Claudia Salgado redet sich immer mehr in Rage. Undankbare Menschen seien das, Kriminelle und Gewalttäter. Nein, sie habe nichts gegen Migranten, ruft die Mittfünfzigerin in die Menge, "aber unter denen sind Verbrecher, das wissen wir". Etwa 400 Menschen versammeln sich an diesem Morgen auf einer Kreuzung im wohlhabenden Viertel Rio der mexikanischen Millionenstadt Tijuana an der Grenze zu den USA. Einige tragen Pappschilder, auf denen in großen Lettern "Mexiko zuerst" und "Keine Karawanen mehr" geschrieben steht.

Andere schwenken die mexikanische Flagge. Immer wieder singen sie die Nationalhymne und brüllen in Sprechchören "Honduraner raus!". Wenig später steht ein Teil der Demonstranten an einer Straßenkreuzung nahe der Sportanlage Benito Juárez. Nur der Einsatz einer Polizeieinheit kann verhindern, dass die aufgebrachte Menge auf das Gelände vordringt.

In dem Sportzentrum sind derzeit etwa 2.400 Mittelamerikaner untergebracht, die vor Armut und Gewalt aus ihrer Heimat geflüchtet sind. Die meisten stammen aus Honduras. Vergangene Woche sind sie mit einer Migranten-Karawane hier angekommen, um von der Grenzstadt in die USA weiterzureisen. Mindestens 3.000 weitere Menschen sind auf dem Weg.

20 Toiletten

Doch schon jetzt wird es eng in der Anlage. Zelte, Plastikplanen und Matratzen behindern den Durchgang, an allen Zäunen und Gerüsten hängt Wäsche. Auf dem Baseballplatz, gleich neben der Autobahn, stehen 20 Toiletten und ein paar Duschen, die für die tägliche Hygiene von Tausenden Menschen ausreichen müssen.

Aber warum dieser Hass? Ausgerechnet in der Grenzmetropole Tijuana, die erst durch die Migration Richtung USA ihre heutige Bedeutung erlangt hat. Schon bevor die Karawanen-Gegner am 18. November mobil machten, hatte Bürgermeister Juan Manuel Gastélum gegen die Migranten gehetzt. "Das ist ein Haufen Arbeitsscheuer und Drogenabhängiger", sagte er. Die Ruhe und Sicherheit sei gefährdet, erklärte der Rathaus-Chef einer Stadt, die unter anderem wegen Drogenhandel und Schmuggel eine sehr hohe Kriminalitätsrate hat: In diesem Jahr wurden schon 2.300 Mordopfer gezählt.

Der Honduraner Vicente Romero Pimea sitzt auf einer Tribüne der Sportanlage, von der aus er sein Ziel immer im Blick hat. Der 48-Jährige kann die Befürchtungen nicht verstehen. Wer auf dem Gelände Drogen verkaufe, fliege sofort raus. Und gerade weil er arbeiten wolle, sei er hier gelandet. In seiner Heimatstadt Santa Barbara gab es keine Jobs mehr. Er konnte seine Frau und seinen fünfjährigen Sohn nicht mehr ernähren. Nun hofft er, als Bauarbeiter in den USA genug zu verdienen, um Geld nach Hause zu schicken. Höchstens hundert Meter trennen Pimea von dem fünf Meter hohen rostigen Metallzaun, den er überwinden muss, um in die USA zu gelangen.

Bis Tijuana sind die Migranten gemeinsam gegangen. Jetzt muss jeder seinen Weg finden. Die mexikanische Regierung hat angeboten, Arbeitsplätze zu beschaffen. Und tatsächlich findet am Montag in der Nähe der Sportanlage ein "Arbeitsmarkt" statt, auf dem einige Unternehmer Beschäftigung anbieten. "Aber das mexikanische Geld ist ja auch nicht viel mehr wert als das honduranische", sagt Cruz Chicas, die sich mit ihren beiden Kindern der Karawane angeschlossen hat. Sie hat bereits im Süden Mexikos gearbeitet, aber die Behörden haben ihr nie Aufenthaltspapiere ausgestellt. Warum, weiß die 40-Jährige bis heute nicht.

Kein Zurück

Vicente Pimea überlegt, ob er Asyl beantragen soll. Unten auf dem Baseballfeld erklärt gerade eine Anwältin, was zu beachten ist, wenn man einen Asylantrag stellt. Aber dann ist er doch skeptisch. "Wenn ich Asyl beantrage, werde ich möglicherweise sechs Monate eingesperrt, bevor die Entscheidung fällt", sagt er. "Zuhause sitzen meine Frau und das Kind. Sie brauchen jetzt Geld."

Sich also doch einem "coyote" anvertrauen, wie die Leute genannt werden, die einen illegal über die Grenze bringen? "Die Schlepper kassieren viel Geld und lassen dich dann in der Wüste sitzen", wirft Ismael Gonzalez ein. Der junge Mann, braune Stoffjacke, weiße Hose, hat sich zu seinem Landsmann auf der Tribüne gesellt. Immer wieder schweigen die Männer und blicken auf den Metallzaun.

Am nächsten Morgen macht eine neue Nachricht die Runde. US-Behörden haben für mehrere Stunden den Grenzübergang geschlossen. Soldaten haben Stacheldraht auf dem Zaun montiert und Betonsperren aufgestellt. Angeblich, um zu verhindern, dass größere Gruppen durchbrechen. Aber wer hier würde die Grenze stürmen? "Wir sollten ganz friedlich dorthin laufen und fordern, dass wir einreisen dürfen", sagt Gonzalez.

Sein Mitstreiter Pimea ist noch nachdenklicher als am Vortag. Gestern wurde ihm draußen auf der Straße, wo sich Sexshops, Diskotheken und Bordelle für US-Touristen aneinanderreihen, sein Koffer gestohlen. Alle Klamotten sind weg, nur sein kleiner Rucksack ist ihm geblieben. Wie es weitergeht, weiß er nicht. Aber eines steht für ihn fest: Ein Zurück gibt es nicht.