Bärbel Wohlleben ist eine gradlinige Frau. Was ihr nicht passt, das sagt sie, und was sie machen will, das tut sie. "So war ich schon immer", betont sie. Man glaubt es ihr sofort. Denn ohne diese Eigenschaften wäre der heute 75-Jährigen mit den kurzen grauen Haaren und den wachen blauen Augen vor 45 Jahren sicher nicht geglückt, was für den jungen Frauenfußball einem Steilpass gleichkam: Wohlleben schoss im Endspiel um die erste Deutsche Meisterschaft ein Zaubertor, das später von den Zuschauern der ARD-Sportschau zum "Tor des Monats" gewählt wurde.

Kraftvoll in die rechte Ecke

Das Finale in Mainz bestritten die Teams des rheinhessischen TuS Wörrstadt und des Gelsenkirchener Vereins DJK Eintracht Erle. Erst vier Jahre zuvor hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das Verbot aufgehoben, in den Vereinen Frauen-Fußballabteilungen zu gründen. Im Endspiel führten die Wörrstädterinnen 2:0, als Bärbel Wohlleben den Ball auf den Fuß bekam und ihn aus gut 20 Metern Entfernung kraftvoll in der rechten Ecke versenkte. Beim Schlusspfiff stand es 4:0.

Dass ihr Treffer in die Auswahl zum "Tor des Monats" aufgenommen und von den Zuschauern ausgewählt wurde, habe sie überrascht und gefreut, erzählt Wohlleben. Ihrem Sport habe diese Auszeichnung mächtig Auftrieb verschafft. "Viele Frauen wurden aufmerksam und animiert, selber Fußball zu spielen." Moderator Oskar Klose überreichte ihr in der Sportschau die Auszeichnung. Er gestand ein, dass er dem Frauenfußball zunächst skeptisch gegenüber gestanden, inzwischen aber "hübsche Spiele" gesehen habe. Zu der Top-Torschützin sagte er: "Sie haben ja wirklich schon fußballerische Bewegungen. Das sieht alles sehr nett aus."

Ausnahmegenehmigung

Eine Wortwahl, die man als Beleidigung verstehen kann. Doch die solchermaßen "Geehrte" blieb gelassen: "Die Worte passten in die damalige Zeit. Wir waren nichts anderes gewohnt", sagt Wohlleben. Der DFB habe sich gesorgt, dass Kopfbälle die Frisuren der Damen zerstören. Prominente Fußballer wie Weltmeister Paul Breitner seien der Ansicht gewesen, dass Frauen an den Herd gehören.

Bärbel Wohlleben war die Jüngste von fünf Geschwistern und spielte jahrelang mit ihren drei Brüdern im Hof Fußball. Nachdem sie im Sommer 1954 das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft mit dem deutschen Sieg gesehen hatte, beschied die Zehnjährige ihrem Vater: "Ich möchte auch in einer Mannschaft Fußball spielen." Der Vater war Justiziar beim Südwestdeutschen Fußballverband und beschaffte eine Ausnahmegenehmigung für seine Tochter.

"Kein Problem mit einem Mädchen"

Der Trainer der C-Jugend in Ingelheim, wo sie heute noch lebt, hatte kein Problem mit einem Mädchen in seiner Mannschaft. Allerdings schickte er sie vor dem ersten Training in die Weitsprunggrube, wo sie sich in Ringkämpfen mit den Jungs messen musste. "Er wollte einfach sehen, wie stark ich bin", erzählt sie grinsend. Die Kämpfe gingen fifty-fifty aus, das reichte. Vier Jahre spielte sie in der Jugend, dann war Schluss. Für ältere Mädchen gab es keine Ausnahmegenehmigungen mehr. Sie hat sich dann auf Handball und Leichtathletik konzentriert.

Nach der Mittleren Reife wechselte Bärbel Wohlleben auf eine kaufmännische Handelsschule und arbeitete später in der Anwaltskanzlei ihres Vaters. Sie erinnert sich noch gut an einen Tag im November 1969. Damals hatte sie ein Spiel mit den Ingelheimer Handballerinnen gegen das Team aus Alzey. Im Gang der Halle wärmte sich Uschi Demler mit einem Fußball auf und erzählte ihr, dass sie mit anderen Frauen beim TuS Wörrstadt trainiere. Wohlleben hörte es mit Freude.

"Ein Ball!"

Am Tag darauf fuhr sie nach Wörrstadt - und traute ihren Augen nicht. "Da standen zehn Frauen im Kreis und Trainer Egon Rehbein in der Mitte mit einem Ball." Noch heute schwingt Empörung in ihrer Stimme. "Ein Ball!" Sie sagte dem Trainer, dass sie nicht mehr kommen werde, wenn es beim nächsten Training nicht für jede Spielerin einen Ball gebe. Eine Woche später war der Mangel behoben.

Die folgenden Jahre spielte Bärbel Wohlleben Fußball, war bei einigen Länderspielen der zunächst noch inoffiziellen Auswahlmannschaft dabei und wurde Deutsche Meisterin. Sie spielte - immer offensives Mittelfeld - später beim Verein Oberst Schiel in Frankfurt, beim SC 07 in Bad Neuenahr und beim FSV Frankfurt. Geld hat die Alleinstehende mit ihrem Sport nicht verdient. Im Gegenteil. "Wir mussten damals alles selbst bezahlen", sagt sie.

Bei Oberst Schiel habe sie als einzige Spielerin Fahrgeld bekommen. Als der Verein das ihren Mitspielerinnen verweigerte, obwohl er durch die Eintrittsgelder Einnahmen mit dem Frauenfußball erzielte, wechselte Wohlleben verärgert den Verein. Heute steht sie in der Region noch manchmal am Spielfeldrand oder schaut im Fernsehen ein Länderspiel an. Nach Frankreich, zur Weltmeisterschaft der Frauen, wird sie nicht fahren: "Ich mache meinen Tagesablauf nicht mehr abhängig vom Fußball."