Der heiße Wüstenwind bläst feinen Sand über die Trümmer des Tempels des Baalschamin. Am strahlend blauen Himmel kreist kreischend ein Greifvogel über der zerstörten antiken Oasenstadt Palmyra. Plötzlich wachsen aus den Trümmern die Wände des Tempels empor. Virtuell wird das 2015 von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gesprengte Denkmal zu neuem Leben erweckt. Bie Besucher der Bundeskunsthalle können dieses Spektakel nun live miterleben. Die Ausstellung "Von Mossul nach Palmyra. Eine virtuelle Reise durch das Weltkulturerbe" führt bis zum 3. November in die vom Krieg zerstörten syrischen Städte Aleppo und Palmyra, ins irakische Mossul sowie in die vom Verfall bedrohte antike Stadt Leptis Magna in Libyen.

Sechs Denkmäler können die Besucher mit Hilfe von 3-D-Brillen erkunden. Außerdem gewähren animierte Filme Einblicke in die Straßen der vom Krieg verwüsteten Städte und in die Überreste historischer Stätten. Dabei werden einzelne Denkmäler virtuell rekonstruiert, so dass ein Eindruck vom ursprünglichen Zustand entsteht.

Kirche zerstört

Die Reise beginnt in der nordirakischen Stadt Mossul, die im Juli 2017 nach dreijähriger IS-Herrschaft von der irakischen Armee und ihren Verbündeten zurückerobert wurde. Auf eine riesige, wandfüllende Leinwand wird der Überflug über die zerstörte Stadt projiziert. Die Kamera taucht dann ein in die verwüstete Große Moschee des an-Nuri ein, die für ihr schiefes Minarett bekannt war. Dann werden die Ruinen überblendet mit dem virtuell rekonstruierten Originalzustand des Gebäudes.

Die multiethnische Vergangenheit der Stadt, in der ursprünglich Angehörige unterschiedlicher Religionen zusammenlebten, veranschaulicht die Kirche unserer Lieben Frau von der Stunde. In dem christlichen Gotteshaus sind die Fenster zerschlagen. Einrichtung und Kunstgegenstände wurden zerstört und geplündert. Schutt bedeckt den Boden.

Der Geologe und Archäologe Faisal Jeber dokumentierte die Zerstörung der Denkmäler durch den IS von Beginn an und gründete eine Organisation zur Rettung des kulturellen Erbes. Dafür wurde er vorübergehend vom IS gefangengenommen und gefoltert. "Unser Ziel ist es, die Stadt wiederaufzubauen", sagt er nun in einer Filmdokumentation für die Ausstellung. Die Hoffnung ist, dass die virtuelle Rekonstruktion der Gebäude dazu beitragen kann, die Denkmäler eines Tages wiederaufzubauen.

Für Aufsehen hatten vor allem die Zerstörungen des IS in der antiken syrischen Oasenstadt Palmyra gesorgt, die vor dem Krieg Touristen aus aller Welt anzog. Das Weltkulturerbe wurde 2015 und 2017 Opfer zweier Zerstörungswellen. Dabei wurden unter anderem zwei Tempel und ein Triumphbogen gesprengt. Auch in der syrischen Stadt Aleppo fielen zahlreiche Denkmäler dem Terror zum Opfer. Ein Streifzug durch die Straßen der Altstadt führt den Besucher zur Umayyaden-Moschee. Deren zerstörtes Minarett wird virtuell wiederaufgebaut.

Historische Aufnahmen

Die Projektionen der zerstörten Orte werden flankiert von historischen Aufnahmen, die den alten Glanz erahnen lassen. Da brummt im inzwischen zerstörten Suk von Aleppo das Leben. Händler bieten bunte Kleider oder Trockenfrüchte an. Und durch die belebten Straßen rattern Straßenbahnen. Das Schicksal der Menschen in der nun zerstörten Stadt beleuchtet der Dokumentarfilm "Greetings from Aleppo" des einheimischen Künstlers Issa Touma.

Nicht zerstört, aber bedroht ist die antike Stadt Leptis Magna in Libyen. Die als "afrikanisches Rom" bekannte Stadt ist aufgrund der instabilen politischen Lage in Libyen gefährdet. Bislang gab es keine Angriffe auf die Denkmäler. "Wir haben aber Sorge, dass es einen Terroranschlag geben könnte", sagt Grabungsaufseher Eceddin Ahmad Omar Fagi. Stücke, die sich transportieren lassen, haben die Konservatoren in Depots in Sicherheit gebracht. Allerdings droht der antiken Stadt auch Verfall, weil sie nicht hinreichend gepflegt werde, warnt der Leiter der französischen archäologischen Mission in Libyen, Vincent Michel.

Nicht nur die vier gezeigten Weltkulturerbe-Stätten seien zerstört oder bedroht, sagt die Kuratorin der Ausstellung, Aurélie Clemente-Ruiz vom Institut du monde arabe in Paris, wo die Schau bereits gezeigt wurde. "Die Ausstellung ist ein Manifest, das Kulturerbe auf der ganzen Welt zu schützen." Und für die endgültig zerstörten Denkmäler gibt es dank der neuen Allianz zwischen Archäologie und High-Tech zumindest einen schwachen Trost, meint Clemente-Ruiz: "Wir können sie dank virtueller Rekonstruktion im Gedächtnis behalten."