese Menschen warteten zum Teil "im Angesicht des Todes", und es seien viele Kinder darunter. Jeder Fünfte sterbe während der Wartezeit: "Wir brauchen eine Regelung, die dieses Leid verhindert."
Die Mehrheit der Rednerinnen und Redner setzte sich aber für eine freie Entscheidung für oder gegen eine Organspende ein. Baerbock und Kipping schlugen eine verbindliche, wiederkehrende Abfrage bei der Beantragung von Ausweisen vor. Dabei müssten ein Ja, ein Nein und ein Aufschub der Entscheidung gleichermaßen möglich sein.
Baerbock sagte, sie befürchte, wenn man Menschen aktiv zwinge, Nein zu sagen, werde die Spendenbereitschaft zurückgehen. Dabei seien über 80 Prozent der Bevölkerung grundsätzlich bereit, ein Organ zu spenden. Aber nur knapp 40 Prozent hätten sich bewusst dazu entschieden. Es sei die Aufgabe des Gesetzgebers, diese Lücke zu schließen.
Einig waren sich alle Redner und Rednerinnen, dass etwas getan werden muss, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Viele Abgeordnete bezogen sich auf eine Kieler Studie, wonach die Entnahme von Organen vor allem an einer unzureichenden Organisation in den Kliniken scheitert.
"Geschenk aus Liebe zum Leben"
Eine Widerspruchslösung werde daher nicht für mehr Spenderorgane sorgen, folgerte Ulla Schmidt: "Entscheidend ist die Organisation im Krankenhaus!" Schon als Ministerin habe sie mit Menschen gesprochen, die eine Woche auf einer Intensivstation einen sterbenden Angehörigen begleitet hatten, aber nie angesprochen worden waren. Dabei sei der Verstorbene zur Spende bereit gewesen.
Gröhe sagte, eine Widerspruchslösung stünde im Widerspruch zu Medizinethik und Patientenrechten. "Eine Organspende ist ein Geschenk aus Liebe zum Leben. Das setzt Freiwilligkeit und Zustimmung voraus." FDP-Vize Wolfgang Kubicki lehnte eine Widerspruchslösung ebenfalls ab und betonte, "dem deutschen Recht ist es fremd, Schweigen als Zustimmung zu werten".
Auch der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion Axel Gehrke, selbst Kardiologe, zeigte sich nicht davon überzeugt, dass eine Widerspruchslösung zu mehr Organspenden führen werde. Dieser Weg werde sich nie aus dem "Verdacht der Begehrlichkeiten Dritter" befreien können. Besser sei, wenn Menschen die informierte Entscheidung selbst träfen, ihre Organe zur Verfügung stellen zu wollen.
Alle Rednerinnen und Rednern lobten, dass die Debatte in Gang gekommen sei und die Regierungskoalition mit dem Gesetz zur besseren Finanzierung der Strukturen in den Entnahmekrankenhäusern und Stärkung der Transplantationsbeauftragten einen ersten Schritt getan habe. Andere Länder zeigten, dass es entscheidend auf funktionsfähige Strukturen ankomme.
Der Arzt und CDU-Gesundheitspolitiker, Rudolf Henke, der selbst auf Organe wartende Dialysepatienten betreut hat, sagte, man könne es auch so sehen: Nicht nur diese Menschen würden vergeblich warten. Es werde auch der Wille vieler Spender nicht erfüllt, weil ihre Organe nicht verwendet würden.