Hanna (später Hannah) Josefina Maria Jönsson wird im südschwedischen Malmö in eine Arbeiterfamilie hineingeboren und arbeitet eine Zeit lang als Lehrerin. Die Arbeit mit den Kindern stellt sie allerdings nicht zufrieden, so dass sie nebenbei bei dem Maler Fredrik Krebs (1845-1925) Privatunterricht nimmt. Im Sommer 1922 geht sie nach Dresden, um die Kunst der Brücke-Maler kennenzulernen. Aber weder dem Expressionismus mit seinen kantigen Formen und der bewussten Vergröberung der Details noch dem Naturalismus von Krebs kann sie viel abgewinnen.

Allerdings lernt sie in Dresden ihren späteren Ehemann, den Landschaftsmaler Hans Ryggen (1894-1956), kennen und zieht mit ihm zwei Jahre später ins norwegische Ørlandet. Dort entdeckt sie für sich die Kunstform des Webens. Hans baut ihr einen Webstuhl, den sie mit den Füßen bedienen kann. Alle Materialien für ihre Textilkunst gewinnt sie auf dem Hof und aus der sie umgebenden Natur. Sie spinnt die Wolle selbst und färbt sie mit natürlichen, aus Pflanzen gewonnenen Farben.

Kunst statt Kunsthandwerk

Die Frankfurter Kunsthalle Schirn zeigt nun 25 der größten und eindrucksvollsten Wandteppiche der Künstlerin. "Hanna Ryggens monumentale Bildteppiche können wir als gewebte Manifeste ihrer künstlerischen und politischen Überzeugungen lesen, für die sie ihr Leben lang eintrat", hebt der Direktor der Schirn, Philipp Demandt, hervor. Ihre Arbeiten zählten zu den "markantesten künstlerischen Positionen des 20. Jahrhunderts", seien aber nach ihrem Tod mehr dem Kunsthandwerk zugeordnet worden.

Das habe sich aber in den vergangenen Jahren geändert, sagt die Kuratorin Esther Schlicht. Zuletzt seien ihre Wandteppiche, "die wie ein Universum gelesen und entschlüsselt werden müssen", wieder neu in den Fokus geraten und einige von ihnen sogar 2012 auf der documenta 13 gezeigt worden.

Zu Beginn der Frankfurter Ausstellung sind zwei Tapisserien zu sehen, die wesentliche Aspekte der Weltanschauung der Künstlerin widerspiegeln: das Prinzip der Selbstversorgung und die Gleichstellung aller Menschen. In "Fischen im Schuldenmeer" (1933) thematisiert Ryggen die ausweglose Situation von Fischern und Kleinbauern in der Weltwirtschaftskrise, von der auch ihre eigene Familie betroffen ist. In "Wir und unsere Tiere" (1934) schildert sie den Alltag auf ihrem Bauernhof in Ørlandet zusammen mit ihrem Mann und der 1924 geborenen Tochter Mona in enger Symbiose mit Tier und Natur.

Im Zentrum der Präsentation in der Schirn stehen Ryggens antifaschistische und pazifistische Werke, ihre künstlerische Abrechnung mit den Diktatoren Mussolini, Franco und Hitler. So prangert sie etwa mit "Etiopia" (1935) Italiens Invasion in Äthiopien an. In dem Werk "6. Oktober 1942" (1943) nimmt sie zwei norwegische Kollaborateure aufs Korn: den mit den Nationalsozialisten sympathisierenden Schriftsteller Knut Hamsun und den von der Hitler-Kamarilla eingesetzten Ministerpräsidenten Vidkun Quisling.

Denkmal für politisch Verfolgte

In vielen ihrer Arbeiten setzt Ryggen auch dem Widerstand politisch Verfolgter ein Denkmal, etwa der deutschen Antifaschistin Liselotte Herrmann ("Liselotte Herrmann enthauptet", 1938) und dem deutschen Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky ("Tod der Träume", 1936). Auch nach dem Krieg exponiert sich die Künstlerin weiter politisch, etwa gegen die atomare Aufrüstung der Weltmächte oder gegen den Nato-Beitritt Norwegens. Noch mit 72 Jahren webt sie aus Protest gegen den Vietnam-Krieg ("Blut im Gras", 1966) und benutzt für das blutrote Gittermuster zum ersten Mal künstliche Farbe.

Höhepunkt der Frankfurter Ausstellung ist allerdings das Werk mit dem Titel "Wir leben auf einem Stern", das 1958 als Auftragsarbeit für das Regierungshochhaus in der norwegischen Hauptstadt Oslo entsteht. Der vier mal drei Meter große Wandteppich aus Wolle und Leinen zeigt ein nacktes Paar in einer Ovalform. Das Paar symbolisiert die ständige Erneuerung des Lebens.

Bis zum 22. Juli 2011 hing das Kunstwerk im Eingangsbereich des Regierungshochhauses: An dem Tag zündete der Rechtsextremist Anders Breivik eine Autobombe vor dem Gebäude, bevor er auf der Insel Utøya 69 junge Menschen ermordete. Bei der Explosion wurde die rechte untere Seite des Wandteppichs beschädigt und anschließend restauriert. Eine Rissnarbe allerdings ist noch immer zu sehen.