Der wegen 100 Morden vor dem Oldenburger Landgericht angeklagte Ex-Krankenpfleger Niels Högel hat sich zu Beginn des dritten Verhandlungstages bei den Angehörigen seiner Opfer entschuldigt. Wenn er die Fotos derjenigen sehe, die durch ihn ihr Leben verloren hätten, löse dies bei ihm heute Traurigkeit und Leid aus. "Ich kann nichts wieder gutmachen. Ich entschuldige mich in aller Form." Er beteuerte, dass er allen Angehörigen eine Antwort auf ihre Fragen geben wolle.

Högel soll zwischen 2000 und 2005 in Oldenburg und Delmenhorst 100 Patienten getötet haben. Laut Anklage hat er ihnen Medikamente verabreicht, die zum Herzstillstand führten, um sie anschließend wiederzubeleben und damit als Retter dazustehen.

Bis zum 22. November waren die Hälfte der Vorwürfe, also 50 Fälle, verhandelt worden. An 29 Fälle konnte sich Högel gut erinnern, bei vier davon sei er sich "absolut sicher", dass er die Patienten nicht an den Rand des Todes gebracht habe. An 21 weitere Fälle konnte oder wollte er sich nicht erinnern.

Allerdings unterstrich Högel, dass er in den übrigen Fällen nicht ausschließe, für den Tod der Menschen verantwortlich zu sein: "Wer sollte das sonst getan haben?", fragte er den Richter. Wegen sechs weiterer Taten verbüßt Högel bereits eine lebenslange Haftstrafe. (AZ: 5Ks 1/18) Im Laufe der Verhandlung zeichnete sich zudem ab, dass noch viel mehr Menschen vergiftet haben könnte: Auf die Frage nach dem Verhältnis von gelungenen und erfolglosen Reanimationen, sagte Högel: "Die Mehrheit war erfolgreich."

"Nacht der Reanimation"

Wenn sich Högel erinnerte, wurde er präzise. Mal um Mal erläuterte er dem Gericht die Krankheitsgeschichten, beschrieb die Wirkungsweise von Medikamenten und erklärte medizinisch-technische Geräte. Seine Vorgehensweise sei stets ähnlich gewesen: Erst habe er geschaut wo seine Kollegen sind, dann habe er den Überwachungsmonitor unterbrochen. Anschließend injizierte er den stets tief sedierten Patienten Ajmalin, Lidocain, Kaliumchlorid oder Sotalol - alles Wirkstoffe zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen - und verließ den Raum. 30 Sekunden später habe der Alarm der Überwachungsgeräte eingesetzt und er sei zur Reanimation geeilt.

Am 22. November stand zunächst ein Wochenende auf der herzchirurgischen Intensivstation der Oldenburger Klinik im Fokus. Nach Högels Erinnerungen gab es dort fünf oder sechs Reanimationen in einer Nacht. Bührmann sagte, im polizeilichen Vernehmungsprotokoll sei die Nacht vom 14. auf den 15. September 2001 "reißerisch" als "Nacht der Reanimation" bezeichnet worden. Zu drei dieser Todesfälle befragte ihn der Richter. Högel sagte, er erinnere sich, zwei Männern Ajmalin, verabreicht zu haben. An den dritten habe er keine Erinnerung.

Er erinnere sich vor allem an die Krankengeschichten seiner Opfer, dagegen kaum bis gar nicht an ihre Gesichter, sagte Högel. Er habe mehr auf die Überwachungsmonitore als auf die Menschen geachtet. "Für mich war die Technik wichtiger als der Mensch." Als zwei Anwälte dem Angeklagten Fotos von seinen mutmaßlichen Opfern vorlegen ließen, schüttelte der nur mit dem Kopf: "Nein - keine Erinnerung."

Bei der Befragung wurde auch deutlich, dass in Oldenburg Ärzte und Kollegen misstrauisch wurden. Ein Arzt habe bei ihm in einer Pause eine aufgezogene Spritze in der Kitteltasche entdeckt und einige Tropfen ihres Inhalts auf seiner Brille verrieben. "Wäre es Kalium gewesen, hätten sich weiße Rückstände gebildet", erläuterte Högel. Doch in diesem Fall habe es sich lediglich um eine Kochsalzlösung zum Spülen der Katheterschläuche gehandelt.