Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) will das Leid sowjetischer Kriegsgefangener in der NS-Zeit mehr thematisieren. "Wir sind es den Opfern schuldig, die infolge mangelhafter Ernährung, Versorgung und Unterbringung sowie der ausbeuterischen Arbeitseinsätze ums Leben kamen, ihren Angehörigen und allen, die die Gräuel überlebt haben", sagte Laschet am 9. Oktober bei einer Gedenkveranstaltung in Schloß Holte-Stukenbrock. "Wir sind es aber auch uns selbst schuldig, damit wir uns bewusst bleiben, wohin Fanatismus, Verblendung und Hass führen können."

Laschet: Leid sowjetischer Kriegsgefangener in den Blick nehmen

Vor 75 Jahren wurde das ehemalige NS-Stammlager "Stalag 326" nahe Stukenbrock von US-Soldaten befreit. Es war zwischen 1941 und 1945 das wahrscheinlich größte Lager der Wehrmacht für sowjetische Kriegsgefangene und Verschleppte im Gebiet des damaligen Deutschen Reiches. Schätzungen zufolge starben etwa 65.000 Menschen aufgrund der katastrophalen Lagerbedingungen, in einem nahe gelegenen Lazarett und in den Arbeitskommandos. Die Toten wurden in Massengräbern einen Kilometer entfernt verscharrt, heute befindet sich dort ein sowjetischer Ehrenfriedhof.

Im "Stalag 326" hätten Lebenswege in Erniedrigung, Hunger, Schmerz und Tod geendet, sagte der Präsident des nordrhein-westfälischen Landtags, André Kuper (CDU). "Dieser Ort ist mit einem Auftrag an uns alle verbunden: die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus bewahren, die Verbrechen weiter aufarbeiten und, wann immer notwendig, unser Wort gegen menschenfeindliche Ideologie erheben." Die nationalsozialistischen Verbrechen gegenüber der Menschlichkeit machen in ihrer unvergleichbaren Dimension schnell sprachlos. "Doch umso mehr dürfen wir Demokraten unsere Sprache und unsere Haltung niemals verlieren", rief der Landtagspräsident zu mehr Engagement gegen menschenfeindliche Ideologien auf.

Neukonzeption der Dokumentationsstätte

Seit 1996 informiert auf dem ehemaligen Lagergelände eine Gedenkstätte über die Geschichte des Stalag anhand von alten Dokumenten, Filmmaterial, Dias und Zeugenaussagen. In den kommenden Jahren soll der vergleichsweise kleine, lange Zeit ehrenamtlich betriebene Erinnerungsort mit einer Neukonzeption überregional stärker bekannt gemacht werden. Geplant sind unter anderem ein Neubau für Ausstellungen und Vermittlungsarbeit sowie eine Neukonzeption der historischen Orte, um an das Leid der Kriegsgefangenen zu erinnern.

In Verbindung mit dem Ehrenfriedhof soll ein würdiges Totengedenken ermöglicht und die Geschichte von Stalag 326 weiter erforscht werden. Die Ausstellung soll zudem thematisch auf die Nachkriegsgeschichte des Stalag ausgedehnt werden: Von 1948 bis in die 70er Jahre war das Areal Auffang- und Durchgangslager für Vertriebene und später für DDR-Flüchtlinge.

Die Kosten für den Ausbau werden auf rund 60 Millionen Euro geschätzt. Die Fertigstellung solle bis 2025 erfolgen, sagte Kuper dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Urenkelin eines früheren Lagerinsassen erzählt Familiengeschichte

Bei der Gedenkveranstaltung auf dem ehemaligen Lager-Gelände schilderte Marina Mehlis, die Urenkelin eines im Stalag 326 verstorben russischen Kriegsgefangenen aus Moskau, die persönliche Familiengeschichte. Lange Zeit galt der Urgroßvater als verschollen, erst über die Internetseiten der Gedenkstätte habe sie von seinem Schicksal erfahren. "Als Russin bin ich dankbar, dass man in Deutschland dafür sorgt, dass die Spuren dieses Krieges nicht verloren gehen", sagte sie. Als Stimmen der Zeitzeugen verlasen Schülerinnen des Gymnasiums Schloß Holte-Stukenbrock Berichte von Kriegsgefangenen, die das Grauen des Lebens und Überlebens im Stammlager 326 beschrieben.