Berlin (epd). Der Deutsche Kulturrat und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) haben sich für eine umfassendere Aufarbeitung der Rolle der Kirchen im Kolonialismus ausgesprochen. Dazu solle eine gemeinsame Debatte in Gang kommen, kündigten der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, und der EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen am 29. August in Berlin an. Unter anderem sei dazu im Frühjahr 2020 in den Franckeschen Stiftungen in Halle eine gemeinsame Tagung mit zahlreichen Experten geplant.
Wichtig sei, die Vielschichtigkeit der kirchlichen Missionsgesellschaften und ihre Verstrickungen im Kolonialismus offenzulegen, sagte Zimmermann. Häufig hätten die Missionen eine ambivalente Rolle gespielt. Dies sei jedoch keine ausschließlich kirchliche Frage, sagte der Kulturrats-Geschäftsführer: "Die Debatte muss breiter geführt werden." Notwendig sei, dass sich auch weltliche Strukturen, etwa im Zusammenhang mit dem geplanten Humboldt Forum in Berlin, mit dem Thema befassen.
Keine Rückgabeforderungen
Der EKD-Kulturbeauftragte Claussen verwies darauf, dass in den Missionswerken postkoloniale Themen schon seit vielen Jahrzehnten bearbeitet würden. Neu sei nun der Fokus auf die Debatte zum Umgang mit Kulturgütern. Diese würden meist als innerkirchliche Objekte betrachtet, etwa weil sie durch Partnerkirchen aus anderen Ländern überreicht wurden. Offizielle Rückgabeforderungen von Kulturgütern - wie sie etwa an öffentliche Museen und Sammlungen in Deutschland gerichtet werden - gebe es an die EKD nicht, unterstrich Claussen.
Zugleich sprach sich der EKD-Kulturbeauftragte für eine differenzierte Debatte aus. So seien christliche Missionare keine "willigen Helfer des staatlichen Kolonialismus" gewesen, betonte Claussen in einem Gastbeitrag für die aktuelle Ausgabe der Publikation "Politik & Kultur" (Ausgabe 9/2019) des Kulturrats. Die evangelische Mission sei auch eine Vorgängerin der heutigen Nichtregierungsorganisationen gewesen.
"Sehr spät"
In "Politik & Kultur" befassen sich 18 Autoren mit dem Thema "Kolonialismus und Mission", darunter auch die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel, sowie der Hamburger Historiker und Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer. In seinem Beitrag wirft der Wissenschaftler der EKD vor, die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus "sehr spät" zu beginnen. Zudem konzentriere sich die kirchliche Auseinandersetzung bislang "auf individuelles Fehlverhalten statt systemische Ursachen".
"Die EKD hat sich zur Aufgabe gemacht, solche Diskussionen zu befördern", betonte Claussen. Die Debatte zu Verstrickungen der Kirchen in den Kolonialismus sei ein "offener Prozess, der weiter geführt wird". So werde auch das Thema Provenienz von Kulturgütern in den Missionsgesellschaften diskutiert.
Der Deutsche Kulturrat hatte im vergangenen Februar eine Stellungnahme zum "Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" veröffentlicht. Darin wurde von allen öffentlichen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland, aber auch von der Zivilgesellschaft, den Kirchen und dem Kunsthandel eine breite Aufarbeitung und Debatte zum Umgang mit Kulturobjekten aus der Kolonialzeit gefordert.